Virus portraits - Virologisches Institut

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Virusporträts 2007/2008
Beilagen zur Vorlesung
Virologie Version
2007/2008 für 2012
Teil I
Virus
Porträts
M. Ackermann, H. Adler, M. Engels, C. Griot, A. Metzler,
U. Müller-Doblies, D. Müller-Doblies, M. Schwyzer,
N. Stäuber, M. Suter
2007
Virusporträts 2007/2008
Inhaltsverzeichnis
Arboviren ..................................................................................................................... 2
AHS .................................................................................................................. 2
BTV .................................................................................................................. 7
FSME .............................................................................................................. 17
West-Nil-Virus ................................................................................................ 23
ASP ............................................................................................................................ 28
Borna .......................................................................................................................... 33
CIRCO ....................................................................................................................... 41
Ebola .......................................................................................................................... 46
HCC ........................................................................................................................... 51
Herpesviren ................................................................................................................ 54
Aujeszky ......................................................................................................... 54
BKF ................................................................................................................ 60
EHV ................................................................................................................ 64
IBR/IPV .......................................................................................................... 68
Influenza ..................................................................................................................... 77
Influenza equi.................................................................................................. 86
MKS ........................................................................................................................... 88
Nidovirales (Arteri- und Coronaviren) ........................................................................ 95
EAV ................................................................................................................ 95
EVD ................................................................................................................ 99
FIP ................................................................................................................ 101
PRRS ............................................................................................................ 106
SARS ............................................................................................................ 110
TGE .............................................................................................................. 115
Papilloma.................................................................................................................. 124
Parvovirosen der Fleischfresser ................................................................................. 129
Parvovirose der Schweine ......................................................................................... 136
Pesti .......................................................................................................................... 140
Poxviren ................................................................................................................... 149
Pocken .......................................................................................................... 149
Animale Poxviren .......................................................................................... 154
Prionen ..................................................................................................................... 156
BSE ............................................................................................................... 156
SCRAPIE ...................................................................................................... 165
Retroviren ................................................................................................................. 174
CAE .............................................................................................................. 174
EBL .............................................................................................................. 181
EIA ............................................................................................................... 187
FeLV ............................................................................................................. 189
FIV................................................................................................................ 194
Maedi ............................................................................................................ 198
Rindergrippe ............................................................................................................. 201
PI-3/BRSV .................................................................................................... 201
Rotaviren .................................................................................................................. 207
Staupe ....................................................................................................................... 217
SVD.......................................................................................................................... 223
Tollwut ..................................................................................................................... 225
Seite 1
Kapitel, Arboviren, AHS
Arboviren
AHS
Autoren: Norbert Stäuber, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
AHS
Afrikanische Pferdesterbe - African
horse sickness Virus
Die Afrikanische Pferdepest (African horse sickness, AHS) ist
eine durch blutsaugende Arthropoden übertragene, saisonal
auftretende, akute oder subakute, nicht-kontagiöse
Infektionskrankheit der Pferde und anderer Equiden. Sie ist
verursacht durch ein doppelsträngiges RNS Orbivirus (African
horse sickness virus, AHSV) aus der Familie Reoviridae , und
ist charakterisiert durch Fieber, Hämorrhagien und Oedeme
des subkutanen Gewebes, der Lungen, der inneren
Körperhöhlen und des Herzens.
Besonderheiten
Empfänglich für AHSV sind Equiden, Pferde sind am
empfänglichsten, wo die Mortalität bis auf 95% steigen kann,
sie sind aber nicht verantwortlich für das längere Überleben
des Virus. Genesene Pferde sind keine Virusträger oder -ausscheider. Esel und Maultiere sind resistenter gegen AHS, und
Zebras sind hochresistent, ausser mildem Fieber zeigen sie
meist keine anderen Symptome. Hund erkranken nach Genuss
von AHSV-verseuchtem Fleisch, epidemiologisch scheinen sie
aber keine Rolle zu spielen. Weiter empfänglich sind
Labornager. Antikörper gegen AHSV wurden in verschiedenen
anderen Tierarten gefunden, die Bedeutung ist jedoch unklar.
Geschichte
Die Pferdepest ist auf dem afrikanischen Kontinent seit
Jahrhunderten bekannt. Erstmals als Syndrom beschrieben
wurde sie Ende des 18. Jahrhunderts nach der Einführung von
Pferden, Maultieren und Eseln während der Kolonisation Südafrikas durch Europäer. 1903 wurde zum erstenmal vermutet,
dass blutsaugende Insekten die Krankheit übertragen könnten,
aber erst 40 Jahre später wurden Culicoides Mücken als
Hauptüberträger identifiziert.
Verbreitung
AHS kommt endemisch in den zentralen Tropenregionen
Afrikas vor. Gebunden an den Lebenszyklus des biologischen
Vektors Culicoides tritt AHS gegen Ende Sommer
(Trockenzeit), mit Einsetzen von feucht-warmer Witterung auf.
Unregelmässige Seuchenzüge können sich nach Süden (bis
Südafrika), Norden und Osten (bis Mittelmeerküste, Mittlerer
Osten, Indien und Südwestasien) ausbreiten.
Seite 2
Kapitel, Arboviren, AHS
Kalte Witterung und Beginn des Winters beenden die
Seuchenzüge.
Ausbrüche wurden 1966 und 1987-1990 im Süden der
iberischen Halbinsel verzeichnet.
Erreger
Das AHSV gehört zum Genus Orbivirus in der Familie
Reoviridae. Das Prototypvirus des Genus Orbivirus ist das
Blauzungen- oder Bluetongue Virus (BTV) der Schafe und
Kühe. Andere nah verwandte Viren sind das Virus der
epizootischen hämorrhagischen Krankheit der Hirsche
(EHDV) oder das Ibaraki Virus der Kühe und Hirsche. Es
existieren neun verschiedene Serotypen des AHSV.
Ein Viruspartikel ist etwa 80 nm gross und ist aufgebaut aus
sieben Strukturproteinen. In infizierten Zellen findet man
zusätzlich 4 Nicht-Strukturproteine. Die Nukleinsäure liegt in
Form einer segmentierten, doppelsträngigen RNS vor. Weitere
Einzelheiten sind beim Bluetongue Virus beschrieben.
Virusvermehrung und
Genexpression
siehe Bluetongue Virus
Epidemiologie
Blutsaugende, infizierte Arthropoden übertragen das Virus bei
ihrer Mahlzeit auf empfängliche Vertebraten. Während der
Virämie dient dann ein infiziertes Tier als Virusquelle für die
Infektion weiterer Arthropoden, womit sich der Zyklus
schliesst. Das Virus vermehrt sich nicht nur im VertebratenWirt, sondern auch im biologischen Vektor, beim AHSV
Mücken der Gattung Culicoides. Die adulten Mücken scheinen
dabei zeitlebens infiziert zu bleiben. Experimentell wurde
nachgewiesen, dass auch andere Mücken (Aedes spp.,
Anopheles spp., Culex spp.) und Zecken (Hyalomma spp.) als
biologische Vektoren wirken können. Ebenso kann das Virus
mechanisch, durch Arthropoden oder iatrogen, übertragen
werden.
Für die Ausbreitung der Krankheit und Entstehung von
Seuchenzügen sind die Vektoren hauptverantwortlich, wobei
aber infizierte Vertebraten während der Inkubationszeit oder
nur inapparent infizierte Tiere, wie es oft beim Zebra der Fall
ist, ebenfalls ein grosses Risiko darstellen.
Wo das Virus interepizootische Perioden und den Winter
verbringt ist nach wie vor unklar. Es wurde ein Reservoirwirt
für AHSV vermutet, jedoch gibt es keine verlässlichen
Hinweise, ausser einigen serologischen Untersuchungen, wo
Antikörper in Elefanten, Hunden und anderen afrikanischen
Carnivoren, Kamelen, Schafen und Ziegen gefunden wurden.
Die epidemiologische Bedeutung dieser Befunde ist unklar.
Seite 3
Kapitel, Arboviren, AHS
Desinfektion
Weil das Virus nur über eine sehr geringe Tenazität verfügt, ist
keine Desinfektion nötig. Infolge der Virämie ist jedoch das
Fleisch als kontaminiert zu betrachten und sollte vor dem
Verzehr oder der Verfütterung an Hunde gekocht werden. Mit
der Milch ausgeschiedenes Virus kann durch Pasteurisation
inaktiviert werden.
Pathogenese
Das Virus vermehrt sich vorerst im lymphatischen Gewebe.
Danach tritt eine Virämie ein, die durchschnittlich 1 Woche
dauert, beim Pferd aber bis 18 und beim Zebra bis 27 Tage
anhalten kann. Nach einer Inkubationszeit von 3-14 Tagen
treten die ersten klinischen Erscheinungen auf. Allerdings
treten bei Esel, Maultier und Zebra in der Regel keine
klinischen Erscheinungen auf, und dadurch können diese Tiere
bei der Verbreitung der Krankheit ein grosses Risiko
darstellen.
Das Virus besitzt eine Affinität zu den Endothelzellen der
Blutgefässe, und wurde auf und in Erythrocyten bis 90 Tage
nach Infektion nachgewiesen. Virusauscheidung erfolgt über
Urin, Milch und andere Körperflüssigkeiten, und intrauterine
Infektionen sind möglich.
Klinik
Je nach Tropismus und Virulenz des Virustyps entstehen vier
theoretische klinische Formen.
• Die Fieberform, die nach einer Inkubationszeit von 4-5
Tagen rund eine Woche dauert und vor allem bei Esel und
Zebra anzutreffen ist. Allerdings kommen bei diesen
Tieren auch subklinische Infektionen vor.
• Die akute oder Lungenform ist charakterisiert durch eine
3-5 tägige Inkubation, dauert bis 12 Tage, und hat beim
Pferd eine fast 100%-ige Lethalität. Symptome sind
Dyspnoe, Hustenparoxysmen, Lungenödem.
• Die subakute oder Herzform ist etwas milder, mit einer
Inkubationszeit von 7-14 Tagen und einer Dauer von bis zu
15 Tagen. Typische Symptome sind subkutane Oedeme,
supraorbitales Oedem, Petechien auf Schleimhäuten und
Koliken. Tod kann eintreten durch Herzversagen.
• Die vierte oder gemischte Form ist diejenige, die in der
Praxis am häufigsten anzutreffen ist, mit dominierenden
Symptomen der einen oder anderen Form.
Immunreaktion
Neutralisierende Antikörper sind gegen Epitope auf dem
Protein VP2 gerichtet. Gruppenspezifische Antikörper sind vor
allem gegen VP7 gerichtet.
Tiere, die die Krankheit überleben, sind immun gegen den
homologen Virustyp, aber nur partiell geschützt gegen
heterologe Typen. Passive Immunität kann durch Antikörper
im Kolostrum auf das Fohlen übertragen werden und schützt
dieses bis 2-4 Monate nach der Geburt.
Seite 4
Kapitel, Arboviren, AHS
Die hohe Prävalenz von anti-AHSV Antikörpern in einigen
enzootischen Regionen Afrikas lässt vermuten, dass
afrikanische Pferde und Esel, möglicherweise aufgrund einer
natürlichen Selektion, relativ resistent gegen AHSV sind.
Polyvalente Impfstoffe kommen bei einem Ausbruch zum
Einsatz, bis das Virus typisiert ist. Lebend attenuierte,
polyvalente Impfstoffe induzieren keine echte polyvalente
Immunität, nur die lebend attenuierten, monovalenten
Impfstoffe induzieren einen guten, zum Teil lebenslangen
Schutz. Daher muss bei einem Ausbruch das Virus so schnell
wie möglich typisiert werden um den monovalenten Impfstoff
zur Schutzimpfung noch nicht befallener Tiere einsetzen zu
können.
Monovalente inaktivierte Impfstoffe sind weniger
wirkungsvoll, daher sind unbedingt Wiederholungsimpfungen
nötig.
Prophylaxe
Ausser der Schutzimpfung ist in endemischen Gebieten und
bei Ausbrüchen die Verbringung der Tiere in Ställe mit
Insektengittern zu empfehlen, vor allem während der Nacht.
Mücken der Gattung Culicoides sind nachtaktiv. Dazu ist auch
die Bekämpfung der Insekten mit Insektiziden hilfreich. Zur
Verhinderung der Verschleppung der Krankheit in
seuchenfreie Gebiete sind seuchenpolizeiliche Massnahmen
(und deren Einhaltung) von höchster Wichtigkeit.
Diagnose
Die Diagnose kann gestellt werden einerseits aufgrund der
klinischen Symptome, dem regionalen und zeitlichen
Auftreten, sollte aber andrerseits aufgrund der möglichen
Verwechslung mit anderen Krankheiten unbedingt bestätigt
werden durch eine Labordiagnose.
Labordiagnose
Virusisolation ist möglich durch Inokulation von
embryonierten Hühnereiern, intracerebrale Inokulation von
Babymäusen oder direkte Adaptation des Virus an
Zellkulturen. Die Identifizierung des Virus erfolgt mittels
KBR, IIF, ELISA und PCR.
Der Antikörpernachweis geschieht mittels gruppenspezifischen
Tests wie KBR, AGID, ELISA, und typenspezifischen Tests
wie HHT und SNT.
Equine infektiöse Anämie, Equine infektiöse Arteritis,
Milzbrand, Babesiose, Trypanosomiasen.
Differentialdiagnose
Bei Verdacht
Einsendung von Untersuchungsmaterial soll grundsätzlich mit
dem Labor abgesprochen werden. Für die Diagnostik von
AHSV ist in der Schweiz das Institut für Viruskrankheiten und
Immunprophylaxe in Mittelhäusern/Bern zuständig.
031 848 9211.
Seite 5
Kapitel, Arboviren, AHS
Untersuchungsmaterial
Zur Virusisolation ist Heparin-Blut von virämischen Tieren
geeignet, oder post mortem Organproben aus Lymphknoten,
Milz und Lunge.
Spezifische Antikörper treten ab dem 10-14 Tag nach Infektion
auf und können im Serum nachgewiesen werden.
Therapie
Es gibt keine Virus-spezifische Therapie.
Staatliche Massnahmen
Vorschriften des Internationalen Tierseuchenamtes in Paris
(Office international des Epizooties, O.I.E.) und des
Bundesamtes für Veterinärwesen sind massgebend (O.I.E.
Animal health code on AHS; Tierseuchenverordnung).
Für den internationalen Verkehr mit Pferden ist der
standardisierte
Pferdepass
mit
Gesundheitszertifikat
notwendig. Export von Pferden aus Infektionszonen ist nur
während der ungfährlichen Saison erlaubt. Seropositive Pferde
mit Impfzeugnis werden nicht diskriminiert, das heisst, sie
dürfen
ungehindert
importiert/exportiert
werden.
Bestimmungen bezüglich Quarantäne, Impfungen und
Untersuch auf Antikörper müssen aber berücksichtigt werden.
Der Handel mit Maultieren, Eseln und Zebras ist massiv
erschwert, und aus infizierten Zonen ist er gänzlich untersagt.
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Kapitel, Arboviren, Bluetongue
BTV
Autoren: Norbert Stäuber, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
BTV
Blauzungenkrankheit - Bluetongue
Disease
Die Blauzungen Krankheit oder Bluetongue disease (BT) ist
eine durch blutsaugende Arthropoden übertragene, saisonal
auftretende, nicht-kontagiöse Infektionskrankheit der Schafe,
Kühe, Ziegen und anderer Wiederkäuer. Sie ist verursacht
durch ein doppelsträngiges RNS Orbivirus (Bluetongue Virus,
BTV) (orbis = lat. Ring, Kreis) aus der Familie Reoviridae,
und ist charakterisiert durch Fieber, Hämorrhagien und
Oedeme.
Besonderheiten
Empfänglich für BTV sind Wiederkäuer, Schafe sind am
empfänglichsten, Kühe, Ziegen und Wildwiederkäuer sind oft
nur inapparent infiziert, können aber als Reservoir des Virus
dienen. Je nach Virulenz des Virustyps und Rasse des
befallenen Tieres entwickeln sich mehr oder weniger starke
Symptome. BTV wurde nur einmal aus Nagetieren isoliert,
aber experimentell sind diese empfänglich für die Infektion.
Drastisch erweitert hat sich das Wirtsspektrum 1994, als in
den USA nach einer Serie von Aborten und Todesfällen bei
tragenden Hündinnen das BTV als Ursache erkannt wurde.
Offenbar wurden Hündinnen mit Impfstoffen geimpft, die auf
Zellkulturen hergestellt wurden, welche mit BTV kontaminiert
waren. Das nicht oder nur ungenügend attenuierte BTV
vermochte dann die geimpften Tiere zu infizieren.
In einer anschliessenden Untersuchung wurde auch eine
natürliche Infektion von afrikanischen Carnivoren mit BTV
festgestellt.
Im August 2006 tranten im Maastrichter Zipfel der
Niederlande Dutzende von Fällen der Blauzungenkrankheit
beim Schaf auf. Später wurden auch Fälle bei Schafen und
Rindern in den Nachbarländern (Belgien, Deutschland,
Frankreich) auf. Die Epidemiologie dieser Ausbrüche ist noch
nicht geklärt. (eventuell Mücken aus Frachtflugzeugen von
Maastricht?). Seit Herbst 2007 hat die Seuche die Schweizer
Grenze erreicht. Allerdings sind bei uns noch keine Fälle
bekannt.
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Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Geschichte
BT als Krankheitsbild wurde das erste Mal 1881 beschrieben
als epizootischer Katarrh der Merino-Schafe. 1905 wurde der
Namen Bluetongue für dieses Syndrom gegeben, und 1906
wurde durch Resultate aus Filtrationsversuchen die virale
Natur der Krankheit postuliert, und vermutet, dass das
saisonale Auftreten mit einem Insekten-Vektor
zusammenhängen könnte. 1934 wurde dann das infektiöse
Agens aus Aedes-Mücken isoliert, und 1944 fanden erste
Übertragungsversuche von infizierten Mücken auf Schafe statt.
Kurz nach den Filtrationsversuchen und somit der Klärung der
Natur des infektiösen Agens wurde mit Impfversuchen
begonnen.
1908 wurde beschrieben wie das infektiöse Agens nach
mehrmaliger Passage in Schafen offenbar an Virulenz
einbüsste und als attenuierter Impfstoff verwendet werden
konnte. Dieser Virusstamm diente für über 40 Jahre als
Impfstoff, mit weltweit über 50 Millionen verimpften Dosen.
Verbreitung
BTV tritt entsprechend dem Verbreitungsgebiet des Vektors,
blutsaugende Stechmücken der Gattung Culicoides
(Stechgnitzen), in einem Gürtel nördlich und südlich des
Aequators auf, zwischen 50°N und 30°S in Amerika und
zwischen 40°N und 35°S in Europa, Afrika, Asien und
Australien auf. Gebunden an den Entwicklungszyklus des
Vektors tritt BTV saisonal auf. Seit der ersten Beschreibung in
Süd-Afrika hat BTV sich kontinuierlich weltweit ausgebreitet,
mit Ausbrüchen auf der iberischen Halbinsel in den Jahren
1956-60.
Bis 1977 galt Australien frei von BTV, im Rahmen von
epidemiologischen Untersuchungen wurde dann aber das Virus
aus Mücken isoliert, und bis heute acht Serotypen identifiziert.
Allerdings wurden nie klinische Ausbrüche der Krankheit in
Schafen registriert.
Seit 2006 Ausbrüche von BTV in NL, Belgien, Deutschland
und Frankreich.
Erreger
Das Blauzungen- oder Bluetongue Virus (BTV) ist das am
besten untersuchte Virus, und somit das Prototypvirus, des
Genus Orbivirus. Zusammen mit den Genera Reovirus,
Rotavirus und Coltivirus ist es in der Familie Reoviridae
eingeteilt.
Nah verwandte Viren sind das Virus der Afrikanischen
Pferdepest (AHSV), das Virus der epizootischen
hämorrhagischen Krankheit der Hirsche (EHDV) oder das
Ibaraki Virus der Kühe und Hirsche. Es existieren weltweit 24
verschiedene Serotypen des BTV, welche in regionale
Gruppen eingeteilt werden können.
Seite 8
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
VP2
VP5
VP7
VP3
10 Segmente dsRNS
VP1
VP4
VP6
Die Struktur eines Partikels sowie die Lokalisation von
Proteinen wurde gezeigt durch Kristallisation von Proteinen
(VP7 bei einer Auflösung von 2.5 Angström), durch
Röntgenstrahlen-Analyse und kryo-elektronenmikroskopische
Aufnahmen und dreidimensionale Analyse bis zu einer
Auflösung von 28 Angström. Ein Viruspartikel ist etwa 80 nm
gross, ist unbehüllt, und besteht aus einer diffusen äusseren
Proteinschicht gebildet von den zwei Proteinen VP2 (180
Moleküle) und VP5 (120 Moleküle). Ein Core mit
ikosahedrischer Symmetrie wird gebildet von 780 Molekülen
des Proteins VP7, die in 260 Trimeren angeordnet sind, sowie
dem darunterliegenden Protein VP3. Darin eingeschlossen sind
die Proteine VP1, VP4 und VP6 und die 10 Segmente
doppelsträngiger RNS (dsRNS). Zusätzlich kommen in
infizierten Zellen mindestens drei Nicht-Strukturproteine vor,
NS1, NS2 und NS3.
Das Genom mehrerer Serotypen ist komplett sequenziert (10
Segmente ergeben total etwa 20'400 Basenpaare). Jedes
Segment kodiert für ein Protein. Mittels Expression in
verschiedenen rekombinanten Systemen (wie dem
Baculovirussystem) können alle viralen Proteine synthetisiert
werden. Dies erlaubt das strukturelle und funktionelle Studium
der einzelnen Proteine oder mehrerer zusammen gleichzeitig.
Bei simultaner Synthese der Strukturproteine bilden diese leere
Viruspartikel, entweder nur Core-ähnliche Partikel (VP7 und
VP3) oder Virus-ähnliche Partikel (VP7, VP3, VP2 und VP5),
die keine Nukleinsäure enthalten, aber ansonsten den natürlich
vorkommenden Virus-Partikeln identisch sind. Dies wiederum
erlaubt ein weitergehendes Studium des Virus. Zusätzlich
wurde gezeigt, dass diese leeren Viruspartikel ein potenter
Impfstoff sind.
Seite 9
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
VP2
VP3
VP5
VP7
VP5
VP7
Virus-ähnlicher Partikel
Core-ähnlicher Partikel
Das Virus ist stabil in lipid-haltigen Lösungsmitteln sowie in
nicht-ionischen Detergenzien. Monovalente und divalente
Kationen können die äussere Proteinschicht destabilisieren,
dies ist pH-abhängig. Virus-Partikel sind am stabilsten bei
einem pH zwischen 8-9, wogegen Core-Partikel stabil sind bis
zu einem pH von 5.
Nicht-gereinigte Partikel in infizierten Zellen sind stark
assoziert mit dem Zellskelett und bei niederen Temperaturen
über lange Zeit extrem stabil.
Virusvermehrung und
Genexpression
Viele Details des Replikations-Zyklus von BTV und Orbiviren
sind noch unbekannt, es wird aber angenommen, dass die
grundlegenden Mechanismen bei den Reoviridae ähnlich sind.
Allerdings kommen bei Orbiviren, die sich, im Gegensatz zu
Rotaviren und Reoviren, auch in Arthropoden vermehren,
strukturelle und funktionelle Besonderheiten vor. Der gesamte
Replikations-Zyklus spielt sich im Zytoplasma ab.
Die Adsorption an Zellen wird durch das Protein VP2
vermittelt, und es wird angenommen, dass zelluläre
Rezeptoren für die Bindung verantwortlich sind. Bis heute
wurden jedoch diese Rezeptoren nicht identifiziert. Das CoreProtein VP7 spielt wahrscheinlich auch eine Rolle bei der
Bindung, da dieses Protein ein RGD-Motiv (Arginin-GlycinAsparaginsäure) aufweist, wie es zum Beispiel auch beim
Maul-und Klauenseuche Virus gefunden wird.
Seite 10
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Die Penetration des BTV ins Zellinnere geschieht durch
Endozytose. Durch Verschmelzung mit Lysosomen und
entsprechendem Abfall des pH werden die zwei Proteine VP2
und VP5 abgebaut und übrig bleibt der Core-Partikel. Dies
führt zu einer Aktivierung der Transkription des viralen
Genoms. Core-Partikel werden dann ins Zytoplasma entlassen,
wo die Transkription beginnt. Der Core-Partikel bleibt im
Zytoplasma intakt. Es gelang nie, nackte dsRNS von dsRNSViren im Zytoplasma nachzuweisen. Zelleigene Enzyme wie
die Protein Kinase werden über dsRNS effizient aktiviert. Über
nachfolgende Enzym-Kaskaden wird die Produktion von
antiviralen Substanzen wie Interferon oder RNasen oder
Mechanismen wie Apoptosis ausgelöst. Daher ist es für die
Viren wichtig, dass keine freie dsRNS in Zellen vorkommt.
Verschiedene Viren haben verschiedene Strategien entwickelt,
um gegen die zelluläre Antwort gewappnet zu sein. Virale
dsRNS-bindende Proteine wie NS2 bei BTV sind eine weitere
Möglichkeit, die durch dsRNS induzierten antiviralen
Mechanismen der Zelle zu verhindern.
Messenger-RNS (mRNS) aller 10 Segmente, welche
methyliert ist und am 5'-Ende ein Cap-Stuktur besitzt, wird
innerhalb des Core-Partikels synthetisiert. Der negative Strang
der viralen dsRNS dient dabei als Original für die Ablesung.
Die mRNS wird aus dem Core ausgeschleust und virusspezifische Polypeptide und Proteine werden durch Translation
am Endoplasmatischen Retikulum synthetisiert. Solche Peptide
sind schon nach 2-4 Stunden nach Infektion in der Zelle
nachweisbar. Die Bildung von Virus-Einschlusskörperchen
in der Zelle ist ein Hinweis auf den Zusammenbau von neuen
Virus-Partikeln.
Dabei scheint mRNS von viralen Proteinen gebunden und in
neu geformten Core-Partikeln dann zu dsRNS synthetisiert zu
werden. Ebenso kommen im Zytoplasma Tubuli vor,
zylindrische Stücke des viralen Proteins NS1, dessen Funktion
jedoch unbekannt ist.
Neu zusammengesetzte Viruspartikel, ebenso wie
Einschlusskörperchen und Tubuli sind alle sehr eng assoziert
mit dem Vimentin-reichen, intermediären Filament-Netzwerk
des Zytoskeletons.
Die Freisetzung der kompletten Viruspartikel erfolgt dann
entweder durch Budding oder durch Lyse der infizierten Zelle.
Das Nicht-Strukturprotein NS3 scheint bei der
Virusausschleusung aus der intakten Zelle eine Rolle zu
spielen.
Seite 11
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Rezeptor
mRNS
Endosom
Core
NS1 Tubuli
VP2
NS3
RER
VP1,
3,4,
5,6,7,
NS2
Nukleus
Einschlusskörper
Budding
Epidemiologie
Durch das segmentierte Genom von BTV besteht die
Möglichkeit, dass bei einer Koinfektion verschiedene
Virustypen reassortieren. Dieser Mechanismus für eine
genetische Shift und Evolution von Viren ist auch von anderen
segmentierten Viren bekannt. Im Zeitalter vor der
Sequenzierung von Nukleinsäuren und RNS TranslationsStudien wurde diese Fähigkeit der Reassortierung genutzt, um
die Kodierung der verschiedenen Segmente und die
Funktionen der entsprechenden Proteine herauszufinden.
In Feldinfektionen können oft gemischte Populationen von
Viren isoliert werden. Es können im selben Wirt somit
antigenetisch verschiedene Viren auftreten. Dabei ist die
Reassortierungs-Rate im Insekten-Vektor viel höher als im
Vertebraten-Wirt. Es bestehen auch Unterschiede in der
Reassortierungs-Rate der verschiedenen Segmente. Trotzdem
dass diese Reassortierung mit relativ hoher Frequenz
vorkommt, scheint die genomische Zusammensetzung der
verschiedenen Orbivirus-Stämme relativ konstant über längere
Zeiträume, bedingt durch möglicherweise inkompatible
Reassortanten oder Reassortanten mit niedrigerer
Kompetitivität als Wildtypen.
Blutsaugende, infizierte Arthropoden übertragen das Virus bei
ihrer Mahlzeit auf empfängliche Vertebraten. Während der
Virämie dient dann ein infiziertes Tier als Virusquelle für die
Infektion weiterer Arthropoden, womit sich der Zyklus
schliesst. Stechmücken der Gattung Culicoides sind die
biologischen Vektoren für BTV, in welchen das Virus
repliziert. Im Vektor ist eine vertikale, transovarielle
Übertragung des Virus möglich. Das Virus kann auch in diesen
Vektoren überwintern. In verschiedenen geographischen
Regionen dienen unterschiedliche Spezies als Haupt-Vektoren.
Selbst innerhalb einer Spezies treten individuelle Unterschiede
bezüglich Vektor-Kompetenz und -Kapazität auf.
Seite 12
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Über das Vorkommen von potentiellen Vektoren in Europa
liegen nur wenige Studien vor. Weltweit gibt es über 1000
Spezies der Gattung Culicoides, aber nur 8 Spezies sind
kompetente Überträger von BTV. Experimentell wurde eine
Virusübertragung durch in Grossbritannien heimische
Culicoides spp. gezeigt. Mehrere Culicoides spp., darunter ein
Hauptüberträger von BTV und Afrikanischer Pferdepest,
Culicoides imicola, sind im Mittelmeerraum heimisch, wie
weit nördlich sich deren Lebensraum erstreckt ist jedoch nicht
genau bekannt.
Weiter wurde BTV aus Zecken isoliert. Auch eine
experimentelle biologische Übertragung durch Zecken
(Ornithodurus spp.) wurde nachgewiesen. Ebenso ist eine rein
mechanische Übertragung von BTV durch blutsaugende
Arthropoden oder auch iatrogen möglich.
Eine Voraussage über das Auftreten von BTV und anderen
Arboviren könnte durch Identifizierung potentieller Vektoren,
deren notwendigen klimatischen Lebensbedingungen sowie
durch Analyse von genetisch kompetenten Vektoren verbessert
werden.
Andere Möglichkeiten der Übertragung von BTV wurde
gezeigt durch inifzierten Samen von virämischen Stieren zur
künstlichen Besamung , jedoch offenbar nicht beim
Embryotransfer, weder von der Spender-Kuh auf die
Embryonen noch von Embryonen auf die Empfängerkühe.
Andrerseits wurde eine transplazentare Übertragung bei
Kühen gezeigt, verbunden mit teratogenen Erscheinungen.
Beim Schaf ist eine intrauterine Übertragungsweise belegt.
Desinfektion
Weil das Virus nur über eine sehr geringe Tenazität verfügt, ist
keine Desinfektion nötig.
Seite 13
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Pathogenese
Nach Infektion vermehrt sich das Virus vorerst in regionalen
Lymphknoten sowie eventuell Tonsillen und Milz, bevor es zu
einer Virämie kommt. Das Virus scheint dabei sehr eng
assoziert mit verschiedenen Blutzellen. Dabei werden in
Erythrocyten-Fraktionen höhere Titer gefunden als im Buffy
coat. Experimentell können T-Lymphozyten Kulturen langzeitinfiziert werden.
BTV hat eine Affinität zu Endothelzellen, vor allem der
kleinen Blutgefässe und Kapillaren. Mit Immunfluoreszenz
wurde gezeigt, dass dies vor allem Gefässe der Epithelien
betrifft. Ischämische Läsionen der Epithelien folgen den
primären viralen Entzündungserscheinungen. Mechanischer
Stress in Maul und nasolabialer Gegend sowie sekundär
bakterielle Infektionen beeinflussen das Ausmass dieser
sekundären Veränderungen.
Im weiteren Verlauf der Krankheit sind pathologischanatomisch Kongestion, Oedeme und Hämorrhagien zu finden.
Dies betrifft vor allem subkutanes Gewebe, den DigestionsTrakt, das kardiovaskuläre und respiratorische System sowie
Lymphknoten, Milz und Nieren.
Klinik
Viele Wiederkäuer sind empfänglich für BTV, die klinischen
Erscheinungen kommen jedoch primär beim Schaf vor. Dabei
scheinen die in endemischen Regionen vorkommenden Rassen
weniger empfindlich als importierte, europäische Rassen.
Ebenso beeinflusst die Virulenz der verschiedenen Serotypen
die Ausprägung der Symptome. Die Morbidität kann bis 50%
betragen, die Mortalität variiert und kann von 0%-70%
erreichen.
Oft verläuft die Krankheit symptomlos oder nur mit einer
Temperaturerhöhung. Bei der akuten Form treten klinische
Erscheinungen nach einer Inkubationszeit von 3 bis 7 Tagen
mit dem Höhepunkt der Virämie auf. Hohes Fieber über 6 bis
8 Tage, Dyspnoe, Hyperämie der Kopfschleimhäute, sowie im
weiteren Verlauf eitrige Rhinitis und Lippen- und
Zungenödem mit Blaufärbung der Zunge, das der Krankheit
den Namen gab, können beobachtet werden. Daneben treten
Ulzera und Erosionen der Schleimhäute auf. Mit beginnender
Heilung der nasalen und oralen Läsionen können sich
Pododermatitiden entwickeln. Die epithelialen Läsionen von
Maul und nasolabialer Gegend können chronisch werden, mit
Ulzerationen und Sekundärinfektionen die zu Nekrosen führen.
Bei Jungtieren treten Diarrhöen auf und die Mortalität ist sehr
hoch.
Bei subakutem Verlauf finden sich ähnliche, aber weniger
ausgeprägte Symptome. Im Verlauf von intrauterinen
Infektionen entstehen Fetopathien wie Hydrocephalus,
Nekrosen, Verkürzung der Gliedmassen und Aborte.
Seite 14
Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Beim Rind ist die Morbidität geringer und die Mortalität klein,
der Verlauf der Krankheit oft symptomlos, die Erscheinungen
ansonsten ähnlich aber milder, mit Lippenödem, Speichelfluss,
Nasenausfluss und Inappetenz.
Immunreaktion
Die zelluläre Immunreaktion ist schlecht untersucht und
charakterisiert. Die humorale Immunantwort kann eingeteilt
werden in Serotyp-spezifische und Serogruppen-spezifische
Antwort.
Die humorale Immunantwort bewirkt einen Abfall des
Virustiters im Blut, scheint aber die virale
Antigenkonzentration im Gewebe nicht zu beeinträchtigen.
Andrerseits wird das Virus offenbar nicht vollständig aus dem
Blut eliminiert. Sowohl neutralisierende Antikörper wie auch
Virus können bis zu 28 Tagen im Blut nachgewiesen werden.
Dabei ist es möglich, dass das Virus sich entweder in den
Zellen aufhält oder durch kleine antigenetische Unterschiede
des Partikels der humoralen Immunantwort temporär zu
entgehen vermag.
Virus-Neutralisations Tests sind das wichtigste Werkzeug zur
Bestimmung des Serotyps. Neutralisierende und auch
hämagglutinierende Antikörper sind gegen Epitope auf dem
Protein VP2 gerichtet. Gruppen-spezifische Antikörper sind
vor allem gegen VP7 gerichtet. Das Vorkommen von Virusneutralisierenden Antikörpern korreliert sehr gut mit einer
protektiven Immunität gegen den homologen Virustyp.
Passive Immunität durch Antikörper im Kolostrum schützen
das Lamm für ungefähr sechs Monate. Tragende Auen sollten
allerdings in der frühen Trächtigkeit nicht geimpft werden
wegen möglichen teratogenen Auswirkungen.
Der Lebendimpfstoff sollte in nicht-endemischen Gebieten
während der Vektor-Saison nicht verwendet werden, da das
Virus infektiös ist für den Vektor.
Prophylaxe
Die Schutzimpfung mit lebend attenuierten Impfstoffen wird in
endemischen Gebieten durchgeführt. Zur Verhinderung der
Verschleppung der Krankheit in seuchenfreie Gebiete sind
seuchenpolizeiliche Massnahmen (und deren Einhaltung) von
höchster Wichtigkeit.
Diagnose
Die Diagnose kann gestellt werden einerseits aufgrund der
klinischen Symptome, dem regionalen und zeitlichen
Auftreten, sollte aber andrerseits aufgrund der möglichen
Verwechslung mit anderen Krankheiten unbedingt bestätigt
werden durch eine Labordiagnose.
Labordiagnose
Virusisolation ist möglich durch Inokulation von Schafen,
embryonierten Hühnereiern, intracerebrale Inokulation von
Babymäusen oder direkte Adaptation des Virus an Zellkulturen
von Säugetier- oder Insektenzellen.
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Kapitel, Arboviren, Bluetongue
Die Identifizierung des Virus erfolgt mittels KBR, IIF, ELISA,
EM, Hybridisierungsmethoden und PCR.
Zur Erhöhung der Sensitivität des für lange Zeit einzigen
diagnostischen Tests, der Inokulation von Schafen, wurde die
sogenannte "blood autograft technique" verwendet. Es wurde
festgestellt, dass diese Technik die einzig verlässliche war, um
Virus von persistent infizierten Bullen nachweisen zu können.
Die Methode bestand darin, dass dem Schaf, das mit
Probenmaterial des zu testenden Bullen inokuliert wurde, am
5. bis 8. Tag nach Inokulation eine gewisse Menge Blut aus
der Vena jugularis entnommen wurde. Dieses Blut wurde dann
umgehend demselben Schaf subkutan am Hals injiziert, was
offenbar zu einer Aktivierung des Virus führte. Eine Erklärung
für dieses Phänomen wurde bisher nicht gefunden.
Der Antikörpernachweis geschieht mittels gruppenspezifischen
Tests wie KBR, IF, Agargel Präzipitation, ELISA, und
typenspezifischen Tests wie HHT und SNT.
Differentialdiagnose
Mucosal disease/Virus Diarrhö, Infektiöse bovine
Rhinotracheitis, Bösartiges Katarrhalfieber, Maul- und
Klauenseuche, Vesikuläre Stomatitis oder andere Stomatitiden,
Orf.
Bei Verdacht
Einsendung von Untersuchungsmaterial soll grundsätzlich mit
dem Labor abgesprochen werden. Für die Diagnostik von BTV
ist in der Schweiz das Institut für Viruskrankheiten und
Immunprophylaxe in Mittelhäusern/Bern zuständig.
031 848 9211.
Untersuchungsmaterial
Zur Virusisolation ist Heparin-Blut von virämischen Tieren
geeignet. Es wurde gezeigt, dass Blutzellen das beste Material
zur Isolation von Virus sind. In Erythrocyten findet man die
höchsten Virustiter über die längste Zeitperiode. Virus kann
auch isoliert werden aus dem Samen von Bullen.
Neutralisierende Antikörper treten ab dem 6-14 Tag nach
Infektion auf und können im Serum nachgewiesen werden,
ebenso wie gruppenspezifische, nicht-neutralisierende
Antikörper.
Therapie
Es gibt keine Virus-spezifische Therapie.
Staatliche Massnahmen
Vorschriften des Internationalen Tierseuchenamtes in Paris
(Office international des Epizooties, O.I.E.) und des
Bundesamtes für Veterinärwesen sind massgebend (O.I.E.
Animal health code; Tierseuchenverordnung).
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Kapitel, Arboviren, FSME
FSME
Autoren: Hildegard Adler, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
FSME
Die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME), auch
Zeckenenzephalitis genannt, ist eine Erkrankung des ZNS,
deren Erreger, ein Flavivirus, hauptsächlich durch Zeckenstich
auf den Menschen übertragen wird.
Geschichte
1934 wurde die Klinik der Zeckenenzephalitis im fernen Osten
der damaligen Sowjetunion zum ersten Mal beschrieben.
1937 wurde das Virus isoliert und die Virusübertragung
nachgewiesen.
1948 wurde die Zeckenenzephalitis zum ersten Mal in Europa
erkannt.
Verbreitung
in Mitteleuropa, Skandinavien und den GUS in sogenannten
Naturherden (s.u.)
Erreger
Das FSME-Virus gehört zur Familie der Flaviviren. Es ist ein
behülltes Virus mit einem Durchmesser von etwa 40nm und
einem ikosaedrischen Nukleokapsid und enthält eine
einzelsträngige positiv-polare RNA von über 11 kb Länge, die
infektiös ist.
Bisher hat man zwischen einem zentraleuropäischen Subtyp
und einem fernöstlichen Subtyp unterschieden. Das basierte
v.a. auf der Tatsache, dass man im fernen Osten der damaligen
Sowjetunion viel öfter als in Europa ein sehr schweres
Krankheitsbild beobachtete. Neuere molekularbiologische
Untersuchungen lassen diese Einteilung fraglich erscheinen.
Seite 17
Kapitel, Arboviren, FSME
Man beachte die Entstehung von M aus dem Vorläuferprotein prM durch
proteolytische Spaltung, wobei die Glykosylierung verloren geht, und die
davon ausgehende Konformationsänderung von E bei der Virusreifung
(links unreifes Virus, welches intrazellulär gefunden wird; rechts reifer
Viruspartikel, extrazellulär).
C = Coreproteine, welche das Nukleokapsid bilden
M = Membranprotein, prM=unreife Vorstufe von M
E = Envelopeprotein, welches bei der Reifung dimerisiert und dessen
Aussendomäne durch Trypsin abgespalten werden kann
Elektronenmikroskopische Aufnahme von FSME Virus (negativ-Kontrast)
Genexpression
Es gibt ein langes offenes Leseraster (Open-Reading-Frame,
ORF) mit über 10'000 Basen, der für Struktur- und
Nichtstrukturproteine kodiert. Die Translation beginnt nahe
des 5'-Endes des Genoms. Es wird ein langes Polyprotein
synthetisiert und die einzelnen viralen Proteine werden co- und
posttranslationell durch Peptidasen abgespalten.
Strukturproteine
5'
C prM
E
Nicht-Strukturproteine
3'
NS1-NS5
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Kapitel, Arboviren, FSME
Virusvermehrung
Nach der Translation der genomischen RNA wird
komplementäre negativ-polare RNA synthetisiert, die als
Vorlage für die Synthese weiterer positiv-polarer RNA dient.
+RNA
Nichtstrukturproteine Strukturproteine
-RNA
+RNA
Virionen
Tenazität
Das FSME-Virus verliert seine Infektiosität durch
Austrocknung, Pasteurisierung und Behandlung mit Formalin,
H2O2, Detergentien und Aether. In unpasteurisierter Milch und
Butter ist es jedoch monatelang haltbar.
Epidemiologie
Virusüberträger sind Zecken, in Europa hauptsächlich Ixodes
ricinus (Holzbock), im fernen Osten v.a. Ixodes persucatus.
Der Holzbock verbringt den grössten Teil seines Lebens
freilebend am Boden oder in der Vegetation. Typische
Zeckenbiotope sind Waldränder und -lichtungen, Flussauen,
Schonungen mit Unterholz und Hecken. Zecken sind je nach
Witterung von März/April bis Oktober/November aktiv, den
Winter verbringen sie gut geschützt unter Laub, wo die
Temperatur nicht unter den Gefrierpunkt sinkt und die
Luftfeuchtigkeit hoch ist.
Es gibt 3 Entwicklungsstadien: Larve (6 Beine), Nymphe (8
Beine), Imago (8 Beine).
Zecken saugen an über 100 verschiedenen Arten von Säugern,
Reptilien und Vögeln. Jedes Entwicklungsstadium braucht eine
Blutmahlzeit ehe es sich weiterentwickeln kann. Diese dauert
mehrere Tage. Die Kopulation findet meist vor der letzten
Blutmahlzeit auf dem Wirt statt. Danach beginnt das Weibchen
eine 6-11 Tage dauernde Blutmahlzeit und legt in den
folgenden Monaten 500-5000 Eier in den obersten
Bodenschichten ab. Adulte Männchen nehmen in einem kurzen
Saugakt nur etwas Gewebeflüssigkeit zu sich. Eine
Zeckengeneration vom Ei bis zur Eiablage des befruchteten
Weibchens dauert, je nach Witterung, zwischen 6 Monaten und
8 Jahren.
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Kapitel, Arboviren, FSME
Virusübertragung: In der Zecke wird FSME-Virus
transovariell (vom Imago auf das Ei, 1% Effizienz) und
transstadiell (von Entwicklungsstadium zu
Entwicklungsstadium übertragen). Eine infizierte Zecke bleibt
zeitlebens Virusträger, das Virus vermehrt sich in ihr und
besiedelt nahezu alle Organe. Die Zecke erkrankt dabei nicht.
Durch Zeckenstich kann das Virus von der infizierten Zecke
auf ihren Wirt und von einem infizierten Wirt auf die Zecke
übertragen werden.
Auf der Schweizerkarte rot eingezeichnet sind die bekannten FSMENaturherde
Naturherde sind Gebiete in denen das FSME-Virus endemisch
ist und von Zecken auf ihre Wirte und umgekehrt übertragen
wird. Naturherde bleiben über Jahre hinweg stabil. Wichtig für
die Zirkulation des Virus im Naturherd sind dabei v.a. kleinere
und grössere Wildsäuger, welche in der Regel nicht erkranken.
Während ihrer Virämiephase können sich weitere Zecken beim
Stich infizieren, wobei ein Mindesttiter an FSME-Virus im
Blut vorliegen muss. Der Mensch gilt als Fehlwirt, da er keine
ausreichend hohen Virustiter im Blut entwickelt, um das Virus
weiterverbreiten zu können. Auch die Haussäugetiere scheinen
bei der Verbreitung des Virus keine wesentliche Rolle zu
spielen.
Der Mensch kann sich auch durch den Genuss virushaltiger
Milch (unpasteurisiert) infizieren, da Kühe und kleine
Wiederkäuer während der Virämie in der Milch Virus
ausscheiden. Dieser Infektionsweg spielt vor allem im fernen
Osten eine Rolle. Ausserdem sind auch schon
Laborinfektionen durch virushaltige Aerosole vorgekommen.
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Kapitel, Arboviren, FSME
Pathogenese
Das Virus vermehrt sich zunächst in den Zellen des
Infektionsortes. Danach gelangt es über den Lymphweg in die
regionalen Lymphknoten, wo es sich wiederum vermehrt. Auf
Blut- und Lymphweg gelangt es in Milz, Leber und
Knochenmark, wo eine massive Vermehrung stattfindet. Das
Virus wird nun in das Blut abgegeben. Es kommt zur Virämie,
was der 1. Phase der klinischen Erkrankung entspricht. Eine
starke Virusvermehrung ist Voraussetzung für die
Überwindung der Blut-Gehirn-Schranke. Die
Kapillarendothelzellen werden vom Lumen her infiziert,
vermehren das Virus und geben es ins Gehirngewebe ab.
Das FSME-Virus kann sich auch entlang der Nervenfasern
ausbreiten. Dies ist der Fall bei Laborinfektionen mit
virushaltigen Aerosolen, wo das Virus über das Riechepithel
und den Riechnerv direkt ins Gehirn gelangt.
Immunreaktion
Bildung von virusneutralisierenden, komplementbindenden
und hämagglutinationshemmenden Antikörpern
IgM ab 3 Wochen nach der Infektion, sind sicher 6 Wochen
lang nachweisbar, können aber bis zu 9 Monaten nach der
Infektion nachweisbar sein.
IgG sind über Jahre hinweg nachweisbar.
Klinik
Die klinischen Befunde sind nicht pathognomonisch.
Beim Menschen:
Inkubationszeit 7-14 (2-28) Tage
diphasischer Verlauf
1. Phase mit unspezifischen, grippeähnlichen Symptomen,
dauert etwa 1 Woche, kann inapparent verlaufen
symptomfreies Intervall: 1 Tag bis 1 Woche
2. Phase mit ZNS-Befall: Schwindelgefühle, Uebelkeit
Sensoriumstörungen, Tremor, Paresen, Paralysen, hohes
Fieber, in seltenen Fällen Koma und Tod
Nur etwa 20-30% der Infizierten gelangen in die 2. Phase der
Infektion. Bei diesen beträgt die Letalität 1-5%, 7-20% dieser
Patienten tragen meist leichtere, bleibende neurologische
Schäden davon.
Beim Haustier wurden erst wenige Fälle bei Hund, Ziege und
Pferd festgestellt. Auch hier ist die Krankheit durch
zentralnervöse Symptome charakterisiert.
Differentialdiagnose
Boreliose, ZNS-Erkrankungen, je nach Spezies
Diagnose
Virusisolierung aus dem Blut in der Frühphase der Infektion
(spielt prakt. keine Rolle)
Virusisolierung aus dem Hirnstamm Verstorbener
Antikörpernachweis (heutzutage: ELISA oder KBR):
Titeranstieg bzw. IgM-Nachweis ab 3 Wochen nach Infektion
Seite 21
Kapitel, Arboviren, FSME
Untersuchungsmaterial
Serum zur Antikörperbestimmung
Prophylaxe
•
•
•
Therapie
-Zeckenstich vermeiden
-bei Zeckenstich Zecke herausziehen, nicht vorher mit
irgendwas einreiben, da sich die Zecke sonst evt. in ihr
Opfer erbricht → Virusübertragung !!
Mensch: aktive Immunisierung mit Totimpfstoff
passive Immunisierung für gestochene Personen bis 2 Tage
nach dem Stick. Der Impfstoff kann bei Hunden
Antikörper gegen FSME Virus erzeugen, ist in der Schweiz
jedoch nicht für die Verwendung bei Tieren zugelassen.
Symptomatisch
Seite 22
Kapitel, Arboviren, WNV
West-Nil-Virus
Autoren: Martin Schwyzer, Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405.doc
WNV
West-Nil-Virus
West-Nil-Virus (WNV) ist ein Arbovirus aus der Familie der
Flaviviren. Durch Mücken wird WNV auf Menschen oder
Pferde übertragen. Die Infektion beim Menschen beschränkt
sich meist auf eine asymptomatische oder fieberhafte Virämie,
aber in 1 – 2 % der Fälle gelangt das Virus ins ZNS und
erzeugt eine Enzephalitis mit hoher Letalität. Das natürliche
Reservoir von WNV sind Vögel.
Geschichte
1937 wurde WNV erstmals isoliert aus dem Blut eines
eingeborenen Patienten im West Nile District des nördlichen
Uganda. Ab 1940 wurde die Verwandtschaft mit Japanischem
(JEV) und Saint Louis Enzephalitis Virus (SLEV) beschrieben
und die Übertragung durch Mücken nachgewiesen. Grössere
Epidemien mit Hunderten bis Tausenden von Fällen traten
1952 in Israel auf, 1962 Frankreich, 1973 Südafrika, 1980
Indien, 1996 Rumänien, seit 1999 Russland, Israel und
Nordamerika. In den Jahren 2000 und 2003 waren kleinere
Ausbrüche aus Frankreich zu vermelden.
Verbreitung
Seit 1999 auf allen Kontinenten. Folgt der Verbreitung der
entsprechenden Mücken, hauptsächlich Culex, aber auch
andere Culicidae, z.B. Aedes, Ochlerotatus. Die Krankheit tritt
saisonal auf mit dem Maximum August-September. Die
Inzidenz von WNV-Enzephalitis und die damit verbundene
Letalität steigt mit dem Alter der Patienten.
Höchste Aufmerksamkeit wurde WNV zuteil, als das Virus
1999 erstmals auf dem amerikanischen Kontinent (New York)
auftrat und sich in den drei folgenden Jahren über den ganzen
östlichen Teil von Nordamerika ausbreitete. Im Jahr 2002
wurde der erste Fall von der Westküste gemeldet. Im Jahr 2003
verlagerte sich die Hauptaktivität, mit 3'000 Fällen allein in
Colorado und 2'000 Fällen in Nebraska, auf das Gebiet
zwischen die Rocky Mountains und den Mississippi. Die
Medien nehmen die aktuelle Epidemie selektiv wahr. Schwerer
verlaufende Epidemien mit WNV in Russland (1999) und mit
SLEV in USA (1975) fanden weniger Beachtung.
Seite 23
Kapitel, Arboviren, WNV
Erreger
Familie Flaviviridae, behülltes Virus, C, M und E Protein, 7
Nichtstruktur-Proteine, positiv-einzelsträngige RNA mit
~11'000 Nukleotiden. Genexpression und Virusvermehrung
verläuft analog zu anderen Flaviviren (siehe FSME).
Abbildung. Elektronenmikroskopische Aufnahme von WNV.
Verozellen wurden mit einem Hirnextrakt einer tot aufgefundenen Krähe
inokuliert. Drei Tage später wurden die Zellen Glutaraldehyd fixiert,
dehydriert, in Epon eingebettet, für EM-Untersuchungen geschnitten, auf
ein Kupfergrid verbracht, mit Uranyl Acetat und Bleizitrat gefärbt. Die
dunklen Punkte (Pfeil) stellen West-Nil-Viruspartikel bei einer 65'000fachen Vergrösserung dar. (Quelle: CDC, Atlanta,
http://www.cdc.gov/ncidod/dvbid/westnile/flaviviruses_1.htm)
Subtypen
Serologisch und mit Sequenzanalysen lassen sich Subtypen mit
unterschiedlicher regionaler Verbreitung unterscheiden.
Subtyp 1a kommt weltweit vor ausser in Australien und Indien.
Subtyp 1b (auch als Kunjin Virus bezeichnet) wurde nur in
Australien gefunden und Subtyp 1c in Indien. Subtyp 2 ist auf
das südliche Afrika und Madagaskar beschränkt.
Isolate von 1999 aus New York gehören zum Subtyp 1a und
sind 99,7 % identisch mit Isolaten aus Israel, was eine
Einschleppung aus diesem Land vermuten lässt.
Seite 24
Kapitel, Arboviren, WNV
Epidemiologie
Der natürliche Übertragungszyklus von WNV ist MückeVogel-Mücke. Viele Spezies von Vögeln lassen sich infizieren
und können hohe Virämietiter entwickeln. Wie für andere
Flaviviren sind Mücken vermutlich nicht nur passive
Virusträger, sondern sie tragen zur Vermehrung des Virus bei.
Eine ganze Reihe von Tieren sind empfänglich. Das Virus
wurde schon in Affen, Hunden, Katzen, Kaninchen, Skunks,
Eichhörnchen, Alligatoren und Fledermäusen nachgewiesen.
Im Jahre 2002 wurden in den USA 14'500 Fälle von WNVErkrankungen bei Pferden festgestellt, wovon 4'500 starben
oder euthanasiert werden mussten. Im Jahr 2003 verringerte
sich die Inzidenz auf 5'181 Fälle, während bis zum 26. August
2004 noch 351 neue Fälle zu verzeichnen waren.
(Quelle und Aktualisierungen: CDC, Atlanta,
http://www.aphis.usda.gov/vs/nahps/equine/wnv)
Direkte Übertragung zwischen Menschen oder Säugetieren galt
bis vor kurzem als ausgeschlossen, d.h. alle Säugetiere waren
als Endwirte zu betrachten. Jedoch traten 2002 in USA
erstmals Fälle von WNV-Erkrankung auf - mit gravierenden
Symptomen ähnlich der Kinderlähmung - die einer direkten
Übertragung durch Blut- oder Organspenden zugeschrieben
wurden. Deshalb muss die Überwachung der Spender auf HIV,
Hepatitis- und andere Viren künftig dringend auch WNV
umfassen.
Seite 25
Kapitel, Arboviren, WNV
Pathogenese
Mensch: Erste Replikation vermutlich in Haut und regionären
Lymphknoten, gefolgt von primärer Virämie und Übertritt ins
Retikuloendothelial-System. Von dort sekundäre Virämie und
Durchbruch der Blut-Hirn Schranke möglich. Neurovirulenz
wird zum Teil durch das virale E Protein, zum Teil durch
Wirtsfaktoren bestimmt. Pathogenese im ZNS beruht auf
Virusreplikation in Neuronen und Glia, zytotoxischer
Immunabwehr und perivaskulärer Entzündung, speziell in
Thalamus, Medulla, Hirnstamm und oberes Rückenmark.
Pferd: grundsätzlich gleich.
Klinik
Mensch: Die Mehrzahl der WNV Infektionen verläuft
asymptomatisch. Inkubationszeit für symptomatische
Infektionen 2-6 Tage. Plötzliches Fieber über 39°C, Kopf- und
Muskelschmerzen. Gastrointestinale Symptome,
Hautausschläge und Lymphadenopathien können zusätzlich
auftreten.
Tritt nur Meningitis auf, so verläuft sie im allgemeinen
gutartig. Enzephalitis kann plötzlich beginnen, mit oder ohne
vorhergehende Fieberphase. Wie bei anderen ArbovirusEnzephalitiden sind Änderungen im mentalen Status,
Erbrechen und Muskelschwäche zu beobachten. Schlaffe
Lähmung der Extremitäten, Blasenschwäche und
Schluckbeschwerden sind weitere mögliche Symptome. Etwa
15 % der Fälle führen zum Koma. Lähmung der
Atemmuskulatur erfordert künstliche Beatmung. Rund die
Hälfte aller Enzephalitis Patienten bleiben mit langfristigen
physischen oder kognitiven Schäden behaftet.
Pferd: Enzephalomyelitis mit hohem Fielber (40°C), wobei
eine subklinische, asymptomatische Infektion auch
vorkommen kann.
Vögel: Viele Spezies sind inapparent infiziert. Tote Vögel mit
WNV kommen jedoch vor. In USA gilt dies vor allem für
Krähen und dergleichen, die als Warnsignal für die WNVÜberwachung dienen können.
Immunreaktion
Zellgebundene (vor allem zytotoxische CD8 T-Zellen) und
humorale Immunantwort (virusneutralisierende Antikörper).
Wegen der Art der Verbreitung durch Insekten ist die
Immunität in der Bevölkerung sehr gering, vielleicht mit
Ausnahme einiger Gebiete wie Ägypten, wo WNV endemisch
ist.
Diagnose
Aufgrund der klinischen Symptome und dem regionalen und
zeitlichen Auftreten; sollte durch Labordiagnose bestätigt
werden.
Seite 26
Kapitel, Arboviren, WNV
Labordiagnose
Antikörper gegen WNV im Serum: Mindestens 4-facher
Titeranstieg zwischen Akutphase und Rekonvaleszenz,
bestimmt durch SNT, HHT oder ELISA. Andere Flaviviren
müssen durch parallele Tests ausgeschlossen werden.
Serum IgM persistiert in der Zerebrospinalflüssigkeit (CSF)
mancher Enzephalitis Patienten (obwohl die Viren selbst
offenbar nicht persistieren) und kann mit «antibody capture»
ELISA nachgewiesen werden.
Virusnachweis: Aus Blut oder CSF lässt sich Virus nur
während der ersten Tage isolieren in Zellkulturen oder
Babymäusen. Nachweis von Virusgenomen ist mit
konventioneller oder TaqMan RT-PCR möglich. Post mortem:
ZNS-Immunhistochemie.
Differentialdiagnose
Mensch: Durch andere Arboviren hervorgerufene
Enzephalitiden, Herpes Enzephalitis, Guillain-Barré Syndrom,
bakterielle Meningoenzephalitis.
Pferd: Tollwut, andere arbovirale Infektionen, Botulismus.
Bei Verdacht
Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI)
benachrichtigen und Einsendung von Untersuchungsmaterial
absprechen.
Untersuchungsmaterial
Blut (Heparin/EDTA, Serum), Liquor, Gehirn. Nach
Absprache an das INSTITUT FÜR VIRUSKRANKHEITEN
UND IMMUNPROPHYLAXE, 3147 Mittelhäusern senden.
Prophylaxe
Eine Schutzimpfung für Menschen existiert nicht. Epidemien
sind darum über die Vektoren zu bekämpfen. Dazu gehört
Verminderung der Anzahl Mückenlarven durch geeignete
Massnahmen. Culex Mücken sind nachtaktiv (von
Abenddämmerung bis Morgendämmerung). Zu dieser Zeit
empfiehlt sich Schutz vor Stichen durch Kleidung,
Insektensprays und Insektengitter.
Für Pferde wurden Impfstoffe entwickelt, aber deren Wirkung
ist noch nicht definitiv etabliert. In den USA sind ein
inaktivierter Impfstoff ("West-Nile-Innovator") sowie ein
rekombinanter Lebendimpfstoff auf der Basis eines
Canarypox-Vektors ("Recombitek") zugelassen. In der Schweiz
und in der EU sind beide Impfstoffe (noch) nicht zur
Verwendung freigegeben worden.
Therapie
Symptomatisch. Therapie zerebraler Ödeme, Respirationshilfe,
Vermeidung bakterieller Infektionen. Therapieversuche
wurden gemacht mit Interferon-alpha, Ribavirin und humanem
Immunoglobulin, ohne überzeugenden Erfolg.
Seite 27
Kapitel, ASP
ASP
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
ASP
Afrikanische Schweinepest
Fieberhafte Viruserkrankung, die perakut, akut, chronisch oder
inapparent verlaufen kann. Beim perakut-akuten Verlauf hat
das klinische Bild den Charakter einer Septikämie und geht mit
typischen durch Hämorrhagien verursachten, zyanotischen
Veränderungen verschiedener Hautpartien (Ohren, Bauch,
Extremitäten) einher.
Besonderheiten
Hohe Tenazität. Besonders in Fleisch- und Fleischprodukten,
bleiben die Viren monatelang infektiös. Keine
neutralisierenden Antikörper. Keine Impfstoffe.
Hochvirulente Virusstämme töten fast 100% der Schweine
innert 6 bis 10 Tagen. Schwach virulente Stämme führen zu
milder bis initial subklinischer Infektion, die allerdings sehr oft
zu immunpathologischen Folgekrankheiten führt.
Geschichte
Erstmals 1921 durch Montgomery als tödliche Erkrankung
europäischer Hausschweine in Afrika beschrieben. Seit ca.
1960 auf der iberischen Halbinsel endemisch (Einsatz einer
attenuierten Vakzine begünstigte die Bildung eines
Reservoirs). Natürliches Virusreservoir in afrikanischen
Warzen- und Buschschweinen, sowie in Zecken. Zwischen
1978 und 1980 Ausbreitung der Seuche auf karibische Inseln,
Malta, Sardinien, Brasilien. Ausbrüche auf dem europäischen
Festland: 1960 Frankreich, 1985 Belgien, 1986 Holland.
Verbreitung
Endemisch in südl. Hemisphäre v. Afrika, sowie auf der
Iberischen Halbinsel und Sardinien. Sporadische Ausbrüche im
übrigen Europa (1985 Belgien, 1986 Holland) und weltweit
(Karibik, Brasilien).
Erreger
Ungewöhnliches DNA Virus, das sich im Zytoplasma
vermehrt.
Ø 125-300 nm, behüllt, ikosahedrale Symmetrie des Kapsids.
dsDNA mit 160-200kbp, nicht segmentiert, kovalente
Verbindung der beiden DNA Stränge an den Genomenden.
Diverse Enzyme im Viruspartikel. Zytoplasmatische
Vermehrung mittels viraler Transkriptasen.
Wurde früher zu den Iridoviren gerechnet und ist heute der
einzige Vertreter in einer Virusfamilie, die noch keinen Namen
trägt.
Über 100 virale Proteine.
Seite 28
Kapitel, ASP
Virusvermehrung
Adsorption über zelluläre Rezeptoren oder Internalisierung
über opsonisierende Antikörper. Mehrphasiges "uncoating" mit
Freisetzung viraler Enzyme und Synthese von frühen (early)
viralen Proteinen. Erst anschliessend erfolgt die Replikation
des Genoms, sowie die Synthese von späten (late) Proteinen,
welche in erster Linie Struktureinheiten der neuen
Virusgeneration darstellen.
Das ASP Virus verfügt über mehrere Kapsidschichten und
über mindestens zwei Hüllen. Die Form des Kapsids ist im EM
als typische ikosahedrale Struktur zu erkennen. Es sind nur
wenige Details über den molekularen Aufbau bekannt.
Obwohl ASPV DNA in den Kernen infizierter Zellen
nachgewiesen werden kann, muss man davon ausgehen, dass
die meisten Schritte der Transkription und der Replikation im
Zytoplasma ablaufen. Die ASP Viren tragen alle notwendigen
Faktoren für ihre Vermehrung mit sich im Viruspartikel.
Strategie der ASPV Replikation
Virion Enzyme
dsDNA
mRNA
mRNA
"early" Proteine
"late" Proteine
neue dsDNA
neue Virusgeneration
Genexpression
Weil die Transkriptionsfakoren der Zelle praktisch nicht in die
Virusvermehrung involviert sind, haben sich die viralen
Faktoren unabhängig von der Zelle entwickelt und
unterscheiden sich stark von zellulären Faktoren. Die Gene des
ASP Virus sind deshalb ohne die viralen Faktoren in der
Wirtszelle "stumm" und werden nicht exprimiert.
Infolgedessen verläuft die Vermehrung und Genexpression von
ASPV nach einem streng geordneten, hierarchischen Prinzip
ab, das von den viralen Transaktivatoren kaskadenartig
gesteuert wird.
Frühe und späte Gene sind in kleinen Gruppen
zusammengefasst. Die einzelnen Gruppen sind teilweise
überlappend angeordnet und über das ganze Genom verteilt.
Das Genom kann in eine stark konservierte, zentrale Region
und mehr oder weniger variable Genomenden unterteilt
werden.
Seite 29
Kapitel, ASP
In den variablen Genomteilen wurden einige echte
Multigenfamilien gefunden, welche möglicherweise eine
wichtige Rolle bei der Maskierung der ASP Viren vor dem
Immunsystem erfüllen.
Epidemiologie
Verbreitung durch Verfütterung ungekochter Abfälle aus
Metzgereien und Hotelküchen (Belgien, Holland). Zecken,
Wildschweine (Afrika). Ständige Bedrohung durch illegalen
Import von Fleischwaren aus Spanien und Portugal im
Reiseverkehr.
Desinfektion
5% Formalin, phenolhaltige Desinfektionsmittel, zusätzlich
heisse, hochprozentige Natronlauge.
Pathogenese
Übertragung direkt von Tier zu Tier oder indirekt über
kontaminiertes Futter. In Afrika spielen Zecken der Gattung
Ornithodoros (O. moubata) als Überträger eine wichtige Rolle.
Bei uns kann der Tierarzt durch unhygienische Handhabung
von Injektionsmaterial für die iatrogene Verbreitung
verantwortlich sein. Zielzellen des ASP Virus sind die
Monozyten und Makrophagen. Bei peroraler Infektion werden
diese via Tonsillen und Lymphwege erreicht. Bei parenteraler
Inokulation (Zecke, Nadel) werden die Zielzellen direkt im
Blutstrom infiziert. Da sich die ASP Viren in den
Makrophagen und anderen Antigen-präsentierenden Zellen
vermehren und diese dabei zerstören, wird das Immunsystem
stark beeinträchtigt.
Bestehende Antikörper können die Infektion von Makrophagen
durch Opsonisierung begünstigen. In einer zweiten Phase der
Virusreplikation kommt es zu einer starken und lang
anhaltenden Virämie, wobei sich die ASP Viren an die
Erythrozyten anhaften können (Haemadsorption) und so
effizient im ganzen Körper verteilt werden. Die Opsonisierung
der Ec-gebundenen Viren kann in Verbindung mit
Komplement zu hämolytischen Ereignissen führen, welche das
Auftreten von Hämorrhagien erklären können. Infolge der
Schädigung des Immunsystems kann die Virämie wochen- und
monatelang bestehen bleiben, eine wichtige Voraussetzung für
die Übertragung durch Zecken.
Klinik
Es werden perakute, akute, subakute, chronische, inapparente
und atypische Formen von ASP unterschieden. Die perakute
Form wird von sehr unspezifischen Symptomen, wie Fieber
und plötzlichen Todesfällen begleitet. Bei der akuten Form
werden zuerst sehr hohes Fieber (bis über 42°C) Inappetenz
und Somnolenz beobachtet. Nach 3 bis 6 Tagen treten
hämorrhagische Veränderungen auf der Haut, speziell an den
Ohren und Extremitäten auf.
Seite 30
Kapitel, ASP
Erbrechen, Durchfall, Aborte, motorische Inkoordination,
Keuchen und Husten können ebenfalls beobachtet werden. 4
bis 8 Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome sterben
die meisten Tiere an Kreislaufinsuffizienz und Herzversagen.
Bei der subakuten Form werden ähnliche Symptome
beobachtet. Der Krankheitsverlauf ist jedoch protrahiert und
die Symptome erscheinen milder. Die Mortalität sinkt auf 60
bis 90%. Tiere, welche die subakute Krankheit überleben
erholen sich in der Regel nicht völlig, sondern entwickeln mit
der Zeit die chronische Krankheitsform, welche sehr oft mit
Pneumonie einhergeht. Ausserdem entwickeln sich
Hautläsionen in Form von nekrotischen Ulzerationen an
Ohren, Gelenken, Schnauze und Schwanzspitze. Weiche,
schmerzfreie Schwellungen über den Karpal- und Tarsalgelenken, sowie im Bereich der Schnauze werden öfters beobachtet.
Die chronische Krankheitsform kann sich über Monate hinweg
ziehen. In der Regel erholen sich die Schweine nicht mehr,
sondern bleiben krankheitsanfällig und unwirtschaftlich.
Die atypische und subklinische Form der ASP wird durch
Infektion mit wenig virulenten Virusstämmen verursacht.
Klinische Symptome, ähnlich wie bei der chronischen
Erkrankung, entwickeln sich oft erst Monate nach der
eigentlichen Infektion. Da die Tiere oft über Monate hinweg
virämisch bleiben, sind mit grosser Wahrscheinlichkeit
immunpathologische Vorgänge an der Ausbildung der
atypischen ASP beteiligt.
Immunreaktion
Sowohl das zelluläre, wie auch das humorale Immunsystem
wird durch die Infektion mit ASP Virus stimuliert. Bei der
Überwindung der Infektion kommt der zellulären Komponente
die grösste Bedeutung zu. Je nach Virulenz des Virusstammes
kommt es zur Bildung von Antikörpern oder auch nicht. Bei
hochvirulenten Virusstämmen erfolgt der Tod so rasch, dass
keine Antikörper nachgewiesen werden können. Bei
protrahiertem Krankheitsverlauf treten hohe Konzentrationen
von Antikörpern auf, die sowohl für die Pathogenese, als auch
für die Diagnostik eine wichtige Rolle spielen.
Impfprophylaxe
Nicht möglich.
Diagnose
Bei septikämischen Krankheitsbildern an Schweinepest
denken. Typische Symptome sind rascher, tödlicher
Krankheitsverlauf, Hämorrhagien an Ohren und Extremitäten,
blutige Durchfälle. Hämorrhagisch verfärbte Organe bei der
Sektion.
Differentialdiagnosen
Klassische Schweinepest (KSP). Andere Septikämien (E.Coli,
Salmonellen, Mannheimien) aber auch Vergiftung (Aflatoxin).
Seite 31
Kapitel, ASP
Bei Verdacht
Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI)
031 848 9211 benachrichtigen und Einsendung von
Untersuchungsmaterial absprechen.
Untersuchungsmaterial
Tonsillen, Lymphknoten, Milz, Niere, Gehirn und Blut. Nach
Absprache an das INSTITUT FÜR VIRUSKRANKHEITEN
UND IMMUNPROPHYLAXE, 3147 Mittelhäusern senden.
Labordiagnose
Immunhistochemie an Organschnitten kann innert Stunden ein
positives Ergebnis liefern. PCR-Technik etabliert.
Virusisolation in Zellkulturen (Makrophagen) dauert mehrere
Tage. Hämadsorption nach Malmquist. Bestandesserologie.
Seite 32
Kapitel, Borna
Borna
Autoren: Doris Müller-Doblies, Mark Suter, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
Borna
Bornasche Krankheit; Borna (virus)
disease; BD
Die Bornasche Krankheit ist eine virusbedingte, akut bis
subakut verlaufende, progressive Meningoenzephalomyelitis.
Sie kommt als Einzeltiererkrankung vor allem bei Pferden und
Schafen in geographisch eng umschriebenen Gebieten
(Endemiegebieten) vor. Der Verlauf ist fast immer tödlich.
Besonderheiten
Der Nachweis von Antikörpern gegen Bornaviren und/oder
von viraler RNA in Proben vom Menschen ist schon
verschiedentlich beschrieben worden. Dabei wurde häufig eine
positive Korrelation zwischen diesen positven Befunden und
psychiatrischen Erkrankungen beobachtet. Ob das Bornavirus
den Menschen wirklich infizieren kann und ob es bestimmte
Krankheitsbilder verursacht, ist jedoch im Moment noch nicht
völlig gesichert.
Geschichte
Erste Berichte über die sogenannte "Kopfkrankheit des
Pferdes" stammen aus dem Jahr 1767. In weiterer Folge wurde
immer wieder über Enzephalitiden und Myelitiden bei Pferden
berichtet, die vermutlich auf das Virus der Bornaschen
Krankheit zurückzuführen sind. Den heutigen Namen erhielt
die Krankheit 1894/95, als mehrere hundert Pferde in und um
die Stadt Borna (Sachsen) während einer Epidemie verendeten.
1909 fanden Joest und Degen Kerneinschlusskörperchen in
den Gehirnen von kranken Pferden, vor allem im Bereich des
Hippocampus. In den 20er Jahren gelang die erste Übertragung
der Krankheit auf Kaninchen, die mit Hirnhomogenat von
erkrankten Pferden inokuliert worden waren. Der Verdacht auf
eine Virusätiologie drängte sich auf, nachdem die Übertragung
auch mit filtriertem, bakterienfreien Material gelang. 1929
wurde der sogenannte "Strain V" isoliert, der bis heute als
Laborstamm Verwendung findet. In den 50er und 60er Jahren
wurde Bornasche Krankheit als die häufigste Todesursache bei
Schafen in manchen Regionen der damaligen DDR angegeben.
In den 70er Jahren gelang zum ersten Mal die Virusanzüchtung
in Zellkultur. In der Schweiz wurde die Krankheit 1976 zum
ersten Mal beschrieben.
Seite 33
Kapitel, Borna
Seit dem Ende der 70er Jahre sorgen Berichte über Bornaspezifische Antikörper bei Menschen für zunehmendes
Interesse
an
dieser
Krankheit,
während
ihre
veterinärmedizinische Bedeutung kontinuierlich in den
Hintergrund gedrängt wird. 1994 wurde das komplette Genom
sequenziert, und im gleichen Jahr erfolgte die erste Darstellung
von Viruspartikeln im Elektronenmikroskop.
Verbreitung
Das klassische Krankheitsbild der Bornaschen Krankheit bei
Pferden und Schafen wurde bisher nur in bestimmten Gebieten
Deutschlands
(Sachsen,
Sachsen-Anhalt,
Thüringen,
Württemberg und Bayern), in der Ostschweiz, dem Fürstentum
Liechtenstein und in Österreich (Vorarlberg) beobachtet. Dabei
decken sich die Verbreitungsgebiete von Erkrankungsfällen bei
Schaf und Pferd weitgehend. Der Bornaschen Krankheit
ähnliche Krankheitsbilder sind von Straussen (Israel) und von
Katzen bekannt ("Staggering disease") (Schweden, Österreich).
Bedeutung CH
Die Krankheit kommt nur in der Ostschweiz (Bündner
Herrschaft) und im FL vor. Meist erkrankt nur ein Tier pro
Betrieb, selten mehrere. Es gibt aber auch Berichte über das
seuchenhafte Auftreten innerhalb eines Betriebes, dem
innerhalb kurzer Zeit viele Tiere zum Opfer fallen können.
Abbildung 1. Borna Fälle Schweiz, 1990-1996. (Quelle: Hanspeter Meier
et al.: "Equinella 1996" Seite 10)
Seite 34
Kapitel, Borna
Erreger
Seit 1996 wird der Erreger in die Ordnung Mononegavirales
eingeteilt. Darin ist das Genus Bornavirus der bislang einzige
Vertreter der Familie Bornaviridae. Das Virus ist behüllt und
hat einen Durchmesser von 80 bis 100 nm.
Abbildung 2. Ultradünnschnitt durch ein Bornavirus. Der Pfeil
zeigt auf das schwach sichtbare Nukleokapsid, der Balken
entspricht einer Länge von 100nm. Die Abbildung stammt aus
der Arbeit von TAKEHIRO KOHNO et al., JOURNAL OF
VIROLOGY, Jan. 1999, p. 760–766.
Das Genom besteht aus einer negativ polaren, einzelsträngigen
RNA (-ssRNA) mit circa 8900 Basen. Die Genomorganisation
ähnelt derjenigen des Tollwutvirus oder des Staupevirus.
NP P M
L
3'
5'
?
0
1
G
2
3
4
5
6
Thousands
7
8
9
Abbildung 3. Genomorganisation des Bornavirus (skaliert). NP =
Nucleoprotein (p38/40), P = Phosphoprotein (p24), M = Matrixprotein
(p18), G = Glykoprotein (p56), L = grosses (large) Polyprotein mit
Replicase Aktivität (p180). ? = kleines ORF, das für ein p10 mit noch
unbekannter Funktion kodiert.
Virusvermehrung und
Genexpression
Das Virus kann in Zellkulturen von verschiedensten Spezies
gezüchtet werden. Es induziert keinen zytopathischen Effekt.
Sowohl Replikation als auch Transkription finden,
ungewöhnlich für ein RNA-Virus, im Zellkern statt. In
Analogie zur Replikation der Paramyxoviren wird ein Gradient
subgenomischer mRNAs gebildet und translatiert.
Seite 35
Kapitel, Borna
Epidemiologie
Die Epidemiologie ist in vielen Punkten noch ungeklärt.
Als natürliche Wirte sind bisher Pferde, Schafe, Rinder,
Kaninchen, Ziegen, Hirsche, Alpakas, Lamas und eventuell
Strausse und Katzen bekannt. Experimentell lassen sich viele
Tierarten infizieren, so z.B. Affen, Hühner, Ratten und Mäuse.
Bei klinisch erkrankten Tieren wurde Virus-RNA bisher in
Speichel, Nasen- sowie Konjunktivalsekret nachgewiesen. Ob
die hauptsächliche Übertragung auf einem dieser Wege erfolgt,
ist allerdings nicht geklärt. Eine Übertragung via Futter,
Wasser, Staub oder Sperma sowie eine vertikale Übertragung
konnten bisher nicht beobachtet werden.
Ob und in welchem Ausmass neben den klinisch manifesten
Erkrankungen auch subklinische oder latente Infektionen
vorkommen, ist nach wie vor umstritten. Untersuchungen
deuten darauf hin, dass es weltweit Seroreagenten bei
verschiedenen Tierarten gibt. Ob diese aber als Virusreservoir
dienen und damit für die Weiterverbreitung des Virus von
Bedeutung sind, bedarf weiterer Abklärung. Eine gemeinsame
Studie von Forschern aus Zürich und Wien (Hilbe et al., 2006)
identifizierte die Spitzmäuse als Reservoir für das Bornavirus.
Die Erkrankung tritt vor allem in den Frühlings- und
Sommermonaten auf. Die Zahl der Krankheitsfälle folgt einem
zyklischen Verlauf mit Höhepunkten alle paar Jahre.
Ungeklärt ist, in welchem Reservoir das Virus über Jahre
persistieren kann, bevor es zu neuen Ausbrüchen kommt.
Desinfektion
Das Virus kann mit üblichen Desinfektionsmittel ebenso wie
durch UV-Strahlung inaktiviert werden. Durch seine
lipidhaltige Hülle ist es empfindlich gegenüber Detergentien.
Pathogenese
Das Virus ist neurotrop. Virales Antigen kann vor allem in
Neuronen und Astrozyten in verschiedenen Hirnarealen
gefunden werden, wobei der Hirnstamm und das Kleinhirn
weitgehend ausgespart bleiben. Am häufigsten werden Zellen
in der Hippocampusregion infiziert.
Seite 36
Kapitel, Borna
Auf welchem Weg das Virus ins Gehirn gelangt, ist nicht
geklärt. Diskutiert wird ein intraaxonaler Transport über den
N. olfactorius. Die Virusausbreitung im ZNS erfolgt
intraaxonal und von dort zentrifugal in periphere Nerven.
Das Virus selbst ist nicht zytopathogen, die Erkrankung wird
vielmehr durch das Immunsystem des Wirtes ausgelöst. Bei
der natürlichen Infektion von Pferden und Schafen sind es vor
allem CD4+-T-Zellen (Abbildung 4) und, in etwas geringerem
Ausmass, CD8+-T-Zellen, die im perivaskulären Infiltrat
gefunden werden und die durch Interaktion mit Neuronen
deren Zerstörung auslösen sollen. Die MHC-I- und MHC-IIExpression der Zellen in den entzündeten Gebieten verbleibt
intakt. Im Rattenmodell werden in der chronischen Phase vor
allem zytotoxische CD8+-T-Zellen dafür verantwortlich
gemacht.
Abbildung 4. CD4+-T-Zellen (rot angefärbt) als pathogenetischer Faktor
bei Borna von Pferd und Schaf. Caplazi and Ehrensperger (1998).
Immunreaktion
Die Krankheit wird nicht durch das Virus per se, sondern
durch die zelluläre Immunreaktion des Wirtstieres ausgelöst.
Als Beweis dafür dienen u.a. athymische oder
immunkompromittierte Ratten, die nicht erkranken, obwohl
eine massive Virusvermehrung im Gehirn stattfindet.
Bei den meisten klinisch kranken Tieren können Antikörper
sowohl im Blut als auch im Liquor nachgewiesen werden.
Diese erreichen aber nur niedrige Titer und sind kaum oder gar
nicht in der Lage, das Virus zu neutralisieren.
Seite 37
Kapitel, Borna
Impfprophylaxe
Derzeit ist in der Schweiz kein Impfstoff zugelassen. Alle
Versuche, inaktiviertes Virus oder gereinigtes Virusantigen als
Impfstoff zu verwenden, sind bisher fehlgeschlagen.
Eine Lebendvakzine nach Zwick, die während mehrerer
Jahrzehnte
angewandt
wurde,
bestand
aus
einer
Gehirnsuspension von infizierten Kaninchen. Die Virulenz
wurde zuvor durch mehrere Passagen in Kaninchen reduziert.
Dieser Impfstoff war in lyophilisierter Form unter dem Namen
"Dessau" im Gebiet der ehemaligen DDR bis zum 30.6.1992
zugelassen. Seine Wirkungsweise war jedoch ebenso wie der
Impferfolg umstritten. Manche Untersuchungen sprechen sogar
von höheren Verlusten unter geimpften Tieren, während
andere keinen Unterschied zu nichtgeimpften Populationen
feststellen konnten. Von den geimpften Tieren entwickelte nur
ein kleiner Teil nachweisbare Antikörpertiter, die nach
wenigen Wochen wieder unter die Nachweisgrenze gesunken
waren. Über die Ausbildung einer zellulären Immunität gibt es
in diesem Zusammenhang keine Untersuchungen.
Staatliche Massnahmen
In der Schweiz gibt es zur Zeit keine staatlichen Massnahmen.
In Deutschland ist die Krankheit meldepflichtig.
Klinik
Die Inkubationszeit wird mit mehreren Wochen angegeben.
Die Krankheit beginnt mit unspezifischen Symptomen wie
erhöhter Körpertemperatur, Anorexie, unphysiologischer
Körperhaltung, Änderungen im Verhalten, Absonderung von
der Herde (Schaf). Im weiteren Verlauf kommt es zu
zunehmenden Störungen im Sensorium, Depression, Ataxien
und somnolentem Verhalten. Bei Schafen wird oftmaliges
plötzliches Niederstürzen beobachtet. Im Verlauf von 2 bis
maximal 4 Wochen kommt es zu einer zunehmenden
Verschlechterung, die in der Regel mit dem Tod des Tieres
endet. Es ist nur eine symptomatische Therapie möglich.
Seite 38
Kapitel, Borna
Abbildung 5. Klassisches Symptom: "Pfeifenrauchersyndrom"
beim Pferd.
Diagnose
Intra vitam: Derzeit gibt es keine labordiagnostische Methode,
die einen klinischen Verdacht mit Sicherheit bestätigen oder
falsifizieren kann.
Post mortem:
• Histopathologie: disseminierte, meist mononukleäre
Meningitis,
Polioenzephalomyelitis,
neuronale
Degeneration, eventuell mit Kerneinschlusskörperchen
(beim Pferd häufiger als beim Schaf). Bevorzugte
Lokalisation ist der Hippocampus.
• Immunpathologie: Mit Hilfe von monoklonalen
Antikörpern gegen p38/40 und p24 kann Virusantigen in
Gehirnzellen nachgewiesen werden.
• RT-PCR von Gehirnmaterial: Nachweis viraler
Nukleinsäure
• Antikörperbestimmung: In Serum, Liquor und eventuell
Gehirnhomogenat
können
spezifische
Antikörper
nachgewiesen werden
Differentialdiagnosen
Pferd:
Tetanus,
Tollwut,
Enzephalomyelitiden
unterschiedlicher
Genese
(z.B.
Eastern-,
Western
Enzephalomyelitis), EHV1, Hirnabszesse, Neubildungen
Schaf: Listeriose, Border disease, Tollwut, Scrapie, Louping
Ill, Enterotoxämie, Visna bzw. CAE (Ziege), Coenurose,
Hirnabszesse, Trächtigkeitsketose, Cu-Mangel, Neubildungen
Seite 39
Kapitel, Borna
Bei Verdacht
In der Schweiz besteht keine Anzeigepflicht.
Eine symptomatische Therapie kann versucht werden, zumal
auch über Fälle von Selbstheilung berichtet wird. Meist ist aber
aus tierschützerischen Gründen die Tötung angezeigt.
Regelmässige Blutentnahmen (Serum) während des
Krankheitsverlaufes und Entnahme von Liquor sind für eine
Antikörperverlaufskurve interessant und können den
klinischen Verdacht erhärten.
Untersuchungsmaterial
Zu Lebzeiten des Patienten sollten Serum und Liquor auf
Antikörper untersucht werden. Dabei ist allerdings zu
beachten, dass nicht alle erkrankten Tiere serokonvertieren und
dass, manchen Untersuchungen zufolge, gesunde Tiere ebenso
hohe Serumantikörpertiter aufweisen können wie kranke Tiere.
Post mortem sollte am besten das ganze Tier, zumindest aber
das Gehirn zur pathologischen Untersuchung eingeschickt
werden
(Kontaktaufnahme
mit
dem
Institut
für
Veterinärpathologie der Universität Zürich).
Labordiagnose
Virusnachweis:
Isolierung
von
Virus;
RT-PCR;
Immunhistologie. Benötigt wird dafür jeweils Gehirnmaterial.
Antikörpernachweis: Indirekte Immmunfluoreszenz (mit
Hilfe infizierter Zellkulturen); ELISA (mit rekombinantem
Antigen); Western Blot. Untersucht werden kann Serum,
Liquor oder Gehirnextrakt.
Literatur
Caplazi and Ehrensperger (1998). Spontaneous Borna disease
in sheep and horses: immunophenotyping of inflammatory
cells and detection of MHC-I and MHC-II antigen expression
in Borna encephalitis lesions. Vet. Immunol. Immunopath. 61,
203-220.
Hilbe M, Herrsche R, Kolodziejek J, Nowotny N, Zlinszky K,
Ehrensperger F. Shrews as reservoir hosts of Borna disease
virus. Emerg Infect Dis [serial on the Internet]. 2006 Apr [date
cited].
http://www.cdc.gov/ncidod/EID/vol12no04/05-1418.htm
Seite 40
Kapitel, Circovirus der Schweine
CIRCO
Autoren: Mathias Ackermann und Christian Griot1
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405b.doc
PCV
Porcines Circovirus
Circovirus der Schweine
Das Circovirus Typ 2 der Schweine (porcines Circovirus,
PCV) ist ein erst kürzlich als Krankheitserreger identifiziertes
Virus, das selbst jedoch seit etwa 1974 bekannt ist. Es wird als
Mitverursacher des sogenannten "postweaning multisystemic
wasting syndrom" (PMWS) sowie möglicherweise als
Komponente des "porcine dermatitis and nephropathy
syndrome" (PDNS) beschrieben. Charakteristisch für PMWS
sind: Progressive Dispnoe, Kümmern, Vergrösserung von
Lymphknoten sowie histopathologisch entzündliche Läsionen
mit Lymphadenitis, interstitielle Pneumonie, Hepatitis,
interstitielle Nephritis und Pankreatitis.
Wie der englische Name des Syndroms andeutet, tritt dieses
Krankheitsbild meist nach dem Absetzen auf. Bei PDNS treten
Symptome auf, welche an Schweinepest (KSP sowie ASP)
erinnern.
Besonderheiten
Sehr klein: Circoviren sind die kleinsten bekannten Viren.
Genom: circuläre, einzelsträngige DNA.
2 Typen: PCV-1 (harmlos) und PCV-2 (konditionell pathogen)
Geschichte
PCV-1 wurde erstmals 1974 als Kontaminante von
Zellkulturen (PK-15, eine Zell Linie, die von porcinen
Nierenzellen abstammt) beschrieben. Aufgrund serologischer
Studien ist es sehr weit verbreitet. Seit 1997 wird PCV-2 als
PMWS-Agens erkannt. Über PDNS wurde erstmals im Jahre
2000 publiziert.
Verbreitung
In der Schweiz wurden im Jahr 2000 die ersten PCV-2positiven Bestände entdeckt. Zwei davon zeigten typische
Symptomatik. Bis 2004 wurde eine ansteigende Inzidenz sowie
eine Virulenzsteigerung festgestellt, insbesondere in Bezug auf
PMWS-Fälle. Seroprävalenz in USA zirka 53%,
Grossbritannien und Deutschland 85%. Krankheitsfälle wurden
aus folgenden Ländern gemeldet: USA, Kanada, Spanien,
Frankreich, Niederlande, Deutschland, Italien, Irland, UK,
Schweiz (November 2000).
1
Anschrift: Dr. Christian Griot, Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe, 3147 Mittelhäusern
Seite 41
Kapitel, Circovirus der Schweine
Erreger
Familie Circoviridae, Genus Circovirus. Ikosahedral;
Durchmesser 17-22 nm, nicht behüllt, kreisförmige ssDNA
(negative Polarität) mit 1'759 bis 1'786 nt, die für zwei
Hauptgenprodukte kodieren.
ORF1. DNA Replikase
ORF2. Kapsidprotein
Hohe Tenazität.
Kapsid
NC 005148
1768 bp
Replikase
Abbildung. Zirkuläres Genom von PCV-2.
Antigenverwandtschaft
Antikörper gegen PCV-1 wurden auch bei Menschen, Mäusen
und Rindern gefunden. PCV-2 scheint nur beim Schwein
vorzukommen. Keine Antigenverwandtschaft zum Circovirus
des Geflügels (chicken anemia agent).
Virusvermehrung
Noch nicht alle Details sind bekannt. Ähnlich wie bei den
Parvoviren ist eine S-Phase in der Zelle notwendig für eine
erfolgreiche Virusvermehrung. Allerdings geht dann die
Vermehrung recht rasch vor sich. Bereits 18 Stunden nach der
Infektion werden erste Virusproteine nachgewiesen. Nach 30
Stunden wird eine neue Virusgeneration aus den infizierten
Zellen entlassen.
Genexpression
Geht man von einer negativen Polarität des viralen Genoms
aus, dann muss zunächst das Replikase Gen abgelesen werden,
das für eine kodierende mRNA sorgt, aus welcher die
Replikase translatiert wird. Anschliessend kann der
komplementäre DNA Strang synthetisiert werden, von
welchem das Kapsid Gen abgelesen und translatiert wird. In
infizierten Zellen werden bis zu 6 verschiedene Transkripte
gefunden, welche zum Teil aufgrund von Splicing entstehen
und die für zusätzlich benötigte Proteine kodieren.
Seite 42
Kapitel, Circovirus der Schweine
Epidemiologie
Fast nichts bekannt. PCV-2 wird in Faeces und Nasensekret
ausgeschieden und kann somit direkt übertragen werden. Die
Einschleppung in einzelne Bestände erfolgt meist durch
Zukauf eines infizierten Tieres. Aufgrund der hohen Tenazität
wird auch indirekte Übertragung (Kleider, Stallgeräte)
vermutet. Nicht hochansteckend.
Desinfektion
Gleiche Mittel wie für andere unbehüllte Viren
Pathogenese
Noch sind nicht alle Details geklärt. Als Ursache für PDNS
wird eine systemische Typ III Hypersensitivität vermutet. Als
infektiöse, auslösende Faktoren werden PRRS (siehe Porträt
PRRS) und PCV-2 sowie Streptokokken und Mannheimien
genannt.
Für die Pathogenese von PMWS wird die generalisierte
Depletion von Lymphozyten, insbesondere der T-Zellen, als
wichtig erachtet. Schweine mit PMWS haben eine abnormale
Immunantwort und reagieren ungewöhnlich auf Mitogene
sowie verschiedene Antigene. Insbesondere die Zytokin
Muster sind ungewöhnlich, z.B. Überexpression von IL-10 und
Interferon gamma in den Tonsillen bei gleichzeitiger
Unterexpression von IL-4 und IL-12p40 in Milz und
inguinalen Lymphknoten.
Immunreaktion
???
Impfprophylaxe
Kein Impfstoff verfügbar
Staatliche Massnahmen
Bisher keine.
Klinik
1. Normalerweise: Experimentelle Infektion führt nicht zu
Krankheit. Das Circovirus wird als notwendiger Bestandteil
einer typischen Faktorenkrankheit angesehen.
2. Faktorenkrankheit PMWS: Tritt häufig im Alter von 8 bis
12 (6 bis 16) Wochen auf. Im Gefolge des Absetzens kommt es
zu Durchfall, Kümmern, Lymphknoten Schwellungen,
progressiver Dispnoe. Bei akuten Ausbrüchen wird eine
Mortalität von bis zu 10% beobachtet. In endemisch infizierten
Herden verläuft die Krankheit viel milder.
3. PDNS: Tritt eher bei älteren Mastschweinen auf. Auffällig
ist eine starke Dermatitis, hauptsächlich über Brust und
Vorderbeine, Abdomen und Hinterschenkel mit rötlichen
Erhebungen von unterschiedlicher Grösse. Die Tiere
erscheinen teilnahmslos, können Fieber zeigen und fressen
höchstens lustlos. In Einzelfällen wird auch erschwerte
Atmung beobachtet.
Bis zu 15% der erkrankten Tiere können eingehen, andere
bleiben permanente Kümmerer.
Seite 43
Kapitel, Circovirus der Schweine
Diagnose
Verdacht beim Auftreten von gehäuftem Kümmern,
progressiver Dispnoe, Vergrösserung von Lymphknoten,
Dermatitis, petechialen Blutungen.
Differentialdiagnosen
•
•
•
•
Viren: PRRS, Hämagglutinierendes Enzephalomyocarditis
Virus (HEV), Influenza, Klassische (KSP) und
Afrikanische (ASP) Schweinepest
Bakterien: Glässersche Krankheit (Haemophilus parasuis),
Mycoplasma hyopneumoniae, Lawsonia intracellularis,
Colibazillose
Parasiten: Cryptosporidien
Nicht-infektiös: Wasting pig syndrome, Absetz-Anorexie
Bei Verdacht
Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI)
031 848 9211.
Das Institut für Veterinärpathologie der Universität Zürich
koordiniert die Immunhistologische Diagnostik
044 635 8581.
Untersuchungsmaterial
Vergrösserte Lymphknoten (Mediastinal, renal, mesenterisch,
inguinal, portal), Lungen, Leber, Niere, Milz, Ileum, Pankreas,
Tonsillen.
Für die eindeutige Diagnose von PMWS müssen 3 Kriterien
erfüllt sein: (1) Typische Klinik; (2) Charakteristische
mikroskopische Läsionen; (3) Nachweis von PCV-2 in den
Läsionen. Jedes einzelne Verfahren zählt nicht. Aus diesem
Grunde ist es eminent wichtig, dass die erforderlichen Proben
eingesendet werden.
Labordiagnose
PCR vermag PCV-1 von PCV-2 zu unterscheiden.
2006 wurde am Institut die sogenannte Rolling-circleamplification (RCA) als neues Diagnostikum eingeführt.
Hierbei wird die zirkuläre DNA amplifiziert und dann mit
Restriktionsenzymen verdaut, was zu typische RestriktionsEnzym-Mustern führt, die PCV-1, PCV-2 oder auch anderen
zirkulären Viren zugeordnet werden können.
Histopathologie: Infiltration der Lymphknoten mit
histozytischen Zellen, Auftreten von Synzytien, stark basophile
Einschlusskörperchen in den B-Zell Arealen. Ähnliches Bild in
anderen Organen.
Bei PDNS gilt eine Hyperimmunreaktion in den Gefässwänden
als typisch.
Serologische Tests für den Nachweis von Antikörpern sind im
Aufbau. Interpretation der Ergebnisse bislang nicht
befriedigend.
Seite 44
Kapitel, Circovirus der Schweine
Literatur
Gordon and Ellis, 2000
Porcine circovirus: a review.
J. Vet. Diag. Invest. 12, 3-14.
Rosell et al., 2000
Identification of porcine circovirus in tissues of pigs
with porcine dermatitits and nephropathy syndrome.
Vet. Rec. 146, 40-43.
Sydler and Bürgi, 2004
Remarks on the current PMWS situation in Switzerland
(2004). Schweiz. Arch. Tierheilk. 146(10), 469.
Chung and Bolin, 2002
Kinetics of porcine circovirus type 2 replication. Arch.
Virol. 147, 43-58.
Chae, 2004
Postweaning multisystemic wasting syndrome: a
review of aetiology, diagnosis and pathology. Vet. J.
168, 41-49.
Seite 45
Kapitel, Ebola
Ebola
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
Ebola
Filoviren (Ebola; Marburg)
("Outbreak Virus")
Erreger von hämorrhagischem Fieber mit meist letalem
Ausgang
Besonderheiten
Biosafety Level 4
Virusreservoir unbekannt
Keine Impfstoffe
Behandlung mit Interferonen und Seren von überlebenden
Patienten
Inkubationszeit
Virulenz
Geschichte
1967 Marburgvirus in Marburg und Frankfurt, sowie Belgrad.
31 Fälle mit 7 Todesfällen. Betroffen waren Laboranten,
welche Affennieren für die Gewinnung von Zellkulturen
aufarbeiteten.
1976 Epidemie von Ebolavirus in Zaire und Sudan mit 550
Fällen, wobei mehr als 430 Patienten starben. Sekundäre und
tertiäre Fälle wiesen weniger hohe Letalität auf
(Attenuierung?)
1994 steckte sich eine Schweizer Forscherin bei der Sektion
eines Schimpansen an. Sie erkrankte, aber überlebte.
1995 um die 100 Todesfälle in Zaïre, nachdem das
Pflegepersonal und die Patienten panikartig ein Spital, in dem
Ebola Fälle aufgetreten waren, verlassen hatten.
Verbreitung
Ursprung in Afrika, Import nach Europa und Amerika mit
infizierten Primaten.
Erreger
Familie der Filoviridae
Morphologie: Filamentös, Länge bis 14'000 nm, Durchmesser
80 nm. Helikales Nukleokapsid, Hülle mit Peplomeren
Genom: ssRNA mit negativer Polarität (z.B. Ebola: 18,8 kb).
Siehe Abbildung 1.
NP
VP35 VP40
GP
VP24
VP30
L
Ebola NC 006432
18875 bp
Seite 46
Kapitel, Ebola
Abbildung 1. Schematische Darstellung des Genoms von Ebola Virus
(Isolat aus dem Sudan). NP= Nukleokapsid Protein; VP35= Ko-Faktor des
Polymerase Komplexes mit Anti-(Typ-1)-Interferon-Wirkung; VP40=
Matrixprotein; GP= sezerniertes Glykoprotein; VP30= kleines
Nukleokapsid Protein; VP24= Membran-assoziiertes Protein; L=
Polymerase.
Abb. 2. Elektronenoptische Aufnahme eines Ebola Virus
Wirtsspektrum: Menschen, Affen, Mäuse, Meerschweinchen,
Hamster. Keine antigenetische Verwandtschaft zwischen Ebola
und Marburg Virus.
Virusvermehrung und
Genexpression
Die Virusvermehrung erfolgt im Zytoplasma. Ähnlichkeit zur
Vermehrung anderer -ssRNA Viren (z.B. Rhabdo-,
Paramyxoviren)(siehe Abbildungen 3 und 4)
1. Adsorption unbekannt, keine Neutralisation durch
Antikörper bei Ebola
2. Penetration unbekannt, möglicherweise Fusion
3. Uncoating vermutlich wie bei Paramyxoviren
4. Biosynthese sehr rasch, im Zytoplasma, Schwellung und
Zerstörung der Organellen, massive Akkumulation von
Nukleokapsidprotein (Einschlusskörperchen im Zytoplasma)
5. Assembly sehr rasch
6. Aussschleusung sehr rasch, Knospung von der
Zytoplasmamembran
Seite 47
Kapitel, Ebola
Abb. 3. Schema der Genexpression
virale Enzyme
(-)ssRNA
(+)mRNA
Proteine
(+)RNA
(-)RNA
Viruspartikel
Abb. 4. Strategie der Virusvermehrung
Epidemiologie
Virusreservoir unbekannt. Ausgeschlossen werden konnten
verschiedene Affenarten, sowie Fledermäuse
Virusausscheidung: Sekrete und Exkrete, Dauer unbekannt..
Die Ansteckung erfolgt durch engen direkten Kontakt mit
erkrankten Personen (Pflegepersonal) oder bei der Sektion
(Blut, Gewebe, Instrumente, Injektionsmaterial, kontaminierte
Krankenhausabfälle).
Tenazität: relativ robust bei Raumtemperatur, wird bei 60°C
innerhalb von 30 Minuten zerstört, ebenso wie durch UV- und
Gammastrahlung.
Desinfektion
Zur Desinfektion sind Detergentien (Virushülle), ßPropiolacton (Zerstörung der Nukleinsäure), Hypochlorit und
Phenol geeignet.
Seite 48
Kapitel, Ebola
Pathogenese
Die experimentelle Inkubationszeit bei Affen beträgt 4 bis 16
Tage. Ausbreitung im Körper durch Virämie. Das Virus
vermehrt sich in Leber, Milz, Lymphknoten, Lungen und in
Endothelzellen.
In den infizierten Zellen kommt es zur Zerstörung der
Organellen, was zu Nekrosen in den betroffenen Organen
führt. Nur schwache entzündliche Reaktion.
Folgen für den Gesamtorganismus: Hämorrhagien,
Dysfunktion der betroffenen Organe, Tod durch Schock.
Letalität: 30-90%
Bei der Sektion und der Histologie dominieren folgende
Veränderungen: hämorrhagische Diathesen, fokale Nekrosen,
nur leichte Entzündungserscheinungen.
Immunreaktion
Im Gefolge der Infektion werden (meist nicht neutralisierende)
Antikörper gebildet. Es hat sich gezeigt, dass diese nicht vor
Infektion und Erkrankung schützen können.
Über die zelluläre Immunität ist noch wenig bekannt. Dem
VP35 wird eine anti-(Typ-1)-Interferon-Wirkung
zugeschrieben.
Impfprophylaxe
Es sind keine Impfstoffe verfügbar.
Versuche in Labortieren neutralisierende Antikörper zu
erzeugen sind bisher fehlgeschlagen. Impfstoffe wären speziell
wünschenswert um medizinisches Personal in den
Risikogebieten Afrikas, sowie Laborpersonal in den
Diagnostikzentren zu schützen.
Klinik
Inkubationszeit nach natürlicher Infektion: unbekannt. Zuerst
äussert sich die Erkrankung wie eine gewöhnliche Grippe mit
unspezifischen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen,
Malaise und Muskelschmerzen. Später kommen Bradykardie,
Conjunctivitis und Hautrötungen dazu. Nach etwa 2 Tagen
kommt es zu Pharyngitis, Nausea, Erbrechen, fortschreitender
Blutungsneigung, sodann zu Petechien, Ecchymosen, blutigen
Durchfällen und unstillbaren Blutungen. Bei schwangeren
Frauen kommt es meist zum Abort. Während der Krankheit
geborene Kinder sind meist ebenfalls betroffen.
Der Tod tritt in der Regel nach 6 bis 9 Tagen ein.
Todesursache: Endotheliale Permeabilität führt zu
hypovolämischem Schock.
Bei Überlebenden nimmt die Heilung lange Zeit (bis 5
Wochen) in Anspruch. Sie ist gekennzeichnet von Schwäche,
Gewichtsverlust und Amnesie für die Zeit der akuten
Erkrankung.
Seite 49
Kapitel, Ebola
Pathologie
Makroskopisch:
hämorrhagische Diathese in die Haut und die inneren Organe.
Oedematöse Schwellung von Milz, Lymphknoten, Nieren und
Hirn. Nekrosen von Leber, lymphatischen Organenen und
Nieren.
Histologisch:
zytoplasmatische Einschlusskörperchen in den Hepatozyten,
nur wenige inflammatorische Zellen, interstitielle Pneumonie,
Pankreatitis, Iridocyclitits
Diagnose
Virusnachweis im Labor (Biosicherheitsstufe 4) mittels
Immunfluoreszenz an fixierten Gewebeproben aus den
Zielorganen.
Sehr wichtig ist die Anzüchtung der Viren auf Zellkulturen
(Vero E6, Affennierenzellen) um weitere Untersuchungen
anstellen zu können. Im Überstand der Zellkulturen kann Virus
im Elektronenmikroskop nachgewiesen werden.
Die Genome von Marburg und Ebola Viren sind zum Teil
kloniert und sequenziert worden. Mit den Sequenzen konnten
Primer für die RT-PCR synthetisiert werden. Das
Nukleokapsid Protein von Ebola wurde bereits in
rekombinanten Vaccinia- und Baculoviren exprimiert. Damit
sollen biologisch ungefährliche Antigene für serologische
Untersuchungen hergestellt werden.
Differentialdiagnosen
andere akute Fiebererkrankungen, z.B. Malaria, Typhus,
Septikämien durch Meningokokken, Leptorspiren, Anthrax,
andere hämorrhagische Fieber, wie Lassa (Arenaviridae),
fulminante virale Hepatitis
Bei Verdacht
Mit dem Bundesamt für Gesundheitswesen Kontakt
aufnehmen.
Untersuchungsmaterial
Infizierte Gewebe. Vorgehen nach Absprache
Labordiagnose
Direkter Virusnachweis.
IIF, Viruszüchtung, Elektronenmikroskop
Indirekter Virusnachweis.
ELISA, IF
Bekämpfung
Isolation der Patienten, Schutz des Pflegepersonals vor
Ansteckung, "clean sweep",
Vermehrte Anstrengungen zur Auffindung und Bekämpfung
des Reservoirs, bzw. von Vektoren
Seite 50
Kapitel, HCC
HCC
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
HCC
Hepatitis contagiosa canis
Die infektiöse Hundehepatitis wird durch das canine
Adenovirus 1 (CAV-1) verursacht. Neben einer akuten
Hepatitis kann CAV-1 auch respiratorische Erkrankungen,
Encephalopathien und Augenerkrankungen verursachen.
Besonderheiten
Persistenz des Virus in der Niere bis über 1 Jahr nach
Abklingen der klinischen Erscheinungen.
Geschichte
HCC war früher als epizootische Fuchsencephalitis bekannt,
die Probleme in Fuchsfarmen verursachte. 1947 wurde durch
Rubarth gezeigt, dass die Erreger der HCC und der
epizootischen Fuchsencephalitis identisch sind. 1954 gelang
die Vermehrung des HCC-Virus in Zellkultur (Cabasso, 1954).
1958 erfolgte die Einführung der homologen Impfung gegen
HCC mit attenuiertem CAV-1 (Cabasso, 1958). Weil relativ
häufig unerwünschte Nebenwirkungen mit CAV-1 auftraten,
wurde später die heterologe Impfung gegen HCC mit CAV-2
etabliert (Appel, 1975). Die Einführung der inaktivierten
Impfung erfolgte 1977 (Wilson, 1977).
Verbreitung
weltweit. Seit Einführung der Impfung ging die Häufigkeit der
Erkrankung beim Hund stark zurück.
Erreger
Das canine Adenovirus (CAV-1) ist ein unbehülltes
ikosaedrisches Virus mit einem Durchmesser von 60 bis 90
nm. Adenoviren haben eine doppelsträngige DNA, die durch
ein Protein, das an die beiden 5'-Enden der DNA bindet, zum
Ring geschlossen wird. Mit CAV-1 ist CAV-2 verwandt, das
zu den Erregern des Zwingerhustenkomplexes gehört.
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Kapitel, HCC
Abbildung aus Field's Virology, Seite 1681 (M.S. Horwitz)
Virusvermehrung und
Genexpresssion
Transkription und Replikation finden im Kern statt. Der
Replikationszyklus kann unterteilt werden in frühe (early) und
späte (late) Phasen, wobei die Spätphase mit der DNAReplikation beginnt. Die Strukturproteine werden
hauptsächlich in der Spätphase synthetisiert. Adenoviren
codieren für eine DNA-Polymerase, sind aber in vielen
anderen Funktionen von der Wirtszelle abhängig.
Epidemiologie
CAV-1 kommt weltweit bei Caniden vor. Am empfindlichsten
sind Hunde, Kojoten, Rotfüchse und Wölfe. Die
Virusübertragung findet durch Kontakt und durch Aufnahme
von Kot, Urin oder Speichel eines infizierten Tieres statt. Hat
sich ein Hund von der klinischen Erkrankung erholt, kann er
noch über ein Jahr Virus im Urin ausscheiden (Persistenz des
Virus in der Niere).
Desinfektion
aldehydhaltige Desinfektionsmittel
Pathogenese
Es handelt sich um eine zyklische Allgemeinerkrankung bei
der zuerst eine Virusvermehrung in den Tonsillen und in den
Lymphknoten stattfindet. Via Lymphgefässe gelangt das Virus
ins Blut, was zur Generalisierung der Infektion führt.
Virusreplikation in den Gefässendothelien verursacht
Hämorrhagien und Gerinnungsstörungen. Durch Vermehrung
der Viren im Nieren- und Leberparenchym und im retikulären
Gewebe kommt es zu Nekrosen. Immunkomplexe können
Glomerulonephritis und Augenveränderungen (blue eye)
verursachen.
Klinik
Die Inkubationszeit dauert 4 bis 9 Tage.
Symptome: hohes Fieber, Apathie, Anorexie, Durchfall und
Erbrechen, Schleimhautblutungen, in der Rekonvaleszenz
opake Cornea.
Die Krankheit ist um so gefährlicher, je jünger der Hund ist.
Immunreaktion
Starke humorale Immunantwort. Beim Welpen Schutz durch
maternale Antikörper. Nach einer Infektion kommt es zu einer
lebenslangen Immunität. Die Persistenz des Virus in den
Nieren bewirkt anhaltende antigene Stimulation.
Immunprophylaxe
Immunisierung mit CAV-1 oder CAV-2 (Kreuzimmunität)
möglich. In der Schweiz sind Impfstoffe mit inaktiviertem
CAV-1, inaktiviertem CAV-2 und attenuiertem CAV-2
zugelassen.
Diagnose
Verdacht auf HCC bei plötzlichem hohen Fieber mit
verlängerter Blutgerinnung, v.a. bei Welpen und Junghunden
Seite 52
Kapitel, HCC
Differentialdiagnose
Staupe
Bei Verdacht
nach Rücksprache Material einsenden an das Institut für
Veterinärpathologie, Universität Zürich, 044 635 8581.
Untersuchungsmaterial
diverse Organe einschliesslich ZNS formalinfixiert oder ganzer
Tierköper, frisch
Labordiagnose
Erregernachweis mittels Immunhistologie. Die Virusisolation
aus Nasensekret, Blut und Urin ist langwierig und aufwendig.
Therapie
symptomatisch
Literatur
Appel, M., Carmichael, L.E., and Robson, D.S.: Canine
adenovirus type 2-induced immunity to two canine
adenoviruses in pups with maternal antibody. Am. J. Vet. Res.,
1975, 36: 1199-1202.
Cabasso, V.J., Stebbins, M.R., Norton, T.W., and Cox, H.R.:
Propagation of infectious canine hepatitis virus in tissue
culture. Proc. Soc. Exp. Biol. Med., 1954, 85: 239-245.
Cabasso, V.J., Stebbins,, M.R., and Avampato, J.M.: A
bivalent live virus vaccine against canine distemper and
infectious canine hepatitis. Proc. Soc. Exp. Biol. Med., 1958,
99: 46-51.
Rubarth, S.: An acute virus disease with liver lesions in dogs
(hepatitis contagiosa canis). A pathologico-anatomical and
etiologic investigation. Acta Pathol. Microbiol. Scand., 1947,
24; Suppl. 69.
Wilson, J.H.G., Hermann-Dekkers, W.M., Leemans-Dessy, S.,
and de Meijer, J.W.: Experiments with an inactivated hepatitis
leptospirosis caccine in vaccination programmes for dogs. Vet.
Rec., 1977, 100: 552-554.
Seite 53
Kapitel, Herpes, Aujeszky
Herpesviren
Aujeszky
Autoren: Monika Engels, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
AUJ
Aujeszky'sche Krankheit;
Pseudowut (Pseudorabies)
AUJ ist eine kontagiöse, epidemische Herpesvirusinfektion,
die akut und fieberhaft verläuft und primär beim Schwein
vorkommt. In Abhängigkeit des Alters der betroffenen
Schweine äussert sich die Infektion in Form einer
Meningoenzephalitis oder mit respiratorischen Symptomen.
Bei adulten Schweinen verläuft die Infektion meist
subklinisch.
Besonderheiten
Wirtsspektrum: Empfänglich sind verschiedene Tierarten;
das Schwein dient als Virusreservoir (Hauptwirt). Für andere
Tierarten (z.B. Rind, kleine Wiederkäuer, Fleischfresser,
Nager) verläuft die Infektion tödlich. Diese Tierarten werden
als Endwirte bezeichnet, weil sie das Virus nicht weiter
übertragen (keine massive Virusausscheidung) und weil sie
kein Virusreservoir darstellen. Bei einigen dieser Tierarten ist
ein starker Juckreiz charakteristisch (--> Pseudowut).
Latente Infektion: regionäre Ganglien, sowie in
verschiedenen lymphatischen Organen und in Zellen des
hämatopoietischen Systems (s. unten).
Tenazität: die stärkere Resistenz gegenüber Umwelteinflüssen
als andere Herpesviren (stabil bei pH 5-12) beeinflusst die
Virusübertragung.
Staatliche Massnahmen
AUJ ist eine staatlich bekämpfte Seuche (Anzeigepflicht). Im
Gegensatz zu IBR/IPV wurde früher nicht regelmässig
serologisch untersucht. Im Jahr 2001 wurde jedoch eine
Stichprobe eingeführt, die jährlich stattzufinden hat.
Verdachtsfälle müssen von Amtes wegen geprüft werden.
Erkrankte und seropositive Herden werden ausgemerzt.
Seite 54
Kapitel, Herpes, Aujeszky
Geschichte
Erstmals 1813 in den USA bei Kühen beobachtet und
beschrieben. In der Schweiz schon 1849 bei Kühen und
Hunden gesehen, aber als Tollwut interpretiert. Durch
Experimente am Kaninchen gelang es Aujeszky (einem
ungarischen Veterinär) 1902, die von ihm Pseudowut genannte
Krankheit von der echten Tollwut zu unterscheiden. Die
Virusnatur des Erregers, von Aujeszky vermutet, wurde 1910
durch Filtrationsexperimente bestätigt, und in den 30er Jahren
wurde der Erreger als Herpesvirus identifiziert. AUJ beim
Schwein wurde 1920 erstmals beschrieben. Seit den 50er
Jahren kommt die Krankheit enzootisch bei den Schweinen vor
(Massentierhaltung).
Verbreitung
Weltweit, mit unterschiedlicher Prävalenz. Situation Schweiz:
Seit 1987 wurden anhand von Serumbanken
seroepidemiologische Untersuchungen durchgeführt. Auf diese
Weise konnten einige infizierte Herden in der Ostschweiz
entdeckt und saniert werden. Seit 1991 wurden keine
Reagenten (Stichproben!) mehr gefunden. Auch seit dem
Winter 2000/2001 durchgeführte Stichproben brachten bisher
keine Seroreagenten zum Vorschein.
EU-Raum: unterschiedliche Prävalenz und Inzidenz.
Durchseuchungsrate zum Teil sehr hoch.
Erreger
Aujeskzy Virus; Pseudorabies Virus (PRV); Herpesvirus suis
1; suid Herpesvirus 1 (SuHV-1). Familie Herpesviridae,
Subfamilie Alphaherpesvirinae, Genus Varizellovirus.
Virionmorphologie, Genomstruktur und Kodierkapazität des
Genoms: vergleichbar mit BoHV-1 (s.dort).
Anhand der Restriktionsmuster der DNA verschiedener PRV
Stämme liess sich eine relativ grosse Variabilität feststellen,
jedoch keine Korrelation zwischen einem bestimmten
Restriktionsmuster und biologischen, klinischen Eigenschaften
(Ausnahme: Vakzinestämme). Es war aber möglich, bestimmte
Genomtypen geographisch einzuordnen. Daneben ist zu
beachten, dass es stark virulente und weniger virulente
Feldvirusstämme gibt. Die Virulenz bestimmt den
Schweregrad der Erkrankung.
Der Erreger hat eine hohe Tenazität. Überlebt ca. 6 Wochen
bei 25°C und ca. 9 Wochen bei 15°C. Stabilität im Bereich pH
5-12; aber bei Extremwerten (z.B. pH 2 oder 13.5) kann es
trotzdem 4 Stunden bis zur kompletten Inaktivierung dauern.
Stabilität in der Aussenwelt, Beispiele: in reifendem Fleisch
bei 4°C stabil; wird bei -18°C inaktiviert innert 35-40 Tagen;
wird sofort inaktiviert bei Erhitzung (Fleisch, Wurst,
Schinken) auf mindestens 80°C. Überlebt in Urin während 3
(Sommer) bis 15 (Winter) Wochen; im Boden 5-6 Wochen; in
Heu und Stroh 15 (Sommer) bis 40 (Winter) Tage.
Seite 55
Kapitel, Herpes, Aujeszky
Wie alle Herpesviren ist der Erreger aber labil gegenüber
Lipidlösungsmitteln, wie Aether und Chloroform.
Antigenverwandtschaft
Geringgradig mit Herpes Simplex Virus, Herpesvirus B und
BoHV-1. BoHV-1: Einwegreaktion = Anti-BoHV-1Antikörper können PRV neutralisieren, nicht aber umgekehrt.
Virusvermehrung
Im wesentlichen wie BoHV-1 (s. dort).
Genexpression
Im wesentlichen wie BoHV-1 (s. dort).
Epidemiologie
Die Virusausscheidung in oronasalen Sekreten dauert 2-3
Wochen lang an. Eine vertikale Übertragung via Milch ist
möglich. Vaginalsekret und Samen können infektiös sein. Die
Verbreitung der Infektion via Zuchteber oder Samen ist nicht
zu unterschätzen. Die Virusausscheidung stoppt zwar i.d.R.
beim Auftreten von neutralisierenden Antikörpern,
Langzeitausscheider kommen aber trotzdem vor.
Die Infektion verbreitet sich innerhalb eines Bestandes
vorwiegend aerogen, durch direkten Kontakt und durch
kontaminierte Tröge etc. Wiederum spielen der Mensch und
unbelebte Vektoren eine grosse Rolle bei der
Weiterverbreitung zwischen Betrieben. Es wird auch
diskutiert, dass die Virusstreuung in weiten Gebieten via Luft
eine wichtige Rolle spielen dürfte. Dennoch bleiben die
Haupteinschleppungswege in einen Bestand die folgenden:
Zukauf latent infizierter Tiere, Zucht/KB, Verfütterung von
ungekochten Metzgerei- und Küchenabfällen (s.Tenazität des
Erregers!). Letzteres dürfte auch der Hauptübertragungsweg
auf Fleischfresser sein, die selbst Endwirte sind. Als
Hauptvirusreservoir dienen latent infizierte Schweine. Neben
dem Schwein und den erwähnten Endwirten sind auch
wildlebende Nager für die Infektion empfänglich. Als
Virusreservoir spielen sie jedoch keine Rolle.
AUJ tritt in Endemiegebieten saisonal auf: Ausbrüche meist in
kalten Wintermonaten (Okt. - April).
Übertragung auf andere Tierarten: Virusausscheidendes
Schwein --> beschnuppern, belecken, beissen; via
kontaminiertes Futter und Wasser. Bei schlechter Ventilation
evtl. auch aerogen.
Desinfektion
Geeignet sind z.B. 0.5% Natriumhypochlorid und 3%ige
Phenolderivate; bei andern üblichen Desinfektionsmitteln
müssen, im Vergleich zu andern Herpesviren, höhere
Konzentrationen verwendet und/oder längere Einwirkzeiten
eingehalten werden.
Seite 56
Kapitel, Herpes, Aujeszky
Pathogenese
Eintrittspforte ist normalerweise der Nasopharynx (aerogene
oder orale Übertragung); Übertragung aber auch via Decken
bzw. KB möglich. Die erste Virusvermehrung findet an der
Eintrittspforte statt, meist ohne Läsionen zu verursachen. Es
folgt eine direkte Virusaufnahme durch die lokalen
Nervenendigungen. Die Viren werden intraaxonal ins ZNS
transportiert und verbreiten sich weiter via Infektion der
Schwann'schen Zellen und Fibroblasten des Endoneuriums. Es
entstehen neuronale Nekrosen und Entzündungen. Die
Neuronenschädigungen sind verantwortlich für die
Symptomatik.
Neben der Invasion ins ZNS kommt es einerseits zur Infektion
des Respirationstraktes (dabei ist die Infektion der
Alveolärmakrophagen besonders wichtig) und andererseits,
zumindest bei virulenten Virusstämmen, zur Virämie. Das
Virus zirkuliert im Blut entweder frei oder gebunden an
verschiedene Lymphozyten, nicht aber Monozyten. Das Virus
kann sich in Knochenmarks-, Thymus- und peripheren
Blutzellen replizieren. Bei Ferkeln kann das Virus in
verschiedenen Organen nachgewiesen werden. Die fötale
Infektion geschieht via Infektion der Plazenta.
Andere Tierarten: Weg der Virusverbreitung ausschliesslich
via periphere Nerven zum ZNS, wo neuronale Schäden
angerichtet werden, die zu Enzephalomyelitis und Juckreiz an
Eintrittspforte führen. Eine beschränkte Vermehrung ist auch
in Epithelien (Rind: Nasopharynx; Lunge, Vagina) möglich.
Latenz
Wie bei BoHV-1 u.a. Herpesvirusinfektionen; latente
Infektionen jedoch auch in lymphatischem Gewebe.
Immunreaktion
Humorale Antikörper erscheinen 6-7 Tage p.i und erreichen
ihren Peak 3-5 Wochen p.i. Sie persistieren Monate bis Jahre.
Auch sekretorische Antikörper werden nachgewiesen, wobei
unbekannt ist, wie lange diese persistieren. Was über die
Bedeutung der humoralen und zellvermittelten Immunantwort
bei der IBR geschrieben wurde, gilt auch für AUJ. Die
zellvermittelte Immunantwort kann bei AUJ ab 4 Tagen p.i.
nachgewiesen werden.
Maternale Antikörper persistieren während 12-14 Wochen.
Der Immunschutz besteht auch bei AUJ, wie bei andern
Herpesvirusinfektionen, darin, ein Tier vor schwerwiegender
Krankheit und Tod zu bewahren. Sie kann jedoch eine
(Re)infektion und die Etablierung/Reaktivierung einer latenten
Infektion nicht verhindern.
Seite 57
Kapitel, Herpes, Aujeszky
Impfprophylaxe
Impfung in der Schweiz verboten wegen unbefriedigender
Schutzwirkung (s. verhindert Infektion mit Feldvirus und
Latenz nicht); AUJ in der Schweiz selten. Da es sog.
Markervakzinen gibt (Vakzinestamm exprimiert ein
Glykoprotein nicht, z.B. gE) wäre eine Differenzierung
zwischen geimpften und infizierten Tieren möglich.
Markervakzine
Genom
Gen für gE
gE
Protein
kein gE
anti-gE
Klinik
kein Gen für gE
kein anti-gE
A. Hauptwirt und Reservoir Schwein:
1. Neugeborene: Inkubationszeit 36-48 Stunden. Fieber
(41°C), Depression und Erbrechen; im Vordergrund aber meist
motorische Störungen, wie Muskelzittern, Ataxie,
Inkoordination, Paralyse der Hintergliedmassen, Opisthotonus,
epileptiforme Anfälle. Die Krankheit entwickelt sich sehr rasch
und der Tod tritt meist innert 36 Stunden nach Auftreten der
Symptome ein. 100% Mortalität bei 1-2 Wochen alten Ferkeln.
Bei 3-4 Wochen alten ähnliche Symptome, aber
Krankheitsverlauf langsamer und Mortalität bei ca. 50-70%.
Bei mehr als 4 Wochen alten Ferkeln stehen respiratorische
Symptome im Vordergrund (leicht Fieber, Niesen, Husten,
Nasenausfluss, Dyspnoe; Appetitverlust). Meist erfolgt
Heilung, manchmal können jedoch immer noch tödlich
verlaufende ZNS-Störungen dazukommen --> Mortalität 530%.
2. Mastferkel: Inkubationszeit 3-5 Tage; Morbidität 100%, die
Symptome jedoch fast ausschliesslich respiratorischer Art.
Mortalität <3%.
3. Erwachsene Schweine: milde respiratorische Symptome,
selten leichtgradige Ataxie; sehr oft klinisch inapparent. Bei
trächtigen Sauen: Abort oder Geburt toter oder mumifizierter
Ferkel. Der Abort tritt ca. 10 Tage p.i. auf.
Seite 58
Kapitel, Herpes, Aujeszky
Die Infektion führt in Mastbetrieben zu wirtschaftlichen
Schäden durch reduzierte Tageszunahmen. In einem
Zuchtbestand kann es zu temporären Fertilitätsstörungen
(Sauen und Eber) kommen.
B. Endwirte (tödlicher Verlauf, minimale
Virusausscheidung):
Rind und kleine Wdk.: Fatale Enzephalomyelitis, begleitet
von einem starken Juckreiz an verschiedenen Körperstellen.
Inkubationszeit (Rind) : 4-7 Tage. Krankheitsverlauf sehr rasch
und immer tödlich (Tod 10 bis 48 Stunden nach Auftreten der
Symptome). Bei Ziegen kann der Juckreiz fehlen.
Fleischfresser: Symptomatik ähnlich wie Wiederkäuer;
rascher Eintritt des Todes.
Diagnose
Verdacht beim Auftreten von zentralnervösen Störungen (v.a.
bei Ferkeln), sowie bei Aborten/Totgeburten (alle Ferkel mit
gleichen Massen --> zum gleichen Zeitpunkt abgestorben).
Zusatzindiz: tote Katze(n)/Hund(e) auf dem Betrieb.
Differentialdiagnosen
Schweine: Schweinepest; bei respiratorischen Symptomen:
Mannheimien, Influenza; bei Ferkeln mit Diarrhöe: TGE; bei
Aborten und Fertilitätsstörungen: PRRS, Parvovirose.
Andere Tierarten: Tollwut.
Bei Verdacht
Kontaktaufnahme mit dem Institut für Virologie der Vetsuisse
Fakultät in Zürich, 044 635 8718; Absprache betreffend
Einsendung von Untersuchungsmaterial. Im Bestand soweit
möglich Management- und Hygienemassnahmen zum Schutz
der nicht-infizierten Tiere.
Untersuchungsmaterial
Tonsillen, Lymphknoten, Milz, Niere, Gehirn, Rückenmark;
Blut.
Labordiagnose
Virus-/ Antigennachweis: Immunfluoreszenz am
Gewebeschnitt; PCR möglich; Virusisolierung in Zellkultur
(dauert jedoch Tage). Antikörpernachweis: ELISA, SNT.
Seite 59
Kapitel, Herpes, BKF
BKF
Autoren: Uwe Müller-Doblies, Mathias Ackermann
File Info: T60:\Vorlesung\Portrats0708.doc
BKF
Bösartiges Katarrhalfieber
Das bösartige Katarrhalfieber ist eine sporadisch auftretende,
hoch fieberhaft verlaufende, systemische Erkrankung von
Rindern, Wasserbüffeln, domestizierten Hirschen und
verschiedenen wildlebenden Wiederkäuern. Die klinischen
Erscheinungen und pathologisch-anatomischen Befunde sind
immer ähnlich, obwohl 2 Ätiologien unterschieden werden. In
Afrika und bei Zootieren wird häufig die Gnu-originäre Form
von BKF (GO-BKF) beobachtet, welche durch das alcelaphine
Herpesvirus 1 (AlHV-1) verursacht wird.
Das BKF unserer Hauswiederkäuer wird nicht durch AlHV-1
verursacht, sondern durch das Ovine Gammaherpesvirus Typ 2
(OvHV-2). Da man nachweisen konnte, dass dieser Erreger
von Schafen auf das Rind übertragen wird, bezeichnet man
diese Form auch als Schaf-assoziiertes BKF (SA-BKF).
Schweine, Hirsche und andere wildlebende Wiederkäuer,
inklusive Zootiere, können ebenfalls an SA-BKF erkranken.
Besonderheiten
Während bei GO-BKF der Erreger isoliert werden kann, ist die
beim OvHV-2 bisher nicht gelungen. Der Nachweis eines
DNA-Abschnittes mit grosser Homologie zur DNA von
Gamma-Herpesviren bei erkrankten Tieren führte schliesslich
zur Klonierung und Sequenzbestimmung von OvHV-2 und
schliesslich auch zur lückenlosen Beweisführung der
Herpesvirusätiologie.
Verschiedene Wirtsspezies sind für die Infektion mit den BKFAgentien empfänglich. Man unterscheidet Reservoirwirte
(produktive Infektion, keine Krankheit) und Indikatorwirte
(auch Fremdwirt genannt, erkranken an BKF, übertragen aber
die Infektion nicht oder nur ineffizient)
Geschichte
BKF ist seit über 100 Jahren in Zentraleuropa unter dem
Namen "Kopfkrankheit" bekannt. Der Erreger des GO-BKF
wurde 1960 zum erstenmal auf Thyreoideazellen von Kälbern
gezüchtet und beschrieben (Plowright, 1960).
Verbreitung
Weltweit. Im Süden Afrikas kommt vorwiegend GO-BKF,
aber auch SA-BKF vor. In Europa und Amerika beobachtet
man SA-BKF. Pro Jahr werden in der Schweiz um die 100 SABKF Fälle diagnostiziert. Meistens handelt es sich um
Einzelfälle, gelegentlich sind mehrere Tiere gleichzeitig
betroffen.
Seite 60
Kapitel, Herpes, BKF
Erreger
Die zwei wichtigsten Erreger von BKF gehören zur
Unterfamilie der Gammaherpesvirinae innerhalb der Familie
der Herpesviridae. Innerhalb der Unterfamilie gehören sie zur
Gattung Rhadinovirus, welche verschiedene Lymphozytenassoziierte Herpesviren umfasst.
GO-BKF: Alcelaphines Herpesvirus Typ 1 (AlHV-1). Dieses
Virus wurde bereits 1960 von Sir Walter Plowright isoliert.
SA-BKF: Ovines Herpesvirus Typ 2 (OvHV-2).
Bisher konnte OvHV-2 nicht isoliert werden. Mittels
molekularbiologischer Methoden wurde bis 2004 die gesamte
virale DNA kloniert und sequenziert (Ackermann, 2005; Hart
et al. 2007). Aufgrund dieser Untersuchungen wurde der
Erreger, ohne dass er jemals in Zellkulturen gezüchtet werden
konnte, in der Unterfamilie Gammaherpesvirinae eingeordnet.
Epidemiologie
GO-BKF: Reservoirwirt ist das Gnu. Gnukälber werden
meistens früh infiziert und scheiden danach Virus aus,
erkranken aber nicht. Auch eine transplazentare Infektion ist
möglich. Der Indikatorwirt ist das Rind, welches an BKF
erkrankt. In Südafrika entstanden durch BKF so grosse
wirtschaftliche Schäden, dass die Haltung von Gnus in
Gebieten mit Rinderproduktion bis vor wenigen Jahren
verboten war. Es findet keine nachweisbare Übertragung von
BKF zwischen Indikatorwirten statt.
SA-BKF: Die Beweise für eine Herpesvirus-Ätiologie haben
sich in jüngster Zeit vervollständigt. Schafe und Ziegen sind
die Reservoirwirte, während Rinder, Hirsche und andere
Wildwiederkäuer sowie Schweine als Indikatorwirte zu
betrachten sind. Bei circa 90% der gesunden Schafe kann
mittels PCR die Virus DNA nachgewiesen werden. Die gleiche
DNA wird bei an BKF erkrankten Rindern, Schweinen und
Hirschen gefunden. Eine Häufung von BKF-Fällen wird im
Frühjahr und Sommer (April bis August) beobachtet.
Eine vertikale Übertragung wurde bislang nicht beobachtet.
Die Lämmer kommen Virus-frei zur Welt und stecken sich erst
im Lauf der ersten Lebensmonate an. Vor kurzem ist es
erstmals gelungen, das Virus experimentell zu übertragen
(Taus, 2005). Natürlich infizierte Lämmer schieden während
einer sehr kurzen Zeit (wenige Stunden) infektiöses Virus über
Nasensekret aus. Damit konnte die Infektion auf andere
Lämmer sowie auf amerikanische Bisons übertragen werden.
Die Lämmer blieben völlig gesund, während die Bisons an
BKF eingingen. Virus DNA wird überdies regelmässig im
Ejakulat von Schafböcken gefunden, was zur Vermutung der
sexuellen Übertragungsmöglichkeit geführt hat.
Eine Übertragung zwischen den Indikatorwirten ist jedoch
nicht nachgewiesen.
Seite 61
Kapitel, Herpes, BKF
Desinfektion
GO-BKF: wie bei anderen Herpesviren
SA-BKF: (Noch) keine Empfehlungen.
Pathogenese
Beim Rind beträgt die Inkubationszeit beträgt von GO-BKF
Wochen bis Monate (1-3); für SA-BKF ist sie nicht bekannt,
aber bei den Schafen dauert es 5 bis 25 Wochen vom Moment
des Kontakts mit positiven Schafen, bis Virus DNA im Blut
nachgewiesen werden kann.
BKF basiert auf einer latenten Infektion und geht mit
Proliferation von grossen lymphoblastoiden Zellen einher, die
in verschiedene Gewebe und besonders in Gefässwände
infiltieren. Histologisch ist angiitis (Venenentzündung)
charakteristisch. Bei den Rindern sind die Lymphozyten mit
zytotoxischen Eigenschaften infiziert (NK-ähnlich), während
man beim Schaf die Virus DNA zuerst nur in den CD4positiven Lymphozyten findet, später auch in anderen weissen
Blutzellen, insbesondere CD8-positiven.
Abb. 1. An BKF
erkrankter Stier2
Klinik
2
Es werden 3 Verlaufsformen der Krankheit unterschieden.
Hämaturie stellt bei allen Formen ein gutes Leitsymptom dar:
• Akut (v.a. bei Hirschen) bis subakut. Hohes Fieber
(>41°C), Mattigkeit, Anorexie, Lymphknotenschwellung,
Dyspnoe (Obstruktion der Atemwege). Die Letalität (Zahl
der Todesfälle pro Krankheitsfälle) der akuten bis
subakuten Form ist mit etwa 90% sehr hoch. Der Tod tritt
beim akuten Verlauf plötzlich, beim subakuten Verlauf
innerhalb von 1 - 2 Wochen ein.
• Kopf-Augen-Form mit schleimig-eitrigem Nasenausfluss,
Erosion der Schleimhäute und bilaterale
Keratokonjunktivitis mit Korneatrübung und starkem
Tränenfluss.
Bild verdankenswerter Weise von Prof. U. Braun, Universität Zürich, zur Verfügung gestellt
Seite 62
Kapitel, Herpes, BKF
•
Bei der Darmform dominiert wässrig-blutiger Durchfall.
Histopathologie
Lymphozytäre Vasculitis und Infiltration des ZNS und anderer
Organe.
Prophylaxe
GO-BKF: kein Kontakt mit Gnus, Impfung nicht möglich.
SA-BKF: da nicht bekannt ist, wie der Erreger vom Schaf als
Reservoirwirt auf die Indikatorwirte übertragen wird, können
keine sicheren Empfehlungen abgegeben werden. Durch
Absonderung von normalen Schafherden können Schafe
jedoch problemlos Virus-frei gehalten werden. In der Schweiz
gibt es mehrere kontrolliert-OvHV-2-freie Schafherden. Eine
Impfung ist noch nicht möglich.
Diagnose
GO-BKF: klinisch, pathologisch-anatomisch. Für die
Labordiagnose stehen PCR und serologische Tests zur
Verfügung.
SA-BKF: klinisch, pathologisch-anatomisch. Eine real-timePCR zum Erregernachweis sowie ein SA-BKF-spezifischer
ELISA zur Antikörperbestimmung stehen zur Verfügung.
Differentialdiagnose
Mucosal Disease, IBR/IPV, MKS, (Rinderpest), bakterielle
Weidekeratoconjunctivitis (Moraxella bovis und Mycoplasma
conjunctivae), fütterungsbedingte Photosensibilisierung
• Zentralnervöse Erkrankungen, z.B. BSE, BHV-5,
Listeriose.
• Darmform: an Salmonellen, Rotaviren, Coccidien denken.
• Kopf-Augen-Form: es kommt auch zu Pneumonien, bei
denen man an BRSV und PI-3 denken sollte.
Bei Verdacht
Virologisches Institut, Vetsuisse Fakultät Zürich,
044 635 8718
Untersuchungsmaterial
EDTA-Blut, Serum, Gehirn, Kopflymphknoten, Milz, Darm
Therapie
Symptomatisch.
Literatur
Ackermann, M. (2005). "Virus im Schafspelz". Schweiz. Arch.
Tierheilk. 147, 155-164.
Hart, J., Ackermann, M., Jayawardane, G., Russell, G., Haig,
D.M., Reid, H. and Stewart, J.P. (2007). "Complete sequence
and analysis of the Ovine herpesvirus 2 genome." J. gen. Virol.
88, 28-39.
Plowright, W., Ferris, R.D., Scott, G.R. (1960). "Blue
wildebeest and the aetiological agent of bovine malignant
catarrhal fever." Nature, 188:1167-9.
Taus, N. S., Traul, D. L., Oaks, J. L., Crawford, T. B., Lewis,
G. S., Li, H. (2005). "Experimental infection of sheep with
ovine herpesvirus 2 via aerosolization of nasal secretions." J.
Gen. Virol. 86, 575-579.
Seite 63
Kapitel, Herpes, EHV
EHV
Autoren: Monika Engels, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
EHV
Rhinopneumonitis; Stutenabort;
Paralytisches Syndrom;
Coitalexanthem
Drei verschiedene equine Herpesviren (EHV) sind
verantwortlich für die obgenannten Krankheiten: EHV-1 für
den Stutenabort, EHV-4 für die Rhinopneumonitis und EHV-3
für das Coitalexanthem (äusserer Genitaltrakt). EHV-1 führt
bei Jungtieren ebenfalls zu Rhinopneumonitis und EHV-4
kann sporadisch Abort auslösen. EHV-1 verursacht zudem
ZNS-Störungen.
Besonderheiten
Latenz : Grundsätzlich wie bei BoHV-1. Unterschied: latente
Viren nicht nur in Ganglien, sondern auch in lymphoidem
Gewebe und peripheren Blutlymphozyten.
Antigenverwandtschaft: Aufgrund kreuzreagierender
neutralisierender Antikörper nur zwischen EHV-1 und EHV-4.
Gelegentlich wurden mittels Immunfluoreszenz, KBR und
Immundiffusion auch Antigengemeinsamkeiten zwischen
EHV-1 und BoHV-1, EHV-3 u.a. Herpesviren gefunden.
Staatliche Massnahmen: Keine; z.T. Vorschriften
(Impfungen) durch Pferdeverbände.
Geschichte
Der Stutenabort wurde erstmals 1936 in den USA beschrieben;
1941 dann auch in Ungarn, wobei auch respiratorische
Symptome beobachtet wurden. Virusaetiologie:
Übertragungsversuche in den 50er Jahren; als Herpesviren in
den 60er Jahren erkannt. Das Coitalexanthem ist schon sehr
lange bekannt; die Virusaetiologie wurde aber erst 1968
gezeigt.
Verbreitung
weltweit; Durchseuchungsraten z.T. bis 85% (auch in Schweiz
scheinbar hoch; genaue Abklärungen fehlen jedoch).
Erreger
EHV-1, EHV-3 und EHV-4 gehören zur Subfamilie
Alphaherpesvirinae (Familie Herpesviridae), wobei EHV-3
zum Genus Simplexvirus gehört, aber EHV-1 und 4 zum Genus
Varizellovirus. Morphologie, Genomstruktur und
Kodierkapazität des Genoms der Varizelloviren sind
vergleichbar mit BoHV-1 (s.dort). Die Genome von EHV-1
(NC_001491, 150'224 Basenpaare) und EHV-4 (NC_001844,
145'597 Basenpaare) wurden sequenziert. Die vollständigen
Sequenzen sind unter den angegebenen Accession codes auf
Genbank verfügbar.
Seite 64
Kapitel, Herpes, EHV
Früher (z.T. noch in Lehrbüchern) wurde EHV-1 als EHV-1
Subtyp 1 und EHV-4 als EHV-1 Subtyp 2 bezeichnet, da sie
eine sehr enge serologische Verwandtschaft aufweisen.
Aufgrund der Genomunterschiede (Restriktionsmuster,
Basensequenzhomologie von nur ca. 17%) wurden sie als zwei
verschiedene Typen klassifiziert.
Insgesamt sind 9 verschiedene EHV (EHV-1 - EHV-9)
bekannt: EHV-2 und EHV-5 sind apathogene
Gammaherpesvirinae, EHV-6, 7 und 8 sind Esel-spezifische,
mit EHV-1, 2 und 3 vergleichbare Viren. Heute werden die
Herpesviren der Esel auch als Asinine Herpesviren bezeichnet
(AsHV-1 bis 3). EHV-9 wurde erst kürzlich isoliert. Es
verursacht Enzephalitis beim Pferd.
Die Tenazität der EHV ist vergleichbar mit derjenigen von
BoHV-1; bleibt in eingetrocknetem Zustand relativ lange
infektiös (v.a. an Pferdehaar 2-6 Wochen).
Virusvermehrung und
Genexpression
Im wesentlichen wie BoHV-1 (s.dort).
Epidemiologie
EHV-1 und EHV-4: Virusausscheidung oronasal bzw. via
Fruchtwasser, Plazenta und Fötus. Übertragung aerogen oder
durch direkten/indirekten Kontakt. Virusreservoir: zur
Hauptsache latent infizierte Tiere; empfänglich sind alle
Equiden. Epidemiologie stark beeinflusst durch Häufigkeit des
Auftretens von latenten Infektionen, Umgebungsbedingungen
(z.B. Absetzen, Fohlenweide, Transport, Sportveranstaltungen
etc.) und Immunstatus der Population. EHV-3: Übertragung in
meisten Fällen nur beim Decken, wenn bei einem Partner
Läsionen vorliegen. Experimentelle Übertragung auch via
Respirationstrakt möglich.
Desinfektion
s. BoHV-1
Pathogenese
a) Lytisch
EHV-1 und EHV-4 gelangen aerogen in den Nasopharynx, wo
die erste Virusvermehrung stattfindet.
Zweite Station sind die regionären Lymphknoten und die
Epithelien des oberen Respirationstraktes, was zur
Rhinopneumonitis führt. Die EHV-4-Infektion bleibt eher
lokal. EHV-1 verbreitet sich via Lymphozyten-assoziierte
Virämie im ganzen Organismus. Zielorgane: Plazenta und
Fötus und/oder ZNS (selten: Genitaltrakt --> Exanthem). EHV1 scheint auch einen Tropismus für Endothelzellen zu besitzen;
so liegen z.B. den ZNS-Störungen hauptsächlich Vaskulitis
und Thrombose zugrunde. EHV-3 wird normalerweise beim
Decken übertragen; die Infektion bleibt lokalisiert; die
Läsionen werden verursacht durch Infektion des Stratum
germinativum des äusseren Genitaltraktes.
Seite 65
Kapitel, Herpes, EHV
b) Latenz
Wie bei andern Herpesviren eine Folge der lytischen Infektion.
EHV etablieren die Latenz jedoch vor allem in lymphoiden
Geweben des oberen Respirationstraktes und in peripheren
Blutlymphozyten. Vorteil für Virus bei Reaktivierung: rasche
Verbreitung im Organismus via Blut-/Lymphbahnen.
Klinik
EHV-1:
• Rhinopneumonitis gefolgt von Stutenabort: Meist im
letzten Drittel der Trächtigkeit; Inkubationszeit 14-120
Tage; Abort spontan, meist komplikationslos. Typische
pathologische Veränderungen bei Föten: petechiale
Blutungen in verschiedenen Organen, Lungenödem,
(blutige) Transsudate in Brusthöhle, Nekrosen in Leber,
Milz und Lunge; z.T. massive Lebervergrösserung.
Histopathologisch v.a. Nekrosen und intranukleäre
Einschlusskörperchen zu beachten (pathognomonisch).
• Perinatale Sterblichkeit: Geburt lebensschwacher Fohlen
(z.T. respiratorische Symptome); saugunfähig; Tod innert
Stunden oder wenigen Tagen. Pathologie ähnlich wie bei
abortierten Föten.
• Paralytisches Syndrom: von leichtgradiger Ataxie bis
hochgradiger Paralyse mit Festliegen und Tod alles
möglich. Bei Festliegen ungünstige Prognose.
Histopathologie: Vaskulitis (pathognomonisch).
EHV-4:
• Rhinopneumonitis, selten gefolgt von Stutenabort und
ZNS Störungen: Tritt v.a. bei Jungtieren (bis 2 J.) in
Erscheinung; bei älteren meist subklinisch. Inkubationszeit
3-10 Tage. Symptome: plötzlich auftretender Katarrh,
Fieber, Depression, Anorexie, Rhinotracheitis. Bei ca. 30%
der Tiere auch untere Atemwege betroffen mit Dyspnoe
und Husten (Achtung bakt. Sekundärinfektionen!).
EHV-3:
• Coitalexanthem: Verlauf meist mild und gutartig.
Betroffen sind: Haut und Schleimhaut von Vulva,
Präputium, Penis. Beginn mit Schwellung und Juckreiz,
gefolgt von Bläschen-/Papelbildung, die zu Pusteln werden
und verkrusten. Möglich sind auch entstehende Ulzera und
hämorrhagische Erosionen. Bei der Abheilung:
Leukozyteninfiltration, Epithelabschilferung. Dauer: 1-2
Wochen; Spontanheilung; u.U. zurückbleibende
depigmentierte Flecken ("Mosaikflecken").
Immunreaktion
Eine EHV Infektion induziert sowohl humorale (z.B.
neutralisierende AK) als auch zellvermittelte Immunantwort.
Diese hilft die Krankheit ohne wesentliche Symptome zu
überwinden.
Seite 66
Kapitel, Herpes, EHV
Typisch ist jedoch, dass die Immunantwort nur sehr kurze Zeit
persistiert (neutralisierende AK ca. 4 Monate), so dass
Reinfektionen immer wieder möglich sind. Kolostrale
Antikörper persistieren 2-4 Monate und bieten Schutz während
dieser Zeit.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe bzw. konsequenter Impfschutz. Cave:
Immunantwort sehr schlecht; gilt auch für Impfung! Nach
Grundimmunisierung ist Booster alle 6 Monate - zumindest bei
gefährdeten Tieren (s. Sportpferde, Zuchttransporte etc.) - sehr
zu empfehlen. Achtung: Problem der Allergie! In der Schweiz
zugelassene Impfstoffe (= Totimpfstoffe): Duvaxyn EHV1,4
(EHV-1 und EHV-4, bivalent); Equilis Resequin (3
Influenzavirusstämme, EHV-1, EHV-4, polyvalent).
Diagnose
Verdacht bei Auftreten von Respirationstrakterkrankungen,
Aborten und ZNS-Störungen, v.a. wenn gehäuft bzw. äussere
Umstände mit in Betracht gezogen werden können (s.
Transport, Sportveranstaltungen, Fohlenweide etc.).
Differentialdiagnosen
Rhinopneumonitis: Influenza, Pferdehustenkomplex, Arteritis.
Stutenabort: Aborte infolge Bakterien- bzw. Pilzinfektionen;
Arteritis (EAV).
Paralytisches Syndrom: Borna, Vergiftungen, Trauma,
Tetanus, Listeriose, ev. FSME.
Coitalexanthem: EHV-1, Streptokokkeninfektionen.
Bei Verdacht
Kontaktaufnahme mit Untersuchungslabor: Institut für
Veterinär-Virologie, Vetsuisse Fakultät Bern.
031 631 2505. Untersuchungsmaterial einsenden gemäss
Absprache. Womöglich Hygiene-, Managementmassnahmen
im Betrieb; Impfprogramm erstellen.
Untersuchungsmaterial
Für Virusnachweis: Nasentupfer (ev. auch Konjuktivaltupfer);
Plazenta, Fötus; Vaginaltupfer, Präputialspülprobe.
Für Antikörpernachweis: Serumpaar. Aber: bei Abort nicht
sinnvoll, weil die Infektion der Stute schon sehr lange
zurückliegen kann.
Labordiagnose
Virusnachweis: Isolierung auf Zellkultur, Charakterisierung
mittels Elektronenmikroskopie und Identifizierung mittels
Neutralisationstest. Serologie: Serumneutralisationstest; ev.
KBR.
Seite 67
Kapitel, Herpes, IBR
IBR/IPV
Autoren: Monika Engels, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
IBR/IPV
Infektiöse bovine Rhinotracheitis /
Infektiöse pustulöse Vulvovaginitis
Herpesvirus Infektion der Rinder, die in verschiedenen Formen
auftreten kann.
IBR: mild bis schwergradig verlaufende Infektion des oberen
Respirationstraktes; führt bei trächtigen Kühen zu Abort.
IPV bzw. IPB (infektiöse pustulöse Balanoposthitis): i.d.R.
harmlose Deckseuche; äussert sich in Form eines
Bläschenausschlages im Genitalbereich.
Andere Krankheitsformen: Meningoenzephalitis und
Enteritis als generalisierte und meist tödlich verlaufende
Infektionen beim Kalb, Konjunktivitis, Metritis, Mastitis,
Dermatitis.
Besonderheiten
Latente Infektion: regionäre Ganglien (s. unten).
Antigenverwandtschaft: IBR und IPV Viren sind serologisch
nicht unterscheidbar. Weniger enge Verwandtschaft mit BHV5
(Herpesenzephalitis), dem caprinen Herpesvirus 1 (CapHV1),
sowie mit Herpesvirusisolaten aus Rentieren, Damhirschen
und Wasserbüffeln.
Staatliche Massnahmen: IBR ist eine staatlich bekämpfte
Seuche (Anzeigepflicht). Der schweizerische Rinderbestand
wird jährlich einmal serologisch untersucht (Stichprobe: 1%
aller Betriebe) und seropositive Rinder werden ausgemerzt.
Geschichte
Die IPV/IPB wurde in der Schweiz und im übrigen Europa
schon im letzten Jahrhundert beschrieben. Durch Decksperren
und künstliche Besamung konnte die IPV/IPB jedoch gut unter
Kontrolle gehalten werden; sie tritt heute praktisch nicht mehr
auf, v.a. weil sie im Zusammenhang mit der IBR ebenfalls
ausgerottet worden ist.
Die IBR wurde1950 erstmals in den USA beschrieben. Ab den
1960er Jahren kam es in verschiedenen europäischen Ländern
zu eigentlichen IBR-Seuchenzügen; 1978/79 auch in der
Schweiz. Dank radikaler Bekämpfungsmassnahmen gilt die
Schweiz wieder als IBR-frei. Mit vereinzelten Neuausbrüchen
muss allerdings gerechnet werden. So wurden z.B. zwischen
1997 und 2000 fünf neue Fälle verzeichnet. Wahrscheinlich
sind diese auf direkten Kontakt von Tieren der betroffenen
Bestände mit IBR-positiven Tieren im Ausland
zurückzuführen, oder der Erreger wurde, z.B. via Samen,
eingeführt.
Seite 68
Kapitel, Herpes, IBR
Bei früheren Einzelausbrüchen konnte ein Zusammenhang mit
importiertem Stierensamen nachgewiesen werden.
Verbreitung
Weltweit, mit unterschiedlicher Prävalenz (5-65%).
Erreger
Bovines Herpesvirus 1 (BHV1); Familie Herpesviridae,
Subfamilie Alphaherpesvirinae, Genus Varicellovirus. Behüllt,
Kapsid ikosahedral mit 162 Kapsomeren. Duchmesser Kapsid
ca.100 nm, mit Hülle 150-200 nm. Genom: lineare dsDNA,
infektiös; 136 kbp, mindestens 65 Gene. Das DNA-Molekül
(Abbildung) ist typisch für das Genus Varicellovirus und
besteht aus einem langen (UL = unique long) und einem
kurzen (US = unique short), kovalent gebundenen Teilstück.
US ist umgeben von 2 umgekehrt repetierten Sequenzen
(IRS/TRS = internal/terminal repeat short):
G e n o m v o n B H V 1 (s c h e m a tis c h )
UL
106
IR S
11
US
10
TRS
11 kbp
Das vollständig sequenzierte Virusgenom hat die
Kodierkapazität für ca. 70 Proteine. 10 Glykoproteine oder
deren Gene sind identifiziert; mindestens 4 davon sind
Hüllenglykoproteine.
Anhand der DNA -, Protein- und Antigenmuster lassen sich
zwei "Subtypen" von BoHV-1 (BoHV-1.1 und BoHV-1.2)
unterscheiden. Die BoHV-1.1 Vertreter scheinen virulenter zu
sein (z.B. verantwortlich für die IBR-Seuchenzüge in Europa).
Neuropathogene Virusvarianten, die fast ausschliesslich
Meningoenzephalitis verursachen, sind serologisch von BoHV1 kaum zu unterscheiden. Da sie jedoch genetisch signifikant
von BoHV-1 verschieden sind, wurden sie als BoHV-5
klassifiziert. Achtung: Auch BoHV-1 kann gelegentlich
Meningoenzephalitis verursachen.
In der Aussenwelt relativ stabil: das Virus bleibt 5-9 Tage
(Sommer, bis 37°C) und bis 30 Tage (Winter) infektiös,
besonders bei hoher Luftfeuchtigkeit. Bei 56°C wird das Virus
innert 1 Std. inaktiviert. Stabil im pH-Bereich 6.0 - 9.0; labil
gegenüber Chloroform.
Virusvermehrung
BHV1 besitzt ein relativ breites Wirtszellspektrum. Das
Eindringen des Virus in die Zelle wird gesteuert durch die
Seite 69
Kapitel, Herpes, IBR
Hüllenglykoproteine (Fusion zwischen Virushülle und
Zellmembran).
Die Adsorption erfolgt in zwei Schritten: Zunächst bindet das
Hüllenglykoprotein gC locker an Heparansulfat Proteoglycane
auf der Zelloberfläche. Danach folgt die feste Bindung von gD
an einen spezifischen Rezeptor (Herpesvirus Entry Mediator
C, HveC, auch als Nectin-1 bezeichnet). Die Penetration
erfolgt v.a. über die Hüllenglykoproteine gB und gH/gL. Im
Detail sind die Mechanismen noch nicht genau bekannt.
gC ist nicht essentiell für die Virusreplikation. Möglicher Weg
der Adsorption bei Fehlen von gC:
Rolle der Glykoproteine bei Adsorption und Penetration:
gC: Adsorption an
den Heparansulfat
Proteoglykan Rezeptor
gD: feste Bindung an
HVEM, einen zellulären
Rezeptor, Fusion und
Penetration mit gB, gH/gL
gC-Deletionsmutante:
Infektiosität reduziert,
Replikation verzögert,
weniger extrazelluläres
Virus
TP600E/.../gC_adso.pr4
Doppelte Funktion für gC: Stabilität des freien Virus, lockere
Adsorption an den Heparan-Rezeptor, der praktisch auf allen
Zellen vorkommt.
DNA-Replikation und Transkription finden im Zellkern, die
Proteinsynthese im Zytoplasma statt. Neu gebildete Viren
erhalten ihre Hülle von zytoplasmatischen Membranen
(Golgi).
Seite 70
Kapitel, Herpes, IBR
Die Viren verlassen die Zelle durch Ausknospung.
Genexpression
Die Virusreplikation/Genexpression ist streng reguliert und
erfolgt in drei zeitlichen Phasen: 1. die unmittelbar frühe (IE;
"immediate early"; alpha), 2. die frühe (E; "early"; beta) und 3.
die späte (L; "late"; gamma) Phase (Abbildung). Regulierung
durch viruskodierte Proteine (Aktivatoren/Repressoren) und
Enzyme. Die IE Genexpression wird aktiviert durch ein spätes
Strukturprotein.
Strategie der Herpesvirus Replikation
genomische DNA
IE mRNA
IE Proteine:
E mRNA
E Proteine:
L mRNA
L Proteine:
Regulation
Aktivierung
Suppression
Enzyme
Regulation
Struktur
DNA Replikation
Strukturproteine
neue virale DNA
Viruspartikel
Die Regulation der Genexpression erfolgt über sogenannte
"cis-aktive" Stellen auf dem Genom, an welche zelluläre oder
virale Transkriptionsfaktoren binden. Diese sind dann für den
Beginn und den Umfang des Abschreibevorganges
verantwortlich. Andererseits können cis-aktive Elemente auch
mit positiven oder negativen Transaktivatoren ("trans-aktiv")
interagieren. Die Gesamtheit dieser cis- und trans-aktiven
Elemente sorgt für die dosierte Expression der Herpesvirus
Gene zu jedem Zeitpunkt der Infektion. Während der Latenz
findet keine normale Genexpression statt. Gewisse
Herpesviren der Subfamilie Gammaherpesvirinae produzieren
"Latenzproteine". Bei den aus veterinärmedizinischer Sicht
relevanten Alphaherpesvirinae wurden bisher jedoch nur
"Latenz-assoziierte Transkripte" (LAT=RNA)
nachgewiesen. Die LAT-RNA wird nach heutigem
Wissensstand während der Latenz nicht translatiert.
Vermutlich wirkt sie als "antisense RNA" negativ regulierend
auf die Expression wichtiger IE-Gene.
Seite 71
Kapitel, Herpes, IBR
Epidemiologie
Virusausscheidung bei IBR : vor allem via Nasen- und
Augensekrete. Dauer: 10-16 Tage. Sehr wichtig ist
dieVirusausscheidung anlässlich eines Abortes (Fruchtwasser,
Plazenta, Fötus) und die Ausscheidung mit dem Samen. Ein
infizierter Stier scheidet sein Leben lang sporadisch Virus aus
(Reaktivierung)! Eine Ausscheidung mit andern Sekreten und
Exkreten ist ebenfalls möglich, je nach Verbreitung des Virus
im Organismus. Mit Milch ist die vertikale Übertragung der
Infektion experimentell gelungen, dieser Übertragungsweg
scheint jedoch in der Natur unbedeutend zu sein. Ebenso ist
eine Übertragung via Embryotransfer auszuschliessen, sofern
der Embryo ordnungsgemäss gehandhabt wurde.
Die Übertragung der IBR erfolgt meist aerogen
(Tröpfcheninfektion) oder durch direkten Kontakt; indirekt
auch möglich via kontaminierte Futtertröge, Geräte u.ä. Der
Mensch kann als mechanischer Vektor eine wichtige Rolle
spielen bei der Einschleppung und Weiterverbreitung innerhalb
eines Bestandes.
Hauptwirt ist das Rind. Andere Paarhufer können jedoch
auch empfänglich sein für die Infektion, allerdings meist ohne
zu erkranken! Hier sind v.a. Schafe, Ziegen und Schweine zu
nennen, bei denen Virus nachgewiesen werden konnte; andere
Tierarten, v.a. verschiedene Wildwiederkäuerarten, wurden nur
serologisch erfasst. Diese Fremdwirte können u.U. als
Virusreservoir dienen. Eine in der Schweiz durchgeführte
serologische Abklärung ergab jedoch keine Hinweise für ein
Virusreservoir ausserhalb der Rindergattung.
Als Hauptinfektionsquelle dienen akut (auch subklinisch) und
insbesondere latent infizierte Tiere. Grosse Gefahren bestehen
deshalb dann, wenn Tiere ungetestet zugekauft werden oder
wenn Tiere von verschiedenen Seiten zusammengebracht
werden, wie Märkte, Transport, Alpung u.ä. (Achtung: StressSituationen --> Virusreaktivierung).
Bei der IPV/IPB wird das Virus mit den Vaginal- bzw.
Präputialsekreten ausgeschieden. Dauer: 8-14 (IPV) bzw. 1422 Tage (IPB). IPV/IPB wird via Deckakt bzw. KB
übertragen; daneben können iatrogene und Schmierinfektionen
(Schwanzschlagen) vorkommen.
Desinfektion
Geeignet sind z.B. 0.5% NaOH, 1%-ige Phenol-Derivate, 1%ige quaternäre Ammoniumbasen, 5% Formalin.
Seite 72
Kapitel, Herpes, IBR
Pathogenese
IBR: Virusaufnahme i.d.R. aerogen oder über kontaminiertes
Futter (z.B. Maststall), erste Virusvermehrung in der Mukosa
des oberen Respirationstraktes. Die lokale Virusvermehrung
führt zu den respiratorischen Krankheitssymptomen. Daneben
Weiterverbreitung des Erregers im Organismus auf zwei
möglichen Wegen:
1. Via Lymphgefässe und Lymphknoten; das Virus gelangt mit
Monozyten und andern Leukozyten (leukozyten-assoziierte
Virämie) zu seinen Zielorganen. Zielorgane: Fötus,
Digestionstrakt, Zentralnervensystem, Euter. Fötale Infektion
(generalisiert, perakut) erfolgt via Infektion der Plazenta. Die
Virämie ist meist nur schwach und transient (es zirkulieren nur
wenige infizierte Leukozyten ). Die Replikationsfähigkeit von
BHV1 in Leukozyten ist noch nicht gesichert.
2. Via lokale Nervenendigungen (ausgehend vom
Nasopharyngealraum und Tonsillen) ins Zentralnervensystem;
dort einerseits Etablierung einer latenten Infektion,
andererseits auch möglicher Weg bei Enzephalitis.
Allgemein: Lokal ist die Virusvermehrung auf Mukosa und
Submukosa des oberen Respirationstraktes beschränkt. Die
Infektion führt jedoch zu einer transienten Immunsuppression
und damit, zusammen mit den Schleimhautläsionen, zu
erhöhter Empfänglichkeit für bakterielle Sekundärinfektionen.
IPV: Die Virusaufnahme erfolgt über die Genitalschleimhaut.
Die Virusvermehrung bleibt i.d.R. lokalisiert auf die Mukosa
von Vulva, Vagina, Penis und Präputium.
Latenz
Nach ihrer Vermehrung in den Schleimhautzellen können die
Viren auch in die lokalen Nervenendigungen eindringen
(Fusion). Transport der nackten Nukleokapside intraaxonal
zum Nukleus des Neurons im regionären Ganglion (Bsp.: IBR
--> Trigeminusganglion, IPV --> Sakralganglien). Dabei sind
Neuronendegeneration, Neuronopathie und Ganglionitis
möglich, vor allem aber kommt es zur Etablierung der Latenz.
Während Latenzphase keine Virionen nachweisbar, wohl aber
Virusgenom. Zumindest 1 Gen (sogenanntes LAT-Gen; LAT:
Latenz- assoziierte Transkripte) wird während der
Latenzphase transkribiert. Die biologische Funktion des LATs
ist nicht gesichert. Spekuliert wird über eine mögliche antisense Funktion (?) sowie über den Schutz der Ganglienzellen
vor Apoptose.
Seite 73
Kapitel, Herpes, IBR
Reaktivierung
Stressfaktoren (Transport, Geburt, Krankheit u.a.), aber auch
Corticosteroidgaben können zur Reaktivierung der latenten
Infektion führen. Es werden wieder infektiöse Viren
produziert, die via Nervenbahnen zurück an die Peripherie
wandern und dort ausgeschieden werden. Die Reaktivierung
kann mit dem Auftreten von milden klinischen Symptomen
verbunden sein, verläuft aber meist asymptomatisch.
Klinik
IBR: Inkubationszeit 2- 4 (7) Tage. Hauptsymptome: Fieber
bis 42°C, erhöhte Atemfrequenz, Husten, Nasenausfluss
(zuerst serös, später mukopurulent), Hyperämie der
Nasenschleimhaut ("red nose"), evtl. Konjunktivitis, starkes
Speicheln; Anorexie, Leistungs- und Milchrückgang.
Pneumonie nach bakterieller Sekundärinfektion. Chronische
Abmagerung als Spätfolge.
Abort: Nach Inkubationszeit von 3-6 Wochen; meist zwischen
5. und 8. Trächtigkeitsmonat. Ohne spezielle Anzeichen.
Meningoenzephalitis (Kalb): Inkoordination, Muskelzittern,
Kreisbewegungen, Ataxie, Festliegen; evtl. Erblindung, meist
Tod. In Europa selten; in Australien und v.a. Südamerika:
Erreger = BHV5.
Enteritis (Kalb): generalisierte Erkrankung mit Durchfall;
meist Tod innert kurzer Zeit.
IPV/IPB: Inkubationszeit 1-3 Tage; erste Anzeichen: häufiges
Harnabsetzen, anormale Schwanzhaltung. Genitalschleimhäute
hyperämisch und mit kleinen Pusteln versehen. Meist harmlos;
akutes Stadium ca. 2-4 Tage, danach Abheilung innert 10-14
Tagen.
Immunreaktion
Humorale Antikörper erscheinen 8-12 Tage p.i. Bei einer
Primärinfektion sind es v.a. IgM und IgG1. Maximale Titer
werden erreicht nach 35 Tagen (IgG) beziehungsweise 14
Tagen (IgM). Bei einer Reinfektion werden v.a. IgG2
ausgebildet; die IgM Antwort fällt aus. Die humoralen
Antikörper können mehrere Jahre persistieren, brauchen
jedoch gelegentliche Stimulation (Booster), was durch
Reaktivierung der latenten Infektion oder durch Reinfektionen
geschieht.
Maternale Antikörper persistieren während 1 bis max. 6
Monaten. Eine Infektion kann dadurch nicht verhindert
werden, wohl aber eine schwere Erkrankung und ein tödlicher
Ausgang. Humorale Antikörper spielen da eine Rolle, wo
Viren sich im Extrazellulärraum bewegen. Sie können aber
eine Virusverbreitung im Organismus nicht verhindern, da sich
die Viren auch via Interzellulärbrücken und via Nervenbahnen
weiterverbreiten können.
Seite 74
Kapitel, Herpes, IBR
In Nasen- und Genitalsekreten wurden auch sekretorische
Antikörper, IgA, nachgewiesen. Diese haben lokal eine
Bedeutung, v.a. im Zusammenhang mit Reinfektionen und
Reaktivierung.
Die zellvermittelte Immunantwort (Antikörper-unabhängige
Zerstörung von infizierten Zellen; beteiligt: T-Lymphozyten,
Monozyten/Makrophagen, Lymphokine) ist aber für die
Überwindung der Infektion am wichtigsten. Sensibilisierte
Lymphozyten konnten schon 5 Tage p.i. nachgewiesen
werden; Peak ca. 8-10 Tage p.i.
Wichtig: Die Immunantwort auf eine Primärinfektion vermag
zur Ausheilung der klinischen Symptome beizutragen; sie
verhindert jedoch nicht die Etablierung einer Latenz. Ebenso
vermag sie Reinfektionen und die Reaktivierung einer latenten
Infektion nicht zu verhindern. Sie kann lediglich die klinischen
Symptome mildern und die Virusausscheidungsdauer und menge verringern.
Impfprophylaxe
Es gibt verschiedene Impfstoffe; die Schutzimpfung ist in der
Schweiz verboten. Gründe:
1. Schutz unbefriedigend: Die Impfung schützt zwar vor
schwerer Krankheit, aber es gibt keinen Schutz gegen
Feldvirusinfektion und Latenz.
2. Im Zusammenhang mit dem Bekämpfungsprogramm
können geimpfte Tiere nicht von infizierten
unterschieden werden.
In der EU stehen sogenannte Markervakzinen im Einsatz,
denen ein bestimmtes Glykoprotein (gE) fehlt. Tiere, welche
eine natürliche Infektion durchgemacht haben, entwickeln
Antikörper gegen gE, geimpfte Tiere hingegen nicht. Somit ist
eine Unterscheidung möglich. (siehe auch Porträt des Aujeszky
Virus)
Diagnose
Verdacht: wenn Symptome der Rhinotracheitis, Pneumonie,
Abort auftreten, insbesondere wenn vorgängig ein Zukauf oder
Stress- Situationen zu verzeichnen waren. Meningoenzephalitis
und Enteritis mit generalisierter Erkrankung bei Kälbern:
Verdacht, v.a. wenn IBR Symptome und/oder Aborte im
Bestand. IPV/IPB: Verdacht bei typischem klinischen Bild.
Differentialdiagnosen
IBR: Rindergrippe; BVD/MD, Rinderpest, Bösartiges
Katarrhalfieber; Abort: Brucellose, Listeriose, Vibrionen.
Bei Verdacht
Virologisches Institut, Vetsuisse Fakultät, Universität Zürich,
Winterthurerstrasse, 8057 Zürich benachrichtigen und
Einsendung von Untersuchungsmaterial absprechen.
044 635 8718
Seite 75
Kapitel, Herpes, IBR
Definitiver Nachweis nur im Labor möglich. Im Bestand
soweit möglich Management- und Hygienemassnahmen
ergreifen zum Schutz der nicht-infizierten Tiere.
Untersuchungsmaterial
Für Virusnachweis: Sekrete (z.B. Nasen/Rachen- und
Konjunktivaltupfer; Vaginaltupfer; Präputialspülprobe);
Placenta, Fötus. Material zum Virusnachweis sollte möglichst
frisch sein und gekühlt und rasch ins Labor transportiert
werden.
Für Antikörpernachweis: Serum. Früher wurde auch Milch
(als Sammelmilchprobe) für Massenuntersuchungen
verwendet.
Zur Abklärung von Seuchenausbrüchen ist auch die
Reaktivierung latent infizierter Tiere mittels Cortisontherapie
möglich. Zwei bis zwölf Tage nach Beginn der Therapie
beginnen die Tiere Virus auszuscheiden, welches dann isoliert
werden kann. Eine vergleichende Restriktionsenzymanalyse
(REA) der Virus DNA mit den REA-Mustern von
Virusisolaten bekannter Herkunft kann wichtige Hinweise auf
die Infektionsquelle ergeben.
Labordiagnose
Virusnachweis: Virusisolierung in Zellkultur,
Charakterisierung mittels Elektronenmikroskopie und
Identifizierung mittels Neutralisationstest.
Immunfluoreszenztest mit Ausstrichen von Tupferproben.
Taqman PCR und konventionelle PCR.
Antikörpernachweis mittels ELISA (Serum, Milch) oder
Serumneutralisationstest (Serum).
Seite 76
Kapitel, Influenza
Influenza
Autoren: Martin Schwyzer, Mathias Ackermann
File Info: T60:\Vorlesung\Portrats0708.doc
Influenza
Influenza A Viren
Influenza (Grippe) ist eine hochansteckende, fieberhafte, akut
verlaufende Viruserkrankung des Respirationstraktes bei
Menschen, Primaten, Pferden, Schweinen, Geflügel,
Wasservögeln sowie Meeressäugetieren.
Besonderheiten
Influenza ist eine Zoonose. Reservoir in Wassergeflügel.
Besondere Rolle der Schweine bei der Übertragung auf den
Menschen.
Das Virus-Genom besteht aus acht Segmenten
(einzelsträngige RNA), für 11 Proteine codierend. Ein
Segment codiert für das Hämagglutinin (HA), welches für die
Bindung des Virus an den Zellrezeptor verantwortlich ist, und
gegen welches sich die Immunantwort in erster Linie richtet.
Bei gleichzeitiger Infektion einer Zelle mit zwei verschiedenen
Virus-Subtypen können Nachkommenviren mit reassortierten
Segmenten entstehen. So kann ein Virus mit neuem HA in
Umlauf geraten, gegen das die Bevölkerung nicht immun ist.
Es kommt zu einer weltweiten Grippe-Epidemie (Pandemie).
Geschichte
Erste Beschreibung einer Influenza-Pandemie durch
Hippokrates 412 v.Chr. Im Mittelalter dem Einfluss
(Influenza) der Sterne zugeschrieben. Die Pandemie von
1918/19 (spanische Grippe) forderte mit circa 20 Millionen
Toten mehr Opfer als der vorangegangene Weltkrieg. Virus
erstmals isoliert 1933 (H1N1), Viruspassagen in Frettchen,
Mäusen, Hühnerembryonen. Die 1940 entdeckte
Hämagglutination ermöglicht die Titration des Virus.
1997 konnten die Sequenzen des Influenzavirus von 1918
(H1N1) aus Formalin-fixiertem Lungengewebe bestimmt
werden (Molekulare Archäologie). Geflügelpest 1997 in Hong
Kong (H5N1), 1999 in Italien (H7N1): 13 Millionen Hühner
und Truten getötet. Seit 2003 Geflügelpest in ganz SüdostAsien, später auch Eurasien und Afrika. Bis 2006 über 220
Millionen Vögel getötet. Circa 240 menschliche Erkrankungen
mit 140 Todesfällen, v.a. in Indonesien, China, Thailand und
Vietnam.
Seite 77
Kapitel, Influenza
Erreger
Die Influenzaviren bilden zusammen die Familie
Orthomyxoviridae und sind deren einzige Vertreter. Influenza
A, B, und C unterscheiden sich in den inneren
Strukturproteinen (Nukleoprotein NP und Matrixprotein M1).
Influenza B ist nur beim Menschen bekannt; Influenza C
wurde ausser beim Menschen auch beim Hund und beim
Schwein beobachtet, scheint aber klinisch inapparent.
Thogoto-artige Viren (Dhori, Thogoto), die von Zecken
gelegentlich auf Menschen übertragen werden, wurden früher
den Bunyaviridae zugeordnet, danach auch als Influenza D
bezeichnet. In der Folge wird nur Influenza A als das
wichtigste Grippevirus beschrieben.
Hülle deformierbar, pleomorph, 80-100 nm, darin eingelassen
Glykoprotein-Spikes HA und Neuraminidase (NA), innen M1
angelagert. Genom einzelsträngige RNA negativer Polarität,
Basensequenz bekannt (12,588 Nukleotide), aufgeteilt in 8
Segmente von 500 bis 2500 Nukleotiden. Segmente verpackt
mittels Nukleoprotein (NP) in helikale Nukleokapside, an den
Enden RNA-Replikase-Komplexe (PB2, PB1, PA).
Virusvermehrung und
Genexpression
Rezeptoren sind zelluläre Glykoproteine mit exponierter
Neuraminsäure (Zucker mit saurer Gruppe), woran sich HA
bindet. Influenzaviren des Geflügels und der Pferde machen
Gebrauch vom "aviären" Rezeptor (NeuAc2,3Gal), der sich
vom "humanen" Rezeptor (NeuAc2,6Gal) unterscheidet.
Schweine verfügen über beide Rezeptoren und sind deshalb für
die Infektion mit aviären und humanen Influenzaviren
empfänglich. Virus gelangt durch rezeptorvermittelte
Endozytose in Lysosomen. Saures Milieu (pH<5) induziert
einerseits die Fusion von HA der Virushülle mit der
Lysosomenmembran, was zum Ausstoss des Nukleokapsids
ins Zytoplasma führt. Andererseits strömen Ionen durch den
aktivierten M2-Kanal ein, zersetzen das Nukleokapsid und
sorgen so für die Freisetzung der RNA.
RNA-Synthese: Im Gegensatz zu den meisten anderen
RNA-Viren geschieht die RNA-Synthese im Zellkern. Jedes
in den Zellkern transportierte Influenza RNA-Segment trägt
einen RNA-Polymerase-Komplex (PB2, PB1 und PA). Die
Endonuklease PB2 schneidet von den 5'Enden zellulärer
mRNA 10-13 Nukleotide samt 5'Cap ab und stellt sie der
Polymerase PB1 als Primer (Starthilfe) zur Verfügung. Dieser
Influenza-spezifische Trick wird als "Cap snatching" oder
"Kappe stehlen" bezeichnet. Mit den RNA-Segmenten als
Vorlage werden die Primer zur viralen mRNA verlängert. Die
Segment-Enden werden in dieser Phase unvollständig kopiert.
Vollständige genomische RNA-Segmente zur Verpackung in
Nachkommen-Viren werden erst in der folgenden Phase
produziert. Die Polymerase PB1 benötigt jetzt PA und NP für
einen Start ohne PB2 und ohne Primer.
Seite 78
Kapitel, Influenza
Zuerst werden RNA-Segmente positiver Polarität gebildet, die
dann als Vorlage für die Synthese neuer RNA negativer
Polarität dienen.
Proteinsynthese: Sechs RNA-Segmente spezifizieren je eine
mRNA für die Virusproteine HA (Hämagglutinin), NA
(Neuraminidase), NP (Nukleoprotein), PB1, PB2, PA (drei
grosse Proteine, die den RNA-Replikase-Komplex bilden). Das
PB1-RNA-Segment kodiert für zwei verschiedene Proteine,
die RNA Polymerase PB1 und das von einem alternativen
reading frame (F2) abgelesene PB1-F2 (siehe Tabelle). Die
anderen zwei RNA-Segmente spezifizieren je zwei
verschieden gespleisste mRNAs für M1 (Matrixprotein) und
M2 (Membranprotein auf der Zelloberfläche, aber nur wenig
in der Virushülle), sowie für NS1 (Nichtstrukturprotein) und
NEP (nuclear export protein, früher als Nichtstrukturproteine
angesehen und NS2 genannt).
Aufbau des Influenza A Virus
Segment
RNA Länge Protein
(nt)
2341
PB2
2341
PB1
PB1-F2
Protein
Länge (aa)
759
757
87
Anzahl pro
Virion
30-60
30-60
0
3
2233
PA
716
30-60
4
1778
HA
566
500
5
1565
NP
498
1000
6
1413
NA
454
100
7
1027
gespleisst
M1
M2
252
97
3000
20-60
8
890
NS1
230
0
gespleisst
NEP
121
130-200
1
2
Funktion (siehe "Virusvermehrung")
Endonuklease, "Cap stehlen" für virale mRNA
RNA Polymerase (Replikase)
Nichtstrukturprotein, das an Mitochondrien lagert und
Apoptose fördert.
Unterstützt Synthese genomischer Virus RNA
(zusammen mit NP)
Hämagglutinin; nach Spaltung in HA1 und HA2 auch
Fusionsprotein
Nukleokapsid-Protein, fördert Transport der RNASegmente in den Zellkern, später Synthese und
Verpackung der neuen Virus RNA
Neuraminidase für Freisetzung. Zielmolekül für die
antiviralen Neuraminidasehemmer.
Matrixprotein bildet Schicht innen an Virus-Envelope
Protonenkanal in Zell- und Virusmembran zur pHSenkung. Zielmolekül für das Medikament Amantadin.
Nichtstrukturprotein, bindet RNA, fördert VirusProteinsynthese durch Bindung an eIF4GI
(Initiationsfaktor)
Bindet an M1 und fördert Transport der
Ribonukleoproteine aus dem Zellkern; wirkt auf NS1
Synthese
HA, NA und M2 gelangen via Golgi in die Zellmembran, die
anderen werden in den Zellkern transportiert. HA wird von
einer zellulären Protease in HA1 und HA2 gespalten, die aber
miteinander assoziiert bleiben. Viren mit ungespaltenem HA
können im nächsten Zyklus nicht mit der Lysosomenmembran
fusionieren und sind nicht infektiös
Seite 79
Kapitel, Influenza
Neue Nukleokapside entstehen im Kern aus RNA, NP, M1
und dem Replikase-Komplex. Sie wandern ins Zytoplasma und
knospen an der Zellmembran unter Mitnahme von HA und
NA. In dieser Phase ist die enzymatische NA Aktivität wichtig
für die Ablösung der Viren von den infizierten Zellen. Hier
greifen die neuen NA-Hemmer an (siehe Therapie).
Rekonstituierung von infektiösem Influenza A Virus. Das
Wissen über die Replikationsmechanismen führte 1999 zur
Rekonstituierung von infektiösem Influenza A Virus
ausgehend von 12 rekombinanten DNA-Plasmiden (J.Virol.
73:9679 und PNAS 96:9345). Dies öffnet neue Wege zur
gezielten Einführung von Mutationen, z.B. im Hinblick auf
Impfstoffe.
Replikation
HA, NA Spikes
Adsorption
Virusrezeptor
ein Viruspartikel
Penetration
U
Lysosom
pH<5
8 Minus-RNA-Segmente
Uncoating
(Fusion)
c
Replikation
(-) ->(+) ->(-)
8
RNA+Protein
Assembly
Budding
Subtypen, Reassortierung
Cap
c
Zell
mRNA
virale
mRNA
c
c
c
c
c
c
10
c
c
c
c
PB1, PB2, PA
NS1, NS2, NP, M1
in den Kern
c
c
Translation
Virale Proteine
(mit Signal-Sequenzen)
HA, NA, M2
via ER-Golgi
in Zellmembran
104 Viruspartikel
Serologisch werden Virus-Subtypen bestimmt durch zurzeit 16
unterscheidbare HA (numeriert H1 bis H16) sowie 9
verschiedene NA (N1 bis N9). Durch Reassortierung kann im
Prinzip jede beliebige Kombination von HA und NA
entstehen, auch wenn im Feld längst nicht alle realisiert sind.
Nomenklatur: Wirt/Ort und Nummer der Isolation/Jahr
(Subtyp). Beispiele: Eq/Miami/1/63 (H3N8) oder
Sw/Iowa/15/30 (H1N1).
Seite 80
Kapitel, Influenza
Pathogenese
Eintritt in den Respirationstrakt durch Tröpfcheninfektion.
Tröpfchen von 1µm gehen bis in die unteren Luftwege. Erste
Haftung an Mukoproteinen (enthalten Neuraminsäure) im
Schleim. NA baut den Schleim ab. Dies verhindert Austreiben
des Virus durch Zilienbewegung und setzt Zellrezeptoren für
HA auf den Zilien frei. Virusvermehrung in den Zielzellen
(respiratorische Epithelzellen), grossflächige Zellzerstörung.
Die Vermehrung bleibt auf die Epithelzellen beschränkt, kaum
je Virämie, nach einigen Tagen beginnt von der Basalschicht
her die Regeneration des Epithels.
Grund für unterschiedliche Virulenz (vor allem beobachtet bei Vogel-Influenza H7 oder H5)
Spaltstelle von HA gespalten durch
Folgen
virulent
R-X-R/K-R
Furin: Protease im
Alle HA gespalten vor
Golgi-Apparat vieler Zusammenbau ->
Zellen
generalisierte Infektion
weniger virulent X-X-X-R
Extrazelluläre
HA nur zum Teil und
Protease (Factor X erst nach Knospung
like), nur von
gespalten -> Infektion
speziellen Zellen
bleibt lokalisert
sezerniert
R=Arginin
K=Lysin
X=andere
Aminosäure
Abbildung unten: Strukturschema des Hämagglutinins von Influenza A Virus. Die
Zahlen kennzeichnen die Position in der Aminosäurensequenz. Die ersten 16
Aminosäuren werden schon während der Biosynthese entfernt (Signalpeptid). Nr. 1 ist
das resultierende N-terminale Ende. Bei der Spaltung in HA1 und HA2 wird Arginin
Nr. 329 entfernt. Über eine S-S Brücke bleiben HA1 und HA2 kovalent verbunden. Die
Region um 330-350 ist für die Fusion verantwortlich.
Klinik
Mensch: Inkubationszeit 1-3 Tage. Klinisches Bild reicht von
asymptomatischer Infektion bis zur primären viralen
Pneumonie mit Todesfolge. Abrupter Beginn mit Kopfweh,
trockenem Husten, gefolgt von Myalgie, Nasen- und
Augenausfluss, Rötung der Schleimhäute. Hohes Fieber (3841°C) von durchschnittlich 3 Tagen Dauer, zugleich maximale
Virusausscheidung. Das klinische Bild geht einher mit erhöhter
Produktion von Zytokinen (IL-1, IL-6, IFN, TNF-alpha). Die
Primärinfektion zeigt geringe Letalität (<1%), aber sie bahnt
den Weg für Sekundärinfektionen wie Mittelohrentzündung
(vor allem bei Kindern), Konjunktivitis, bakterielle
Pneumonie.
Seite 81
Kapitel, Influenza
Bei Tieren sind grundsätzlich dieselben Symptome zu
beobachten. Spezielle Bemerkungen - Schwein: Fieber 4142°C, schwere Erkrankung 3-6 Tage, die Tiere liegen wie tot
herum, dann schnelle Gesundung. Pferd: Prodromalphase
Augen- und Nasensymptome, Schwellung der
Kehlgangslymphknoten. Hauptphase Fieber 40°C, hohler
trockener Husten. Heilung ohne Behandlung innert 2-3
Wochen. Geflügel: klassische Geflügelpest; stärker
generalisierte Erkrankung mit erheblich höherer Letalität als
bei anderen Spezies. Fieber bis 44°C, zusätzlich zu
respiratorischen Symptomen Kopfödeme, Kammnekrosen,
ZNS-Symptome, Durchfall. Subtypen H5 und H7 besonders
virulent (Mutation im Bereich der Spaltstelle zwischen HA1
und HA2; dadurch Spaltung bereits im Golgi-Apparat durch
ubiquitäre Endoproteasen. Die anderen Subtypen werden durch
extrazelluläre, weniger weit verbreitete Enzyme erst während
oder nach der Knospung gespalten). Wasservögel: hier ist
Influenza endemisch, meist inapparente enterale Infektion
(Virusreservoir).
Immunreaktion
Die erste Abwehrlinie ist Induktion von Interferon; (erste
Zelle sezerniert Interferon, zweite Zelle reagiert darauf mit
Synthese eines schützenden Mx Proteins). Die zweite
Abwehrlinie sind Antikörper gegen HA und NA, die etwa 4
Tage nach Krankheitsbeginn auftreten und zur Elimination des
Virus beitragen. Die IgA sind für eine bleibende Immunität
besonders wichtig. Zelluläre Immunabwehr hat Entzündung,
T-Zell-Infiltration, Hyperämie, Ödeme zur Folge.
Epidemiologie
Charakteristisch für Influenzaviren sind zwei klassische
Phänomene, Shift und Drift, welche die Epidemiologie
bestimmen. Antigen-Drift (Treiben) beruht auf der hohen
Mutationsrate des Virusgenoms. So wird die im Grunde sehr
langlebige Immunität (Mensch: 20 Jahre) durch Antigen-Drift
in HA und NA innert weniger Jahre überspielt. Antigen-Shift
(Verschiebung) beruht auf der eingangs erwähnten
Reassortierung von RNA-Segmenten und kann durch
sprunghaftes Erscheinen eines neuen Subtyps eine Pandemie
auslösen. Reassortierung kann gelegentlich zwischen
Influenzaviren verschiedener Wirtsspezies vorkommen und zu
Wirtswechsel führen.
Das eigentliche Reservoir der Influenzaviren ist in
Wasservögeln beheimatet. Solche Zugvögel mit extrem weiten
saisonalen Flugwegen tragen die Viren rund um die Erde. Die
Infektkette geht weiter über lokales Wassergeflügel, danach
domestiziertes Geflügel und/oder Schweine zum Menschen.
Dies besonders in Gegenden, wo verschiedene Wirte eng
zusammenleben (z. B. China).
Seite 82
Kapitel, Influenza
Die Annahme, dass das Schwein als "Mischgefäss" dient, in
dem die Reassortierung hauptsächlich stattfindet, wurde durch
die Beobachtung bestätigt, dass Schweine sowohl Rezeptoren
für humane als auch für aviäre Influenzaviren haben. Die
Rezeptoren unterscheiden sich in der Art der chemischen
Bindung der Neuraminsäure (2>3 oder 2>6 Position).
Die Rezeptoren für hochpathogene H5N1-Viren scheinen beim
Mensch nur in Pneumozyten Typ II, tief unten in den
Lungenbläschen vorzukommen, weshalb die Mensch-Mensch
Übertragung von H5N1 nur selten aufgetreten ist (Science 312,
399).
Im Jahr 2001 (Science 293, 1842) wurde das Influenzavirus
von 1918 nochmals genauer analysiert. Überraschend zeigte es
sich, dass anstelle von Reassortierung eine Rekombination im
HA-Segment zwischen Schwein- und Mensch-spezifischen
Abschnitten zur Pandemie geführt haben könnte.
Durch Zirkulation unter den Schweinen können sich die
aviären Influenzaviren auch ohne Reassortierung an den
humanen Rezeptor adaptieren. Dadurch entsteht ein weiterer
Weg zur Übertragung der aviären Influenzaviren auf den
Menschen. Beim Ausbruch der sogenannten Vogelgrippe in
Hong Kong (1997) wurde zudem festgestellt, dass bestimmte
Genom-Segmente ausser denjenigen für H und N sehr wichtige
Grundlagen für die "Humanisierung" und Virulenz der
Influenzaviren in sich tragen.
Die Influenzaviren des Pferdes (2 Subtypen: H7N7 und H3N8)
evolvieren erheblich langsamer, vielleicht weil infolge des
schlechten immunologischen Gedächtnisses der
Selektionsdruck kleiner ist oder weil eine Wirtsrestriktion
besteht (vgl. Porträt Equine Influenza).
Verbreitung
Auf Grund der hohen Kontagiosität sind die Influenzaviren bei
mobilen Spezies (Mensch, Pferd, Wasservögel) weltweit
verbreitet, während sie beim Schwein und Geflügel durch
seuchenpolizeiliche Massnahmen (Keulung, Quarantäne)
eingeschränkt werden können. Schweineinfluenza vor 1970
besonders in USA und im fernen Osten, seither auch in
Europa. Klass. Geflügelpest in CH letztmals 1930 in einem
Betrieb aufgetreten. Seit Anfang 2006 befürchtet man eine
Einschleppung durch Wildvögel (Stallpflicht des
Hausgeflügels während der Wintermonate).
Seite 83
Kapitel, Influenza
Diagnose
Bei hohem Fieber und respiratorischen Symptomen, besonders
im Winterhalbjahr und während einer Epidemie, an Influenza
denken. Der eindeutige Nachweis ist nur im Labor möglich.
Antikörpernachweis: gepaarte Seren nötig für den Nachweis
einer akuten Infektion. Hämagglutinations-Hemmtest, ELISA
oder Komplementbindungsreaktion. Virusnachweis: Nasenoder Rachentupferproben; direkte Immunfluoreszenz;
Virusisolierung in Amnionhöhle des bebrüteten Hühnereis;
auch möglich in Allantoishöhle sowie in primären
Nierenzellkulturen (braucht ev. Adaptation, Blindpassagen).
Nachweis durch Hämadsorption, Hämagglutination, RT-PCR.
Für humane Influenzaviren existiert ein nationales
Referenzlabor in Genf zur Typenbestimmung (für den
Patienten kommt der Test zu spät, aber er ist wichtig für die
epidemiologische Abklärung). http://influenza.ch/
Für Schweineinfluenza: Virologisches Institut, Vetsuisse
Fakultät, Universität Zürich, Winterthurerstrasse, 8057 Zürich
benachrichtigen und Einsendung von Untersuchungsmaterial
absprechen. 044 635 8718 (PD Dr. M. Engels).
Geflügelinfluenza: Abteilung für Geflügelkrankheiten, Institut
für Veterinärbakteriologie, Vetsuisse Fakultät, Universität
Zürich, Winterthurerstrasse, 8057 Zürich. 044 635 8631
(Prof. R. Hoop).
Differentialdiagnosen
Viele andere respiratorische Erkrankungen tragen den
volkstümlichen Namen "Grippe". Beim Pferd kommen z. B.
EHV4, Adeno- Rhino- und Reoviren in Frage. Schwein:
PRRS, Aujeszky, Schweinepest. Mensch: Paramyxo-, Corona-,
Adeno- und Rhinoviren; Mykoplasmen.
Desinfektion
Die üblichen Desinfektionsmittel sind wirksam. Influenzaviren
sind relativ labil gegenüber Wärme und Sonnenlicht (deshalb
gehäuftes Auftreten im Winter), sowie tiefem pH (deshalb
keine Passage in den Digestionstrakt). Vögel beherbergen
resistentere Influenzaviren (Anpassung an erhöhte
Körpertemperatur, Ausscheidung mit dem Kot von
Wasservögeln möglich). Möglicherweise können
ausgeschiedene Viren in gefrorenen Seen überwintern.
Prophylaxe
Hauptproblem ist die Variabilität (ausser beim Pferd): aus neu
auftretendem Subtyp muss raschmöglichst ein neuer Impfstoff
hergestellt werden; die Herstellung eines Lebendimpfstoffes
würde zu lange dauern. In Entwicklung: gezielte
Reassortierung mit attenuiertem Impfstamm
(temperaturempfindlich). Die Wirksamkeit der inaktivierten
Vakzinen ist nicht völlig befriedigend: unvollständiger Schutz;
keine lokale Immunität. Jedenfalls sollten alle Subtypen
vertreten sein. Dies ist bei den in der CH zugelassenen PferdeImpfstoffen der Fall.
Seite 84
Kapitel, Influenza
Pferd: Seuchen trotz Impfung (A equi 1, H7N7; A equi 2,
H3N8) nicht ausgeschlossen. Impfplan ist einzuhalten Erstimpfung 5, 6 und 12 Monate, dann jährliche
Wiederholung. Kombination mit Tetanus eher vermeiden
(Konkurrenz: Tetanus zu gutes Antigen). Schwein: In der CH
werden keine Impfstoffe gegen Schweineinfluenza vertrieben
(zuwenig Interesse). In D: neue Spaltvakzine H1N1 und H3N2.
Geflügel: Impfung in der Schweiz aus seuchenpolizeilichen
Gründen verboten.
Mensch: Influenzavakzine besser als ihr Ruf (ca. 90 %
Effizienz). 1977 Guillain-Barré-Syndrom (Polyneuritis mit
Lähmungen) 6/100'000 nach Impfung statt nur 1/100'000,
heute Problem behoben. Die Impfung wird besonders für Leute
über 65 sowie für im Gesundheitsdienst Tätige empfohlen. Sie
wirkt nicht gegen den hochpathogenen Stamm H5N1.
Trotzdem wird die Impfung den Geflügelhaltern empfohlen,
um Reassortierung zu vermeiden und um nicht wegen einer
gewöhnlichen Grippe Alarm auslösen zu müssen.
Therapie
Schwein: Ruhigstellen, viel Streu, reichlich Wasser, ev.
Antibiotika, Antipyretikum, Kreislaufmittel, Expektorans.
Pferd: Ruhigstellung unerlässlich, weitere Massnahmen
ähnlich wie oben. Klass. Geflügelpest: keine Therapie,
sondern Eradikation.
Es gibt antivirale Mittel (beim Tier unwirtschaftlich):
• Amantadin wirkt spezifisch gegen Influenzaviren, indem
es den durch M2 gebildeten Protonenkanal blockiert.
• Die 1999 in der Schweiz zugelassenen NeuraminidaseHemmer Tamiflu (Roche) und Relenza
(Glaxo/Wellcome) richten sich gegen die Freisetzung von
Influenza A und B Viren. Sie verkürzen die
Krankheitsdauer und wirken lindernd, aber nur wenn sie
innerhalb von 24 bis 36 Stunden nach Auftreten der ersten
Symptome genommen werden. Als Vorbereitung auf eine
mögliche Pandemie legen viele Staaten Pflichtlager dieser
Medikamente an.
Literatur
Fouchier RA, Munster V, Wallensten A et al. (2005).
Characterization of a novel influenza A virus
hemagglutinin subtype (H16) obtained from blackheaded gulls. J. Virol. 79: 2814–2822.
Colin R. Parrish and Yoshihiro Kawaoka (2005). The Origins
of New Pandemic Viruses: The Acquisition of New
Host Ranges by Canine Parvovirus and Influenza A
Viruses. Annu. Rev. Microbiol. 59:553–586.
Seite 85
Kapitel, Influenza, Equine Influenza
Influenza equi
Autoren: Monika Engels, Mathias Ackermann
File Info: T60:\Vorlesung\Portrats0708.doc
Equine Influenza
Virus
Orthomyxoviridae, Genus: (equines) Influenza Virus A
Subtyp 1: Prototyp = A / equi 1 / Prag / 56 (H7N7)
Subtyp 2: Prototyp = A / equi 2 / Miami / 63 (H3N8)
Besonderheiten
•
•
•
Anders als die Influenzaviren beim Menschen sind die
Pferdeinfluenza Subtypen antigenetisch relativ stabil.
Deshalb müssen die Impfvirusstämme nur in relativ langen
Abständen angepasst werden.
Die Equine Influenza wird im Unterschied zu
Schweineinfluenza nicht auf den Menschen übertragen.
Der Grund liegt wohl darin, dass unterschiedliche
Rezeptoren benützt werden, die wohl beim Pferd, nicht
aber beim Menschen vorkommen.
Im Jahre 2005 wurde erstmals beschrieben, dass ein H3N8
Virus des Pferdes sich bei Rennhunden ausbreitet. Das
Virus wurde anlässlich eines Ausbruchs in Florida isoliert,
wo 22 Greyhounds typische Grippesymptome zeigten und
8 davon starben. Offensichtlich gelang dieser Wirtswechsel
ohne vorgängige Reassortierung. Serologische Studien
bezeugen eine starke Ausbreitungstendenz des neuen
Virus.
Vorkommen
Weltweit. Subtyp 2 ist heute dominant. Es werden eine
europäische und eine amerikanische Linie unterschieden.
Innerhalb der Linien gibt es wiederum verschiedene Varianten.
Empfänglichkeit
Equiden
Klinik
Inkubationszeit 2-3 Tage;
Nasen-, Augenausfluss; hohes Fieber; trockener Husten;
Lymphknotenschwellung
Pathogenese
s. Influenza allg.
Epidemiologie
Übertragung aerogen;
Ansteckungsquelle: infizierte Tiere; zur Verbreitung (ev.
Epidemien!) tragen vor allem Massenveranstaltungen bei.
Diagnose
Nasentupferproben: Virusnachweis im embryonierten
Hühnerei oder in Zellkulturen
Serologie (Serumpaar): Hämagglutinationshemmtest
Kontrolle
Impfung: Grundimmunisierung und Booster (1-2x jährlich).
ISCOM-Vakzine verfügbar mit Antigenen von Virusstämmen
aus den Jahren 1977, 1979, 1991. Andere Impfstoffe
Seite 86
Kapitel, Influenza, Equine Influenza
verwenden Viren aus den Jahren 1956, 1963, 1989, 1993.
Beipackzettel studieren!!! Vier Impfstoffe werden in
Kombination mit Tetanustoxoid, einer mit EHV-1 und EHV-4
angeboten.
Literatur
Crawford, P.C. et al. (2005). Transmission of Equine Influenza
to Dogs. Science 310, 482-485.
Seite 87
Kapitel, MKS
MKS
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
MKS
MAUL- UND KLAUENSEUCHE
MKS ist eine akute, hochkontagiöse Viruserkrankung der
Wiederkäuer und der Schweine. Charakteristisch (Name) sind
Aphten (Blasen) und Erosionen im Bereich der Maul- und
Nasenschleimhaut und am Kronsaum. Fieber nur im
Prodromalstadium. Nach Generalisierung der Aphten kein
Fieber mehr, sofern keine Sekundärinfektion.
MKSV weist hohe Tenazität auf in Gewebematerial.
Besonderheiten
Variabilität: Sieben Serotypen (O, A, C, Asia1, SAT-1, SAT2, SAT-3) mit zahlreichen Subtypen.
Tenazität: Austrocknung, Kälte, hohe Salzkonzentration
beeinflussen die Infektiosität nicht. Im Stallschmutz, Mist,
Jauche hält sich das Virus bis 2 Wochen. In Milch und nicht
erhitzten Produkten, sowie Gefrier- und Pökelfleisch bleibt es
monatelang infektiös. Rasche Inaktivierung erfolgt bei pHWerten unter 6.5 (Fleischreifung! Ausnahmen: Lymphknoten,
Knochenmark, Fett, Blut) und bei Temperaturen über 50 Grad.
Geschichte
Als erstes animales Virus identifiziert (Loeffler und Frosch,
1898). Seit Jahrhunderten gefürchteter Seuchenerreger.
Waldmann (1937) entwickelte einen ersten Impfstoff gegen
MKS. Dabei wurden Rinder mit MKS Virus angesteckt und
nach Auftreten der Krankheitssymptome geschlachtet. Aus den
Zungenepithelien wurde dann ein Formalin-inaktivierter
Impfstoff produziert. Frenkel (1947) modifizierte die
Virusproduktion, indem er Epithelstücke von normal
geschlachteten Rindern in Kultur hielt und infizierte.
1959 wurden BHK Zellen (Hamster Nieren) als Substrat für
die Virusproduktion eingeführt. In der Schweiz standen seit
1944 Waldmann Vakzinen zur Verfügung, die im
Eidgenössischen Vakzine Institut in Basel produziert wurden.
1966 wurde die obligatorische Impfung des gesamten
Rinderbestandes in der Schweiz eingeführt.
1991 wurde die Impfung, nach langjähriger Seuchenfreiheit
und der vollständigen Elimination des Virus aus der Schweiz,
verboten. Anlässlich des Seuchenzuges von 2001 in Europa,
geriet diese Strategie des Nicht-Impfens in die Kritik.
Seite 88
Kapitel, MKS
Verbreitung
Vor 2001
Weltweit (Ausnahmen: USA, Japan, Australien, Neuseeland,
Grossbritannien, Irland). Je nach Region bestimmte
vorherrschende Serotypen, Europa ist sporadisch mit O, A,
oder C verseucht (Italien 1984-87 und 1993). Der letzte Fall in
der Schweiz trat 1980 auf. Dabei handelte es sich mit grosser
Wahrscheinlichkeit um einen sogenannten "Impfdurchbruch"
(ungenügend inaktivierte Vakzine).
Abb 1. MKS Reservoir
Asien:
Kaukasus, Arabien
China
Indien, Indochina,
Philippinen
Südamerika:
Kolumbien,
Bolivien,
Ecuador,
Venezuela,
Brasilien,
(Argentinien, Uruguay)
Afrika
Seit dem 23. Februar 2001 (aktuelle Info über folgenden
URL: http://www.defra.gov.uk/footandmouth/)
Grosser Seuchenzug in Grossbritannien (bis Mittwoch 3.
Oktober 2001, 17:00, gab es 2'030 Ausbrüche in England,
wobei der bislang letzte Fall am 30. September gemeldet
wurde). Einschleppung des Virus in einen Schweinebetrieb,
vermutlich als Folge der Verfütterung unerhitzter
Küchenabfälle, welche illegal aus dem asiatischen Raum
importiert worden waren. Unerkannte Verbreitung über
Viehmärkte. Unbemerkte Übertragung in die Schafpopulation.
Verschleppung vor allem über Schaftransporte nach Irland und
Frankreich. Einschleppung in die Niederlande durch Kälber,
welche aus England kamen, jedoch in Frankreich einen
Quarantänestall belegten, in dem zuvor die Schafe gestanden
hatten, welche die Seuche von England nach Frankreich
gebracht hatten.
Im Sommer 2007 ereigneten sich mindestens zwei neue
Ausbrüche von MKS in England. Diesmal wurde die Quelle im
Nationalen Untersuchungslabor (Pirbright) geortet.
Erreger
Familie Picornaviridae, Gattung Aphtovirus. Kleinste RNA
Viren, Ø 25-30 nm, unbehüllt, icosahedrale Symmetrie, 32
Kapsomeren. Infektiöse ssRNA mit positiver Polarität, nicht
segmentiert, 7.2-8.4 kb. Synthese eines Polyproteins aus der
genomischen RNA, proteolytische Spaltung.
4 Strukturproteine (VP1-4). Das RNA-Polymerase Protein
kann VIA (virus infection-associated) Antikörper erzeugen.
Seite 89
Kapitel, MKS
Virusvermehrung und
Genexpression
Adsorption über zelluläre Rezeptoren (Integrin) mittels "loop"Struktur in VP1. Translokation durch Zellmembran mittels
unbekannter Mechanismen. Der Milieuwechsel beim Eintritt
ins Zytoplasma macht die Verbindungsstücke zwischen den
einzelnen Virusproteinen den zellulären Proteasen zugänglich,
sodass der Viruspartikel zerfällt und die RNA freigesetzt wird.
Die (+)ssRNA wird von der Zelle als mRNA behandelt und in
ein Polyprotein translatiert.
Abb. 2. Replikation
(+)ssRNA
Polyprotein
(-)RNA
(+)RNA
Viruspartikel
Abb. 1. Strategie der MKSV Replikation.
Die ikosahedrale Struktur des Virus wird durch 3
Strukturproteine (VP1, VP2 und VP3 gebildet. VPg bindet an
die neu synthetisierte genomische RNA und wird mit in den
Partikel verpackt.
Durch die Spaltung von VP0 in VP2 und VP4 wird die
Partikelbildung abgeschlossen. Die Freisetzung der Viren
erfolgt über die Zerstörung der infizierten Zelle. Durch
Zellzerstörung sind auch die Läsionen im infizierten Tier
erklärbar.
Abb. 3. Genexpression
und Translation
Seite 90
Kapitel, MKS
Abb. 2. Synthese eines Polyproteins, Spaltung in finale
Produkte durch virale Proteasen (Pfeile)
Fehler bei der Transkription der genomischen RNA: natürliche
Variabilität der MKS Viren.
Epidemiologie
Infizierte Tiere sind die wichtigste Ansteckungsquelle.
Virusausscheidung bereits während der Inkubationszeit (2-14
Tage). Virusübertragung vor allem direkt über Speichel, Kot,
Urin, Milch. Indirekte Übertragung durch Transportfahrzeuge,
Personen, Schlachtprodukte etc. Auch aerogene Übertragung
ist bekannt.
Abb. 4. Epidemiologie
Bis 200 km übers Meer
Transportwege
Abfälle
12-24h vor
Klinik
Molkerei
Desinfektion
Lauge, Säure, Hitze. (vgl. Besonderheiten)
Pathogenese
Übertragung direkt oder indirekt (extreme Kontagiosität).
Aufnahme des Virus durch Inhalation. Erste Virusvermehrung
im Pharynx und in den tieferen Luftwegen. Aphtenbildung an
der Zunge und auf der gesamten Maulschleimhaut. Virämie
und Generalisierung der Infektion. Sekundäre Läsionen
hauptsächlich an den Klauen (Kronsaum,
Zwischenklauenspalt), an den Pansenpfeilern, Herzmuskulatur,
sowie Euterdrüsengewebe (Mastitis). Virusausscheidung in
allen Sekreten und Exkreten. Insbesondere in der Milch kann
Virus 12 bis 24 Stunden vor dem Auftreten erster, klinischer
Symptome festgestellt werden. Nach der Überwindung der
akuten Infektion wird das Virus meist völlig aus dem
Organismus eliminiert. Einige Tiere können jedoch eine
persistente Infektion entwickeln, wobei auch nach 2 Jahren
noch mittels "Probang" Technik infektiöses Virus
nachgewiesen werden kann.
Seite 91
Kapitel, MKS
Abb. 5. Pathogenese
Infektion
Erste Virusvermehrung im
Pharynx, Aphtenbildung
auf Zunge und Maulschleimhaut.
Zelltod -> Läsionen
Immunreaktion
Virämie und Sekundäre Virusvermehrung an Klauen,
Pansenpfeilern, Herzmuskulatur, Euterdrüsengewebe
Bei MKS spielt die humorale Immunität, im Gegensatz zu
vielen anderen Virusinfektionen, eine sehr wichtige, ja sogar
tragende Rolle. Tatsächlich kann ein Tier durch die Gabe von
neutralisierenden und opsonisierenden Antikörpern (passive
Immunität) vor einer generalisierenden MKS geschützt
werden. Die wichtigsten neutralisierenden Antikörper sind
gegen das Rezeptorprotein VP1 gerichtet. Schutzinduzierende,
opsonisierende Antikörper gelten den Kapsidproteinen VP1, 2
und 3. Aus diesen Gründen funktioniert die aktive
Schutzimpfung mit inaktivierten Impfstoffen sehr gut.
Moderne Impfstoffe enthalten gereinigte Viruspartikel, sodass
die Antikörperproduktion auf VP1, 2 und 3 ausgerichtet ist.
Bei der natürlichen Infektion entstehen nicht nur Antikörper
gegen die Strukturproteine, sondern gegen alle viralen
Produkte. Man kann den Nachweis von Antikörpern gegen
Nicht-Struktur Proteine (z.B. VIA Antigen) deshalb ausnützen
zur Unterscheidung von Antikörperbildung nach natürlicher
Infektion und nach Impfung. In der Praxis kommt dem
Nachweis von VIA-Antikörpern allerdings eine untergeordnete
Rolle zu, weil in Europa, USA und Japan heute auf die
Impfung völlig verzichtet wird. Dem Grundprinzip der
Unterscheidung wird jedoch im Zusammenhang mit
gentechnologischen Impfstoffen grosse Bedeutung
beigemessen.
Die zelluläre Immunität wird selbstverständlich bei einer
akuten Infektion auch stimuliert und hilft bei der Elimination
der Viren aus dem Organismus mit.
Seite 92
Kapitel, MKS
Impfprophylaxe
In der Schweiz ist die prophylaktische Schutzimpfung seit
1991 verboten, in der Europäischen Gemeinschaft seit 1992.
Die Vakzination spielt jedoch immer noch eine wichtige Rolle
in endemisch verseuchten Gebieten, sowie in Ländern, welche
erst am Beginn der Tilgung von MKS stehen. Das
internationale Tierseuchenamt (O.I.E.) in Paris sorgt zudem für
einen randständigen Impfgürtel, der Europa vor
Wiedereinschleppung von MKS aus asiatischen Ländern
schützen soll.
Klinik
Das klinische Bild kann je nach Tierart variieren:
Rind: Inkubationszeit von 2 bis 5 Tagen. Zuerst hohes Fieber,
Somnolenz, Inappetenz, Einbruch der Milchleistung. Wenige
Stunden später kommt es zur Aphtenbildung im Maulbereich
(Zunge, Lippen, Zahnfleisch, Backen) und im Klauenbereich
(Kronsaum, Zwischenklauenspalt). Durch die Läsionen im
Maulbereich kommt es zu Kauschwierigkeiten und starker
Salivation verbunden mit typischen Schmatzgeräuschen. Die
Aphten platzen nach 2 bis 3 Tagen und heilen dann rasch ab.
In unkomplizierten Fällen erholen sich die Tiere wieder.
Ausgedehnte Klauenläsionen können zu Abspaltungen des
Hornes vom darunterliegenden Gewebe und zum Ausschuhen
führen. Weitere Komplikationen durch Aphtenbildung im
Pansenbereich und durch Affektion der Herzmuskulatur.
Schwein: Symptome oft weniger stark ausgeprägt als beim
Rind. Klauenbereich stärker als Maulbereich betroffen. Zu den
typischen Symptomen gehören plötzliche akute Lahmheit und
häufiges Liegen. Plötzliche Todesfälle infolge von
Schädigungen der Herzmuskulatur werden öfter als beim Rind
gesehen.
Kleiner Wiederkäuer: Verlängerte Inkubationszeit gegenüber
den anderen Tierarten (bis 21 Tage). Die Krankheit verläuft oft
sehr milde. Aphtenbildung weniger ausgeprägt als beim Rind.
Gliedmassenbereich stärker betroffen als Maulbereich.
Mensch: In seltenen Fällen kann es zur Übertragung von MKS
auf den Menschen kommen. Die Infektion verläuft jedoch auch
dann äusserst milde, meist lokal begrenzt und gutartig. Selbst
bei immungeschwächten Patienten sind keine Komplikationen
beschrieben. Bei MKS-Verdacht stellt sich meist heraus, dass
es sich um eine Infektion mit dem Enterovirus Coxsackie B5
handelt, welches beim Menschen zu MKS-ähnlicher
Aphtenbildung führt.
Diagnose
Beim Auftreten von Blasen an Zunge, Maulschleimhaut oder
Kronsaum immer an MKS denken.
Akute Lahmheiten und Todesfälle beim Schwein sollten
ebenfalls Anlass geben, an MKS zu denken. Für eine
Untersuchung ist es wichtig die Klauen der Schweine zu
waschen!
Seite 93
Kapitel, MKS
Abb. 6. Ausgedehnte
Klauenläsionen
Differentialdiagnosen
Vesikulärkrankheit der Schweine (SVD), ferner:
Vesikulärstomatitis, Mucosal Disease (BVDV),
Katharrhalfieber (BKF), Ecthyma, IBR.
Beim Menschen: Enterovirus Coxsackie B5.
Bei Verdacht
Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI)
031 848 9211 benachrichtigen und Einsendung von
Untersuchungsmaterial absprechen.
Untersuchungsmaterial
Frische Aphten, grosszügig ausgeschnitten, in sterilen
Blutröhrchen so schnell wie möglich (Auto, Express) nach
Absprache an das Institut für Viruskrankheiten und
Immunprophylaxe, 3147 Mittelhäusern bringen.
Labordiagnose
Komplementbindungsreaktion, RT-PCR und ELISA erlauben
Typendiagnose innert Stunden. Virusisolation in Zellkulturen
dauert mehrere Tage.
Seite 94
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), Equine Arteritis
Nidovirales (Arteri- und Coronaviren)
EAV
Autorin: Monika Engels
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
EAV
Equine Arteritis; Pferdestaupe;
Rotlaufseuche;"pink eye"
Das equine Arteritis Virus (EAV) verursacht verschiedene
klinische Krankheitssymptome, wobei respiratorische
Symptome, Konjunktivitis ("pink eye"), Oedeme und Abort im
Vordergrund stehen. Die Infektion verläuft jedoch in der
Mehrheit der Fälle asymptomatisch.
Besonderheiten
Epidemiologie: Hengste als Langzeitausscheider und
hauptsächliches Virusreservoir.
Geschichte
Die Krankheit ist unter verschiedenen Namen schon lange Zeit
bekannt. Die Virusätiologie wurde 1953 anlässlich einer
Anhäufung von Krankheitsausbrüchen in Ohio, USA, erkannt.
In der Schweiz trat EAV erstmals 1964 in der EMPA und im
Tierspital Bern auf. Weil zu spät an die mögliche Diagnose
gedacht worden war, kam es zu einem legendären Ausbruch
mit 400 erkrankten Tieren. Nach erneuten Ausbrüchen in den
USA in den 80er Jahren wurden intensive
Kontrollmassnahmen eingeführt. In anderen Ländern, in denen
die equine Arteritis auftritt, erlangte die Infektion vorwiegend
wegen Import- und Exportrestriktionen eine Bedeutung. Der
letzte Krankheitsfall in der Schweiz datiert zurück auf 1994.
Serologische Befunde, die im Rahmen des Equinella
Programms erfasst werden, zeigen jedoch zunehmende
Verbreitung des Virus in der Schweiz.
Verbreitung
Weltweit, jedoch mit regionalen Unterschieden. Vor allem
aktuell in den USA sowie England, Spanien, Dänemark und
Schweden. Bekannt u.a. in Polen, Österreich, Italien,
Frankreich. In der Schweiz sind ca. 4.3% der Pferde
seropositiv.
In Europa scheint die Infektionsrate zuzunehmen. Deshalb
wurde im August 1999 ein EU-Projekt „International control
of EAV“ gestartet. Informationen dazu: http://www.eaveu.org/
Seite 95
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), Equine Arteritis
Erreger
Wurde früher als Genus Arterivirus der Familie Togaviridae
zugeordnet. Aufgrund der Genomorganisation,
Replikationsstrategie und Genexpression wurden nun die
Arteriviren als Arteriviridae zusammen mit den Coronaviridae
in der neugeschaffenen Ordnung Nidovirales eingeteilt.
Das EAV ist behüllt, hat einen Durchmesser von 45-70 nm und
besitzt eine unsegmentierte, polyadenylierte ssRNA mit
positiver Polarität.
Es exisitiert nur 1 Serotyp; bei verschiedenen Isolaten mit
unterschiedlicher Virulenz wurden jedoch antigene und
genetische Variabilitäten beobachtet. Die Tenazität von EAV
ist relativ gering.
Virusvermehrung
Auf der genomischen RNA, Länge 12.7 kb, wurden 8 sich
überlappende offene Leseraster (ORF, open reading frame)
identifiziert. Bei der Vermehrung werden, so wie beim PRRS
Virus, subgenomische RNAs mit gemeinsamer Leadersequenz
am 5'- und poly-A-Schwanz am 3'-Ende abgeschrieben. Die 5'Seite des Genoms kodiert für die RNA Polymerase; die 3'Seite vorwiegend für Strukturproteine.
Genexpression
s. PRRS
Epidemiologie
Virusreservoir: persistent infizierte Hengste
(Dauerausscheider). Empfänglich sind Pferde und Esel.
Während der akuten Krankheitsphase (v.a. Fieberphase) wird
das Virus mit Augen- und Nasensekret, Speichel, Urin, Kot
und Sperma ausgeschieden; bei Abort: mit Fötus und
Fruchtwasser. Die Ausscheidung via respiratorische Sekrete
dauert ca. 16, via Urin ca. 21 Tage.
Das Virus wird grundsätzlich auf zwei Wegen übertragen:
aerogen oder via Deckakt (ev. KB).
• Eine aerogene Übertragung kommt praktisch nur während
der akuten Krankheitsphase bei engem Kontakt vor.
• Übertragung via Deckakt: Infizierte Hengste scheiden
Virus mit dem Sperma aus, wobei die Ausscheidungsdauer
verschieden sein kann.
Ein Teil der Hengste scheidet Virus nur während der
Akutphase aus, mit einer Transmissionsrate von 85-100%.
Andere Hengste werden zu Virusträgern, entweder als
Kurzzeit- (einige Wochen) oder als Langzeit- (Monate bis
Jahre) Ausscheider; die Transmissionsrate in diesen Fällen
beträgt 25-50%.
Aufgrund experimenteller Infektionen wird angenommen, dass
30-60% der Hengste zu Virusträgern werden können. Die
Viren persistieren v.a. in Samenvesikeln, Samenleiter und
Prostata und sind nicht Spermien-assoziiert. Während der
Viruspersistenz können Virusvarianten gebildet werden, deren
Einfluss auf die Epidemiologie jedoch noch nicht geklärt ist.
Seite 96
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), Equine Arteritis
Pathogenese
Eintrittspforte: oberer Respirationstrakt
Abort
Makrophagen
Oedeme
Gefässepithel (Media)
Gefässendothelien
Muskel, Organe, Plazenta
Lunge (24 hpi)
Lymphknoten (2 dpi)
Lymphoretikuläres Gewebe (4 dpi)
Eintrittspforten sind der obere Respirations- bzw. der
Genitaltrakt. Respirationstrakt: Infektion von Makrophagen;
mit diesen Transport in die Lunge (innert 24 Std. p.i.), in die
regionären Lymphknoten (innert 2 Tagen) und danach ins
gesamte lymphoretikuläre Gewebe (innert 4 Tagen p.i.).
Genitaltrakt: Genauer Ablauf unbekannt, Art der
Virusverbreitung im Organismus jedoch wie oben.
Eigentliche Zielorgane sind die Gefässendothelien in Muskeln
und verschiedenen Organen (abhängig vom Virusstamm).
Folge: entzündliche Infiltrationen der Arterienwände; später
auch Infektion der Tunica media; Oedeme infolge
Gefässschädigung.
Abort: Bedingt durch Gefässschädigungen in Plazenta
(Oedeme im Endometrium und Nekrosen im Myometrium;
Ablösung der Plazenta.
Klinik
Inkubationszeit 3 - 4 Tage.
Symptome einzeln oder in Kombination: Fieber (bis 4l°C).
Anorexie, Apathie. Konjunktivitis ("pink eye"), Tränenfluss,
ev. Photophobie, Rhinitis; Oedeme, v.a. an Gliedmassen, perioder suborbital, Präputium, Skrotum. Bei Fohlen ev. akute
Pneumonie oder Pneumoenteritis.
Abort (3.-10. Trächtigkeitsmonat) oft ohne andere Symptome
2 - 4 Wochen p.i. Die Fertilität bleibt bei Stuten ungestört; bei
Hengsten kann sich nach Primärinfektion eine transiente
Verschlechterung der Samenqualität einstellen.
Bei Ruhigstellen erholen sich die erkrankten Tiere spontan
innert 1-2 Wochen. Eventuell symptomatische Therapie mit
entzündungshemmenden und diuretischen Mitteln.
Seite 97
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), Equine Arteritis
Immunreaktion
Die Infektion induziert einen guten, vermutlich
lebenslänglichen Immunschutz. Zu Beginn werden allerdings
hauptsächlich nicht neutralisierende Antikörper gebildet.
Neutralisierende Antikörper erscheinen erst einige Wochen p.i.
und sind vorwiegend gegen das Hüllenglykoprotein GL
gerichtet.
Fohlen: Schutz durch maternale Antikörper in ersten
Lebensmonaten.
Prophylaxe
Am wichtigsten ist die Expositionsprophylaxe, insbesondere in
Gestüten (z.B. Zucht nur mit seronegativen Hengsten).
In den USA, in England und in Irland werden Lebend- bzw.
inaktivierte Impfstoffe mit relativ gutem Erfolg eingesetzt.
Diagnose
Verdacht aufgrund der Klinik. Bestätigung durch
Labordiagnose.
Differentialdiagnose
Oedeme: infektiöse Anämie
Abort: EHV-1, Bakterien-, Pilzinfektionen
Bei Verdacht
Einsenden von Untersuchungsmaterial; Untersuchungslabor:
Institut für Veterinär-Virologie der Vetsuisse Fakultät Bern
031 631 2505.
Untersuchungsmaterial
Zum Virusnachweis: bei akuter Erkrankung Nasentupfer,
Rachentupfer, EDTA-Blut; bei Abort: Plazenta und fötale
Organe.
Zum Antikörpernachweis: Vollblut oder Serum.
Labordiagnose
Virusnachweis: Virusisolierung in Zellkultur.
Antikörpernachweis: Serumneutralisationstest; für Diagnose
allerdings nur bedingt brauchbar wegen des späten Auftretens
von neutralisierenden Antikörpern.
Seite 98
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), EVD
EVD
Autoren: Alfred Metzler, Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung \Portrats0405.doc
EVD
Epizootische Virusdiarrhoe
Akut verlaufende, virusbedingte Gastroenteritis bei Ferkeln
und älteren (Mast-) Schweinen.
Besonderheiten
Vermehrung in Zellkulturen besonders schwierig. Neuerdings
AK gegen EVDV in Katzenseren gefunden.
Geschichte
Erstmals 1971 in Grossbritannien festgestellt. Auffallend war
und ist, dass Ferkel im Alter von weniger als 4-5 Wochen nicht
erkrankten ≠ TGE. Heute weltweite Verbreitung. 1988 gelang
es erstmals das EVD Virus in Zellkultur zu vermehren
(Hofmann und Wyler). Es dauerte dennoch bis 2001 bis die
gesamte Genomsequenz bestimmt war (Kocherhans et al.).
Bedeutung CH
Zusammenhang zwischen Seroprävalenz des Virus und Klinik
nur unvollständig geklärt. In 3'000 untersuchten Beständen
fanden sich 48 (1.6%) seropositive Tiere. EVDV eher Kofaktor
im Zusammenwirken mit enteropathogenen E. coli.
Erreger
EVDV ist ein typisches Coronavirus. Einheitlicher Serotyp,
der serologisch von anderen Coronaviren klar abgrenzbar ist
(vgl. TGE). Engste Verwandtschaft mit dem humanen
Coronavirus HCV229E.
Virusvermehrung
wie TGEV
Epidemiologie
wie TGE
Desinfektion
wie TGE
Pathogenese
wie TGE
Klinik
Mit einer geringen Ausnahme wie TGE. Enterozyten älterer
Tiere scheinen für EVDV empfänglicher als jene bei Ferkeln.
Immunreaktion
wie TGE
Impfprophylaxe
Zur Zeit kein Impfstoff verfügbar
Therapie
Verfütterung von geeignetem Kolostrum
Seite 99
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), EVD
Pathologie
wie TGE
Diagnose
Analog wie bei TGE unter Verwendung virusspezifischer
monoklonaler Antikörper für den Antigennachweis.
Virusisolierung in Zellkulturen schwierig. RT-PCR.
Indirekter Virusnachweis (ELISA, IF) unter Verwendung eines
Zellkultur-adaptierten Virusstammes.
Differentialdiagnosen
siehe TGE
Bei Verdacht
siehe TGE
Untersuchungsmaterial
Caudales Jejunum, Ileum für Immunhistochemie, Kot für
ELISA
Labordiagnose
Immunhistochemie, Antigen-ELISA, RT-PCR.
Staatliche Massnahmen
Keine
Literatur
Hofmann, M. & Wyler, R. (1988). Propagation of the virus of
porcine epidemic diarrhea in cell culture. J Clin
Microbiol 26, 2235-9.
Kocherhans, R., Bridgen, A., Ackermann, M. & Tobler, K.
(2001). Completion of the porcine epidemic diarrhoea
coronavirus (PEDV) genome sequence. Virus Genes
23, 137-44.
Seite 100
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
FIP
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
FIP
Feline Infektiöse Peritonitis
FIP ist eine chronische, progressive, meist fatal verlaufende
immunbedingte Erkrankung der Felidae, die durch ein
Coronavirus hervorgerufen wird. Im typischen Fall ist eine
markante Umfangsvermehrung des Bauches, einhergehend mit
zunehmender Apathie und Verwahrlosung der Katze
charakteristisch.
Besonderheiten
Erreger: Unterscheidung von enteralen Coronaviren und FIP
Viren.
Pathogenese: Krankheitsform stark von Immunitätslage
abhängig. Negative Auswirkungen der humoralen Immunität.
Vermehrte Infektion von Makrophagen, wenn Antikörper
gegen virale Oberflächenstrukturen vorhanden sind (ADE =
antbody-dependent enhancement of FIPV infection of
macrophages).
Diagnostik: Zur Zeit gibt es keinen FIP Test, der in vivo
zuverlässige Resultate liefert .
Impfstoffe: Zur Zeit existieren keine wirksamen Impfstoffe
zur Prävention von FIP.
Geschichte
Das Krankheitsbild der FIP wurde erstmals 1963 (Holzworth)
und 1966 (Wolfe und Griesemer) exakt beschrieben und man
zweifelt, ob die Krankheit vor den 1950er Jahren überhaupt
existierte. Mitte der 1970er Jahre stellte sich heraus, dass die
FIP durch ein Coronavirus verursacht wurde. Erst gegen Ende
der 1970er Jahre (Pedersen, 1976) konnte das Virus in vitro
gezüchtet und als Krankheitserreger weiter übertragen werden.
Damit wurde erst ein ernsthaftes Studium der Pathogenese
möglich. Noch immer sind viele unbekannte Faktoren bei der
Entstehung und Epidemiologie der FIP im Spiel. In den Jahren
1998 und 1999 ergaben sich neue Erkenntnisse zur
Pathogenese, welche die alten Vorstellungen zum Teil als
falsch entlarvten.
Verbreitung
Weltweit mit regionalen und saisonalen Unterschieden.
Erreger
Coronavirus der Antigengruppe I. Details siehe TGE. Feline
enterale Coronaviren (FeCV) sind antigenetisch von den FIP
Viren (FIPV) nicht unterscheidbar.
Seite 101
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Virusvermehrung
und Genexpression
siehe TGE. FeCV vermehren sich vorwiegend lokal in den
enteralen Epithelzellen sowie in den entsprechenden
regionalen Lymphknoten. Mittels RT-PCR kann das Genom
der FeCV jedoch auch im Blut gefunden werden. FIPV
verursacht eine systemische Infektion und vermehrt sich in
Monozyten und Makrophagen.
Epidemiologie
Viele Unklarheiten. Sporadisches Auftreten bei Einzeltieren
mit familiärer Häufung. Man nimmt heute an, dass durch
Mutationen im Wirtstier aus enteralen Coronaviren die FIP
Viren entstehen. Virusreservoir sind wahrscheinlich gesund
erscheinende, persistent infizierte Katzen, möglicherweise aber
auch andere Tierarten (Hund, Schwein, Wildfeliden?).
Vertikale und horizontale Übertragung nachgewiesen.
Desinfektion
siehe TGE
Pathogenese
Es bestehen noch sehr viele Unklarheiten. Im klassischen Fall
geschieht die Infektion über den Nasen/Rachenraum. Die
Viren vermehren sich zunächst in den Epithelzellen des
Pharynx, in respiratorischen oder enteralen Epithelzellen,
sowie in den entsprechenden, regionalen Lymphknoten.
Mit der Infektion von Monozyten und Makrophagen kommt es
zu einer Virämie, wobei das Virus zu seinen Zielorganen
(Leber, Peritonäum, Pleura, Uvea, Meningen, Ependymzellen
des Gehirns und des Rückenmarks) verschleppt wird. Ein
entsprechend abgekürzter Weg wird beschritten, wenn die
Infektion parenteral oder in utero erfolgt. Viele Faktoren
beeinflussen den weiteren Infektionsverlauf. Eine wichtige
Rolle spielt das Immunssystem. Ausgeprägte zelluläre
Immunität übt einen günstigen, humorale Antikörperbildung
einen ungünstigen Einfluss aus:
•Parenterale Aufnahme
•In utero
•Viruselimination
•Latenz
•Reaktivierung
Orale Aufnahme
Intestinales Epithel
Fäkale Ausscheidung
Regionale Lymphknoten
Immunantwort
Dissemination mit Phagozyten
Stark (H+Z): Keine Krankheit
H+++;Z+/-: Trockene FIP
H+++;Z-: Klassische FIP
H = humorale Immunität
Z = zelluläre Immunität
Seite 102
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Die Tatsache, dass seropositive Tiere fulminanter erkranken
als Tiere ohne Antikörper gegen Coronaviren, verursacht bei
oberflächlicher Betrachtung Unverständnis. Die Theorie der
ADE (antibody-dependent enhancement) gibt zwar eine
vernünftig klingende Erklärung für dieses Phänomen, wird
heute aber nicht mehr als zentral erachtet:
Durch Opsonisierung von Oberflächenantigenen werden die
FIP Viren effizient in Monozyten und Makrophagen
aufgenommen. Anstatt dass die Viren in den infizierten Zellen
vernichtet werden, kommt es sogar zur Virusvermehrung und
die Zellen werden ihrerseits geschädigt und abgetötet. Da es
sich bei den Makrophagen und Monozyten um wichtige
Komponenten des Immunsystems handelt, tragen bei FIP die
Antikörper indirekt zur Schwächung der Immunabwehr bei.
Infolgedessen sieht der Tierarzt ein fulminanteres
Krankheitsbild, wenn lediglich Antikörper gegen virale
Oberflächenstrukturen da sind, als wenn überhaupt keine
Immunantwort vorliegt. Die fruchtlose Immunantwort schädigt
den Organismus noch weiter durch Bildung und Ablagerung
von Immunkomplexen, zum Beispiel in der Niere.
Seit Ende der 90er Jahre geht man davon aus, dass eine
persistente Infektion mit enteralen Coronaviren eine essentielle
Voraussetzung für FIP ist. Es bestehen Anhaltspunkte für
immunologische Toleranz. Mutationen und Rekombinationen
sind dann entscheidend für die Evolution von echten FIP-Viren
aus den enteralen Coronaviren.
Seite 103
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Immunreaktion
Das Immunsystem ist sowohl an der Krankheitsentstehung als
auch an der Überwindung der Infektion und am Schutz vor
einer Neuinfektion beteiligt. Als Faustregel kann man
annehmen, dass Schutz vor Krankheit mit der Stärke der
zellulären Immunität korreliert, während die humorale
Immunität eher zu den krankmachenden Faktoren zählt.
Während Schutzinduktion stark stammspezifisch zu sein
scheint, ist die Induktion des ADE-Phänomens auch mit nahe
verwandten Viren, z.B. enteralen felinen Coronaviren oder
TGE möglich. Neben Antikörpern und zytotoxischen T-Zellen
spielen auch Komplement und Immunkomplexe eine wichtige
Rolle bei der Entstehung, bzw. der Verhinderung der
Krankheit. Gleichzeitig vorliegende Infektionen mit anderen
Viren, z.B. FeLV oder FIV, können die Immunreaktion
ebenfalls modulieren und damit den Krankheitsverlauf
mitbestimmen.
Impfprophylaxe
Seit 1994 ist ein mlv Impfstoffe verfügbar. Wirksamkeit?
Klinik
Man unterscheidet neben der klassischen FIP (nasse oder
effusive Form) eine sogenannte trockene (nicht efffusive) und
eine gemischte Form. Alle Formen können auch nach langen
Inkubationszeiten (3 - 4 Monate bis mehrere Jahre) auftreten.
Obwohl das Alter von FIP-Katzen variieren kann, sind meist
jüngere Tiere betroffen (jünger als 12 Monate>jünger als 4
Jahre>ältere Tiere). Epidemiologische Abklärungen sind
deshalb besonders schwierig.
Klassische FIP: Apathie, hohes Fieber, stark dilatiertes
Abdomen, struppiges Fell. Die Punktion der Bauchhöhle ergibt
eine geruchlose, gelbe, visköse Flüssigkeit, die sich meist als
zellarmes Exsudat präsentiert. In etwa einem Drittel der Fälle
ist der Pleuralraum mitbetroffen, nur selten jedoch ZNS und
Augen. Krankheitsdauer 1 bis 6 Wochen. Letalität 100%.
Trockene FIP: Vielfältige und inkonstante Symptomatik. Oft
keine abnormale Umfangsvermehrung des Abdomens. Häufige
Frühsymptome sind Inappetenz, Apathie, Abmagerung, sowie
chronisches, fluktuierendes, therapieresistentes Fieber. ZNS
und Augen in etwa der Hälfte der Fälle mitbetroffen. Krankheit
schleppt sich oft wochenlang (bis 12 Wochen) dahin, endet
aber praktisch immer tödlich.
Gemischte Form: Alle Abstufungen zwischen klassischer und
trockener Form denkbar.
Seite 104
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Diagnose
Histologische Untersuchung einer Biopsieprobe mit
Antigennachweis unter Berücksichtigung der Anamnese, der
klinischen Symptome und der Labortests. Falls der
Antigennachweis negativ verläuft, besteht immer noch eine
Unsicherheit, weil unter Umständen die Probe aus einem
antigenfreien Bezirk einer FIP-erkrankten Katze stammt
(Sensitivität des Tests). Der Antikörpernachweis ist sehr
problematisch, da Anti-FIPV-Antikörper auch bei Infektion
mit FeCV entstehen (Spezifität des Tests). Klassische FIP kann
eher leicht diagnostiziert werden, während die Diagnose der
trockenen FIP intra vitam sehr schwierig zu stellen ist.
Differentialdiagnosen
Chylothorax, Pyothorax, Tumore, Herzinsuffizienz,
Hypoproteinämie, Leberzirrhose, Zwerchfellshernie,
bakterielle Peritonitis, Pansteatitis (Entzündung der
Fettgewebe). Bei der nicht effusiven FIP-Form spielt das
Lymphom/Lymphosarkom die wichtigste
differentialdiagnostische Rolle.
Bei Beteiligung der Augen am Krankheitsbild muss zusätzlich
an Toxoplasmose, Mykosen oder Lymphosarkom gedacht
werden.
Bei Verdacht
Sorgfältige Erhebung der Anamnese und der klinischen
Parameter. Hämatologische Untersuchung (Lc: Leukozytose
und/oder Lymphopenie? Ec: Normochrome normozytäre
Anämie mit erniedrigten Werten von Ec, Hk, Hb und normalen
Werten von MCHC und MCV; Fibrinogen: erhöht;
Plasmaprotein: erhöht). Klinische Chemie:
(Hyperbilirubinämie; erhöhte Werte von AP und GOT,
Serumlipase, Serumamylase. Totalprotein im Serum erhöht bei
gleichzeitiger Erniedrigung der Albuminwerte und Zunahme
der Globulinwerte).
Bauchhöhlen- und/oder Brusthöhlenpunktion.
Eventuell Probelaparatomie mit Entnahme einer Biopsieprobe.
Virologische und serologische Abklärungen.
Ausschluss anderer Krankheitsursachen.
Untersuchungsmaterial
Intra vitam: Punktat, eventuell Biopsieprobe (unter
Sichtkontrolle während explorativer Laparotomie zu
entnehmen).
EDTA-Blut, sowie Serum für hämatologische, klinischchemische, virologische und serologische Untersuchungen.
Post mortem: Ganze Katze für pathologische und
histopathologische Untersuchungen.
Labordiagnose
Nachweis der viralen RNA mittels RT-PCR (Taqman).
Antigennachweis mittels Immunfluoreszenz.
Antikörperbestimmung mit Vorsicht interpretieren.
Seite 105
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
PRRS
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
PRRS
PORCINE RESPIRATORY AND
REPRODUCTIVE SYNDROME
(Syn.: Seuchenhafter Spätabort der Schweine; Mystery Swine
Disease; Porcine Epidemic Abortion and Respiratory
Syndrome, PEARS)
Hochansteckende, akut und chronisch verlaufende,
grippeähnliche Virusinfektion der Schweine, mit schweren
(transienten?) Folgen für die Reproduktionsleistung in
Zuchtbetrieben. Charakteristisch ist ein vorübergehendes
Fieber und Beeinträchtigung der Atmung (interstitielle
Pneumonie). Kurzzeitig können cyanotische Veränderungen an
Bauch, Extremitäten und Ohren auftreten. In Zuchtbetrieben
treten in der akuten Phase in bis zu 50% der Würfe erhöhte
Verluste auf; durch Aborte in der letzten Trächtigkeitswoche,
Früh- oder Spätgeburten mit toten (normal, mazeriert oder
mummifiziert) oder lebensschwachen Ferkeln. Die Absetzrate
ist daher deutlich vermindert. (Mast) Ferkel zeigen deutliche
Atembeschwerden und verminderte Mastleistung.
Besonderheiten
Hohe Kontagiosität; neue Impfstoffe
Komponente des "porcine dermatitis and nephropathy
syndrome" (PDNS)(siehe Porträt CIRCO)
Infos auf dem Internet: http://www.prrs.com
Geschichte
"Neue" Virusinfektion, erstmals 1987 in USA, 1990 in Europa
aufgetreten.
Verbreitung
USA (unter dem Namen "Mystery Disease" seit 1987). Kommt
in den meisten europäischen Ländern vor. Enzootisch in UK
und Malta. Sporadisch in Oesterreich, Dänemark, Frankreich,
Deutschland, Niederlande, Spanien. Vorkommen gemeldet aus
Belgien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Polen. Im
Zusammenhang mit illegalen Importen von Schweinen aus
Frankreich kam es 1997 zum Erstenmal zu einem Nachweis
von PRRS in der Schweiz. Nach der Ausmerzung der
betroffenen zwei Betriebe gilt die Schweiz weiterhin als frei
von PRRS. Es werden trotz hoher Seroprävalenz kaum mehr
Krankheitsausbrüche aus der EU gemeldet.
Seite 106
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Erreger
PRRSV ist dem Genus Arterivirus innerhalb der Familie
Arteriviridae zugeordnet. Aufgrund der Eigenschaften des
Genoms und der Virusreplikation erfolgte gegen Ende der
1990iger Jahre die Aussonderung der Arteriviren (inklusive
PRRS) aus den Togaviridae und die Zuordnung zur Ordnung
Nidovirales.
Struktur: Kleines bis mittelgrosses RNA Virus, Ø 45-65 nm,
behüllt, ikosahedrale Symmetrie. ssRNA mit positiver
Polarität, nicht segmentiert, circa 15 kb.
Virusvermehrung
Erreger lässt sich ausserhalb des Organismus nur in
(Alveolar)Makrophagen von 6 bis 10 Wochen alten Schweinen
vermehren. Nur wenige Details sind zur Zeit bekannt. Auf der
genomischen RNA wurden 7 sich überlappende Leseraster
(ORF, open reading frame) beschrieben. Bei der Vermehrung
werden von der genomischen RNA mindestens 6
subgenomische RNAs abgeschrieben, welche (ähnlich wie die
Coronaviren) ein gemeinsames 3'-Ende mit einem poly-ASchwanz aufweisen. Auch am 5'-Ende weisen alle RNAs eine
gemeinsame Sequenz, die "leader"-Sequenz auf. Jeweils das
erste ORF auf jeder positiv orientierten RNA wird in ein
einziges Protein translatiert.
Genexpression
Im Unterschied zu "echten" Togaviren wird also das Genom
des Erregers von PRRS nicht zuerst als Polyprotein
translatiert, das dann wiederum proteolytisch gespalten wird.
Vielmehr erfolgt die Genexpression ähnlich wie bei den
Coronaviren.
PRRSV Gene und Genprodukte
a) Genom
Frame1
ORF4
Polymerase
ORF3
Membranprotein
Frame2
ORF2
ORF5
Nucleocapsid
Frame3
b) RNAs
5'
"leader"
3'
Poly-A
Wie stark die einzelnen subgenomischen RNAs exprimiert
werden, hängt mit von der Struktur derjenigen Sequenzen ab,
an die der "leader" bindet. Details sind noch nicht bekannt.
Seite 107
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Epidemiologie
Hauptverbreitung über Tierverkehr. Lokale Verbreitung (max.
3 km) unter günstigen atmosphärischen Bedingungen mit
Wind möglich. Die Übertragung durch den Samen, Fleisch,
Fahrzeuge soll keine Rolle spielen.
Desinfektion
Relativ geringe Tenazität, Desinfektionsmittel mit
Detergentien wirksam. Erfolgreich eingesetzt wurden zum
Beispiel "Vircon S" (Mischung aus Peroxyd, organischen
Säuren und Lösungsmitteln), sowie "Farm fluid S" (bestehend
aus organischen Säuren, Detergentien und Bioziden). Beide
Mittel werden von Antec International, Sudbury, Suffolk, U.K.
vermarktet.
Pathogenese
Die Übertragung kann direkt erfolgen oder auch über Aerosol
geschehen. Auch transplazentare Infektion wurde schon
beschrieben. Bei experimentellen Infektionen konnte das Virus
ab dem zweiten Tag p.i. bis zwei Monate p.i. aus
Lungengewebe isoliert werden. Virale Antigene wurden in den
Epithelzellen der Bronchien, den Alveolarzellen, sowie in den
Milzzellen gefunden.
Immunreaktion
Die meisten Tiere entwickeln eine belastbare Immunität nach
der Überwindung der Infektion. Weil das Virus noch lange
nach der Abheilung in den betroffenen Beständen gefunden
wird, vermutet man, dass sich bei einigen Tieren eine
persistente Infektion entwickeln kann. Genaueres ist noch nicht
bekannt.
Impfprophylaxe
In der Schweiz nicht verfügbar. Es wurden sowohl inaktivierte,
wie auch mlv Impfstoffe entwickelt. Für die inaktivierte
Vakzine werden PRRSV auf primären Alveolarmakrophagen
vermehrt. Dieser Impfstoff hat weder bezüglich Wirksamkeit
noch bezüglich Sicherheit (extraenous agents) einen guten Ruf.
Von der mlv Vakzine wurden im ersten Jahr 16 Millionen
Dosen allein in den USA verkauft. In Europa erfolgt der
Einsatz zurückhaltender, weil PRRS eine anzeigepflichtige
Seuche darstellt. Deshalb wird abgewägt, ob sich eher die
Impfung oder die Eradikation lohnt.
Seite 108
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), PRRS
Klinik
Bei jungen Tieren treten bereits zwei Tage nach Kontakt mit
infizierten Schweinen Krankheitssymptome auf; bei älteren
Tieren erst nach 4 bis 7 Tagen. Von Tier zu Tier und von Hof
zu Hof werden unterschiedliche Symptome festgestellt.
Primäre Krankheitszeichen sind grippeartig, mit Fieber,
Fressunlust, blaue (haemorrhagische) Extremitäten. Sekundär
stellt man erhöhte Mortalität infolge von Pneumonie fest. Erst
später werden die Folgen der intrauterinen Infektionen
bemerkt. Zwei bis sieben Wochen nach der Infektion treten
Aborte, Totgeburten, Frühgeburten und Umrauschen auf.
Manchmal sieht man auch Mummifikationen, Anoestrus,
lebensschwache Ferkel.
Verdacht, Diagnose
Wenn zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt und andere
Abortursachen (KSP, ASP, Aujeszky, Brucellose,
Leptospirose) ausgeschlossen sind, handelt es sich mit grosser
Wahrscheinlichkeit um PRRS: 1) Totgeburten >20%. 2)
Aborte und Frühgeburten >8%. 3) Mortalität bei Saugferkeln
>25%. Heute Reproduktionsproblematik im Hintergrund
gegenüber Respirationsproblemen.
Differentialdiagnosen
Andere Abortursachen (siehe Verdacht),
Respirationserkrankungen anderer Genese.
Folgende Infektionen sollten unbedingt ausgeschlossen
werden: Aujeskzy, Schweinepest (ASP und KSP), Influenza,
EMC, Leptospiren.
Bei Verdacht
Kontakt mit Institut für Viruskrankheiten und
Immunprophylaxe (IVI)
031 848 9211 aufnehmen, wegen Materialeinsendung.
Kantonstierarzt benachrichtigen.
Untersuchungsmaterial
Infizierte Gewebe. Weisungen der Untersuchungsstelle.
Labordiagnose
Antigennachweis aus Blut- und Körperflüssigkeit von
lebensschwachen bzw. frischtoten Ferkeln in Zellkultur und
mit PCR. Antikörpernachweis im Serum zwei Wochen nach
Infektion (Doppelproben! Serokonversion). Über die Hälfte
der Tiere serokonvertieren im Bestand, d.h. fünf Proben aus
einer epidemiologischen Einheit genügen.
Information
http://www.thepigsite.com
Seite 109
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), SARS
SARS
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0304.doc
SARS
Severe acute respiratory syndrome
Schwere und akute Erkrankung des Respirationstrakts beim
Menschen mit relativ hoher Letalität. Verursacht von einem im
Winter 2002/03 neu aufgetretenen Coronavirus.
Besonderheiten
Neues Coronavirus, welches nicht klar von einem bisher
charakterisierten Virus abstammt. Natürliches Reservoir in
asiatischen Wildtieren, u.A. in der Zibetkatze und in
Fledermäusen. Es wird vermutet, die Infektion sei über den
Konsum von Fleisch dieser Tiere auf den Menschen übertragen
worden. In China werden beide Tierarten auf Märkten zum
Verkauf angeboten.
Geschichte
SARS als Krankheit trat erstmals im Herbst 2002 in der
südchinesischen Provinz Guangdong auf. Die neue Infektion
wurde zunächst nicht als solche erkannt und eingedämmt.
Deshalb konnte sie sich im Laufe des Winters unerkannt
ausbreiten. Erst am 11. Februar 2003 wurde die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingehend informiert und
konnte eine bislang beispiellose Campagne gegen diese
Infektionskrankheit eröffnen. Aufgrund dieser Anstrengungen
wurde SARS im Laufe des Sommers 2003 als besiegt, bzw.
"unter Kontrolle" erklärt.
Verbreitung
SARS breitete sich über die ganze Welt aus und erfasste bis
zum 15. August 2003 alle sechs Kontinente und 31 Länder.
Am stärksten betroffen war China, gefolgt von Hong Kong,
Singapore und Kanada. Es wurde eine Gesamtzahl von 8'422
Fällen erfasst. 916 Patienten, also über 10% (case fatality rate
11%), starben an dieser Krankheit.
Erreger
Nach heutigen Erkenntnissen wird SARS von einem "neuen"
Coronavirus verursacht. "Neu" heisst in diesm Fall "neu
entdeckt", nicht "neu entstanden", wobei die beiden Begriffe
auch ineinander übergehen können, weil sich ein "neues" Virus
natürlich an seinen neuen Wirt anpasst und innerhalb weniger
Passagen auf genetischer Ebene verändern kann.
Seite 110
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), SARS
Obwohl das Genom des SARS Coronavirus extrem schnell
sequenziert werden konnte, ist die Einteilung des Virus bis
heute umstritten. Aufgrund der Aminosäure Sequenz des SGlykoproteins passt das Virus am ehesten in die Gruppe II der
Coronaviren. Demgegenüber fehlt dem Virus ein Gen für die
Hämagluttinin Esterase (HE), welches die Gruppe II
charakterisiert.
Aufgrund der Reihenfolge seiner Gene auf der RNA könnte
man das SARS Coronavirus in die Gruppe III einteilen.
Andererseits fehlt diesbezüglich antigenetische
Verwandtschaft.
Die Di- und Trinukleotid Sequenzanalyse schliesslich, welche
die genomische Verwandtschaft in ihrer Gesamtheit betrachtet,
gruppiert das SARS Coronavirus in die nächste Nähe zum
TGE Virus und den anderen Viren der Gruppe I.
Bemerkenswert ist zudem eine serologische Verwandtschaft zu
den Gruppe I Coronaviren.
Abbildung (Tobler, 2003). Verwandtschaft der verschiedenen Coronaviren
gemäss Di-Nukleotid Analyse. Die Abstände korrelieren mit dem relativen
Verwandtschaftsgrad. 229E: humanes Coronavirus 229E; EVDV: Virus der
Epizootischen Virusdiarrhoe des Schweins; IBV: infektiöses Bronchitis
Virus des Geflügels; MHV: Maushepatitis Virus.
Virusvermehrung und
Genexpression
Epidemiologie
Siehe TGE.
Reservoir in Fledermäusen (Chinese Horseshoe Bat) und
Zibetkatzen. Direkte und indirekte Übertragung. Als
Hauptgrund für die rasche Verbreitung ist die zögerliche
Haltung der chinesischen Behörden und der Flugreiseverkehr
anzusehen. Dabei verschleppten Patienten in der
Inkubationszeit die Infektion über den ganzen Globus.
Seite 111
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), SARS
Bilder: links Horseshoe Bat; rechts Zibetkatze.
Desinfektion
Siehe TGE.
Pathogenese
Noch nicht vollständig geklärt.
Immunreaktion
Antikörper entwickeln sich offensichtlich langsam. Patienten
sind häufig bis 28 Tage nach der Infektion seronegativ. Ob der
Erkrankung auch eine immunpathologische Komponente
zugrunde liegt ist bislang nicht genau geklärt (siehe FIP).
Impfprophylaxe
Impfstoffe stehen noch nicht zur Verfügung.
Klinik
Es handelt sich um eine Erkrankung des Respirationstrakts.
Inzwischen werden 3 klinische Formen unterschieden:
Asymptomatische oder milde Form.
Mittelgradige Form: Körpertemperatur über 38°C sowie eines
oder mehrere folgender Symptome: Husten, Atemnot,
Schweratmigkeit, Sauerstoffmangel.
Schwere Form: zusätzlich zu Symptomen der Mittelgradigen
Form: radiologischer Nachweis einer Pneumonie oder
Nachweis einer Pneumonie unbekannter Genese anlässlich der
Autopsie.
Es herrschen Anzeichen von Lungenentzündung vor.
Pathologie
Seite 112
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), SARS
Abbildung (Kziasek, 2003). Makrophagen überwuchern das
Lungengewebe. Infizierte Zellen verschmelzen zu vielkernigen
Synzytien.
Diagnose
Zur Diagnosestellung werden sowohl klinische als auch
epidemiologische und labortechnische Daten (siehe unten)
herangezogen. Klinik (wie oben beschrieben) plus zusätzlich:
• Reise innerhalb der letzten 10 Tage vor Ausbruch der
Krankheit in ein von SARS betroffenes Gebiet
(insbesondere China, Hong Kong, Hanoi, Singapore,
Toronto, Taiwan).
• Enger Kontakt innerhalb der letzten 10 Tage mit einer
Person, die an SARS erkrankt war.
Die klinische Diagnostik im Verdachstsfall umfasst zudem die
Erhebung der Körpertemperatur, Puls, Sauerstoffmessung,
Röntgen des Brustkorbes, Gramfärbung von Sputum,
bakteriologische Kultivierung von Sputumproben, virologische
Untersuchung auf Influenza A und B sowie Respiratorisches
Syncytialvirus (RSV).
Labordiagnose
Bestätigter Fall:
• Nachweis von Antikörpern gegen das SARS
Coronavirus oder
• Nachweis von SARS Coronavirus RNA mittels RTPCR, bestätigt in zwei unabhängigen Tests unter
Verwendung separater Proben oder
• Isolation des SARS Coronavirus in Zellkultur
Negativer Fall: Keine Antikörper gegen das SARS
Coronavirus im Serum eines rekonvaleszenten Patienten,
mindestens 28 Tage nach Beginn der Krankheit.
Seite 113
Kapitel, Nidovirales (Corona- und Arteriviren), SARS
Differentialdiagnose
Alle Krankheiten des Respriationstraktes anderer Genese,
insbesondere bakterieller oder viraler Natur (Influenza, RSV).
Untersuchungsmaterial
Proben vom Respirationstrakt (immer beide Nasenlöcher
beproben):
• Katheter in Nase einführen und spülen mit 2-3 ml
physiologischer Kochsalzlösung. Waschflüssigkeit in
einem sterilen Röhrchen auffangen sowie
• Sterilen Tupfer in die Nase einführen und ein paar
Sekunden liegen lassen sowie
• Mit sterilem Tupfer in die Mundhöhle fahren ohne die
Zunge zu berühren. Ein paar Sekunden im Bereich des
Pharynx und der Mandeln liegen lassen.
Tupfer steril verpacken und nach Absprache mit dem
Bundesamt für Gesundheit (BAG, 031 323 8706;
http://www.bag.admin.ch) an ein Diagnostiklabor einsenden.
Normale Bakteriologietupfer oder Wattestäbchen auf Holz
NICHT verwenden (Störung der RT-PCR durch Zusatzstoffe).
Bekämpfung
Das Bekämpfungskonzept basiert auf Expositionsprophylaxe
und Diagnostik sowie weltweiter Koordination durch die
WHO.
Literatur und Links
Tobler et al., 2003. SARS, mögliche Zoonose im
Spannungsfeld tierpathogener Coronaviren. Schweiz.
Arch. Tierheilk. 145, 316-322.
Ksiazek et al., 2003. A novel coronavirus associated with
severe acute respiratory syndrome, N. Engl. J. Med.
2003.
Li, W. et al., 2005. Bats are natural reservoirs of SARS-like
Coronaviruses. Science 310, 676-679.
http://www.who.int/csr/sars
http://www.cdc.gov/ncidod/sars
Seite 114
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
TGE
Autoren: Alfred Metzler, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
TGE
Transmissible Gastroenteritis
Akut verlaufende, virusbedingte Gastroenteritis bei
Saugferkeln, die in neu infizierten Beständen mit hoher
Morbidität und Letalität einhergeht.
Besonderheiten
Das Virus der Transmissiblen Gastroenteritis (TGEV) ist
enteropathogen. Eine apathogene Deletionsmutante, Porcines
Respiratorisches Coronavirus (PRCV), zeigt Prädilektion für
den Respirationstrakt.
Geschichte
Die TGE wurde 1946 erstmals in den USA festgestellt und als
eigenständige Viruserkrankung beschrieben. In infizierten
Beständen können die Verluste enorm sein.
Um 1985 trat in Europa eine nahezu apathogene Virusmutante
in Erscheinung (PRCV), die durch folgende Charakteristika
gekennzeichnet ist: Prädilektion für den Atemtrakt und
wirksame aerogene Ausbreitung. Antigenetisch/serologisch
fast identisch mit TGEV. Dies bewirkt einerseits im Feld eine
gewisse Immunität gegenüber TGEV, andererseits ist mit dem
Auftreten von PRCV die seroepidemiologische Kontrolle von
TGE viel schwieriger geworden. Dies wirkt sich nachteilig auf
den Handel aus, da häufig "frei von TGE" gefordert wird.
Verbreitung
Weltweit . In der Schweiz bisher nur zwei isolierte TGEAusbrüche (1985). PRCV ist demgegenüber auch bei uns weit
verbreitet. Prävalenz seropositiver Tiere rund 75%.
Erreger
TGEV ist ein typischer Vertreter der Familie Coronaviridae.
Seite 115
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
S
M
E
(HE)
N
Lipid
Bilayer
RNA
Abb. 1. Schema eines Coronavirus. Nomenklatur der viralen Proteine:
S = Surface glycoprotein; M = Membranprotein; E = Envelope protein;
N = Nucleoprotein.
CAVE: HE = Hämagglutinin-Esterase kommt nur bei Coronaviren der
Gruppe II vor.
Behüllt, pleomorph, 80-160 nm messende Virionen (Abb. 1).
Die Hülle enthält charakteristische Protrusionen, sogenannte
Spikes oder Peplomeren in Form eines Multimers aus dem
Virus-spezifischen Glykoprotein S. Dieses bildet die
Grundeinheit der Peplomeren und vermittelt die
Virusadsorption. N - Protein steht in direktem Kontakt mit dem
viralen Genom und sorgt für den helikalen Aufbau. Cryoelektronenmikroskopische Studien postulieren neuerdings auch
einen icosahedralen Aufbau der Coronaviren. Die Funktionen
von M und E sind noch nicht genau bekannt.
Die meisten Coronaviren der Antigengruppe II (siehe Tab. 1)
verfügen zusätzlich noch über eine Hämagglutinin-Esterase
(HE-Protein).
Die einzelsträngige, 27 - 30 kb umfassende (riesig!) RNA hat
positive Polarität, d.h. die Nukleinsäure ist infektiös ->
(+)ssRNA.
Seite 116
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Tabelle 1
Antigengruppe
I
II (mit HE)
III
Virus/Wirt
Organspezifität
HCV 229E/Mensch
TGEV/Schwein
PRCV/Schwein
EVDV/Schwein
CCV/Hund
FeCV/Katze
FIPV/Katze
Respirationstrakt
Darm
Lunge
Darm
Darm
Darm
Lunge, Leber,
ZNS, Gelenke, u.a.
SARS-CV/Mensch* Respirationstrakt
HCV OC42/Mensch Darm
MCV/Maus
Lunge, Darm,
Leber, ZNS
RCV/Ratte
Lunge
HEV/Schwein
Darm, ZNS
BCV/Rind
Darm, Lunge**
TCV/Truthahn***
Lunge, Darm
IBV/Huhn
Bursa fabricii
HCV = Humanes Coronavirus; TGEV = Transmissibles
Gastroenteritis Virus; PRCV = Porcines Respiratorisches
Coronavirus; EVDV = Epizootisches (Epidemisches)
Virusdiarrhoe Virus; CCV = Canines Coronavirus; FeCV =
Felines enterales Coronavirus; FIPV = Felines Infektiöses
Peritonitis Virus; MCV = Maus Coronavirus; RCV = Ratten
Coronavirus; HEV = Hämagglutinierendes Enzephalomyelitis
Virus; BCV = Bovines Coronavirus; IBV = Infektiöses
Bursitis Virus; TCV = Truthahn Coronavirus.
*Eineilung noch nicht definitiv in Gruppe I.
**BCV kann auch aus der Lunge isoliert werden.
***aufgrund von Nukleinsäure Analysen wird TCV (früher
Gruppe IV) heute der Antigengruppe II zugeordnet, obwohl
keine serologische Verwandtschaft besteht.
Coronaviren verhalten sich nicht immer streng wirtsspezifisch,
d.h. das Wirtsspektrum kann mehrere Tierarten umfassen. Die
Viren zeigen eine spezifische Prädilektion für einzelne oder
mehrere Organe. Auf Grund der Antigenität unterscheidet man
3 (früher 4) eigenständige Serogruppen (Tab. 1). Beim TGEV
kommt nur ein Serotyp vor. Das PRCV, eine Virusmutante,
unterscheidet sich von TGEV durch einen Antigenverlust auf
S, der bei TGEV mit einem einzelnen, nicht neutralisierenden
monoklonalen Antikörper erfasst werden kann.
Seite 117
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Virusvermehrung und
Genexpression
Die Virusvermehrung erfolgt ausschliesslich im Zytoplasma.
(Abb. 2)
1. Das Virus adsorbiert vermittels Protein S an die Wirtszelle.
2. Protein S induziert weiter die Penetration des Virus in die
Wirtszelle
Merke: Antikörper gegen S können das Virus neutralisieren,
d.h. sie verhindern die Adsorption und/oder die Penetration.
3. Im Zellinnern erfolgt die Bildung eines primären
Translationsproduktes. Dieses ist eine Polymerase und an der
nachfolgenden RNA-Replikation sowie an der Synthese von
mRNA beteiligt.
4. Bildung eines (-)ssRNA-Stranges und Synthese von
subgenomischer (mRNA) und genomischer RNA. Alle
(+)RNA-Stränge besitzen sowohl eine identische 5'Leadersequenz, als auch gleiche 3'-Enden.
5. Translation der mRNA an ER-ständigen (M und S werden
kotranslational glykosyliert), bzw. an freien Ribosomen (nicht
glykosylierte Proteine). Bildung von (+)ssRNA.
Replikation und Genexpression
D:\ Vi_ port r\ Coro_ Rep.PRS
Abb. 2. Schema der Virusvermehrung
6. Nukleokapside sprossen an Membranen des ER dort, wo die
Glykoproteine M und S eingelagert sind.
7. Die noch unreifen, nicht infektiösen Viruspartikel gelangen
vom ER in den Golgi-Apparat, wo die sog. sekundäre
Glykosylierung stattfindet, die vorwiegend bei den
Coronaviren der Antigengruppe II nachgewiesen wurde.
Schliesslich sprossen vom Golgi-Apparat virushaltige Vesikel,
die nach Fusion mit der Zellmembran die reifen Virionen
entlassen. Das auf der Zelloberfläche in Erscheinung tretende
Glykoprotein S ist für die in Zellkulturen bei vielen
Coronaviren zu beobachtende Synzytienbildung, d.h. die
Bildung mehrkerniger Riesenzellen verantwortlich.
Seite 118
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Die Strategie der Virusvermehrung ist in Abb. 3 nochmals
stark vereinfacht dargestellt.
(+)ssRNA
Polymeraseprotein(e)
(-)RNA
(+)RNA aus:
mRNA
genomische RNA
sekundäre
Translationsprodukte
Viruspartikel
Abb. 3. Strategie der Virusvermehrung
Epidemiologie
TGEV-Infektionen werden durch Virusträger, die inapparent
Viren ausscheiden, aufrechterhalten und in andere Bestände
verschleppt. Keine transplazentare Übertragung. Vor dem
Auftreten von PRCV konnte die Einschleppung von TGEV
wirksam verhindert werden, wenn man nur seronegative Tiere
aus TGE-freien Beständen zukaufte.
Akut infizierte Schweine scheiden das Virus während rund 2
Wochen, in Einzelfällen bis zu 8 Wochen mit dem Kot aus.
Der Virusnachweis gelingt oft über Tage auch im
Lungengewebe. Wahrscheinlich ist PRCV aus einer
Subpopulation von TGEV entstanden, die sich im
Lungengewebe vermehren kann. Bei laktierenden Tieren findet
sich das Virus auch in der Milch. TGE tritt vornehmlich im
Winterhalbjahr auf. Eine Temperatur-abhängige Erhöhung der
Virustenazität wird als möglicher Grund angesehen.
Einzelne Beobachtungen deuten darauf hin, dass TGEV durch
Vögel passiv verschleppt werden kann. Hunde, Katzen und
Füchse werden als mögliches Virusreservoir diskutiert.
Experimentell können die genannten Spezies mit TGEV
infiziert werden. Dabei scheiden die subklinisch infizierten
Tiere das Virus während Wochen mit den Faezes aus. Die
praktische Bedeutung dieser Beobachtung ist unklar.
Seite 119
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Desinfektion
Bei Raumtemperatur ist TGEV, wie bei Coronaviren üblich,
relativ stabil. Bei 37°C beobachtet man innerhalb von 24 Std.
eine Titerreduktion um den Faktor 10. In gefrorenem Zustand
behält das Virus seine Infektiosität mehr als ein Jahr lang. Die
rein thermische Inaktivierung wirkt sich unterhalb von 45°C
auf die Nukleinsäure, oberhalb von 45°C zusätzlich auf die
strukturelle Integrität aus. Sonnenlicht entfaltet eine starke
viruzide Wirkung. Lipidlösungsmittel sind potente
Virusinaktivatoren.
Die meisten Stämme von TGEV werden durch Trypsin nur
unwesentlich beeinträchtigt. Auch niedrige pH-Werte (>3)
werden gut ertragen. Diese Eigenschaften begünstigen die
Magenpassage und den Transport im Dünndarm.
Für die chemische Desinfektion eignen sich NaOCl (Natrium
Hypochlorit, Chavel), NaOH, Formaldehyd (inkl. Dämpfe),
Iod, Phenol- und Phenolderivate sowie quaternäre
Ammoniumverbindungen.
Pathogenese
TGEV gelangt auf fäkal-oralem Weg in den Körper und wird
abgeschluckt. Der aerogen möglichen Infektion mit TGEV
kommt im Gegensatz zu PRCV eine untergeordnete Bedeutung
zu. Wenn das Virus dem im Magen und Dünndarm
herrschenden Milieu (pH-Wert, Proteasen, Gallensalze)
widersteht, wird es schliesslich an Enterozyten des
Dünndarmes adsorbieren. Entsprechend lässt sich folgern, dass
TGEV v.a. für neugeborene Ferkel eine Gefährdung darstellt.
Die Infektion kulminiert in einem Maladsorptionssyndrom,
das durch einen massiven Verlust an Enterozyten, und damit
einhergehend, eine Zottenatrophie gekennzeichnet ist. Beim
ungeschützten Ferkel tritt der Tod als Folge von
Dehydratation, metabolischer Azidose sowie einer induzierten
Hyperkaliämie ein.
Virus-infizierte Enterozyten lassen sich fluoreszenzserologisch
oder immunhistochemisch nachweisen. Im akuten
Krankheitsfall ist praktisch der gesamte Dünndarm von
Enterozytenverlust und Zottenatrophie betroffen. Die durch
das Virus zerstörten Enterozyten werden relativ schnell durch
proliferierende Zellen aus den Darmkrypten ersetzt.
Dieser Vorgang verläuft bei älteren Tieren schneller als bei
jüngeren. Die Regenerationszellen sind jedoch zunächst
metabolisch wenig aktiv, sodass der Maladsorption nicht
entgegengewirkt wird. Indessen sind diese Zellen vorerst
wenig empfänglich für das Virus, sodass bei älteren Tieren
eine gewisse Resistenzentwicklung resultieren dürfte.
Seite 120
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Der Schweregrad der Krankheit wird durch verschiedene
Faktoren beeinflusst. Hierzu gehören Zinkmangel, Anämie,
niedrige Umgebungstemperatur oder Infektionen mit anderen
Infektionserregern. Der wichtigste Faktor ist jedoch das Fehlen
oder Vorhandensein einer laktogenen Immunität, welche die
Ferkel bis zum Absetzen wirksam zu schützen vermag.
Immunreaktion
A k t i v e I m m u n i t ä t . Eine belastbare Immunität setzt
die Ausbildung einer lokalen Darmimmunität voraus. Diese
kommt dann zustande, wenn das Virus (Feld- oder Impfvirus)
im Darm eine Vermehrung erfährt. Das wirksame Prinzip sind
sekretorische Immunglobuline (IgA), wobei auch zelluläre
Immunmechanismen zum Tragen kommen (Details unklar).
Die komplikationslose Genesung geht mit einer prompt
einsetzenden Immunantwort einher. Nach einer akuten
Darminfektion treten auch Serum-IgA auf. Nur bedingt jedoch
nach parenteralen Impfungen. Der Nachweis von IgA im
Serum kann demzufolge diagnostisch ausgewertet werden.
Nach natürlicher Infektion ist die Dauer der belastbaren
Immunität relativ kurz (6 - 18 Monate). In verseuchten
Beständen kommt es immer wieder zu Reinfektionen, so dass
der Antigenstimulus (Booster-Effekt) aufrechterhalten bleibt.
l a k t o g e n e I m m u n i t ä t . Muttersauen, die 3-5
Wochen ante partum eine TGE durchmachen, weisen
nachfolgend in der Milch hohe Titer von IgA- (und IgG-)
gegen TGEV auf. Diese gewährleisten beim Saugferkel eine
kolostrale/laktogene Immunität. Für einen wirksamen Schutz
ist notwendig, dass die Ferkel mehrmals täglich
antikörperhaltige Milch aufnehmen können. Der Ursprung der
auffallend hohen Antikörpertiter in der Milch ist damit zu
erklären, dass im Darm sensibilisierte B-Lymphozyten über
den Kreislauf in die Milchdrüsen gelangen.
Impfprophylaxe
Kommerziell erhältliche Lebendimpfstoffe vermögen nicht zu
befriedigen. Infektion mit PRCV induziert experimentell zwar
keine zuverlässsige Darmimmunität gegen TGEV, es zeigt sich
aber im Feld, dass mit dem Aufkommen von PRCV die Anzahl
und der Schweregrad der TGE Ausbrüche stark
zurückgegangen ist.
In stark betroffenen Ländern ohne staatliche Bekämpfung der
TGE werden neu infizierte Bestände mittels "Notimpfung"
(-infektion) trächtiger Sauen ca. 4-5 Wochen ante partum
durch Verfütterung virushaltiger Därme oder Exkremente
geschützt. Ziel dieser pragmatischen Massnahme ist eine
laktogene Immunisierung der Ferkel.
Seite 121
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Klinik
Die Inkubationszeit beträgt zwischen 18 Stunden und 3 Tagen.
Der Schweregrad der Krankheit, deren Dauer und die Letalität
nehmen mit zunehmendem Alter ab. Bei ungeschützten
neugeborenen Ferkeln erreicht die Mortalität annähernd 100%.
Bei mehr als 3 Wochen alten Ferkeln nur vereinzelte Abgänge,
ausser es wirken zusätzliche Noxen (Kälte, Zweitinfektionen).
Die Symptomatik umfasst vorübergehendes Erbrechen und
nachfolgende Diarrhoe (wässriger, gelblich gefärbter Kot). In
der Folge treten Dehydratation und Gewichtsverlust sowie
zunehmend Schwäche auf. Der Geruch von Kot und
Erbrochenem soll charakteristisch für TGE sein. Tod tritt nach
2-7 Tagen ein.
Bei älteren, ungeschützten Tieren (Absatzferkel, Masttiere,
Elterntiere) verzeichnet man Inappetenz, kurzdauernden
Durchfall, selten Erbrechen. In neu infizierten Beständen hat
man vereinzelt auch Abgänge bei älteren Tieren beobachtet
(Fieber, Erbrechen, Durchfall, Inappetenz, Agalaktie).
Pathologie
Dehydratation, Abmagerung und makroskopisch erkennbare
Magen- und Darmdilatation sind nicht pathognostisch. Im
Magen häufig unverdaute, geronnene Milch. Im Dünndarm
grünlich-gelbe, schaumige Flüssigkeit. In den Nieren fallweise
degenerative Veränderungen sowie Ureat-Ablagerung im
Nierenbecken. Histologisch ist das Bild durch EnterozytenVerlust, d.h. Zottenatrophie gekennzeichnet. Da beispielsweise
Rotaviren gleiche Veränderungen hervorrufen, ist dies nicht
pathognostisch.
Diagnose
Beim Auftreten von ansteckenden, schweren Diarrhoen mit
hoher Verlustrate bei Ferkeln an TGE denken.
Differentialdiagnosen
Andere infektiöse Diarrhoen, z.B. enteropathogene E. coli,
EVDV, Rotaviren, Kokzidien.
Bei Verdacht
Institut für Veterinärpathologie ( 044 635 8584) oder
Virologisches Institut ( 044 635 8716), Vetsuisse Fakultät,
Universität Zürich, benachrichtigen und Einsendung von
Untersuchungsmaterial absprechen.
Untersuchungsmaterial
Nach Absprache.
Labordiagnose
Direkter Virusnachweis.
(Immun-) Elektronenmikroskopie, Antigennachweis in
Enterozyten mit Hilfe der Immunfluoreszenz oder
Immunperoxidase-Technik (nur frisches Material von
probegeschlachteten, akut erkrankten Tieren geeignet).
Virusisolierung in Schweinezellkulturen und nachfolgende
Viruscharakterisierung mit Hilfe spezifischer Antiseren;
Hybridisation mit markierten Gensonden grundsätzlich
möglich; RT-PCR.
Seite 122
Kapitel, Nidovirales, (Corona- und Arteriviren), TGE
Für die Vermehrung von TGEV eignen sich verschiedene
Schweine-Zellkulturen: Niere, Schilddrüse sowie die
permanente Hoden-Zellinie ST. In ST-Zellen induziert TGEV
einen deutlichen zytopathischen Effekt. Bei den übrigen Zellen
bedarf es hierfür mehrerer Zellkultur-Passagen (Adaptierung).
Indirekter Virusnachweis.
Nachweis einer Serokonversion, bzw. eines signifikanten
Anstiegs der Serumantikörper. Bei Jungtieren verwischen
allenfalls vorhandene maternale Antikörper das serologische
Bild. Bei der Diagnose von TGE darf zudem nicht vergessen
werden, dass sich PRCV serologisch fast wie TGE verhält und
dass beim Schwein Infektionen mit Felinen- oder Caninen
Coronaviren grundsätzlich möglich sind (experimentell
bestätigt, unter Praxisverhältnissen jedoch nicht beobachtet).
TGEV und PRCV unterscheiden sich in einem auf S
lokalisierten Epitop, das nur bei TGE vorkommt und dessen
Deletion wahrscheinlich eine Rolle bei der Entstehung von
PRCV gespielt hat. Möglichkeit zur Differenzierung mit
kompetitivem ELISA.
Bekämpfung
Da die TGE dazu neigt, endemische Formen anzunehmen,
würde man in der Schweiz bei einem akuten
Krankheitsausbruch die betroffenen Bestände mit Vorteil
sperren und ausmerzen. Diese Massnahme wird gegebenenfalls
durch den Kantonstierarzt veranlasst.
Seite 123
Kapitel, Papilloma, Warzenviren
Papilloma
Autoren: Martin Schwyzer und Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405b.doc
Papilloma
Warzenviren
Papillomaviren erzeugen Warzen und gutartige Epitheltumore
bei Mensch, Rind, Pferd, Hund und anderen Spezies. Einige
Typen von Papillomaviren können in Zusammenwirkung mit
Kofaktoren Karzinome hervorrufen.
Besonderheiten
Spezifität: Jede Tierart hat ihre eigenen Papillomaviren. Die
Speziesbarriere wird meist nicht überschritten (Ausnahme:
bovine Papillomaviren -> Pferd).
Variabilität: z. B. sechs verschiedene Typen boviner und über
100 Typen humaner Papillomaviren.
Eindringen: durch kleine Hautläsionen, nicht intakte Haut.
Molekularbiologie: kleines, zirkuläres Genom, Induktion der
Zellteilung
Geschichte
Warzen wurden schon im Altertum unter den Namen ficus
(Feige), verruca (Hügel) u. a. beschrieben. Probate Mittel, um
sich von Warzen zu befreien, wurden seit jeher empfohlen.
Neben Einreiben mit Kuhmist etc. war die "Weitergabe" der
Warzen an belebte oder unbelebte Objekte populär. So
empfiehlt der Philosoph Francis Bacon (1561-1626), eine
Speckseite auf die Warzen zu legen, sie nachher einige
Wochen an die Sonne zu hängen, bis das Fett geschmolzen sei,
dann seien auch die Warzen weg. Die infektiöse Natur der
Warzen wurde 1907 durch Ciuffo erstmals nachgewiesen. In
den 1930iger Jahren konnte Shope deren Übertragbarkeit
belegen. 1997 wurden die modernen Regeln zur Klassifikation
der Papillomaviren eingeführt.
Erreger
Die Papillomaviren waren früher zusammen mit den
Polyomaviren in der Familie Papovaviridae zusammengefasst.
Aufgrund von Genomanalysen bilden sie heute eigene
Familien Papillomaviridae und Polyomaviridae. Letztere
Familie ist veterinärmedizinisch wenig bedeutend, spielt
jedoch eine grosse Rolle in der experimentellen
Tumorforschung (Polyomaviren bei Mäusen, Wellensittichen
und Rindern sowie das Affenvirus SV40).
Seite 124
Kapitel, Papilloma, Warzenviren
Papillomaviren bestehen aus einem unbehüllten ikosahedralen
Kapsid (55 nm Ø, 60 Hexone und 12 Pentone mit 2
verschiedenen Virion-Proteinen) sowie einem zirkulären,
doppelsträngigen DNA Genom von 6.7 kb (BPV3) bis 8.2 kb
(canines PV) Länge. Im Unterschied zu den Polyomaviren
laufen bei den Papillomaviren alle Gene in die gleiche
Ableserichtung. Von vielen Papillomaviren sind vollständige
Nukleotidsequenzen bekannt, als erste diejenige von BPV1
(7945 bp).
Typen
BPV1, BPV2
Rind
Warzen (kutanes Fibropapillom)
BPV1, BPV2
Pferd
Sarcoid (subkutanes Fibrosarkom)
BPV3
Rind
flache Warzen
BPV4
Rind
Papillom im Verdauungstrakt
BPV5, BHV6
Rind
Zitzenpapillom
equines PV
Pferd
humane PV
Mensch
kleine Warzen, meist um Lippen,
Nüstern
nahezu 100 Typen, z. B.
Virusvermehrung und
Genexpression
HPV6 & 11
benigne Condylome (Genitalwarzen)
HPV16, 18,
31, 33, 39
Korrelation mit Karzinomen
Warzen sind vermutlich meist klonalen Ursprungs, d. h. ein
Papillomavirus infiziert eine einzelne Basalzelle und regt sie
zu fortwährenden Teilungen an. Das Virusgenom wird darin
als Episom (replikationsfähige zirkuläre DNA) mitvermehrt.
Erst in den nach oben dringenden, verhornenden, nicht mehr
teilungsfähigen Zellen findet Virusproduktion statt. Wegen der
funktionellen Trennung von Infektion und Virusproduktion
konnten Papillomaviren bis anhin nicht in Zellkultur vermehrt
werden. (Abbildung 1, links)
Nach dem Uncoating gelangt die Virus-DNA in den Kern, wo
sie in einer frühen und einer späten Phase transkribiert wird.
Die frühe RNA kodiert für 6 bis 8 Nichtstrukturproteine, mit
E1-E8 benannt, wovon E1 und E7 die Replikation des
Virusgenoms steuern (optimale Anzahl Episomen pro Zelle),
E2 die virale Transkription, während E5 und E6 die Zellteilung
stimulieren. Die späte RNA kodiert für die beiden VirionProteine L1 und L2. (Abbildung 1, rechts)
Seite 125
Kapitel, Papilloma, Warzenviren
Abbildung 1. Schematische Darstellung des Genoms (rechts) und der
Zellreifungs-abhängigen Genexpression (links) von Papillomavirus.
Pathogenese
Nach Infektion einer einzelnen Basalzelle (s.o.)
Zellproliferation, Bildung verhornender Zellhaufen. Benignes
Wachstum weil Zellschichtung erhalten bleibt, keine
Metastasen (nur Weiterinfektion).
Klinik
Rinder: Papillomatose kann bei allen Altersstufen
vorkommen, jedoch gehäuft bei Jungtieren (6 Monate - 2
Jahre). Stellen mit viel Abrasion und Kontakt zu anderen
Tieren sind vorwiegend betroffen, z. B. Kopf, Hals, Schulter,
Gelenkbeugen, Unterbauch, Genitalien, Zitzen. Kleine grauschwarze Knoten bis grosse blumenkohlartige Gebilde, oft
verhornt. Grosse Papillome können aufreissen und bluten.
Pferde: Warzen infolge EPV regredieren meist innert einiger
Monate. Sarkoide infolge BPV1 oder BPV2 metastasieren
nicht, aber sind invasiv und müssen operativ entfernt werden
(oft mehrmals).
Hunde: beginnt meist auf den Lippen, kann sich ausbreiten
(Mundschleimhaut, Zunge, Gaumen, Pharynx). Oft spontane
Regression, manchmal Operation oder Euthanasie nötig.
2004/05 wurden erstmals neue Papillomaviren beim Hund in
Zusammenhang mit verschiedenen Formen von squamösem
Zellkarzinom (SCC) entdeckt (Abbildung 2).
Seite 126
Kapitel, Papilloma, Warzenviren
Abbildung 2. Mit Papillomaviren assoziiertes invasives squamöses
Zellkarzinom (SCC) beim Hund. (Bild: C. Favrot, Universität Zürich,
2004).
Immunreaktion
Antikörper werden meist gebildet aber ihr Vorhandensein
korreliert kaum mit Regression.
Epidemiologie
Übertragung durch direkten Kontakt oder durch kontaminierte
Halfter, Gerätschaften, Pfosten wo sich die Tiere reiben etc.
Verbreitung
weltweit
Diagnose
Das klinische Bild ist so klar, dass sich eine Labordiagnose i.
a. erübrigt. Typisierung kann mit PCR erfolgen. Nachweis von
Papillomaviren bei SCC mittels sogenannter broad-range PCR,
welche ein weites Spektrum von Papillomaviren erfasst.
Desinfektion
wie für andere unbehüllte Viren z. B. MKS. Die
Papillomaviren verfügen jedoch über eine erhebliche
Tenazität.
Prophylaxe
Hygiene ist die beste Prophylaxe. Autologe Vakzinen werden
vielenorts empfohlen, für ihre Wirksamkeit gibt es aber wenig
Evidenz.
Therapie
Warten auf Selbstheilung (Regression). Versuch der
Entfernung durch ätzende Mittel (z. B. Salicylsäure). Operative
Entfernung. Herstellung einer inaktivierten Autovakzine aus
Warzengewebe.
Seite 127
Kapitel, Papilloma, Warzenviren
Literatur
Ciuffo, G.: Innesto positivo con filtrato di verruca volgare.
Giorn. Ital. Mal. Vernereol., 1907, 48: 12-17.
Shope, R.E.: Infectious papillomatosis of rabbits (with a note
on the histopathology by E.W. Hurst). J. Exp. Med.,
1933, 58: 607-624.
De Villiers, E.M.: Papillomavirus and HPV typing. Clin.
Dermatol., 1997, 15: 199-206.
Zaugg, N., Nespecca, G., Hauser, B., Ackermann, M., Favrot,
C.: Detection of novel papillomaviruses in canine
mucosal, cutaneous, and in situ squamous cell
carcinomas. (Zur Publikation eingereicht 2005)
Seite 128
Kapitel, CPV und FePV
Parvovirosen der Fleischfresser
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
CPV, FePV
Parvovirosen der Fleischfresser
Das Krankheitsbild der Parvovirosen der Fleischfresser kann
am besten mit dem Bild der Strahlenkrankheit verglichen
werden. Charakteristisch sind alle Anzeichen von
Immunsuppression zusammen mit enteralen Symptomen, wie
Erbrechen, Durchfall, Kolik. Im Gegensatz dazu verursachen
die porcinen Parvoviren hauptsächlich Fruchttod (Mumien).
Besonderheiten
Extrem hohe Tenazität. Ausserhalb des Wirtes bleiben die
Viren monate- bis jahrelang infektiös. Resistent gegen Hitze
(bis 80°C), Säure, Chloroform, Trypsin, sowie gegen die
meisten Desinfektionsmittel.
Geschichte
Die feline Panleukopenie (Felines Parvovirus, FePV; Virus der
Katzenseuche) stellt eine der bedeutendsten Virusinfektionen
der Katze dar und wurde schon um die Jahrhundertwende
beschrieben (Zschokke, 1900). Im Gegensatz dazu trat die
Parvovirose der Hunde (Canines Parvovirus, CPV) erst
1976/77 auf und verbreitete sich mit rasender Geschwindigkeit
über alle Länder und Kontinente. Ähnliches gilt auch für die
Ausbreitung des Nerz-Parvovirus (MEV), das erstmals 1947
beobachtet wurde. FePV, MEV und CPV sind serologisch nahe
verwandt. CPV ist aus einem anderen Parvovirus
hervorgegangen, vermutlich aber nicht aus FePV, sondern eher
vom Parvovirus des Rotfuchses. Die Parvoviren der
Fleischfresser verfügen über ein relativ breites Wirtsspektrum
und können deshalb auch für nicht-domestizierte Fleischfresser
ein Gefahrenpotential darstellen.
Verbreitung
Weltweit. Regelmässig Fälle in der Schweiz. Grosse Probleme
in Hunde- und Katzenzuchten, sowie Tierheimen und sammelstellen.
Seite 129
Kapitel, CPV und FePV
Erreger
Kleines DNA Virus, Familie Parvoviridae, Genus Parvovirus.
Das Parvovirus der Katze (felines Parvovirus) wird als FePV
bezeichnet; dasjenige der Hunde (canines Parvovirus) als CPV;
jenes der Nerze (engl. "mink parvovirus") als MPV.
Ø 18-22 nm, unbehüllt, ikosahedrale Symmetrie (Abbildung 1).
ssDNA (meistens negative Polarität), circa 5 kb mit
palindromischen Sequenzen an den Genomenden, nicht
segmentiert. Das Genom enthält zwei offene Leseraster (ORF,
open reading frame). Das eine kodiert für virale Enzyme zur
Transkription und DNA-Replikation, das andere für die
Kapsidproteine, die überlappende Aminosäure Sequenzen
besitzen.
Abbildung 1. Tsao et al.,
1991, Science, 251, 14561464.
Virusvermehrung
Nicht alle Zellen sind für die Replikation der Parvoviren
empfänglich und permissiv. Adsorption über
neuraminsäurehaltige, zelluläre Rezeptoren. Wie das Genom
dann in den Zellkern gelangt ist bislang sehr schlecht
dokumentiert. Eine Virusvermehrung erfolgt nur in
empfänglichen Zellen, welche die S-Phase des Zellzyklus
durchlaufen. Es wird zur Zeit angenommen, dass die
Überführung des einsträngigen viralen Genoms in eine ds
DNA die Voraussetzung für die mRNA-Transkription ist. Die
DNA-Synthese geht dabei von einem Self-PrimingMechanismus an den Palindromstrukturen aus und verläuft
über die Bildung eines an einem Ende kovalent geschlossenen
DNA-Moleküls. Als Replikations-Zwischenstufe treten auch
konkatemere Strukturen auf. Aus diesen Zwischenformen
werden schliesslich mit Hilfe der Nichtstrukturproteine die
reifen einzelsträngigen Genomeinheiten generiert.
Seite 130
Kapitel, CPV und FePV
Genexpression
Aus dem sogenannten "linken" ORF (rep) entstehen durch
Spleissen die mRNAs für Nichtstrukturproteine (blau). Der
rechte ORF (cap) kodiert für drei Strukturproteine (rot). VP1
und VP2 (Hauptprotein) sind dabei bis auf die Aminoenden
identisch. VP3 geht möglicherweise erst im fertigen Kapsid
durch proteolytische Spaltung aus VP2 hervor.
Abbildung 2. Genomorganisation und Genexpression. (Bildquelle: C.
Fraefel, Universität Zürich)
Epidemiologie
Obwohl CPV, FePV und MEV antigenetisch sehr nahe
verwandt sind, infizieren die einzelnen Virusstämme
vornehmlich entweder Tiere der Familie Canidae oder aber der
Familie Felidae. Wirtswechsel kommen sporadisch vor, wie
das plötzliche Auftreten der MEV und der CPV Pandemie
vermuten lassen. CPV entstand vermutlich um 1970 herum
und machte danach einige wichtige evolutionäre Änderungen
durch. In der Mitte der 70iger Jahre entstand CPV Typ 2
(CPV-2), welches die erste Pandemie verursachte. Daraus
entwickelten sich die Subtypen CPV-2a und CPV2b. Diese
Subtypen verdrängten das ursprüngliche CPV-2, wohl weil sie
besser an den neuen Wirt angepasst waren. Diese beiden
Subtypen können sich zudem sowohl in Hunden, wie auch in
Katzen vermehren.
Die Virusausscheidung erfolgt in erster Linie mit dem Kot
während der akuten Phase der Infektion. Infolge der
aussergewöhnlichen Resistenz der Parvoviren gegenüber
Umwelteinflüssen muss auch mit erfolgreicher indirekter
Übertragung gerechnet werden. Auch persistent infizierte
Tiere, die chronisch oder periodisch Virus ausscheiden, sind
beschrieben worden.
Seite 131
Kapitel, CPV und FePV
Abbildung 2. Llamas-Saiz et
al., Virology 225, 1996
Abbildung 3. Überlagerung der Elektronendichte und Atommodelle von
CPV-Alabama (rot) und der davon abgeleiteten Ala300 ->Asp (A->D)
Mutante CPV-d (blau). Die Punktmutation verursacht eine
Konformationsänderung in der Bogenstruktur (loop) der einen Untereinheit
durch die Bildung einer Salzbrücke zwischen Asp300 (D300) mit dem
Arg81 einer benachbarten Untereinheit. Diese Mutation ist für eine
Änderung der Wirtsspezifität verantwortlich.
Desinfektion
Sehr schwierig; Umgebung, Zwinger, Schlafstätten
miteinbeziehen. 3-5%ige Formalinlösungen, 2% Natronlauge,
0.175% Na-Hypochlorit, Holzteile verbrennen.
Pathogenese
Infolge der hohen Tenazität der Parvoviren ist ein direkter
Kontakt für die Übertragung nicht notwendig. FePV und CPV
werden während der akuten Infektion, sowie noch lange Zeit
danach mit dem Kot ausgeschieden. Auch chronische
Virusausscheidung asymptomatischer Träger über Kot und
Oropharynx wird beschrieben. Die Virusaufnahme erfolgt in
der Regel oral. Die primär betroffenen Zellen sind nicht
bekannt. Die Virusvermehrung beschränkt sich jedoch auf
mitotisch aktive Zellen (S-Phase). Deshalb ist unter anderem
das Alter des Wirtstieres für den weiteren Verlauf der
Infektion entscheidend. Hauptsächlich betroffen sind Zellen
des Immunsystems, Darmepithelien, sowie Zellen des
Myokards bei Föten und neugeborenen Hundewelpen und
Zellen des Cerebellums und der Retina bei Katzenföten und
neugeborenen Katzen. Bei der Vermehrung in Lymphozyten
kommt es zu einer starken Virämie, wobei das Virus im
ganzen Organismus verteilt wird. Die Replikation in den
Krypten der Darmepithelien erfolgt erst in einer zweiten Phase.
Virus kann bereits ab dem dritten Tag der Infektion mit dem
Kot ausgeschieden werden. Die Krankheitssymptome sind
erklärbar durch die Vernichtung der Zielzellen durch die
Virusreplikation, z.B. Darmepithelzellen, Myokardzellen,
Zellen des Kleinhirns, sowie von B- und T-Lymphozyten.
Seite 132
Kapitel, CPV und FePV
Abbildung 4. Kleinhirnatrophie (links) infolge pränataler Infektion mit
FePV. Vergleich mit einem normalen Kleinhirn (rechts). (Bildquelle: Prof.
Ehrensperger, Veterinärpathologie, Universität Zürich)
Klinik
Es werden akute und subakute Krankheitsformen, sowie
inapparente Infektionen unterschieden.
Katze: Perakute Form bei jungen Kätzchen, oft mit
Vergiftungen verwechselt. Akuter Verlauf charakterisiert
durch Kolik, Depression, Anorexie, Erbrechen, Diarrhoe. Tod
innerhalb weniger Tage infolge Dehydratation. Subakuter
Verlauf mit milderen Symptomen und anhaltendem Durchfall.
Bei intrauteriner Infektion tritt zuweilen eine Kleinhirnatrophie
auf, welche zu charakteristischen Ausfallserscheinungen mit
Bewegungsstörungen bei neugeborenen Kätzchen führt.
Hund: Krankheitsbild ähnlich wie bei der Katze. Bei der
Infektion frischgeborener Welpen, deren Mütter keine antiParvovirus Antikörper mit dem Kolostrum übermitteln, tritt
zuweilen eine Myokardform der Krankheit auf. Es kommt
dabei zu Dyspnoe, Schreien und Erbrechen, sowie zu
plötzlichen Todesfällen. Besonders gefährdet sind Welpen bis
zum Alter von etwa 8 Wochen. Später geht die DNA Synthese
Tätigkeit zurück und es erfolgen immer seltener Mitosen in
den Myokardzellen.
Seite 133
Kapitel, CPV und FePV
Abbildung 5. Junger Hund mit Parvovirose.
Immunreaktion
Unglaublich rasches Auftreten von Antikörpern im Gefolge
der Infektion. Auch in offensichtlich immunologisch naiven
Tieren werden Antikörper so schnell synthetisiert, dass man
unwillkürlich eher an eine anamnestische als an eine primäre
Immunreaktion denkt. Die Antikörper spielen eine wichtige
Rolle bei der Überwindung der Infektion. Passive
Immunisierung gewährt Schutz und der Schutz ist abhängig
vom Antikörpertiter. Über die Rolle der zellulären Immunität
ist wenig bekannt.
Impfprophylaxe
Nachdem zunächst nur mlv Vakzinen verfügbar waren, wurden
in der Schweiz lange Zeit nur noch inaktivierte Impfstoffe
zugelassen. Aufgrund der "Rotfuchs-Hypothese" wurden
erneut mlv Impfstoffe gegen CPV registriert. Insbesondere bei
inaktivierten Impfstoffen ist eine mehrfache Impfung zur
Grundimmunisierung notwendig. Problematik der maternalen
Antikörper, die den Aufbau eines Impfschutzes stören können.
Diagnose
Bei Enteritiden der Fleischfresser muss grundsätzlich an eine
Parvovirusinfektion gedacht werden. Plötzliche Todesfälle
(Myokarditis) bei Hundewelpen und Ataxien bei neugeborenen
Kätzchen sind weitere Leitsymptome für Parvovirose.
Differentialdiagnosen
Enteritiden, bzw. Ataxien und Myokarditiden anderer Genese,
Vergiftungen.
Seite 134
Kapitel, CPV und FePV
Bei Verdacht
Da auch chronische Virusausscheider vorkommen, genügt der
Virusnachweis im Kot alleine für die Diagnose nicht.
Vollständige anatomisch-pathologische Untersuchung, sowie
Histologie ist zur Diagnose-Sicherung notwendig. Da die Tiere
meist infolge einer Dehydratation eingehen, ist eine
symptomatische Behandlung in jedem Falle angezeigt.
Untersuchungsmaterial
Frisch verendete Tiere, Kot in Ausnahmefällen.
Labordiagnose
Histologische Veränderungen erlauben i.d.R. eine eindeutige
Diagnose. Erregernachweis in veränderten Organen mittels
Immunhistochemie oder in situ Hybridisation in speziellen
Fällen, z.B. bei Verdacht auf Impfdurchbrüche oder bei wenig
ausgeprägten Veränderungen. Antigennachweis mittels ELISA
stützt die Diagnose.
Seite 135
Kapitel, PPV
Parvovirose der Schweine
Autor: Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405b.doc
PPV
Parvovirose der Schweine
Die Parvovirose der Schweine ist in erster Linie als
Fruchtbarkeitsstörung gekennzeichnet. Ungewöhnlich daran
ist, dass diese nicht als Abort, sondern durch Mumifizierung
auffällt. Normalerweise erscheinen die infizierten Tiere als
völlig gesund (subklinischer Verlauf). Im Gegensatz dazu
treten die Parvovirosen der Fleischfresser als schwere
systemische Krankheiten auf.
Besonderheiten
Subklinische Infektion. Mumifizierung der Foeten
(Mumienleiter). Extrem hohe Tenazität (wie CPV und FePV).
Geschichte
Verbreitung
Weltweit. Regelmässig Fälle in der Schweiz.
Erreger
Siehe CPV.
Virusvermehrung
Siehe CPV
Genexpression
Siehe CPV
Epidemiologie
Das Schwein ist der einzige bekannte Wirt für PPV. Die
Epidemiologie ist schwierig zu beschreiben, da die postnatale
Infektion der Tiere normalerweise subklinisch verläuft und nur
ein Serotyp des Virus bekannt ist.
Aufgrund der Tenazität der Viren ist das Reservoir jedenfalls
mit in der Umwelt zu suchen. In individuellen Herden werden
meist nur Erstinfektionen überhaupt bemerkt.
Abbildung 1. Infektionszyklus bei PPV (Bildquelle: MA, Universität
Zürich)
Seite 136
Kapitel, PPV
Desinfektion
Sehr schwierig; Umgebung, Auslauf, Ställe miteinbeziehen. 35%ige Formalinlösungen, 2% Natronlauge, 0.175% NaHypochlorit, Holzteile verbrennen.
Pathogenese
Die Übertragung von PPV kann sowohl direkt als auch indirekt
erfolgen. Das Virus wird lange Zeit, zum Teil chronisch, mit
dem Kot ausgeschieden. Die Virusaufnahme erfolgt oral. PPV
vermehrt sich in lymphatischen Geweben wie Tonsillen,
Lymphknoten, Thymus und Milz, aber auch in Lunge,
Speicheldrüse sowie in mitotisch aktive Epithelzellen (SPhase) in den Krypten des Darmtrakts.
Vermehrt sich PPV bei seronegativen Tieren in peripheren
Lymphozyten, wobei es diese zur Prolipheration stimuliert, so
erreichen die Viren den Geschlechtstrakt, und damit die Foeten
in der Gebärmutter, über eine Zell-assoziierte Virämie. Je nach
Gestationsstadium hat dies unterschiedliche Folgen, wobei die
Phase zwischen dem 15. und dem 70. Tag der Trächtigkeit
besonders kritisch ist:
1. Bei einer Infektion zwischen 15. und circa 35. Tag der
Trächtigkeit kommt es zum embryonalen Fruchttod
gefolgt von der Resorption der Embryonen.
2. Infektion zwischen dem circa 35. und dem circa 70. Tag
verursacht Absterben der Foeten und Mumifikation.
3. Ab 60. Tag kann Antikörperbildung beim Foeten
beobachtet werden; ab dem 70. Tag tritt intrauterine
Immunität auf. Je später die Infektion geschieht, desto
besser ist die Prognose für den Foeten. Allerdings können
auch spät infizierte Foeten Schäden erleiden, sodass sie
lebensschwach zur Welt kommen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Früchte beim Absterben
nicht ausgestossen werden. Deshalb spricht man NICHT von
einem Abort. Der Bauer erfährt erst zum Geburtstermin, dass
die PPV-Infektion erfolgt ist.
Seite 137
Kapitel, PPV
Abbildung 2. Infektion des ersten Foeten durch Virämie (links). Danach
breitet sich die Infektion intrauterin von Foet zu Foet aus (rechts). Deshalb
sterben die betroffenen Foeten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ab, was
die sogenannte "Mumienleiter" erklärt (Bildquelle: Video, "Parvovirus
Infection of Pigs", The Scottish pig industry initiative)
Klinik
Keine. Die postnatale Infektion der Tiere verläuft subklinisch.
Für den Bauern macht sie sich in Form des SMEDI-Syndroms
bemerkbar. SMEDI steht für "Stillbirth" (Totgeburt),
"Mummification" (Fruchtversteinerung), "Embryonic death"
(Embryonaler Tod) und "Infertility" (Unfruchtbarkeit).
Abbildung 3. Mumienleiter. (Bildquelle: Video, "Parvovirus Infection of
Pigs", The Scottish pig industry initiative)
Immunreaktion
Siehe CPV.
Impfprophylaxe
Impfstoffe verschiedener Hersteller sind verfügbar;
Wirksamkeit zumindest nicht unumstritten.
Diagnose
Die Mumienleiter gilt als pathognomonisch. Bei mumifizierten
Foeten, kleinen Würfen und lebensschwachen Ferkeln immer
an PPV denken.
Seite 138
Kapitel, PPV
Differentialdiagnosen
Mumifikationen anderer Genese; PRRS.
Bei Verdacht
Ganze mumifizierte Früchte einsenden.
Untersuchungsmaterial
Mumifizierte Früchte.
Labordiagnose
Messung der Scheitel-Steiss-Länge. Ist diese kleiner als 14 cm,
so liegt ein PPV-Verdacht nahe. Ist die Mumie grösser, dann
ist PPV nahezu ausgeschlossen. Für Foeten, die vor dem 60.
Tag abgestorben sind, eignet sich der Virusnachweis, z. B.
mittels Immunfluoreszenz oder PCR. Bei älteren Foeten
werden Antikörper nachgewiesen (ELISA oder IIF).
Information
http://www.thepigsite.com/DiseaseInfo/Default.asp
http://www.agvax.com/animal_health/pigs/porcine_parvac/
Seite 139
Kapitel, Pestiviren
Pesti
Autor: Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405.doc
Pesti
Pestivirus Infektionen
Infektionen mit Pestiviren sind beim Rind, Schwein und Schaf
von grosser Bedeutung.
Die Bovine Virus Diarrhöe/ Mucosal Disease (BVD/MD)
verursacht eine verwirrende Vielzahl von Krankheiten beim
Rind. Charakteristisch sind Fieber, Diarrhöe, Mukosa
Läsionen, Abort, Missbildungen, respiratorisch-enterische
Probleme, chronisches Kümmern und Todesfälle. Die
Infektion kann aber auch völlig symptomlos ablaufen.
Klassische Schweinepest (KSP)(auch Europäische
Schweinepest, ESP oder Hog Cholera) kann perakut, akut,
chronisch oder inapparent verlaufen. Beim perakut-akuten
Verlauf hat das klinische Bild den Charakter einer Septikämie
und geht einher mit typischen durch Hämorrhagien
verursachten, zyanotischen Veränderungen verschiedener
Hautpartien (Ohren, Bauch, Extremitäten). Die klinische
Unterscheidung zu ASP ist nicht möglich.
Border Disease (BD, auch Hairy Shaker Krankheit der
Lämmer) wird meist als Fruchtbarkeitsproblem in der Herde
erkannt. Unfruchtbarkeit, Aborte, Geburt von lebensschwachen
und missgebildeten Lämmern. Typisch sind unterschiedliche
Grade von Tremor, abnormale Fellentwicklung bei der Geburt,
sowie disproportionierte Extremitäten ("Camel-legged lambs").
Die betroffenen Lämmer sterben meist sehr früh, können aber
auch nach anscheinender Erholung später an virusbedingten
Diarrhöe- und Respirationskrankheiten eingehen.
Besonderheiten
Horizontale und vertikale Übertragung. Persistierende
Infektion durch Immuntoleranz möglich.
Bekämpfung
Während KSP schon immer zu den klassischen Tierseuchen
gehörte, welche mit dem Ziel der Ausrottung bekämpft
wurden, hat sich die Haltung gegenüber BVD/MD
grundsätzlich gewandelt. Erst seit 2006 wird eine Ausrottung
für möglich gehalten, weshalb ein neues Bekämpfungskonzept
zum Tragen kommt.
In einem ersten Schritt werden persistenz infizierte Tiere (PITiere) gesucht und eliminiert - man geht davon aus, dass sich
in ca. jedem achten Milchviehbestand ein PI-Tier befindet.
Reine Mastbestände werden nicht untersucht. In einem zweiten
Schritt geht es darum, die virusfreien Bestände zu überwachen,
um eine allfällige Neuinfektion schnell zu erkennen.
Seite 140
Kapitel, Pestiviren
Geschichte
Die KSP gilt als die älteste Pestivirusinfektion. Sie wurde
erstmals um 1830 in Ohio, U.S.A. beschrieben. Im Gegensatz
dazu sind BVD/MD (erstmals 1946 beschrieben) und BD (seit
1959 bekannt) relativ neue Infektionskrankheiten.
Über die volkswirtschaftliche Bedeutung von BVD/MD ist
man sich heutzutage zwar einig, es fehlte jedoch bislang das
notwendige Wissen, der Mut und/oder die Finanzkraft diese
Infektion mit dem Ziel der Tilgung zu bekämpfen.
KSP wurde schon bald als volkswirtschaftlich bedeutende
Seuche erkannt. Deshalb wird sie in vielen Ländern von
Staates wegen bekämpft. Je nach Durchseuchungsrate werden
dabei Impfstrategien oder direkte Tilgungsprogramme
herangezogen.
Alle drei Viren verfügen über ein genügend breites
Wirtsspektrum um nicht nur die angestammte Spezies, sondern
auch andere Paarhufer erfolgreich infizieren zu können.
Verbreitung
Weltweit.
BVD/MD: In der Schweiz weisen circa 80% der Rinder
Antikörper auf.
KSP: Epizootien in der EU bis 1987. 1990 erneut Fälle in
Belgien. Entwicklung von Enzootien in
Wildschweinpopulationen (Italien und Kanton Tessin, BRD,
Frankreich). Letzte klinisch beobachtete Ausbrüche in der
Schweiz 1974/1975. Schweinepest im Emmental, 1993 !!
Border Disease kommt in der Schweiz vor. Über die
tatsächliche Verbreitung ist wenig bekannt.
Erreger
Die Pestiviren waren bis vor kurzem aufgrund ihrer
Morphologie und Grösse bei den Togaviridae eingeteilt.
Aufgrund der Genomsequenz, werden sie heute zu den
Flaviviridae gezählt.
Struktur: Ø 30-50 nm, behüllt, icosahedrale Symmetrie, ssRNA
(positive Polarität), circa 12'500 Basen, nicht segmentiert. Das
Genom enthält ein einziges offenes Leseraster (ORF, open
reading frame), das für ein Polyprotein kodiert, welches in
virale Enzyme und Strukturproteine gespalten wird.
Seite 141
Kapitel, Pestiviren
Virusvermehrung und
Genexpression
Pestiviren vermehren sich in verschiedenen Arten von
Zellkulturen ihrer Wirtsspezies. Interessanterweise gibt es
zytopathogene (cp) Virusstämme, welche die Wirtszellen im
Verlaufe der Infektion abtöten, während andere, nicht
zytopathogene (ncp) Isolate sich vermehren ohne die Zelle zu
schädigen. Die Infektion erfolgt über Bindung an Rezeptoren
und adsorptive Endozytose. Nach der Freisetzung aus dem
Kapsid wird die ssRNA, die in positiver Polarität vorliegt, im
Zytoplasma als mRNA behandelt und in ein Polyprotein
translatiert, welches dann wiederum co- und posttranslational
durch proteolytische Vorgänge in die kleineren Enzyme und
Strukturproteine gespalten wird.
Strategie der Pestivirus Replikation
(+)ssRNA
Polyprotein
Enzym(e)
(-)RNA
Enzym(e)
(+)RNA
Strukturproteine
neue Virusgeneration
Bei den cp-Virusstämmen, nicht aber bei den ncp-Isolaten wird
eines der Vorstufenproteine (p125) in zwei weitere
Bruchstücke (p54 und p80) gespalten. Ein markanter
Unterschied zwischen den pathogenetisch wichtigen viralen
Biotypen besteht also in der Spaltung eines einzigen Proteins
(Pfeil in der nachfolgenden Abbildung). Eine Erklärung für
dieses Phänomen bietet die Hypothese unserer Berner
Kollegen (Prof. Peterhans), die postulieren, dass p125 ein
virales Protein sei, welches die Apoptose der infizierten Zelle
verhindere. Bei der proteolytischen Spaltung von p125 muss
die Zelle deshalb absterben.
Seite 142
Kapitel, Pestiviren
Rand
(+)ssRNA (12573 b)
5'
3'
Polyprotein
N
C
p20 gp116
p125
p54 p80
p133
p58
p75
gp48/25/53
keine Spaltung bei ncp Stämmen
Epidemiologie
Die Pestiviren verfolgen zwei alternative Strategien um sich in
der Natur zu erhalten. Die erste Strategie ist hohe Kontagiosität
und damit rasche Ausbreitung in einer immunologisch naiven
Population. Die zweite Strategie basiert auf der Bildung von
lebenden Virusreservoirs in der Form von immuntoleranten
Tieren. Auf diese Art können sich die Pestiviren jahrelang in
einer immunen Population halten und sich blitzschnell erneut
ausbreiten, wenn die Herdenimmunität nicht mehr genügt.
Pestiviren können auch wildlebende Wiederkäuer infizieren.
Die epidemiologische Bedeutung dieser Tatsache ist jedoch
noch unklar.
Die Einschleppung der Pestivirusinfektionen erfolgt in der
Regel durch Handel mit infizierten Tieren. Bei KSP spielen
zusätzlich die Verfütterung von ungenügend erhitzten
Abfällen, bei KSP und BVD die iatrogene Übertragung eine
wichtige Rolle.
Desinfektion
Tenazität gering. Detergentien (Hülle), Wärme, Säure, UV
Strahlung, proteolytische Enzyme inaktivieren die Pestiviren
rasch. Auffallende Resistenz von KSP Viren gegenüber
alkalischen pH Bereichen (pH9-11). In Tierkörpern und
Fleischprodukten (Fett, Knochenmark) monatelang infektiös.
Desinfektion mit allen handelsüblichen Mitteln.
Pathogenese
Pestiviren werden oral und/oder nasopharyngeal
aufgenommen. Parenterale Infektion mittels Injektabilia,
welche bovines, porcines oder ovines Gewebe enthalten (zum
Beispiel Impfstoffe). Primäre Vermehrung in den epithelialen
Zellen in den Krypten der Tonsillen. Phagozyten verschleppen
die Pestiviren in die lymphoiden Organe. Später Vermehrung
in weissen Blutzellen und Aussaat im ganzen Körper
(Virämie). Virusausscheidung in allen Sekreten und Exkreten.
Seite 143
Kapitel, Pestiviren
Die Folgen der Infektion hängen mit dem Immunstatus des
betroffenen Tieres zusammen. Besitzt ein Tier genügend hohe
Titer neutralisierender Antikörper, so verläuft die Infektion
abortiv. Bei immunologisch naiven Tieren kommt es nach
einer Inkubationszeit von etwa einer Woche zur Ausbildung
von mehr oder weniger ausgeprägten klinischen Symptomen.
Dabei wird das Immunsystem stimuliert, die Viren werden aus
dem Organismus eliminiert und das Tier ist später vor einer
Reinfektion geschützt. Beim Auftreten einer Virämie kann es
bei trächtigen Tieren zur Infektion des Foetus kommen. Der
Zeitpunkt der Gestation bestimmt dann das weitere Schicksal
des Foeten. Die folgende Abbildung illustriert das Beispiel
BVD/MD:
Foeten, welche die intrauterine Infektion überleben, können
seropositiv und normal oder missgebildet sein oder seronegativ
und immuntolerant zur Welt kommen. Immuntolerante Tiere
bilden ein wichtiges Virusreservoir.
Äusserlich ist die Immuntoleranz nicht ohne weiteres
erkennbar. Einige Tiere fallen schon früh als Kümmerer auf,
andere können lebenslänglich, symptomlos Virus ausscheiden
und wieder andere erkranken an Mucosal Disease (MD). Da
die Rinder die längste Lebenserwartung unter den von
Pestiviren betroffenen Tieren aufweisen, tritt MD am
häufigsten bei Rindern und Kühen auf, während sie bei
Schafen und Schweinen ein fast unbekanntes Krankheitsbild
darstellen. Werden diese Tierarten möglicherweise vor der
Ausbildung des Syndromes geschlachtet?
Die Genese der MD hängt wiederum mit den
immunologischen und biologischen Eigenschaften des
Virusstammes zusammen. Solange der persistierende ncp
Virusstamm innerhalb des antigenetisch tolerierten Spektrums
bleibt, wird er nicht aus dem Organismus eliminiert.
Seite 144
Kapitel, Pestiviren
Solange der tolerierte ncp Virusstamm den Organismus nur
geringgradig oder überhaupt nicht schädigt, bleiben die Tiere
mehr oder wenig gesund und leistungsfähig. Erfolgt jedoch
eine Superinfektion mit einem antigenetisch sehr nahe
verwandten cp Virusstamm oder wenn der ncp Stamm
plötzlich zum cp Stamm mutiert, ohne dass das
Antigenspektrum gleichzeitig betroffen ist, dann entwickelt
sich Mucosal Disease. Die Hypothese besagt, dass das neue
Virus die Wirtszellen abtötet, ohne vom Immunsystem
gehindert zu werden. Aus diesem Grund verläuft MD fast
immer fatal.
Erfolgt jedoch eine Superinfektion mit einem antigenetisch
vom tolerierten Stamm unterschiedlichen Virus, dann kommt
es zu einer normalen Immunantwort gegen die Superinfektion.
Das betroffene Tier entwickelt nachweisbare, neutralisierende
Antikörper gegen Pestiviren, ist jedoch trotzdem nicht vor
Mucosal Disease geschützt.
Klinik
Es gilt in jedem Fall die Folgen einer pränatalen Infektion und
die Krankheit akut infizierter Tiere von der Krankheit der
immuntoleranten, persistent infizierten Tiere zu unterscheiden.
Virusdiarrhoe der Rinder (BVD): Verläuft oft sehr milde
oder sogar subklinisch. Falls Symptome auftreten, sind profuse
Durchfälle infolge der akuten Gastroenteritis, sowie
respiratorische Symptome, wie Nasenausfluss und Husten
charakteristisch. Mehr oder weniger ausgeprägt sind
allgemeine Symptome, wie Fieber, Müdigkeit und Anorexie.
Infolge der Vermehrung der BVD Viren in den Leukozyten,
kann es zu Immundepression kommen, was das Auftreten von
Folgekrankheiten, zum Beispiel Pneumonien, begünstigt
(Pneumo-Enteritis-Komplex).
Aborte und Missbildungen: Abhängig vom Virusstamm, vom
Immunstatus des Elterntiers und vom Graviditätszeitpunkt bei
der Infektion, kann die Pestivirusinfektion zu Aborten oder
Missbildungen führen. Bei der in utero Infektion des Kalbes
werden folgende Missbildungen beobachtet: Zerebelläre
Hypoplasie, defektive Myelinisierung des Rückenmarks,
mandibuläre Brachygnatie, Wachstumsretardation, Anomalien
der Augen, z.B. Atrophie der Retina. Ganz ähnliche
Missbildungen treten auch bei Lämmern und Ferkeln auf.
Zusätzlich sind bei BD noch die Spezialformen wie "hairy
shaker" und "Kamelbeinigkeit" zu nennen. Missbildungen
infolge Infektion mit KSP Virus betreffen die viszeralen
Organe, sowie das zentrale Nervensystem und äussern sich in
Tremor und Lebensschwäche.
Die wichtigste "Missbildung", ein Hauptcharakteristikum der
Pestivirusinfektion überhaupt, die aber leider keinen
zuverlässigen phänotypischen Marker aufweist, ist natürlich
die Immuntoleranz.
Seite 145
Kapitel, Pestiviren
Mucosal Disease (MD): Akute MD verläuft fieberhaft, mit
Depression, Schwäche und Anorexie. Mucopurulenter
Nasenausfluss wird als Folge der erosiven
Schleimhautläsionen in Maul- und Nasenbereich beobachtet.
Auch Augenausfluss tritt häufig auf. Erosive Veränderungen
am Kronsaum und in den Zwischenzehenspalten führen zu
Lahmheiten und zur differentialdiagnostisch wichtigen Frage,
ob nicht etwa eine MKS Infektion vorliege. Sehr stark
betroffene Tiere sterben bereits wenige Tage nach
Krankheitsbeginn. Andere entwickeln nach etwa drei Tagen
einen profusen, wässrigen, faulig riechenden, zum Teil
blutigen und unstillbaren Durchfall. Vielfach wird die
Krankheit durch sekundäre bakterielle Infektionen
verschlimmert. In der Regel führt MD zum Tod der
betroffenen Tiere. Nur in Ausnahmefällen entwickelt sich eine
chronische Krankheit mit Inappetenz, zunehmender
Auszehrung, intermittierendem Durchfall und chronischen,
ulzerativen Veränderungen im Maulbereich und auf der Haut.
Alopezie und Hyperkeratisierungen werden in der Regel im
Nackenbereich beobachtet. Therapeutische Massnahmen sind
in jedem Fall unfruchtbar und deshalb nicht angezeigt.
Schweinepest: Das Ausmass klinischer Symptome ist sowohl
von der Virulenz des Virusstammes, als auch von
Determinanten des Wirtstieres abhängig. Die akute
Verlaufsform ist gekennzeichnet durch Fieber, Anorexie,
Depression, Diarrhöe oder Obstipation, Erbrechen,
Konjunktivitis, Nasenausfluss, Lähmungserscheinungen und
rötlich-blaue Verfärbungen der Haut (Hämorrhagien). Die
Tiere sterben meist 8 bis 20 Tage nach Beginn der Krankheit.
Die Todesursache liegt vermutlich in Störungen der
Gefässwände und des Gerinnungssystems. Weniger virulente
Virusstämme verursachen zunächst generell mildere
Krankheitssymptome mit Depression, Fieber und Anorexie.
Betroffene Tiere erholen sich vorübergehend, fallen später
jedoch oft einer terminalen Exazerbation zum Opfer. Der Tod
tritt trotz einsetzender Immunreaktion nach 1 bis 3 Monaten
ein. Geschieht die Infektion intrauterin oder perinatal, kommt
es ähnlich wie beim Rind bei einem Teil der Tiere zu
Immuntoleranz und persistierender Infektion mit chronischer
Virusausscheidung.
Ein klassisches Gegenstück zur Mucosal Disease existiert
nicht, obwohl bei persistent infizierten Ferkeln eine spät
einsetzende, sich konstant verschlimmernde Krankheit mit
leichtem Fieber, chronischen Durchfällen, Konjunktivitis,
Dermatitis und Bewegungsstörungen beobachtet wird. Solche
Tiere sind in der Regel Kümmerer, die entweder von selbst
eingehen oder aus wirtschaftlichen Gründen eliminiert werden.
Seite 146
Kapitel, Pestiviren
Border Disease: Die Diagnose wird meistens in der
Ablammzeit gestellt. Adult infizierte Tiere erkranken nur sehr
mild. Von Bedeutung ist hingegen die intrauterine und
neonatale Infektion. Erste Anzeichen der Infektion innerhalb
einer Herde sind gehäufte Aborte und die Geburt von
missgebildeten Lämmern. Sehr charakteristisch sind
lebensschwache Neugeborene mit unterschiedlich
ausgeprägtem Tremor und abnormal rauhem Vlies ("hairy
shaker"). Manchmal treten auch "Kamel-artig" deformierte
Beine, sowie Erblindung als Folge der intrauterin erfolgten
Infektion mit Border Disease Virus auf. Ein grosser
Prozentsatz der erkrankten Tiere stirbt im Verlaufe der ersten
zwanzig Lebenswochen. Überlebende Tiere sind oft
schwächlich, krankheitsanfällig und werden oft von
respiratorischen und/oder enteralen Krankheiten befallen.
Insgesamt erinnert die Krankheit stark an die Mucosal Disease
der Rinder.
Immunreaktion
Grundsätzlich sind Pestiviren stark immunogen. In einem
immunkompetenten Tier erfolgt deshalb eine sehr erfolgreiche
Immunantwort auf die Infektion. Sowohl humorale, als auch
zelluläre Komponenten tragen zur Elimination der Pestiviren
aus dem Organismus bei. Nach der Infektion können meistens
hohe Titer neutralisierender Antikörper nachgewiesen werden.
Die einzelnen Pestiviren weisen starke Kreuzreaktionen auf.
Eine serologische Unterscheidung ist deshalb nur bedingt
möglich.
Erfolgt eine Infektion mit einem ncp Stamm vor dem
Erreichen der Immunkompetenz, in einer Phase wo sich die
Immunzellen des Körpers in der Ausbildung zur
Unterscheidung von "selbst" und "fremd" befinden, dann kann
es vorkommen, dass die Stammzellen, die eigentlich zur
Vernichtung des eingedrungenen Virusstammes vorgesehen
waren, eliminiert werden. Das Immunsystem lernt
irrtümlicherweise, dass die eingedrungenen Pestiviren zum
"selbst" gehören, also toleriert werden müssen. Der
Organismus wird infolgedessen immuntolerant gegenüber
diesem speziellen Virusstamm.
Impfprophylaxe
Sowohl inaktivierte, wie mlv Impfstoffe zur Prophylaxe von
BVD/MD sind zugelassen. Bei immuntoleranten Tieren ist die
Vakzination wirkungslos zur Prävention von MD. Im
Gegenteil, MD kann sogar ausgelöst werden.
Impfstoffe zur Prophylaxe von KSP sind in der Schweiz
verboten.
Border Disease: zur Zeit keine Impfstoffe verfügbar.
Seite 147
Kapitel, Pestiviren
Diagnose
Für BVD/MD fallen diagnostische Untersuchungen im
Zusammenhang mit Verdacht auf Mucosal Disease,
Abortproblemen und Pneumoenteritiden bei Mastkälbern an.
KSP: Bei septikämischen Krankheitsbildern an Schweinepest
denken.
Bei klassischer Border Disease kann meist schon klinisch eine
treffende Verdachtsdiagnose gestellt werden. Beim Auftreten
von Kümmerern und Todesfällen bei Lämmern sollte jedoch
vermehrt an "atypische" BD gedacht werden.
Für endgültige Diagnosen ist der Virusnachweis erforderlich.
Differentialdiagnosen
Rind: MKS, BKF, andere Aborterreger, andere
Infektionserreger des Pneumoenteritis Komplexes.
Schwein: ASP. Andere Septikämien (E.Coli, Salmonellen,
Mannheimien) aber auch Vergiftung (Aflatoxin).
Schaf: Ataxien wegen Demyelinisierung infolge von Kupfermangel.
Bei Verdacht
Einsendung von Untersuchungsmaterial grundsätzlich mit dem
entsprechenden Labor absprechen.
BVD/MD: Institut für Veterinär-Virologie der Vetsuisse
Fakultät Bern 031 631 2505.
KSP: INSTITUT FUER VIRUSKRANKHEITEN UND
IMMUNPROPHYLAXE (IVI).
Border Disease: Institut für Veterinärpathologie, Vetsuisse
Fakultät Zürich 044 635 8584.
Untersuchungsmaterial
BVD/MD:
Mucosal Disease: 10 ml EDTA Blut, ev. zusätzlich Serum.
Hautproben für Immunhistochemie bei Verdacht auf
persistente Infektion oder bei MD.
Abortprobleme: ganze Foeten.
Pneumoenteritis Komplex: 10 ml EDTA Blut, ev. Nasentupfer.
KSP: Tonsillen, Lymphknoten, Milz, Niere, Gehirn und Blut.
BD: ganze Lämmer.
Labordiagnose
Antigennachweis in "buffy coat" Zellen mittels ELISA.
Erregernachweis in Hautproben (in vivo für persistent BVDinfizierte Tiere) sowie in veränderten Organen (post mortem)
mittels Immunhistochemie. Eventuell ELISA zum Nachweis
von Antikörpern gegen "interne" Proteine im Serum.
RT-PCR-Technik für BVD und KSP. Virusisolation in
Zellkulturen dauert mehrere Tage. Bestandesserologie bei
Verdacht auf KSP.
Seite 148
Kapitel, Poxviren, Pocken, Mensch
Poxviren
Pocken
Autor: Martin Schwyzer
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
Pocken
Eradikation der Menschenpocken
(Variola)
Menschenpocken (Smallpox, Variola major) war eine
hochvirulente Infektionskrankheit mit 5-40 % Mortalität, seit
1977 dank konsequentem Impfprogramm der World Health
Organization (WHO) aus der ganzen Welt ausgerottet. Das
hierzu verwendete Impfvirus (Vaccinia Virus) ist seit zwei
Jahrhunderten im Einsatz; es wurde vermutlich von
Kuhpocken hergeleitet.
Besonderheiten
Ausrottung von Variola war vor allem aus folgenden Gründen
möglich:
• Wirksame Vakzine
• Kein animales Virusreservoir (ausser Affen- und
Büffelpocken)
• Keine Persistenz
• Schwerwiegende und gut erkennbare Krankheit.
Die Kuhpocken ist für die Veterinärmedizin wenig bedeutend,
aber Vaccinia Virus ist sehr bedeutend als: 1. Erste Vakzine
überhaupt (daher der Name), 2. Vektor für Expression fremder
Gene in animalen Zellen (u. a. auch für Impfungen).
Geschichte
Menschenpocken beschrieben im Altertum in China und
Indien. Die Mumie von Ramses V (ca. 1’000 v. Chr.) wies
Pockennarben auf. Nach dem 6. Jh. Pocken in Arabien, nach
dem 16. Jh. weltweit. Pockennarben, Erblindung, Tod. Nicht
so epidemisch wie Pest aber ständige Bedrohung.
Bekämpfung
Frühe Tradition in China: Variolation - Pockenkrusten zu
Pulver mahlen, dieses schnupfen. Oft erfolgreich, aber
gefährlich, gelegentlich zu neuen Pockenfällen führend. In
Europa später auch i.v. oder i.d., etwa seit 1840 illegal.
Seite 149
Kapitel, Poxviren, Pocken, Mensch
Jenner 1798 - Impfung mit Kuhpocken (Vaccinia) statt
Variolation. Daher der Name Vakzination. Rasche
Verbreitung in Europa. Jenner sagte 1801 die Ausrottung der
Pocken voraus. Dank dem Einsatz der WHO wurde dies 1977
Wirklichkeit. Sechs Voraussetzungen erfüllt:
• Sichere und wirksame Vakzine verfügbar
• Kein animales Virusreservoir. Hier bestehen Ausnahmen,
indem Affenpocken auf den Menschen übertragbar sind
(nur sporadisch im afrikanischen tropischen Regenwald),
ebenso Büffelpocken (mit Vaccinia verwandt; nur Indien).
• Keine Viruspersistenz, keine subklinischen Fälle
• Krankheit äusserlich erkennbar
• Die Schwere der Erkrankung bot Motivation für Impfung
und Quarantäne
• Bekämpfung weltweit akzeptiert, kein Verstecken wie bei
Lepra oder Geschlechtskrankheiten.
Die Kosten für die ganze Aktion beliefen sich auf 300 Mio $
für 400 Mio Vakzine-Dosen inklusive Logistik (zu vergleichen
mit der Milliarde $, welche Pockenprophylaxe jährlich im
Westen allein gekostet hatte).
Alle 6 Voraussetzungen sind zur Zeit leider nur bei wenigen
Humanviren gegeben, am besten zur Zeit bei Poliovirus
(WHO-Aktion im Gang). Bei animalen Viren besteht als
zusätzliche Möglichkeit die Ausmerzung betroffener Tiere
(MKS, IBR, Rabies).
Variola major wird noch in zwei Gefrierschränken in Atlanta
und Moskau gelagert (Überrest des kalten Krieges). Nach 1977
gab es noch einen Pockenfall in einem Labor in England
(Sterilbank via Lüftung).
1997 war eine starke Zunahme der Affenpocken in Zaïre zu
verzeichnen (170 Fälle beim Menschen).
Erreger
Vaccinia und Variola major sind zwei Spezies des Genus
Orthopoxvirus; über andere Mitglieder der Familie Poxviridae
siehe Pox (animal). Grosses behülltes Virus, "backsteinförmig"
(Oval mit abgeflachten Seiten) 120x300 nm, bestehend aus
Nukleokapsid, 2 Seitenkörperchen, äussere Membran, Hülle.
Genom doppelsträngige DNA mit kovalent verbundenen
Enden. DNA Sequenz von Vaccinia bekannt (191,737
Basenpaare), über 250 Gene.
Seite 150
Kapitel, Poxviren, Pocken, Mensch
Uncoating I
intermediäre mRNA
intermediäre Proteine
Transkriptionsfaktoren
Uncoating II
frühe mRNA
frühe Proteine
DNA
Replikation
Transkriptionsfaktoren
späte mRNA
Strukturproteine
Virion-Enzyme für
folgenden Zyklus
Golgi
Virusvermehrung und
Genexpression
Kern
Assembly
Poxviren (sowie ASP) sind die einzigen DNA-Viren, welche
sich im Zytoplasma vermehren. Viele der dazu benötigten
Funktionen sind Virus-kodiert (DNA-abhängige RNAPolymerase, DNA-Polymerase, Enzyme für RNAProzessierung). Das grosse Genom dieser Viren bewirkt
weitgehende Autonomie gegenüber der Zelle.
Über Adsorption und Penetration ist wenig bekannt.
Ungewöhnlich ist, dass sowohl behüllte als auch unbehüllte
Viren infektiös sind. Uncoating in zwei Schritten: 1. Zelluläre
Enzyme entfernen die äussere Membran; mitgebrachte virale
Enzyme beginnen mit der frühen Transkription im
Nukleokapsid. 2. Translation der frühen Virus-RNA; eines der
neugebildeten Virusproteine bewirkt Freisetzung der DNA aus
dem Nukleokapsid. Biosynthese in drei Phasen ähnlich wie bei
Herpesviren: frühe Phase (siehe oben), intermediäre und
späte Phase. In jeder Phase werden virale
Transkriptionsfaktoren synthetisiert, welche die nächste Phase
aktivieren (die späten Transkriptionsfaktoren werden für den
folgenden Infektionszyklus ins Virion verpackt).
Seite 151
Kapitel, Poxviren, Pocken, Mensch
In der frühen Phase werden ausserdem Enzyme synthetisiert
für die virale DNA-Replikation, welche die intermediäre Phase
einleitet. In der späten Phase werden die VirusStrukturproteine gebildet. Zusammenbau in speziellen
Bezirken des Zytoplasmas ("Virusfabriken"). Die Viren
erhalten zum Teil eine doppelte Hülle im Golgi-Apparat; nach
Knospung durch die Zellmembran bleibt nur die innere
Schicht als Virushülle.
Subtypen
Wegen der jahrhundertelangen, ungenau dokumentierten
Geschichte gibt es zahlreiche Vaccinia-Stämme. Keine
Einteilung in Subtypen. Neben Variola major gab es Variola
minor mit bedeutend geringerer Mortalität (1 %). Serolog.
Kreuzreaktionen zwischen Orthopoxviren.
Rekombinante VacciniaImpfstoffe
Ein Gen von Rabies-Virus wurde in Vaccinia-Vektor
eingebaut und zur Freiland-Immunisierung von Füchsen gegen
Tollwut verwendet. Schritte im einzelnen: Rabies-Gen für GProtein in bakterielles Plasmid eingebaut, flankiert von
Segmenten eines nichtessentiellen Vaccinia-Markergens.
Plasmid in Vaccinia-infizierte Zellen eingeschleust
(Transfektion). Durch doppelte homologe Rekombination
(übereinstimmende Vaccinia-Sequenzen im Plasmid und im
Virus) wurde das Vaccinia- durch das Rabies-Gen ersetzt.
Gewünschte Rekombinanten anhand Abwesenheit des
Vaccinia-Markergens selektioniert.
Pathogenese
Mögliche Eintrittspforten Respirationstrakt, Läsionen in der
Haut, oral. Nach transienter Virämie Transport in regionäre
Lymphknoten, Verbreitung durch lymphatische Organe,
generalisierte Virämie und Infektion epidermaler Zellen.
Klinik
Die Menschenpocken wurden meist via Respirationstrakt
übertragen. Dort Replikation; Transport zu Lungen, Milz,
Leber etc; 10 - 12 Tage später Virämie, Fieber, Kopfweh,
toxischer Schock. In den folgenden 4 Tagen traten die
typischen Eruptionen (Pocken) auf. Virus wurde via
Respirationstrakt und in grossen Mengen aus Eruptionen
ausgeschieden.
Immunreaktion
Die Variolation, "Mutter der Immunologie", gründete auf der
Beobachtung, dass pockennarbige Personen nicht erneut an
Pocken erkrankten.
Entsprechend dem grossen Poxvirusgenom und den vielen
Genprodukten wird eine Vielfalt verschiedener humoraler
Antikörper (z. T. neutralisierend) gebildet. Zelluläre
Immunreaktion wichtig für Impfschutz wie auch für das
Überstehen der natürlichen Infektion.
Seite 152
Kapitel, Poxviren, Pocken, Mensch
Epidemiologie und
Tenazität
Variola war immer endemisch in Eurasien. Kolonisierung von
Amerika, Afrika und Australien führte zu Epidemien, die
wesentlich zur Dezimierung der Urbevölkerung beitrugen. Das
Virus ist sehr resistent gegen Umwelteinflüsse (Lyophilisation
des Vaccinia-Impfstoffes).
Prophylaxe
Vaccinia gehört zu den vergleichsweise weniger harmlosen
Impfviren. Normalerweise verhindert die einsetzende
fieberhafte Immunreaktion eine Ausbreitung, aber bei
immundefizienten Personen sowie bei Trägern von Ekzemen
kann Vaccinia eine generalisierte Virämie und Pockenähnliche Erkrankung auslösen. Eine seltene aber fatale
Impfkomplikation ist Enzephalopathie mit Hirnödem bei
Kindern <2 Jahre und Encephalitis mit Demyelinisierung bei
älteren Personen. Die hohe Komplikationsrate (höher als bei
jedem anderen Impfvirus) wirkte eher motivierend auf die
Eradikationskampagne, da die inzwischen bestätigte Hoffnung
bestand, in Zukunft auf diese Impfung verzichten zu können.
Für den heutigen Einsatz von Pockenviren als Impfstoff, oder
rekombinanten Vakzinen wird eine höhere Sicherheit verlangt.
Die Grundlagen dazu wurden in den späten 1950 er bis 1970 er
Jahren von Prof. Anton Mayr in München gelegt. Das
Ausgangsvirus war CVA (Chorioallantois Vaccinia Ankara),
ein Vaccinia Virus, das in der Türkei für Pockenimpfungen
eingesetzt wurde. CVA wurde über 500 mal auf verschiedenen
Zellinien, u.A. auf Fibroblasten von Hühnerembryonen
passagiert. Dieses neue Virus, MVA 516 (modifiziertes
Vaccinia Ankara) hatte gegenüber dem Ursprungs-Isolat sechs
Deletionen, zeigte eine verminderte Virulenz, behielt aber die
Immunpotenz. Auf humanen Zellkulturen vermehrte es sich
nur mehr unvollständig (abortiv), während die
Vermehrungsfähigkeit auf Hühnerfibroblasten erhalten blieb.
Rekombinante Impfstoffe, die auf MVA als Vektor basieren,
sind in einer Versuchsphase beim Menschen. In den 70er
jahren wurde MVA bei mehr als 120'000 Menschen inklusive
Kindern als sichere Pockenimpfung eingesetzt.
Staatliche Massnahmen
Viele Länder (z. B. USA) verlangten bei der Einreise den
Nachweis der Pockenimpfung. 1980 erklärte die WHO Variola
für ausgerottet; es wird nicht mehr geimpft und die
Bevölkerung wird nun zunehmend seronegativ.
Sequenzanalyse des Genoms von Variola major wurde 1994
abgeschlossen. Danach war vorgesehen, auch die letzten
Virusvorräte zu vernichten. Dies wurde bis heute nicht
durchgeführt. Seit 2001 haben sich Befürchtungen verstärkt,
Variola könnte für Bioterrorismus eingesetzt werden. Ob die
Beibehaltung der Virusvorräte gegen die Bedrohung hilft, ist
umstritten. Immerhin könnte ein besseres Verständnis der
Virulenzgene nützlich sein.
Seite 153
Kapitel, Poxviren, Pockenviren bei Tieren
Animale Poxviren
Autor: Martin Schwyzer
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
Pockenviren bei Tieren
Pox
Pockenviren verursachen je nach Virus und Tierart
verschiedenartige Läsionen der Haut. Die klinisch wichtigen
Viren führen auch zu Virämie und schwerer generalisierter
Infektion.
Besonderheiten
Sehr grosse, komplexe Viren. Vermehrung im Zytoplasma.
Erreger
Die Familie Poxviridae umfasst zwei Subfamilien,
Chordopoxvirinae (Poxviren bei Vertebraten) und
Entomopoxvirinae (bei Insekten). Die Chordopoxvirinae
umfassen acht Genera. Für die Veterinärmedizin am
wichtigsten sind:
Genus
Orthopoxvirus
Parapoxvirus
Capripoxvirus
Suipoxvirus
Leporipoxvirus
Avipoxvirus
Virus
Vaccinia Virus
Wirt
Verbreitung
Rind, Büffel, Schwein, Kaninchen, Weltweit
Nagetiere, Mensch
Affenpocken
Affen, Eichhörnchen, Mensch
tropisches
Afrika
Orf Virus
Schaf, Ziege, Mensch
Weltweit
Schafpocken
Schaf, Ziege
Afrika, Asien
Schweinepocken Schwein; durch Läuse übertragen
Weltweit
Myxoma Virus Kaninchen
Amerika,
Europa,
Australien
Geflügelpocken Huhn, Truthahn
Weltweit
Virusvermehrung und
Genexpression
Alle Poxviren vermehren sich im Zytoplasma nach dem
Muster von Vaccinia und Variola (siehe Abbildung unter
"Pocken"). Verschiedene Poxviren sind vollständig
sequenziert, zB. Myxoma, Geflügelpocken, Molluscum
contagiousum
Pathogenese
Nach Eindringen des Virus durch Läsionen in Haut oder
Schleimhaut lokale Vermehrung und transiente Virämie.
Weitere Vermehrung in regionären Lymphknoten (ev. auch
Milz, Knochenmark, Leber), erneute Virämie. Befall
epidermaler Zellen, ein viraler Wachstumsfaktor lässt die
Zellen proliferieren. Führt zu den typischen Pusteln mit
Hyperplasie, Zell-Lyse, entzündlicher Infiltration,
Ödembildung.
Seite 154
Kapitel, Poxviren, Pockenviren bei Tieren
Klinik
Immunreaktion
Orf (Schaf und Ziege): Läsionen können an Lippen,
Kronsaum, Euter, ev. Genitalien auftreten. Anfänglich
Bläschen und Pusteln, die dann verkrusten und nach etwa 2
Wochen abfallen. Bei Lämmern auch bösartige Form mit
Wucherungen im Maul, Pharynx und Ösophagus.
Orf (Mensch): Melkerknoten - blaurote Knoten vor allem an
Fingern, bis kirschsteingross, später verkrustend.
Sekundärinfektionen möglich.
Schweinepocken: An Ohren, Bauch, Schenkeln und Rüssel
Erytheme, die zu Pusteln reifen und dann verkrusten. Geringe
Letalität.
Myxoma (Kaninchen): Zu Beginn geschwulstartige
Verdickungen an Augenlidern, Nase, Lippen, dann Übergriff
auf den ganzen Körper (löwenähnliches Aussehen) und Tod
innert etwa 10 Tagen.
Geflügelpocken: Anfangs rötliche Flecken an Kamm, Ohrund Kehllappen, Nasenausgang und Schnabel, später Pusteln
und Krusten. Bei der Schleimhautform sind auch Mund,
Pharynx und Larynx betroffen; dann ist die Prognose
ungünstig.
Bei allen diesen Viren sind auch klinisch inapparente
Verlaufsformen möglich (Virusreservoir).
Poxviren induzieren wegen ihrer Komplexität vielerlei
Antikörper. Sie verfügen jedoch auch über vielfältige
Evasionsstrategien. Sie bilden Proteine, welche Komplement
inaktivieren, die Wirkung von Interferon verhindern, ZytokinRezeptoren imitieren etc.
Epidemiologie
Übertragung durch direkten Kontakt oder über abgefallene
Krusten (Orf), aerogen (Schafpocken), oder durch Insekten
(Schweinepocken).
Diagnose
Nach klinischem Bild. Ausserdem Elektronenmikroskopie,
Erregerisolierung, Restriktionsenzymanalyse der DNA.
Desinfektion
Poxviren sind gegen Umwelteinflüsse sehr resistent. In
Krusten können sie mindestens ein Jahr überleben.
Prophylaxe
Hygiene ist die beste Prophylaxe. Gegen Orf steht eine
Lebendvakzine zur Verfügung.
Therapie
Ausser Desinfektion der Läsionen (Verhinderung von
Sekundärinfektionen) wenig Therapiemöglichkeiten.
Seite 155
Kapitel, Prionen, BSE
Prionen
BSE
Autoren: Monika Engels, Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405.doc
BSE
Bovine Spongiforme
Enzephalopathie
Seit 1985 bei Kühen neu aufgetretene Erkrankung des
Zentralnervensystems. Die Krankheit ist Scrapie-ähnlich;
Grund: es handelt sich um eine auf das Rind übertragene
Scrapie-Infektion (s. Epidemiologie).
Besonderheiten
In einem Bestand sind meist nur ein oder wenige Tiere von der
Krankheit betroffen. Vertikale Übertragung von
untergeordneter Bedeutung.
Verdacht der zoonotischen Übertragung von BSE auf den
Menschen (vCJD) durch Nahrungsmittel, die Prionen-haltiges
Gewebe enthalten (vgl. Risikorgane).
Weitere Besonderheiten der Prionen inkl.
Antigenverwandtschaft und Spongiforme Enzephalopathien
anderer Tierarten und des Menschen: s. Porträt von Scrapie.
Staatliche Massnahmen
In der Schweiz gelten seit dem 1. Dezember 1990 die
"Sofortmassnahmen gegen die spongiforme Enzephalopathie
der Wiederkäuer"; Änderung der Tierseuchenverordnung vom
29. Nov. 1993.
a) vorsorgliche Massnahmen
b) Massnahmen bei Auftreten der Krankheit und
c) Allgemeines
d) Weitere Vorschriften wurden rechtskräftig mit den
Sofortmassnahmen vom 13. September 1996 und den
e) Anpassungen vom 1. Juli 1998
f) UP BSE (Überwachungsprogramm BSE)
g) Anpassungen Juli 1999
h) Allgemeines Tiermehlverbot (1. Januar 2001)
i) Änderungen im Schlachtprozess (Frühjahr 2001)
h) UP TSE (Überwachungsprogramm TSE, kleine
Wiederkäuer)
Seite 156
Kapitel, Prionen, BSE
ad a): "feed-ban" = Meldepflicht / Fütterungsverbot (Fleisch/Knochenmehl u.ä. an Wiederkäuer) /
Lebendviehuntersuchung (bei allen > 6 Monate alten Rindern,
Ziegen und Schafen) / Entfernen und Verbrennen der
folgenden Risikoorgane: Gehirn, Augen, Rückenmark mit
Dura mater, Thymus, Milz, Därme, Spinalganglien sowie
sichtbares Lymph- und Nervengewebe von > 6 Monate alten
Rindern sowie von Schafen und Ziegen, die >12 Monate alt
sind oder bei denen ein bleibender Schneidezahn
durchgebrochen ist. Milz und Ileum von Schafen und Ziegen
jeden Alters.
ad b): Klärung des Verdachts (Tierarzt, KT; solang Verdacht,
darf Milch nicht abgeliefert werden) / gesamter Körper kranker
Tiere muss verbrannt werden / bei Scrapie muss der gesamte
Bestand geschlachtet und die Tierkörper verbrannt werden
(danach 2-jährige Zuchtsperre); bei BSE ist nur das erkrankte
Tier zu schlachten und zu verbrennen.
ad c): Die Kantone entschädigen die Tierverluste und tragen
Kosten für Untersuchungen und Verbrennen der Tierkörper.
Nachkommen von BSE Kühen müssen bezeichnet werden
(Ohrtätowierung "BSE"; Exportverbot). BVet verschärft
Einfuhrbedingungen für Futtermittel tierischer Herkunft. Die
Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) entscheidet
über Restriktionen bei der Medikamentenherstellung. Zum
Beispiel wurden 1991 10 Medikamente wegen zu grossem
Risiko aus dem Handel gezogen.
ad d) "Sofortmassnahmen": Sind nach dem 1. Dezember
1990 geborene Tiere betroffen (sogenannte BAB-Fälle), so
werden alle Tiere der Rindergattung des Bestandes eliminiert.
ad e) "Anpassung": Wirbelknochen von Kühen (>18 Monate)
sowie von Schafen und Ziegen (>6 Monate) sind von der
menschlichen Ernährung ausgeschlossen. Alle umgestandenen
Klauentiere müssen gemeldet werden. Obligatorium der
Lebenduntersuchung für alle Betriebe.
ad f) "UP BSE": seit 1999 laufendes, zeitlich befristetes
Programm; es werden alle verendeten, getöteten und
notgeschlachteten Kühe sowie eine Stichprobe von ca. 13'500
normal geschlachteten Kühen mit dem Prionics-Check® Test
untersucht (siehe Labordiagnose).
ad g) Ersatz der Herdenkeulung durch Kohortenkeulung
ad h) Allgemeines Tiermehlverbot: Verfütterungsverbot von
Tiermehlen und Extraktionsfetten an alle Nutztiere.
Verfütterungsverbot von Fischmehl an Wiederkäuer. Verbot
von Import und Export von Fleischabfällen sowie daraus
hergestellten Zwischenprodukten.
ad i) Änderungen im Schlachtprozess: Pressluftbetäubung
und "Rüteln" verboten.
Seite 157
Kapitel, Prionen, BSE
ad j) "UP TSE": Von Juli 2004 bis Juli 2005 wird neu auch
ein Überwachusprogramm TSE bei kleinen
Wiederkäuern durchgeführt. Untersucht werden alle
Schafe mit zwei oder mehr Schaufeln, die geschlachtet
oder getötet wurden oder umgestanden sind. Alle
Ziegen, die umgestanden sind oder nicht zur
Fleischgewinnung getötet wurden sowie möglichst
viele Schlachtziegen, die > 12 Monate alt sind werden
auf freiwilliger Basis mit einbezogen.
Massnahmen in der EU3
1994: Verfütterungsverbot von Fleischmehlen an Wiederkäuer
(Schweiz: 1990)
1996: Mindestparameter für die Behandlung von Tierabfällen
(Schweiz 1993)
2000: Entfernung der Risikoorgane aus der menschlichen
Ernährungskette (Schweiz: seit 1990!!)
2001: Allgemeines Tiermehlverbot
Geschichte
Die BSE wurde 1985 zum ersten Mal in Grossbritannien
beobachtet und 1986 als SE erkannt. Seit 1986 massive
Ausbreitung der BSE in ganz Grossbritannien. Durch Export
von Tieren bzw. Fleisch-/ Knochenmehl ist die BSE auch in
verschiedene andere Länder weiterverbreitet worden,
allerdings in verhältnismässig geringem Ausmass.
Seit 1994 statistisch signifikanter Rückgang der BSE Fälle in
England. Zurückzuführen auf den anfangs 1989 in Kraft
getretenen "feed-ban" für Wiederkäuerprotein.
BSE in Grossbritannien
Stand 11. September 2002
in Tausend
40
30
"feed-ban"
20
10
0
1984198519861987198819891990199119921993199419951996199719981999200020012002
Fälle
0
0.004 0.016 0.644 2.185 7.13614.17925.01334.71836.2723.94414.2988.016 4.311 3.235 2.157 1.326 1.202 0.687
Aptiva\BSEnews.PR4
3
Quelle: NZZ vom 22. Januar 2001, Seite 10 sowie http://www.admin.ch/bvet (BSE)
Seite 158
Kapitel, Prionen, BSE
Verbreitung
Grossbritannien (inkl. Schottland, Nordirland und Inseln):
von 1986 bis 14. Oktober 2005 wurden 184'124 Fälle
registriert. Einführung des "feed-ban" am 8. Juli 1988.
Rückgang der Anzahl gemeldeter Fälle pro Woche von 670
(Juni 1993) auf 39 (Durchschnitt 1999). Inzidenz:
Milchviehherden 53.3%, Mast/Aufzuchtherden 14.7%,
insgesamt 33.8%. (Bei ca. 85% der Verdachtsfälle wird BSE
bestätigt.) 2003: 549 Fälle, bis Juli 2004: 158 Fälle.
Aus der obenstehenden Abbildung (Quelle: BVet) geht die
Gesamtzahl der BSE Fälle hervor sowie das Jahr, in dem in
verschiedenen Ländern bislang erstmals BSE gemeldet wurde.
Deutschland meldete bis Mitte 2000 nur gerade 6 Fälle von
BSE, wobei allein Importtiere betroffen waren. Aufgrund der
Importzahlen hätten allerdings 243 Fälle bei Importtieren
registriert werden müssen. Deutschland und andere
europäische Länder mussten deshalb schwere Vorwürfe der
Briten wegen "underreporting" entgegennehmen. Der erste
"native" BSE-Fall bei einem deutschen Rind im Herbst 2000,
der zudem zeitgleich mit dem ersten Verdachtsfall von vCJD
bei einem Deutschen Staatsbürger auftrat, erzeugte deshalb
einen handfesten Skandal. Bis Juli 2001, also innerhalb von 6
Monaten, stieg die Anzahl diagnostizierter Fälle auf 87. Stand
Oktober 2005: 351 gemeldete Fälle.
Seite 159
Kapitel, Prionen, BSE
Schweiz. Die Jahresstatistik für 2005 belief sich bis zum 14.
Oktober auf 3 Fälle. Zwischen Ende November 1990 und 14.
Oktober 2005 wurden 458 Fälle gezählt. Die höchste Zahl an
BAB-Fällen wurde beim Jahrgang 1994 entdeckt, gefolgt vom
Jahrgang 1995. Mit dem UP Programm wurden zwischen 1999
und Oktober 2005 insgesamt 85 BSE positive Tiere entdeckt.
Die freiwilligen Untersuchungen von privater Seite brachten
bislang 22 Fälle zu Tage. Trotz aller Gegenmassnahmen
wurden mehrfach Fälle mit Geburtsjahr von 1996 oder jünger
registriert.
BSE Schweiz
Stand 16. August 2002
Sofortmassnahmen
500
400
300
420
TiermehlUP99 verbot
"feed-ban"
Anpassung
200
63
100
1
0
15
9
68
29
45
38
50
14
33
42
13
0
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002 Summe
bsenews.pr4
Stand 14. Oktober 2005: Total 458 Fälle.
Erreger
s. Scrapie
"Virusvermehrung und
Genexpression"
s. Scrapie
Epidemiologie
Nach dem Auftreten der BSE in Grossbritannien wurden dort
grosse Anstrengungen unternommen, um die Herkunft dieser
neuen Krankheit herauszufinden. In Betrieben, in denen BSE
auftrat, wurden minuziöse Datenerhebungen gemacht und
mittels Computersimulationssystemen ausgewertet. Einziges
gemeinsames Merkmal aller Betriebe: Verfütterung von
Fleisch-/Knochenmehl als Kraftfutterzusatz. Zusammen mit
der typischen Symptomatik fiel der Verdacht auf eine
Kontamination dieses Futters mit dem Scrapie-Erreger.
Folgende Ereignisse unterstützten diesen Verdacht:
Seite 160
Kapitel, Prionen, BSE
Die Schafpopulation in GB stieg in den 70er Jahren stark
an - und damit auch die Scrapiefälle.
• Die Kadaver der toten Tiere konnten nicht mehr begraben
werden (Beschränkung der Wasenplätze), weshalb sie der
Verwertung zu Fleisch-/Knochenmehl zugeführt wurden.
• Zur selben Zeit wurde die Aufarbeitungsmethode insbesondere die Fettextraktionsmethode - abgeändert, was
u.a. die Folge hatte, dass die Masse nicht mehr gleich stark
erhitzt wurde. So gelangten also zum einen mehr
Scrapieerreger in das Material und zum andern wurden
diese ungenügend inaktiviert.
Folge: es konnte eine orale Übertragung auf das Rind
stattfinden. Nach Überwinden der Speziesbarriere kam es dann
in den ersten Jahren zu einem eigentlichen Recycling des
"Rinder-adaptierten Scrapie-Erregers", da die an BSE
erkrankten Kühe zunächst auch in die Wiederverwertung
kamen.
•
Eine neuere Hypothese geht allerdings davon aus, dass BSE
spontan im Rind entstanden und direkt in den Fleisch/Knochenmehl-Kreislauf gelangt sei.
Offen bleibt die Frage, ob das Rind grundsätzlich ein Endwirt
ist, oder ob eine horizontale und/oder vertikale Übertragung
vorkommen könnte. Gemäss bisheriger Beobachtungen könnte
eine vertikale Übertragung tatsächlich vorkommen.
Die Wahrscheinlichkeit nimmt gegen Ende der Trächtigkeit
sogar zu. Hinweise dafür liefern neben wissenschaftlichen
Studien auch die sogenannten BAB-Fälle (Born after Ban:
Geboren nach der Einführung des "feed-ban").
Andererseits wurden in der Schweiz BAB-Fälle vermehrt auf
Betrieben festgestellt, in denen neben Rindern auch Schweine
gehalten wurden. Bekanntlich galt der "feed ban" bis Ende
2000 nicht für die Fütterung von Schweinen! Hinweise auf
horizontale Übertragung gibt es nicht (Zunahme der Anzahl
Fälle in GB hätte anders verlaufen müssen).
Bislang war nur ein einheitlicher BSE-Stamm bekannt (siehe
verschiedene Stämme bei Scrapie). Kürzlich wurden jedoch
"atypische" BSE Fälle in Frankreich, Italien und Japan
beschrieben. Die entsprechenden Tiere waren klinisch
unauffällig und wurden mittels staatlicher Überwachungsprogramme erfasst. Mittels biologischer und biochemischer
Untersuchungen fand man heraus, dass die Erreger der Fälle in
Frankreich Ähnlichkeiten zum Scrapieerreger aufwiesen,
während die Erreger der italienischen Fälle eher dem
klassischen CJD Erreger glichen. Letzteres widerspiegelte sich
auch in der Histopathologie, wo man bei den betroffenen
Tieren typische Plaques (wie bei CJD) anstelle der für BSE
typischen Vakuolen fand. Diese Fälle werfen neue Fragen zum
Ursprung der BSE auf.
Seite 161
Kapitel, Prionen, BSE
BSE als Zoonose. In GB traten erstmals 1996 bei jungen
Menschen (<40 Jahre alt, anstatt >50 Jahre, wie bei klassischer
CJD) eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob Krankheit
(vCJD) auf, von der angenommen wird, dass sie aufgrund
einer genetischen Disposition durch den BSE-Erreger
verursacht wird.
Bis Mitte 2004 wurden circa 160 solcher Fälle bekannt, 150 in
England sowie Einzelfälle in Frankreich, Irland und Italien.
Bei den Betroffenen wurde eine genetische Disposition
festgestellt (M129V). Es wird vermutet, dass die Übertragung
durch Konsum von Lebensmitteln, die Rinderhirn enthielten,
stattgefunden hat. Aufgrund eines Falles im Jahre 2003 wird
auch die Übertragung von Mensch zu Mensch via
Bluttransfusion nicht mehr ausgeschlossen.
Risikoorgane
Als Risikoorgane (Erreger darin nachgewiesen) gelten: Gehirn,
Rückenmark inklusive Wirbelknochen und Ganglien, Thymus,
Milz, Därme von > 6 Monate alten Tieren (= Schlachtabfälle);
beim Zerlegen sichtbares Lymph- und Nervengewebe, sowie
Lymphknoten (= Metzgereiabfälle). Die folgende Tabelle fasst
nähere Angaben zusammen.
Risikoorgane
BSE Vademecum 16.10.1998
Hoher Anteil an Infektiosität
Hirn, Augen, Rückenmark, spinale
Lymphknoten, dura mater (Rd),
Hypophyse (Rd), Schädel- (Rd),
Wirbelknochen, Lungen, Milz (Schaf,
Ziege)
Mittlerer Anteil
Magen- Darmtrakt, Tonsillen, Milz (Rd),
Plazenta, Uterus, foetale Gewebe,
Nebennieren, Zerebrospinalflüssigkeit,
Lymphknoten
Geringer Anteil
Leber, Pakreas, Thymus, Knochenmark,
andere Knochen, Nasenschleimhaut,
periphere Nerven
Keine Infektiosität
nachgewiesen
Skelettmuskeln, Herz, Nieren, Milch,
Fettgewebe, Speicheldrüsen, Speichel,
Eutergewebe, Schilddrüse, Ovarien,
Hoden, andere Geschlechtsdrüsen,
Knorpel, Bindegewebe, Haut, Haar,
Blutkoagula, Serum, Urin, Kot, Galle
Seite 162
Kapitel, Prionen, BSE
Sofern nicht anders angemerkt sind die Organe von Rind,
Schaf und Ziege gemeint. Zum Teil sind einzelne Gewebe,
z.B. Wirbelknochen, in eine höhere Risikostufe eingereiht,
weil eine Kontamination beim Schlachtprozess möglich ist.
Die Lunge ist erwähnt, weil bei der Betäubung der
Schlachttiere Hirnmaterial aspiriert werden könnte.
Infektiosität nicht nachgewiesen bedeutet, dass Mäuse mit 10
bis 100 mg Gewebe intrazerebral inokuliert wurden und
danach nicht erkrankten.
Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die BLymphozyten eine wichtige Rolle bei der Pathogenese spielen.
Aus diesem Grund ist die Plazierung der Blutkoagula
umstritten.
Desinfektion
s. Scrapie. Anpassung 1998: Zur sicheren Inaktivierung von
BSE Material wird empfohlen, eine Temperatur von 140°C bei
3.6 bar während 30 Minuten einzuhalten.
(Bis dato lautete die Empfehlung: 133°C, 3 bar, 20 Minuten.)
Pathogenese
Kenntnisse noch unvollständig. Die mittlere Inkubationszeit
beim Rind beträgt 4 Jahre. Es wird angenommen, dass die
Scrapie-Pathogenese auch für BSE zutrifft. Ein wichtiger
Unterschied: bisher konnte der BSE-Erreger in der Plazenta
nicht nachgewiesen werden (cave Scrapie: Plazenta
hochinfektiös!).
Histopathologie
Abbildung links.
Immunhistologische
Darstellung von PrionProtein in einer schwammartig veränderten Läsion im
Gehirn. Solche Läsionen
kommen meist in der grauen
Substanz, bilateral und
symmetrisch vor. Betroffen
sind oftmals Hirstammregionen. Die dunkel
angefärbten Bezirke
enthalten massenhaft PrionProtein. Von der
zytoplasmatischen
Vakuolisierung sind
besonders Neuronen
betroffen. Cave: atypische
Fälle in Italien!
Seite 163
Kapitel, Prionen, BSE
Klinik
Die Krankheit verläuft nach einer sehr langen Inkubationszeit
progressiv (über Monate) und endet immer tödlich.
Symptomatik -> drei ineinander überfliessenden Phasen: 1.
Ängstlichkeit, Überempfindlichkeit, leichtgradige
Koordinationsstörungen. 2. Zunahme der Verhaltensstörungen
(Schreckreaktionen, Ausschlagen, ev. Aggression). 3.
Zunahme der Bewegungsstörungen ( (Inkoordination,
Muskelzittern, Umfallen). Allgemein können Abmagerung und
Milchrückgang beobachtet werden; z.T. auch Juckreiz.
Symptomatik ist sehr individuell!
Immunreaktion
keine!
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe (s. Fütterung)
Diagnose
s. Scrapie
Differentialdiagnosen
Erwachsene und ältere Tiere Magnesiummangel u.a.
Stoffwechselstörungen, sowie Alterserscheinungen; Jungtiere:
v.a. andere ZNS-Infektionen, z.B. Listeriose, Tollwut, Borna;
Traumata und angeborene Abnormalitäten.
Bei Verdacht
s. Scrapie
Untersuchungsmaterial
s. Scrapie
Labordiagnose
Histopathologie s. Scrapie.
In der Schweiz zugelassene Diagnostiktests:
• Prionics-Check® Test: Westernblot
• Platelia BSE: ELISA
Aktuell
Informationen zu BSE und anderen Prionenkrankheiten sind
auch auf dem Internet erhältlich, z.B.
http://www.bvet.admin.ch/ oder
http://www.vetvir.unizh.ch/bse99/frame_bse.html
Seite 164
Kapitel, Prionen, Scrapie
SCRAPIE
Autoren: Monika Engels, Mathias Ackermann
File Info: nw8000:\Vorlesung\Portrats0405.doc
SCRAPIE
Traberkrankheit, Tremblante (frz.)
Progressiv verlaufende Erkrankung des Zentralnervensystems,
die mit spongiformen Veränderungen einhergeht. Daher die
Bezeichnung transmissible spongiforme Enzephalopathie
(TSE). Scrapie kommt vor allem bei Schafen, gelegentlich
auch bei Ziegen vor.
Besonderheiten
Infektions- und Krankheitsverlauf: Sehr lange
Inkubationszeit (durchschnittlich 4 Jahre); Krankheitsverlauf
progressiv und immer tödlich; Infektion verursacht keine
Entzündungsreaktionen; es werden keine Antikörper
produziert.
Erreger: ist äusserst resistent gegenüber den meisten
Desinfektions-/Inaktivierungsmethoden; es handelt sich um ein
unkonventionelles infektiöses Agens (kein Virus im
klassischen Sinn); Hypothese: Prion; Gen für Prionprotein ist
wirtseigen -> Infektionskrankheit, die unter genetischer
Kontrolle steht (Vererbbarkeit).
Antigenverwandtschaft: s. Priontheorie; verschiedene
"Scrapiestämme" können aufgrund ihres unterschiedlichen
biologischen und pathologischen Verhaltens unterschieden
werden.
Staatliche Massnahmen: s. BSE; seit 1. Dezember 1990
gelten die "Sofortmassnahmen gegen die spongiforme
Enzephalopathie der Wiederkäuer". Änderung der
Tierseuchenverordnung vom 29. Nov. 1993. Bei Auftreten von
Scrapie wird der gesamte Bestand gekeult; 2-jährige
Zuchtsperre. Im Juli 2004 wurde ein zeitlich befristetes
Überwachungsprogramm TSE bei kleinen Wiederkäuern
eingeführt. Details und weitere Massnahmen s. BSE.
Ü
Scrapie als Erkrankung der Schafe ist in Europa schon seit
über 200 Jahren bekannt. Erster echter Übertragungsversuch
von infiziertem Schafhirn auf andere Schafe und der Nachweis
der Filtrierbarkeit des Erregers gelang 1936 (Cuillé und
Chelle). Der Scrapie-Erreger ist der bestuntersuchte SEErreger.
Seite 165
Kapitel, Prionen, Scrapie
Andere SEs: (siehe auch unter folgendem Internet Link:
http://www.vetvir.unizh.ch/bse99/frame_bse.html )
• Beim Menschen Kuru (Entdeckung 1957 bei einem
Volksstamm in Papua-Neuguinea - 1966 Übertragbarkeit
und Scrapie-Ähnlichkeit bewiesen); Creutzfeldt-Jakob
Krankheit (CJK oder CJD; Beschreibung anfangs
Jahrhundert durch Creutzfeldt bzw. Jakob - unabhängig
voneinander; 1968 Übertragbarkeit und ScrapieÄhnlichkeit bewiesen), Gerstmann-SträusslerScheinker-Syndrom (GSS; als Variante der CJK bekannt
geworden; vererbbar!); familiäre fatale Insomnie (seit
kurzem als Prionerkrankung erkannt). Neue Variante der
Creutzfeldt-Jakob Krankheit (nvCJD) mit grosser
Wahrscheinlichkeit handelt sich dabei um die zoonotische
Form der BSE beim Menschen.
• Beim Tier: Transmissible Nerzenzephalopathie (TNE;
1947 erstmals in einer Nerzfarm in Wisconsin USA
beobachtet; später weitere Ausbrüche in Kanada und
Finnland); "Chronic wasting disease" (CWD; chronische
Verfallskrankheit bei Elch- und Hirscharten - erstmals
1978 in Colorado USA beobachtet); bovine spongiforme
Enzephalopathie (BSE; bekannt seit 1986 in
Grossbritannien); feline spongiforme Enzephalopathie
(Hauskatzen und bisher 1 Puma, England; Juli 2001: erste
Katze in der Schweiz) und SE bei verschiedenen
Wildwiederkäuerarten in englischen Zoos (seit wenigen
Jahren - nach Auftreten der BSE). Im Juli 2004 erkrankte
weltweit erstmals nachweislich ein Zebu an einer TSE
(Basler Zoo).
Verbreitung
Fast weltweit; In Europa seit langem endemisch in England,
Frankreich, Irland, Island; Einzelfälle in letzter Zeit in
Deutschland, Norwegen, ehem. Tschechoslowakei, Israel,
Schweiz (letzter Fall im Juli 2004 im Kanton Zürich). Frei von
Scrapie sind heute Australien und Neuseeland (intensive
Bekämpfungverfahren in 50er Jahren).
Erreger
Unkonventionell; 2 hypothetische Agentien: Virino bzw.
Prion (Prionen werden allgemein als wahrscheinlicher
betrachtet). Def.: 1. Virino = unkonventionelles Virus;
Nukleinsäure vorhanden, aber sehr klein und nicht translatiert,
umgeben von zelloriginärem Protein. 2. Prion = kleine,
infektiöse Proteinpartikel, resistent gegen Inaktivierung durch
Nukleinsäure-zerstörende Behandlungen; enthalten eine
abnorme Isoform eines zellulären Proteins, die ein wichtiger
und notwendiger Bestandteil des infektiösen Partikels ist
(abnorm = Protease-resistent).
Priongen (Hamster; nach Prusiner):
Seite 166
Kapitel, Prionen, Scrapie
Exon I
Exon II
Intron
DNA
ORF
5'
ORF
An mRNA
2 Exons, 1 Intron (ca. 10kb); ORF (open reading frame,
offener Leseraster) liegt ganz auf Exon II und kodiert für ein
254 Aminosäuren-Protein; durch Splicing wird Intron
ausgeschnitten und es kommt zur Verbindung zwischen der ca.
60 - 80 Nukleotide langen Leadersequenz (5') und der
eigentlichen kodierenden Sequenz.
Transkription zu 2.1 kb PrP-mRNA (Konzentration nimmt im
Verlauf der Scrapie-Infektion nicht zu!).
Prionprotein (PrPc):
X
SiS
C
X
GPI
S-S
SiS: Signalsequenz; X: Stellen für N-glykosidische Bindungen;
S-S: intramolekulare Disulfidbrücke (Cysteinreste an Codons
179 und 214) --> Schleife, die auch die Oligosaccharide
enthält; GPI: Glykosyl-Phosphatidylinositol Anker --> wird
angehängt nach Abspaltung der C-terminalen 20 Aminosäuren
(schraffiert); <--C: Abspaltung des N-terminalen Anteils, Rest
= Protease-resistentes PrPsc (ohne Protease-Behandlung aber
wie PrPc).
Die 3D- Struktur Prionproteine von Maus, Hamster, Mensch
und Rind wurde inzwischen entschlüsselt.
Atypische Varianten
Aufgrund neuerer Untersuchungen ist auch mit sogenannt
atypischen Prionen zu rechnen, welche sich dadurch
auszeichnen, dass auch ein Teil des C-terminale Endes des
Prionproteins beim Proteaseverdau zerfällt. Dadurch reagiert
ein Teil der verfügbaren Diagnostika falsch-negativ.
Insbesondere in Deutschland wurde eine ganze Anzahl solcher
atypischer Fälle bei Ziegen beobachtet.
Seite 167
Kapitel, Prionen, Scrapie
"Virusvermehrung und
Genexpression"
Prion-/Virino-Hypothese; Schema modifiziert nach
Weissmann: Molecular Biology of Prion Diseases, Trends in
Cell Biology (1994), pp10-14.
Normale Zelle
Prion-infizierte Zellen
PrP Gen
PrP Gen
PrP mRNA
PrPc
PrP Gen
PrP mRNA
PrP mRNA
PrPc
PrPc
PrPsc
“crystal”
“Protein only”
Prion-spezifische
Nukleinsäure
Virino
Virino Modell
Abbildung. Modell zur Vermehrung des Scrapie Agens: (a) Normales PrPc
wird in einer Zelle synthetisiert, an die Oberfläche transportiert und
metabolisch umgesetzt. (b) Das "Protein only" Modell setzt voraus, dass
PrPsc und PrPc identisch sind. Exogene Prionen verursachen die
Umwandlung von PrPc in PrPsc. Dies geschieht vermutlich im Innern der
Zelle, wobei PrPsc zu kristall-ähnlichen Strukturen aggregiert. Für die
Umwandlung in die krankhafte Isoform wird u.a. die Mitwirkung eines
"Protein X" (Chaperone?) postuliert. (c) Das "Virino" Modell geht davon
aus, dass sich das infektiöse Agens mit einer Scrapie-spezifischen
Nukleinsäure assoziiert bzw. dass diese in PrPsc eingepackt wird. Diese
Nukleinsäure vermehrt sich dann in der infizierten Zelle und assoziiert
erneut mit PrPc, wobei dieses in PrPsc umgewandelt wird.
Abbildung. Zwei Modelle zur Bildung von infektösem PrPsc. Das
"Refolding"-Modell nach Prusiner (oben) geht davon aus, dass bereits ein
einzelnes PrPsc Molekül einer infektiösen Einheit entspricht. Das
"Seeding"-Modell nach Gajdusek (unten) hingegen nimmt an, dass erst die
Anhäufung von PrPsc die Infektiosität vermittelt.
(Aguzzi, Bioworld 6, 15, 2000)
Seite 168
Kapitel, Prionen, Scrapie
Epidemiologie
Desinfektion
Pathogenese
Scrapie kann endemisch vorkommen und kann sowohl
horizontal als auch vertikal übertragen werden (im Gegensatz vermutlich (s.BSE) - zu andern SEs). Wege: vertikal v.a.
während/nach Geburt via Plazenta und Fruchtwasser;
horizontal v.a. durch Auffressen der hochinfektiösen Plazenta
bzw. Fressen von kontaminiertem Gras. Trächtige Auen und
Ziegen scheiden den Erreger schon vor der Geburt aus.
Übertragung auch via kontaminiertes Futter (z.B. Fleischmehl;
evtl. Heu). Genetische Prädisposition (siehe Pathogenese).
In den letzten Jahren wurden in Europa vermehrt "atypische"
Scrapie Fälle beobachtet. Aufgrund von Hirnanalysen gehört
auch der jüngste Fall in der Schweiz dazu. Während Scrapie
normalerweise mehrere Tiere einer Herde erfasst, tritt die
atypische Form nur bei Einzeltieren auf. Es wird postuliert,
dass es sich bei dieser Art Scrapie allenfalls um BSE handeln
könne. Bisher wurde BSE bei Schafen und Ziegen in Form
einer natürlichen Infektion noch nie nachgewiesen,
experimentell ist sie jedoch auf Schafe übertragbar. Die neuen
Überwachungsprogramme sollen auch dieser Frage nachgehen.
Alle üblichen Methoden vermögen den Erreger nicht
(vollständig) zu inaktivieren. Empfohlen wird:
Dampfautoklavieren mind. 30 Min. bei 140°C und 3.6 bar;
Räume etc. desinfizieren mit NaOH 4% bzw.
Natriumhypochlorit 2% (Javellewasser) bei Einwirkzeit von
mind. 1 Stunde (dabei zu beachten: eher Verdünnungs- als
Inaktivierungsprozess; Metalle -> Korrosion).
Hinweise für Priongen als Grundlage der SE's:
• bei Maus und Schaf entdeckt: ein "Inkubationszeitkontrollierendes Gen" (Sinc-Gen bei Maus, Sip-Gen bei
Schaf), das Einfluss hat auf die Länge der Inkubationszeit
→ Resistenz, wenn Inkubationszeit natürliche Lebenszeit
überdauert. Nach heutigem Kenntnisstand ist sinc/sipidentisch mit dem PrP-Gen; ausserdem typische Mutationen
im PrP-Gen.
• Typische Mutationen im PrP-Gen auch bei familiärer CJK,
GSS, familiärer Insomnie.
• Transgene Tiere : 1. Mäuse mit Hamster PrP-Gen ->
verhalten sich bei Scrapie-Infektion wie Hamster; 2. Mäuse
mit humanem PrP-Gen, das GSS-Mutation enthält ->
spontane Erkrankung; 3. Mäuse ohne PrP-Gen -> erkranken
nach exp. Infektion nicht! Die Versuche mit transgenen
Tieren lassen vermuten, dass:
• die Empfänglichkeit durch die Homologie zwischen
aufgenommenem Prion und wirtseigenem Priongen
mitbestimmt wird und
• das Vorhandensein natürlicher Mengen an zellulärem
Prionprotein für die Erkrankung essentiell ist.
Seite 169
Kapitel, Prionen, Scrapie
Die normale Aufnahme des Erregers geschieht vermutlich oral.
Gemäss entsprechender Versuche mit Labortieren (Maus,
Hamster) werden zunächst die lymphatischen Gewebe des
Pharynxbereichs besiedelt; von da Weiterverbreitung in
Lymphknoten, Milz und lymphatische Gewebe des Darmes. In
Milz u.a. lymphatischen Geweben Vermehrung des Erregers.
Weiterverbreitung, vermutlich unter Hilfestellung der BLymphozyten, via Nervenbahnen ins Rückenmark und Hirn,
wo die eigentliche Vermehrung des Erregers stattfindet.
Abbildung. Modell des Transportes von PrPsc von der Peripherie ins
Gehirn. (Aguzzi, Nature Medicine 7, 289, 2001)
Die Rolle der B-Lymphozyten in dem Geschehen scheint darin
zu bestehen, dass sie durch Ausschüttung von Lymphotoxin β
die Reifung von follikulären dendritischen Zellen (fDC)
stimulieren. Reife fDC ihrerseits beherbergen Prionen.
Vermutlich findet die Prionenvermehrung in den lymphoiden
Geweben auch zur Hauptsache in fDC statt. Diesen kommt
wohl eine Rolle als Langzeitreservoir für zirkulierende Prionen
zu.
Seite 170
Kapitel, Prionen, Scrapie
Abbildung. Modell zur Komplement-abhängigen Aufnahme von PrPsc und
anderen TSE-Agentien in die fDCs (FDC). Komplement Faktoren binden
ans TSE-Agens, worauf die entstandenen Komplexe werden mit Hilfe der
Komplement-Rezeptoren (CR) aufgenommen werden. Das Modell geht
weiter davon aus, dass PrPsc sich in den fDCs vermehrt, von diesen weiter
ans periphere Nervensystem, z.B. Nervus splanchnicus, gereicht werden
und auf diesem Weg langsam das Zentralnervensystem erreichen.
(Cardone und Pochiari, Nature Medicine 7, 411, 2001)
Kürzlich wurde diese Theorie weiter unterstützt durch die
Erkenntnis, dass das Fehlen von Komplementkomponenten
bzw. Rezeptoren die Erkrankung stoppen oder zumindest
verzögern kann. Dies kann durch die Vermutung erklärt
werden, dass normalerweise Prion-Komplement-Komplexe via
Komplementrezeptoren von den fDC aufgenommen werden.
Cave: Nachweis des infektiösen Agens nur via experimentelle
Infektion von Versuchstieren mit Testmaterial (z.B.
Hirnsuspension) von kranken Tieren möglich. Nachweis von
PrPsc im Gewebe ist auch mittels Immunhistochemie möglich.
Kürzlich wurde mittels experimenteller Übertragung auf
Mäuse und direkter immunhistochemischer Analyse der
Scrapie Erreger auch in Muskelgewebe von Schafen
nachwiesen. Die Konzentration war im Vergleich zum Gehirn
etwa 5'000 mal geringer. Dieser Befund erfordert erweiterte
Analysen der pathogenetischen Vorgänge und allenfalls
weitere Anpassungen der Bekämpfungs- und Vorsorgemassnahmen.
Seite 171
Kapitel, Prionen, Scrapie
Klinik
Verlauf subakut bis chronisch; progredient; mit dem Tod
endend.
a)Verhaltensstörungen: Unruhe, Erregbarkeit, starrer/unruhiger
Blick, Ohrenzittern. b) Bewegungsstörungen: abnorme
Kopfhaltung, Traben, plötzliches Niederstürzen, Muskelzittern.
c) Sensibilitätsstörungen: starker Juckreiz (typisch), dadurch
Scheuern und Vliesverlust; "gnubbern" (Lippenspiel,
reflexartig). d) Allgemeinstörungen: Gewichtsverlust und
Leistungsabfall (bei lang dauernder Krankheitsphase).
Immunreaktion keine!
Mögliche Erklärung durch Priontheorie: Prionprotein ist nicht
"fremd".
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: keine Verfütterung von Tiermehlen;
keine Importe aus Ländern, in denen Scrapie endemisch ist.
Diagnose
Verdachtsdiagnose bei entsprechenden Symptomen; unterstützt
durch Art des Futters, der Haltung, Importe etc.
Differentialdiagnosen
andere ZNS-Infektionen (Borna, Tollwut); Trauma;
Stoffwechselstörungen
Bei Verdacht
Meldung an Kantonstierarzt. Auf dessen Anordnung hin wird
das erkrankte Tier abgesondert und weiter beobachtet oder
geschlachtet (Diagnose nur am toten Tier möglich!).
Untersuchungsmaterial (gemäss Anweisung) an eines der
beiden Untersuchungslabors: 1. Institut für Tierneurologie der
Vetsuisse Fakultät Bern 031 631 2525; 2. Institut für
Veterinärpathologie der Vetsuisse Fakultät Zürich
044 625 8584.
Untersuchungsmaterial
Hirn (Einsendung des Kopfes nach Anweisungen des
Bundesamts für Veterinärwesen).
Labordiagnose
Histologische Untersuchung des Hirns (pathognomonisch) ->
typische spongiforme Veränderungen (Vakuolisierung in
Neuropil der grauen Substanz und Neuronen),
Nervenzelldegeneration, Astrozytose in bestimmten
Hirnregionen. Abklärungen dauern wegen aufwendigem
Fixationsverfahren des Hirns mehrere Wochen. Weitere
Methoden siehe BSE.
Seite 172
Kapitel, Prionen, Scrapie
Ansätze zur
Frühdiagnostik
Da bisher die Diagnose nur am toten Tier und nur gegen Ende
der Inkubationszeit gestellt werden kann, sind weltweit
Bestrebungen im Gang, Tests für eine Frühdiagnose, möglichst
am lebenden Patienten zu entwickeln. Zu den versprechenden
Ansätzen gehören:
• Urin: kürzlich wurde eine abnorme PrP Isoform im
Urin infizierter Hamster, Kühe und Menschen entdeckt.
Bei intrazerebral mit Scrapie infizierten Hamstern war
das Protein auch lange vor Krankheitsausbruch
nachweisbar.
• PMCA (protein-misfolding cyclic amplification):
ähnlich wie DNA Moleküle in der PCR werden mit
dieser Methode PrPsc Moleküle und deren Aggregate
spezifisch im Reagenzglas zur Vermehrung gebracht.
Damit lassen sich kleinste Mengen abnormer PrP
Isoformen nachweisen.
• SIFT (scanning for intensely fluorescent targets): Die
normale Isoform PrPc hat nur eine Bindungsstelle für
fluoreszierende Antikörper gegen PrP. An von PrPsc
gebildete Agglomerate hingegen binden viele
Antikörper, was eine verstärkte Fluoreszenz hervorruft.
• PrPsc, nicht aber PrPc haftet an Plasminogen, welches
an Magnetkügelchen gebunden ist.
• EDFR (erythroid differentiation-related factor): die
Expression dieses Faktors scheint nach der Infektion
mit einem SE-Erreger signifikant abzusinken. Dies ist
im Blut messbar.
Seite 173
Kapitel, Retroviren, CAE
Retroviren
CAE
Autorin: Monika Engels
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
CAE
Caprine Arthritis - Enzephalitis;
"dicke Knie" ("Big Knee")
CAE ist ein Krankheitskomplex, der Ziegen jeden Alters
betrifft. Bei Jungtieren steht eine Enzephalitis im Vordergrund,
die durch eine progressive Parese / Paralyse gekennzeichnet
ist. Bei erwachsenen Ziegen äussert sich die Infektion vor
allem in Form von chronischer Arthritis und Mastitis.
Besonderheiten
Infektion von Zellen des Immunsystems (s. Pathogenese).
Horizontale und vertikale Übertragung; am wichtigsten ist
die vertikale Übertragung via Milch, was für eine erfolgreiche
Prophylaxe bzw. Bekämpfung sehr günstig ist (s. Prophylaxe).
Lange Inkubationszeit von Monaten bis Jahren; chronischprogrediente Krankheit, über Monate bis Jahre; unheilbar.
Antigenverwandtschaft: Mit dem Maedi-Visna-Virus der
Schafe: Kreuzreaktion stark; Nachweis von Antikörpern gegen
CAEV kann mit Maedi-Visna-Antigen erfolgen. Gewisse
Antigenverwandtschaft auch mit HIV und EIAV (Virus der
equinen infektiösen Anämie), ohne jedoch zu
immunologischen Kreuzreaktionen zu führen.
Staatliche Massnahmen: Seit 1. Januar 1998 ist die CAE eine
auszurottende Tierseuche im Sinne der
Tierseuchenverordnung.
Geschichte
Die CAE wurde beschrieben als Carpalgelenk-Arthritis,
Encephalomyelitis granulomatosa, Visna bei der Ziege u.a.,
erstmals in der Schweiz (1959), gefolgt von Deutschland
(1969) und den USA (1974). Der Erreger wurde 1980 als
nicht-onkogenes Retrovirus identifiziert.
Verbreitung
Weltweit mit regionalen Unterschieden; Durchseuchungsrate
zum Teil bis 80%.
Situation in der Schweiz: In den 1980er Jahren wurde eine
seroepidemiologische Untersuchung durchgeführt. Es wurde
eine durchschnittliche Durchseuchungsrate von 83% ermittelt.
Ein Drittel der infizierten Ziegen zeigten eines oder mehrere
der typischen Krankheitsbilder. Zu verzeichnen waren auch
verminderte Durchseuchungsraten im Kanton Tessin (< 20%)
und bei Ziegen der Walliser Schwarzhalsrasse (ca. 7%).
Seite 174
Kapitel, Retroviren, CAE
Trotzdem besteht keine Rassenprädisposition. Betroffen waren
Tiere aller Altersklassen. In den untersuchten Beständen fand
man 0 -100% seropositive Tiere (nur 10% aller Bestände
waren frei von der Infektion).
Die Enzephalitis ist selten, obwohl eine Häufung dieser
Krankheitsform in einzelnen Beständen beobachet wurde.
Dank der staatlichen Massnahmen und des Sanierungsprogramms des Ziegengesundheitsdienstes ist die Verbreitung
in der Schweiz auf circa 1% gesunken.
Erreger
Das CAE-Virus ist ein Vertreter der Lentiviren in der Familie
Retroviridae. Es ist ein behülltes Virus mit einem Durchmesser
des Virions von 80 - 120 nm. Morphologisch unterschiedlich
zu EBLV: keulenförmiges anstatt icosahedrales Kapsid.
Genom: ssRNA in 2 identischen Molekülen, positive Polarität.
Die Anordnung der Gene ist typisch für Retroviren: 5’-gagpol-env-3’. Sogenannte Zusatz- oder Hilfsgene (viv, tat, rev)
sind zwischen pol und env lokalisiert, jedoch kein Onkogen
(vgl. Porträt von EBL).
CAEV ist eng verwandt mit dem Maedi-Visna Virus. Heute
spricht man deshalb eher von Lentiviren der kleinen
Wiederkäuer, mit den Prototypen CAEV und MVV. In beiden
Gruppen existieren verschiedene Varianten. Die Homologien
verteilen sich auf dem Genom unterschiedlich: Auf der
Aminosäure Ebene beträgt die Homologie der gag-pol
Genprodukte um die 75%, im Bereich der Hüllenproteine (env)
nur circa 60%.
Die Gene für interne Proteine sind sich also ähnlicher als das
Hüllenglykoprotein-Gen. Dieses weist Gewebs (Wirts)Spezifität auf (Ausknospung aus infizierter Zelle). Viren der
CAE Gruppe haben ein enges Wirtsspektrum und sind nicht
cytopathogen.
Das Genom kodiert für folgende Proteine:
1. Wie alle Retroviren:
a) gag (Gruppen-spezifische Antigene): Matrixprotein (p15),
inneres Coreprotein (p25, Hauptstrukturprotein; ca. 75% des
Cores), RNA-assoziiertes Protein (p14).
b) pol (Gen für Polymerasen u.a. Enzyme): Reverse
Transkriptase, Endonuklease/Integrase, Protease.
c) env (Hüllenproteine): Regulatorisches Protein (p19),
Peplomerprotein (gp 130, Trimer), Transmembranprotein
(gp40).
2. Zusätzliche Gene bei Lentiviren:
Seite 175
Kapitel, Retroviren, CAE
d) vif (für "viral infectivity factor", ein das pol-Gen
überlappender offener Leseraster): ein Protein, das
Zusammenbau und Ausschleusung der Viren beeinflusst und
für die Infektiosität notwendig ist.
tat (transaktivierender Faktor, der Genexpression stimuliert)
rev Regulator der für den Transport der viralen mRNA zu den
Ribosomen wichtig ist.
Ein weiterer offener Leseraster ist zuständig für die negative
Regulation der Genexpression.
Das CAEV ist in der Aussenwelt labil. Erhitzen auf 56°C
inaktiviert das Virus innert 10 Minuten. Es muss jedoch
berücksichtigt werden, dass eher infizierte Zellen als freie
Viren ausgeschieden werden. Die Zellen sind
widerstandsfähiger.
Virusvermehrung und
Genexpression
Der Replikationszyklus sowie die einzelnen Schritte der
Virusvermehrung sind im wesentlichen gleich für alle
Vertreter der Familie Retroviridae (s. BLV). Zell-Rezeptoren
für die Virusadsorption sind kaum bekannt; Ausnahme: für
HIV (humanes Immundefizienzvirus) dient das CD4-Molekül
zusammen mit CCR5 als Rezeptor.
Quelle der Graphik: Dr. Rober Doms.
Epidemiologie
Virusausscheidung in Sekreten und Exkreten; meist Zellassoziiert. Die wichtigsten Ansteckungsquellen sind
Kolostrum/Milch und Samen. Horizontale und intrauterine
(vertikale) Übertragung sind möglich, jedoch von
untergeordneter Bedeutung. In manchen Beständen sind bis
100% der Tiere infiziert. Dies wird unterstützt durch die
persistente Infektion mit lebenslänglicher Virusausscheidung,
durch den subklinischen Verlauf über lange Zeit und durch
Verabreichung von Kolostrum/Milch infizierter Ziegen. Die
Virusaufnahme erfolgt oronasal bzw. genital.
Seite 176
Kapitel, Retroviren, CAE
Hauptwirt ist die Ziege. Schafe können experimentell infiziert
werden; ob eine natürliche Übertragung der Infektion von der
Ziege auf das Schaf erfolgen kann bzw. ob das Schaf evtl. ein
zweites Virusreservoir darstellen könnte steht zur Diskussion.
Neuere Beobachtungen weisen auf eine solche Möglichkeit
hin. Andere Wirtsspezies gibt es nicht.
Desinfektion
Pathogenese
Geeignet sind übliche Desinfektionsmittel; z.B. Detergentien /
Seifenlösungen, phenolische und quaternäre AmmoniumVerbindungen, Formalin und Hypochlorit.
Blutstrom
Gewebe
Makrophage
Monozyt
Monozyten
Lymphozyten
Chemotaxis
Fc-Fragment
Fc-Rezeptor
Lymphozyt
Provirus
Entzündung
Zytokine
Nicht-neutralisierende
Antikörper
Lymphokine
Immunsystem
Im Gefolge der oronasalen Ansteckung steht eine persistente
Infektion im Vordergrund. Diese beruht vor allem auf drei
Eigenschaften des CAEV:
1. Integration des Provirus ins Wirtszellgenom.
2. Bevorzugte Replikation in Makrophagen.
3. Es werden i.d.R. nur nicht-neutralisierende Antikörper
induziert.
Alle diese Faktoren führen zu der chronisch-produktiven
Infektion, da das Virus zumindest der humoralen
Immunantwort entgeht. Den Schädigungen hingegen liegen
vorwiegend immunpathologische Vorgänge zugrunde.
Mechanismen:
a) Persistenz: Monozyten / Makrophagen verhalten sich wie
"Trojanische Pferde". Zunächst erfolgt eine Infektion der
lokalen Makrophagen im oronasalen Bereich. Die
Makrophagen tragen die Viren in die regionalen Lymphknoten,
von wo sie dann im Organismus verbreitet werden. Im Blut
kommt es zur Infektion von Monozyten, in denen jedoch keine
Virusreplikation stattfindet (Latenz in proviraler Form über
längere Zeit möglich).
Seite 177
Kapitel, Retroviren, CAE
Erst nach der Auswanderung der Monozyten in die Gewebe
und der Reifung zu Makrophagen wird Virus produziert. Die
Viren können sich auch direkt von Zelle zu Zelle ausbreiten
und auf diesem Weg das Immunsystem umgehen. Freie Viren
werden von nicht-neutralisierenden Antikörpern gebunden und
erleichtern so die Infektion neuer Monozyten/Makrophagen
(Eintritt via Fc-Rezeptor).Virus wird in verschiedenen
geschädigten Geweben gefunden; vermutlich sind es jedoch
auch da die Makrophagen, in denen sich das Virus repliziert.
b) Schädigung: Das CAEV ist selbst nur schwach
zytopathogen, deshalb kommt es nicht zu einem typischen
ADE (vgl. Porträts zu FIP und ASP). Es sind vorwiegend
immunpathologische Vorgänge, die zu chronischen,
entzündlichen Läsionen führen. Einerseits können durch die
Infektion Funktionen der Monozyten/Makrophagen verändert
werden. Andererseits scheint aber vor allem die zellvermittelte
Immunantwort eine wesentliche Rolle zu spielen.
Beobachtungen: in den geschädigten Organen/Geweben
bestehen die Läsionen vor allem in Infiltration und
Proliferation von mononukleären Zellen, sowie Nekrosen bei
den Gewebs-eigenen Zellen (z.B. Oligodendroglia,
Synovialzellen). Da eine medikamentell verursachte
Immunsuppression zur Verminderung der Schäden führt, wird
angenommen, dass die Viren mit den Monozyten zu ihren
Zielorganen gelangen und dort die lokalen Zellen infizieren.
Diese Zellen exprimieren Virusantigen auf ihrer Oberfläche,
dies induziert eine zellvermittelte Immunantwort, die ihrerseits
Gewebsschädigung verursacht.
Klinik
Chronisch progredienter Verlauf. Das klinische Bild ist sehr
unterschiedlich; auch der Schweregrad der jeweiligen
klinischen Manifestation. Lentivirusinfektionen sind
gekennzeichnet durch sehr lange Inkubationszeiten (Monate
bis Jahre). Im wesentlichen gibt es vier klinische
Manifestationen der CAEV Infektion:
1. Arthritis: in >90 % aller Fälle; erkrankte Tiere einjährig
oder älter; Leitsymptom: "dicke Knie"; Beginn meist mit
Verdickung und Anfüllung der Bursa praecarpalia, diffuse
Gewebszubildung, evtl. Flüssigkeitsansammlung im Gelenk
und in den Sehnenscheiden. Lahmheit erst im Spätstadium
deutlich. Dann auch Abmagerung und Milchleistungsabfall
trotz gutem Appetit.
2. Enzephalitis: in <10% aller Fälle; betroffen sind Gitzi im
Alter von ca. 2-4 Monaten; bei Erwachsenen sehr selten. Zu
Beginn Schwäche und Koordinationsstörungen, später
Lähmung der Hintergliedmassen, danach auch der
Vordergliedmassen, was zum Festliegen führt. Bis zum
Endstadium sind die Tiere jedoch munter und zeigen Appetit.
Dauer der Krankheit ca. 1-3 Wochen; partielle Erholung wird
gelegentlich beobachtet.
Seite 178
Kapitel, Retroviren, CAE
3. Mastitis: wird selten als solche bemerkt; auffallend ist
jedoch eine schlechte Milchleistung während ganzer
Laktationszeit, wobei die Milchqualität allerdings i.d.R. nicht
verändert ist.
4. Pneumonie: ganz selten, aber möglich.
Immunreaktion
Bei experimenteller Infektion erscheinen Virus-spezifische,
nicht-neutralisierende Antikörper nach einigen Wochen. Die
Titer fluktuieren mit der Zeit, aber sie persistieren
lebenslänglich. Es handelt sich zum grossen Teil um IgG1, mit
Spezifität für das innere Coreprotein (p25). Lokal können in
geschädigtem Gewebe ebenfalls Antikörper nachgewiesen
werden, es ist aber nicht bekannt, ob es sich dabei evtl. um
Immunkomplexe handelt, die eine Rolle im Krankheitsprozess
spielen könnten. Antikörper werden auch im Kolostrum und
mit der Milch ausgeschieden (aber: diese sind nichtneutralisierend!). Wie erwähnt, führt die zellvermittelte
Immunantwort zu den Schädigungen. Anhand des in vitro
Lymphozyten-Proliferations-Testes konnte gezeigt werden,
dass die Proliferationsaktivität mit dem Auftreten der
Enzephalitis bzw. Arthritis zusammenfällt.
Prophylaxe
Infektkette unterbrechen; am erfolgreichsten ist die Trennung
von neugeborenen Zicklein von der Mutter und Aufzucht mit
Kuh-Kolostrum/Kuhmilch in einer vollständig abgetrennten
Herde. Für die Zucht nur CAEV-freie Böcke verwenden.
In der Schweiz bestand seit 1985/86 ein freiwilliges
Sanierungsprogramm. In einigen Kantonen waren alle
Ziegenhalter involviert. Seit 1998 ist das Programm in der
Schweiz obligatorisch. Es besteht in der serologischen
Überwachung sowie der Ausmerzung von infizierten Tieren
und der getrennten Aufzucht der Neugeborenen mit Kuhmilch.
Impfung ist sinnlos (s. Immunreaktion und Pathogenese).
Diagnose
Verdacht bei Auftreten von typischen Symptomen, inklusive
Leistungsabfall, Abmagerung ohne andere Symptome. Da
jedoch die Infektion über lange Zeit subklinisch verläuft,
werden infizierte Tiere oft nur über gezielte serologische
Untersuchungen erfasst.
Differentialdiagnosen
Arthritis: Vitamin E -Mangel, septische Arthritiden, Trauma;
Enzephalitis: Scrapie, Listeriose, Toxoplasmose, Borna,
Polioenzephalomalazie.
Bei Verdacht
Blutprobe einsenden; Untersuchungslabor und virologische
Beratung: Institut für Veterinär-Virologie der Vetsuisse
Fakultät Bern 031 631 2505.
Seite 179
Kapitel, Retroviren, CAE
Untersuchungsmaterial
Für Virusnachweis (nicht routinemässig!): Synovialmembran
(krankes Gelenk), Leukozyten.
Für Antikörpernachweis: Blut (Serum)
Labordiagnose
Virusnachweis: wird routinemässig nicht durchgeführt, da
sehr langwierig und nur im positiven Fall aussagekräftig. Virus
kann aus Explantatkulturen von Synovialmembranen oder aus
Leukozyten erkrankter Tiere, in Kokultur mit gesunden
caprinen Synovialzellen, isoliert werden.
Antikörpernachweis: mittels ELISA; Antigen = MaediVisna-Antigen. Bestätigungstest: Westernblot. Zu beachten:
Zwischen Infektion und Serokonversion können bis 8 Wochen
verstreichen! Ausserdem gibt es Tiere, die nie deutlich
serokonvertieren (Resultat im Bereich "fraglich").
Seite 180
Kapitel, Retroviren, EBL
EBL
Autor: Martin Schwyzer
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
EBL (BLV)
Enzootische Bovine Leukose
Die enzootische bovine Leukose (EBL) ist eine persistente,
meist langsam verlaufende Viruskrankheit der Rinder. Sie
äussert sich in einer lymphatischen Leukämie (Blutkrebs), die
in ein Lymphosarkom (Lymphknoten-Tumor) übergehen kann.
Besonderheiten
Das Virus wird fast nur via infizierte Zellen übertragen, d. h.
durch direkten (Verletzungen) oder indirekten (Instrumente,
gebrauchte Spritzen) Blutkontakt zwischen Tieren. Die
Durchseuchungsrate in CH ist entsprechend niedrig (<0.1%;
"EBL-frei" gemäss EU-Kriterium). Durch Identifikation und
Ausmerzung seropositiver Tiere und durch Beachtung
hygienischer Grundsätze sollte sich Europa ohne grosse
wirtschaftliche Verluste von der EBL befreien können.
Geschichte
Erste Beschreibungen lymphatischer Leukämie bei Rindern um
1870 in Deutschland, von wo aus die Krankheit allmählich
zunahm und sich weltweit verbreitete. Erst 1972 gelang der
Nachweis des Erregers und dessen experimentelle Übertragung
auf Versuchstiere.
Erreger
Die EBL wird durch ein Rinder-spezifisches Retrovirus, das
bovine Leukosevirus (BLV) verursacht (Familie Retroviridae,
Genus Deltaretrovirus (früher BLV-HTLV Retrovirus).
Behülltes Virus, 80-120 nm, mit Peplomeren bestehend aus
Transmembran-Glykoprotein (gp30) und daran verankertem
Oberflächen-Glykoprotein (gp51). Genom einzelsträngige
RNA positiver Polarität, bestehend aus zwei Segmenten mit
identischer Basensequenz (je 8,400 Nukleotide), je flankiert
von LTR (long terminal repeat). Genom verpackt in
ikosaedrischem Nukleokapsid unter Beteiligung von drei
Proteinen (p15, p24, p12) sowie einer viralen Protease (p14).
Die Retrotranskriptase (RT), kombiniert mit RNaseH und
Integrase, ist ein essentieller Bestandteil des Virions. Der
Aufbau eines typischen Retrovirus ist unten skizziert.
Seite 181
Kapitel, Retroviren, EBL
Genstruktur:
Zusätzliche Gene
bei Lentiviren,
z.B. CAE.
LTR
gag
pol
env
x LTR
env (envelope)
SU (Surface)
gp51
TM (Transmembrane)
gp30
gag (group specific antigens)
MA (Matrix)
CA (Capsid)
NC (Nucleocapsid)
PR (Protease)
p15
p24
p12
p14
bindet Innenseite der Hülle
Kapsidprotein
bindet RNA
Protease zur Spaltung von gag
und gag-PR-pol Polyproteinen
pol(polymerase)
RT (Reverse transcriptase)
70 kDa
RNA- und DNA-abhängige
DNA Polymerase
Entfernung der RNA nach
DNA-Synthese
Integration der DNA ins
Zellgenom
RNaseH
IN (Integrase)
gemeinsam
mit RT
30 kDa
X (regulation)
tax
rex
R3
G4
34-38 kDa
16-19 kDa
6-8 kDa
17 kDa
Oberflächen-Glykoprotein, an
TM verankert
Transmembran-Glykoprotein,
in Hülle eingelassen
Transkriptions-Aktivator
Export viraler mRNA
Funktion noch unbekannt
Onkogenes Potential im Schaf
Seite 182
Kapitel, Retroviren, EBL
Subtypen
Nicht bekannt. Verwandtschaft mit humanen Retroviren
HTLV-I und HTLV-II.
Virusvermehrung und
Genexpression
Vermehrung vorwiegend in B-Lymphozyten. Adsorption an
ein dem Clathrin verwandtes Rezeptorprotein. Penetration und
Uncoating sind bei BLV wenig studiert worden. BLV
adsorbiert via gp51-Spike an B-Lymphozyten; das
Nukleokapsid gelangt durch Fusion oder Endozytose ins
Zytoplasma; die RNA wird in den Kern transportiert. Dort
beginnt der entscheidende Schritt: RT synthetisiert auf RNAVorlage komplementären DNA-Strang, wobei eine zelluläre
transfer-RNA als Primer eingesetzt wird. RNaseH (H=Hybrid)
entfernt die ursprüngliche RNA, und RT ergänzt die DNA zur
Doppelhelix. Integrase sorgt für Einbau der DNA in
Zellchromosomen an zufälligen Stellen. Der Einbau wird
gefördert durch repetierte Enden LTR (long terminal repeat).
Die eingebaute DNA, Provirus genannt, bleibt in der Zelle
und kann sich mit ihr teilen. Normale Transkription (BLVmRNA) und Translation (BLV-Proteine) durch Zelle.
5' LTR dient als Transkriptionspromoter für die in der Tabelle
oben angegebenen Genprodukte gag, pol, env und X.
3' LTR kann als Promoter für zufällig benachbarte zelluläre
Gene dienen (mögliche Erklärung für Tumorbildung).
Zusammenbau: je 2 BLV-mRNA-Moleküle (samt Poly A)
werden zusammen mit Enzymen in neue Nukleokapside
verpackt. Ausschleusung durch Knospung an der Zellmembran
ohne Zellzerstörung.
Pathogenese
Durch direkten oder indirekten Blutkontakt werden persistent
infizierte B-Lymphozyten von Tier zu Tier übertragen. Die
knospenden BLV-Partikel infizieren neue B-Lymphozyten.
Infektion von T-Zellen und Monozyten ist in geringerem Mass
ebenfalls möglich. In den Fällen, die zu persistenter
Lymphozytose und Tumorbildung progredieren, infiltrieren die
Lymphozyten verschiedene Organe (Lymphknoten, Milz,
Leber etc.).
Mit der abnormen Vermehrung der B-Lymphozyten geht auch
eine erhöhte Antikörperproduktion einher. Die
virusspezifischen Ak binden im Blutstrom freie Viruspartikel.
Diese Immunkomplexe können sich an den Gefässwänden
ablagern und durch die Bindung von Complement zu einer
Immunkomplexkrankheit führen.
Seite 183
Kapitel, Retroviren, EBL
Retrovirus RNA: Replikation (vereinfacht)
5'LTR Virion RNA 3'LTR
1)
(links und rechts
neues DNAje ein halber LTR)
3' tRNA
Stück
3'
2) Abbau der RNA
3'
3)
3'
3'
RNA-Zirkularisierung
und Verschiebung der
DNA zum anderen LTR
4)
Synthese der MinusStrang-DNA durch RT
3'
Abbau der RNA durch RNaseH
ausser neben LTR (als Primer
für neues DNA-Stück)
3'
5)
3'
6) bis 9)
5'
Wiederholung der Schritte 2) bis 5)
für Abbau der RNA-Primer
und Synthese der Plus-Strang-DNA
5'LTR neue ds DNA 3'LTR
3'
10)
5'
(links und rechts
je ein ganzer LTR)
Integration ins Zellgenom durch IN
Seite 184
Kapitel, Retroviren, EBL
Klinik
Inkubationszeit Monate bis Jahre; Symptome zunächst wenig
apparent, rund die Hälfte der Tiere bleibt asymptomatisch.
Zuerst auffällig sind Inappetenz, Leistungsminderung, ev.
Augenverfärbungen oder Exophthalmus wegen Wachstum der
orbitalen Lymphknoten. Persistente Lymphozytose (bei über
2 Jahre alten Tieren sind Lymphozytenzahlen unter ca. 7,000
pro µl als normal, über ca. 10,000 pro µl als leukotisch zu
betrachten). Milz- und Leberschwellungen. Immunkomplexkrankheiten als Spätfolge. Lediglich bei 0.1% bis 10% der
infizierten Tiere bilden sich nach längerer Zeit
Lymphosarkome. Starke Vergrösserung der Lymphknoten ist
überall möglich und ruft je nach Lage verschiedene
Beschwerden hervor (Atmung, Verdauung, Herzfunktion etc.).
Die Krankheit führt - falls überhaupt so lange zugewartet wird
- zum Tod der betroffenen Tiere.
Immunreaktion
Obwohl B-Lymphozyten infiziert sind, ist die
Antikörperproduktion kaum beeinträchtigt. Umgekehrt
vermögen die Antikörper die Virusproduktion auch nicht zu
hemmen. Charakteristisch für BLV ist also eine starke
Antikörperproduktion gleichzeitig mit chronischer
Virusausscheidung. Dies kann zu Immunkomplexkrankheiten
führen. Die Antikörper ermöglichen aber auch eine sichere
Identifikation infizierter Tiere.
Epidemiologie
Horizontale und vertikale Übertragung. Neben der erwähnten
Übertragung durch infiziertes Blut (Spritzen, rektale Palpation,
Enthornen) ist auch die transplazentare Infektion möglich (ca.
15% der Fälle) sowie vaginale Ansteckung (hauptsächlich
Natursprung) und Übertragung durch Insekten (nur in den
Tropen). Im Prinzip stellt auch die künstliche Besamung ein
Risiko dar, besonders bei Verwendung unverdünnten
Frischsamens. In CH schliessen gute Kontrollen diesen
Übertragungsweg praktisch aus.
Verbreitung
Weltweit verbreitet, niedrige Prävalenz, die aber von Land zu
Land stark variieren kann. CH galt bis 1989 als EBL-frei; eine
Untersuchung von 250,000 Rindern ergab dann 55 EBLpositive Tiere in 23 Beständen und lieferte den Anreiz für ein
erfolgreiches Bekämpfungsprogramm.
Seite 185
Kapitel, Retroviren, EBL
Diagnose
Neben klinisch eindeutigen EBL-Fällen sind immer auch
asymptomatische Virusträger zu erwarten. Der
Antikörpernachweis ist deshalb für die Diagnose
unerlässlich. Bis vor kurzem war der AgargelImmunodiffusionstest (Leukassay B Pitman-Moore)
vorgeschrieben, er wird jetzt zunehmend durch ELISA ersetzt
(Chekit Rinderleukose Bommeli). Tiere bis 6 Monate können
maternale Antikörper aufweisen.
Von gesetzlicher Seite vorgeschrieben ist, dass auffällig
vergrösserte Lymphknoten, die bei der Schlachtung festgestellt
werden, auf EBLV untersucht werden.
Differentialdiagnosen
u. a. Tuberkulose, Aktinomykose, Nekrobazillose,
Höhenkrankheit. Vermutlich ebenfalls nicht durch BLV
hervorgerufen wird die sporadische bovine Leukose (beim
Kalb, betrifft vor allem den Thymus).
Desinfektion
BLV ist wie alle Retroviren labil und durch die üblichen
Desinfektionsmittel leicht zu inaktivieren. Die Übertragung ist
allzu oft dem völligen Verzicht auf Hygiene zuzuschreiben.
Prophylaxe
Ein Impfstoff existiert nicht und wäre auch nicht sinnvoll, da
die Ausmerzung eine viel bessere Bekämpfungsmöglichkeit
darstellt. Impfung von Schafen mit rekombinantem gp51
wurde beschrieben (Tiermodell für anvisierte Impfung des
Menschen gegen HTLV-I und -II, Schafe entwickeln nach
experimenteller Infektion mit BLV häufiger Tumoren als
Rinder).
Therapie
nicht sinnvoll.
Staatliche Massnahmen
In vielen Ländern sind Tilgungsprogramme im Gang. Für
Importe werden Zertifikate über EBL-Freiheit verlangt. CH: In
Verbindung mit dem Stichprobentest auf IBR (siehe Kapitel
Herpes) werden Tiere auch auf EBL geprüft. Auffällig
vergrösserte Lymphknoten, die bei der Schlachtung festgestellt
werden, müssen obligatorisch auf EBLV untersucht werden. In
positiven Fällen muss der Herkunftsbestand weiter untersucht
werden. Seropositive Tiere werden ausgemerzt und der Halter
entschädigt.
Seite 186
Kapitel, Retroviren, EIA
EIA
Autorin: Monika Engels
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
EIA
Equine Infektiöse Anämie
Virus
Vorkommen
Empfänglichkeit
Klinik
Retroviridae, Genus: Lentivirus
weltweit, regional verschieden
Equiden
Verlauf akut, subakut, chronisch, inapparent
Inkubationszeit 5-30 Tage
akut: hohes Fieber, Apathie; Anämie, Thrombozytopenie;
subakute Oedeme; Abmagerung
typisch: Verlauf in Krankheitsschüben, die mit der Zeit zum
Tod führen
Hämorrhagien, blasse Schleimhäute; vergrösserte Organe
(Milz bis 10x vergrössert); Glomerulonephritis
Pathologie
Pathogenese
Varianten
Selektionsdruck
Eintrittspforte
Nächster Schub
Nicht-neutralisierende Ak:
Virus-Ak-Komplexe
(Virus infektiös!)
Neutralisierende Ak:
Virusinaktivierung
Genesung
•
•
•
•
Immunität
•
•
•
Virämie
(zell-assoziiert)
Makrophagen
Lymphozyten
Immunantwort
Verbreitung im Organismus
(Gewebe-Makrophagen,
Sekrete, Exkrete)
Virus: Affinität zu Lymphozyten, Makrophagen;
lebenslängliche Zell-assoziierte Virämie; Viren verbreiten
sich im ganzen Organismus und können auch in
verschiedenen Geweben persistieren; Viren in Zellen
verschiedener Sekrete und Exkrete
Schübe: Varianten durch Selektionsdruck
Persistenz: Integration des Virusgenoms
Anämie:
• Virus-Ec-Antikörper-Komplexe -> Phagozytose und
Complementbindung
• Knochenmarksuppression
Thrombozytopenie: wie Anämie
Glomerulonephritis: Immunkomplex-Ablagerungen
begrenzte Wirkung (s. Varianten)
Seite 187
Kapitel, Retroviren, EIA
•
maternale Antikörper via Kolostrum (Schutz: nur bedingt!)
Epidemiologie
•
•
Reservoir: infizierte Pferdepopulation
Übertragung:
1. blutsaugende Insekten (mechanisch!)
2. direkter oder indirekter Kontakt
• ev. vertikal (transplazentar oder Kolostrum/Milch)
• iatrogen
Diagnose
Antikörpernachweis: Agargeldiffusionstest (Coggins-Test),
ELISA
Kontrolle
•
•
Endemiegebiete: serologische Kontrolle und Ausmerzung
Expositionsprophylaxe; serologische Kontrolle (Handel,
Reisen); Quarantäne
Seite 188
Kapitel, Retroviren, FeLV
FeLV
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
FeLV
Katzenleukose, Felines
Leukosevirus
Die Katzenleukose ist eine der wichtigsten
Infektionskrankheiten unserer domestizierten Katzen. Sie
betrifft Katzen aller Altersgruppen und kann mit den
unterschiedlichsten Symptomen und Verlaufsformen
einhergehen. Die Inkubationszeit kann sehr lange andauern.
Tritt die Krankheit aber einmal auf, so ist eine ungünstige
Prognose zu stellen.
Besonderheiten
Horizontale und vertikale Übertragung. Der wichtigste
Übertragungsweg (direkt und indirekt) geht über den Speichel.
Die verschiedenen Wege der vertikalen Übertragung sind im
Hinblick auf die Prophylaxe wichtig. Rolle scheinbar gesunder
Katzen als Dauerausscheider.
Infektionsverläufe: Entwicklung einer Immunität; persistente
Infektion; latente Infektion. Primäre und sekundäre
Infektionsfolgen sind von Bedeutung.
Hervorragende Impfstoffe sind verfügbar.
Geschichte
Im Jahre 1964 erfolgte erstmals die Beschreibung von
Retroviren bei Hauskatzen mit Lymphosarkomen. 1973 wurde
FeLV mittels Immunfluoreszenz in Blutzellen infizierter
Katzen nachgewiesen. In den 1980iger Jahren wurden erste
Impfstoffe entwickelt. Gentechnologische Methoden führten
dann zur Entwicklung von sehr gut wirksamen Vakzinen.
Verbreitung
Weltweit. Situation in der Schweiz: Weit verbreitet mit
regionalen Unterschieden. Besonders Katzenheime und
grössere Zuchtbetriebe sind stark betroffen.
Erreger
FeLV gehört zum Genus Gammaretrovirus und hat die
Morphologie der "Typ C Retroviren der Säugetiere".
Typische Morphologie mit nur schwach erkennbaren Spikes an
der Oberfläche und einem zentral gelegenen dichten Core. Der
Zusammenbau der Virionen geschieht an der Zelloberfläche,
zeitgleich mit dem "budding". Man unterscheidet 3 Subtypen
von FeLV, nämlich A, B und C. Subtyp A weist
typischerweise kein echtes Onkogen im retroviralen Genom
auf. Während der langen Inkubationszeit kann es aber zu
Rekombinationen mit zellulären Protoonkogenen kommen,
z.B. myc, wodurch Subtyp B FeLV entstehen. Diese sind mit
einem hohen Risiko zu Lymphosarkomen assoziiert.
Seite 189
Kapitel, Retroviren, FeLV
Mutationen in der hypervariablen Region des env-Gens führen
zur Entwicklung von Subtyp C FeLV, welche vorwiegend in
Zusammenhang mit spezifischen Anämien gefunden werden.
Weitere Informationen im Porträt über EBL sowie in der
Beilage Taxonomie und Familienalbum.
Das FeLV ist in der Aussenwelt labil. Freies Virus kann selbst
unter besten Bedingungen nicht länger als 3 Tage infektiös
bleiben.
Virusvermehrung und
Genexpression
Vgl. Porträt EBL.
Epidemiologie
In der Natur zirkulieren fast ausschliesslich Subtyp A FeLV
Stämme. Treten in bestimmten Zuchten oder Heimen jedoch
andere Subtypen auf, so kann es auch damit zur Ansteckung
kommen.
• Horizontale Übertragung: Ausscheidung im Speichel
persistent infizierter Katzen. Direkte Übertragung mit Biss
sowie bei intensivem sozialem Kontakt bei der Fellpflege.
Indirekte Übertragung geschieht vor allem mit
kontaminierten Trink- und Fressgefässen.
• Vertikale Übertragung: Transplazentar oder mit der
Milch; Fellpflege der Kätzchen durch das Muttertier.
Das Virusreservoir ist in scheinbar gesunden, persistent
infizierten Katzen lokalisiert. Etwa 30% aller angesteckten
Katzen entwickeln eine solche persistente Infektion. Je dichter
die Katzenpopulation ist, desto erfolgreicher ist FeLV: Stadt >
Land; Mehrkatzenhaushalt > Einzelhaltung
Desinfektion
Geeignet sind übliche Desinfektionsmittel; z.B. Detergentien /
Seifenlösungen, phenolische und quaternäre AmmoniumVerbindungen, Formalin und Hypochlorit. Fress- und
Trinkgeschirr unbedingt bei der Desinfektion mit einbeziehen.
Seite 190
Kapitel, Retroviren, FeLV
Pathogenese
Im Gegensatz zu den meisten anderen Retroviren scheint FeLV
durch das Immunsystem vollständig eliminiert zu werden.
Dies stimmt natürlich so nicht. Es bleiben praktisch immer
latent mit Provirus infizierte Zellen zurück, welche vom
Immunsystem nicht erkannt werden können.
Nach direkter Übertragung vermehrt sich das Virus zunächst in
den Tonsillen und lokalen Lymphknoten. Nach wenigen Tagen
erfolgt eine erste Virämie mit einer Vermehrung in
mononukleären Zellen und einer Streuung der Infektion in die
Milz, verschiedene Lymphknoten und lymphatisches Gewebe
im Intestinaltrakt. Entscheidend ist die Infektion von Zellen
des Knochenmarks, wo alle sich bildenden Blutzellen
angesteckt werden können. Danach zirkuliert Virus andauernd
im Blut und wird über Speichel und Urin ausgeschieden. Von
der Ansteckung bis zur Wiederausscheidung von Virus dauert
es in der Regel etwa 8 Wochen.
Man unterscheidet drei unterschiedliche Verlaufsformen der
Infektion, welche stark vom Alter und anderen Faktoren
abhängig sind, z.B. Virusstamm, infektiöse Dosis,
Immunstatus, genetische Faktoren:
• Entwicklung einer Immunität: Etwa 40% der infizierten
Katzen können die Infektion dank einer starken
Immunreaktion fast vollständig überwinden. Der Anteil
dieser Katzen steigt mit zunehmendem Alter bei der
Erstinfektion.
• Persistente Infektion: Etwa 30% der angesteckten Katzen
bleiben persistent infiziert und scheiden dauernd Virus aus.
Bis zu 80% der Welpen unter 16 Wochen werden
persistente Virusausscheider. Bei den erwachsenen Katzen
sinkt der Anteil unter 15%. In der Regel bricht die
Krankheit bei diesen Katzen innerhalb eines Zeitraums von
etwa 3.5 Jahren auf.
• Latente Infektion: Etwa 30% der Katzen überwinden die
Infektion nur scheinbar. Sie behalten die provirale Form
des Virus latent in sich. Stress, Krankheit,
Immunsuppression, etc. können nicht nur zu einer
Reaktivierung und Wiederausscheidung von Virus führen,
sondern auch die Krankheit auslösen.
Seite 191
Kapitel, Retroviren, FeLV
Klinik
Mit FeLV assoziierte Krankheiten können sich äusserst
unterschiedlich manifestieren. Häufig kommt es zu
krebsartigen Erkrankungen, meist unter Beteiligung
lymphatischer Gewebe, also Leukämie und Lymphosarkom.
Oft kommt es aber auch zu Anämie, T-Zell Aplasie,
Immundefizienz mit Folgekrankheiten, Enteritis,
Reproduktionsstörungen.
Typische Symptome für Katzenleukose sind: Bleiche
Schleimhäute (Anämie), Gelbsucht, Abmagerung,
Appetitlosigkeit, Diarrhöe oder Verstopfung, Blut im Kot,
vergrösserte Lymphknoten, erhöhte Anfälligkeit für
Atemwegserkrankungen, verminderte Vitalität, übermässiger
Durst, zu häufiger Harnabsatz, Fruchtbarkeitsstörungen,
Geburt lebensschwacher Welpen. Im Prinzip sollte bei allen
chronischen Krankheitsverläufen mit an FeLV gedacht
werden.
Immunreaktion
Bei gesunden, adulten Katzen kann eine sehr erfolgreiche
Immunreaktion auftreten, die von einer starken
Antikörperproduktion begleitet ist. Die meisten Antikörper
sind gegen das Oberflächenglykoprotein gp70 und die
Membranproteine p15E sowie p12E gerichtet.
Interessanterweise treten nur in Ausnahmefällen Antikörper
gegen das Hauptkapsidprotein p27 auf.
Bei Katzen, die eine persistente Infektion entwickeln, ist die
Immunreaktion deutlich abgeschwächt, manchmal sogar nur
vorübergehend. Diese Tiere scheinen jedoch eine besondere
Reaktion gegenüber p15E zu entwickeln. Die Bedeutung
dieses Phänomens ist zur Zeit nicht klar.
Prophylaxe
Mit Hilfe von Kombinationen hygienischer Massnahmen und
Impfungen kann FeLV erfolgreich bekämpft werden. Es
existieren hervorragende Impfstoffe und Diagnostika.
Ein positiver Antigennachweis von FeLV im Blut oder im
Speichel von Katzen deutet auf das Vorliegen einer Virämie
bzw. auf eine Virusausscheidung hin. Ob diese
Virämie/Virusausscheidung vorübergehend oder andauernd ist,
sollte unbedingt durch eine Wiederholung mit einer neuen, ein
paar Wochen später erhobenen Probe abgeklärt werden.
Ein negatives Resultat kann folgende Bedeutungen haben: 1.
Bisher kein Kontakt mit FeLV gehabt. 2. Katze ist in der
Inkubationszeit. 3. Katze ist zwar latent infiziert, aber immun
und deshalb vorübergehend nicht virämisch. Sie hat also die
Infektion soweit überwunden, dass nur noch ein minimales
Risiko für die Ansteckung anderer Katzen besteht. Auch die
Gefahr selbst zu erkranken ist damit geringer.
Seite 192
Kapitel, Retroviren, FeLV
Eine persistent FeLV virämische Katze ist als wandelndes
Virusreservoir und Infektionsquelle für alle anderen Katzen
zu betrachten. Eine solche Katze kann noch monate- oder
jahrelang unbeschwert weiter leben. Man sollte sie jedoch
unbedingt von anderen Katzen fernhalten (Quarantäne).
Es sollten nur FeLV negative Katzen geimpft werden, obwohl
die Vakzination einer positiven Katze normalerweise nicht
schadet. Sie ist aber auch nicht in der Lage eine persistente
Infektion zu terminieren.
In der Schweiz sind zwei Arten "gentechnologischer"
Subunit-Impfstoffe zugelassen. Die eine Art enthält von E.
coli produziertes rekombinantes gp70. Die zweite Art wird
unter bestimmten Bedingungen von Zellkulturen gewonnen,
welche gp70 sezernieren.
Therapie
Leider sind heute noch keine wirksamen Therapeutika
verfügbar. Experimentelle Arbeiten gaben jedoch schon
Hinweise auf die Wirksamkeit von AZT und Interferon. Beim
Auftreten von soliden Tumoren wurden auch schon
Zytostatika erfolgreich eingesetzt. Versuche zur Reduktion
empfänglicher Zellen mit Hilfe hoher Dosen von
Kortikosteroid (induzierte Immunsuppression), hatten einen
ungünstigen Effekt.
Diagnose
Verdacht bei Auftreten von typischen Symptomen, inklusive
Leistungsabfall, Abmagerung ohne andere Symptome. Bei
chronischen Krankheiten immer an Katzenleukose denken.
Differentialdiagnosen
Tumoren, Anämien, chronische Krankheiten anderer Genese.
Immunsuppression infolge von FIV.
Bei Verdacht
Blut- oder Speichelproben für Antigennachweis entnehmen.
Viele diagnostische Laboratorien bieten die Durchführung des
Tests an. Es gibt jedoch auch recht zuverlässige Testkits für
die Praxis.
Untersuchungsmaterial
Speichel, Vollblut, EDTA-Blut, Buffy coat, Serum,
Tränenflüssigkeit für Antigennachweis.
Labordiagnose
Antigennachweis: kommerziell verfügbare ELISA
verschiedener Hersteller. Auch erhältlich in Kombination mit
einem Nachweis von Antikörpern gegen FIV.
Seite 193
Kapitel, Retroviren, FIV
FIV
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
FIV
Felines Immundefizienz Virus,
Felines Immunschwäche Virus
FIV wurde 1986 in einem grossen Bestand von
Findlingskatzen in Petaluma, Kalifornien erstmals entdeckt.
Nachdem ein neues Tier in die Kolonie eingebracht worden
war, litten mehrere Katzen über einen Zeitraum von vier
Jahren hinweg an chronischen Darm- und Respirationstrakterkrankungen. Sie magerten ab und zeigten
charakteristischerweise Gingivitiden. Es besteht keine
Verwandtschaft zum HIV.
Besonderheiten
Die FIV-Infektion ist nicht mit einem klassischen
Krankheitsbild im Sinne der Koch'schen Postulate assoziiert.
Vielmehr führt FIV nach einer mehrere Jahre dauernden
asymptomatischen Phase zu Immunschwäche und zum Tod
durch opportunistische Infektionen.
Geschichte
In Petaluma konnte FIV aus 10 von 25 kranken, aber nur aus
einer von 18 gesunden Katzen des Bestandes isoliert werden.
Wurde Vollblut oder Plasma von kranken Katzen auf SPFJungkatzen intraperitoneal übertragen, so entwickelten diese
nach einer Frist von vier bis sechs Wochen
Lymphadenopathie, Leukopenie und vorübergehende
Fieberschübe. Die Virusisolation erfolgte aus Blutlymphozyten
und das Virus zeigte in vitro einen Tropismus für TLymphozyten. Zunächst wurde das Virus mit FTLV (Feline Tlymphotropes Virus) bezeichnet. Erst aufgrund einer besseren
Charakterisierung erfolgte die Umbenennung in FIV.
Verbreitung
Weltweit. In der Schweiz sind etwa 1% der Hauskatzen mit
FIV infiziert. Männliche Tiere sind zwei- bis dreimal häufiger
betroffen als weibliche Tiere. Katzen mit Auslauf sind stärker
gefährdet als reine Stubenkatzen.
Erreger
FIV gehört zum Genus Lentivirus der Familie Retroviridae.
Es weist die typische Morphologie der Lentiviren auf und trägt
prominente Spikes auf der Lipidhülle. Der Durchmesser des
Viruspartikels beträgt ca. 120 nm. FIV besitzt ein ellipsoides
Kapsid aus viralen Proteinen, welches die genomische RNA
umschliesst. Die integrierte provirale DNA von FIV besteht
aus 9472 Basenpaaren und kann in die drei Hauptabschnitte
gag, pol und env gegliedert werden. Siehe auch Porträts
CAEV und EBLV.
Seite 194
Kapitel, Retroviren, FIV
Wie andere Retroviren ist FIV in der Aussenwelt labil. Selbst
bei Raumtemperatur erfolgt die Inaktivierung innerhalb von
wenigen Minuten.
FIV Genom und Proteine
rev
LTR gag
p7 = NC
p15 = MA
p25 = CA
pol
p13 = PR
p61 = RT
p13 = IN
p14 = PLP
vif
env
LTR
gp120 = SU
gp41 = TM
DarkwingG3:/…/FIV.ppt
Legende zur Abbildung 1 (vgl. Auch Porträt CAEV):
NC: Nukleokapsidprotein; MA: Matrixprotein; CA: Kapsidprotein; PR:
Protease; RT: Reverse Transkriptase; IN: Integrase; PLP: Proteaseähnliches Protein; SU: Externe Komponente des Hüllproteins; TM:
Transmembrankomponente des Hüllproteins.
Virusvermehrung und
Genexpression
Vgl Porträt EBL.
Epidemiologie
Übertragung: Ausscheidung im Speichel virämischer Katzen.
Wichtig sind aggressive soziale Interaktionen wie Beissen
und Kämpfen. Ebenso muss an die iatrogene Übertragung
gedacht werden. Eher selten kommt eine laktogene
Übertragung vor, während die Ansteckung in utero
offensichtlich keine Rolle spielt. Im Gegensatz zu HIV wurde
die venerische Übertragung bislang nicht festgestellt.
Das Virusreservoir ist in asymptomatischen Virusträgern
lokalisiert.
Desinfektion
Geeignet sind alle üblichen Desinfektionsmittel.
Pathogenese
Die Mehrzahl der FIV infizierten Zellen sind lymphatischen
Ursprungs. Bevor es zu klinischen Symptomen kommt, sind
vor allem die T-Lymphozyten betroffen. Während der akuten
Krankheit werden vermehrt auch infizierte Makrophagen
festgestellt. FIV weist auch Neurotropismus auf, was zu
Verhaltensänderungen bei der Katze führen kann. Die
Infektion von Endothelzellen im Gehirn führt massgebend zu
einer Störung der Blut-Hirn-Schranke.
Seite 195
Kapitel, Retroviren, FIV
Die längerfristigen Krankheitserscheinungen sind erklärbar
durch einen progressiven Verlust der T-Zell-vermittelten
Immunität. Bei der Virusvermehrung gehen insbesondere die
CD4+ Zellen (Helfer T-Zellen) zugrunde, wodurch das
CD4+:CD8+ Verhältnis der Lymphozyten ins Bodenlose fällt.
Der Abfall der CD4+ Lymphozyten wird begleitet von einem
Anstieg der CD8+ T-Zellen. Das B-Zell System bleibt
mehrheitlich normal, sodass die Gesamtzahl der Lymphozyten
über lange Zeit nicht vermindert erscheint. Aufgrund des
Verlusts des CD4+-abhängigen Immunsystems bekommen
opportunistische Erreger (Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen,
Ekto- und Endoparasiten) ihre Chance.
Klinik
Man unterscheidet in Anlehnung an HIV und AIDS fünf
verschiedene Phasen der Infektion:
• Akute Phase: Charakterisiert durch zyklische Neutropenie,
Fieber und Lymphadenopatie (Wochen bis Monate).
• Asymptomatische Carrier (AC) Phase: Symptomlos und
kann Jahre andauern.
• Persistierende, generalisierte Lymphadenopathie
(PGL): Kann sich über Monate hinziehen.
• AIDS-related complex (ARC): Gewichtsverlust,
chronische Diarrhöe, Stomatitis, Gingivitis,
Lymphadenopathie sowie chronische Erkrankungen des
oberen Respirationstraktes und der Haut. Dauert Monate
bis ein Jahr.
• AIDS-ähnliche Phase: Symptome wie während ARC,
zusätzlich: Auszehrung, Anämie oder Panzytopenie,
opportunistische Infektionen.
Abbildung 2. ARC einer Katze im Gefolge der FIV-Infektion.
Seite 196
Kapitel, Retroviren, FIV
Immunreaktion
Innerhalb von vier bis sechs Wochen nach der Infektion
kommt es zur Serokonversion. Es erfolgt keine sterilisierende
Immunität. Etwa 5% der infizierten Katzen bilden Antikörper
erst im Verlaufe von bis zu 14 Monaten. Kolostrale Antikörper
werden auf die Welpen übertragen. Ihre Wirkung bezüglich
Schutz vor einer Infektion ist jedoch unklar. Sie verschwinden
wieder innerhalb von wenigen Wochen nach der Geburt.
Prophylaxe
Es gibt keine wirksamen Impfstoffe gegen FIV. Stubenkatzen
sowie sehr friedliebende Tiere sind wenig gefährdet.
Therapie
Die Wirksamkeit von AZT konnte experimentell
nachgewiesen werden. Es traten jedoch rasch FIV-Mutanten
auf, die eine Resistenz gegenüber AZT aufwiesen. Ansonsten
richtet sich die Therapie erstrangig gegen die
opportunistischen Infektionserreger.
Diagnose
Verdacht bei Auftreten von ähnlichen Symptomen wie bei
FeLV. Bei chronischen Krankheiten nicht nur an
Katzenleukose sondern auch an FIV denken.
Doppelinfektionen können besonders schwerwiegend
verlaufen.
Gefährdung des Menschen Es gibt keinen Hinweis darauf, dass FIV auf den Menschen
übertragen werden kann.
Bei Verdacht
Es gibt recht zuverlässige Testkits für den Antikörpernachweis
in der Praxis.
Untersuchungsmaterial
Vollblut, Serum, EDTA-Blut.
Labordiagnose
Antikörpernachweis: kommerziell verfügbare ELISA
verschiedener Hersteller. Auch erhältlich in Kombination mit
einem Nachweis von FeLV Antigen. Bestimmte Laboratorien
bieten auch Western Blot sowie RIPA für zusätzliche
Abklärungen in Spezialfällen an.
Informationen
http://www.lbah.com/Feline/fiv.htm
http://www.poose.de/fiv/fiv.html
Seite 197
Kapitel, Retroviren, Maedi Visna
Maedi
Autorin: Monika Engels
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
MAEDI
Maedi / Visna der Schafe
Maedi / Visna ist - ähnlich der CAE - ein Krankheitskomplex
bei Schafen. In > 90% der Fälle ist die Lunge betroffen
(Maedi), bei < 10% das Zentralnervensystem (Visna).
Chronische Mastitis kommt vor, wird aber selten bemerkt und
chron. Arthritis kann, selten, vorkommen.
Besonderheiten
Sehr ähnlich der CAE der Ziegen, wobei die Symptomatik
anders gewichtet ist, s. CAE: Arthritis >> Enzephalitis >
Mastitis > Pneumonie.
Maedi-Visna: Pneumonie >> Enzephalitis > Mastitis >
Arthritis.
Bei Maedi-Visna spielt die Übertragung via Milch zwar auch
eine Rolle, Sekrete aus dem Respirationstrakt sind als
Virusreservoir jedoch ebenso wichtig.
Antigenverwandtschaft: Mit CAEV (s. dort).
Staatliche Massnahmen: Keine; freiwilliges Programm in
Planung. Ein Versuchsprogramm im Wallis führte zu einer
Reduktion der Prävalenz von 36% auf 1%.
Geschichte
Wurde als progressive Pneumonie schon in den 1920er Jahren
beschrieben (USA, Südafrika). Erforscht wurden die beiden
Krankheitsformen vor allem in Island (von da stammen auch
die Namen: Maedi = "schwere Atmung"; Visna = Verfall,
Schrumpfung) von Sigurdsson, der davon die Theorie der
"slow virus diseases" ableitete. Maedi wurde erstmals 1939,
Visna sporadisch zwischen 1935 und 1951 in Island
beobachtet. Durch intensive Keulungsmassnahmen konnte die
Erkrankung in Island getilgt werden und tritt heute nur noch
sehr selten auf. Seit den1960er Jahren wurde die Infektion in
verschiedenen Ländern nachgewiesen.
Verbreitung
Weltweit mit regionalen Unterschieden. Kommt auch in der
Schweiz vor: Eine seroepidemiologische Untersuchung zeigte
eine durchschnittliche Seroprävalenz von 9% mit
Schwankungen zwischen den Schafrassen von 0.4 bis 36%.
Klinisch manifeste Infektionen wurden bisher in der CH nur
selten beobachtet. Seropositive Auen zeigen jedoch eine tiefere
Reproduktionsrate.
Erreger
Enge Antigenverwandtschaft zwischen CAEV und MVV (s.
CAE). Viren der Maedi Visna Gruppen besitzen ein breites
Wirtsspektrum und sind zytopathogen.
Seite 198
Kapitel, Retroviren, Maedi Visna
Virusvermehrung und
Genexpression
Epidemiologie
s. CAEV
Hinweise, dass eine gewisse Rassenprädisposition betreffs
Empfänglichkeit und Schweregrad der Erkrankung besteht.
• Als Hauptinfektionsquelle gelten infizierte Mutterschafe:
vertikale Übertragung mit Kolostrum und Milch. Eine
transplazentare Übertragung wird eher ausgeschlossen.
• Wichtig bei Maedi: horizontale Übertragung durch direkten
Tierkontakt ist ebenfalls möglich. Dies vor allem dann,
wenn durch Haltungsbedingungen lang andauernde, enge
Kontakte unvermeidbar sind.
• Übertragung mit Samen wurde bisher nur ausnahmsweise
beobachtet.
• Hauptwirt ist das Schaf. Ziegen lassen sich experimentell
infizieren. Eine natürliche Übertragung kann nicht
ausgeschlossen werden.
Desinfektion
s. CAE
Pathogenese
s. CAE.
Auch bei Maedi / Visna spielen die Monozyten/Makrophagen
als "Trojanische Pferde" die wichtigste Rolle. Lunge und
Zentralnervensystem sind hier die hauptsächlichen Zielorgane;
dabei dienen die Alveolärmakrophagen und die Mikroglia als
Virusreplikationsort. Im Gegensatz zu CAE wird durch die
MVV Infektion auch die Produktion von neutralisierenden
Antikörpern (neben nicht-neutralisierenden) induziert. Diese
sind jedoch sehr Stamm-spezifisch. Sie spielen vermutlich eine
Rolle bei der Selektion von Antigenvarianten, die nicht
neutralisiert werden können. Verschiedene Varianten können
in einem Tier persistieren.
Klinik
Die Infektion ist durch eine sehr lange Inkubationszeit (einige
Monate bis 5-6 Jahre) gekennzeichnet. In der Regel tritt kein
Fieber auf.
1. Maedi: (90% der Fälle) Erstes Anzeichen ist Kümmern. Die
Pneumonie äussert sich mit angestrengter Atmung als
Kardinalsymptom; dazu kommen trockener Husten, leichter
Nasenausfluss und starker Leistungsabfall. Bronchopneumonie
infolge bakterieller Sekundärinfektion möglich.
2. Visna: (<10% der Fälle) Meist bei > 2 Jahre alten Tieren.
Erstes Anzeichen ist ein unsicherer Gang, gefolgt von Ataxie
vor allem in den Hinterbeinen. Charakteristisch ist ein
rhythmisches, beidseitiges Einknicken. Es kommt zu einer
progressiven Parese / Paralyse, die schliesslich zum Festliegen
und zum Tod führt. Die Dauer ist sehr unterschiedlich: bei
einigen Tieren tritt die Paralyse sehr rasch auf, bei andern kann
sich die Krankheit über Monate oder sogar Jahre erstrecken.
Die Schafe verlieren kontinuierlich an Gewicht, das Sensorium
bleibt jedoch unbeeinträchtigt.
Seite 199
Kapitel, Retroviren, Maedi Visna
3. Mastitis: wird selten bemerkt; Milchrückgang; Milch
grobsinnlich unverändert.
4. Arthritis: sehr selten.
Immunreaktion
s. CAE und Pathogenese
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe (z.B. nur Zukauf negativer Tiere).
Eradikationsprogamme (regelmässige serologische
Untersuchung; Ausmerzen seropositiver Tiere).
Diagnose
Verdacht bei Auftreten von typischen Symptomen, inkl.
Kümmern und Leistungsabfall.
Differentialdiagnosen
1. Maedi: Lungenadenomatose (Erreger = Retrovirus; nicht
verwandt mit MVV).
2. Visna: Scrapie, Borna, Aujeszky, Tollwut, Louping-ill.
Bei Verdacht
Untersuchungsmaterial einsenden; Untersuchungslabor und
virologische Beratung: Institut für Veterinär Virologie der
Vetsuisse Fakultät Bern 031 631 2505.
Untersuchungsmaterial
Für Virusnachweis (nicht routinemässig!): EDTA-Blut
(Leukozytenfraktion, "buffy coat").
Für Antikörpernachweis: Blut (Serum).
Labordiagnose
Virusnachweis: wird selten gemacht, da langdauernd:
Kokultivierung des "buffy coat" oder Alveolarmakrophagen
mit Chorioidzellkulturen des Schafes. Virusinfizierte
Makrophagen bilden Synzytien mit Schaffibroblastenzellen.
Antikörpernachweis: mittels ELISA (s.CAE).
Seite 200
Kapitel, Rindergrippe: PI-3/BRSV
Rindergrippe
PI-3/BRSV
Autorin: Monika Engels
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
PI-3 / BRSV
"Rindergrippe"; shipping fever
Es handelt sich um eine multifaktorielle Infektion des
Respirationstraktes mit unterschiedlichem Schweregrad
("Grippe"). Spektrum von leichter katarrhalischer Entzündung
des oberen Respirationstraktes bis zur schwersten
Bronchopneumonie. Die Rindergrippe ist auch unter dem
Namen Enzootische Pneumonie bekannt; um eine
Verwechslung mit der EP (Mycoplasma hyopneumoniae) der
Schweine zu vermeiden, sollte dieser Name jedoch nicht
verwendet werden.
Besonderheiten
An der Entstehung der Rindergrippe sind verschiedene
infektiöse und nicht-infektiöse Ursachen beteiligt =
Multifaktorenkrankheit. Die Rindergrippe tritt saisonal
(gehäuft im Winter) und v.a. bei Jungtieren auf. Im
Vordergrund der infektiösen Ursachen stehen folgende Viren
und Bakterien (-> Sekundärinfektion): Parainfluenzavirus Typ
3 (PI-3), bovines respiratorisches Synzytialvirus (BRSV),
Adenoviren (9 Serotypen, beim Rind v.a. 1, 3 und 4 von
Bedeutung), Reoviren (3 Serotypen), Rhinoviren; auch das
bovine Virusdiarrhöevirus (BVDV), das infektiöse bovine
Rhinotracheitisvirus (IBRV) sowie das bovine Coronavirus
(BCV) können an diesem Krankheitskomplex beteiligt sein;
Bakterien, v.a. Manneheimia hämolytica. Im Vordergrund der
nicht-infektiösen Ursachen stehen Stress, Hygienebedingungen
und Management, Temperatur u.ä.
Antigenverwandtschaft: PI-3: Verwandtschaft zwischen PI-3
Vertretern verschiedener Spezies. BRSV: mit dem humanen
RSV.
Geschichte
Die Rindergrippe hat sich als problemreiche Erkrankung vor
allem mit der Zunahme der Massentierhaltung entwickelt. Da
es sich um eine multifaktorielle Erkrankung handelt, tritt sie
vor allem dort auf, wo durch Stress (immun)geschwächte Tiere
zusammenkommen, wobei immer auch ein Spektrum von
Erregern vorhanden ist und ausgetauscht wird. Die
Rindergrippe wurde zuerst in Amerika bekannt, wo sie häufig
nach dem Umstellen von Kälbern (in Massen!, sehr lange
Reisen!) auftrat/tritt und grosse Schäden anrichtet(e).
Daher kommt auch der Name "shipping fever".
Seite 201
Kapitel, Rindergrippe: PI-3/BRSV
Verbreitung
weltweit.
Erreger
Für die Ätiologie der Rindergrippe am wichtigsten sind die
beiden Vertreter aus der Familie der Paramyxoviridae, PI-3
und BRSV, weshalb hier nur diese Erreger besprochen werden.
Adeno-, Rhino- und Reoviren sind allein wenig pathogen; sie
begünstigen und/oder verstärken jedoch die
Paramyxovirusinfektionen.
Die Paramyxoviridae werden in zwei Subfamilien,
Paramyxovirinae und Pneumovirinae, eingeteilt (vgl.
Taxonomie).
PI-3 ist ein Vertreter des Genus Respirovirus (aus der
Subfamilie Paramyxovirinae).
BRSV gehört zum Genus Pneumovirus (Subfamilie
Pneumovirinae)
Beide Viren sind behüllt, Durchmesser 120-150 nm, helikales
Nukleokapsid. Genom: unsegmentierte ssRNA mit negativer
Polarität; 16 - 20 kb.
Wichtigste Virusproteine: 3 Hüllen-Glykoproteine, die Spikes
bilden: Hämagglutinin und Neuraminidase (HN, 1 Spike) und
Fusionsprotein (F Protein); Matrixprotein (M). Nukleokapsid
aus RNA, Nukleoprotein (NP), und Proteinen L ("large") und P
("Phosphoprotein"). Daneben einzelne zusätzliche Proteine, je
nach Genus. Bei den Pneumoviren entspricht das Protein G
(84K) dem HN-Protein.
Nukleoproteinkomplex:
RNA (genomische)
Nukleoprotein (N)
"Hilfs"-Nukleoproteine (L, P)
Hülle, bestehend aus:
Lipiddoppelmembran
Hämagglutinin-Neuraminidase
(HN) - Spikes (G-Protein und
SH* bei BRSV)
Fusionsprotein (F) - Spikes
Membranprotein (M)
*SH=small hydrophobic
Seite 202
Kapitel, Rindergrippe: PI-3/BRSV
Differenzierung der Genera: Antigenverwandtschaft innerhalb
eines Genus; Differenzen bezüglich Hämagglutinin- und
Neuraminidase-Aktivität: Paramyxoviren besitzen beide,
Morbilliviren nur Hämagglutinin-Aktivität und Pneumoviren
weder noch. Diese ursprünglichen Kriterien werden unterstützt
durch genetische Analysen.
Das Virusgenom kodiert für mindestens 6 Proteine, bei
Pneumoviren für 10. Protein C (s. P/C), ein
Nichtstrukturprotein, wird vom gleichen Gen wie Protein P
kodiert, benützt aber einen alternativen Leseraster.
3' NP P/C
1682
0
M
Fo
1894 1173 1846
2
4
5'
HN
L
1891
6799
6
8
Kilobasen
10
12
14
Die Paramyxoviridae sind in der Aussenwelt wenig stabil.
Werden durch Hitze, UV-Licht und Lipidlösungsmittel
(Aether, Chloroform) rasch inaktiviert. Resistenz in
Aussenwelt bei verschiedenen Genera etwas unterschiedlich.
Relativ stabil bei hoher bzw. tiefer Luftfeuchtigkeit und labil
bei hohem und tiefem pH.
Wirts(zell)spektrum beschränkt. Zu Virusvermehrung und
Genexpression sei auch auf das Virusporträt "CDV" (Staupe)
Genexpression
verwiesen. Die Hüllenglykoproteine HN (PI-3) bzw. G
(Abbildungen im Kapitel Staupe) (BRSV) und F sind verantwortlich für Adsorption und
Penetration. Adsorption via Bindung von Hämagglutinin an
Zellrezeptor (=Neuraminsäure). Penetration: Fusion Virushülle
- Zellmembran (vermittelt durch F Protein) und anschliessende
Einschleusung des Nukleokapsids ins Zytoplasma.
Das Genom wird transkribiert (für jedes Gen eigene mRNA)
und auch repliziert. Nach der Translation der mRNAs in die
entsprechenden Proteine folgt - alles im Zytoplasma - das
Assembly und dieVirusausschleusung via Ausknospung.
Einbau der Spikes-Glykoproteine in Zellmembran.
Fusionsprotein - wenn durch Trypsin oder Trypsin-ähnliche
Protease gespalten - vermittelt auch sog. "fusion from within":
noch intrazellulär wird Fusion von benachbarten Zellen
bewirkt (Bildung von Synzytien) direkte Virusausbreitung
von Zelle zu Zelle.
Virusvermehrung und
Seite 203
Kapitel, Rindergrippe: PI-3/BRSV
Epidemiologie
Die Übertragung erfolgt via Tröpfcheninfektion (direkter
Kontakt); daneben auch indirekte Übertragung möglich
(kontaminierte Geräte, Krippen, Tränken etc.). Es handelt sich
um (eine) Infektion(en) mit hoher Kontagiosität, wobei oft der
ganze Bestand erfasst wird. Die Durchseuchungsrate
(beteiligte Viren) ist mit 70-85% sehr hoch. Betroffen sind vor
allem Kälber ab dem Alter von 2 Wochen bis zu 18 Monaten
(sowohl Mast- wie Aufzuchtbetriebe), wobei das Einstallen
vieler Kälber von verschiedener Herkunft eine besonders
bedeutende Rolle spielt. Zusätzlich haben Räumlichkeit und
Luftzirkulation grossen Einfluss. Da es sich um eine saisonal
auftretende Infektion handelt, spielt auch die Temperatur eine
entscheidende Rolle.
PI-3: Wird im Respirationstrakt zu hohen Titern repliziert und
ausgeschieden (während ca. 8 - 10 Tagen). PI-3 ist in Aerosol
bei tiefen Temperaturen sehr stabil.
BRSV: Infektion kann in einem Betrieb endemisch werden
(vermutlich gibt es Virusträger). Betroffen sind v.a. 3 - 9
Monate alte Tiere. Tritt nicht so streng saisonal auf wie PI-3
Infektion.
Desinfektion
Übliche Desinfektionsmittel (NaOH, Formalin etc.).
Pathogenese
(vgl. Folien in Allg.
Virologie, Pathogenese)
Eintrittspforte ist der Nasen-Rachen-Raum.
PI-3: Neuraminidase wird gebraucht, um Mucus zu
verflüssigen und die neue Virusgeneration freizusetzen: Mucus
enthält viel N-Acetyl-Neuraminsäure; dient als "Rezeptor";
Neuraminidase spaltet Neuraminsäure ab; neue Viren frei für
Bindung an frische Zelle. Die erste Virusvermehrung erfolgt
lokal. Virusausbreitung i.d.R. beschränkt auf den
Respirationstrakt (vorübergehende Virämie und Folgen wie
Splenitis oder Enteritis möglich). Virus vermehrt sich aber
hauptsächlich im oberen und unteren Respirationstrakt, sowie
in den Alveolarmakrophagen.
Epithelschädigung: v.a. Zilienverlust, Zellen: Hyperplasie und
Nekrosen. Stark erhöhte Anfälligkeit für Sekundärinfektionen
durch verminderte Abwehr: s. Zilienverlust, infizierte
Makrophagen: eingeschränkte Funktionstüchtigkeit.
BRSV: Pathogenese vergleichbar mit PI-3. Trotzdem
Unterschiede, die noch nicht im Detail geklärt sind (exp.
Infektionen verlaufen milder als natürliche; z.T. inapparent).
Zilienaktivität nicht wesentlich beeinträchtigt.
Alverolarmakrophagen sind wenig empfänglich für BRSV.
Ablagerungen von Zelltrümmern und Exsudat: begünstigt
Sekundärinfektionen. Lokale (Nasenschleimhaut)
neutralisierende Antikörper von höchstem Schutzwert.
Seite 204
Kapitel, Rindergrippe: PI-3/BRSV
Bakterielle Sekundärinfektionen erfassen immer den unteren
Respirationstrakt -> z.T. schwerwiegende Bronchopneumonie;
diese jedoch auch beeinflusst von der Infektionsdosis, vom
physiologischen Zustand des Respirationstraktes und vom
funktionellen Zustand des Immunsystems. Mannheimia
hämolytica --> zusätzlich Leukotoxin - Produktion: schädigt
Leukozyten u.a. und beeinträchtigt Makrophagenfunktion.
Klinik
Abhängig von mitbeteiligten Erregern. Allgemein: Die
Krankheit setzt sehr plötzlich ein mit vermindertem Appetit,
Fieber, Nasen- und Augenausfluss, Husten und erhöhter
Atemfrequenz; z.T. Atemgeräusche und Pumpen. Später, v.a.
bei bakteriellen Sekundärinfektionen, Lungenemphysem und
Dyspnoe (z.T. höchstgradig), Bronchopneumonie,
mukopurulenter (schleimig-eitriger) Nasenausfluss, Husten,
hohes Fieber, Salivation, Apathie. Bei Jungtieren Schweregrad
meist höher (Mortalität bis 10%) als bei älteren Tieren (bei
diesen i.d.R. sehr milder Verlauf).
Immunreaktion
PI-3: Schutzwirkung v.a. durch lokale, sekretorische
Antikörper (AK); Serumantikörper vermögen Schweregrad der
Erkrankung zu reduzieren. Exp. Infektion: Neutralisierende
Antikörper (Serum und sekretorisch) erscheinen ab 6 Tagen
p.i. Persistenz: Serum-AK: 3-5 Monate; sekret. AK: 6-8
Wochen. Nach Reinfektion anamnestische Reaktion;
Persistenz der sekret. AK: 5 Monate (Serum-AK länger).
Maternale Antikörper können Schweregrad der Erkrankung
reduzieren. Sie interferieren jedoch auch mit dem Aufbau einer
aktiven Immunantwort. Persistenz abhängig vom maternalen
AK-Titer: 10 - 20 Wochen.
BRSV: Neutralisierende Serum-AK ab ca. Tag 7 p.i.
nachweisbar; Titermaximum 3 Wochen p.i. Sekretorische AK
ab 1 Woche p.i. nachweisbar, Persistenz ca. 3 Monate.
Schutzwirkung - wie bei PI-3 - v.a. durch sekretorische AK.
Maternale AK kein Schutz vor Infektion (nur mildere
Symptomatik). Teilweise starke AK-Antwort gegen Proteine F,
G und NP. Antikörper gegen F bieten einen relativ guten,
andere jedoch einen ungenügenden Schutz (bezüglich
Reinfektion und Genesung).
Besonderheiten Mannheimia hämolytica: 1. unspezifisch:
mukoziliärer Apparat; Komplement (Ablösung von Bakterien,
Opsonisierung, Phagozytose; Entzündung). 2. Humorale
Immunantwort: Antikörper in Alveolen (Opsonisierung
verstärkt, Phagozytose verstärkt Neutralisation des
Leukotoxins). Achtung: zu viel Antikörper können auch
schädlich sein, z.B. Impfung mit Bakterin.
Seite 205
Kapitel, Rindergrippe: PI-3/BRSV
Grund: zu viel Antikörper führen zu massiver Phagozytose,
wobei jedoch die Erreger nicht mehr abgetötet werden;
daneben Stimulation der Komplementproduktion und damit
verstärkte Entzündung. 3. Zellvermittelte Immunantwort:
wichtig; unterstützend (Mechanismen unklar).
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: Aufstallung und
Lüftungsverhältnisse optimieren; womöglich Stress vermeiden;
keine Überbelegung; evtl. Separierung oder nur Zukauf
geimpfter Tiere (Wirtschaftlichkeit? / Realisierbarkeit?).
Impfprophylaxe: In der Schweiz sind monovalente (BVDV,
BRSV) und polyvalente (BRSV und PI-3 in Kombination mit
Mannheimia hämolytica) Vakzinen zugelassen. Ziel: Schutz
vor allem gegen immunsuppressiv wirkende Primärinfektion.
Probleme: a) idealerweise müsste gegen alle beteiligten Viren
immunisiert werden, was nicht oder nur bedingt möglich ist; b)
erwünscht wäre ein lokaler Immunschutz, der nach
parenteraler Applikation aber nur schlecht ausgebildet wird.
Ausserdem behindern maternale Antikörper den aktiven
Aufbau einer Immunantwort. Trotzdem ist Immunprophylaxe,
neben möglichen Managementregelungen, die beste
existierende Prophylaxemöglichkeit.
Diagnose
Verdacht bei saisonalem Auftreten von respiratorischen
Symptomen bei Jungtieren in Aufzucht-/Mastbetrieben;
besonders nach Einstallen von zugekauften Tieren.
Differentialdiagnosen
BVD/MD, BCV, IBR, Adeno-, Reo-, Rhinoviren,
Mannheimien, Corynebakterien, Streptokokken,
Staphylokokken, Mikrokokken, Pneumokokken.
Bei Verdacht
Virologisches Institut ( 044 635 8718), Vetsuisse Fakultät
Zürich, Winterthurerstrasse, 8057 Zürich.
Untersuchungsmaterial gemäss Abmachung einsenden;
Planung Bekämpfungsmassnahmen im Betrieb.
Untersuchungsmaterial
Für Virusnachweis: Nasentupferproben.
Für Antikörpernachweis: Serumpaar!
Labordiagnose
Direkter Virusnachweis in Nasentupferproben mittels
Immunfluoreszenz. Serologie: Antikörpertiteranstieg
(Serumpaar) mittels ELISA. Es ist immer auch auf Antikörper
gegen die andern an der Rindergrippe beteiligten Viren zu
untersuchen.
Staatliche Massnahmen
keine.
Seite 206
Kapitel, Rotaviren
Rotaviren
Autor: Alfred Metzler
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
Rota
Rotaviren (RV)
Ubiquitär verbreitete Pathogene, die bei jungen Nutz-, Hausund Wildtieren sowie bei Kleinkindern und älteren Personen
für akute, nicht fieberhaft verlaufende Durchfallerkrankungen
verantwortlich sind.
Besonderheiten
RV verhalten sich weitgehend Spezies-spezifisch. Ausnahmen
werden indessen zunehmend häufig festgestellt (Zoonose?).
Dies ist von Interesse, da teilweise enge
antigenetische/serologische Gemeinsamkeiten bestehen. RV
besitzen ein segmentiertes Genom (11 dsRNS Segmente), so
dass die Bildung von Reassortanten möglich ist (Genaustausch
zwischen unterschiedlichen RV). Das Phänomen des
Antigenshift hat bei RV nicht die gleiche Bedeutung wie bei
den Influenzaviren. Gewisse Virusreassortanten manifestieren
eine reduzierte Virulenz, die eine Verwendung als
Lebendimpfstoff möglich macht. Andererseits vermutet man,
dass dieses Phänomen im Einzelfall auch mit einer
Virulenzsteigerung einhergehen kann.
Geschichte und
Verbreitung
RV wurden erstmals in den 70er Jahren als Durchfallerreger
bei Tier und Mensch erkannt. Sie sind weltweit die wichtigsten
Erreger von nicht-bakteriell verursachten Gastroenteritiden.
Einer Schätzung zufolge sterben weltweit jährlich etwa
850'000 Personen an den Folgen einer RV-Infektion. In
Entwicklungsländern gehen bei Kindern 20% aller
durchfallbedingten Todesfälle auf das Konto von RV. In
industrialisierten Ländern sind RV die Hauptursache für
Hospitalisationen infolge Gastroenteritis bei Kindern und
Greisen. In den USA verzeichnet man jährlich 50 bis 90
Todesfälle und rund 65'000 Hospitalisationen. In der Schweiz
herrschen ähnliche Verhältnisse. Bei Nutztieren, insbesondere
bei Rindern und Schweinen, verursachen RV grosse, jedoch
schwierig abzuschätzende ökonomische Verluste.
Seite 207
Kapitel, Rotaviren
Bedeutung Schweiz
Prävalenz seropositiver Tiere annähernd 100%. Die
tatsächliche klinische Bedeutung und das Ausmass der
wirtschaftlichen Verluste wird nicht erfasst. Das Fehlen
spezifischer therapeutischer Massnahmen erklärt den Umstand,
dass die Nachfrage für einen Erregernachweis (Diagnostik)
gering ist. RV werden häufig in Gesellschaft mit anderen
Infektionserregern, insbesondere mit enteropathogenen E. coli,
Kokzidien und Cryptosporidien festgestellt.
Erreger
Familie Reoviridae, Gattung Rotavirus. Durchmesser 65-75
nm (1 nm entspricht 1/1000 µm), zweischichtiges,
ikosaederförmiges Kapsid, keine Hülle, trotzdem ein
glykosyliertes Strukturprotein (gVP7), Core (= Innenkörper)
enthält alle Enzyme für die virusspezifische Transkription und
RNS-Replikation.
Das Virusgenom besteht aus 11 Segmenten einer
doppelsträngigen RNS. Diese können in Polyakrylamidgelen
aufgetrennt und diagnostisch/epidemiologisch (spezifische
Bandenmuster) ausgewertet werden (Abb. 1). Die 11 RNSSegmente kodieren für je ein Protein: 6 Struktur- und 5
Nichtstrukturproteine (Tab. 1). Das Strukturprotein VP6 weist
ein gruppenspezifisches Antigen auf (wichtig für die
Diagnostik). Die Virusadsorption erfolgt durch VP4. VP4 und
VP7 induzieren neutralisierende Antikörper. Die räumliche
Struktur (Konformation) von VP7 beeinflusst jene von VP4
und umgekehrt. Man geht davon aus, dass ein mit VP7
reagierender neutralisierender Antikörper die Virusadsorption
durch Änderung der Konformation von VP4 bewirkt.
VP4 und VP7 beeinflussen zahlreiche
Pathogenitätsmechanismen: Wirtsspezifität und
Gewebetropismus, Kinetik der Virusvermehrung, die
Ausbildung einer postinfektiösen oder postvakzinalen
Immunität ist gleichbedeutend mit der Bildung von
virusneutralisierenden Antikörpern. Die Tatsache, dass
gewisse Virusstämme keinen zytopathischen Effekt (auch
keine Gastroenteritis) verursachen, konnte bis heute nicht
befriedigend erklärt werden.
Seite 208
Kapitel, Rotaviren
<- Abb. 1. Bandenmuster der RNS-Segmente dreier
Rotavirusisolate: Serogruppe A (links, 1), B (mitte, 2), bzw. C
(rechts, 3).
Tab. 1. Die Proteine von Rotaviren
RNSSegment
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Protein
VP1*
VP2
VP3
VP4**
NS1
VP6
NS2
NS3
gVP7
gNS4
gNS5
Mol.-Gew.
(gerundet)
125
94
88
88
53
41
34
35
38
28
26
Lokalisation
Core
Core
Core
äusseres Kapsid
(nur Zelle)
inneres Kapsid
(nur Zelle)
(nur Zelle)
äusseres Kapsid
(nur Zelle)
(nur Zelle)
* VP, Virion- oder Strukturprotein; NS, Nichtstrukturprotein;
g, glykosyliert
** Durch proteolytische Spaltung entstehen VP5 und VP8
(ausbleibende Spaltung geht mit einer abortiven Infektion
einher).
Die Lokalisation der Virusproteine ergibt sich aus
morphologischen (EM) und gelelektrophoretischen
Untersuchungen an chemisch veränderten Viruspräparaten
(Abb. 2). Die Behandlung mit 10 mM EDTA entfernt VP4 und
VP7. Es entstehen einschichtige Kapside. Weitergehende
Behandlung mit 1.5 M CaCl2 entfernt VP6. Es resultieren
sogenannte Core-Partikel, bestehend aus VP1, VP2 und VP3.
Diese sind mit den 11 RNS-Segmenten verbunden. Mit EDTA
behandelte Viruspräparate eignen sich in vitro für die Synthese
von markierter viraler mRNS (wird für molekulare
Untersuchungen des Virusgenoms verwendet).
Doppeltes Capsid
Einfaches Capsid
Core
Abb. 2. Lokalisation der Strukturproteine bei Rotaviren
Seite 209
Kapitel, Rotaviren
Es gibt eine überaus grosse Anzahl serologisch
unterscheidbare RV. Auf Grund der Antigenität von VP6
unterscheidet man 6 Serogruppen (A bis F), die untereinander
keine serologischen Gemeinsamkeiten aufweisen. Die bei
Mensch und Tier bekannten Rotaviren gehören zumeist der
Serogruppe A an. Über die Bedeutung der Virusgruppen B bis
G ist vergleichsweise wenig bekannt.
Vertreter der Serogruppen B und C finden sich sowohl bei
Mensch und Tier, während solche der Gruppen D bis F bisher
nur bei Tieren festgestellt wurden. Nachdem auf VP6 ein
gruppenspezifisches Antigen lokalisiert ist, kann der
Virusnachweis in Stuhl- und Kotproben z.B. unter
Verwendung monoklonaler Antikörper, leicht und schnell
geführt werden. Heute sind kommerziell erhältlich ELISA-kits
für den Nachweis von RV der Serogruppe A weit verbreitet.
Innerhalb der Serogruppe A können genetisch und serologisch
14 (Sero-/Geno-) Typen unterschieden werden. Die
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Serotyp wird durch die
Antigenität von VP7 geprägt (nachdem VP7 glykosyliert ist
bezeichnet man die Serotypen auch als G-Typen). Die
einzelnen G-Typen werden im Neutralisationstest oder
übereinstimmend durch Sequenzanalyse des zugehörigen Gens
ermittelt (vgl. Notizen zur allgemeinen Virologie:
"Virusdiagnostik").
Nachdem auch VP4 virusneutralisierende Antikörper
induziert, gestaltet sich die serologische Charakterisierung der
RV relativ schwierig; dies gehört indessen nicht zur Routine,
ist jedoch von Bedeutung, wenn es um die Entwicklung von
Impfstoffen geht (ein guter Impfstoff sollte die lokal
verbreiteten Virustypen abdecken). Auf Grund von
charakteristischen Unterschieden der Nukleotidsequenz im
Gen für VP4 wurden bisher 20 sogenannte P-Genotypen
definiert (P steht für das Gen von VP4, das proteolytisch
gespalten wird). Die P-Serologie ist schwierig.
Für (molekular-) epidemiologische Abklärungen ist die
Zuordnung der prävalenten Virustämme zu bestimmten G- und
P-Typen wichtig (Tab. 2).
Tab. 2. Bisher bei Mensch und Tier festgestellte G- und PTypen (Gruppe A-RV). Die Hauptwirte für die einzelnen Gund P-Typen sind fett gedruckt. Abkürzungen: Hu, human; Po,
porcine; Bo, bovine; Ov, ovine; Si, simian; Mu, murine; Ca,
canine; Fe, feline; Eq, equine; La, lapine; Av, avian. Merke: es
wird davon ausgegangen, dass beispielsweise die als G8P10
identifizierten menschlichen Isolate Reassortanten humanen
und bovinen Ursprungs darstellen.
Seite 210
Kapitel, Rotaviren
Serotyp
Genotyp G1
P6
P6
P5
P1
P2
P3
P1B
P7
P2
P4
P5
P6
Hu
P9
P1A
P3
P7
P8
P9
Po
Hu
Hu
P4
P8
P3
P10
P11
P12
P13
P14
Eq
P15
P16
P17
Mu
P10
P11
P18
P19
P20
Vermehrung
G2
G3
G4
G5
Ov
Si
Hu
Si
Mu
Ca
Fe
G6
G7
G8
Bo
Bo
Bo
Bo
G9
G10 G11 G12 G13 G14
Hu
Hu
Hu
Hu
Po
Hu
Hu
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Hu
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La
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Hu
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Bo
Eq
Po
Mu
Die Virusvermehrung erfolgt ausschliesslich im Zytoplasma
(Abb. 3 und 4).
Virion-Enzyme
dsRNS
Zellkern
mRNS
Strukturproteine
Nichtstrukturproteine
ssRNS
dsRNS
Virionen
Abb. 3. Strategie der Virusreplikation (Rotaviren)
1. Adsorption des Virus an die Wirtszelle mittels VP4. Merke:
Gegen VP4 und VP7 gerichtete Antikörper können die
Adsorption verhindern. -> Virusneutralisation.
Seite 211
Kapitel, Rotaviren
2. Penetration. Sofern VP4 proteolytisch gespalten vorliegt
(VP5 und VP8) kommt es zu einer Fusion des äusseren
Kapsids mit der Zellmembran, in deren Folge das einschichtige
Kapsid (mit den dsRNS Segmenten) in das Zellinnere gelangt.
Liegt VP4 in nicht gespaltener Form vor, gelangen die
adsorbierten Virionen mit dem äusseren Kapsid (VP4 und
VP7) via Endozytose in das Zellinnere. In diesem Fall kommt
die Virusreplikation zum Erliegen, da keine Transkription
stattfinden kann.
Mit RV infizierte Zellen werden i.d.R. mit einem Nährmedium
inkubiert, dem Trypsin beigesetzt ist. Damit wird
gewährleistet, dass VP4 der Nachkommenviren proteolytisch
gespalten wird.
3. Die durch die viruseigenen Transkriptasen gebildete mRNS
verlässt die einschichtigen Kapside durch Poren, die in VP6
vorhanden sind. Im Zytoplasma werden die Transkripte an
freien und an ER-gebundenen (VP7, gNS4) Ribosomen
translatiert.
Abb. 4. Vermehrung von Rotaviren, schematisch
4. Nach erfolgter Translation und RNS-Replikation folgt die
Virusreifung (Morphogenese und Freisetzung) durch
Knospung an Membranen des ER. Dabei spielt das
glykosylierte Nichtstrukturprotein gNS4 eine entscheidende
Rolle (zeitweilig trägt das reifende Viruspartikel eine Hülle, in
der gNS4 integriert ist). Die Virusfreisetzung erfolgt
schliesslich durch Lyse der Wirtszelle.
Merke: Soweit bekannt, kommt dem Golgi-Apparat bei der
Virusreplikation keine Bedeutung zu. Das virale Glykoprotein
gVP7 trägt demzufolge nur N-glykosidisch gebundene Zucker.
Seite 212
Kapitel, Rotaviren
Die Isolierung und weitergehende Züchtung von RV gelingt
nicht regelmässig. Insbesondere konnten Viren der Gruppen B
und C nur vereinzelt und solche der Gruppen D bis F noch nie
isoliert werden. Bei der Isolierung von RV der Gruppe A fällt
auf, dass dies beispielsweise mit bovinen Stämmen häufiger
als mit humanen Stämmen gelingt. Die Gründe für diese
Tatsache sind unklar. Eine minimale Voraussetzung für die
erfolgreiche Isolierung und Vermehrung von RV in
Zellkulturen ist ein Zusatz von Trypsin zum serumfreien
Nährmedium.
Epidemiologie
Erkrankte Individuen scheiden mit dem Kot während 1-3
Wochen grosse Virusmengen aus (107-109 infektiöse Partikel
pro Gramm). Die horizontale Virusausbreitung geschieht
fäkal-oral durch direkten Kontakt oder indirekt über unbelebte
Vektoren. Viruskontaminierte Stallungen und Gerätschaften,
einschliesslich Fahrzeuge, werden meist unzulänglich
desinfiziert, da die Viren eine hohe Tenazität aufweisen. In
infizierten Beständen gibt es immer Individuen, die einerseits
Viren ausscheiden und andererseits für eine Infektion
empfänglich sind. Empfänglich sind v.a. Jungtiere, die keine
ausreichende kolostrale (passive) Immunität aufweisen. Unter
unhygienischen Bedingungen sind Tiere beim Absetzen
gefährdet, da bei hoher Infektionsdosis die Infektion leichter
haftet.
Infektionen mit RV verzeichnet man über das ganze Jahr. In
gemässigten Zonen treten Erkrankungen im Winterhalbjahr
gehäuft auf: Witterung, niedrige relative Luftfeuchtigkeit,
beeinträchtigter Wärmehaushalt der Jungtiere). Der Verlauf
einer Infektion wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst:
altersabhängige Resistenz, Immunitätslage, Virustyp,
Infektionsdosis). Wiederholte Infektionen mit/ohne
Erkrankung sind möglich, da passiv und aktiv erworbene
Immunität zeitlich beschränkt sind. Zudem existieren
Serotypen, die keine Kreuzimmunität induzieren.
Desinfektion
Die Tenazität der RV ist vergleichsweise gross (gilt generell
für unbehüllte Viren). Hohe Temperatur und hohe relative
Luftfeuchtigkeit beschleunigen die Virusinaktivierung.
Gegenüber Sonnenlicht (UV-A-Strahlung) verhalten sich die
Viren relativ labil. Demgegenüber überleben die Viren bei
niedrigen Temperaturen und in Dunkelheit über Monate. Dies
trifft insbesondere für Vollgülle zu, wo ein D-Wert von mehr
als 6 Monaten ermittelt wurde. Bei 55°C werden die Viren
innerhalb von 60 min zu 99.9% inaktiviert. Die Infektiosität
wird durch pH-Werte von 3-10 nicht wesentlich beeinträchtigt.
Im physiologisch sauren Magenmilieu (pH-Wert < 3.0) geht
die Infektiosität schnell verloren.
Seite 213
Kapitel, Rotaviren
Als chemische Desinfektionsmittel sind Iodophor und NaHypochlorid (NaHClO = eau de javelle) nur bedingt wirksam.
Empfohlen werden 4.5% Formaldehyd (cave: nur bei
Temperaturen oberhalb 10°C wirksam!), 2% Glutaraldehyd,
70-90% Aethanol oder 1-5% Chloramin-T.
Pathogenese
Gefährdet sind Jungtiere ohne ausreichenden kolostralen
Schutz. Mit zunehmendem Alter verlaufen die Infektionen
mehr und mehr subklinisch. Nach oraler Aufnahme gelangen
die Viren durch das mehr oder weniger saure Magenmilieu in
den Dünndarm. Lokal wirksame Proteasen aktivieren das
Virus, das dann bei nicht immunen Tieren die Enterozyten der
Dünndarmzotten befällt und zerstört (Zottenatrophie und
Maladsorption). Die Virusvermehrung erfolgt schnell, so dass
bereits 6-12 Stunden nach Virusaufnahme eine Freisetzung
von Nachkommenvirus beginnt. Nach weiteren 6 Stunden kann
man mikroskopisch den Beginn der Zottenatrophie feststellen
(vgl. Notizen zur allgemeinen Virologie, "Pathogenese"). Die
mit einiger Verzögerung aus den Krypten nachwachsenden
Enterozyten sind metabolisch zunächst unreif, so dass die
Maladsorption auch bei regeneriertem Epithel zeitweilig anhält
(Proteine und Milchzucker werden weder metabolisiert noch
resorbiert, so dass durch osmotische Wirkung eine sekundäre
Dehydratation resultiert. Die Virusausscheidung dauert 1-3
Wochen.
Nach neueren Befunden kann das glykosylierte
Nichtstrukturprotein gNS4 (auch bei nicht zytopathogenen
Virusstämmen) für sich alleine Durchfall verursachen, wobei
der zugrundeliegende Mechanismus jenem des Choleratoxins
entspricht (cAMP).
Klinik
Die Inkubationszeit dauert 1-2 Tage. Beim nicht geschützten
Jungtier (fehlende oder verspätete Kolostrumaufnahme sowie
bei frühzeitigem Absetzen) prägen Durchfall und
Dehydratation, Anorexie und gelegentlich auch Erbrechen das
klinische Bild. Betroffene Tiere magern ab und bleiben
allenfalls "Kümmerer".
In endemisch infizierten, jedoch hygienisch einwandfreien
Beständen verlaufen die Infektionen häufig subklinisch. Die
Morbidität wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst: Alter,
Immunstatus, Virustyp, Infektionsdosis, Fütterung in der
Absetzphase, Stallklima sowie gleichzeitige Infektionen mit
anderen Pathogenen. Die wirtschaftliche Bedeutung von RVInfektionen wird im allgemeinen hoch eingeschätzt.
Seite 214
Kapitel, Rotaviren
Immunreaktion
Rotaviren führen zu lokalen Darminfektionen. Immunität
bedeutet lokale Immunität: aktive und passive Immunisierung.
Im Verlauf der Infektion werden Lymphozyten des Darmes
(Peyer'sche Platte) aktiviert. Diese produzieren u.a.
sekretorische Immunglobuline (IgA). Zellvermittelte
Immunmechanismen laufen ebenfalls ab. Über deren
Bedeutung ist indessen wenig bekannt. Die Dauer der
humoralen Immunität ist mit einigen Wochen kurz.
Reinfektionen sind demzufolge häufig.
Kürzlich wurde die immunologisch interessante Beobachtung
publiziert, wonach VP6-spezifische IgA beim Transport durch
infizierte Enterozyten mit dieser Viruskomponente reagieren
und dadurch die Virusreifung verhindern können.
Da die meisten Bestände endemisch verseucht sind, sind
Muttertiere einem dauernden Antigenstimulus ausgesetzt.
Dieser führt zu einer regelmässigen aktiven Immunisierung, in
deren Folge eine befristete laktogene Immunisierung der
Jungtiere sichergestellt werden kann.
Immunprophylaxe
Im Handel erhältliche attenuierte Impfstoffe vermögen nicht zu
befriedigen. Eine Erklärung hierfür liegt vermutlich darin, dass
die Impfstoffe das prävalente Virusspektrum nicht abzudecken
vermögen. Hinweise hierfür ergeben sich aus
molekularepidemiologischen Untersuchungen.
Allgemeine Hygienemassnahmen im Betrieb reduzieren die
Infektionsdosis und damit das Krankheitsrisiko. Eine
ausreichende Versorgung der Jungtiere mit Kolostrum wirkt
sich immer günstig aus.
Pathologie
Die makroskopisch erkennbaren Veränderungen sind
unspezifischer Natur, d.h. nicht pathognostisch. Festgestellt
werden allgemeine Dehydratation, dünnwandiges Jejunum und
Ileum, erweiterter Dickdarm sowie mit gelblichen Massen
gefüllter Darm. Histologisch lässt sich eine Zottenatrophie
feststellen. Diese kommt durch den Verlust der apikal
liegenden Enterozyten zustande.
Diagnostik
Klinisch kann nur eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Die
Labordiagnose ist, sofern frühzeitig gewonnene Kotproben zur
Untersuchung gelangen, leicht und schnell durchführbar. Der
Antigennachweis wird zumeist mit kommerziell erhältlichen
ELISA-kits geführt (nur für RV der Gruppe A erhältlich).
Alternativ können die Proben elektronenmikroskopisch
untersucht werden (erfasst auch nicht der Gruppe A zugehörige
Rotaviren). Eine weitere Möglichkeit zur Diagnostik ergibt mit
den dsRNA Segmenten: diese können in geeigneten Gelen
elektrophoretisch dargestellt werden. Hier kann man relativ
sicher zwischen den einzelnen Virusgruppen unterscheiden
(charakteristisches Bandenmuster).
Seite 215
Kapitel, Rotaviren
Innerhalb einer gegebenen Serogruppe lassen sich
epidemiologisch nicht zusammenhängende Virusstämme
häufig unterscheiden.
Beim toten Tier können in Kryostatschnitten virale Antigene
fluoreszenzmikroskopisch oder mit anderen Enzymtests
nachgewiesen werden (vgl. Notizen zur allgemeinen Virologie:
"Virusdiagnostik").
Der indirekte Virusnachweis (Antikörper) bringt wenig
verwertbare Informationen. Allenfalls kann ein
Antikörpertiteranstieg ermittelt werden.
Differentialdiagnostisch müssen TGE, EVD, Infektionen mit
E. coli sowie Kokzidien und Kryptosporidien ausgeschlossen
werden.
Therapie
Es gibt keine virusspezifische Therapie. Symptomatisch wird
man den Elektrolythaushalt unterstützen. Gelegentlich wird
empfohlen, erkrankten Tieren Kolostrum zu verabreiche.
Staatl. M'nahmen
Keine.
Seite 216
Kapitel, Staupe
Staupe
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
CDV
Staupe, Canine Distemper
Staupe ist eine weltweit verbreitete, akut oder subakut
verlaufende, kontagiöse, systemische Viruskrankheit der
Hunde und anderer Carnivoren. Oft ist das ZNS vom
Krankheitsgeschehen mitbetroffen. Charakteristische
Spätfolgen sind "Hartballenkrankheit" und "old dog
encephalitis".
Besonderheiten
Enge antigenetische Verwandtschaft mit anderen
Morbilliviren, z.B. Rinderpest, Masern (wird z.T. als
heterologer Impfstoff verwendet) und phocid distemper.
Etablierung persistierender Infektionen mit besonderen
Mechanismen in der Pathogenese.
Gute Wirksamkeit von Lebendimpfstoffen (mlv).
Geschichte
Staupe ist eine seit mehr als 200 Jahren bekannte Krankheit.
Sie wurde unter anderem schon von Edward Jenner (1809)
beschrieben. Carré, dessen Name in der der französischen
Bezeichnung der Krankheit verewigt ist, zeigte bereits 1905,
dass es sich beim Staupeerreger um ein filtrierbares Virus
handelte. Die Einführung der mlv-Impfstoffe in den Jahren
zwischen 1950 und 1960 und deren konsequente Anwendung
führten zu einem dramatischen Rückgang der Staupefälle.
Verbreitung
Weltweit.
Erreger
Familie Paramyxoviridae, Gattung Morbillivirus. (-)ssRNA
Viren, Ø 120-150 nm, pleomorph-rundliche Gestalt, behüllt mit
2 "spikes"-bildenden Glykoproteinen (HA und F), HA
Glykoprotein mit hämagglutinierender Aktivität und F
Glykoprotein mit fusionierender Aktivität; helikales
Nukleokapsid, Virion assoziierte Transkriptase. Genom aus
ssRNA mit negativer Polarität, nicht segmentiert, 16-20 kb,
Kodierungskapazität für 6 Strukturproteine (N, P, L, M, HA,
F). Die virale Transkriptase schreibt zuerst subgenomische
mRNAs ab, die zu Proteinen translatiert werden und die
weitere Synthese von Genomkopien und viralen
Strukturproteinen ermöglichen.
Seite 217
Kapitel, Staupe
Virusvermehrung
Adsorption über zelluläre, Neuraminidase-resistente
Rezeptoren via Hüllprotein (HA). Translokation ins
Zytoplasma nach Fusion der Virushülle mit der Zellmembran
mittels F-Protein. Die freigesetzte RNA mit negativer Polarität
hat zwei unterschiedliche Funktionen. (i) Vorlage zur
Transkription subgenomischer mRNA und (ii) Vorlage zur
Transkription von RNA mit genomischer Länge, aber positiver
Polarität, die dann wiederum als Vorlage für genomische RNA
mit negativer Polarität dient.
Strategie der Staupevirus Replikation
virale Enzyme
(-)ssRNA
(+)mRNA
Proteine
(+)RNA
(-)RNA
Viruspartikel
Genexpression
Durch die Ausbildung eines Transkriptionsgradienten steuert
das Virus seine Genexpression.
Die Menge synthetisierter Proteine entspricht offensichtlich
dem Bedarf zur Bildung von neuen Virionen. Die Gesamtheit
der Strukturkomponenten geben dem Viruspartikel seine Form.
Die genomische RNA bildet zusammen mit dem
Nukleoprotein (N) das Nukleokapsid (auch RNP,
Ribonukleoprotein).
Seite 218
Kapitel, Staupe
Auch enzymatisch aktive Proteine wie P/C und L sind mit dem
RNP assoziiert und im Viruspartikel vorhanden. Das
Matrixprotein (M) stellt die Anordnung der Hüllproteine HA
und F, sowie den Kontakt zum RNP sicher. Funktionstüchtiges
F-Protein entsteht durch proteolytische Spaltung des
Vorläuferproteins Fo.
Epidemiologie
Mit der Einführung von mlv-Vakzinen in den 1950er Jahren
ging die Inzidenz von Staupefällen weltweit stark zurück.
Allerdings zirkuliert Staupe auch bei vielen Wildcarnivoren,
sodass eine erfolgreiche Eradikation nicht erwartet werden
kann. Die meisten Fleischfresser, zum Beispiel die Mitglieder
der Familie canidae (Hund, Dingo, Fuchs, Koyote, Wolf,
Schakal) mustelidae (Marder, Wiesel, Nerz, Stinktier, Dachs,
Otter) und procyonidae (Panda, Waschbär, etc.) können an
Staupe erkranken und eingehen. Eine interessante Stellung
nehmen die felidae ein, welche wohl infiziert werden, mit
wenigen Ausnahmen (z.B. chronische Staupeenzephalitis beim
Bengaltiger) aber nicht erkranken.
Gegen diese Annahme spricht allerdings das kürzlich
beobachtete Auftreten von Staupe bei Löwen in der Serengeti.
Infizierte Tiere sind die wichtigste Ansteckungsquelle.
Übertragung der Infektion vor allem direkt über Aerosol.
Indirekte Ansteckung unbedeutend, weil das Virus sehr
empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen ist.
Virusausscheidung mit allen Exkreten und Sekreten
unabhängig von klinischen Symptomen ab ca. 7 Tagen p.i.. Bei
akut infizierten Tieren hört die Virusausscheidung
normalerweise mit dem Abklingen der klinischen Symptome
auf. Chronisch infizierte Tiere können Virus übertragen, auch
wenn der diagnostische Virusnachweis nicht gelingt.
Desinfektion
Alle gängigen Desinfektionsmittel sind genügend wirksam.
Pathogenese
Natürliche Übertragung durch direkten Kontakt. Aufnahme des
Virus durch Inhalation. Erste Virusvermehrung in den
lymphatischen Geweben des Respirationstraktes. Replikation
in Makrophagen, sowie B- und T- Lymphozyten. Ausbreitung
in alle lymphatische Gewebe, inklusive Milz, Thymus,
Lymphknoten, Knochenmark, Lamina propria des enteralen
Traktes, Kupfer'sche Sternzellen der Leber.
7-14 Tage p.i. Einsetzen der Immunmechanismen mit zwei
möglichen Folgeverläufen. (i) Vollständige Erhohlung und
Elimination des Virus aus dem Organismus. (ii) Ungenügende
Immunantwort mit Todesfolge oder Entwicklung einer
persistierenden Infektion. Dabei werden die Viren durch
infizierte Lymphozyten und Makrophagen in epitheliale
Gewebe verschleppt, wodurch es zur Invasion der Epithelien
des alimentären, urogenitalen und respiratorischen Traktes,
von exokrinen und endokrinen Drüsen, sowie des ZNS kommt.
Seite 219
Kapitel, Staupe
Kommt es zu einer verzögerten Immunantwort, so
verschwindet das Virus mit der Zeit aus den meisten Organen
mit Ausnahme des ZNS. Zuweilen können auch Augen, Lunge
und bestimmte Hautbezirke (Pfoten) chronisch infiziert
bleiben. Bei der ZNS-Infektion erscheint das Virus zuerst in
den perivaskulären Lymphozyten, später in den meningealen
Makrophagen, den Ependymzellen, Gliazellen und schliesslich
den Neuronen. Solche Hunde entwickeln i.d.R. eine akute oder
subakute Enzephalitis.
Bei der akuten Form ist eher die graue Substanz betroffen,
während es bei der chronischen Form eher zu
Demyelinisierung infolge von immunpathologischen
Vorgängen kommt. Ähnlichkeit dieser Krankheitsform mit der
subakuten, sklerotisierenden Panenzephalitis (SSPE) beim
Menschen durch Infektion mit Masernvirus.
Immunreaktion
Die Immunreaktion nach Infektion mit Staupevirus hängt
sowohl vom infizierenden Virusstamm, als auch von
Eigenschaften des Wirtsorganismus ab. In der Frühphase der
Infektion sind die Hunde infolge der Infektion der
Immunzellen stets lymphopenisch und immunsupprimiert.
Tiere, welche die Infektion rasch überwinden, entwickeln
entsprechend rasch eine heftige humorale und zelluläre
Immunantwort. Maximale Titer neutralisierender Antikörper
sowie zirkulierender zytotoxischer T-Zellen werden bereits 10
bis 20 Tage p.i. gemessen. Während die humorale
Immunantwort bei genesenen Hunden sehr lange andauert,
verschwindet eine messbare zelluläre Immunität relativ rasch.
Protrahierte Infektion und Entwicklung von chronischen
Krankheitsbildern beobachtet man in der Regel bei Hunden mit
ungenügender oder verzögerter Immunantwort.
Inaktivierte Vakzinen induzieren keinen Schutz vor
Krankheitssymptomen und vor möglichen Komplikationen und
Spätfolgen. mlv-Impfstoffe hingegen gewähren einen sehr
guten Schutz.
Impfprophylaxe
Impfung mit mlv-Vakzinen. Heterologe Impfung mit
Masernvirus möglich. Guter Schutz der Welpen durch
Aufnahme maternaler Antikörper. Schutzwirkung kann durch
Gabe spezifischer Antikörperpräparate gesteigert werden.
Klinik
Staupe manifestiert sich mit sehr unterschiedlichen
Verlaufsformen, die von Virusstamm, Alter des infizierten
Tieres und von individueller Resistenz abhängen.
Seite 220
Kapitel, Staupe
Klassischer Verlauf: Die Krankheit beginnt mit einer
zweigipfligen Fieberphase, wobei der erste Fieberanstieg, 3 bis
6 Tage nach der Infektion, oft unbemerkt verläuft. Die zweite
Fieberphase, die einige Tage nach der ersten auftritt, geht dann
mit Nasenausfluss (zunächst serös), Konjunktivitis und
Anorexie einher. Später stellen sich noch respiratorische
und/oder gastro-intestinale Symptome ein, die oft durch
Sekundärinfektionen (begünstigt durch die Lymphopenie)
noch akzentuiert werden. Die Konjunktivitis kann in eine
Keratokonjunktivits sicca übergehen und zu Ulzerationen und
sogar Perforation der Kornea führen.
Abbildung 1. Fortgeschrittene Staupe beim Hund mit Keratokonjunktivitis
und eitrigem Nasenausfluss.
Zentralnervöse Form: Diese Verlaufsform der Staupe kann
entweder im Zuge oder nachfolgend auf die klassische Form
auftreten, aber auch einer subklinischen, systemischen
Infektion folgen. Inkoordination und konvulsive Krämpfe sind
die häufigsten Symptome. Daneben können Tremor, Paresen,
Torticollis, Nystagmus, Hyperästesie einzeln oder gemeinsam
auftreten.
Spezialformen: Hyperkeratose der Fussballen (hard pad
disease) und "old dog encephalitis" (ODE) sind
Folgekrankheiten von Staupe, die heute eher selten auftreten.
Die Pathogenese dieser Formen ist nicht völlig geklärt. ODE
ist durch progressive motorische und mentale
Ausfallserscheinungen gekennzeichnet und verläuft in der
Regel fatal.
Diagnose
Bei fieberhaften Allgemeinerkrankungen der Fleischfresser an
Staupe denken, speziell wenn Respirationstrakt, Darmtrakt,
ZNS (u.U. Wesensveränderungen) mitbetroffen sind. "hard pat
disease" und "old dog encephalitis" verlaufen oft recht typisch.
Seite 221
Kapitel, Staupe
Differentialdiagnosen
Toxoplasmose, HCC, Parvovirose, Leptospirose,
Mannheimien, Salmonellose, Tollwut.
Bei Verdacht
Einsendung von Untersuchungsmaterial absprechen mit:
Institut für Veterinärpathologie, Vetsuisse Fakultät Zürich,
Wintherturerstrasse 268, 8057 Zürich, 044 635 8552 (Prof.
Pospischil) oder
Institut für Tierneurologie, Vetsuisse Fakultät Bern,
Bremgartenstrasse 109a, 3012 Bern, 031 631 2525 (Prof.
Vandevelde).
Untersuchungsmaterial
Konjunktivalabstriche. Tiefgefrorenes Organmaterial.
Labordiagnose
Antigennachweis mittels Immunfluoreszenz von Abstrichen
der Konjunktiven oder post mortem von Lymphknoten,
Blasenepithelien. Im ZNS ist das Zerebellum am besten
geeignet.
Virusisolation ist sehr schwierig. Wildstämme vermehren sich
schlecht auf konventionellen Zellkulturen. In protrahierten
Fällen können neutralisierende Antikörper die Anzucht der
Viren erschweren.
Seite 222
Kapitel, SVD
SVD
Autor: Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
SVD
Swine vesicular disease
SVD wird durch das porcine Enterovirus Typ 9 verursacht und
ist eine akute, hochkontagiöse Viruserkrankung der Schweine.
Sie stellt eine der wichtigsten Differentialdiagnosen zu MKS
dar. Charakteristisch sind, wie bei MKS, Aphten und
Erosionen im Bereich der Maul- und Nasenschleimhaut sowie
an den Klauen.
Besonderheiten
Tenazität: extrem hoch
Übertragung: Infolge der hohen Tenazität ist auch die
indirekte Übertragung wichtig, z.B. mit Gemüse und Salate,
welche mit Schweinejauche gedüngt worden sind.
Nur Schweine betroffen.
Geschichte
Erstmals 1966 in Italien beschrieben. Später traten Fälle in
Hong Kong und verschiedenen Ländern Europas auf. 1973,
bisher einziger Ausbruch in der Schweiz. Heute gilt die
Schweiz als amtlich frei von SVD.
Verbreitung
Sporadisch in verschiedenen europäischen Ländern
Erreger
Porcines Enterovirus Typ 9. Familie Picornaviridae, Gattung
Enterovirus. Verwandtschaft mit dem Coxsackie B5 Virus des
Menschen.
Struktur wie MKSV
Virusvermehrung
und Genexpression
Vgl. MKS
Epidemiologie
Das eigentliche Virusreservoir ist nicht bekannt. Von unseren
Haustieren ist nur das Schwein empfänglich.
Virusausscheidung über aufbrechende Aphten sowie in Kot
und Urin während mindestens 20 Tagen. Hauptübertragung
durch indirekten Kontakt, kontaminierte Futtertröge,
Transportfahrzeuge, Geräte, Verfütterung von erregerhaltigen
Fleischabfällen oder kontaminierten Gemüsen und Salaten.
Desinfektion
Extrem hohe Tenazität. Das Virus bleibt in kühler und feuchter
Umgebung mehrere Monate infektiös, in tiefgekültem Fleisch
sogar jahrelang. Es sind pH Werte >12.5 oder <2.5 für die
Desinfektion notwendig.
Seite 223
Kapitel, SVD
Pathogenese
Vgl. MKS. Inkubationszeit: 2-7 Tage.
Immunreaktion
Vgl. MKS
Prophylaxe und
Bekämpfung
Es existiert kein Impfstoff. Falls doch einer erhältlich wäre,
wäre er aufgrund seuchenpolizeilicher Bestimmungen in der
Schweiz trotzdem verboten. Die Prophylaxe erfolgt durch
Importkontrollen und Meldepflicht.
SVD wird als hochansteckende Tierseuche bekämpft. Es wird
kein Unterschied zu MKS gemacht. Die ganzen Schlachtkörper
gelten als ungeniessbar und werden unschädlich beseitigt.
Klinik
Klinisch nicht von MKS unterscheidbar. Die Hauptsymptome
sind hohes Fieber, Aphten am Kronsaum, im
Zwischenklauenspalt, auf der Maulschleimhaut, der
Rüsselscheibe, seltener auf der Zunge. Je nach Schweregrad
der lokalen Läsionen kommt es zu Lahmheit und Problemen
bei der Futteraufnahme. Abheilung der Läsionen innert zwei
bis drei Wochen. Bei Muttersauen wird auch ein sehr milder,
nahezu symptomloser Verlauf beobachtet. Im Unterschied zu
MKS tritt SVD nur beim Schwein, nicht aber bei anderen
Paarhufern auf.
Diagnose
Beim Auftreten von fieberhaften Erkrankungen bei Schweinen
mit Blasen an Zunge, Maulschleimhaut oder Kronsaum und
Zwischenklauenspalt immer sowohl an MKS wie auch SVD
denken.
Differentialdiagnosen
MKS, Vesikuläre Stomatitis (Rhabdoviridae), Vesikuläres
Exanthem (Calicivirus).
Bei Verdacht
Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI)
031 848 9211 benachrichtigen und Einsendung von
Untersuchungsmaterial absprechen.
Siehe auch Internet homepage des Bundesamtes für
Veterinärwesen unter folgendem URL:
http://www.bvet.admin.ch/tiergesundheit/00178/00180/00398/i
ndex.html?lang=de
Untersuchungsmaterial
Frische Aphten, grosszügig ausgeschnitten, in sterilen
Blutröhrchen, Aphtenflüssigkeit auch in Glycerin-PhosphatPuffer pH 7.5; Blutproben für Serologie: 5 ml Serum oder 10
ml antikoaguliertes Blut. So schnell wie möglich (Auto,
Express) nach Absprache an das Institut für Viruskrankheiten
und Immunprophylaxe, 3147 Mittelhäusern bringen.
Labordiagnose
KBR, RT-PCR und ELISA. Virusisolation in Zellkulturen
dauert mehrere Tage. SNT und ELISA für Serologie.
Seite 224
Kapitel, Tollwut
Tollwut
Autoren: Alfred Metzler, Mathias Ackermann
File Info: TPT22:\Vorlesung\Portrats0203.doc
Rabies
Tollwut / Rabies / Lyssa /
Hydrophobie
Die Tollwut (TW) ist eine seit Jahrhunderten bekannte und, da
meist tödlich verlaufend, gefürchtete Viruskrankheit des
zentralen Nervensystems (ZNS). Sie kommt bei warmblütigen
Tieren und als Zoonose auch beim Menschen vor. Je nach
Kontinent und Region sind verschiedene Carnivoren (allen
voran Hunde und Füchse, in Zentralamerika auch blutsaugende
Fledermäuse) als das natürliche Virusreservoir bekannt.
Besonderheiten
Die Virusübertragung erfolgt in aller Regel durch Bisse
tollwütiger Tiere, deren Speichel das Virus enthält. Zinke wies
diesen Sachverhalt bereits 1804 nach, indem er das
Krankheitsbild durch Übertragung von infektiösem Speichel
experimentell reproduzieren konnte. Die Besonderheiten der
Pathogenese (lange Inkubationszeit) werden beim Menschen
zur Durchführung postexpositioneller Impfungen genutzt.
Seit Mitte der 80er Jahre weiss man bei europäischen
Fledermäusen über die Existenz von Tollwutvirusähnlichen
Vertretern, die beim Menschen bisher zu zwei Krankheitsfällen
geführt haben. Der gebräuchliche Tollwutimpfstoff deckt diese
Erregertypen nicht ab.
Die in Europa vorherrschende Fuchstollwut (silvatische TW)
wird mit grossem Erfolg durch orale Impfung des
Fuchsbestandes eingedämmt. In der Schweiz verzeichnete man
den letzten Fall von Fuchstollwut im Frühjahr 1996. Nach den
Richtlinien der WHO (keine Fälle seit mindestens 2 Jahren)
gilt die Schweiz heute offiziell als "frei von Tollwut". Dieser
Status wurde im Sommer 2002 vorübergehend aufgehoben
(siehe Bedeutung Schweiz, Fall 3).
Geschichte
Verbreitung
Die TW kommt mit Ausnahme von Australien und der
Antarktis auf allen Kontinenten vor. In Europa ist
Grossbritannien dank rigoroser Quarantäne-Massnahmen von
der aktuellen Epidemie verschont geblieben (Ausnahme: 1 Fall
von Fledermaustollwut). Die epidemiologische Besonderheit Übertragung des Erregers durch Biss tollwütiger Tiere- ist
schon lange bekannt.
Seite 225
Kapitel, Tollwut
Einer der frühesten Hinweise auf diesen Sachverhalt stammt
aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. (Eshnunna-Kodex). Dieser
besagt, dass die Behörden gehalten sind, vom Besitzer eines
tollwütigen Hundes zu verlangen, dass das Tier eingesperrt
werde. Falls dem Gebot nicht Folge geleistet würde und der
Hund die Krankheit weiter verbreitete, müsste mit einer Busse
gerechnet werden: 40 Schekel Silber für einen freien Mann
und 15 Schekel Silber für einen Sklaven. Im Mittelalter war
die TW mit viel Aberglauben verbunden.
In Europa begann die Ausbreitung der TW gegen Westen an
der Grenze zwischen Russland und Polen. 1967 verzeichnete
man die ersten Fälle in der Schweiz und 1982 erreichte die
Seuchenfront die französische Kanalküste. 1989 war in Europa
das Jahr mit der grössten Anzahl gemeldeter Tollwutfälle.
1978 führte die schweiz. Tollwutzentrale die ersten
Feldversuche zur oralen Immunisierung der Füchse durch, und
von 1983 - 1989 bauten alle von der Seuche betroffenen
westeuropäischen Länder eine Bekämpfungsstrategie auf,
deren zentrale Massnahme die Immunisierung der Füchse
mittels Impfködern ist. Fast überall erzielte man mit dieser
Methode spektakuläre Anfangserfolge, aber etliche Länder
(darunter auch die Schweiz) mussten in den frühen 90er Jahren
mit hartnäckigen Reinfektionen in stark angestiegenen
Fuchspopulationen kämpfen. Inzwischen hat sich der Erfolg
der oralen Immunisierung dank methodischer Anpassungen
wieder eingestellt. Mit der Entwicklung wirksamer Impfstoffe
ist die Inzidenz der Krankheit in den betroffenen Ländern
deutlich zurückgegangen. Nachdem die Schweiz frei von
Tollwut ist, interessiert besonders die Situation im Ausland. In
der Nähe der Grenze sind seit 1997 keine Tollwutfälle mehr
aufgetreten. Italien ist tollwutfrei. In Österreich ist der letzte
Tollwutfall im Tirol im ersten Quartal 1997 diagnostiziert
worden; seither sind die Fälle nur noch entlang der Grenze zur
Tschechischen Republik und zu Ungarn aufgetreten. Die am
nächsten zur Schweiz liegenden Tollwutherde in Deutschland
waren 1997/98 im Saarland, etwa 200 km von der Schweiz
entfernt. In Frankreich sind in den vergangenen zwei Jahren
lediglich vereinzelte Fälle im Grenzgebiet zum Saarland und
zu Belgien vorgekommen. Unsere Nachbarländer dürften in
absehbarer Zeit ebenfalls tollwutfrei werden.
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Kapitel, Tollwut
In zahlreichen Entwicklungsländern stellt die TW nach wie vor
ein volksgesundheitlich schwerwiegendes Problem dar. Man
nimmt an, dass der Krankheit jährlich >25'000 Menschen zum
Opfer fallen. Die Fälle treten zumeist als Folge von Bissen
durch tollwütige Hunde auf (urbane TW). In Zentralamerika
führt die TW bei Rindern noch immer zu namhaften Verlusten
(500'000 Abgänge pro Jahr), wobei das Virus dort v.a. durch
blutsaugende Fledermäuse übertragen wird. In Europa stellt
der Fuchs (V. vulpes) das natürliche Erregerreservoir dar
(silvatische TW).
Bedeutung Schweiz
Seit dem Frühjahr 1996 sind bei Füchsen keine Krankheitsfälle
mehr aufgetreten. Hingegen gab es drei Fälle von Tollwut
beim Hund sowie einen folgenschweren Fehlalarm. Die
Besonderheiten dieser drei Fälle, einschliesslich des
Fehlalarms, sollen kurz dargestellt werden.
Fall 1. 7 Mte. alter Dobermannrüde, der fachgerecht gegen
TW geimpft worden war. Zeigte ab Mitte Dezember 1996
reduzierte Futteraufnahme und zunehmende Aggressivität.
Biss 3 Angehörige der Besitzerfamilie. Wurde am 20. Dez.
euthanasiert. Am 10. Januar wurde definitiv TW diagnostiziert.
Warum versagte die Impfung? Wo infizierte sich das Tier?
Warum liess die Diagnose so lange auf sich warten? -> der
Immunfluoreszenztest verlief negativ. Da jedoch Personen
gebissen worden waren, wurde eine Virusisolierung in
Zellkulturen angesetzt. Diese verlief schliesslich nach 3
Passagen (4 Wochen) positiv. Es wurden rund 50 Personen
eruiert, die mit dem Hund während der Krankheit Kontakt
gehabt hatten; darunter auch mehrere Kinder einer
Spielgruppe. Bei den exponierten Personen wurde eine
postexpositionelle Impfung veranlasst. Insgesamt wurden 25
Hund-Hund-Kontakte ermittelt. Es wurden spezifische
Massnahmen anberaumt: Impfung, 30 Tage dauernde
Quarantäne.
Fall 2. Ein aus Marokko stammender Hund wurde ohne
sichere Impfanamnese am 19. Oktober 1997 in die Schweiz
gebracht. Zwei Tage später erste Krankheitszeichen. Der
behandelnde Tierarzt stellte den Patienten unter Quarantäne
und informierte das kant. Veterinäramt über den bestehenden
Tollwutverdacht. Nach der Euthanasie des Tieres bestätigte die
anschliessende Untersuchung den Tollwutverdacht.
Konsequenzen: 15 postexpositionell geimpfte Personen sowie
zahlreiche Nachimpfungen bei Hunden.
Folgerung: Bei aus Drittweltländern importierten Hunden und
Katzen muss insbesondere bei nicht gesicherter Impfanamnese
mit dem Auftreten von TW gerechnet werden.
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Kapitel, Tollwut
Fall 3. Im Jahr 2003 wurde in Genf ein Findlingshund, der
nahe der französischen Grenze gefunden worden war, von
einer Familie adoptiert. Im Juli wurde beim Tier Tollwut
festgestellt. Die molekulare Analyse des Virusisolates ergab
den Hinweis, dass das Virus und damit der Hund selber aus
Nordafrika stammen mussten (Mitteilungen BVet, 20/03 vom
2.10.2003). Mit diesem Fall verlor die Schweiz zeitweilig die
offizielle Anerkennung als "frei von Tollwut".
Fehlalarm. Am 22. Oktober 1997 wurde eine Katze in
schlechtem Allgemeinzustand aus Vorarlberg in die Schweiz
zu einer tierärztlichen Untersuchung gebracht. Die
histologische Untersuchung ergab Tollwutverdächtige
intrazytoplasmatische Einschlusskörperchen, die später als
nicht TW-spezifische Löwentalkörperchen (?) eingestuft
wurden. Die weitergehende Untersuchung in der
Tollwutzentrale verlief ohne TW-Bestätigung.
Konsequenzen: ca. 30. vorsorglich geimpfte Personen.
Erreger
Die nachstehende Abbildung veranschaulicht den strukurellen
Aufbau eines Rhabdovirus (oben) sowie die Anordnung der
Gene in der einzelsträngigen Negativstrang-RNS (unten).
Das Virusgenom besteht aus einer einzelsträngigen, 11-12 kb
umfassenden RNS mit negativer Polarität -> (-)ssRNS. Es
umfasst die Gene für 5 Strukturproteine sowie am 3'-Ende eine
sogenannte Leadersequenz von rund 50 Basen, der bei der
Transkription eine Initiatorfunktion zukommt.
Rhabdoviren sind bei warm- und kaltblütigen Vertebraten
sowie bei Arthropoden und im Pflanzenreich weit verbreitet
(Tab. 1). Mit Ausnahme des Rabiesvirus weisen die meisten
Lyssaviren ein enges Wirtsspektrum auf. Die bei Warmblütern
bekannten Rhabdoviren werden 3 Gattungen zugeordnet:
Lyssavirus (Tollwut- oder Rabiesvirus), Vesikulovirus
(Vesikulärstomatitisvirus = VSV) und Ephemerovirus.
Abb. 1. Struktureller Aufbau and Anordnung der Gene in der
(-)ss RNS eines Rhabdovirus.
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Kapitel, Tollwut
Das bei uns relevante Tollwutvirus (Serotyp 1) reagiert
serologisch einheitlich, obwohl Antigenvarianten mit
monoklonalen Antikörpern identifiziert werden können. Es ist
nicht bekannt, ob Epitopdifferenzen beim Wildtypvirus
(Strassenvirus) auch unterschiedliche Pathogenität für Mensch
und Tier zeigen.
Als enge Verwandte des Tollwutvirus gelten das Lagos bat
virus (Serotyp 2), das Mokola virus (Serotyp 3), das
Duvenhage virus (Serotyp 4) sowie die europäischen
Fledermaustollwutviren 1 (Serotyp 5) und 2 (Serotyp 6). Seit
kurzem kennt man einen 7. Serotyp (Australian bat virus). Die
einzelnen Serotypen weisen auf dem Nukleoprotein N ≥80%
Aminosäurehomologien auf. Das G-Protein zeigt
serotypenspezifische Unterschiede, so dass keine wirksame
Kreuzimmunität zustande kommt.
Genus
Lyssavirus
Serotyp
1
2
3
4
5
6
7
Vesikulovirus
Ephemerovirus
Cytorhabdovirus
Nucleorhabdovirus
Bezeichnung
Rabies
Lagos bat
Mokola
Duvenhage
Europ. bat 1
Europ. bat 2
Austr. bat
Wirte
Vertebraten
Fledermäuse
Fledermäuse, Nager
Fledermäuse
Fledermäuse
Fledermäuse
Fledermäuse*
Vertebraten
Wiederkäuer
Pflanzen
Pflanzen
Tab. 1. Rhabdoviridae: Taxonomischer Status des
Tollwutvirus. *vereinzelt Fälle beim Menschen beschrieben.
Vermehrung
Die Virusvermehrung erfolgt ausschliesslich
intrazytoplasmatisch (Abb. 2).
1. Das Virus adsorbiert mit Hilfe des Membranglykoproteins G
an die Wirtszelle. Es kommt zur Fusion von Virus- und
Zellmembran.
2. Nach erfolgter Penetration des Nukleokapsids in das
Zytoplasma induzieren die Virion-assoziierten Proteine des
Polymerasekomplexes (P, N und L) die Bildung von 5 mRNSSpezies, die ihrerseits in die 5 Strukturproteine N, P, M, G und
L translatiert werden.
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Kapitel, Tollwut
3. Die Translation der mRNS erfolgt mit Ausnahme des
Glykoproteins G an frei im Zytoplasma liegenden Ribosomen.
Die Translation von Protein G verläuft an ER-ständigen
Ribosomen. Protein G wird kotranslational glykosyliert (Nglykosidische Bindung von Zuckerresten) und im GolgiApparat posttranslational modifiziert (Trimmung der
erstgebundenen Zucker und O-glykosidische Bindung weiterer
Saccharide).
Virion-Enzyme
(RNS-Polymerasen)
(-)ssRNS
mRNS
Zellkern
Strukturproteine
dsRNA
(-)ssRNS
Virionen
Abb. 2. Strategie der Virusvermehrung (Rhabdoviridae).
Die Neubildung viraler RNS beinhaltet die Bildung eines
komplementären (+ sense) Ribonukleoproteinkomplexes, der
seinerseits in Ribonukleoproteinkomplexe mit negativer
Polarität (- sense = Virion-RNS) umgeschrieben wird. Die
RNS-Vermehrung setzt uneingeschränkte Synthese der
Proteine N, P und L voraus.
4. Protein G wird mit Golgi-Vesikeln zur Zellmembran
und/oder zu intrazytoplasmatischen Membranen transportiert
und dort in dieselben integriert. Die übrigen Virusproteine
verbinden sich mit neugebildeter Virus-RNS. Die
resultierenden Viruskapside sprossen anschliessend dort an
Zellmembranen, wo Protein G angereichert vorliegt. Die
Virusreplikation verläuft protrahiert zytolytisch.
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Kapitel, Tollwut
Epidemiologie
Das Tollwutvirus wird in erster Linie durch den Biss
erkrankter Tiere mit Speichel übertragen. Das Virus dringt
nicht durch die intakte Haut. Die Schleimhäute des NasenRachenraumes stellen eine Infektionspforte dar (wichtig bei
der oralen Immunisierung der Füchse). Beim Hund ist bekannt,
dass das Virus bis zu 2 Wochen vor Auftreten klinischer
Symptome ausgeschieden werden kann. Umgekehrt scheidet
nicht jedes tollwütige Tier Virus mit dem Speichel aus. Da das
Virus generell in verschiedenen Organen verbreitet ist, muss
dies bei der Ausweidung/Sektion getöteter oder verendeter
Tiere berücksichtigt werden. Bei tollwütigen Rindern kann
klinisch ein verstärkter Geschlechtstrieb oder auch Verdacht
auf Fremdkörper bestehen. Bei der manuellen Untersuchung
der Maulhöhle ist deshalb Vorsicht geboten. Die Hauptwirte
sind immer auch Opfer der TW, da die Infektion auch hier
tödlich endet. Je nach Hauptreservoir werden drei
epidemiologische Formen der Tollwut unterschieden:
• Urbane Tollwut: Bei dieser Form sind Hunde das
wichtigste Virusreservoir. Weltweit gesehen ist dies die für
den Menschen gefährlichste und bedeutendste Form. In
vielen wenig entwickelten Ländern bildeten sich grössere
Populationen wild lebender Hunde, die sich von Abfällen
ernähren und sowohl in der Stadt (-> urban) als auch in
ländlichen Gegenden vorkommen.
• Silvatische Tollwut: Das Virusreservoir besteht in frei
lebenden Wildtieren. In Nord- und Zentralamerika sind
(Polar-) Fuchs, Stinktiere, Waschbären als natürliches
Erregerreservoir anzusehen. In den Steppen des asiatischen
Raumes kommt dem Wolf diese Rolle zu. In Europa ist es
der Rotfuchs. Ausgehend vom natürlichen Virusreservoir
wird die Infektion auf andere Wildtiere (Reh, Marder,
Dachs etc.), dann aber auch auf Haustiere übertragen. Bei
uns erfolgte die Übertragung auf den Menschen zumeist
durch infizierte Haustiere (Fuchs -> Katze > Rind >>
Hund).
• Fledermaustollwut: Auch in blutsaugenden (Südamerika)
sowie Insekten-fressenden (Nordamerika, Afrika, Europa)
Fledermäusen kann das Tollwutvirus ein Reservoir
etablieren. Diese scheiden das Virus möglicherweise mit
dem Kot oder Urin aus, welcher in dunklen, trockenen
Höhlen zu Staub zerfällt, der das infektiöse Virus über
lange Zeit enthalten kann. Aufgrund dieser Spezialität sind
aerogene Infektionen bei Höhlenforschern bekannt
geworden. In der Schweiz wurden bislang 3 Fälle von
Fledermaustollwut registriert, der jüngste am 17.
September 2002 in Genf.
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Kapitel, Tollwut
Schliesslich ist spezielle Aufmerksamkeit beim Umgang mit
dem Virus in Laboratorien geboten (Aerosole, Verletzungen).
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Tollwut iatrogen,
anlässlich von Hornhauttransplantationen von Mensch zu
Mensch übertragen worden ist.
Desinfektion
Tollwutviren zeigen gegenüber Umwelteinflüssen geringe
Tenazität. Bei Temperaturen um 23°C und in Dunkelheit geht
die Infektiosität in Abhängigkeit vom Ausgangstiter innerhalb
weniger Tage verloren. Temperaturen von mehr als 50°C
übersteht das Virus nur während Minuten. UV-Strahlen
(Sonnenlicht) wirken stark viruzid. An Gras angetrocknet
bleibt das Virus weniger als 24 Stunden infektiös. In Kadavern
bleibt die Infektiosität indessen auffallend lange erhalten (bis
zu 90 Tage beobachtet).
Organische Lösungsmittel zeigen starke viruzide
Eigenschaften. Ebenso Aldehyde und Phenole. Für die
Wunddesinfektion sind Seifen, Detergentien (Desogen), 80%
Aethanol oder Invertseifen geeignet.
Pathogenese
Die Inkubationszeit dauert zwischen 3 und 9 Wochen,
gelegentlich auch länger. Als Regel gilt: um so länger, je
weiter die Eintrittsstelle des Virus vom Gehirn entfernt ist.
An der Bissstelle kommt es zunächst zu einer lokal begrenzten
Virusvermehrung in Muskel- und Bindegewebe. Diese Phase
kann mehrere Wochen dauern. Da nur wenig Virus
produziert/freigesetzt wird, bleibt eine Immunantwort zunächst
weitgehend aus. Das Virus gelangt schliesslich in lokale
Nervenendigungen und erfährt nunmehr einen auffallend
schnellen axonalen Transport (3 mm/hr) zu den Ganglien des
Rückenmarks und von dort weiter ins Gehirn.
In den Neuronen von Rückenmark und Gehirn erfolgt eine
zweite Phase der Virusvermehrung. Die Beeinträchtigung der
neuronalen Funktionen führt zur Ausbildung klinischer
Symptome. Grössere Virusmengen, die eine Immunantwort
provozieren, werden erst spät freigesetzt. Über efferente
Nervenbahnen gelangt das Virus schliesslich in verschiedene
Organe, namentlich in Speicheldrüsen und Kornea. Hier
erfolgt eine dritte Phase der Virusvermehrung, wobei das in
den Speicheldrüsen freigesetzte Virus mit dem Sekret in die
Maulhöhle gelangt. Durch die virusbedingten
Wesensveränderungen bei tollwütigen Karnivoren (sie
verlassen den angestammten Lebensraum und werden somit in
Revierkämpfe verwickelt) ist gewährleistet, dass die
Infektionskette geschlossen wird.
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Kapitel, Tollwut
Klinik
Zunächst manifestiert sich die Infektion mit wenig
charakteristischen, je nach Spezies etwas unterschiedlichen
Früh- oder Prodromalsymptomen: Niedergeschlagenheit,
Mattigkeit, Wesensveränderungen, Fieber, Anorexie, Übelkeit,
Erbrechen sowie Parästhesien an der unter Umständen bereits
verheilten Bisswunde.
In der akut verlaufenden neurologischen Krankheitsphase
unterscheidet man die rasende und die stille Wut. Erstere ist
durch Erregungszustände, Hyperaktivität, nicht provoziertes
Beissen, allenfalls Verschlingen von Gegenständen geprägt.
Beim Wild entfällt die natürliche Scheu vor dem Menschen
und seiner Umgebung. Beim Menschen ist eine Hydrophobie
oftmals ausgeprägt (beim Versuch, Wasser zu trinken, treten
Schlundkrämpfe auf).
Es ist bekannt, dass das Sensorium in diesem Stadium nicht
beeinträchtigt ist. Die Betroffenen erleben ihr Schicksal
bewusst. Bei Rindern verzeichnet man häufig eine stille Wut,
die zunächst nicht an TW denken lässt.
Im letzten Krankheitsstadium, der paralytischen Phase, treten
Lähmungserscheinungen, Beeinträchtigung des Sensoriums
und schliesslich Koma ein. Bei Haustieren tritt der Tod
innerhalb von 10-14 Tagen ein. Die Prognose ist stets
ungünstig, da die Letalität auch bei einsetzender
Immunantwort nahezu 100% beträgt. Über vereinzelte Fälle
spontaner Heilung ist bei Mensch und Hund berichtet worden.
Immunreaktion
Zu Beginn der Erkrankung sind die meisten Tiere, aber auch
der Mensch, ohne nachweisbare Serumantikörper. Eine
Serokonversion tritt erst nach 8-10 Krankheitstagen auf. Die
nunmehr auftretenden hohen Antikörpertiter vermögen den
letalen Ausgang der Krankheit jedoch nicht mehr zu
verhindern.
Immunprophylaxe
F u c h s t o l l w u t . Die TW kann durch Eradikation des
Erregers beim natürlichen Virusreservoir wirksam unter
Kontrolle gebracht werden. Bei uns geht es also darum, die
Fuchstollwut zu bekämpfen.
In den 60er und zu Beginn der 70er Jahre versuchte man,
allerdings ohne den erhofften Erfolg, den Fuchsbestand durch
Abschuss und Begasung der Fuchsbauten auf eine für die TWAusbreitung kritische Dichte zu reduzieren (< 1 Fuchs/2 km2).
Seit 1983 setzt man europaweit sehr wirksame attenuierte
Lebendimpfstoffe oder Vaccinia-Rekombinanten ein. In
verseuchten Gebieten werden 2 mal jährlich virushaltige Köder
ausgelegt. Das Impfvirus wirkt über eine Infektion der
lymphatischen Gewebe im Rachenraum. Dem Impfstoff
zunächst zugesetzte Tetrazykline wurden resorbiert und in der
Knochenmatrix eingelagert. Hierdurch ergab sich ein
zusätzlicher Marker, anhand dessen bei erlegten Tieren auf die
Aufnahme des Impfstoffes geschlossen werden konnte.
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Kapitel, Tollwut
H a u s t i e r t o l l w u t . Prophylaktisches Impfobligatorium für
Hunde: Vakzination im 2-Jahresrhythmus mit inaktiviertem
Impfstoff. In TW-Schutzzonen Leinenzwang. Streunende
Hunde können erlegt werden. Inaktivierte Impfstoffe für
Katzen, Wiederkäuer und andere Haustiere sind verfügbar.
T o l l w u t b e i m M e n s c h e n . Prophylaktische Impfung
beruflich exponierter Personen mit inaktivierten ZellkulturImpfstoffen (heute insbesondere TierärztInnen, die importierte
Haustiere betreuen).
Pathologie
Nicht spezifisch. Histologisch findet man alle Anzeichen einer
nicht-eitrigen Meningoenzephalitis. In rund 80% der Fälle
finden man im histologischen Präparat intrazytoplasmatische
Einschlusskörperchen, die in Neuronen lokalisiert sind. Diese
werden nach Negri benannt, der diese Veränderung erstmals
beschrieben hatte.
Diagnostik
Wegen des protrahierten Auftretens virusspezifischer
Serumantikörper kann die Diagnose bei lebenden Individuum
(indirekter Virusnachweis) meist nicht bestätigt werden.
Verdächtige Tiere wird man allenfalls unter Quarantäne
stellen, bis die Krankheit ausgeprägt ist, danach euthanasieren
und den (direkten) Virusnachweis immunhistologisch oder mit
Hilfe von RT-PCR führen. Die Einschlusskörperchen können,
wie das beim 3. Beispiel (Bedeutung für die Schweiz) deutlich
wurde, auch irreführen. Beim Menschen wurde Virusantigen
gelegentlich an Kornea-Abklatschpräparaten und in
Hautbiopsien festgestellt.
Virusnachweis und/oder Virusisolierung werden am
schnellsten und sichersten mit Gewebe aus Ammonshorn,
Cortex, Kleinhirn oder Medulla oblongata sowie aus Speichel
und Speicheldrüsen geführt.
Tollwutvirusspezifische Antikörper lassen sich am besten mit
Hilfe eines modifizierten Serumneutralisationstests ermitteln:
Fluoreszenzfokus-Hemmtest. Hier wird die neutralisierende
Eigenschaft von Antikörpern daran bemessen, dass die Anzahl
fluoreszierender (infizierter) Zellen im Vergleich zu einer
Viruskontrolle reduziert ist (damit umgeht man die
Schwierigkeit, die mit der geringen zytopathischen Wirkung
von TW-Virus verbunden ist). Heute sind ELISA's für den
Nachweis TW-virusspezifischer IgG und IgM im Handel
erhältlich.
Differentialdiagnostisch müssen alle Enzephalitiden anderer
Genese ausgeschlossen werden.
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Kapitel, Tollwut
Therapie
Bei Tieren sind Therapieversuche verboten. Postexpositionelle
Impfung ist heute beim Menschen etabliert. Die zur Verfügung
stehenden inaktivierten Impfstoffe haben gegenüber älteren
Produkten den Vorteil, dass mit einer sehr geringen Anzahl
von Injektionen eine belastbare Immunität induziert werden
kann und Impfkomplikationen nur selten sind. Die
postexpositionelle Immunisierung soll von einer adäquaten
Wundversorgung sowie der lokalen Applikation eines
spezifischen Antikörperpräparates begleitet sein.
Staatl. M'nahmen
Tollwut ist anzeigepflichtig. Im Verdachtsfall Meldung an
Kantonstierarzt. Gegebenenfalls den Kopf getöteter Tiere
einsenden an die schweizerische Tollwutzentrale, Institut für
Veterinärvirologie, Vetsuisse Fakultät Bern, Länggass-Str.
122, 3012 Bern. Für Rückfragen und Auskunft:
031 631 2378 oder Fax 031 631 2534.
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