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Jahrbuch 2012/2013 | Grill, Stephan | W ie sich Gew ebe bew egt – Epibolie im Zebrafisch
Wie sich Gewebe bewegt – Epibolie im Zebrafisch
The forces driving tissue movement - Epiboly in zebrafish embryos
Grill, Stephan
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Bei der Epibolie stülpt sich in Zebrafisch-Embryonen Gew ebe über das nährende Dotter – w ie eine über den
Kopf gezogene Mütze. Bisher vermutete man die auslösende Kraft dafür in einem Ring, der sich selbstständig
zusammenzieht. Doch die Wachstumsbew egung ist komplexer: Ein Ring aus Aktin und Myosin zieht sich zw ar
tatsächlich rundum am unteren Gew ebeende zusammen, gleichzeitig lässt das Protein-Netzw erk aber auch
Material von der Unterseite des Dottersacks in den Ring strömen. Dieser neu entdeckte Mechanismus spielt die
zentrale Rolle, um die Zellschicht nach unten zu bew egen.
Summary
During gastrulation in zebrafish, the enveloping cell layer (EVL) spreads over the yolk cell – almost like a
w oolen hat that you pull over your head. This movement is driven by a contractile ring of the proteins actin
and myosin – so far, the ring w as thought to function by circumferential contraction only, like a simple pursestring. Max Planck researchers now show ed that the movement is instead driven by a flow -friction mechanism.
This mechanism generates a pulling force through resistance against retrograde actomyosin flow – the
actomyosin ring contracts also along its w idth.
Zebrafische laichen Eier ab, aus jedem einzelnen entw ickelt sich in nur fünf Tagen ein fertiger Fisch. Ein
w ichtiger Schritt w ährend dieser Entw icklung ist die sogenannte Gastrulation, die beim Zebrafisch als Epibolie
stattfindet: Bei dieser Wachstumsbew egung stülpt sich eine hautähnliche Gew ebeschicht, die Enveloping Cell
Layer (EVL) genannt w ird, über das nährende Dotter – w ie eine Wollmütze, die über den Kopf gezogen w ird.
Am Ende der Gastrulation umschließt die schützende Gew ebeschicht den gesamten Embryo (Abb. 1). Bisher
erklärte man sich die auslösende Kraft für diese komplexe Gew ebebew egung damit, dass sich ein Ring aus
den Proteinen Aktin und Myosin rundum am unteren Ende des Gew ebes zusammenzieht, das Gew ebe also
rafft – als ob man eine Mütze an der Krampe zusammenzieht. Solche Aktomyosin-Ringe steuern viele frühe
Entw icklungsprozesse; Ringgebilde aus Aktin und Myosin, die sich zusammenziehen, sind auch in andere
Prozesse involviert, etw a in W undheilung oder Zellteilung. W ie genau aber die Kräfte entstehen, w elche die
Gew ebeschicht über den kugelförmigen Embryo ziehen, w ar bisher unklar.
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A bb. 1: Ein Ze bra fisch-Em bryo ist k uge lförm ig. W ä hre nd de r
Entwick lung wird e ine ha utä hnliche Ge we be schicht übe r die
Kuge l ge stülpt. Va ria ble n zur the ore tische n Be schre ibung de s
P roze sse s sind illustrie rt, die rote n und grüne n P fe ile we ise n
a uf die im R ing be ste he nde n m e cha nische n Spa nnunge n hin.
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Die Arbeitsgruppe von Stephan Grill, die an zw ei Dresdner Max-Planck-Instituten angesiedelt ist – dem für
molekulare Zellbiologie und Genetik und dem für Physik komplexer Systeme – hat sich die physikalischen
Mechanismen genauer angeschaut, die den komplexen Gew ebebew egungen zu Grunde liegen. Ein erster Blick
galt der Verteilung der Proteine Myosin und Aktin. Kurz nach dem Einsetzen der Epibolie, w enn die äußere
Gew ebeschicht ungefähr 40 Prozent des Dotters abdeckt, zeigt sich tatsächlich eine Anreicherung der beiden
Proteine am unteren Rand der Gew ebeschicht – w ie ein breites Band zunächst, das sich dann im Laufe des
Prozesses zu einem Ring verengt.
Zerstört man diesen Aktomyosin-Ring – die Forscher haben ihn mit einem UV-Laser zerschnitten [1] – in dem
Moment, w enn die Epibolie zu 60 Prozent fortgeschritten ist, so lässt sich eine deutliche Verlangsamung der
Gew ebebew egung feststellen. Dies legt nahe, dass der Ring aus den beiden angereicherten Proteinen an sich
tatsächlich von fundamentaler Bedeutung für die Bew egung der hautähnlichen EVL-Schicht ist. Als nächstes
w urde
die
Kontraktion
der
unteren
Gew ebeschicht
entlang
des
Äquators
der
Embryo-Kugel
als
Bew egungsimpuls auf den Prüfstand gestellt. W ieder zerschnitt das Forschungsteam den Aktomyosin-Ring mit
einem Laser – diesmal in senkrechter Richtung zum Gew eberand. Die Beobachtung: Das Netzw erk aus Aktin
und Myosin schnalzte rapide auseinander w ie ein zerschnittener Gummi – ein Bew eis, dass er vor dem Schnitt
tatsächlich unter Spannung stand. W iederholt man den Versuch in verschiedenen Epibolie-Phasen, lässt sich
deutlich zeigen, dass das Auseinanderschnellen an Geschw indigkeit zunimmt, je w eiter die Gastrulation
fortgeschritten ist. Die Folgerung: Die Anspannung rund um den unteren Rand der Gew ebeschicht nimmt
w ährend der Epibolie ständig zu.
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A bb. 2: Ein R ing a us Ak tin und Myosin zie ht sich rundum a m
unte re n Ge we be e nde zusa m m e n, gle ichze itig lä sst da s
P rote in-Ne tzwe rk a uch e ine n Ma te ria lstrom von de r Unte rse ite
de s Dotte rsa ck s in de n R ing ström e n.
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Da der w achsende Embryo kugelförmig ist, ist die rundum laufende Kraft, die den Gew eberand nach unten
zieht, gleich Null am Äquator und w ird in Richtung des Südpols der Kugel immer größer. Experimente haben
aber gezeigt, dass das alleinige Einschnüren der Gew ebeschicht nicht ausreicht, um das Gew ebe über die
Dotterkugel zu stülpen. Die Forscher bemerkten eine zusätzliche Spannung auf der Achse der beiden Pole –
w oher rührt sie? Schaut man sich die Verteilung der Proteine Myosin und Aktin im Grundgew ebe mit
hochauflösender Spinning-Disk-Konfokalmikroskopie an, so offenbart das einen Materialstrom der beiden
Proteine vom unteren Pol in Richtung des Gew eberands (Abb. 2). Die senkrecht strömenden Proteine sind zu
Beginn der Epibolie recht langsam und beschleunigen dann im Verlauf des Prozesses. W urde nun dieser
Strömungsprozess in den theoretischen Modellen [1, 2] mit berücksichtigt, entsprachen alle gemessenen
Kräfte genau den theoretischen Voraussagen [3]. Insbesondere fügen sie dem bisherigen Erklärungsmodell
des kontraktilen Rings eine w eitere Dimension hinzu: Ein Aktomyosin-Ring zieht sich zw ar tatsächlich entlang
seines Umfangs zusammen, gleichzeitig sorgen Aktin und Myosin aber auch dafür, dass Material von der
Unterseite des Dottersacks in den Ring strömt und sich so der Ring auch in seiner Breite zusammenzieht. Die
Kombination aus diesen beiden Mechanismen lässt die Zellschicht nach unten w andern.
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A bb. 3: Die ursprüngliche Kuge lform e ine s wa chse nde n
Ze bra fisch-Em bryos wurde durch e ine n Trick zylindrisch
um ge form t. Da m it he rrsche n qua si übe ra ll die Be dingunge n,
wie sie a m Äqua tor a uftre te n.
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Daran schloss sich nun noch die Frage an, ob der Materialstrom vom unteren Pol die Wachstumsbew egung
alleine auslösen kann. Hierzu bedienten sich die Forscher eines Tricks: Am Äquator führt das Zusammenziehen
des Aktomyosin-Rings alleine nicht zu einer Fortbew egungskraft, hier kann nur der Aktomyosin-Strom für die
Fortbew egung
verantw ortlich
sein. Also
veränderten
die
Forscher die
ursprünglichen
geometrischen
Gegebenheiten des w achsenden Embryos von der Kugelform zur zylindrischen Form und sorgten so dafür,
dass der Ring an allen Stellen auf eine Situation trifft, w ie sie der am Äquator einer Kugel entsprechen w ürde
(Abb. 3). Dazu w urden w achsende Fischeier in ganz frühen Stadien mittels Agar-Röhrchen in zylindrische Form
gepresst. Bemerkensw erterw eise zeigte sich, dass der Aktomyosin-Ring durch die veränderte Geometrie nicht
beeinflusst w urde. Daraus schließen die Forscher, dass der neu entdeckte Mechanismus – der AktomyosinMaterialstrom von der Unterseite des Dottersacks in den Ring – alleine ausreicht, um die untersuchte
W achstumsbew egung auszulösen [3].
Die Arbeiten kombinieren biologische Experimente und physikalische Modelle, auch unter Mitarbeit von
Guillaume Salbreux, einem w eiteren Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme
(MPI-PKS) in Dresden. Angeführt w urde das deutsch-österreichische Team gemeinsam von Stephan Grill und
von Carl-Philipp Heisenberg, der bis 2010 am selben Dresdner Institut als Gruppenleiter tätig w ar und dann an
das Institute of Science and Technology Austria w eiterzog.
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Literaturhinweise
[1] Mayer, M.; Depken, M.; Bois, J. S.; Jülicher, F.; Grill, S. W.
Anisotropies in cortical tension reveal the physical basis of polarizing cortical flows
Nature 467, 617-621 (2010)
[2] Bois, J. S.; Jülicher, F.; Grill, S. W.
Pattern formation in active fluids
Physical Review Letters 106, 28103 (2011)
[3] Behrndt, M.; Salbreux, G.; Campinho, P.; Hauschild, R.; Oswald, F.; Rönsch, J.;
Grill, S. W.+;
Heisenberg, C. P.+; +corresponding authorship
Forces driving epithelial spreading in zebrafish gastrulation
Science 338, 257-260 (2012)
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