Die Wiege der Globalisierung

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Die portugiesischen Entdeckungsfahrten
Die Wiege der Globalisierung
Die Portugiesischen Entdeckungsfahrten im 15. und 16.
Jahrhundert und ihre politischen, ökonomischen und
geistigen Auswirkungen auf Europa und die Welt
von
Andreas Exenberger ∗
Einführung
Am 18. Mai 1498, wenig mehr als 500 Jahren sind seither vergangen, erreichte mit dem
Portugiesen Vasco da Gama erstmals ein Europäer auf direktem Seeweg Indien. Seine
Fahrt steht zwar im Schatten der Leistung von Christoph Columbus, doch das Programm, das sie ermöglichte, ist viel eindrucksvoller, begann viel früher und läßt bis in
unsere heutigen Tage seinen langen, starken Arm verspüren.
Diese Arbeit verfolgt daher zwei Anliegen: das erste ist es, zu zeigen, daß das in letzter
Zeit so viel diskutierte Phänomen Globalisierung 1 eine ziemlich in die Jahre gekommene Erscheinung ist; zweitens sollen der Vorlauf, der Ablauf und die Auswirkungen der
portugiesischen Expansionsfahrten im 15. und 16. Jahrhundert beschrieben werden. Ich
möchte insbesondere auf die geistigen Auswirkungen der Expansion für Europa Wert
legen, da sie die Umwälzung des mittelalterlichen Weltbildes vollzogen haben – was zu
dem hin leitete, was man meiner Ansicht nach mit dem Begriff „Globalisierung“ treffend
beschreiben kann.
Erst vor etwa zehn Jahren erschien dieser Begriff erstmals merklich in der öffentlichen
Diskussion, seine Bedeutung war aber noch weitaus enger als die, die sich in den
Jahren danach durchgesetzt hat. Er beschrieb die Ausrichtung betriebswirtschaftlicher
Aktivitäten und Entscheidungen an den Vorgängen in der Weltwirtschaft (anstatt nur an
den nationalen Rahmenbedingungen). Transnationale Konzerne (bzw. Handelsgesellschaften) oder Staaten haben diese Vorgehensweise freilich schon lange angewandt,
seine Ausbreitung auch auf Klein- und Mittelbetriebe schien den Ökonomen aber offenbar eine Begriffserfindung wert.
∗
Der Autor ist Magister der Volkswirtschaftslehre (und der Politikwissenschaft) mit Schwerpunkten in der
Außenwirtschafts- und Entwicklungstheorie und -politik sowie in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte;
er möchte sich insbesondere bei Prof. Dr. Franz Mathis für wertvolle Anregungen bedanken.
1
Siehe dazu z.B.: Altvater, Elmar und Brigitte Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung: Ökonomie,
Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft (3.Auflage). Münster: Westfälisches Dampfboot, 1997.
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Inzwischen aber erfaßt diese verschwommene Erfindung sehr viel mehr, steht für so
etwas wie die Entdeckung Europas durch die Dritte Welt, eine Revanche für den
Kolonialismus, wird fast zum Synonym für Modernisierung. Die Geschichte der Globalisierung ist also jedenfalls – ob eng oder weit betrachtet – sehr viel länger, als man auf
den ersten Blick annehmen würde. Sie spannt sich ganz im Sinne von Immanuel Wallerstein und Fernand Braudel über die liberale Weltwirtschaft des 19.Jahrhunderts und die
nationalen Handelskompanien des 17. bis zu deren Ursprüngen. Das, was man Globalisierung nennen muß, kann doch nur die Ausbreitung eines politischen, ökonomischen
und gesellschaftlichen Anspruchs und Anspruchsdenkens sein, dessen Bezugsrahmen
der gesamte Globus ist. Was ändert sich für uns dadurch?
Vor allem eines: Erklärungen heutiger Erscheinungsformen ohne tiefen historischen Bezugsrahmen verlieren ihre Berechtigung. Worum es eigentlich gehen muß, das ist die
Erkenntnis von den Ausmaßen der Erde und der Erreichbarkeit aller Orte auf ihrem
Rund (ganz entgegen vorheriger Begrenztheit). Dies haben Portugiesen als erste direkt
und systematisch angestrebt und erreicht, Fernand Salentiny etwa bezeichnet das portuiesische Kolonialimperium als „planetarisch“ (vielleicht gerade um den Begriff „global“
zu vermeiden) und Franz Kurowski zitiert den Nationaldichter Camões sinngemäß mit:
„Und wenn die Welt noch größer wäre, dann würden Portugiesen noch weiter segeln“.
Fernand Braudel beschreibt die Rolle Portugals in dieser Zeit mit folgenden Worten:
„Immerhin spielt das kleine lusitanische Königreich bei der ungeheuren kosmischen
Umwälzung, die die geographische Expansion Europas, sein explosionsartiger Vorstoß
in die Welt Ende des 15.Jahrhunderts herbeiführt, doch wohl die Hauptrolle, es ist der
Zünder dieser Explosion und seine Führungsrolle unbestritten.“2 Günther Hamann
schreibt schon 1972 zur Vorgehensweise des Infanten Enrique: „Dabei wurde alles
zusammengetragen, was nur irgendwie dem Ziel einer – erstmalig global projektierten –
Entdeckungsserie nutzen konnte.“3 Global ist hier sowohl geographisch als auch faktisch zu verstehen, nichts wurde ausgelassen, nichts vernachlässigt oder ausgegrenzt.
Dieses Verständnis einer „Globalisierung des Wissens“ erscheint mir angemessen und
es wird daher diese Arbeit bestimmen. Als Nebenaspekt möchte ich außerdem
offenlegen, daß die Rahmenbedingungen, die die Überseexpansion zuerst Portugals
(und damit der anderen europäischen Länder) ausgelöst haben (und damit die Globalisierung), von quasi-zwingendem Charakter waren. Quasi-zwingend, da eine Unausweichlichkeit in der Entwicklung sich schließlich ergab, dies sich aber dennoch nicht von
selbst vollzog. Geschichte mag in mancher Hinsicht Schicksal sein, doch sie ist auch
(zumindest) stochastisch.
Zu Beginn dieser Arbeit möchte ich die Geschichte Portugals kurz umreißen. Aus
diesem Rahmen sollen Gründe für und Ablauf der Überseexpansion herausgeschält
werden. Dann folgt die Darstellung der Auswirkungen dieser Expansion auf Politik und
Ökonomie in Europa und dem „Indischen Raum“. Als letzter Punkt folgt eine Diskussion
der geistigen Auswirkungen auf Europa, was man als Aufbruch in die Neuzeit bezeichnen könnte und als Wiege der Globalisierung bezeichnen müßte. Ausführliche zusammenfassende Schlußfolgerungen rundet diese Arbeit ab.
2
Braudel, Fernand: Sozialgeschichte des 15.-18.Jahrhunderts. 3.Band: Aufbruch zur Weltwirtschaft.
München: Kindler, 1990, S 147.
3
Hamann, Günther: Die Welt begreifen und erfahren. Aufsätze zur Wissenschafts- und Entdeckungseschichte. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1993, S 143.
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Vorlauf
Abriß der Geschichte Portugals 4
1095 wurde Heinrich, Bruder des Herzogs von Burgund mit dem nördlichen Portugal
(Portucale) belehnt. Er bemühte sich sehr um die Absicherung dieser Hausmacht, die
vor allem vom mächtigen kastilischen Nachbarn gefährdet war. Das Gebiet wird in der
Folge einiger Auseinandersetzungen mit Kastilien und begünstigt durch die Erfolge der
portugiesischen Reconquista (1139 Sieg bei Qurique, 1147 Eroberung von Lissabon)
unter päpstlichen Segen bereits 1143 ein unabhängiges Königreich. Die folgenden
Jahrhunderte waren außenpolitisch von zwei Hauptlinien geprägt: die Reconquista
wurde bis 1250 abgeschlossen, an ihre Stelle trat der Konflikt mit dem kastilischen
(bzw. spanischen) Nachbarn. Obwohl Portugiesen noch mit Spaniern um Cordoba und
Sevilla gegen die Mauren fochten, verwandtschaftliche und andere enge Kontakte unterhielten, mußten sie in mehreren Schlachten die Unabhängigkeit ihres Landes erhalten –
deren wichtigste bei Aljubarrota (1385).
Der Konflikt war mit dieser Schlacht freilich nicht ausgeräumt, er wurde in Übersee, in
der Auseinandersetzung um die Kanarischen Inseln, die stets von beiden Ländern
beansprucht wurden, ebenso fortgesetzt wie im kastilischen Erbfolgekrieg 1474-79, in
dem Afonso V. Ansprüche auf Kastilien erhob. Umgekehrt herrschte zwischen 1580 und
1640 der spanische König in Personalunion auch über Portugal, als die wechselseitigen
Kolonialkonflikte an Schärfe aber schon verloren hatten.
Für die Entwicklung des Landes von großer Bedeutung waren die Könige Sancho I.
(1185-1211) und Diniz I. (1279-1325). Der erste eröffnete die Siedlungskolonisation im
dünn besiedelten Lande, der zweite trieb sie voran und stärkte die Verteidigung zu Lande und zur See. 1377 gründete Fernando I. eine Schiffahrtsgesellschaft, die der Förderung der Seefahrt sehr dienlich war. Dabei wurden Subventionen für die Holzwirtschaft
und andere dem Schiffbau dienliche Maßnahmen verbrieft und mit 1380 eine Pflichtversicherung gegen Schiffbruch installiert.5
1385 kommt João I. und damit die Dynastie Aviz an die Macht. Unter diesem König
beginnt die Überseexpansion der Portugiesen, vor allem durch seinen Sohn Enrique
(Heinrich der Seefahrer) als Organisator der ersten Fahrten. In seiner Zeit werden sowohl Madeira als auch die Azoren (wieder-)entdeckt.
Afonso V. (1438-81) erhielt nicht umsonst den Beinamen „Afrikaner“, denn unter seiner
Regentschaft gelang den Portugiesen die Überschreitung des Äquator, er übernahm
nach dem Tode Enriques (1460) die Entdeckungsfahrten unter die Agenden der Krone.
João II. (1481-95) und Manuel I. (1495-1521) ernteten dann die Früchte der Arbeit ihrer
Vorgänger. Beide betrieben und förderten die weiteren Fahrten und konnten schließlich
4
Gute und übersichtliche Zusammenstellungen über die Kolonialzeit geben etwa Kurowski, Franz:
Herrscher der Meere: die Geschichte der portugiesischen Welteroberung. Berg am See: Türmer, 1990;
oder Salentiny, Fernand: Aufstieg und Fall des Portugiesischen Imperiums. Wien (u.a.): Böhlau, 1977
(mit sehr ausführlichen bibliographischen Angaben). Als wichtigste Originalquelle gelten die Schriften von
João de Barros aus dem 16.Jahrhundert.
5
Vgl. z.B. Mödlinger, Marlene: Portugiesische Handelsbeziehungen von der Expansion bis zur Peripherisierung durch England (1415-1750). Innsbruck: Diplomarbeit, 1989, S 31f.
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die Erfolge ebenso für sich verbuchen, wie die immensen Gewinne, die aus dem
Gewürzhandel ab 1500 nach Lissabon flossen.
An dieser Stelle ist zu erwähnen, daß es zwar frühere Versuche gab, Afrika zu umrunden, wie die der Genuesen (die Brüder Vivaldi, die 1291 verschollen) oder der
Aragonesen (Ferrer, der 1346 vermutlich bis an den Senegal gelangte), daß diese aber
praktisch wirkungslos blieben. Das liegt nicht zuletzt daran, daß es ihnen sowohl an
strategischem Hintergrund wie an günstigen Rahmenbedingungen fehlte. Letztlich ist es
die Wirkung, die ein Ereignis bedeutend macht, und weniger das Ereignis selbst, eine
Lehre, die aus der Geschichte gezogen werden kann.
Rahmenbedingungen und Hauptmotive
Am Vorabend der Expansion war Portugal im modernen Sinne ein Entwicklungsland.
Die Landwirtschaft war wenig ausgebaut, die Bevölkerungsdichte relativ gering (es
lebten um 1400 etwa 1 Million Menschen in Portugal), es gab wenig Gewerbe, nur
Fischfang und Handel florierten, wobei Ausländer (Genuesen, Schotten,...) in Portugal
ebenso häufig waren, wie Portugiesen in den Handelsstädten Europas.6 Portugiesischen Fischer drangen bis weit auf den Atlantik vor, portugiesische Kaperschiffe
„kontrollierten“ der Handel auf der Straße von Gibraltar.
Die wenigen Städte verfügten nicht über ein produktives Hinterland, das Land litt
insgesamt unter dem ungenügenden Ausbau der Infrastruktur, der Landwirtschaft und
der Fertigwarenproduktion – litt so unter seiner eigenen Seeorientierung, die ihm später
Reichtum brachte. Die Böden waren eher ungünstig, Menschen um sie zu verbessern
kaum vorhanden, der Grund befand sich vor allem in den Händen von Großgrundbesitzern, die mit ihren „arbeitslosen“ Einkommen zufrieden waren. So mußte Getreide
vom Erzfeind aus Nordafrika importiert werden, ebenso Textilien und Waffen aus
England, dies trotz eigener Erzlagerstätten und Stoffproduktion. „Nach England führten
die Portugiesen hauptsächlich Wein, Kork und Salz aus und bezogen dafür Eisen,
Tuche und Kupfer.“7 Dieser Austausch entspricht dem Wesen nach dem heutigen
zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten.
Relativieren wir diese deutlichen Aussagen aber doch etwas, indem wir Braudel zu Wort
kommen lassen. Schließlich nahm Portugal seinen Getreideanbau auf Kosten von Weinund Olivenhainen zurück. Eine solche Entwicklung (Spezialisierung bzw. den Umstieg
auf Güter höherer Wertschöpfung), wie sie auch Venedig und Florenz z.B. vollzogen,
kann man nicht beim einen als fortschrittlich und beim andern als rückständig
bezeichnen. Freilich blieb für Portugal trotzdem innerhalb des wirtschaftlich auf seine
Mitte zentrierten Europa stets nur eine Rolle am Rand.8
Innenpolitisch war Portugal für damalige Verhältnisse aber ein erstaunlich gefestigter
Staat, vor allem nach der Machtergreifung der „bürgerlichen“ Dynastie Aviz. Manche (so
Kurowski) sehen in ihm den ersten europäischen Nationalstaat und in der portugiesischen Monarchie ein Musterbeispiel für den Frühabsolutismus. In der Tat war der
6
Vgl. dazu vor allem Salentiny, Fernand: Die Gewürzroute. Köln: DuMont, 1991, S 25ff; weiters
Kurowski oder Reinhard, Wolfgang: Geschichte der Europäischen Expansion, Band 1: die Alte Welt bis
1818. Stuttgart (u.a.): Kohlhammer, 1983.
7
Salentiny, Die Gewürzroute, S 28.
8
vgl. Braudel, S 93-164, vor allem S 149f.
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König sehr erfolgreich darin, seine Macht auf Kosten von Adel und Klerus auszuweiten
und Privilegien zurückzunehmen. Im Gegensatz zu allen anderen europäischen Staaten
dieser Epoche war Portugal auch territorial stets homogen, es gab keine unabhängigen
Besitzungen innerhalb des Staatsgebietes, sehr wohl aber verfügte es bereits seit
vielen Jahrzehnten über eine einheitliche Staatssprache.9
Ideen waren aber gefragt, wie die wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern wäre.
Und da die am besten entwickelten Bereiche der Handel und die Seefahrt waren, boten
sie sich dafür an, wenngleich es zusätzlicher Anreize und Motivation bedurfte, um die
Energien in dieser Richtung zu bündeln. Eine Expansion als Option der Entwicklung
scheint sowohl in den Regeln des kapitalistischen Weltsystems10 grundgelegt, als auch
– eine der Lehren der Geschichte – die Gier nach Macht und ihrer Erweiterung ist wohl
eine Eigenschaft vieler Menschen.
Zu dieser bloßen Machterweiterung gesellten sich der Wunsch nach einem Bündnis mit
Christen jenseits des Ozeans (Johannes, dem „sagenhaften“ Priesterkönig) für einen
Zweifrontenkrieg gegen den islamische Erzfeind, über dessen Macht und Größe man
sich damals noch im Unklaren war. Natürlich kam das Kreuzfahrerideal hinzu (im Falle
Portugals mit Zielen an der gegenüberliegenden marokkanischen Küste), welches das
Gedankengut des Adels wesentlich bestimmte. Später war die Missionierung der
Heiden in Afrika, Asien und Brasilien ein wichtiges Motiv, die strategischen Konzepte
der Portugiesen waren stets auch religiös bestimmt.
Zu nennen ist auch die besondere geographische Lage des Landes im äußersten Südwesten Europas, die die (Hoch-)Seefahrt und die „Weltoffenheit“ des Landes (in der
Form vielfältiger Beziehungen über See) begünstigt, und zugleich das Land von den
Wirtschaftszentren Europas entfernte. Dazu beigetragen hat auch das 1308 geschlossene Wirtschafts- und Militärbündnis mit England (erneuert 1373), das nur über den
Ozean hinweg aufrechterhalten werden konnte. Auch bestanden zu dieser Zeit bereits
rege Austauschbeziehungen mit dem Mittelmeer und Nordeuropa, wichtige Seehandelsstraßen führten von Lissabon nach Marsaille, London und Brügge. Beim bereits früh
erfolgten Aufbau einer Kriegsflotte waren neben eigenen Anstrengungen auch die
Genuesen behilflich.11 Neben ihnen halfen auch Flamen, Schotten und Florentiner bei
der Entdeckung und Kolonialisierung der Welt, später kam das Geld der deutschen
Bankiers dazu.
Am wichtigsten waren aber die kommerziellen Motive: man strebte nach Reichtum und
suchte ihn im Handel mit wertvollen Gütern aus Übersee. Gold war vorerst das
wichtigste, das Luxusgut Zucker erlangte rasch Bedeutung, Gewürze 12 im weitesten
9
Dafür ist schon Afonso III. (1245-1279) mitverantwortlich, der Bauern aus dem Norden im Süden ansiedelte. Sein Nachfolger Diniz I. erklärte schließlich den Dialekt von Porto zur Nationalsprache.
10
Vgl. Wallerstein, Immanuel: Das moderne Weltsystem: kapitalistische Landwirtschaft und die Entstehung der europäischen Weltwirtschaft im 16.Jahrhundert. Frankfurt/M.: Syndikat, 1986; dort zu finden
ist auch eine Diskussion der Rahmenbedingungen der portugiesischen Expansion, S 47ff.
11
Vgl. zu Privilegien für Schiffsbauer und -eigner: Kurowski, S 26 und 29 oder Mödlinger, S 30; zur Förderung der Forstwirtschaft: Salentiny, Die Gewürzroute, S 28; die Ernennung des Genuesen Pessagno
zum Admiral von Portugal (1317) ist sicherlich ein weiteres interessantes Zeugnis der Zusammenarbeit
dieser Staaten.
12
Einen schönen Überblick über die Arten der Gewürze, die im Zentrum des Handels standen, wie
Pfeffer, Zimt, Nelken und Muskatnuß, und deren Bedeutung für Europa, liefert Salentiny, S 7-14.
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Sinne (also auch Heil- oder Färbemittel) und später auch der Handel mit Sklaven (im
16.Jahrhundert bis zu 3000 jährlich) folgten.
Außerdem trieben in der Anfangsphase noch spezifischere Beweggründe, drei sind von
besonderer Bedeutung. Zuerst ist eine durch die ineffiziente und auf Luxusgüter
spezialisierte Landwirtschaft in Portugal hervorgerufene Nahrungsmittelknappheit zu
nennen. Als zweites folgt eine starke Geldentwertung im an sich gut entwickelten Finanzsystem (das an arabische Vorbilder angelehnt war), die durch einen Mangel an Edelmetallen hervorgerufen wurde. Der wurde durch das permanente und hohe Außenhandelsdefizit noch verstärkt. Und als drittes gab es eine Adelsschicht, die als Großgrundbesitzer (und damit Bezieher von fixen Renten) besonders unter der Geldentwertung litt und kaum eine Möglichkeit mehr hatte, über Beutezüge zu Geld, Land und Ruhm
zu kommen – die Reconquista war ja beendet.
Diese Beweggründe führten sehr direkt zum Beginn der Expansion. Getreide suchte
und fand man in Marokko, ebenso Kupfer und Salz, dort wollte man auch die Kontrolle
über die transsaharischen Karawanenwege erlangen. Edelmetall wollte man über diese
Handelswege und ebenso direkt aus den afrikanischen Goldländern beziehen, um so
auch die Inflation zu stoppen und die fixen Einkommen zu stärken. Dem Adel suchte
man durch Neulandgewinnung, Posten in der Kolonialverwaltung und neue Kriegszüge
entgegen zu kommen. Mit dem Fernhandel wurde ein höchst lukratives Betätigungsfeld
für die Kaufleute erschlossen. Außerdem suchte man nach weiteren Rohstoffen (wie
Häuten oder Färbemitteln), um die Abhängigkeit von vor allem italienischen Handelspartnern zu mindern. Auch der Zuckeranbau wurde in Madeira (und später Brasilien)
geplant und erfolgreich betrieben.
Ablauf der Entdeckungsfahrten
Es ist nicht sinnvoll, hier den Ablauf der Fahrten im Detail nachzuzeichnen. Dafür gibt es
ausführliche Literatur, die sich auch mit Spezialaspekten beschäftigt.13 Die wichtigsten
Eckdaten waren die Eroberung von Ceuta (1415), die Besiedlung von Madeira (1418)
und später der Azoren, die psychologisch wichtige Umseglung von Cabo Bojador14
(1434), die Entdeckung der Kapverden (1455) und die Erforschung der Küsten bis
Guinea (bis 1460), später die Überschreitung des Äquator und die Erforschung der
Küsten des Südwestens durch Diogo Cão (bis 1486). Nach der Umseglung des „Kap
der Stürme“ durch Bartholomeu Diaz (1488) und der für die weitere Entwicklung sehr
wichtigen Forschungsreise des Pedro de Covilha durch den gesamten Westen des
Indischen Ozeans (1487-93)15, glückte Vasco da Gama 1498 die erste Durchfahrt von
13
Besonders hinzuweisen ist etwa auf Hamann, Günther: Der Eintritt der südlichen Hemisphäre in die
europäische Geschichte. Wien: Verlag der Akademie der Wissenschaften, 1968 (der sich sehr intensiv
mit Cao und Diaz beschäftigt) oder auf Giertz, Gernot (Hrsg.): Vasco da Gama: Die Entdeckung des
Seewegs nach Indien. Ein Augenzeugenbereicht 1497-99. Stuttgart und Wien: Thienemanns, 1990.
14
Um dieses Kap rankten sich die wildesten Gerüchte von kochendem und zähflüssigem Meer, von Magnetbergen und von völlig unbewohnbaren Regionen südlich davon. Schon zuvor rankten sich dieselben
Geschichten um das nördlichere Cabo do Não, das bereits 1416 bezwungen wurde.
15
Sein Verdienst kommt auch in vielen modernen Chroniken zur Entdeckungsgeschichte nicht vor. Er
gelangte nach Alexandria, Aden, Hormuz, Calicut und entlang der ostafrikanischen Küste bis Sofala und
landete schließlich in Äthiopien, das er bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen durfte. Vasco da Gama
blieben damit nur noch 1500 km wirklich unbekannter Küste im südlichen Afrika, was vielleicht auch
erklärt, warum er es wagte, einen neuen Anfahrtsweg quer über den Atlantik zu erproben.
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Lissabon nach Calicut. Mit ihr, die direkt weder politisch noch ökonomisch ein besonderer Erfolg war16, die aber entscheidend dabei half, Geld für weitere Unternehmen
anzulocken, begann eine Serie von jährlichen Fahrten. 1505 wurde das Vizekönigreich
Indien begründet und in der Folge eine vorübergehende Seeherrschaft in diesem Raum
errichtet. Die Eroberung der Stadtstaaten in Ostafrika, von Aden und Hormuz, von einigen Küstenstädten in Indien, von Ceylon und von Malakka in Malaysia unterstrichen
diese Herrschaft, enge Handelsbeziehungen zu den Molukken mit Stützpunkten in
Ambon und Ternate und auch nach China und Japan vertieften sie.
Diese Herrschaft, die auch mit massivem Terror einher ging, ist eng verknüpft mit den
Namen Vasco da Gama, Francisco d’Almeida17 und Afonso d’Albuquerque, die in den
ersten 20 Jahren Portugals Ansprüche mit harter Hand gegen alle Kontrahenten
durchsetzten. Städte wurden verwüstet, eine ägyptisch-indische Flotte vernichtet, maurische Handelsschiffe gekapert, die Ladung gestohlen und ihre Besatzung ermordet,
Widerstand in jeder Form bekämpft und zerschlagen.
Da nun schon einzelne Namen gefallen sind, scheint es an dieser Stelle angebracht, die
Rolle engagierter Einzelpersönlichkeiten in den hundert Jahren der frühen Entdeckungsgeschichte hervorzuheben. Portugal verfügte nicht nur nach 1500 über sie, sondern vor
allem schon zuvor. Zu nennen sind vor allem Infant Enrique und die Könige João I.,
Afonso V. und João II., die die Entdeckungsfahrten entscheidend begünstigten. Insbesondere letzterer trieb das Indienunternehmen konsequent und systematisch voran und
ihrer aller permanentes Engagement hat Weichen gestellt. Nur um 1450 und wieder
1475 wurden mehrjährige Pausen eingeschoben, die auf Enriques Engagement auf den
Kanaren bzw. den Erbfolgekrieg zurückzuführen sind.
Die Existenz dieser Personen zählt zu den Unsicherheitsfaktoren in der Geschichte,
ebenso wie der Erfolg einzelner Fahrten in den Händen von Wind und Wetter liegt und
jederzeit an Klippen zerschellen kann. Wäre Enrique in Cadiz 1415 gefallen, was wäre
wohl geschehen? Ohne solch „glückliche“ Fügungen hätte die Expansion vielleicht gar
nicht stattgefunden, sicherlich nicht in dieser Form, doch solche alternative Szenarien zu
entwerfen, übersteigt leider die Möglichkeiten dieser Arbeit.
Die Verdienste der einzelnen Entdecker differenziert zu betrachten (und sie müssen
differenziert betrachtet werden), haben andere bereits geleistet. Neben schweren
Schandtaten war ihr Beitrag zum Gelingen des Indienunternehmens sehr wichtig – vom
Bahnbrecher Eanes bis zu d’Albuquerque und denen nach ihm. Oft vergessen werden
auch die zahl- und namenlosen Seeleute, die bei Sterberaten von etwa zwei Drittel das
Risiko der Entdeckungsfahrten besonders stark zu spüren hatten, ohne an den Profiten
entsprechend zu partizipieren. Gerade ihre Leistungen verdienen Anerkennung, sie zu
ignorieren ist eine besondere Unsitte unserer an „großen Männern“ orientierten
Geschichtsschreibung.
16
Vasco da Gamas zweite Indienfahrt von 1501/02 hingegen war in jeder Hinsicht erfolgreich: politisch
durch den Ausbau der portugiesischen Machtstellung im Indischen Ozean, ökonomisch, da die Einnahmen der Fahrt ihre Ausgaben im Verhältnis 4:1 überstiegen (vgl. Salentiny, S 126).
17
Die Reiseerinnerungen des Tirolers Balthasar Springer, der 1505 mit d’Almeidas Flotte nach Indien
segelte, sind unter dem Titel „Die Meerfahrt“ 1509 gedruckt worden und befinden sich u.a. im Besitz der
Universität Innsbruck. Vgl. dazu das jüngst erschienenen Buch: Erhard, Andreas und Eva Ramminger:
Die Meerfahrt: Balthasar Springers Reise zur Pfefferküste. Innsbruck: Haymon, 1998.
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Wissenschaftlich wesentlich wichtiger als der historischen Ablauf der Expansion ist es,
die Systematik dahinter zu begreifen, denn sie macht Portugal so bedeutend für die
Geschichte der Globalisierung. Was Infant Enrique betrieb und was den Königen seiner
Zeit offenbar ein Vorbild war, das zeigt starke Züge von systematischer Planung und
konsequentem, im eingangs erwähnten Sinne „globalen“, Vorgehen.
Wenngleich die oft diskutierte, aber in Quellen nie erwähnte Seefahrerakademie des
Prinzen wohl nur ein Mythos ist. Enrique scharte in Sagres im äußersten Südwesten
Portugals einen Kreis von Seeleuten und Wissenschaftlern um sich, um in Nautik, Kartographie und praktischer Entdeckung Fortschritte zu erreichen. Dieser Kreis wurde aber
nie wirklich institutionalisiert, obwohl zusammengearbeitet und vor allem Berichte über
Afrika gesammelt wurden. Anderer Ansicht dazu ist Günther Hamann, der den systematischen Aspekt der Arbeit Enriques stets besonders hervorhebt: „So wurde – in dieser
Form erstmalig – eine systematisch eingerichtete Marineschule mit Bibliothek, Werkstätten und Arbeitsräumen, mit gezielten Lehrplänen und praktischen Ausbildungskursen
ins Leben gerufen.“18 Das wäre wohl doch eine Akademie nach modernem Verständnis, doch stand die strategisch motivierte Planung gegenüber dem Wissenschaftsaspekt sicher klar im Vordergrund. Es ging vor allem darum, nützliches Material für
weitere Reisen zu produzieren, dies aber, das sei nochmals besonders betont, in
systematischer Weise und unter Ausnützung einer breiten Palette von Methoden.
So muß beispielsweise das tastende Vordringen entlang der Küste erwähnt werden.
Kleine Geschwader wurden permanent und Jahr für Jahr mit klaren Aufgaben ausgesandt und hielten sich zum Großteil auch strikt daran. Mißerfolge blieben so selten19, die
Verluste gering, was bei den begrenzten Mitteln Portugals von großer Bedeutung war.
Die Vorstöße in wirklich unbekanntes Gebiet waren relativ kurz und die Risiken wurden
gering gehalten, auf Kosten der „großen Würfe“ freilich.
Gerade, daß kaum ein Entdecker mehr als eine oder zwei Expeditionen leiten durfte,
zeigt, daß das Interesse vorrangig nicht auf persönlichen Ruhm, sondern auf ein Vorankommen für das Gemeinwesen (verkörpert in der Krone) gerichtet war, daß man im
Gegenteil die Macht der Krone nicht durch ruhmsüchtige Einzelne gefährden wollte.
Fehlallokationen im an sich durch die Planung wirkungsvolleren Einsatz der geringen
Ressourcen waren natürlich nicht auszuschließen, doch die Strategie der Portugiesen
war dem kleinen Land angemessener, als es das spätere Vorgehen der Spanier gewesen wäre. Bemerkenswert bleibt, daß portugiesische Seefahrer über ein Jahrhundert
intensiv auf ein gemeinsames Ziel hin zusammenarbeiteten, anstatt wie etwa Columbus
in wagemutigen, aber singulären Aktionen ihr Heil zu suchen.
Salentiny faßt zusammen: „Wirtschaftliche Interessen, ja sogar wirtschaftliche Notwendigkeiten, gepaart mit machtpolitischen und nicht zuletzt religiösen Faktoren, waren die
Gründe für Portugals Expansion nach Übersee, in deren Verlauf sich das ökonomische,
politische und religiöse Gesicht des kleinen westeuropäischen Randstaates grundlegend veränderte.“20 Wie noch zu zeigen sein wird, hat Portugal damit auch das Gesicht
der übrigen Staaten Europas und des Kontinents als ganzem entscheidend verändert.
18
Hamann: Die Welt begreifen und erfahren, S 144; vgl. für die gegenteilige Meinung Reinhard, S 37f.
Wenngleich man berücksichtigen sollte, daß Mißerfolge in den Chroniken und Überlieferungen viel
leichter verschwinden (oder verschwunden werden), als die Erfolge.
20
Salentiny, S 38.
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Ökonomische und Politische Folgen
Auf eine klare Unterscheidung zwischen ökonomischen und politischen Folgen der
Expansion wird verzichtet, sie wäre teilweise nicht einfach und kaum hilfreich. Die im
15.Jahrhundert ausgelöste Globalisierung zeichnet sich aus durch
• die durch den neuen Handelsweg über Afrika ausgelöste Restrukturierung des
Mittelmeerhandels mit ihren vor allem indirekten Wirkungen,
• die Dynamisierung der Wirtschaft in Portugal und vor allem Europa,
• die „indirekte“ Globalisierung von Asien und Afrika, die dem Würgegriff des neuen,
dynamischen Systems langfristig nicht mehr entkommen konnten,
• das Ende Ägyptens und seine Bedeutung für die Globalisierung, sowie
• die Konsequenzen der portugiesischen Strategie auf die übrigen europäischen
Mächte, die dadurch gezwungen waren, sich nach Westen zu orientieren.
Die Restrukturierung des Mittelmeerhandels
Als auf der Gewürzroute erstmals größere Lieferungen nach Lissabon gelangten, war
dies für Venedig, das bisher die Endpunkte des Gewürzhandels mit Indien fest in seinen
Händen hielt, eine unangenehme Überraschung. Die Seerepublik nahm die Bedrohung
ihrer Interessen durch den Staat am Westrand Europas erst sehr spät überhaupt wahr,
wie der Bericht eines venezianischen Gesandten aus dem Jahr 1501 zeigt, der an sich
um ein Bündnis gegen die Türkei werben wollte, aber den Aufschwung des portugiesischen Imperiums vor Ort miterleben mußte.21
Man muß vor allem zwei Folgewirkungen der portugiesischen Expansion in diesem
Zusammenhang festhalten. Auch wenn viele Quellen den Gewürzlieferungen nach
Lissabon mindere Qualität unterstellen (es ist schwer zu beurteilen, inwieweit es sich
dabei nur um überlieferte venezianische Propaganda handelt), so bleibt dennoch die
Ausweitung des Gewürzhandels in Europa auf das Doppelte bis etwa 1550 mit entsprechender Reaktion der Preise und damit auch der Nachfrage, was die Preise wieder
stützte. Das verdoppelte Volumen (vor allem bei Pfeffer) teilten sich die italienischen
Städte und Portugal zu etwa gleichen Teilen, was letztlich bedeutet, daß die Profite nur
entsprechend dem Preisrückgang geringer waren. Dieser erste Preisverfall im
16.Jahrhundert leitete aber vor allem den Beginn einer (langsamen) Entwicklung ein, die
die exotischen Gewürze aus Asien vom in Gold aufgewogenen Luxusgut im Laufe von
400 Jahren zu einem Konsumgut für die breiten Massen machten22 – und damit den
Fernhandel wichtiger, weil zunehmend unverzichtbar. Bald (und bis heute) wurden
schließlich auch Grundnahrungsmittel „fern“ gehandelt.
Die frühen Entdeckungsfahrten der Portugiesen brachten direkt wie indirekt den Beginn
des Niederganges der italienischen Handelsstädte mit sich. Direkt auf dem Wege der
21
Vor 1487 interessierte sich Venedig offiziell kaum für Portugal - vgl. Weinstein, Donald: Ambassador
from Venice. Pietro Pasqualigo in Lisbon, 1501. Minnesota: University of Minnesota Press, 1960;
Weinstein beschreibt auch das Spionagenetz der italienischen Stadtstaaten in Portugal und Spanien,
das z.B. durch Briefwechsel unter Kaufleuten aufrecht erhalten wurde.
22
Vgl. dazu Mathis, Franz: „Wie die Europäer satt und süchtig wurden“ in: Kohut, Karl u.a. (Hrsg.):
Deutsche in Lateinamerika - Lateinamerika in Deutschland. Frankfurt/Main: Vervuert, 1996, S 234-254.
Wie dort auch ausführlich beschrieben, muß klargestellt bleiben, daß der echte Preisverfall und damit
der Massenkonsum der mengenmäßig wichtigsten Güter erst im 19., teils im 20.Jahrhundert einsetzte.
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Umlenkung der Handelsströme, indirekt und wichtiger als Wegbereiter des Aufschwunges der großen Territorial- und Kolonialmächte in Europa, die sich dann zu Hauptbetreibern der Globalisierung entwickelten, ja entwickeln mußten. Die Erhaltung eines globalen Imperiums, eines weltweites Macht- und Marktnetzes und einer leistungsfähigen
Flotte überstieg die Mittel der Klein- und Stadtstaaten, sie wurden im politischen und
historischen Prozeß schließlich marginalisiert. Obwohl gerade Portugal sich Venedig
mit seinen Handelskontoren im Mittelmeer bei der Eroberung der Welt offensichtlich
zum Vorbild genommen hat – und vielleicht gerade deshalb der Marginalisierung später
selbst zum Opfer fiel. Auch Braudel erkennt das: „Die im 16.Jahrhundert entbundenen
Energien [die Globalisierung!] sprengt den Rahmen der kleinen politischen Einheiten:
Sie sind zum Untergang, wenigstens aber zur Bedeutungslosigkeit verurteilt.“23
Dieser Wandel ist eine Basis der Globalisierung. Der Fernhandel erreichte schon 1550
vorher ungeahnte Dimensionen, überdies verbunden mit einem erheblichen Expansionspotential (was die folgenden Jahrhunderte zeigten). Und die Verlagerung des politischen und ökonomischen Schwerpunktes hin zu den Territorialstaaten und Kolonialmächten, den globalen Imperien, löste trotz der unverminderten Wichtigkeit der Handelsmetropolen einen sich selbst verstärkenden Prozeß aus, in dem die Staaten mächtiger
wurden und in der Folge im Eigeninteresse die eben erfundene Weltwirtschaft stärkten
– was für diese wiederum bedeutete, durch ihre Stärke die Staaten schleichend wieder
zu entmachten.24 Ein herrlicher Zirkelschluß. All das führte zur Ausdehnung der Weltwirtschaft und ihrer Strukturen, auch – und nicht minder wichtig – innerhalb Europas selbst,
in Form der Vergrößerung der Städte und der Erweiterung der Anbauflächen.
Einflüsse auf das portugiesische Mutterland und die europäische Dynamik
Die Expansion löste für Portugal kurzfristig die drängenden ökonomischen Probleme,
allen voran die Edelmetallknappheit. Edelmetalle kamen zuerst aus Afrika, später vor
allem durch das lukrative China-Japan Geschäft, das trotz Berücksichtigung hoher
Risiken horrende Gewinnspannen versprach, schließlich aus Amerika. Der Zustrom an
Gold und Silber erhöhte den Warenumschlag und dynamisierte die Wirtschaft Portugals
ebenso wie die ganz Europas – trotz, aber genauso wegen seines oft schnellen Wiederabflusses nach Osten. Diese Dynamik war es, die auch dann noch in Europa blieb, als
Portugal seinen Einfluß auf die Weltwirtschaft verloren hatte. Und diese (Eigen-)Dynamik ist eine weitere Basis der Globalisierung gewesen.
Afrikanisches Gold und Malaguetta-Pfeffer entfachten schon früh die „kapitalistische“
Dynamik der Reinvestition in Portugal selbst, zeitweise wurden die Konzession für die
Afrikafahrten sogar (beidseitig lukrativ) privatisiert. Mit den ersten erfolgreichen Indienfahrten, insbesondere der zweiten Vasco da Gamas25 (1502) stellte sich der anfänglich
überwältigende kommerzielle Erfolg ein. Die wichtigsten Handelsrouten der Welt führten
zwar immer noch in die Nord- und Ostsee und auch noch durch das Mittelmeer, aber
Atlantischer und Indischer Ozean waren kraftvoll in die Wirtschaft eingetreten. Lissabon
spielte dabei anfänglich eine besonders wichtige Rolle: „Von nun an wurden die Preise
23
Braudel, Fernand: Karl V.: Die Notwendigkeit des Zufalls. Frankfurt/M.: Inseln, 1992, S 9.
Wallerstein vertritt die interessante These, daß nach 1500 das Weltsystem souveräner Staaten eine
Weltwirtschaft bildete, die nun aus nicht ganz klaren Gründen stärker war als die Weltreiche, und sie
daher nach und nach absorbierte; früher waren stets die Weltreiche mächtiger und nahmen ihrerseits
verschiedene Wirtschaftsräume in sich auf.
25
Vgl. Giertz, S 155-183.
24
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für alle Importwaren aus Indien in der Portugiesischen Hauptstadt festgesetzt.“26 Als sich
Venedig erholt hatte, bildeten sich die Preise aber dann auf den Märkten der Handelsmetropolen, wie Antwerpen oder Lyon.
In Portugal selbst fehlte es aber an Anreizen, den Binnenausbau zu betreiben. Statt
mittelfristiger Reinvestition des Kapitals suchte man die höheren kurzfristigen Gewinne
im Überseehandel. Dies galt auch und gerade für den Staat, der wegen des Kronmonopols mit hohen Steuereinnahmen an den Geschäften Privater massiv partizipierte, zum
Großteil wurde der Gewinn aber in repräsentativen Prunkbauten manuelinischen Stils
„angelegt“. Viel Geld floß außerdem in die Befestigung der Städte und den Unterhalt der
Truppen und Beamten im Kolonialreich, vor allem nach Auftauchen der Niederländer.27
Die Portugiesen planten die Globalisierung als solche ja nicht, deshalb nimmt es nicht
Wunder, daß sie ihre Regeln nicht gut genug beherrschten, um das System auf Dauer zu
führen. Andere konnten aus der Distanz die Situation genauer analysieren und daher zu
ihrem Vorteil ausnutzen.
Dies sind nun weniger Aspekte, die für die Entstehung der Globalisierung relevant sind,
als vielmehr dafür, warum Portugal in der aufgekommenen Weltwirtschaft nur sehr kurz
an der Spitze stand. Für die Wertschöpfung und die „Industrialisierung“ (besser Manufakturierung) im Land, die Nachhaltigkeit der Entwicklung wurde zu wenig oder nichts
getan. Die Abwanderung aus Portugal in die Kolonien verschärfte diese Probleme noch
weiter, im 16.Jahrhundert kam es im Mutterland wahrscheinlich sogar zu einer Schrumpfung der Bevölkerung.28
Portugal war unverändert ein Land, das Rohstoffe (wenn auch wertvolle) ausführte und
dafür Fertigwaren einführte. Im modernen Sinne könnte man es mit einem Erdölstaat
vergleichen, der es verabsäumte, mit den Erlösen die Binnenentwicklung voranzutreiben. Eine Breitenwirkung der Expansion blieb aus, ihre Erträge auf eine dünne Oberschicht beschränkt, der Großgrundbesitz unangetastet, die Innovativsten verließen das
Land. Wirtschaftliche Stagnation und der Verlust militärischer Macht waren damit im
Angesicht prosperierender Konkurrenten logische Folge.
Die Portugiesen in Asien
Wallerstein beschriebt Indien und China als „Außenarenen des Weltsystems“29 (und
damit noch nicht globalisiert). Diese Einstufung ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich
vor Augen führt, wie wenig direkten Einfluß die Portugiesen als Kern dieses Weltsystems noch 1550 auf diese Länder hatten. In Indien waren sie buchstäblich eine
26
Salentiny, S 133.
Dazu Salentiny, S 142: „Das Vermögen, das über die Gewürzroute nach Portugal gelangte, ging
spurlos am Volk vorüber. In Goa führten die Vizekönige mit den Geldern [...] eine luxuriöse Hofhaltung.
Weil die Könige in Portugal den Kolonialbeamten nur ein niedriges Gehalt zugestanden, nahm die
Korruption unter diesen ungeahnte Ausmaße an. [...] Dadurch, daß die portugiesischen Monarchen die
kolonialen Gelder für eine verschwenderische Hofhaltung, eine aufwendige Armee und prunkvolle
Monumentalbauten ausgaben, [...] traf sie selber eine Schuld an dieser Mißwirtschaft.“ Diese Kritik muß
aber relativiert werden, da solche Zustände für diese Epoche insgesamt typisch waren.
28
Die Angaben darüber sind sehr unterschiedlich und widersprechen sich. Die Schrumpfungsthese vertritt vor allem Fernand Salentiny, wenn auch in übertriebenem Ausmaß. Insgesamt werden im Laufe des
16.Jahrhunderts jedenfalls höchstens eine halbe Million Menschen ausgewandert sein.
29
Die ausgebeutete Peripherie spielt nach den Regeln des Systems, pulsiert mit ihm. Die Außenarena
hingegen verfügt nur über lose Verknüpfungen zu ihm und hat ihren eigenen Regelungsrahmen. Vgl. dazu
anhand von Polen (eine Peripherie) bzw. Rußland (eine Außenarena) Wallerstein, S 449-484.
27
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Randerscheinung, die eine Perlenkette von Stützpunkten entlang der Küste unterhielten,
im Hinterland aber nur als geduldete Händler in Erscheinung traten und politisch kaum
von Bedeutung waren, abgesehen von in Sri Lanka. Ähnliches gilt für das indonesische
Archipel, wo Portugal zwar teilweise Schutzmacht war, nur in Timor aber wirklich Fuß
fassen konnte.
Die portugiesische Flotte war freilich militärisch absolut dominant im Indischen Ozean,
wofür auch die Eroberung der strategisch wichtigen Handelszentren Hormuz (1507/15),
Muskat (1508) und Aden (1513) Zeugnis ablegen. Denn „[i]nzwischen war man sich
aber darüber klar geworden, daß Seeherrschaft und Handelsmonopol nicht mit jährlich
wiederkehrenden Flotten und einigen Faktoreien zu erringen und zu behaupten waren.
Die Entscheidung für eine dauernde Präsenz fiel 1505 [...]“30, dem Jahr der formellen
Errichtung des Vizekönigreiches Indien. Tristão da Cunha kontrollierte mit der Indienflotte auch das Rote Meer und den Persischen Golf.
Allerdings konnte das ursprüngliche Ziel der völligen Monopolisierung des Handels und
der Schiffahrt nur in diesen allerersten Jahren erreicht werden, die Weichen waren
damit aber gestellt und vielleicht wäre ein totales Monopol im Regelwerk der Globalisierung gar nicht vorgesehen gewesen. Mit den folgenden Jahrhunderten brachen vor
allem die Niederländer in die portugiesischen Domänen ein.31 In China (bzw. Japan)
war die Funktion der Portugiesen sogar noch beschränkter: politisch konnten sie sich,
abgesehen von Macao, nie festsetzen, wirtschaftlich übernahmen sie wegen der chinesisch-japanischen Rivalität nur die Rolle der Zwischenhändler.
Die Globalisierung erfaßte Indien, China und Japan offenbar erst lange nach 1500
unmittelbar. All diese Länder und ihre Reiche kümmerten sich vor allem um sich selbst.
Doch indirekt hatte Asien bereits den Weg eingeschlagen, auch wenn es das erst
Jahrhunderte später wirklich zu spüren bekam. Die permanenten weltweiten Handelsverbindungen waren geknüpft, und es waren die Europäer, die die Fäden des Netzes in
der Hand hielten. Asien erkannte das erst, als es darin schon festhing.
Afrika im sanften Würgegriff
Es ist schade, daß für dieses spannende und in der Wissenschaft viel zu wenig behandelte Phänomen hier so wenig Raum bleibt.32 Hauptgründe für die Mißachtung des
afrikanischen Kontinents in der Geschichtsschreibung sind (neben der Herkunft der Wissenschaftler) wohl Probleme mit der Quellenlage, die oft frühgeschichtlicher Natur sind,
was dem schriftfixierten Historiker nicht behagt. Eines der noch am meisten diskutierten
Phänomene (allerdings nicht hier) ist der Sklavenhandel, der freilich schon vor den
Portugiesen florierte und erst mit der Kolonialisierung Amerikas in Schwung kam. Afrikaner, die in Amerika für Europäer produzieren, sind dennoch eine zwar bittere, aber
treffende Metapher für die Globalisierung.
30
Reinhard, S 57.
Über die unterschiedlichen Organisationsformen des Überseehandels und den Konflikt zwischen den
Niederlanden und Portugal vgl. z.B. Mödlinger, S 60-85.
32
Als empfehlenswerte Literatur möchte ich hier Cornevin, Robert und Marianne Cornevin: Geschichte
Afrikas von den Anfängen bis zur Gegenwart. Frankfurt/Main, Berlin, Wien: Allstein, 1980; oder Iliffe,
John: Geschichte Afrikas. München: Beck, 1997; anführen.
31
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Die Kraft der Globalisierung zeigt sich in Afrika aber deutlich. Obwohl die heimischen
Reiche und Staaten erst ab 1800 direkt kolonisiert wurden, befand sich der Kontinent
bereits spätestens mit der Fahrt Vasco da Gamas buchstäblich in ihrem Würgegriff,
selbst wenn sie vorerst wie eine reine Randerscheinung auftrat. Die Handelsströme in
Afrika verschoben sich signifikant durch die Fahrten der Portugiesen und die Aufnahme
von Handelsbeziehungen zu den Reichen an der Küste und durch die türkische Eroberung der nordafrikanischen Länder. Statt über die Karawanenwege der Sahara, die teils
zu Sackgassen wurden, führten die Handelswege nun primär zur westafrikanischen
Küste, was auf Kosten der Niger-Reiche (damals der Songhai) zu einer Stärkung der
küstennahen Staaten führte. Die „Teilung“ Afrikas in das nördliche und das subsaharische, die uns heute so selbstverständlich anmutet, wird so trotz der offenbaren Geographie geradezu zu einer Folge der Globalisierung.
Dasselbe gilt für den Aufschwung des Reiches Monomotapa im südlichen Afrika, wenngleich weniger umfassend. Auch wurden erste Kontakte in das Reich Kongo (eine vor
allem kulturelle Beziehung) und nach Äthiopien geknüpft. Die islamischen Stadtstaaten
Ostafrikas und die damit verbundene reichhaltige Suaheli-Kultur wurden aber direkt und
durch rohe Gewalt peripherisiert. Das geht soweit, daß diese Städte schließlich in die
Bedeutungslosigkeit militärischer Stützpunkte versanken und nach dem Zusammenbruch der portugiesischen Macht sogar für viele Jahre aus dem kapitalistischen Weltsystem wieder ausgeschieden wurden.
Das Ende Ägyptens
Das Mamlukken-Sultanat, das seit 1250 Ägypten beherrschte, kann man als eines der
ersten Opfer der Globalisierung bezeichnen. Eine wichtige geopolitische Auswirkung
der portugiesischen Aktivitäten im Indischen Ozean war nämlich der rasche, durch
Portugal zumindest stark beschleunigte Niedergang des Reiches. Das MamlukkenSultanat hatte sich vor 1500 durch Zwischenhandel mit indischen Gütern zu einer
bedeutenden politischen Kraft und einer der führenden Welthandelsmächte emporgeschwungen. Einen großen Teil seiner Einnahmen bezog es aus Wegzöllen für die
transportierten Waren, vor allem auch im regen Handel am Roten Meer.
Der Einbruch der Portugiesen in den Indischen Ozean bedrohte diesen Handel offensichtlich, war es doch ihr erklärtes Ziel, die arabischen Händler auszuschalten, wenn
nötig gewaltsam. Und da die portugiesischen Aktivitäten bald Wirkung zeigten und die
Handelsströme infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen verebbten, entschloß
sich der Sultan zu Gegenmaßnahmen. Nach der wirkungslosen Drohung, die heiligen
Stätten in Jerusalem zu vernichten, entsandte er eine Flotte nach Indien, die aber vor
Diu vernichtet wurde. Damit war die ägyptische Militärmacht im Mark erschüttert, der
Neuaufbau einer Flotte scheiterte, denn der Johanniterorden in Rhodos (unter einem
Portugiesen) verhinderte weitere Holzlieferungen.
Das militärisch geschwächte und wirtschaftlich erschütterte Ägypten fiel so 1517 allzu
leicht der türkischen Expansion nach Nordafrika zum Opfer, die ohne die neuen Machtverhältnisse im Indischen Ozean sicher nicht so reibungslos verlaufen hätte können.
Dadurch wurde das Rote Meer für lange Zeit zum türkischen Binnensee, und die
Osmanen kontrollierten die Handelsstraßen zu den Häfen der Levante. Da damit die
„kurzen“ Handelswege im Mittelmeer zwar aufrecht blieben, aber erheblich an Lukrativität verloren, ergab sich konsequent eine größere Attraktivität der „weiten“ Handelswege
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durch die Weltmeere, rund um den Globus. Und das scheint in unserem Zusammenhang
die interessanteste Konsequenz zu sein.
Konsequenzen für die übrigen europäischen Mächte
Oftmals unterschätzt wird die Bedeutung der portugiesischen Machtpolitik für die
übrigen europäischen Staaten. Die diesbezüglichen Verträge von Alcacovas und Tordesillas (und später Zaragoza) erhielten vor allem durch ihre strikte Durchsetzung Gewicht.
Im Vertrag von Alcacovas (1479) mit Spanien erhielt Portugal gegen einen Verzicht auf
die Kanarischen Inseln das Recht auf alle Gebiete südlich davon, ein Recht, das auch
schon zuvor gegen alle nicht von der Krone autorisierten Seefahrer mit roher Gewalt
durchgesetzt wurde und nun verbrieft war. Selbst der mächtige Nachbar war damit
gezwungen, sich anderweitig Betätigungsfelder zu suchen.33
Die Konsequenzen waren sehr weitreichend, denn damit war der Weg südlich der
Kanarischen Inseln für alle Seefahrernationen versperrt, ebenso wie später der in die
Karibik (infolge spanischer Ansprüche). Portugal wollte nie selbst den gesamten Globus
beherrschen, doch hielt es andere Nationen aus seiner Einflußsphäre sehr erfolgreich
fern. Die politischen und militärischen Mittel Englands, Frankreichs, der Niederlande
oder Dänemarks reichten Anfang des 16.Jahrhunderts nicht aus, um eine Konfrontation
riskieren zu können, jede Begegnung endete normalerweise mit der Kaperung der
betroffenen Schiffe. In der Karibik etablierten sich die Niederlande erst Anfangs,
England und Frankreich schließlich Mitte des 17.Jahrhunderts, etwa zur selben Zeit
drangen diese Staaten nach Afrika und Asien vor.
Dort lagen aber schon im 15.Jahrhundert die interessanten Expansionsziele. Wäre eine
Entscheidung für diese Ziele militärisch erfolgversprechend gewesen, hätte kein
einziger Staat (Spanien eingeschlossen) seine Energien, seine Konzentration nach
Westen gelenkt, von sporadischen Abenteuern wohl abgesehen. Es wäre unsinnig
gewesen. Sie alle hätten um den Seeweg nach Asien konkurriert, sie hätte Kriege
geführt und sich gegenseitig behindert, sie hätten nicht einmal daran gedacht, daran
denken können, die Welt zu umrunden. Es hätten sich daher ganz andere, aus heutiger
Sicht begrenzte Perspektiven eröffnet. Die Globalisierung hätte es aber ohne Globus
nicht gegeben, bestenfalls eine durch Kriege behinderte ökonomische Dynamik ohne
ein für den Erfolg aber gerade entscheidendes weltanschauliches Konzept (selbst wenn
es ein verborgenes ist).
Vorerst blieb ihnen allen aber wegen der Überlegenheit Portugals und Spaniens nur der
Weg in den Nordwesten und damit eher zufällig an die eigentlich nicht sehr einladenden
Küsten Nordamerikas, ebenso wie Spanien sich anfangs nach Westen wenden mußte.
Daß Asien dennoch das bevorzugte Ziel bliebt, das zeigt auch das Bemühen um das
Auffinden einer Nordwest- bzw. Nordostpassage. Der geringe Erfolg dabei und das
Abschmelzen der Macht der Portugiesen um Afrika, ebenso der Spanier in der Karibik,
bedeuteten einen Umschwung, die zweite Weltumsegelung durch den Engländer
33
Als diese in Amerika entdeckt waren, fügte die „Teilung der Welt“ in Tordesillas (1494) dieser NordSüd-Grenze nun noch eine Ost-West-Grenze hinzu. In der damals üblichen Präpotenz hatte man die
Erde, mit ihrer zu zwei Dritteln noch völlig unbekannten Oberfläche, zwischen zwei Staaten am Rande
Europas aufgeteilt. Zaragoza (1529) zog diese Grenze auch durch den Pazifik und damit rund um den
Globus - Ausdruck einer neuen Weltwahrnehmung.
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Francis Drake (1577-80) – eine echte Provokation, die man unter diesem Gesichtspunkt analysieren sollte – versinnbildlicht ihn.
Man könnte also durchaus die Hypothese wagen, daß der (meiner Meinung nach sogar
wichtigste) Grund für die spätere Besiedlung Nordamerikas durch Engländer (und
Franzosen) und in der Folge dessen wirtschaftliche und politische Entwicklung in der (in
gewissem Sinne zufälligen) geopolitischen Konstellation des Jahres 1500 zu finden ist.
Nordamerika war das Sammelbecken all jener, die für einen Konflikt um die wirklich
attraktiven Ziele der damaligen Zeit militärisch und politisch zu schwach waren – wieder
einmal eine Ironie der Geschichte.
Geistige Auswirkungen auf Europa
Für die Globalisierung von noch größerer Bedeutung als politische und ökonomische
Auswirkungen ist meiner Ansicht nach das, was ich die geistigen Auswirkungen der
Expansion nennen möchte, das unbewußte weltanschauliche Konzept dahinter. Im Zuge
der portugiesischen Expansion wurde das europäische Weltbild in seinen Grundfesten
erschüttert. Auch wenn die Entdeckungsfahrten nicht allein relevant waren, daß dieser
Wandel eingetreten ist, so waren sie doch ein sehr wichtiger Wegbereiter, in Braudels
Worten der Zünder einer wahren Explosion. Die wichtigsten Punkte in diesem Zusammenhang sind
• die technischen Neuerungen (Beschleunigung und Erleichterung des Transports) und
damit ein offenerer Zugang zur Technik an sich,
• das Aufkommen wissenschaftlicher Geographie und empirischer Kartographie,
• der Beginn des Vormarsches der Empirie und damit der Wandel von deduktiver,
mittelalterlicher Scholastik zu induktiver, neuzeitlicher Wissenschaft,
• die Abkehr von antiken und christlichen Autoritäten hin zu eigener, empirisch und
experimentell untermauerter Erkenntnis sowie
• der „Aufbruch“ aller Europäer in die Welt und damit neue geopolitische Konzepte, der
durch das blendende Beispiel der Portugiesen motiviert wurde.
Technische Neuerungen
Mit Entdeckungsreisen zur See gehen klarerweise technische Neuerungen vor allem auf
nautischem Gebiet einher.34 Im Falle Portugals war es ein Ineinandergreifen der Adaption von Innovationen für weitere Fahrten und ihrer gleichzeitigen Förderung durch sie.
Portugal war in nautischer Hinsicht in Europa nicht führend, zeigte sich aber infolge der
systematischen Planung gerade der frühen Entdeckungsfahrten als sehr geschickt
darin, vorhandene Erkenntnisse vor allem der Mauren und Italiener nutzbar einzusetzen.
Spätestens Enrique förderte die Nautik systematisch und – was am wichtigsten ist –
sein Erfolg propagierte den Fortschritt. Wie er dies betrieb, ist weiter oben anhand
seiner „Akademie“ schon vorgeführt worden.
Die Möglichkeiten der Positions- und Kursbestimmung standen dabei im Mittelpunkt,
wobei es primär um die Durchsetzung der entsprechenden Instrumente ging. Gerade
dem Kompaß, der schon vor 1200 in Europa bekannt war, begegnete man über Jahr34
Vgl. dazu ausführlich Kurowski oder Mödlinger; interessant auch der Beitrag von Günther Hamann zur
Methodik der frühen Entdeckungsfahrten in Hamann: Die Welt begreifen und erfahren, S 141-161.
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hunderte aus religiösen Gründen mit Mißtrauen, erst sein erfolgreicher Einsatz half entscheidend dabei, dies auszuräumen. Die Positionsbestimmung auf dem Meer erfolgte
aber zumeist weiterhin mit Astrolabium oder Jakobsstab.
Auch Astronomie und vor allem Schiffsbau erlebten große Fortschritte. Innovationen in
der Schiffsbautechnik (und der Beseglung) haben seit dieser Zeit stets die Machtverhältnisse auf den Weltmeeren und damit in der Weltpolitik wie nie zuvor entscheidend
mitbestimmt. Die Portugiesen bewaffneten ihre Schiffe mit Kanonen, bauten sie zu
immer stärkeren schwimmenden Festungen aus und verschafften sich auf diese Weise
einen damals unschätzbaren strategischen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten zur
See wie zu Lande (alle Eroberungen von Städten in Asien und Afrika wurden von See
her unternommen). Freilich folgten ihnen die anderen europäischen Mächte darin bald
nach und überholten Portugal. Im 15. und 16. Jahrhundert waren es aber noch Portugiesen, die mit der Erfindung der wendigen und hochseetauglichen Karavelle und später
mit deren Ausbau zur schweren Karrake (Nao) auf Atlantik und Indischem Ozean dominieren konnten. Die Karavelle ermöglichte das Abgehen von der Küstenschiffahrt, was
für Fahrten in Ungewisse unabdingbar war. Die Karrake gestattete umfangreiche
Lieferungen (bis 2000 t statt nur 50-200 t) und damit höhere Gewinnspannen.
Für mich ergeben sich daraus zwei beachtenswerte Entwicklungen: Anstelle der beschwerlichen und langwierigen Reisen über Land, die nur sporadisch durchgeführt werden konnten und ständigen Gefahren ausgesetzt waren, auf Routen, die immer wieder
unterbrochen werden konnten, kamen nun die Seereisen zur Geltung, die verlustärmer,
für Gefahren unanfälliger und schneller von Statten gingen. Hätte man zu Lande z.B.
gleich viel transportieren wollen wie mit einer großen Nao, so hätte man Tausende
Lasttiere dazu gebraucht und aus Indien wenigstens zwei große Gebirge und eine
Wüste durchziehen müssen, statt nur ein Schiff und ein Meer. Der zweite Punkt ist ebenso wichtig: Die Fahrten über die Ozeane halfen auch direkt dabei, die Dimensionen des
Denkens auszuweiten, da das Weltmeer als solches keine Begrenzungen duldet. Die
neue Perspektive befreite den Geist und es ist kein Zufall, daß die Globalisierung über
die Weltmeere kam.
Daß man sich von einem systematisch geplanten Entdeckungsprojekt überhaupt Erfolg
versprechen konnte, dem ging ein bereits im Mittelalter ausgelöster Wandel in der
Einstellung zur Umwelt voran: während die Technik über Jahrhunderte stagniert hatte,
wurden gerade die Gebildeten im frühen Mittelalter nun durch das „ora et labora“ der
Benediktiner gezwungen, zu arbeiten; so wurden in den Klöstern arbeitssparende Erfindungen gemacht (der Mönch mußte rationeller arbeiten, um mehr beten zu können); dies
leitete eine Mechanisierung des Weltbildes ein (bis hin zum „göttlicher Urmacher“) und
führte dazu, daß man die Welt als System von Ursache-Wirkungs-Ketten wahrnahm 35;
und somit konnte man zielorientiert denken und gezielt planen, was die Portugiesen
beispiellos verwirklichten.
Insgesamt muß daher gesagt werden, daß die wirklich bedeutenden technischen
Neuerungen indirekter Natur waren, in einer Änderung der Art und Weise, wie man der
Technik als solcher begegnete – weitaus offener nämlich anstatt wie bisher eher
abwartend. Auch die Ausweitung der Dimension des Denkens durch die offenbar ge-
35
vgl. Kaufer, Erich: Wahrnehmung des Raumes und wirtschaftlicher Wandel im Mittelalter: Eine Perspektive in die Neuzeit? in: Zeitschrift für Vermessungswesen 117 (1), Januar 1992, S 1-12.
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wordene Ungebrenztheit der Weltmeere ist von großer Bedeutung, wie die sich selbst
verstärkende Dynamik des wissenschaftlichen Fortschritts. Alles leistete der Globalisierung Vorschub. Und die Beschleunigung des Handels und der Verwaltung durch den
Seeverkehr ist der erste Quantensprung in der Informationstechnologie, seither verkleinern sich Distanzen und verkürzen sich Zeiten immer rasanter.
Umwälzungen in der Kartographie
Gerade das Weltbild und die Weltanschauung in Europa wurden in dieser Ära nachhaltig und grundlegend verändert. Dies ist in der Kartographie am besten zu sehen. Am
deutlichsten wird es, wenn man eine klassische mappa mundi, wie etwa die Londoner
Psalterkarte aus dem 13.Jahrhundert, mit einer portugiesischen oder italienischen
Weltkarte des frühen 16.Jahrhunderts vergleicht, wie der „Cantino“-Karte von 1502.36
Eine Entwicklung, die schon viel früher begonnen hatte, erleichterte diese Wandlung von
der kosmologisch inspirierten Kartographie des Mittelalters hin zur empirischen Kartographie unserer Zeit. Die portolani der Kapitäne, die die Küstenlinien der befahrenen
Länder schon ausgezeichnet abbildeten, gingen zuerst in Italien und Portugal auch in die
Abbildung der Welt ein – wenn auch später als in Arabien. Ein wichtiges frühes Beispiel,
das auch in der ersten Planung bei Infant Enrique eine bedeutende Rolle gespielt hat,
war der Katalanische Atlas von Cresques, dessen Sohn in den Diensten des Prinzen
stand.
Gerade zu Beginn des 15. Jahrhunderts ereignete sich auch die Wiederentdeckung
eines antiken Geographen, dessen Werke über den arabischen Umweg zurück nach
Europa gelangt waren: Ptolemaeus (um 180 n.Chr.). Sein Gedankengut bestimmte die
Weltkartographie und Geographie dieser Zeit sehr stark, viele folgten seinen Ideen, zum
Teil in der damals üblichen Weise auch buchstabengetreu. Die Fehler, die er gewissermaßen in die Weltkartographie einführte, hielten sich noch weit in das 16.Jahrhundert
hinein und finden sich teilweise noch später. Der bedeutendste, der gerade durch die
Portugiesen widerlegt wurde, war seine Vorstellung vom Indischen Ozean als Binnenmeer, was die Umschiffbarkeit Afrikas ausschloß. Andeutungen „seiner“ Landbrücke
zwischen Afrika und Südostasien, der terra incognita, finden sich noch lange in Karten
als Kette von Inseln im südlichen Indischen Ozean.37
Die kosmologische Lehre von der Teilung der Welt in Klimazonen38, aus der die Theorie
der infolge übergroßer Hitze unbewohnbaren Äquatorialregion abgeleitet wurde, und
aus der auch einige Schrecknisse über die Eigenschaften der südlichen Meere und
Länder hervorkrochen, dominierte zu Beginn des 15.Jahrhunderts noch, und sie war ein
36
Vgl. zur Londoner Psalterkarte Kliege, Herma: Weltbild und Darstellungspraxis hochmittelalterlicher
Weltkarten. Münster: Nodus, 1991, Umschlagbild bzw. S 210 (Tafel 11), zur Cantino-Karte Hamann: Der
Eintritt der südlichen Hemisphäre, S 1.
37
Sehr schön in diesem Zusammenhang die Gegenüberstellung der „Ulmer Ptolemäus-Ausgabe“ von
1482 und der Martellus-Karte von 1489 in Hamann: Der Eintritt der südlichen Hemisphäre, Anhang, S
XVI-XVII; die eine zeigt eine typisch ptolemaeische Karte mit indischem Binnenmeer, die zweite das
mutige, aber doch noch zaghafte Abgehen von diesen Ideen, verdeckt doch Martellus die Stelle des
Zusammenflusses von Indischem und Atlantischen Ozean, die er offensichtlich abbilden wollte,
geschickt mit einer Namenstafel. Die sonstigen Unterschiede zwischen beiden Karten sind gering,
jedoch zeigt Martellus bereits die neue portugiesische Topographie an der afrikanischen Westküste.
38
Vgl. dazu Kliege, S 27-40.
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großes Hindernis für die ersten tastenden Schritte in den Süden. Auch sie wurden durch
die Entdeckungsfahrten ad absurdum geführt.
So ergibt sich ein verwirrendes Gemisch aus unterschiedlichen kartographischen Linien
im 15.Jahrhundert. Da waren die christlichen mappae mundi mit Jerusalem im Mittelpunkt und der Darstellung von verschiedenen Fabelwesen in Afrika ebenso wie des
Paradieses im Osten einer in religiösen Kategorien gedachten Welt. Diese Karten
trafen keine geographischen, sondern heilsgeschichtliche Aussagen, waren voll von
religiöser Symbolik bis hin zur Kreuzesform der mittleren Meere. Ebenso waren wissenschaftliche Karten im Geiste eines Ptolemaeus und solche, die sich an ihn anlehnten
und in den Studierstuben Europas Theorien über die Beschaffenheit Afrikas ableiteten.
Und es gab Ansätze streng empirischer Kartographie, die sich bemühte, (ausschließlich) Beobachtungen und Berichte von Entdeckern zu einem möglichst wirklichkeitsgetreuen Abbild der Welt zu vereinigen.39
Infant Enrique spielte bei der Entscheidung zwischen diesen Alternativen eine schwer zu
überschätzende Rolle. Sein „Verdienst für die Kartographie besteht ohne Zweifel darin,
daß er und seine kosmopolitische Mannschaft die Aufmerksamkeit auf die wirklichkeitstreuen Seekarten und Entdeckungsberichte lenkten. Er und seine Mitarbeiter [...] verwarfen die theologischen Theorien, die den kirchlich-mittelalterlichen Karten zugrunde
lagen.“40 Und da sie außergewöhnlich erfolgreich damit waren, hat die Linie der Kartographie schließlich obsiegt, die Karten als Werkzeuge für die Bewältigung der Probleme auf den Weltmeeren ansahen. Die christlichen Karten wären dafür wertlos gewesen. Und diese Linie steht exemplarisch für jenes neue Weltbild, das die Globalisierung
einleitete – wörtlich wie metaphorisch verstanden.
Daß frühere Entdeckungsreisen nicht derartig weitreichende Auswirkungen haben
konnten, ist neben ihrem unsystematischen Charakter der Kartographie zu einem Gutteil
zuzuschreiben. Denn erst eine „wirklichkeitsgetreue“ Abbildung der Welt ermöglicht ihre
„vernünftige“ Erkenntnis und die früheren, christlichen Karten waren im modernen Sinne
offensichtlich „unwirklich“. So blieben die Erzählungen eines Marco Polo Geschichten,
während die Portugiesen Geschichte schrieben.
Der Venezianer Fra Mauro41 stellt zweifellos ein herausragendes Beispiel der neuen,
weil nicht im Geist mittelalterlicher, christlicher Scholastik gehaltenen Kartographie dar,
der freilich wie seine Kollegen über ihm noch unbekannt Bereiche der Erde Spekulationen anstellen mußte. Daß er damit relativ gut an die Wirklichkeit herankam, ist
wahrscheinlich weit weniger von Bedeutung als die Akribie, mit der er sich der Berichte
der Entdecker annahm und sie in sein Werk hinein nahm.
39
Einen kurzen, aber interessanten Überblick über die Konzeption des europäischen Weltbildes und der
Wahrnehmung außereuropäischer Kulturen im Mittelalter anhand von Reiseberichten liefert Ulrich
Knefelkamp in: Knefelkamp, Ulrich (Hrsg.): Weltbild und Realität. Einführung in die mittelalterliche
Geschichtsschreibung. Pfaffenweiler: Centaurus, 1992, S 147-160.
40
Salentiny, S 48; und das, obwohl er Großmeister des Christusritterordens war.
41
Vgl. dazu den hochinteressanten Beitrag von Günther Hamann in Hamann: Die Welt begreifen und
erfahren. S 94-108; Fra Mauro zeichnete um 1455 auch einige wichtigen Karten für die Portugiesen.
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Die portugiesischen Entdeckungsfahrten
Umbruch des mittelalterlichen Weltbildes
Fahren wir fort in der Diskussion dessen, was als neues Weltbild in Europa sich entwickelte, dem Zentrum des kapitalistischen Weltsystems, was das (unbewußte) weltanschauliche Konzept der Globalisierung konstituierte. Italiener und Portugiesen waren
neben den Bemühungen in Mitteleuropa42 die Hauptträger des Umbruchs, ihnen obliegt
der Verdienst, durch ihren Erfolg im Laufe der Zeit an die Stelle von bloßen Vorurteilen
wissenschaftlich ausgewertete Beobachtungen gesetzt zu haben.
Die Märchen über die Schrecken auf dem Ozean, über die Unbewohnbarkeit der südlichen Hemisphäre und rätselhafte Kreaturen dort, sie hielten sich noch lange in manchen Chroniken und bei einzelnen Wissenschaftlern, aber die großen Erfolge der portugiesischen Fahrten führten zu einem steigenden Vertrauen in die neuen Methoden.43
Salentiny beschreibt zwei schöne Beispiele für die „Unbelehrbarkeit“ mancher Gelehrter: „In Solis Pontis (Sri Lanka) haucht ein jedes Lebewesen infolge der unerträglichen
Hitze unter der Glut der umgebenden Luft sofort das Leben aus“ steht noch 1590 im
Baseler Ptolemaeus-Atlas zu lesen und „Johannes Philiponus äußerte in seinem Werk
‘De Creatione Mundi libri’, das 1630 in Wien erschien, die südlichen Meere seien
wegen der dort herrschenden Gluthitze nicht befahrbar“44. Beide Zitate zeigen, wie
lange sich „wissenschaftliche“ Meinungen halten konnten, die empirisch längst widerlegt
waren. Da die Träger solcher Meinungen dieser Empirie aber ablehnend gegenüber
standen, lehnten sie sie auch als Maßstab für die Tauglichkeit ihrer Theorien ab. Doch
waren es nur noch Rückzugsgefechte derjenigen Gelehrten, die ihre Erkenntnisse gar
nicht an der Realität messen wollten (was an sich auch eine legitime Position darstellt).
Schließlich machte man es sich aber allgemein zur Aufgabe, seine Theorien nicht mehr
nur an logischen Kriterien zu messen, sondern im Experiment oder an der Empirie zu
prüfen. Im Gefolge der Entdeckungsfahrten setzte dieser Wandel um 1500 voll ein und
das Genie Leonardo da Vinci ist seine exemplarische Verkörperung.
Der wichtigste Punkt in der geistesgeschichtlichen Entwicklung des 15. Jahrhunderts ist
meiner Ansicht nach das steigende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, das durch die
Taten im Rahmen der frühen Entdeckungsgeschichte erzeugt und gestärkt wurde. Es
mußte zu einem Zusammenbruch der fatalistischen Weltwahrnehmung führen, wie sie im
Mittelalter oftmals vorherrschte, und es erleichterte damit die Abkehr von altgewohnten
Autoritäten45. Als solche können Gott und die Kirche ebenso gelten wie im Rahmen der
Wissenschaft antike Gelehrte. Der große Ethiker Abaelard hat schon im 12. Jahrhundert
für diesen Individualismus wichtige Vorarbeit geleistet, als er die Gesinnungsethik
„erfand“ und damit den Blick des Menschen in sein Inneres lenkte. Daher wurde es ihm
möglich, sich von seiner Umwelt, mit der er zuvor gänzlich verschmolzen war, zu lösen
und schließlich über sie zu erheben.46
42
Vgl. dazu z.B. Hamann: Die Welt begreifen und erfahren, S 285-315 bzw. Hamann, Günther und
Helmuth Grössing (Hrsg.): Der Weg der Naturwissenschaft von Johannes von Gmunden zu Johannes
Kepler. Wien: Verlag der Akademie der Wissenschaften, 1988.
43
Zur Verarbeitung der Entdeckungsfahrten in der Kartographie und Widerständen gegen die neuen
Erkenntnisse vgl. Hamann: Der Eintritt der südlichen Hemisphäre, vor allem S 418-437 sowie S 62-74.
44
Zitiert bei Salentiny, S 61 bzw. S 62.
45
Was unter einem solchen mittelalterlichen Weltbild zu verstehen ist, das zeigt etwa die Zeitalterlehre
eines Joachim von Fiore, nachzulesen in dem Beitrag von Gert Hübner in: Knefelkamp, S 47-60.
46
Vgl. Kaufer, S 6f.
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An die Stelle der alten Autoritäten traten Forschung und eigene Erkenntnis. Sehr schön
ist ein Satz aus der Arbeit von Marlene Mödlinger, die Uwe Granzow mit der Beobachtung und Aufzeichnung der Naturgegebenheiten auf See zitiert: „Dieses lebensnotwendige Wissen konnte auf hoher See durch keine ’wissenschaftlich-theoretische
Erklärungen theologischer oder philosophischer Provenienz’ ersetzt werden.“47 Hätte
man sich an theologische oder philosophische Theorien gehalten, hätte man gar nicht
erst aufzubrechen brauchen.
Dieser Vormarsch der Empirie zeitigte weitreichende Konsequenzen und hat der
Wissenschaftsgeschichte eine andere Richtung gegeben, gemeinsam mit der ihm
voranschreitenden Mechanisierung: die Naturwissenschaften wurden wichtiger, moderne Medizin, Physik und Chemie erst ermöglicht; die großen (mechanischen!) astronomischen Erkenntnisse dieser Zeit beruhten alle primär auf Beobachtungen der Sterne
und damit individuellen empirischen Erkenntnissen48; letztlich erleichterte dies die religiöse Reformation und ermöglichte Absolutismus, Aufklärung und schließlich positivistische Wissenschaft – freilich ohne irgend etwas davon ursächlich herbeizuführen. Insgesamt kumulierte das neue Weltbild in den nomothetischen Wissenschaften, die allgemeingültige, „globale“ Regeln zu finden trachten.
Aufbruch zu neuen Ufern
Mit den Fahrten eines Columbus und den Erfolgen der Portugiesen war der Weg frei zur
Erforschung des gesamten Globus. Diese Expeditionen haben klar gemacht, wie profitabel solche Unternehmungen sein können und sie haben zu einem Strom von Glücksrittern und Forschern in alle Welt geführt. Die Vorbildwirkung der Fahrten war groß und
zog auch die anderen Europäer auf die Ozeane, wenngleich vor allem zu „Sekundärzielen“. So fuhr 1497/98 und wieder 1519 Cabot für England nach Nordamerika,
1523/24 Verazzano 49 und 1534 Cartier für Frankreich ebendorthin.50 Vereinzelte Expeditionen nach Asien hat es auch gegeben.
Gegen Ende des 16.Jahrhunderts folgten weitere Fahrten auf der Suche nach der
Nordost- bzw. Nordwestpassage durch Engländer (Willoughby, Borough, Frobisher,
Davis) und Niederländer (Barents, Heemskerk) in das arktische Rußland bzw. Kanada
sowie das Eindringen der Niederländer in das portugiesischen Handelsnetz in der Folge der Sperre des Hafens von Lissabon für niederländische Schiffe 1594. Entscheidend war das positive Beispiel, der kommerzielle und politische Erfolg der Portugiesen
und Spanier, der dazu führte, daß die Staaten am Atlantik ihre eigenen, bekannten Ufer
verließen und sich in alle Winde aufmachten, um diesem Beispiel zu folgen. Es kann
durchaus die Frage gestellt werden, ob dieser Aufbruch ohne vor allem die portugiesischen Fahrten überhaupt vollzogen worden wäre.
47
Mödlinger, S 35.
Vgl. zur Forschungsgenealogie und -praxis eine Kopernikus, Brahe oder Kepler etwa Thomson, S.
Harrison: Das Zeitalter der Renaissance: von Petrarca bis Erasmus. München: Kindler, 1969, S 655667; interessante Beiträge zur frühen Naturwissenschaft liefert Hamann und Grössing.
49
Auch hier wird wieder deutlich, wie sehr nautisches Wissen zur frühen Zeit der Entdeckungsfahrten
„geliehen“ war, waren doch sowohl Cabot als auch Verazzano Italienier. Nicht selten traten nun aber
auch Portugiesen, die sich in der Heimat nicht genug gewürdigt fühlten, in die Dienste anderer Nationen,
deren heute prominentester zweifellos Fernao de Maghallaes.
50
1500/01 befuhren die Brüder Corte Real auch für Portugal den Nordatlantik und kamen ebenfalls nach
Grönland, Neufundland, Labrador und die amerikanische Ostküste.
48
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Als Antwort würde ich ein „Ja, aber wesentlich später“ anbieten wollen, denn die Expansion ihrer Macht lag den Herrschern dieser Erde schon immer im Blute. Dazu kommt,
daß infolge gesteigerter Produktivität ein echtes Bevölkerungswachstum in ganz Europa
Druck zur Expansion ausübte. Und wenngleich die Expansion selbst zu einem neuen
Weltbild beigetragen hat, sind doch die geistigen Strömungen dieser Zeit immer noch
sein wichtigerer Bestimmungsfaktor. Auch wenn es ein Ineinandergreifen gewesen sein
mag, waren doch die beginnende Individualisierung, die Abkehr von einem organischen
Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Natur, die großen Renaissancekünstler in Italien
und ihre Weltsicht oder die reformatorischen Strömungen in der Kirche ebenso von
großer Bedeutung für den „Aufbruch zu neuen Ufern“, auch und gerade geistigen, wie
die Entdeckungsfahrten es gewesen sind.
Freilich hätte dieses „später“ gravierende Auswirkungen gehabt auf die Art und Weise,
wie, durch wen und wohin die Expansion stattgefunden hätte. Einige Gedanken zu
diesem Thema haben wir weiter oben am Beispiel Amerika bereits eingeflochten. Für
eine global begriffene Welt war es aber notwendig, daß die führenden Staaten den
ganzen Globus entdeckten, erkannten und befuhren.
Diese neue Weltsicht hatte notwendigerweise Auswirkungen auf geostrategische Konzepte der Staaten. Eine globale politische Perspektive wurde für die Großmächte zunehmend zur Notwendigkeit, die Kolonien waren sowohl Rohstofflieferanten für die Aufbau befindliche heimische Fertigwarenproduktion als auch Operationsbasen für weltweite Kriege gegen europäische Kontrahenten. Die Politik des Merkantilismus wurde
durch die Kolonien erst ermöglicht (was auch zeigt, daß die Konzentration auf die Heimatländer gerichtet blieb), ohne ihn wäre die Wirtschaftsgeschichte aber entscheidend
anders verlaufen, bildete er doch einen wichtigen Nährboden der aufkeimenden „Manufakturisierung“ und errichtete er doch Strukturen, die die Weltwirtschaft weiter festigten.
Schlußfolgerungen
In dieser Zusammenfassung werden wir nochmals die wichtigsten Erkenntnisse dieser
Arbeit strukturieren und vor allem zwei schon eingangs erwähnten Fragen nachgehen.
Es soll der quasi-zwingende Charakter der portugiesischen Expansion verdeutlicht und
ihre weitreichendsten Folgen im Hinblick auf die im 15. Jahrhhundert aufkeimende Globalisierung nochmals kurz angerissen werden.
Warum quasi-zwingend?
Diese auf Portugal gerichtete Frage haben wir im Abschnitt „Rahmenbedingungen und
Hauptmotive“ diskutiert. Es war zum ersten die Geographie, die Begrenztheit des Landes und seine Lage am Atlantik, zweitens seine ökonomische Struktur mit dünner
Besiedelung, ungenügend entwickelter Landwirtschaft, aber florierendem Handel und
florierender Schiffahrt und zum dritten neben innerer Stabilität und einer günstigen
politischen Ausrichtung der Krone die engagierten Einzelpersönlichkeiten zur richtigen
Zeit. Dazu gesellten sich viertens – und nicht zu unterschätzen – später die Kräfte der
Eigendynamik und ihre Irreversibilität.
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Drei Varianten blieben für das expansionswillige Portugal letztlich offen: die Binnenexpansion (der Ausbau des Landes), die Festlandexpansion (gegen Spanien) und die
Überseexpansion. Wenn wir uns diese Alternativen vor Augen führen, so stellen wir fest,
daß infolge der feudalen Sozialstruktur ein Binnennausbau kaum stattfinden konnte, er
wäre schwierig und zu wenig profitabel gewesen, insbesondere wegen der durch die
geringe Zahl an Landarbeitern hohen Lohnkosten. Durch den starken spanischen Feind
jenseits der Grenzen war wiederum die Festlandexpansion schwierig und hätte man
sich davon nicht abgewandt, wäre Portugal wohl bald im späteren spanischen Staatsverband aufgegangen.
Eine weitere Konfrontation mit dem islamischen Erzfeind erforderte hingegen eine
Meeresüberfahrt. Der Handel und seine internationalen Strukturen (Abhängigkeiten
ebenso wie Handelsrouten) taten ihr übriges, die innere Stabilität ermöglichte eine konzentrierte Planung unter Nutzung der gesamten Ressourcen der Krone. Kommerzielle
Motive und Edelmetallknappheit seien nochmals erwähnt, auch die übrigen erwünschten
Rohstoffe waren fast ausschließlich in Übersee zu erhalten.
Der richtige Weg war klar gezeichnet, die richtigen Entscheidungen mußte letztlich aber
doch gefällt werden, von den schon erwähnten richtigen Personen. Die größte Gefahr
ging von Phasen aus, in denen sich die Konzentration der Krone auf andere Ziele
richtete, wie im Erbfolgekrieg von 1474-79 oder der Conquista in Marokko.
Obwohl etwa während des Erbfolgekrieges ebenfalls für einige Jahre keine Fahrten
unternommen wurden, meine ich, daß die Entwicklung grundsätzlich mit der erfolgreichen Wiederaufnahme der Entdeckungsfahrten nach dem Tode Enriques unumkehrbar geworden ist (außer den Fahrten 1455/56 fanden zwischen 1448 und 1462 wegen
der Kriege mit Marokko keine Expeditionen statt). Sein Explorationsplan war der entscheidende Schlüssel für den Erfolg. Das Stadium der Irreversibilität und Eigendynamik
war damit erreicht, und bereits 1481, unmittelbar nach dem Erbfolgekrieg, errichtete
Portugal in Minha (vor dem heutigen Ghana) ein Fort, um seine Ansprüche und damit
diese Dynamik zu untermauern. João II., zuvor als Prinz verantwortlich für die Entdeckungsfahrten, war inzwischen König geworden.
Der Zündfunke Portugal
Nun aber wenden wir uns der zweiten Frage zu, warum die Welt schon durch den braudelschen „Zünder“ Portugal im 15. und 16. Jahrhundert globalisiert wurde. Behalten wir
dabei immer in Erinnerung, daß es Portugal war, das all die hier besprochenen
Leistungen erbrachte, teils sogar allein und teils als erster.
Beginnen wir mit einer Diskussion der ersten globalen Weltwirtschaft, die sich um 1500
etablierte. Es ist richtig, wenn Wallerstein schriebt, daß Indien und China erst viel später
in das kapitalistische Weltsystem eingegliedert wurden, erst viel später in die internationale Arbeitsteilung eintraten und ihre Produktion vorrangig an den Bedürfnissen
des Weltmarktes ausrichteten, was für das spanische Amerika, aber auch die portugiesischen Handelsstützpunkte in Asien nicht gilt. Freilich lieferten auch Indien und
China Produkte für den Weltmarkt, aber grundsätzlich nicht anders als schon Jahrhunderte früher. Das portugiesische Handelsimperium funktionierte aber bereits nach
anderen, zukunftsweisenden Regeln des ungleichen Tausches zwischen Zentrum und
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Peripherie. Europa kontrollierte Angebot und Nachfrage, hielt beide Seiten der Handelsverbindungen in seiner Hand und schöpfte die Profite ab.
Die Entwicklung hatte Asien bereits überholt, unbemerkt sozusagen. Es war bereits auf
den Weg der Globalisierung eingebogen, ohne an ihren Früchten teilzuhaben. Die globalen Strukturen eines Welthandels, der sich potentiell (und inzwischen real) auf jeden
Punkt der Erde ausbreiten und ihm seine Regeln aufzwingen konnte, waren bereits
geschaffen. Mittels der Eigendynamik des internationale Netzwerkes, dessen Fäden in
Europa zusammen liefen, erarbeitete sich seine Betreiber den entscheidenden Vorsprung gegen ihre Konkurrenten. Die Regeln der globalen Weltwirtschaft traten an die
Stelle des bloßen Austausches von Handelsgütern, eines Außen- und vor allem Fernhandels, der bisher die europäischen Zentralräume in relevantem Ausmaß nur in Ausnahmefällen verlassen hat.
Die neuen Handelsrouten erlebten eine indirekte Stärkung durch die tendenzielle Abschottung des östlichen Mittelmeeres und eine direkte durch die unumkehrbare Bedeutung, die die Seefahrt als Beschleunigungsfaktor damit erhielt. Da die Routen grundlegend für die Globalisierung waren, vor allem auch dafür, daß sie bis heute aufrecht
erhalten wurde (was wohlgemerkt keine Selbstverständlichkeit ist) waren diese Stärkungen sehr wichtig.
Darauf, daß der Aufbruch in die ganze Welt, also insbesondere nach Westen und rund
um den Erdball herum stattfand, hatte die portugiesische Machtpolitik im 15. Jahrhundert den entscheidenden Einfluß. Daß er ohne das Verbot für alle anderen europäischen
Mächte, um Afrika zu segeln, wohl nicht in dieser Form stattgefunden hätte, wurde
bereits ausführlich erörtert. Auch war der Kampf gegen den Islam mit der neuen, realistischeren Weltsicht bereits praktisch kampflos gewonnen, das verschwommene Bedrohungsbild wurde zu einem Gegner von bekanntem Ausmaß. Viele gegen ihn gerichteten
Energien wurden damit frei.
Der Aufschwung der Territorial- und Kolonialstaaten, die einzig in der Lage waren, ein
globales, flottengestütztes Wirtschaftsreich aufrecht zu erhalten, die allein den Einsatz
aufbringen konnten für dieses globale Spiel, er ist bereits primär Folge der Globalisierung. Die privatwirtschaftliche Dynamik, die aus dem Fernhandel erwuchs, war ebenso
wichtig wie die weltwirtschaftliche, die sich im System konkurrierender Staaten einstellte, im gleichzeitigen Ringen mit der Kraft des neuen Weltsystems. Diese Dynamik
verhinderte den Rückschritt, der die Bewegung zum Stillstand hätte bringen können, mit
dem Merkantilismus wurde dies weiter verfestigt. Die politische Perspektive jeder
machtbewußten Regierung mußte fürderhin global sein, nur auf diesem Felde wurde der
Konkurrenzkampf geschlagen. In Zukunft (das gilt bis zur Eroberung der Luft) brauchte
nun jede Weltmacht eine Flotte. Die Globalisierung produzierte und verstärkte sich dadurch bald schon selbst.
Als wesentlicher symbolischer Akt steht hier die erste Weltumsegelung (1519-21), vom
Portugiesen de Magalhaes begonnen und vom Spanier del Cano beendet. Sie war
nicht deshalb von Bedeutung, weil sie die Kugelgestalt der Erde bewies, denn diese
war das gesamte Mittelalter hindurch anerkannte Erkenntnis51, sondern vielmehr des-
51
Vgl. dazu Simek, Rudolf: Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Kolumbus. München:
Beck, 1992; vor allem S 37-54.
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halb, weil sie geradezu programmatisch für das nunmehr globale Verständnis der
Kolonialmächte von Politik und Ökonomie stand. Darüber hinaus repräsentierte sie
deren Macht, deren Fähigkeit, weltweit zu agieren, jeden Punkt des Globus erreichen zu
können.
Spanien und Portugal konnten 1550 mit Recht von sich behaupten, daß in ihren Ländern
die Sonne nicht unterging, dieser Satz bringt die neue Weltwahrnehmung blendend auf
den Punkt. Neben die ökonomische Globalisierung trat also eine geistige. Pointiert gesagt stand im Mittelpunkt eines neuen Weltbildes nicht mehr die heilige Stadt
Jerusalem, sondern der sich von der Natur emanzipierende Mensch selbst. Der Globus
war mit einem Male bevölkert von intelligenten Individuen, die immer mehr auf ihre
Fähigkeiten vertrauten, ihn zu gestalten und die Natur in die Schranken zu weisen.
Diese Verwissenschaftlichung der Welt fand zwar bereits lange vor 1500 ihren Anfang
und war erst im Laufe von 300 weiteren Jahren etabliert, dennoch waren die Erfolge vor
allem der Portugiesen ausschlaggebend für die konsequente Fortsetzung der Bemühungen. Und ich würde auch dazu raten, die Bedeutung für das Denken nicht zu unterschätzen, die die Unbegrenztheit des Weltmeeres hatte, das nun für viele eine Alltäglichkeit war.
Der Vormarsch der Empirie, der das Vertrauen in alte Autoritäten erschütterte und das
in das eigene Individuum mehrte, hätte zwar auch ohne die Entdeckungsfahrten stattgefunden, zu breit waren diese Tendenzen bereits im 15.Jahrhundert, gerade in Italien.
Doch die Entdeckungsfahrten waren ein überzeugender Erfolgsbeweis der empirischen
Methode. Für völlig ausgeschlossen hielten große Teile anerkannter Wissenschaft das
Unterfangen, wegen der großen Hitze um den Äquator, wegen der Abgeschlossenheit
des Indischen Ozeans, wegen der auf offener See herrschenden Sogströmungen und
aus vielen anderen Gründen. Doch die praktische Durchführung unter bewußter Nutzung
der Beobachtung und durch aufeinander aufbauende, systematische Reisen haben das
bis heute in der alltäglichen Wissenschaft vorherrschende Primat der Beobachtung zu
begründen geholfen.
In letzter Konsequenz ist es seither in der Wissenschaft zumeist notwendig, seine theoretische Erkenntnis empirisch zu untermauern oder im Experiment zu prüfen, um mehr
zu liefern als bloße Spekulation. Wie man der Wissenschaft begegnet und an welchen
Kriterien man sie mißt, hat sich damals grundlegend verändert. Mit der Globalisierung
des Wissens und der Technik ging so die so viel diskutierte Globalisierung der Wirtschaft einher, und mit nur wenig Verspätung erfaßte diese Entwicklung auch die Gesellschaft, indem die neue Weltsicht sich zwar langsam aber stetig in alle Schichten verbreitete. Was diesen geistigen Umbruch ausmachte, ist weiter oben schon ausführlich
beschrieben worden.
Die Portugiesen spielten insgesamt den aktive Part im 15.Jahrhundert, sie betrieben
die Entdeckungsfahrten, sie hielten andere Staaten aus ihrem Machtbereich fern und
drängte diese damit an andere Ufer, sie veranschaulichten mit ihrem glänzenden Erfolg,
den sie auch durch Geheimhaltung absicherten, die Möglichkeiten des Überseehandels,
sie propagierten mit ihrem beispiellosen Forschungsprogramm das Potential systematischer Wissenschaft auf empirischer Basis, sie waren Hauptbetreiber der sozusagen
wirklichkeitsorientierten Kartographie. Sie waren auf das Ziel der Bemühungen, den
Seeweg nach Indien, konzentriert, während alle potentiellen Konkurrenten mit internen
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Streitigkeiten beschäftigt waren, und den Portugiesen erst dann passiv nachfolgten, als
diese die Erfolgsaussichten einer Überseexpansion bereits bewiesen hatten.
Einige abschließende Bemerkungen
Und was gibt es noch an Neuem aus den Jahren um 1500 zu berichten? Die in Europa
bereits bestehende Interdependenz der großen Wirtschaftsräume bzw. der Städte (wie
der Niederlande, Norditaliens oder Oberdeutschlands) konnte sich nun überallhin ausbreiten (zumindest innerhalb des Weltsystems). Ein Schiffbruch in China wurde in Venedig diskutiert, ein Kredit an einen Dritten platzte deswegen. Goldfunde in Mexiko zogen
Kaufleute aus Schweden nach Frankreich. Die globale Perspektive wurde schon damals zur wirtschaftlichen Notwendigkeit.
Neu war auch die vergleichsweise Leichtigkeit, mit der die Transporte von Gütern und
von Nachrichten nun vonstatten gehen konnte, die auf Schiffen bequemer und schneller
möglich war als über Land. Auch waren vor 1500 Reisen nach bzw. Aufenthalte in
Indien, China, ja oft selbst im Mittelmeerraum eher sporadisch, die Handelsbeziehungen
fragil. Eine permanente Präsenz in Asien bzw. selbst der bloße Gedanke daran, er gewann erst Konturen – von den Kolonien italienischer Kaufleute und den Kreuzfahrerstaaten einmal abgesehen. Vor allem aber der Zwischenhandel konnte ausgeschaltet
werden. Und die empirische Kartographie half bei der sinnvollen Integration der Entdeckungsfahrten in ein stimmiges Gesamtbild, was bei früheren Reisen nicht geschah
bzw. gar nicht möglich gewesen wäre.
Und warum gelang den anderen europäischen Mächten trotz ähnlicher, ja teils sogar
besserer Rahmenbedingungen nicht das, was die Portugiesen erreichten? Über den
quasi-zwingenden Charakter haben wir bereits ausführlich gesprochen. Kein anderer
Staat Europas hätte dies vollbringen können, weder der äußere Rahmen noch die
inneren Strukturen stimmten dazu, und vor allem nicht beides zugleich.
Die „optimale“ geographische Lage, die durch die Abgeschlossenheit vom Kontinent
noch verstärkt wurde, ist ein Aspekt. Die Tatsache, daß die italienischen Städte,
Spanien, Frankreich und England allesamt im 15. Jahrhundert von nationalen und
internationalen Konflikten gebeutelt wurden und daher keine Reserven für Seeabenteuer
erübrigen konnten, ist ein zweiter. Von Portugals außergewöhnlich starker innerer Stabilität war als weiterem Punkte ebenfalls bereits die Rede. Die richtige Person am richtigen Platz (Enrique), der sich selbst die richtige Zeit schuf, ist ebenso wichtig, wie die
Fähigkeit der Krone, so etwas wie ein nationales Interesse zu verkörpern, indem sie
rivalisierende Gruppen (Landadel, städtisches Bürgertum) administrativ wie finanziell in
die Expansionspläne integrierte. Die außerordentliche Systematik hinter den Bemühungen, sowohl strategisch als auch organisatorisch, war nicht nur für die Globalisierung mit
am ausschlaggebendsten, sondern auch für den Vorsprung, den sich die Portugiesen
erkämpften, wie die Möglichkeiten, ihn vorerst abzusichern.
Hier ist nun am Schluß auch Gelegenheit, noch einige interessante Bemerkungen anzuschließen. Die Frage etwa, warum diese globale Expansion von Europa ausging konnte
hier nicht einmal im Ansatz diskutiert werden. Die Araber, Weltmacht der Jahrtausendwende, betrieben konsequente Küstenschiffahrt und dies sprach gegen eine Expansion
der Einflußsphäre über den Ozean, obwohl die Araber technisch wie wissenschaftlich
gute Voraussetzungen gehabt hätten. Auch waren ihre politischen Prioritäten andere,
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das Interesse an Europa schwand sogar zunehmend. China andererseits war militärisch
und auch technisch um 1400 die führende Weltmacht, und ihre Seemacht wuchs mit den
Expeditionen des Admiral Cheng Ho (1405-33), die bis Ostafrika führten. Die weitere
Expansion scheiterte aber nicht nur an innenpolitischen Überlegungen (einer Konzentration auf den Binnenausbau, die bis zum Verbot der Hochseefahrt ging), sondern auch
schlicht daran, daß Europa keine begehrenswerten Güter anzubieten hatte und für ein
militärisches Abenteuer zu weit entfernt lag.52 Diese Bemerkungen sollen nichts erschöpfend erklären, sie sollen vielmehr dabei helfen, die richtigen Fragen zu stellen.
Das gilt auch für die folgenden Bemerkungen. Auf zwei interessante, aber auch spekulative Aspekte sei hier zuletzt nämlich auch noch verwiesen. Brasilien könnte bereits vor
1501 durch Portugiesen entdeckt worden sein, denn Portugal änderte die päpstliche
Bulle von 1493 im Vertrag von Tordesillas 1494 dahingehend ab, daß die Grenze um
soviel anscheinend reiner Meeresfläche nach Westen verschoben wurde, daß die
brasilianischen Küsten gerade in den portugiesischen Machtbereich fielen. Man könnte
dort also eine „Insel“ entdeckt haben. Geheimexpeditionen hat es sicherlich gegeben,
da Gama wäre 1497 nicht ohne jede Vorbereitung in diese Gegend gesteuert (das
widerspräche völlig der früheren portugiesischen Strategie). Und Nordamerika – schon
früher von Wikingern und europäischen Fischerbooten erreicht – ist wohl schon 1473
durch eine geheime dänisch-portugiesische Expedition „entdeckt“ worden.53 Es erschien aber zu wenig attraktiv (es gab dort offenbar nur Felle und Holz zu holen) und
man betrieb statt dessen die Indienpläne, die jedem Stand der Wissenschaft dieser Zeit
entsprachen, konsequent weiter. Columbus ist vielleicht gerade deshalb von João II.
abgelehnt worden (gerade als Diaz von seiner Kapfahrt zurückgekehrt war), was dieser
später sehr bereut haben soll.
Ich hoffe, daß es mir mit dieser Arbeit letztlich gelungen ist, eine manchmal ohne viel
Nachdenken einfach übernommene Begriffsbedeutung (wie die der Globalisierung)
wenigstens aufzuweichen und außerdem anläßlich eines Jubiläums wieder mehr Licht
auf eine oft vergessene Periode der Geschichte zu werfen. Meine Arbeit erklärt mit
Sicherheit nicht die Entstehung der Neuzeit, aber sie legt hoffentlich etwas vom Wurzelwerk der Globalisierung frei, auf das man bisher kaum einen Blick geworfen hat. Die
portugiesischen Entdeckungsfahrten waren nicht der allein entscheidende Aspekt für
ihre Verbreitung, doch sicher einer der wichtigsten. Trotzdem müssen sie zu oft hinter
der ersten Fahrt des Columbus zurückstehen, obwohl sie in vielerlei Hinsicht die weitaus
interessantere „Geschichte“ gewesen sind.
Man sollte nie vergessen, selbst nachzudenken und außerdem stets bemüht sein, das
große Bild in den Blick zu bekommen, anstatt nur Ausschnitte. Man sollte als Wissenschaftler auch nie damit aufhören, sich mit Grundbegriffen und scheinbaren Grundwahrheiten zu beschäftigen, neue Fragen kommen dadurch auf. Vielleicht sollte man
sich z.B. fragen, ob nicht das Holz der Wiege der Globalisierung, die man umfassend
verstehen muß, schon in Venedig 300 Jahre früher geschnitzt worden sein könnte. Aber
das ist eine andere Geschichte ...
52
53
Weitere Gründe für China geben z.B. Wallerstein, S 59ff oder Mödlinger, S 24-29.
Vgl. dazu Kurowski, S 131-137, der sich vor allem auf Karl Halfdan Larsens Bericht von 1925 beruft.
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Die portugiesischen Entdeckungsfahrten
Wallerstein, Immanuel: Das moderne Weltsystem: kapitalistische Landwirtschaft und
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Zeittafel (Auswahl)
1095-1385
1185-1211
1245-1279
1279-1325
1308/73
1336-1479
1385-1433
1415
1419/31
1434
1436-1444
1438-1481
1448
1455-1461
1470-1475
1474-1479
1481-1495
1481
1482-1486
1487/88
1487-1493
1494
1495-1521
1497-1499
1500-1501
Dynastie Burgund in Portugal, seit 1143 als Königreich
Sancho I. „O povoador“ (der Siedler) fördert den Binnenausbau
Afonso III. „O reconstructor“ (der Wiederhersteller) vereinigt das Land in
seinen heutigen Grenzen und fördert das geistige Leben
Diniz I. „O lavrador“ (der Landwirt) fördert Land- und Forstwirtschaft
Freundschaftsverträge zwischen Portugal und England
Ständiger Konflikt zwischen Portugal und Kastilien um die Kanarischen
Inseln
João I. begründet die Dynastie Aviz; in der Schlacht bei Aljubarrota
(1385) sicherte er die Unabhängigkeit des Landes gegen Kastilien
Eroberung des marokkanischen Ceuta; Prinz Heinrich „O navegador“
(der Seefahrer; 1394-1460) beginnt danach seine Expansionsbemühungen
(Wieder-)Entdeckung Madeiras und der Azoren
Umschiffung des Cabo Bojador durch Gil Eanes
Entdeckungsfahrten bis zum Senegal (Baldaia, Tristao, Lancarote)
Afonso V. „O Africano“ (der Afrikaner), er unterstützt die Entdeckungsfahrten
Gründung der Faktorei Arguim (am Cabo Branco), die im Jahrhundert
danach zum ersten Zentrum des Sklavenhandels wird
Entdeckung der Kapverdischen Inseln (Cadamosto); Expeditionen bis
Sierra Leone (Usodimare, Cadamosto, Gomes, de Sintra)
Expeditionen bis über den Äquator (da Costa, de Santrém, de
Escobar, do Poo, Goncalves, de Sequeira)
Kastilianischer Erbfolgekrieg; Vertrag von Alcacovas (1479), in dem
Spanien die Kanarischen Inseln und Portugal das Recht auf alle Gebiete südlich davon erhält
João II. „O perfeito“ (der Perfekte); die Bemühungen um die Entdeckungsfahrten werden stark intensiviert
Gründung der Festung São Jorge da Minha (an der Goldküste)
Expeditionen des Diogo Cao; Entdeckung des Flusses und des Königreiches Kongo und der angolanischen Küste
Expedition des Bartolomeu Diaz mit der Umschiffung Afrikas
Expedition des Pedro de Covilha, der die westlichen Küsten des Indischen Ozeans erforscht und erstmals Äthiopien erreicht
Teilung der Welt im Vertrag von Tordesillas
Manuel I. „O venturoso“ (der Glückliche) erlebt des Höhepunkt des
Portugiesischen Imperiums
Vasco da Gama umsegelt Afrika und erreicht in Calicut erstmals Indien
Pedro Alvares Cabral erreicht Brasilien und vertieft die Beziehungen
nach Indien; es folgen regelmäßige Indienfahrten
© Andreas Exenberger
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1502
1505-1509
1509-1515
1517
1519-1522
1526
1543
1557
1580-1640
bis 1698
Die portugiesischen Entdeckungsfahrten
Zweite Fahrt des Vasco da Gama
Francisco d’Almeida Vizekönig von Indien; Eroberung der arabischen
Städte in Ostafrika; Sperre des Seeweges nach Indien für europäische
und ägyptische Schiffe; Erforschung von Sri Lanka; Vernichtung einer
indisch-ägyptischen Flotte vor Diu (1507)
Afonso d’Albuquerque Vizekönig von Indien in Goa; Eroberung von
Calicut (1510), Malakka (1511), Ormuz (1515); Entdeckung des indonesischen Archipels und des Seeweges nach China; Erkundungsfahrten der Indienflotte unter Tristao da Cunha im gesamten arabischindischen Raum
Eroberung von Ägypten durch das Osmanische Reich
Fernao de Magalhaes beginnt die erste Weltumsegelung (im Auftrag
Spaniens), die von Sebastian del Cano vollendet wird
Gründung von Pernambuco in Brasilien; Beginn der systematischen
Kolonisierung 1549; 1630-54 vorübergehende niederländische Herrschaft im Norden
Erstmaliger Kontakt zu Japan
Gründung einer Handelsniederlassung in Macao
Spanische Herrschaft über Portugal
Niedergang des Portugiesischen Imperiums; Verlust aller asiatischen
Besitzungen (außer Goa, Diu und Macao), von Westafrika und Südafrika an die Niederländer bis 1663; Verlust Ostafrikas (außer Mocambique) bis 1698
© Andreas Exenberger
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