10. Symphoniekonzert S ai s o n 2 01 3 2 014 Paavo Järvi Dirigent Hélène Grimaud Klavier o r ts w e c h s e l . 10. Symphoniekonzert Sa i s o n 2 01 3 2 01 4 Unter Mitwirkung von Musikerinnen und Musikern des Gustav Mahler Jugendorchesters Paavo Järvi Dirigent Hélène Grimaud Klavier Besuchen Sie den Ort, an dem Automobilbau zu einer perfekten Komposition wird: die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden. w w w.g l a e s e r n e m a n u fa k t u r . d e PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N S onntag 11. 5 .14 11 Uhr M ontag 12 . 5 .14 2 0 Uhr D ienstag 13. 5 .14 2 0 Uhr | S emperoper D resden 10. Symphoniekonzert Paavo Järvi Dirigent Hélène Grimaud Klavier Unter Mitwirkungen von Musikerinnen und Musikern des Gustav Mahler Jugendorchesters PROGR A MM Johannes Brahms (18 3 3 -18 9 7 ) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15 1. Maestoso 2. Adagio 3. Rondo. Allegro non troppo P a u se Béla Bartók (18 81-194 5) Konzert für Orchester Sz 116 1. Introduzione. Andante non troppo – Allegro vivace – Tempo I 2. Giuoco delle coppie. Allegretto scherzando 3. Elegia. Andante, non troppo 4. Intermezzo interrotto. Allegretto 5. Finale. Pesante – Presto Konzerte von Brahms und Bartók Dass aus seinem Klavierspiel ein ganzes Orchester heraustöne, eilte Johan­ nes Brahms als Ruf schon früh voraus und fand in seinem ersten Klavier­ konzert exemplarische Bestätigung. Es ist, als habe Béla Bartók die sym­ phonische Idee des Brahms’schen Konzerts fortgeschrieben, indem er gleich das gesamte Orchester und seine Stimmgruppen zu »Solisten« erkor. Eine wunderbare Gelegenheit für eine erneute Zusammenarbeit der Säch­ sischen Staatskapelle mit Musikerinnen und Musikern des Gustav Mahler Jugendorchesters im Rahmen der engen Kooperation beider Klangkörper. Kosten lose Konzertein f ü hr u n g en j e w ei l s 4 5 M in u ten vor konzert b eg inn im S emperopernke l l er 2 3 10. SYMPHONIEKONZERT Paavo Järvi Dirigent F ür Grammy-Award-Gewinner Paavo Järvi ist die aktuelle Spielzeit die vierte als Musikdirektor des Orchestre de Paris. Mit diesem Orchester kehrt er in dieser Saison nach Japan, Ho-Chi-Minh-Stadt, zu den BBC Proms und zum George Enescu Festival in Buka­rest zurück. Auch sind er und seine Musiker mit einer drei Konzerte umfassenden Residenz im Wiener Musikverein sowie im Zuge eines Stra­ winsky-Schwerpunkts der Alten Oper in Frankfurt zu erleben. Am Beginn der Spielzeit 2015/2016 wird Järvi den Posten des Chefdirigenten beim NHK Symphony Orchestra in Tokio übernehmen. Neben seiner Pariser Chefposition ist Paavo Järvi seit 2004 Künstle­ rischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie in Bremen. Gemeinsame Höhepunkte in der aktuellen Saison sind Aufführungen von Beethovens »Fidelio« beim Beethovenfest Bonn und in Yokohama. Darüber hinaus tritt das Orchester unter seiner Leitung in Wien, Berlin, München, Amsterdam, Boston, New York, Tokio, beim Schleswig-Holstein Musik Festival, beim Festival de Lanaudière und beim Warschauer Osterfestival auf. Mit Beginn dieser Spielzeit eröffnete Paavo Järvi ein neues Kapitel in seiner künstlerischen Zusammenarbeit mit dem hr-Sinfonieorchester in Frankfurt, das ihn zum Ehrendirigenten ernannte. Zuvor hatte er das Orchester von 2006 bis 2013 höchst erfolgreich als Chefdirigent geleitet. In der Saison 2010/2011 beendete Järvi seine zehnjährige Amtszeit als Musik­ direktor des Cincinnati Symphony Orchestra, das ihn in Anerkennung seines Wirkens ebenfalls zum Ehrendirigenten erhob. Einladungen als Gastdirigent führen Paavo Järvi in dieser Saison zum Gewandhausorchester Leipzig, zu den Wiener und Münchner Philharmonikern sowie zum Russischen Nationalorchester. An das Pult der Sächsischen Staats­ kapelle trat er in den vergangenen Jahren mehrfach: in der Semperoper sowie bei Gastkonzerten mit der Kapelle in Deutschland und Österreich. Seit den Anfängen seiner Karriere hat sich Paavo Järvi für estnische Komponisten wie Arvo Pärt, Erkki-Sven Tüür, Lepo Sumera and Eduard Tubin eingesetzt. In seinem Geburtsland wirkt Järvi als künstlerischer Berater so­ wohl des Estnischen Nationalorchesters in Tallinn als auch des Pärnu Music Festival, bei dem er im Rahmen der Järvi Academy junge Nachwuchsdirigen­ ten fördert. 2013 wurde Paavo Järvi für seine Verdienste mit dem Orden »White Star« von Estland geehrt. 4 5 10. SYMPHONIEKONZERT Hélène Grimaud Klavier S ie ist ein wahres Multitalent und eine faszinierende Persönlich­ keit: Hélène Grimaud hat sich nicht nur als leidenschaftliche, hingebungsvolle Musikerin einen Namen gemacht, die ihr Instru­ ment mit poetischem Ausdruck und unvergleichlicher technischer Kontrolle spielt. Die französische Pianistin, die als Solistin und Kammermusikerin rund um den Globus gefragt ist, sorgt auch als erfolg­ reiche Autorin mehrerer Bücher für Aufsehen und setzt sich mit Nachdruck für gemeinnützige Zwecke ein, u.a. gründete die engagierte Naturschütze­ rin das Wolf Conservation Center im US-Bundesstaat New York, als Mitglied der Organisation »Musicians for Human Rights« tritt sie für Menschenrech­ te und sozialen Wandel ein. Im vergangenen Jahr gab die in Aix-en-Provence geborene Künstle­ rin Konzerte in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Luxem­ bourg, der Schweiz, Russland, den USA, Brasilien, China und Japan. Dabei trat sie u.a. mit dem London Philharmonic Orchestra, dem Philharmonia Or­ chestra, dem City of Birmingham Symphony Orchestra, der Tschechischen Philharmonie, den St. Petersburger Philharmonikern, dem Cleveland und dem Philadelphia Orchestra sowie dem Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo auf. Unmittelbar vor ihrem jetzigen Gastspiel in Dresden war sie beim Dänischen Nationalorchester in Kopenhagen zu erleben, im weiteren Verlauf dieser Saison konzertiert sie mit Los Angeles Philharmonic unter Gustavo Dudamel sowie mit dem Orchestre Métropolitain in Montreal unter Yannick Nézet-Séguin, mit dem sie sich wenig später auch beim Symphonie­ orchester des Bayerischen Rundfunks das Podium teilt. Seit 2002 ist Hélène Grimaud, deren CD-Alben mit hochkarätigen Auszeichnungen bedacht wurden, Exklusivkünstlerin der Deutschen Grammophon. 2013 veröffentlichte das Label ihre Aufnahmen der beiden Klavierkonzerte von Brahms mit Andris Nelsons und dem Symphonie­ orchester des Bayerischen Rundfunks bzw. den Wiener Philharmonikern. Im Jahr zuvor erschien Hélène Grimauds CD »Duo«, die sie mit der Cellistin Sol Gabetta einspielte und die mit einem »ECHO Klassik« in der Kategorie »Kammermusik-Einspielung des Jahres« gewürdigt wurde. Mit der Säch­ sischen Staatskapelle, bei der sie bereits mehrmals gastierte, hat Hélène Grimaud zwei Aufnahmen vorgelegt: Beethovens fünftes Klavierkonzert unter Vladimir Jurowski (2007) sowie das Klavierkonzert von Schumann unter Esa-Pekka Salonen (2006). 6 7 10. SYMPHONIEKONZERT Gustav Mahler Jugendorchester D as Gustav Mahler Jugendorchester (GMJO) wurde 1986/1987 auf Initiative seines langjährigen Musikdirektors Claudio Abbado in Wien gegründet. Neben der künstlerischen Arbeit mit dem musi­ kalischen Nachwuchs war es Claudio Abbado ein wichtiges Anlie­ gen, das gemeinsame Musizieren junger österreichischer Musiker mit Kollegen aus der damaligen ČSSR und Ungarn zu fördern. Das GMJO hielt als erstes Jugendorchester freie Probespiele im ehemaligen Ostblock ab, ehe es 1992 für Musiker bis zum 26. Lebensjahr aus ganz Europa zugänglich wur­ de. Heute gilt das GMJO, das unter dem Patronat des Europarates steht, als das weltweit führende Jugendorchester und wurde 2007 mit dem Europäischen Orchesterpreis der Europäischen Kulturstiftung ausgezeichnet. Bei den jährlichen Probespielen in über 25 europäischen Städten trifft eine Jury eine Auswahl unter den jeweils über 2.500 Bewerbern. Prominente Orchestermusiker sind Jurymitglieder und betreuen auch während der Probe­ phasen die Erarbeitung der Tournee-Programme, deren Repertoire sich von der Klassik bis zur zeitgenössischen Musik erstreckt. Seit seiner Gründung haben viele bedeutende Künstler mit dem GMJO gearbeitet. Dazu zählen Dirigenten wie Claudio Abbado, Herbert Blomstedt, Pierre Boulez, Myung-Whun Chung, Sir Colin Davis, Daniele Gatti, Bernard Haitink, Mariss Jansons, Philippe Jordan, Ingo Metzmacher, Kent Nagano, Jonathan Nott, Seiji Ozawa, Vladimir Jurowski, Sir Antonio Pappano und Franz Welser-Möst, ebenso Solisten wie Martha Argerich, Lisa Batiashvili, Chris­t ian Gerhaher, Matthias Goerne, Christa Ludwig, Susan Graham, Thomas Hampson, Leonidas Kavakos, Evgeny Kissin, Radu Lupu, Yo-Yo Ma, Anne-Sophie Mutter, Maxim Vengerov und Frank Peter Zimmermann. Das GMJO ist ständiger Gast bei renommierten Konzertveranstaltern und Festivals auf der ganzen Welt, darunter die Gesellschaft der Musik­ freunde in Wien, das Concertgebouw Amsterdam, die Semperoper Dresden, die Salzburger Festspiele und die Osterfestspiele Salzburg, das Edinburgh International Festival, die BBC Proms und das Lucerne Festival. Eine intensive Partnerschaft verbindet das GMJO seit Jahren mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Anlässlich seines 25-jährigen Jubi­ läums wurde das GMJO zum Botschafter von UNICEF Österreich ernannt. Erste Bank und Vienna Insurance Group sind Partner des Gustav Mahler Jugendorchesters. 8 9 10. SYMPHONIEKONZERT »DAS ZUSAMMENSPIEL IST EIN SENSIBLER PROZESS« Ein Interview mit Kontrabassistin Anna Gruchmann-Bernau Die Sächsische Staatskapelle hat nicht nur zahlreiche frühere Mitglieder des Gustav Mahler Jugendorchesters in ihren Reihen, das Traditionsorchester aus Sachsen und das GMJO sind seit 2008 auch durch eine enge Partnerschaft verbunden. Seither gastiert das weltweit geschätzte Jugendorchester alljährlich in der Semper­oper, um die Konzertsaison der Staatskapelle zu eröffnen. Konzerte in Dresden gab das GMJO in den vergangenen Jahren unter Herbert Blomstedt, Sir Colin Davis, Daniele Gatti und Philippe Jordan. 2012 läutete ein erstes Gemeinschaftskonzert von GMJO und Kapelle unter Vladimir Jurowski eine noch intensivere Kooperation ein, in deren Rahmen die jungen Musikerinnen und Musiker die Möglichkeit erhalten, bei gemeinsamen Projekten im direkten künstlerischen Austausch vom Erfahrungsschatz ihrer älteren Kollegen zu profitieren. Wir sprachen vor den Kapell-Konzerten unter Paavo Järvi, an denen 14 Musiker des GMJO mitwirken, mit der jungen Kontrabassistin Anna Gruchmann-Bernau aus Hallwang bei Salzburg, die in Linz bei Anton Schachenhofer studiert und seit 2013 dem renommierten Jugendorchester angehört. 10 Seit 2013 Mitglied des Gustav Mahler Jugendorchesters: die Österreicherin Anna Gruchmann-Bernau Liebe Frau Gruchmann-Bernau, seit wann stand für Sie fest, dass Sie Musi­ kerin werden wollen? Konkret den Gedanken gefasst, das Kontrabassspiel zu meinem Beruf zu machen, habe ich mit 17 Jahren. Das Instrument zu erlernen begann ich erst mit 13 Jahren. Dafür habe ich seit frühester Kindheit viel gesungen, auch in verschiedenen Chören, und ich habe Gitarre gespielt, bis dann der Kontra­ bass immer mehr in mein Blickfeld gerückt ist. Allerdings ist für mich und mein Musikverständnis das Singen bis heute sehr wichtig! oft als ungewöhnlich angesehen, aber Frauen sind beim Kontrabass auf dem »Vormarsch«, es gibt immer mehr, die dieses Instrument auch im Profibe­ reich spielen. Man muss den Bass ja auch nicht mehr allein tragen, es gibt da ausgeklügelte Rollhilfen (lacht) … Eine Kontrabassistin ist nicht unbedingt ganz alltäglich in einem Orches­ ter. Was hat der Kontrabass, was andere Instrumente nicht haben? Einen sehr tiefen, weichen Klang. Damit kann ich einem Orchester ein gutes Fundament geben. Außerdem begeistert mich die Vielseitigkeit des Kontra­ basses, er spielt in Klassik, Jazz, Volksmusik, Neuer Musik, Kammermusik eine wichtige Rolle, er ist variabel einsetzbar, als Instrument in vielen For­ mationen möglich und interessant. Klar, dass eine Frau am Bass steht, wird Wovon profitiert ein junger Musiker am meisten, wenn er in das Gustav Mahler Jugendorchester aufgenommen wird? Auf welche Erfahrungen möchten Sie nicht verzichten? Am meisten profitiere ich von dem ernsthaften Bemühen aller, große Werke der Konzertliteratur in möglichst hoher Qualität einzustudieren. In diesem Zusammenhang möchte ich nicht auf die Begeisterung und Energie der jungen Musiker dieses Orchesters verzichten. Und natürlich ist es großartig, 11 10. SYMPHONIEKONZERT Das Gemeinschaftskonzert von GMJO und Kapelle 2012 in der Frauenkirche in den berühmtesten Konzertsälen Europas aufzutreten und mit tollen Diri­ genten und Solisten zusammenzuarbeiten, wie das beim GMJO geschieht. Was erwarten Sie sich persönlich von dem Kooperationsprojekt mit der Sächsischen Staatskapelle? Ganz besonders freue ich mich, den genialen »Pianosound« der Sächsischen Staatskapelle selbst mitgestalten zu dürfen. Zudem ist es immer ein wunder­ bares Erlebnis, die Arbeit und den Klang eines so berühmten Orchesters näher kennenzulernen. Wie wichtig ist für Sie Erfahrung im Vergleich zu anderen Eigenschaften eines Musikers? Für mich als Orchestermusikerin hat Erfahrung einen sehr hohen Stellen­wert, weil das Zusammenspiel ein sensibler Prozess ist, der nur durch Praxis er­ lernt werden kann. Darum bin ich über solche Projekte wie dieses sehr froh. Auf dem Programm unter Paavo Järvi stehen Konzerte von Brahms und Bartók. Welches der beiden Werke war schwieriger vorzubereiten? Das Konzert für Orchester von Bartók, da ich mich vorher mit seinen großen Werken noch nicht so auseinandergesetzt habe. Die Instrumente haben bei ihm auch eine ganz andere Funktion als bei den Klassikern oder Romanti­ kern. Der typisch großangelegte romantische Gestus wie bei Brahms ist mir vertrauter. Auf jeden Fall freue ich mich schon sehr auf die sicher lehr­ reichen Tage in Dresden! D ie Fr ag en stel lte Torsten B l a i c h . 12 13 10. SYMPHONIEKONZERT Johannes Brahms * 7. M a i 18 3 3 in H a m b u r g † 3. Apri l 18 9 7 in Wien Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15 1. Maestoso 2. Adagio 3. Rondo. Allegro non troppo E ntsteh u n g Besetz u n g erste Entwürfe (als Sonate in d-Moll Klavier solo, 2 Flöten, für 2 Klaviere) bereits 1854 (verschol­ 2 Oboen, 2 Klarinetten, len, wohl von Brahms vernichtet), 2 Fagotte, 4 Hörner, 1855 Umarbeitungsversuch zu einer 2 Trompeten, Pauken, Symphonie (ebenfalls verschollen), Streicher 1856/1857 Ausarbeitung zum Klavier­ konzert in Düsseldorf und Hamburg Dau er ca. 45 Minuten Ur au f f ü hr u n g 22. Januar 1859 im Königlichen Hof­ theater zu Hannover durch das König­ liche Hof-Orchester mit dem Kompo­ nisten am Klavier, Dirigent: Joseph Joachim (nach vorangegangener Probeaufführung am 30. März 1858 in Hannover) 14 15 »Ich versuche ja erst und tappe noch« Brahms’ Erstes Klavierkonzert »I ch sage Dir tausend Dank im voraus für diese und alle Hilfe bei dem Werk. Ohne Dich hätte ich’s nicht gemacht«, gestand Johan­ nes Brahms seinem Freund Joseph Joachim in einem Brief vom 22. April 1857. Mit dem »Werk« war das Klavierkonzert Nr. 1 gemeint, die erste symphonische Arbeit, die Brahms überhaupt fertigstellte und die nach anfänglichen Versuchen aus dem Jahr 1854 bis zur mühe­ vollen Vollendung im Frühjahr 1857 mehrere grundlegende Veränderungen erfuhr. Parallel zur Werkentstehung zählen diese Jahre auch zu den ent­ scheidendsten im Leben und in der persönlichen Entwicklung von Brahms: Im September 1853 lernte er Robert und Clara Schumann kennen. Er be­ suchte sie in Düsseldorf, um ihnen seine ersten Klavierstücke vorzuspielen. Die Schumanns waren tief beeindruckt vom eigenwilligen Stil und der Per­ sönlichkeit des erst 20-jährigen Komponisten, und Brahms seinerseits war fasziniert von dem Künstlerehepaar, vor allem von Clara. Diese vermerkte zum Besuch von Brahms in ihrem Tagebuch: »Das ist wieder einmal einer, der kommt wie eigens von Gott gesandt!« Wenige Tage später wande sich Robert Schumann an den Geiger Joseph Joachim: »Nun, ich glaube, Johan­ nes ist der wahre Apostel, der auch Offenbarungen schreiben wird, die viele Pharisäer … auch nach Jahrhunderten noch nicht enträthseln werden.« Für Schumann waren Brahms’ erste Klavierwerke zukunftsweisend, ein Gegenpol zur »Neudeutschen Schule« um Liszt mit ihrer Vorliebe für die Symphonische Dichtung und der Überbetonung des Virtuosentums. Daher förderte Schumann den Nachwuchskomponisten, indem er ihn in sei­ nem Artikel »Neue Bahnen« in der »Neuen Zeitschrift für Musik« als »Be­ rufenen« titulierte, sein Klavierspiel rühmte und ihm eine große Zukunft voraussagte: »Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor.« 10. SYMPHONIEKONZERT Die Aufmerksamkeit der musika­ lischen Welt war nun auf Brahms gerichtet, auf einen jungen Kompo­ nisten, der bisher nur Kammermu­ sik geschrieben hatte und von dem nun ein qualitätvolles, symphoni­ sches Werk erwartet wurde. In dieser Phase begann sich auch Brahms’ Beziehung zu Clara Schumann zu intensivieren, die zeit seines Lebens die beste Freundin blieb, aber auch seine wichtigste Beraterin und erste Kritikerin wur­ de. Robert Schumann unternahm im Februar 1854 nach quälenden Stimmhalluzinationen einen Selbstmordversuch und wurde in die Nervenheilanstalt in Endenich eingeliefert. Brahms kümmerte sich Johannes Brahms, um 1860 liebevoll um die schwangere Clara und ihre sechs Kinder, lebte sogar vorübergehend mit ihnen in Schumanns Haus in Düsseldorf. Zwei Jahre später starb Robert Schumann. Das Meistern der »symphonischen Hürde« All diese Ereignisse dürften den Schaffensprozess nachhaltig beeinträch­ tigt haben, jedenfalls boten sie kein Umfeld, in dem sich Brahms konzen­ triert der symphonischen Herausforderung stellen konnte. Und erst nach Schumanns Tod vollendete er sein erstes Klavierkonzert, das zunächst als Sonate für zwei Klaviere konzipiert worden war. Noch bevor er die Arbeit an dieser Sonate abgeschlossen hatte, begann Brahms mit der Umformung zu einer Symphonie, denn »eigentlich genügen mir nicht einmal zwei Klaviere«, wie er Joseph Joachim erläuterte. Dabei unterstützte ihn sein Freund und Komponistenkollege Julius Otto Grimm erheblich, so viel jeden­ falls, »daß ich das Gute, was sich darin vorfinden sollte, Grimm verdanke, der mir mit dem besten Rat zur Seite stand«, so Brahms gegenüber Joa­ chim. Wenig später äußerte er sich noch deutlicher: »... von der Instrumen­ tation verstehe ich nicht einmal so viel, als im Satz zu sehen ist, das Beste verdanke ich Grimm.« Für einen Komponisten, der derart mit Vorschuss­ lorbeeren überhäuft wurde, bedeutet solch ein Satz nicht nur eine schlichte Feststellung vermeintlich mangelnder Fähigkeiten, hier klingen schon eher die Beklemmung und die Befürchtung an, den Anforderungen nicht 16 17 gewachsen zu sein. Joseph Joachim nahm sich daraufhin seiner an. Der berühmte Violin­ virtuose Joachim war seit 1852 »Concertmeister« (später »Concert Director«) des Königlichen HofOrchesters in Hannover und konnte Brahms wertvolle Erfahrungen in der Behandlung der Streicher und des Einsatzes der anderen Orches­ terinstrumente vermitteln. Nach gemeinsamen – im Briefverkehr ausgetauschten – Kontrapunkt­ studien und Fugenkompositionen begann Brahms mit der Umformung des Symphoniefragments zum Klavierkonzert. Der Briefwechsel der beiden sowie das Autograf des Klavierkonzerts sind beredte Zeug­ nisse für die Zusammenarbeit, für Programmzettel der Uraufführung den Einfluss Joachims und seine des Konzerts in Hannover, 1859 sensiblen Hilfestellungen. In den Briefen von Brahms klingen oft Unsicherheit bezüglich der Qualität sei­ ner Arbeit wie auch aufrichtiger Dank gegenüber Joachim an. Der Ton der Briefe Joachims ist demgegenüber feinfühlend in der Kritik am Werk wie in den Verbesserungsvorschlägen: »Ich beschäftige mich mit Deinem Kon­ zert – aber so manche Bedenken neben herzlich sympathischem Freuen und Bewundern kommen mir …« Joachim griff entscheidend in die Instrumen­ tierung ein, beeinflusste sogar die Satztechnik – und Brahms lernte willig. Hinzu kommt noch etwas, was in keiner Weise unterschätzt werden darf: Joachims Anteilnahme hat wesentlich dazu beigetragen, dass Brahms nicht vor dem Übervater Beethoven und dem Erfolgsdruck durch Schumanns Artikel resignierend in die Knie ging, sondern dass deren Bann gebrochen wurde und Brahms die »symphonische Hürde« nahm. Bereits im Kopfsatz seines ersten Orchesterwerks verarbeitet Brahms die Themen in einer Weise, die für ihn charakteristisch ist, näm­ lich im Sinne der »entwickelnden Variation«. So tritt das wuchtige und in sich zerrissene Hauptthema nach seinem ersten Erscheinen nie mehr in der Urgestalt auf. Es erweckt den Eindruck, einem nicht mehr umkehr­ baren Entwicklungsprozess ausgeliefert zu sein, der in sich die Tendenz zu steter Verdichtung und Veränderung trägt. Der Solopart hält die Waage zwischen berückend liedhaften Passagen sowie zunehmend virtuosen und 10. SYMPHONIEKONZERT Das Königliche Hoftheater in Hannover, in dem 1859 die Uraufführung des Klavierkonzerts stattfand. Architekt des 1852 eingeweihten Hauses war Georg Ludwig Friedrich Laves, der Oberhofbaudirektor des Königreichs Hannover. Lithografie von Wilhelm Kretschmer, um 1858 Rechts: Das Logenhaus des Theaters mit dem Vorhang von Johann Heinrich Ramberg. Gouache von Wilhelm Kretschmer (zugeschrieben), um 1854, Fotoreproduktion tonangeben­den Eskalationen, wie sie von einem »Concert für das Pianoforte mit Begleitung des Orchesters« im 19. Jahrhundert auch erwartet wurden. Dass Brahms zu Beginn des langsamen Satzes in das leere System der Klavierstimme parallel zur Melodielinie den Text »Benedictus qui venit in nomine Domini« notierte, war Anlass zu vielen Spekulationen, noch dazu, weil er in einem Brief an Clara Schumann erwähnt hatte, dass er an einem »sanften Porträt« von ihr male, »das denn Adagio werden soll«. Hierzu gibt es verstiegene Interpretationen, die im Zitat aus dem Messordinarium einen Ausspruch Claras vermuten. Denn immerhin bediente sie sich eines religiö­ sen Vokabulars, um das »Erscheinen« von Brahms im Schumann’schen Hause zu beschreiben. Brahms habe nun – so eine Meinung – eine Situation bewusst kompositorisch reflektiert, in der er als Heilsbringer der Musik be­ grüßt wurde. Kaum vorstellbar bei Brahms’ eher zurückhaltendem und be­ scheidenem Wesen. Plausibler scheint die Verbindung zu E.T.A. Hoffmanns Roman »Lebensansichten des Katers Murr«: Das »Benedictus«-Zitat steht auf dem Portal des Klosters, in dem der Kapellmeister Johannes Kreisler zu sich selbst und zur Ruhe findet. Brahms kannte diesen Roman, nannte sich 18 19 im Kreise seiner Freunde auch gerne Johannes Kreisler und signierte sogar Werke mit diesem Pseudonym. In die gedruckte Partitur wollte Brahms das Zitat jedenfalls nicht aufnehmen – ein Zeichen dafür, wie wenig wichtig es ihm letztendlich war. Mit oder ohne poetischem »Fingerzeig« (Schumann) spiegelt das Adagio eine fast religiöse Atmosphäre wider, die auch Joachim wahrnahm und als »erhebende Andacht« bezeichnete. »Ein Gespräch mit Frau Schumann brachte mich dahin«, schrieb Joachim über das Finale des Konzerts an Brahms, »zu wünschen, Du möch­ test einen andern letzten Satz schreiben, da das Ändern oft mehr Mühe macht als das frische Schaffen. Aber es wäre doch schade um vieles be­ deutende in dem Rondo, und vielleicht gewinnst Du’s doch über Dich, mit erstem Ungestüm wieder hinein zu arbeiten, um die einigen Stellen neu zu schaffen; das wäre mir lieb.« Nach Joachims Urteil überarbeitete Brahms den Schlusssatz rigo­ros. Charakteristisch für das vom Solisten vorgestellte wiederkehrende (Ritornell-)Thema des revidierten Rondos ist die Begleitung der linken Hand, die einerseits an Klavierfigurationen von Bach und Händel erinnert, andererseits dem Thema einen nervösen Puls verleiht, der sich in der Pizzicato-Vorschrift der Streicher fortsetzt. Zu dieser komponierten Unruhe trägt auch eine Verschleierung des Taktschwerpunkts bei: Man glaubt anfangs, einen Auftakt zu hören. Die Irreführung des Hörers gehört zu Brahms’ Stilmitteln, so auch, wenn er – sich gleichsam hinter der Maske der Tradition verbergend – satztechnisch an die Vergangenheit anknüpft, um aber sogleich wieder zu zeigen, dass er dies spielerisch seinen ureige­nen Inten­t ionen unterzuordnen weiß. R en ate U l m 10. SYMPHONIEKONZERT Staatskapelle li e HÉLÈNE GRIMAUD BRAHMS © DG / Mat Hennek w w w.faceb ook .com / sta atsk a pelle.dresden 20 21 KLAVIERKONZERTE NR. 1 & 2 SYMPHONIEORC HESTER DES BAYERISC HEN RUNDFUNKS • WIENER PHILHARMONIKER ANDRIS NELSONS Live: 19.06. Dortmund · 20.06. Bad Kissingen · 22.06. München www. helenegrimaud.de 10. SYMPHONIEKONZERT MUSIKALISCHES AbBILD DES LEBENS BARTÓKS »Konzert für Orchester« Béla Bartók * 2 5 . M ä rz 18 81 im u n g a ris chen N ag yszentmik ló s (heu te S â nni co l au M a re, R u m ä nien) † 2 6 . S eptem b er 194 5 in N e w York Konzert für Orchester Sz 116 1. Introduzione. Andante non troppo – Allegro vivace – Tempo I 2. Giuoco delle coppie. Allegretto scherzando 3. Elegia. Andante, non troppo 4. Intermezzo interrotto. Allegretto 5. Finale. Pesante – Presto E ntsteh u n g Besetz u n g zwischen 15. August und 8. Okto­ 3 Flöten (3. auch Piccoloflöte), ber 1943 im Auftrag der Koussevitzky 3 Oboen (3. auch Englischhorn), Music Foundation; Anfang 1945 3 Klarinetten (3. auch Bassklarinette), Verlängerung des Finaleschlusses 3 Fagotte (3. auch Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, Widm u n g 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Koussevitzky Music Foundation, im Schlagzeug, 2 Harfen, Gedenken an Natalie Koussevitzky, Streicher die verstorbene Gattin des Dirigenten Dau er Ur au f f ü hr u n g 1. Dezember 1944 in der Symphony Hall in Boston durch das Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Serge Koussevitzky 22 23 ca. 40 Minuten I m Oktober 1940 emigrierte Béla Bartók von Ungarn nach New York. Nichts hielt ihn mehr in der Heimat: Der Tod der Mutter im Dezem­ ber 1939 und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatten ihn zu der lange überlegten Entscheidung bewogen. Aber auch in der neuen Heimat war Bartók nicht glücklich, er hatte existenzielle Sorgen. Seine Werke wurden in den USA so gut wie nicht aufgeführt, Bartók sprach von einer »Quasi-Boykottierung … seitens der führenden Orchester«. Dies führte zu einer materiellen Notlage. Außerdem schritt seine schwere Krankheit zunehmend fort; er litt an Leukämie – was ihm die Ärzte jedoch verheim­ lichten. Unter diesen schwierigen Umständen hatte er sich geschworen, kein neues Werk mehr zu komponieren. Dann geschah etwas völlig Unerwartetes: An einem Sommertag des Jahres 1943 – Bartók lag zu dieser Zeit im New Yorker Doctors Hospital – besuchte ihn Serge Koussevitzky, der damalige Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra, der für sein Interesse an der zeitgenössischen Musik bekannt war. Über den Geiger Joseph Szigeti hatte er von Bartóks Notsitua­ tion erfahren und bestellte nun im Auftrag der Koussevitzky Music Founda­ tion ein neues Orchesterwerk bei ihm, das seiner kurz zuvor verstorbenen Frau, Natalie Koussevitzky, gewidmet sein sollte. Nach einigem Zögern willigte Bartók ein, Koussevitzky gab ihm daraufhin einen Scheck über die Hälfte der Auftragssumme. Bartók begann fieberhaft zu arbeiten. Bereits am 8. Oktober, während eines Sanatorium-Aufenthaltes in Saranac Lake, schloss er die Partitur des »Concerto for Orchestra« ab. Das Werk wurde am 1. Dezember 1944 unter Serge Koussevitzky in Boston uraufgeführt, der es begeistert als das »beste Orchesterwerk der letzten 25 Jahre« pries. »Der Titel dieses symphonischen Orchesterwerkes findet in der konzertierenden oder solistischen Behandlung einzelner Instrumente oder Instrumentengruppen seine Erklärung», erläuterte Bartók den Titel 10. SYMPHONIEKONZERT »Auch an Gelegenheit zur Ausübung von Kammermusik fehlte es nicht, und so lernte ich bis zu meinem 18. Jahre die Musikliteratur von Bach bis Brahms – Wagner jedoch nur bis zum ›Tannhäuser‹ – verhältnismäßig genügend kennen. Inzwischen kom­ponierte ich fleißig unter starkem Ein­flusse von Brahms und den Jugend­werken des um vier Jahre älteren (Ernst von) Doh­nányi, nament­lich seines Opus 1.« im Programmheft. »Die ›virtuose‹ Behandlung erscheint z.B. in den Fugato-Abschnitten der Durchfüh­ rung des 1. Satzes (Blechbläser) oder in den ›perpetuum mobile‹artigen Passagen des Hauptthemas des letzten Satzes (Streicher), ins­ besondere aber im 2. Satz, in dem die Instrumente jeweils paarweise nacheinander mit brillanten Passa­ gen einsetzen.« Mit dem »konzer­ tanten« Charakter orientierte sich Bartók an historischen Vorbildern, Selbstbiografie von Béla Bartók dem barocken Concerto grosso und aus dem Jahr 1921. Die Auseinander Sinfonia concertante, was er mit dersetzung mit Brahms’ Schaffen der Verwendung italienischer Satz­ besaß für ihn in jungen Jahren bezeichnungen unterstrich. entscheidende Bedeutung. Neue Aber auch die symphoni­ Impulse erhielt sein Komponieren sche Tradition hinterließ in dem 1902 durch das Erlebnis des »Zara­ Werk ihre Spuren. Bartók griff auf verschiedene, aus der Symphonik thustra« von Richard Strauss und später durch die Erkundung der bekannte Satztypen zurück (Sona­ osteuropäischen Volksmusik. tensatz, Scherzo, langsamer Satz), allerdings erweiterte er die tradi­ tionelle Viersatzfolge um ein zweites Scherzo zur Fünfsätzigkeit. Über den Charakter der Komposition äußerte er: »Die Grundstimmung … stellt – vom heiteren 2. Satz abgesehen – einen allmählichen Übergang von der Strenge des 1. und der schwermütigen Totenklage des 3. Satzes zur Lebensbejahung des Finales dar.« Pate stand hier womöglich Beethovens fünfte Symphonie mit ihrer »Per aspera ad astra«-Dramaturgie (»Durch Nacht zum Licht«). Großartiges Spätwerk Formal zeigt das »Concerto« – ganz typisch für Bartóks Stil – eine symme­ trische, bogenförmige Anlage. Im Zentrum steht der »herzzerreißende Klagegesang« (Bartók) der »Elegia«, die von zwei »Rahmen« umgeben ist: von den beiden Scherzosätzen mit programmatischen Titeln (Sätze 2 und 4) und von den beiden Ecksätzen. Stilistisch machte Bartók, wie in den meisten seiner Kompositionen, auch in diesem Werk ausgiebig Gebrauch von der Volksmusik seiner Heimat. Im Vergleich zu früheren Werken ist dieser Ein­ fluss – bei aller Fülle des Ausdrucks – hier aber stilisierter, konzentrierter: ein Kennzeichen von Bartóks Altersstil. 24 25 Béla Bartók in den Vereinigten Staaten, 1941 10. SYMPHONIEKONZERT men folgen nacheinander. Sie bilden den Kern des Satzes und sind von einem verschwommenen Gewebe gestaltenloser Motive umgeben.« (Bartók) Der leidenschaftliche »Klagegesang« basiert im Wesentlichen auf musikali­ schem Material aus der Einleitung zum Kopfsatz. Dazu erklingen impressio­ nistische Glissandi in Harfen und Holzbläsern, mit denen Bartók bereits in seiner Oper »Herzog Blaubarts Burg« den »Tränensee« charakterisierte. Im vierten Satz, dem »Intermezzo interrotto« (»Unterbrochenes Zwischenspiel«), sind die programmatischen Züge besonders ausgeprägt: Die Holzbläser stimmen zu Beginn ein simples Serenaden-Thema an, später folgt eine sentimentale Melodie der Streicher, die das ungarische Operet­ tenlied »Schön, wunderschön bist du, Ungarland« zitiert. Dann kommt es zu der »Unterbrechung«: In grotesker Verzerrung bricht ein Gassenhauer herein – ein Zitat aus Dmitri Schostakowitschs »Leningrader« Symphonie, dem wiederum das frivole Couplet »Heut geh’ ich ins Maxim« aus Franz Lehárs »Lustiger Witwe« zugrunde liegt. Eine ungarische Idylle wird von der Realität überrollt. Möglicherweise spielte Bartók hier auf den Übergriff der Faschisten auf Ungarn an … Béla Bartók in seiner Wohnung in Budapest in den Jahren vor seiner Emigration in die USA Der erste Satz, die »Introduzione«, wird durch eine langsame Einleitung eröffnet. Mehrmals steigt eine düstere Quartfolge in Celli und Kontrabässen auf. In der Flöte erklingt eine elegische Melodie, die sich zum leidenschaft­ lichen Klagegesang des Orchestertuttis steigert. Im schnellen Hauptteil des Satzes intonieren die Violinen ein schwungvolles Hauptthema; später tritt die Posaune mit einem fanfarenartigen Quartthema hervor, das – wie Bartók es schilderte – mit fugierten Einsätzen die virtuose Durchführung beherrscht. »Giuoco delle coppie« (»Spiel der Paare«) lautet der Titel des zwei­ ten Satzes. Hier kommt es zum solistischen Musizieren einzelner Bläser­ paare, wobei das Spiel jedes einzelnen Paares durch einen eigenen Inter­ vallabstand gekennzeichnet ist: Die Fagotte musizieren in Sexten, die Oboen in Terzen, Klarinetten in Septimen, Flöten in Quinten und die Trompeten im Sekund-Abstand. Nach einem choralartigen Zwischenteil im Blech wieder­ holt sich das »Spiel der Paare« in angereicherter Form. Der Satz beginnt und schließt mit dem dezenten Solo der kleinen Trommel. Die »Elegia« an dritter Stelle führt in das formale und emotionale Zentrum des Werkes. Hier ist »die Konstruktion … kettenartig, drei The­ 26 27 Idylle und Realität Das Finale ist ein überschwänglicher Volkstanz, wie ihn Bartók bereits an das Ende seiner »Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta« gestellt hatte. Nach einer Fanfare der Hörner wird eine ganze Fülle von Themen exponiert, die Durchführung ist – wie im ersten Satz – wieder als monumentale Fuge gestaltet. Am Ende erstrahlt das Fugenthema, wie durch Nebel aufsteigend, triumphal in den Blechbläsern. Der ganze Satz zeugt von jener »Lebensbejahung«, die Bartók im Voraus beschrieb. Und in der Ver­ wendung von tschechischen und rumänischen Volksmelodien brachte Bartók außerdem seine Utopie einer Verbrüderung der Völker zum Ausdruck. Der ungarische Bartók-Forscher György Kroó erkannte in den ein­ zelnen Sätzen des Konzerts »die verschiedenen Aspekte des Lebens – Bilder des Kampfes, des Spiels, der Sehnsucht und der Ironie, zuletzt der Sieg oder, da wir 1943 schreiben, die Vision einer Befreiung«. Neben dem allgemei­ nen, zeitgeschichtlichen Zusammenhang reflektierte Bartók in dem Werk aber vermutlich auch seine ganz persönliche Situation, die gesundheitliche Erholung, die neu aufkeimende Hoffnung. Allerdings war dieser Zustand nur von kurzer Dauer: Einige Monate nach der Uraufführung des Konzerts, das heute zu den beliebtesten Orchesterwerken des 20. Jahrhunderts gehört, erlag er am 26. September 1945 im New Yorker West Side Hospital seiner schweren Krankheit. To b i a s N ieders ch l ag 10. SYMPHONIEKONZERT 10. Symphoniekonzert 2013 | 2014 Orchesterbesetzung Unter Mitwirkung von Musikerinnen und Musikern des Gustav Mahler Jugendorchesters 1. Violinen Kai Vogler 1. Konzertmeister Thomas Meining Jörg Faßmann Michael Frenzel Johanna Mittag Susanne Branny Barbara Meining Birgit Jahn Martina Groth Henrik Woll Anja Krauß Anett Baumann Sae Shimabara Renate Peuckert Alexa Farré-Brandkamp (Spanien/Deutschland) Michail Kanatidis (Griechenland) 2. Violinen Heinz-Dieter Richter Konzertmeister Matthias Meißner Annette Thiem Olaf-Torsten Spies Mechthild von Ryssel Kay Mitzscherling Martin Fraustadt Johanna Fuchs Paige Kearl Janosch Armer ** Rudolf Conrad * Steffen Gaitzsch * Anne-Catherine Eibel (Frankreich) Leticia Herranz Rubio (Spanien) 28 29 Bratschen Volker Sprenger * S o lo Andreas Schreiber Anya Muminovich Michael Horwath Uwe Jahn Ralf Dietze Zsuzsanna Schmidt-Antal Claudia Briesenick Susanne Neuhaus Milan Líkař Marie-Louise de Jong (Niederlande) Lourenço Macedo Sampaio (Portugal) Violoncelli Simon Kalbhenn S o lo Martin Jungnickel Uwe Kroggel Matthias Schreiber * Andreas Priebst Johann-Christoph Schulze Jakob Andert Anke Heyn Dorran Alibaud (Frankreich) Moritz Weigert (Deutschland) Kontrabässe Martin Knauer S o lo Petr Popelka Helmut Branny Fred Weiche Reimond Püschel Thomas Grosche Harald Winkler * Anna Gruchmann-Bernau (Österreich) Flöten Rozália Szabó S o lo Dóra Varga Diego Aceña Moreno (Spanien) Oboen Céline Moinet S o lo Sibylle Schreiber Michael Goldammer Klarinetten Wolfram Große S o lo Jan Seifert Jernej Albreht (Slowenien) Fagotte Erik Reike S o lo Andreas Börtitz Maria José Rielo Blanco (Spanien) Posaunen Uwe Voigt S o lo Guido Ulfig Michael Böhm (Österreich) Tuba Hans-Werner Liemen S o lo Pauken Bernhard Schmidt S o lo Schlagzeug Jakob Eschenburg ** Harfen Vicky Müller S o lo Clara Bellegarde (Frankreich) Hörner Jochen Ubbelohde S o lo Harald Heim Miklós Takács Marie-Luise Kahle ** Trompeten Tobias Willner S o lo Volker Stegmann Sven Barnkoth K u rsi v: M itg l ieder des G u stav M a h l er J u g endor chesters * a l s G a st ** A l s Ak a demist/ in 10. SYMPHONIEKONZERT Vorschau Konzerte zum 150. Geburtstag von Richard Strauss 4. Aufführungsabend D onnerstag 15 . 5 .14 2 0 U H R | S E M P ER O P ER Christian Thielemann Dirigent Richard Strauss Serenade op. 7 für 13 Blasinstrumente Sonatine Nr. 1 für 16 Blasinstrumente »Aus der Werkstatt des Invaliden« »Metamorphosen«, Studie für 23 Solostreicher 11. Symphoniekonzert 1 9. –2 1 S onntag 8 . 6 .14 11 Uhr | M ontag 9. 6 .14 2 0 Uhr | S emperoper 4 .9.2 0 1 Christian Thielemann Dirigent Anja Harteros Sopran E l a n at i o Wolfgang Rihm »Ernster Gesang« für Orchester (1996) Richard Strauss »Letzte Lieder«: »Frühling«, »September«, »Beim Schlafengehen«, »Im Abendrot«, »Malven«, Orchesterfassung von Wolfgang Rihm (2013), Auftragswerk der Osterfestspiele Salzburg und der Sächsischen Staatskapelle »Eine Alpensinfonie« op. 64 H C S T I W O K A T S O H C S ta g e H C S I R GOH r e t n i 5. n k aya in n it s n n a V m t s o v, A , a B a lt ic ha Ne e r ata r t e t t, J a s c u s ik e r d e r Krem , a M r , u t e q t m e h uart n Kre t r e ic , G id o r e s d n e r S -S ta in e r -Q e n u .v.a . n a j a s D u sd i, l Kar z o w s k d e n, J a c o b p e l l e D r e Is a b e r p l at il J u r s at s k a h e at e T a t M ic h a n c e r t D r e m S a n Co ache is c h e 6 Vocal Sächs in k e lw / 6616 er Sch ter 035021 d in n n g e .d e e u a t -t r ie h a K sow w it s c s ta k o si k ermu .s c h o w K a m m r e sd e n w d w D it e r e on m a p e ll p e r ati a ats k In K o o si sc h e n St ch d e r Sä Sonderkonzert am 150. Geburtstag von Richard Strauss M itt wo ch 11. 6 .14 2 0 Uhr | S emperoper , Christian Thielemann Dirigent Christine Goerke Sopran Anja Harteros Sopran Camilla Nylund Sopran Richard Strauss Auszüge aus den Dresdner Uraufführungsopern »Feuersnot«, »Salome«, »Elektra«, »Der Rosenkavalier«, »Intermezzo«, »Die ägyptische Helena«, »Arabella«, »Die schweigsame Frau« und »Daphne« 10. SYMPHONIEKONZERT I mpress u m Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © Mai 2014 R eda ktion Dr. Torsten Blaich Gesta lt u n g u nd L ayo u t schech.net Strategie. Kommunikation. Design. Druck Union Druckerei Dresden GmbH Anzei g en v ertrie b EVENT MODULE DRESDEN GmbH i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH Telefon: 0351/25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de Bi l dn ac h w eis Julia Bayer (S. 5); Mat Hennek/Deutsche Grammophon (S. 6); Cosimo Filippini (S. 8); Matthias Creutziger (S. 11, 12); Christiane Jacobsen: Johannes Brahms, Leben und Werk, Hamburg 1983 (S. 16); Theatermuseum und -archiv der Niedersächsischen Staatstheater Hannover (S. 17); Historisches Museum Han­ nover (S. 18, 19); Ferenc Bónis: Béla Bartóks Leben in Bildern, Budapest 1964 (S. 25); Bartók Archives, Institute for Musicology, Research Centre for the Humanities of the Hungarian Academy of Sciences, mit freundlicher Geneh­ migung von Gábor Vásárhelyi (S. 26). T e x tn ac h w eis Der Einführungstext von Dr. Renate Ulm er­ schien erstmals in den Programmheften des Symphonieorchesters des Bayerischen Rund­ funks in der Saison 1996/1997. Der Text von Tobias Niederschlag ist ein Originalbeitrag für die Sächsische Staatskapelle und wurde in der Spielzeit 2003/2004 erstveröffentlicht. Juliane Stansch Persönliche Referentin von Christian Thielemann ♣♠♥♦♦ ♣ ♠ ♥♦♦ Jan Nast Orchesterdirektor Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung Dr. Torsten Blaich Programmheftredaktion, Konzerteinführungen ♠ ♠ ♦ ♦ ♥ ♥ ♠ ♣ H er au s g e b er Christian Thielemann Chefdirigent ♣ Spielzeit 2013 | 2014 ♥♥ ♠ Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann ♣ ♣ ♣♣ ♠♠ ♥♥ ♦♦ ♥ ♦♦ ♣♣ ♠ ♥ ♠ Bube, Dame, König, Strauss! Z u m 1 5 0 . G e b u r t s t a g v o n R i c h a r d S t r a u s s Matthias Claudi PR und Marketing Agnes Monreal Assistentin des Orchesterdirektors Sarah Niebergall Orchesterdisponentin Matthias Gries Orchesterinspizient Agnes Thiel Mathias Ludewig Dieter Rettig Notenbibliothek Eine außergewöhnliche Ausstellung über Richard Strauss und seine Dresdner Uraufführungen, zu sehen in den Foyers der Semperoper. Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. w w w. sta atsk a pe l l e - dresden . de PA R T N E R D E R S E M P E R O P E R U N D D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N Semperoper Dresden 32 PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N