Okt. 2008 Band 10 Nr. 10 Diagnose der Harnwegsinfektion N. Troillet, F. Bally, Zentrum für Infektionskrankheiten und Epidemiologie, Zentralinstitut der Walliser Spitäler, Sitten Der Harnwegsinfekt ist, obwohl häufig in der täglichen Praxis, nicht immer einfach zu diagnostizieren. Es wird der einfache Harnwegsinfekt, d.h. die Zystitis und einfache Pyelonephritis bei der Frau im gebärfähigen Alter vom Sammelbegriff des komplizierten Harnwegsinfektes unterschieden. Dieser beinhaltet 5 Kategorien: 1) die Infektion bei anatomischer oder funktioneller Anomalie, 2) die Infektion bei Manipulation der Harnwege (Chirurgie, Fremdkörper), 3) die Infektion, die auf die Behandlung nicht anspricht, 4) die Infektion mit einem komplizierten Verlauf (Schock, Sepsis) und 5) die Infektion beim Mann. Grundlage der Diagnose Die Symptome der Zystitis und Pyelonephritis sind allen geläufig. Eine Bakteriurie liegt, mit seltenen Ausnahmen, bei jedem Harnwegsinfekt vor. Nicht jede Bakteriurie entspricht aber einer Infektion (Tabelle 1). Condition Frau Mann <60 Jahre <5 % <1 % >60 Jahre 10-20 % 0-3 % >80 Jahre 25-50 % 20 % Schwangerschaft 2-19 % — Diabetes mellitus 10 % ? Im Alters-/Pflegeheim 15-31 % 17-55 % Dauerkatheter (>1 Monat) >95 % Tabelle 1 : Prävalenz der asymptomatischen Bakteriurie Urin : Entnahme und Kultur Die Kultur ist bei der ersten Zystitis und bei jeder Pyelonephritis oder komplizierten Infektion angezeigt. Die Urinentnahme im Mittelstrahl dient dazu, das Kontaminationsrisiko zu vermindern. Blasenkatheterismus und Blasenpunktion können in Ausnahmenfällen indiziert sein, letztere zum Beispiel beim Kind. Eine Kontamination ist wahrscheinlich bei kleiner Keimzahl (ausser bei Zystitis, Tabelle 2), bei Mischflora oder bei Vorliegen einer Haut- oder Vaginalflora (z.B. koagulase negative Staphylokokken ausser S. saprophyticus bzw. Lactobacillus sp.). Es wird empfohlen die äusseren Genitale mit Wasser (ohne Desinfektionsmittel) zu waschen. Der Frischurin sollte innert 2 Stunden im Labor verarbeitet werden, kann aber gekühlt 24 Stunden aufbewahrt werden. Urin kann auf Transportmedium angesetzt verschickt werden. Kontext Schwelle (Bakterien/mL) Einfacher Harnwegsinfekt Akute Zystitis Akute Pyelonephritis Rezidiv. Harnwegsinfekt ≥102 - ≥103 ( ≥103 ) - ≥104 ≥105 Komplizierter Harnwegsinfekt Frau Mann Patient mit Dauerkatheter Asymptomatische Bakteriurie Frau Mann Tabelle 2 : Schwellenwerte der signifikanten Bakteriurie Teststreifen und Urinsediment Der Teststreifen zeigt die Esterase, ein Leukozytenprodukt, und Nitrit, ein Produkt gewisser Bakterien, an. Enterokokken, Staphylokokken (auch S. saprophyticus) und Pseudomonas produzieren kein Nitrit. Nitrit kann zudem durch einen zu tiefen pH Wert (< 6) oder Vitamin C falsch negativiert werden. Teststreifen, die an der freien Luft gelassen werden, zeigen falsch positive Resultate für Nitrit an. Die Esterase kann falsch negativ ausfallen bei einem hohem spezifischen Gewicht, Glucosurie, Proteinurie und bei verschiedenen Medikamenten, z.B. Nitrofurantoin, Doxycyclin und Gentamycin. Ein Teststreifen ohne pathologisches Resultat lässt ein normales Sediment voraussagen. In dieser Situation verzichten viele Laboratorien aus Kostengründen auf das Sediment. Das Sediment mit Vorhandensein von Epithelzellen weist auf eine Kontamination hin. Das Sediment hat seinen speziellen Nutzen in der nephrologischen Diagnostik. Eine Diagnose auf Mass Im Allgemeinen gilt, dass bei klinisch suggestiven Symptomen ein Harnwegsinfekt durch das Vorhandensein einer signifikanten Bakteriurie bewiesen ist. Bei der Frau im gebärfähigen Alter ist die Wahrscheinlichkeit eines Harnwegsinfektes bei typischer Symptomatik allein schon bis zu 80%. Bei zusätzlich positivem Teststreifen (Esterase oder Nitrit) steigt die Wahrscheinlichkeit auf mehr als 94%. Deshalb ist bei rezidivierender Zystitis in dieser Population keine Diagnostik vor der empirischen Therapie notwendig. Eine Urinkultur wird bei Nichtansprechen auf die Behandlung empfohlen. Die Diagnose ist schwieriger bei betagten Personen oder bei kompliziertem Harnwegsinfekt: 1) die Prävalenz von asymptomatischer Bakteriurie ist höher (Tabelle 1); 2) eine Leukozyturie kann ohne Infekt bei Inkontinenz oder Dauerkatheter gefunden werden; 3) Infekte mit Bakterien, die kein Nitrit produzieren sind häufiger. Bei Fieber beim Betagten liegt die Wahrscheinlichkeit eines Harnwegsinfektes mit pathologischem Teststreifen bei weniger als 50%. Diese Wahrscheinlichkeit nimmt noch ab, wenn man trüben oder übel riechenden Urin als Kriterium benutzt. Ein negativer Teststreifen schliesst aber hier eine Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Schlussfolgerung Die Diagnose des Harnwegsinfektes ist einfach bei der Frau im gebärfähigen Alter mit einem unkomplizierten Harnwegsinfekt (positiver Teststreifen für Nitrit oder Esterase bei klinischem Verdacht auf Zystitis oder unkomplizierte Pyelonephritis). Die Diagnose ist schwieriger in Populationen, wo der prädiktive Wert des Teststreifens oder der Urinkultur niedrig ist. Der Ausschluss anderer Infektionsursachen muss bei unspezifischer Klinik erfolgen. Literatur 5 ≥10 ≥103 ( ≥ 103 ) - ≥ 104 5 ≥10 (2x, mit 24 Std. Intervall) ≥104 (1x) [1] Bally F, Troillet N. Infection urinaire: un diagnostic sur mesure. Rev Med Suisse 2008 ;4 :2145-8. Ansprechpartner PD Dr. med. Nicolas Troillet Dr. med. Frank Bally [email protected] [email protected]