Manfred Pittioni ÖKONOMIE, POLITIK - gottfried

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Manfred Pittioni
ÖKONOMIE, POLITIK, KULTURTRANSFER
Zur Wirtschaft des Osmanischen Reiches zwischen 1300 und 1600
Zur Geschichte der Osmanen und zum Aufstieg eines „European Players“ das
folgende Zitat:
„Sie traten relativ geräuschlos in die Weltgeschichte ein, schufen dann aber einen
riesigen multiethnischen Staat, dessen zivilisatorischer Standard dem ihrer jeweiligen
europäischen Zeitgenossen mehr als gleich kam: die Osmanen.“1
Festgelegte Meinungen und Klischees, die über lange Zeit wirksam waren,
sind sehr schwer zu korrigieren. So ist es auch mit den Eindrücken, die heute noch
über das Osmanische Reich und seine Stellung in der Weltwirtschaft nachschwingen.2
Dieser Beitrag ist ein Versuch, ein Bild seiner Wirtschaft und der sich dahinter
befindlichen Ideologie zu zeichnen und dabei auch die wechselvolle Geschichte der
Außenhandelsbeziehungen mit den europäischen Ländern darzustellen.
Wenn wir auf die Wirtschaftsgeschichte des Großreichs der Osmanen von
1300 bis 1600 zurückblicken, so sind wir heute noch von dem Bild stark beeinflusst,
welches wir durch die zeitgenössische europäische Presse des 19. Jahrhunderts
vermittelt bekamen. Darin wurde uns mitgeteilt, dass dieses Reich, was seine
Wirtschaft anbelangte, zu den wirtschaftlich weniger entwickelten Staaten der
damaligen Zeit gehörte und dass es ihm nicht gelungen war, den Anschluss an das
Niveau der großen Industriestaaten Europas zu finden.3 Oder, um mit Wallerstein zu
sprechen, die Osmanen wurden der Peripherie zugerechnet. Das heißt, dass das
industrielle Europa Industrieprodukte exportierte und vom türkischen Reich nur
Rohstoffe nach Europa gelangten. 4
Zahlen über wirtschaftliche Vorgänge sind für den Historiker zwar immer eine
willkommene Quelle, leiden aber fast immer unter ihrer Glaubwürdigkeit. Um nur
1
Marlene P. HILLER in: Damals, Das Magazin für Geschichte und Kultur, 9/2003, S. 15.
Siehe dazu die Einleitung des Werkes von C. BROWN ed., Imperial Legacy, New York 1996 in
welcher die Verzerrungen des historischen Bildes des Osmanischen Reiches dargestellt werden.
2
Siehe dazu auch die Ausführungen von Roger OWEN in: The Middle East in the World Economy
1800 – 1914, London and New York 1981, S. 1 – 2, wo er sich gegen die verschiedenen “decline
theories” der traditionellen Geschichtsschreibung wendet. Siehe zu diesem Thema auch die Arbeit
von Huri ISLAMOGLU-INAN, The Ottoman Empire and the World Economy, Cambridge 1987.
3
Immanuel WALLERSTEIN, Das moderne Weltsystem I - Die Anfänge kapitalistischer
Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1986, S. 100.
4
2
einige Beispiele aufzuzählen – die Register der Zoll- und Steuerbehörden etwa des
16. Jahrhunderts geben uns zwar Aufschluss über die Anzahl der in einem Hafen
eingelaufenen Schiffe und deren Fracht. Sie können aber nicht darüber Auskunft
geben, welche Waren wirklich auf diesen Schiffen waren. Die Kapitäne lieferten sehr
gerne falsche Angaben, um die Abgaben niedrig zu halten. Dazu kommt noch, dass
auch viele Schiffe ihre Ladung nicht in den Häfen selbst sondern vor der Küste
ausluden, um den Steuern zu entgehen. Schmuggel ist so alt wie die Weltwirtschaft
selbst.
Von der klassischen osmanischen Historiographie wird die Periode von 1300
bis 1600 als die „Klassische Zeit“ und das 17. Jahrhundert als die Ära der
Veränderung und das 18. Jahrhundert als das Zeitalter der „Ayane“ (könnte man etwa
mit Teilfürsten übersetzen), bezeichnet, in welchem eine starke Dezentralisierung des
Reiches stattfand.5
Zur Frühgeschichte des Osmanischen Reiches
Die osmanischen Eroberungen des 15. und 16. Jahrhunderts brachten auch
wirtschaftliche Veränderungen der besetzten Gebiete mit sich. Ehemalige
Tributstaaten wurden nach ihrer Eingliederung in das zentrale Administrativsystem
vorerst als Provinz (türkisch: sancak) registriert, die lokalen Dynastien wurden
entweder eliminiert oder ihre Mitglieder als Beamte eingegliedert. Die
Grundbewirtschaftung wurde in das so genannte Timar-System umgewandelt,
welches die Basis der osmanischen wirtschaftlichen Wertschöpfung darstellte.6
Die Bevölkerung war damit faktisch in zwei Klassen gegliedert, der
militärischen und administrativen (askeri) , welche nicht besteuert wurde stand die
„Herde“ (reaya) gegenüber, welche sich aus den Bauern, den Kaufleuten und den
Handwerkern zusammen setzte. Letztere hatten als produzierende Schicht die
Abgaben zu leisten.
Und noch eine kurze Bemerkung zur Gesellschaft dieses Großreiches: die
Stärke der Osmanen entsprang eigentlich ihrer Schwäche: denn die Türken selbst
waren gemessen an der Gesamtbevölkerung nicht zahlreich und verfügten auch nicht
über die Fähigkeiten zu regieren und waren technisch unterlegen. Daher war ihr
Regime so wie das der Mogulherrscher in Indien von pragmatischer Toleranz
geprägt. Der Aufstieg in der Gesellschaft wurde nicht durch Geburt, sondern durch
Leistung bestimmt.7
Das Osmanische Reich unterhielt schon in seiner Frühzeit im
14. Jahrhundert geschäftliche Kontakte mit europäischen Kaufleuten, vor allem
waren es solche aus Venedig und später Genua, welche schon lange den Fernhandel
Halil INALCIK ed., An Economic and Social History of the Ottoman Empire 1300 – 1914,
Cambridge 1994, S. I.
5
6
Ebenda S. 14.
G.V. SCAMMELL, The First Imperial Age, European Overseas Expansion c. 1400 – 1715, London
1989, S. 7.
7
mit den Kleinfürstentümern Anatoliens und im Schwarzen Meer dominierten.8 Die
Italiener unterhielten bereits seit der Zeit der Kreuzzüge Handelsniederlassungen in
Konstantinopel und anderen Städten Kleinasiens. Es waren dies teilweise auch
befestigte Stützpunkte, die auch aus byzantinischer Zeit herrührten. Bis zum Ende
des 16. Jahrhunderts beherrschten die beiden Seerepubliken die Abwicklung der
Handelsgeschäfte zwischen der Levante und Europa, einfach weil sie die längsten
und besten Verbindungen hatten und auch über das entsprechende Netzwerk an
Kontakten sowie die entsprechende Organisation verfügten. Das weit verbreitete
koloniale Stützpunktsystem Venedigs, aber vor allem Genuas wurde durch die
Eroberungen Mehmets II. (Konstantinopel 1453 und Krim 1475) zwar sehr
eingeschränkt und zerstört, die Italiener konnten ihre Positionen im Fernhandel
trotzdem durch ihre Kontaktnetzwerke und ihre ausgefeilten Handeltechniken
behaupten.9
3
Dazu die Textstellen Anhang 1 aus Kate Fleet , European and Islamic Trade in the
early Ottman State. The Merchants of Genoa and Turkey, Cambridge 1999, S. 134 –
141 sowie 147 - 149.
Das 16. Jahrhundert und die Wirtschaftsstruktur des Osmanischen Reiches
Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass der mehr oder wenige einheitliche
Wirtschaftsraum, den das Osmanische Reich nach den Eroberungen des 15. und
frühen 16. Jahrhunderts darstellte, für die Gesamtwirtschaft einen großen Vorteil
brachte. Die Tatsache, dass durch die militärische Präsenz in weiten Teilen des
Reiches Frieden herrschte, belebte die Landwirtschaft und begünstigte Handel und
handwerkliche Produktion. Die Zusammenführung vieler Regionen in einen
einheitlichen Staat, die Aufhebung lokaler Handelsbarrieren und die Sicherheit der
Karawanenwege wie auch die Vertreibung von Piraten brachten Wohlstand. 10Dazu
kam noch ein Bevölkerungsanstieg, der im 16. Jahrhundert bis zu 40 % betragen
haben soll.11
Die islamischen Vorschriften für eine gerechte Verteilung aller Güter, die Idee
der Wohlfahrt aller Einwohner beherrschte die Denkweise der Regierenden. Daher
wurden bei der Überwachung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Reich die
osmanischen Behörden von den folgenden Grundmaximen geleitet: Die militärische
Kate FLEET, European and Islamic Trade in the early Ottoman State. The Merchants of Genoa and
Turkey, Cambridge 1999.
9 Janet L. ABU LUGHOD, Before European Hegemony, The World System A.D. 1250 – 1350, New
York – Oxford 1989, S. 108. “The Genoese and to a lesser extent the Venitians had begun the long
process of tipping the fulcrum of the world system. By the thirteenth century “the centre of gravity (of
Europe at least) had definitively moved to the “big four” of northern and central Italy (Venice, Milan,
Genoa and Florence) whose powerful merchants had a firm grip on the routes towards the fertile and
industrious European hinterland and endeavoured to reach far beyond the declining Islamic façade
into the depths of Asia and Africa”. (Zitiert nach LOPEZ, Genoa S. 99)
10 Huri ISLAMOĞLU - INAN ed., The Incorporation of the Ottoman Empire into the WorldEconomy, Cambridge 1987, S. 88 – 91. “ About 1500, the Ottoman Empire was a world-empire, still
in its expanding phase.”
8
11
OWEN, Middle East S. 3.
4
Grundversorgung und damit ihre Kampfbereitschaft musste immer gesichert sein,
ebenso die städtische und ländliche Sicherheit. Darüber hinaus musste auch die
Steuereinhebung die benötigten Abgaben erbringen. Zur Erhaltung dieses Systems
waren dazu Beamte der Pforte am Werk. In Gegenden, wo die osmanische
Herrschaft nur oberflächlich vorhanden war, bediente man sich lokaler Potentaten,
welche die öffentliche Ordnung aufrecht erhielten und die Steuern eintrieben.12 Was
die Kontrolle der Steuereinhebungen betrifft, so war die Situation in langen Phasen
des 16. Jahrhunderts dergestalt, dass man im Sinne dieser Zeit von einem Rechtsstaat
sprechen konnte. Dazu ein Beispiel aus der ungarischen Stadt Debrezen aus dem
Jahre 1566, deren christliche Bürger durch ein Dekret des Beglerbegs (Gouverneur
mehrerer Provinzen) vor muslimischen Steuereintreibern geschützt wurden.
Die Landwirtschaft
Die Grundlage der osmanischen Wirtschaft bildete die Landwirtschaft, welche
den größten Teil der ökonomischen Wertschöpfung erbrachte. Dabei gehörte das
Hauptproduktionsmittel, der Boden, grundsätzlich dem Staat, also formell dem
Sultan. Das vererbbare Privateigentum (mülk), welches es auch gab, machte nie mehr
als 5 – 10 % der Gesamtfläche aus. Dazu kamen noch die frommen Stiftungen (vakf),
welche etwas mehr Anteil am Boden hatten. Der staatliche Grundbesitz (arz-i miri)
wurde durch den Fiskus verwaltet und in Form von Pfründen an Militärangehörige,
die Sipahis, aber auch an Zivilbeamte vergeben. Dieses so genannte Timar - System
diente zur Finanzierung eines großen Teils der Provinztruppen13. Die Pfründen
waren nicht erblich und konnten weder verkauft noch verschenkt werden.
Dabei wurde das Recht auf die Inanspruchnahme eines Timars vom Sultan
persönlich vergeben und in Fällen von Streitigkeiten trat seine Kanzlei in Aktion.
Die auf diesen Gütern arbeitenden Bauern waren nicht leibeigen und die
Sipahis übten auch keine Gerichtsbarkeit über sie aus. Damit war die osmanische
Landgesellschaft des 16. Jahrhunderts weitgehend offener als die gesamten
europäischen Systeme. Die Sipahis waren während des Kriegsdienstes von ihren
Gütern abwesend und konnten daher die Abgaben nicht selbst eintreiben. Daher gab
es ein ausgeklügeltes Vertretungssystem, das besonders für den Fall von
Winterfeldzügen wichtig war. Die Steuereinhebung wurde dabei von anderen, eigens
dazu bevollmächtigten Sipahis aus der Region vorgenommen. (Siehe Dokumente
Anhang 7-9).
Es gab drei Arten von Pfründen. Die Kleinpfründen, welche den Timarioten
zur Verfügung standen, waren solche, die einen Jahresertrag von 19.999 Aspern (aqçe)
nicht überschritten. Die Großpfründen (ziamet) standen den höheren Offizieren und
Beamten zu und brachten von 20.000 bis 99.999 Aspern an Jahreseinnahmen. Die
dritte Art, die so genannten Stabspfründen oder has waren für hohe Würdenträger
Ebenda S. 10.
Gazi CAĞLAR, Die Türkei zwischen Orient und Okzident, Eine politische Analyse ihrer
Geschichte und Gegenwart, Münster 2003, S. 87 – 88.
12
13
5
wie Wesire, Beglerbege und Sandschakbegs vorbehalten, ihr Ertrag belief sich auf
mindestens 100.000 Aspern.
Jedoch wurde nicht der gesamte Staatsbesitz an die Soldaten und Beamten
vergeben, sondern ein Teil diente auch dazu, in Form von Staatsdomänen den immer
vorhandenen Bargeldbedarf des Fiskus zu stillen. Diese has-i hümayun wurden zumeist
an Steuerpächter (mültezim) übergeben, welche eine vorher festgesetzte
Abgabensumme (mukataa) abzuliefern hatten. Da dies ein einträgliches Geschäft war,
waren diese Pachten sehr begehrt und der Staat ging dazu über, diese an den
Meistbietenden zu vergeben.
Die Bauernschaft war, wie schon erwähnt, relativ frei, jedoch bestand eine
Bearbeitungspflicht des überlassenen Landes. Die Steuern, welche zu zahlen waren,
bestanden aus Naturalabgaben und auch aus Dienstleistungen wie Straßenbau oder
Hand- und Spanndienste.
Neben den Bauern gab es auch eine Sklavenwirtschaft im Osmanischen Reich.
Diese wurden von Angehörigen der Oberschicht beschäftigt, jedoch arbeiteten sie
auch in der Landwirtschaft. Die Janitscharen, welche ja auch formell Sklaven (kul)
waren, bekamen jedoch zum Unterschied von den gewöhnlichen Sklaven einen Sold
und ihre dienstliche Stellung war vertraglich geregelt.14
Das Handwerk
Dieser Zweig der Wirtschaft beschränkte sich im Wesentlichen auf die Städte,
volkswirtschaftlich gesehen war er gegenüber der Landwirtschaft von geringerer
Bedeutung. Zentrum war der jeweilige Basar einer Stadt, wo Händler und
Handwerker in Gilden (esnaf) organisiert waren. Letztere kontrollierten Preise,
Qualität und Maße. Diese Maßnahmen hatten den Zweck, eine integrierte Wirtschaft
zu schaffen, welche die Versorgung mit Nahrung und anderen Notwendigkeiten des
Lebens sichern sollten.15 Die Gilden wiederum wurden von der Behörde, einem
Marktaufseher (muhtesip), einem Organ des örtlichen Kadis überwacht.
Staatliche Manufakturen gab es besonders im militärischen Bereich, also
Pulverfabriken, Arsenale und Bergbaubetriebe, welche nicht nur Erze, sondern auch
das beim Fiskus so begehrte Silber förderten.16
Die Außenhandelsbeziehungen
Im 16. Jahrhundert spielte das Osmanische Reich im Welthandel eine
entscheidende Rolle. Die weit gestreuten militärischen Unternehmungen an der
Wolga, in Azerbeidschan, im Kaspischen Meer, Jemen, Aden, Diu, Sumatra und
Mombasa hatten auch ökonomische Aspekte. Osmanische Eroberungen hatten
immer fiskalische Implikationen, so wie die Kontrolle der Seidenstrasse zwischen
Bursa und Täbris, die Route zwischen Akkerman und Lemberg, welche für die
Nach Josef MATUZ, Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 1990,
S. 104 – 109.
14
15
ISLAMOĞLU-INAN, Incorporation, S. 90.
16
Ebenda, S.110.
6
Lebensmittelversorgung von Istanbul von großer Bedeutung war und die
Verbindung mit Aden und dem Jemen für den Indienhandel.17
Auf dem Landweg wurden die Fernhandelsbeziehungen über die traditionellen
Karawanenstrassen abgewickelt, wobei der Transport staatlich kontrolliert wurde, um
die Abgabenentrichtung zu sichern.
Der Seefernverkehr mit Europa wurde im 16. Jahrhundert primär über die
Schiffe vor allem der beiden Seerepubliken Venedig und Genua abgewickelt. In
verstärktem Ausmaß kamen auch die Ragusaner zum Zuge. Importiert wurden vor
allem strategische Güter wie Kanonen, Pulver und Eisen, aber auch Uhren und
andere mechanische Produkte. Darüber hinaus holten sich die Osmanen aus Europa
vor allem Fachleute für bestimmte Bereiche, so zum Beispiel für den Bergbau, für
Metallbearbeitung und für die Waffenproduktion, also Kanonengießer und
Büchsenmeister. Solche Meister zogen in der damaligen Zeit umher und verkauften
sich an den Meistbietenden. Auch Schiffskonstrukteure aus Italien fanden immer
eine Anstellung. 18
Im Fernhandel kam es um ab etwa 1520 zu einer Auseinandersetzung zwischen
dem Osmanischen Reich und dem Königreich Portugal und zwar im Roten Meer
und im Persischen Golf. Im Prinzip war dieser Schauplatz für die Osmanischen
Sultane des 16. Jahrhunderts ein peripheres Gebiet, da sich ja ihr Hauptaugenmerk
einerseits auf den Balkan und Europa richtete, andererseits auf die Kämpfe mit den
Safawiden im Iran. Die weltpolitische Tragweite des Eindringens der Portugiesen in
Indien und im Fernen Osten schien angesichts der weitläufigen Eroberungen von
den Sultanen nicht erkannt worden zu sein.
1498 schien Portugal nach der Entdeckung des Seewegs nach Indien und durch
die Gründung von befestigten Handelsstützpunkten an der indischen Westküste und
im malaiischen Raum den so profitablen Pfefferhandel an sich gerissen zu haben.
Nach Vasco da Gamas Landung in Indien erreichte die erste Gewürzladung 1502
Lissabon. Die Portugiesen transportierten Schiffsladung um Schiffsladung nach
Europa. Das kostbare Gewürz, das bisher über die Karawanenwege des Mittleren
Ostens nach Europa gelangt war, wurde mit einem Schlage rar. 1501 fanden die
Galeeren der Markusrepublik keinen Pfeffer in Alexandria. Darauf sandte Venedig
1502 einen Gesandten nach Kairo, um den Mameluckensultan vor den
Konsequenzen der portugiesischen Lieferungen zu warnen.19 Dieser verständigte
die Sultane von Kalikut und Gujerat von der portugiesischen Gefahr. Die indischen
Fürsten stellten sich an seine Seite. Jedoch war die militärische Überlegenheit der
Portugiesen und die Uneinigkeit der indischen Prinzen der Grund dafür, dass für
etliche Jahre Portugal den Pfefferhandel dominieren konnte.20
17
INALCIK, Economic S. 4.
18
Dazu Rhoads MURPHEY, “The Ottoman Attitdude Towards the Adoption of Western
Technology: The Role of the EFRENCI Technicians in Civil and Military Applications” in:
Contributions à l’histoire économique et sociale de l’Empire ottoman, Paris 1983, S. 287 – 298 . Das
Osmanische Reich war im 16. Jahrhundert eine offene Gesellschaft, welche für technologische
Neuerungen offen war.
19
20
INALCIK, History S. 319
Suraiya FAROGHI in: WZKM, 76.Bd., Wien 1986, “Coffee and Spices, Official Ottoman
Reactions to Egyptian Trade in the Later Sixteenth Century”, S. 87 – 93.
7
Das Osmanische Reich unter Sultan Selim I. hatte 1517 das Mameluckenreich,
damit auch Syrien und Ägypten, erobert. 1522 war Rhodos gefallen und 1538
besetzte man Teile des Jemens, Aden und die gegenüberliegende afrikanische Küste.
Damit war nach der Eroberung von Mesopotamien und der Besetzung der
westlichen Küste des Persischen Golfes (1546 Errichtung eines Stützpunktes in
Basra) die fast restlose Einbeziehung der alten arabischen Welt in das Osmanische
Reich vollzogen. Die Kontrolle der Handelswege durch den Golf und das Rote Meer
bildete ein wichtiges Erbe der Mamelucken. Der Sultan war damit nicht nur der
Oberherr der eroberten Länder geworden, sondern er hatte damit auch eine
Schutzfunktion für die islamischen Gläubigen und auch indirekt über ihre
Handelsverbindungen erworben. Nach der Eroberung von Mekka und Medina übten
die Sultane in Istanbul faktisch die Funktionen des Khalifats aus, obwohl es
formaljuristisch nie eine Annahme des Titels gegeben hat. Praktisch aber war dies
wohl der Fall. Denn es kommt dadurch zum Ausdruck, dass der osmanische Sultan
unter vielen anderen Titeln auch den Ehrennamen „alem-i penah“, (d.h. Zufluchtsort
der Welt der Gläubigen) angenommen hatte. Darüber hinaus führte er auch den
alten Khalifentitel „Zillu llahi fi l-arz“ (Schatten Gottes auf Erden), was auf seinen
Anspruch hinwies, für alle rechtgläubigen Muslims eine Schutzfunktion auszuüben.
Er wurde auch tatsächlich als Träger seiner Schutzfunktion in Anspruch
genommen, nämlich von den indischen und malaiischen Fürsten, die sich von den
Portugiesen bedrängt fühlten. Die Auseinandersetzungen zwischen Portugal und
dem Osmanischen Reich setzten nun voll dort ein, wo es zur Störung wichtiger
kaufmännischer Interessen kam, nämlich im Gewürzhandel und in der Beherrschung
der Handelsrouten im Persischen Golf, im Roten Meer und im Bereich des Indischen
Subkontinents. Bereits 1502 hatten sich indische und arabische Lokalherrscher gegen
die vordringenden Portugiesen gestellt. Sie wurden aber in der Seeschlacht von
Kalikut durch die kleine Flotte Vasco da Gamas auf Grund deren artilleristischer
Überlegenheit geschlagen. 1503 wurde der Mameluckensultan durch die Nachricht
überrascht, dass die Portugiesen in das Rote Meer eingedrungen seien. Die heiligen
Stätten Mekka und Medina schienen gefährdet. 1506 verlor die Flotte des Sultans von
Kalikut abermals ein Gefecht, und 1509 errang in dem Seegefecht vor Diu der
portugiesische Admiral Francisco Almeida einen Sieg über die verbündeten
Mamelucken und Inder und sicherte seine Seeherrschaft im Indischen Ozean. Die
Mamelucken verloren damit eine wichtige Einnahmequelle und die Kontrolle der
alten arabischen Handelswege. Versuche der Portugiesen, im Roten Meer 1513 Aden
und 1517 Djidda einzunehmen, scheiterten allerdings.
Diese Siege hatten der muslimischen Welt gezeigt, dass der Mameluckenstaat
zu schwach war, um mit den Portugiesen fertig zu werden. Man wandte sich daher an
die einzige Macht, von der man glaubte, dass sie dieses Problem bewältigen könnte –
das Osmanische Reich. Sogar der Mameluckensultan Kansu al-Gawri selbst bat die
Osmanen um Hilfe und bat Bayezid II um den Bau einer Flotte in Suez. Diese Bitte
wurde erfüllt und dreißig Schiffe in Bewegung gesetzt. Sie die wurden jedoch von
den Johannitern aus Rhodos auf dem Weg nach Alexandria zerstört. Angeblich
erfolgte dies auf Grund von vorhergehenden portugiesischen Interventionen im
Wege einer Geheimdiplomatie. Dieser Fall war ein Beweis für ein gut
funktionierendes Informationssystem der Portugiesen und eine gelungene
8
konzertierte Aktion der christlichen Welt, von denen es nicht allzu viele gab. Die
Osmanen ersetzten jedoch den Schaden umgehend und sandten abermals einen
Konvoi, um eine neue Flotte zu bauen. 21 Diese Kraftanstrengung war ein Beweis
für die organisatorische und wirtschaftliche Stärke der Osmanen. Noch deutlicher
wird diese Aussage, wenn man die Kosten eines Schiffes in Betracht zieht und auch
die kurze Zeit, in welcher der Ersatz beschafft wurde. Auf osmanischer Seite
entstand damals auch ein Plan - einer von vielen dieser Art - einen Kanal bei Suez zu
bauen, um damit Schiffe aus dem Mittelmeer ins Rote Meer bewegen zu können. Er
scheiterte jedoch an der Tatsache, dass andere Projekte militärischer Art immer
wichtiger waren und angesichts der zahlreichen Kriegsschauplätze der Suezkanal nur
eine geringe Priorität genoss.
Die Araber und die Osmanen wurden durch das Auftauchen der Portugiesen im
Roten Meer sehr überrascht, hatte es doch seit Hunderten von Jahren keine Angriffe
in diesem Raum gegeben. Die Mamelucken waren als territoriale Großmacht im
maritimen Bereich immer sehr schwach gewesen. Diese maritime Schwäche war ein
entscheidendes Element für das ungehinderte europäische Eindringen östlich von
Suez, das damit ohne größere Widerstände erfolgen konnte.
Weiters hatte es auch eine Rolle gespielt, dass die Mamelucken bei der
Einführung von Feuerwaffen eine sehr zögernde Haltung einnahmen. Feuerwaffen
waren in der islamischen Welt durch die Chinesen bekannt worden, eingeführt
wurden sie gleichzeitig wie in Europa im 15. Jahrhundert. Auch die Mamelucken
besaßen Feuerwaffen, verwendeten sie aber vornehmlich bei der Belagerung. Im
Heer standen Ende des 15. Jahrhunderts nur veraltete Modelle in Gebrauch. In der
islamischen Welt wurden die Feuerwaffen vor allem im großen Ausmaß auf dem
Balkan durch die Osmanen eingesetzt, nicht jedoch im südarabischen Raum und in
Indien. Dies war einer der Gründe, dass die portugiesische Flotten anfänglich so
große Erfolge erzielen konnten, da sie die Überlegenheit ihrer Artillerie ausspielen
konnten. Dabei stellte auch der Schiffstyp der Karacke eine große Rolle welcher der
Galeere auf offener See überlegen war.
Nach 1517 erkannten die Osmanen wohl die Wichtigkeit einer großen
maritimen Präsenz im Indischen Ozean, allerdings war der Zeitpunkt bereits zu spät.
Darüber hinaus waren die Prioritäten der Schauplätze im Mittelmeer und auf dem
Balkan gegeben, die verhinderten, ein militärtechnisches Gleichgewicht
herzustellten. . Aus osmanischen Quellen können wir die Hilfeansuchen zahlreicher
Sultane aus Indien und Indonesien an die Hohe Pforte herauslesen, die flehende
Bitten um die Übersendung von Feuerwaffen enthalten, um den Europäern Paroli
bieten zu können. Zwar wurden eine Anzahl von Geschützgießern und Experten der
Artillerie nach Südostasien gesandt, um den lokalen Sultanen beizustehen , im großen
und ganzen aber kamen sie zu spät und konnten die Überlegenheit der Europäer
nicht mehr beseitigen. Die Osmanischen Manufakturen kamen auch mit der
Produktion der Waffen nicht nach und es verschlang der Krieg in Europa den
Löwenanteil. Ab der Mitte des 16.Jahrhunderts zeigt auch langsam die auf industrielle
Fertigung ausgelegte europäische Waffenproduktion ihre Überlegenheit durch
größere Fertigungskapazitäten und technologische Weiterentwicklungen.
21
INALCIK, Economic S. 320
9
Portugal versuchte im Sinne seines strategischen Konzepts den
Gewürzhandel ganz zu beherrschen. Es blockierte daher die militärisch wichtigen
Eingänge zum Persischen Golf und zum Roten Meer. 1513 nahmen die Portugiesen
das Fort Kamaran ein, das den Eingang des Roten Meeres, das so genannte Bab elMandab kontrollierte. Gleichzeitig nahmen sie auf der diplomatischen Ebene
Kontakte mit dem Schah von Iran auf, schickten ihm Feuerwaffen und ersuchten ihn
um einen Entlastungsangriff auf die Osmanen, in denen sie die größte Gefahr sahen.
Der portugiesische Gouverneur und Admiral Albuquerque unternahm darauf einen
Versuch, Aden einzunehmen, allerdings ohne Erfolg.
Inzwischen hatten osmanische Truppen das mameluckische Heer bei Marj
Dabik geschlagen, die Mamelucken wurden zu Vasallen der Hohen Pforte. Damit
standen sich die Portugiesen und die Osmanen als Gegner gegenüber. Der Sultan
beeilte sich vorerst, die heiligen Stätten Mekka und Medina zu schützen, denn die
Portugiesen hatten den Versuch unternommen, Djidda zu nehmen. Dies war für die
Osmanen eine politisch sehr wichtige Aufgabe, da sie ja den Anspruch als
Schutzherren der gesamten muselmanischen Welt erhoben. Die Ankunft der Flotte
des osmanischen Admirals Selman führte zu einem Rückzug des Feindes. Die
Osmanen, die auch mit der Neuorganisation der von ihnen eroberten Länder auf der
arabischen Halbinsel beschäftigt waren, setzten nun alles daran, zunächst das Rote
Meer wieder unter Kontrolle zu bekommen. 1525 gelang dies durch eine starke
Flotte von achtzehn Schiffen mit 300 Kanonen, die nach der Wiederherstellung der
Herrschaft im Roten Meer auch zur Entlastung der indischen Sultanate eingesetzt
wurde.
Es wurde auch kurz das Königreich Abessinien in diesen politischen Streit
einbezogen, da die Portugiesen versuchten, auf diplomatischer Basis eine christliche
Allianz zustande zu bringen und eine zweite Front gegen den islamischen Feind zu
errichten. Die Osmanen hingegen unterstützten die muslimischen Minderheiten im
Norden, die an den König von Abessinien Tribute zahlen mussten.
Die Osmanen konnten 1530 mit ihrer Flotte Diu nehmen und auch den Admiral
Nuno da Cunha vertreiben. Es entstand eine Allianz zwischen ihnen und dem Sultan
von Gujarat, Bahadur Schah Das Bündnis sah vor, eine große Flotte in Suez
auszurüsten, um den endgültigen maritimen Sieg zu erringen. Die Mittel waren
bereits bewilligt, doch inzwischen waren im Mittelmeer und in Europa wichtige
Ereignisse geschehen – die Belagerung von Wien 1529 war erfolglos geblieben und
Koron in der Morea war von der Flotte Karls V. erobert worden. Die Kampagne
Süleymans 1534 gegen den Iran brachte eine Änderung der osmanischen Politik mit
sich und die europäischen Probleme hatten wieder Vorrang. Zu dieser Zeit war die
portugiesische Kontrolle zur See dichter denn je und die Venezianer hatten
Schwierigkeiten, zu Pfeffer zu gelangen. Erst 1537 gelang es dem osmanischem
Admiral Süleyman Pascha, einen Aufstand in Aden niederzuwerfen und nach Diu
weiterzusegeln, das immer wieder von den Portugiesen belagert wurde. Er konnte die
Kontrolle über das Rote Meer konsolidieren, wenn auch die Portugiesen immer
wieder Angriffe versuchten, da sie um jeden Preis ihre Seeherrschaft aufrechterhalten
wollten.
Viel später war die Seeschlacht von Lepanto 1571 dann ein Ereignis, das die
osmanische Aktiviät im Bereich von Seeunternehmungen für einige Zeit abkühlte.
10
Die Versprechen Selims II an den Sultan von Atjeh konnten nicht erfüllt werden
und das Land versank in Bürgerkrieg. Der portugiesische Handel ging weiter und
florierte. Erst mit dem Eintreffen der Holländer 1578 in diesem Raum veränderten
sich die Strukturen.
Der Kampf der Portugiesen mit dem Osmanischen Reich spielte sich auch in
einem anderen Gebiet ab, nämlich im Persischen Golf. Die Osmanen waren an
diesem Raum schon sehr früh interessiert, nämlich etwa um 1520. Die Portugiesen
hatten schon 1509 die strategisch wichtige Insel Hormuz, welche die Einfahrt des
Persischen Golfs beherrschte und es auch noch heute tut, besetzt. Sie hatten die
Absicht, den Golf unter ihre vollständige Kontrolle bringen. Unter Ausnutzung der
Zwistigkeiten der lokalen arabischen Führer beabsichtigten sie, sogar Basra als
Stützpunkt einzunehmen.
Vor dem Feldzug Süleymans I. im Jahre 1534 erbaten die arabischen Stämme
Unterstützung von den Osmanen gegen die Portugiesen. Sie verlangten insbesondere
Feuerwaffen. Die Osmanen brauchten im Rahmen ihrer Kämpfe im Iran und im Irak
20 lange Jahre, um zum Golf zu gelangen, 1534 wurde den persischen Safawiden
Baghdad abgenommen und die verschiedenen arabischen Stammesführer
anerkannten schrittweise die osmanische Oberherrschaft. 1545, nach der
Unterzeichnung eines Waffenstillstandes mit den Habsburgern in Europa, konnten
militärische Energien für den Osten freigesetzt werden. 1546 wurde Basra erobert
und zu einer großen Flottenbasis ausgebaut, was die Portugiesen sehr beunruhigte.
1552 hatte man sich stark genug gefühlt, um die Portugiesen aus Hormuz zu
vertreiben, eine Flotte von 25 Schiffen versuchte einen Vorstoß, wurde aber
geschlagen.
Die Konfrontation der beiden Mächte Portugal und Osmanisches Reich zu
Beginn der globalen europäischen Expansion ist ein historisch interessantes Thema,
welches besonders den Fragenkomplex der europäischen Überlegenheit in der
Anwendung aggressiver Technologien berührt. Auch wirft es ein Licht auf die
Haltung des Osmanischen Reiches im Hinblick auf die maritime Expansion und den
Fernhandel mit Asien.
Siehe dazu die Textstellen im Anhang 2, McCarthy, The Ottoman Turks, S. 132 –
137.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten am Ende des 16. Jahrhunderts
Nach dem Tode Süleymans I. 1566 machten sich Schwächen im administrativen
System des Reiches bemerkbar. Der Palast des Sultans wurde von Intrigen
beherrscht, Gesetze wurden missachtet. Wirtschaftliche Konsequenzen entstanden
durch die weitreichende Übertragung von Staatsbesitz in private Hände oder in
fromme Stiftungen. Die Budgetdefizite, welche durch die kostspieligen Kriege
besonders mit dem Iran (1576 – 1639) entstanden, waren enorm geworden. Aber
auch der „Lange Türkenkrieg“ mit Österreich (1593 – 1606), welcher die
zunehmende Ausrüstung mit Feuerwaffen erforderte, war sehr kostspielig gewesen.22
22
Ebenda, S. 24.
11
Um die Defizite zu finanzieren, musste man einerseits die Währung
abwerten, was durch Reduzierung des Silbergehalts der Münzen erfolgte, andererseits
die Steuern erhöhen. Das billige europäische Silber, welches nach 1580 ins Reich
floss,
verstärkte noch die angespannte Lage. Die ursprünglich außerordentliche
Kriegssteuer (avarız) wurde von 40 Aspern im Jahre 1582 auf 240 im Jahre 1600 und
auf 535 im Jahre 1681 angehoben. Die Kopfsteuer für Nichtmuslime (cizye), welche
als Ausgleich für den nicht zu leistenden Kriegsdienst galt, stieg von 40 Aspern pro
Person 1574 auf 70 im Jahre 1592, 150 im Jahre 1596, 240 im Jahre 1630 und 280 im
Jahre 1691.23 Das Steuersystem, welches zu Beginn des Jahrhunderts noch zum
Grossteil auf Naturalabgaben beruht hatte, war immer mehr auf Geldzahlungen
angewiesen, was zu mannigfaltigen Problemen führte. Auch führte das chronische
Fehlen von Bargeld zu Wucherei, was wiederum auf die Preise Einfluss hatte.24 Zur
selben Zeit ermutigte die europäische Preisinflation den Schmuggel, was wiederum
zu einem internationalen Preisanstieg führte.
Siehe dazu Anhang 3, Pamuk, Monetary History, S. 40 – 47 und Abb. 21 - 24.
Einige Gedanken zur osmanischen Wirtschaftsideologie – kein Kulturtransfer
aus Europa
Um die Unterschiede zu den europäischen Wirtschaftstheorien aufzuzeigen,
muss man auch diejenigen der Osmanen einer Betrachtung unterziehen. Was war
eigentlich die Haltung der osmanischen Sultane im Hinblick auf die Wirtschaft und
den Handel ? Was waren die geistigen Grundlagen ihres wirtschaftlichen Denkens ?
Bekanntlich werden ja die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht nur durch ökonomische,
sondern auch durch soziale und psychologische Faktoren bestimmt. Dies war
besonders ausgeprägt im Osmanischen Reich der Fall.
Zunächst gab es ein nomadisch-türkisches Element, das die frühen Osmanen
kennzeichnete und das auch noch weiter gültig blieb. Durch das Leben als Nomaden
und Seminomaden entstand unter den Türken ein starkes Gefühl der Gemeinschaft
aus einer Schutzfunktion der Gruppe heraus. Für den Nomaden ist Land als Weide,
aber nicht als Besitz relevant. Daher bildete sich auch keine grundherrliche, sondern
eine Reiteraristokratie heraus. Es gab in der Frühzeit keinen Staatsbegriff, es gab
immer nur den Bey oder den Khagan, dem das Land gehörte und der es als Lehen
vergab. Der Bey musste reich sein, um viel Land verteilen zu können. Dieser
Reichtum war aber nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Macht zu haben und
an die Gefolgsleute Land und Güter verteilen zu können.
Der Islam verstärkte diese Ideologie, legte ebenfalls viel Wert auf Solidarität
und schuf Kulturnormen, welche die Akkumulation von Kapital verhindern sollten.
Auf der anderen Seite entstand ein starker Etatismus, der die Einhaltung der
wirtschaftlichen Regeln überwachte und der alle Bereiche der Ökonomie unter
23
INALCIK, Economic, S. 24 – 25.
24
ISLAMOĞLU-INAN, Incorporation, S. 90.
12
Kontrolle hielt.. Der Boden als größtes Produktionsmittel blieb immer Eigentum
des Staates. Als Regeln standen die Scharia, das göttliche Recht und das Kanun, das
vom Sultan verfügte weltliche Recht, zur Verfügung.25
Von der Religion her gesehen gab es gegen den Handel und den Kaufmann
keine Einwände, war doch der Prophet Mohammed selbst Kaufmann gewesen.
Allerdings bestand ein Verbot des überhöhten Zinsnehmens, der riba. Dazu kamen
noch die Verbote, Monopole zu bilden und die Gerechtigkeitsregel im Islam. Diese
verbot die Anhäufung von Kapital aus Eigennutz. Daher konnte sich im
Osmanischen Reich im Gegensatz zu Europa kein dem europäischen Kapitalismus
identes System herausbilden, und es entstanden auch keine Banken im westlichen
Sinn. Trotzdem gab es, wie schon oben erwähnt, einen Kapitalmarkt mit
Wuchergeschäften und eine Art von Banken, welche aber für die öffentliche Hand
keine Rolle spielten.
Die Verwaltung legte viel Wert darauf, im Staatsschatz möglichst viel
Edelmetall anzuhäufen, um die Ausgaben für den Hof und das Militär zu sichern.26
Vorstellungen über staatliche Handelsbilanzen, Exportförderung und
Industrieansiedlungen, kurz gesagt, volkswirtschaftliche Berechnungen gab es im
osmanischen Reich nicht.27
Die Osmanen und Europa, im besonderen das Habsburgerreich
Die Osmanen konnten als Großstaat viele Verkehrswege kontrollieren – das
Schwarze Meer, das östliche Mittelmeer und auch die Karawanenwege aus Indien.
Aber durch die Entdeckungen und die Beherrschung des Seewegs nach Indien rissen
die Europäer den Überseehandel mit Asien ab etwa 1500 an sich. Sie waren in dieser
Zeit damit beschäftigt, ihre Eroberungen in Ägypten und Arabien zu konsolidieren
und versäumten es, die alten Seeverbindungen wieder an sich zu bringen. Dabei
spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass das Osmanische Reich zur Zeit Süleymans
I. eben die absolute Großmacht war, für die keine Notwendigkeit bestand, an ihrer
wirtschaftlichen Struktur etwas zu ändern. Man fühlte sich als das Zentrum der
damaligen Welt und man war das Zentrum – es gab im 16. Jahrhundert keine
vergleichbare staatliche Macht, die militärisch und in der politischen Organisation
mithalten konnte.
Europa hingegen mit seinen vielen kleinen bis mittleren Machtzentren musste
sich in immerwährenden Konkurrenzkämpfen bewähren, es fand ein ständiges
Kräftemessen statt. Durch die Vielfalt der einzelnen Volkswirtschaften entstand eine
breite Basis für die Erzeugung von vielerlei Waren, unter anderem auch
Kriegsmaterial. Einzelne Willkürakte und Fehlentscheidungen der Herrscher wirkten
Yusuf Zaya IRBEC, Die geistigen Determinanten des Wirtschaftslebens im Osmanischen Reich,
Dissertation Wirtschaftsuniversität Wien 1986, S, 1 – 3.
25
26
27
INALCIK, Economic S. 44.
Ebenda. S. 711.
13
sich nur regional aus – im osmanischen Reich mit seiner sehr zentralistischen
Struktur wogen Fehler des Sultans weitaus schwerer. In Europa siegte letztlich die
Marktwirtschaft, da sich die Feudalherrscher nicht in die bürgerlichen Geschäfte
einmischten. Alles in allem entstand eine bessere Infrastruktur des Staates. Auch die
Nichteinmischung des Staates in die Wirtschaft belebte diese stark. Als Folge der
Religionskämpfe trennten sich schließlich Staat, Kirche und Wirtschaft. Es bildete
sich auch eine Ausformung der bürgerlichen Autonomie ohne restriktive
Selbstbeschränkung. Die österreichischen Erbländer bildeten einen Sonderfall, denn
sie konnten lange Zeit den Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung
Westeuropas finden. Schuld war neben der geographischen Lage – man war im
Prinzip ein Binnenstaat - auch die rigoros durchgeführte Gegenreformation, die
Protestanten zum Exil nötigte. Damit wurde ein dynamisches Element der
Bevölkerung außer Landes getrieben, man siedelte sich in den großen deutschen
Städten an. In den habsburgischen Ländern entstanden viel weniger dieser großen
Städte und die Stellung des Bürgertums war auch ungleich schwächer. Als Folge
davon war auch die kommerzielle Mentalität weniger ausgeprägt und es wurde vor
allem kein Fernhandel nennenswerten Umfanges betrieben.
Die vielen Kriege zwischen den beiden Häusern Habsburg und Osman
verhinderten, dass Handel auf direkter Basis betrieben werden konnte. Wenn es zum
Austausch von Gütern kam, dann wohl über die italienischen Seehäfen. Jedenfalls
gab es keinen nennenswerten Export von Seiten der habsburgischen Lande auf
direkter Basis. Allerdings gab es auf lokaler Basis zum Beispiel in Bosnien
Grenzhandel. Türkische Kaufleute brachten schon im 15 Jahrhundert zum Beispiel
Teppiche, Pferde und Kaffee bis nach Laibach und tauschten diese gegen Stoffe und
andere Waren ein.
Eine Verstärkung der Handelsströme ist in der Mitte des 16. Jahrhunderts
festzustellen, als Süleyman I. (1520-1566) den Franzosen 1569 die erste Kapitulation
(Handelsprivileg) gewährte. Diese beinhaltete das Recht auf eine
Handelsniederlassung, Vorzugszölle, Schutz der Ausländer im Reich etc. Der ersten
Kapitulation folgten weitere für andere europäische Länder und zwar 1567 an die
Habsburger, 1592 an die Engländer und 1612 an Holland.28 Die Kapitulationen
wurden auch als politische Waffe eingesetzt, man bevorzugte Frankreich als Gegner
Habsburgs und man half den Calvinisten, um den Katholiken zu schaden.
Die Kapitulationen
Diese dem europäischen Wirtschaftdenken eher fremde Einrichtung ist einer
gesonderten Betrachtung wert, da sie einerseits das wirtschaftliche Denken der
Osmanen gut illustriert und andererseits auch die Grundlage für das allmähliche
Eindringen der europäischen Mächte in das Osmanische Reich bildeten.
Im Zuge der Expansion des Osmanischen Reiches im 14. und 15. Jahrhundert
wurde das seit dem 11. Jahrhundert von den Italienern praktizierte System der
eigenständigen Handelsstützpunkte einem Wandel unterzogen29. Während Venedig
Zeki CELIKKOL and Alexander van der GROOT, Lale ile başladi -… it began with the Tulip,
Ankara 2000, S. 86.
28
29
INALCIK, Economic S. 190 – 193.
14
noch mit einer Reihe von befestigten Niederlassungen in der Ägäis seinen
Osthandel abwickeln konnte, blieb Genua nach dem Verlust Peras als eigenständige
Kolonie und nach dem Verlust der Schwarzmeerbesitzungen nur mehr die Insel
Chios als mehr oder weniger selbständiger Stützpunkt. Die Genuesen, welche nach
1453 in Galata verblieben waren, standen unter osmanischer Oberhoheit und
mussten sich als eine europäische Gemeinde neben den Orthodoxen, Juden und
Armeniern den neuen Gegebenheiten anpassen.
Das Osmanische Reich verfolgte, was die Zusammenarbeit mit den Ausländern
und deren Niederlassungen im eigenen Staatsgebiet anbelangte, eine sehr klare
Politik.30 Einerseits wurde aus militärischen Sicherheitsgründen und den Ansprüchen
der totalen territorialen Herrschaft des Sultans der Weiterbestand von befestigten
Stützpunkten von Ausländern unterbunden31. Andererseits wurde jedoch den im
Reich lebenden Ausländern eine große Autonomie zugestanden. Es herrschte, was
die Behandlung von Fremden anbelangte, das Prinzip der Personalität. Jeder Fremde
wurde nach seinen Gesetzen und Gewohnheiten behandelt.32 Dabei wurde
notwendigerweise eine Gerichtsbarkeit innerhalb der ausländischen Gemeinde
eingerichtet, welche das Heimatrecht zur Anwendung brachte. Die Rechtssprechung
erfolgte durch den jeweiligen Konsul. Dabei hatte die Garantien, welche die
Kapitulationen den Ausländern boten, Vorrang über die Gesetze des Osmanischen
Reiches, und der Sultan sandte nach Erteilung jeder neuen Kapitulation Briefe an
seine Behörden, welche auf die Einhaltung der Regeln strikte hinwiesen.33
(Über die Spionage im Osmanischen Reich siehe Anhang 4, Aksan/Goffmann,
Early Modern Ottomans, S. 82-87.
In der internationalen Handelspolitik wurde die Förderung der Importe ins
Osmanische Reich geradezu ermutigt. Dies beinhaltete den freien Zugang zu den
Häfen, solange der Zoll entrichtet wurde. Die Osmanen betrachteten die
importierten Güter als für die eigene Wirtschaft nützlich und den Zoll für die
Staatskasse vorteilhaft34. Exporte nach Europa wurden nicht gefördert sondern mit
INALCIK Economic S. 189 – 193: “ The Ottoman government considered the foreign merchant
communities as millets of taifes, autonomous groups or assemblies organized under a deputy of consul.
… Ottomans were aware of the Byzantine experience with the Genoese and Venetians; they did not
permit European merchant communities to establish themselves as independent colonies and never
recognized territorial rights. Even the resident representatives at the Porte were regarded simply as
representatives of their respective millets.”
30
Ebenda S. 273: The general policy of the Ottomans towards the Genoese colonies was the same
from the beginning: to abolish sovereignty rights over the territories which originally belonged to the
pre-Ottoman states, to pull down fortifications and to deal with the colonies according to Islamic
rules regarding non-Muslim subjects or foreigners under capitulary amnesty.”
31
32
BEIN Wilhelm, Die Kapitulationen. Wittenberg 1916, S. 7.
33
INALCIK, Economic S. 190.
MC CARTHY Justin, The Ottoman Turks, S. 135: “The amount of customs duty forgiven
depended upon the agreement reached with each country. Customs duties of 5 per cent were ususal or
even 3 per cent, but duties varied among ports and there were other fees on shipping, so it is difficult
to evaluate exactly the benefit the customs received”.
34
15
hohen Zöllen belegt, da man der Meinung war, dass wirtschaftliche Prosperität und
politische Stabilität von einem gut versorgten Binnenmarkt abhängig wären und dass
die Feinde des Islam nicht durch eine locker gehandhabte Exportpolitik Vorteile
erlangen sollten.35 Diese Haltung, welche weit von der merkantilistischen Politik der
Europäer entfernt war, war vielleicht der Ausdruck einer gewissen Naivität in
wirtschaftlichen Dingen. Denn die Bevorzugung der europäischen Konkurrenten
brachte die osmanische Wirtschaft auf lange Sicht gesehen in wirtschaftliche
Abhängigkeiten und in eine produktionstechnische Rückständigkeit. Allerdings kann
man diese Politik teilweise aus der Tatsache erklären, dass die Zahlungsbilanz seit
dem Beginn der kommerziellen Beziehungen im Mittelalter immer zu Gunsten des
Mittleren Ostens gewesen war und man sich sicher fühlte, dass dieser Zustand
andauern würde.36 Für die fiskalisch denkende osmanische Verwaltung war das ein
gewichtiges Argument zur Einhaltung dieses Prinzips. Auch spielte das Gefühl der
Überlegenheit als Großmacht eine gewisse Rolle, welches den punktuellen
Importzentren der Ausländer im riesigen Reich nur geringe Bedeutung zuwies. Nicht
zuletzt machte ja der Außenhandel nur einen geringen Teil der wirtschaftlichen
Gesamtwertschöpfung aus.
Die Beziehungen zwischen der Hohen Pforte und den ausländischen
Kaufmannsgemeinden im Bereich des Handels wurden daher formell durch die so
genannten Kapitulationen37 geregelt, welche im juristischen Sinne einseitige,
widerrufliche Gnadenakte des Sultans waren. Zwar hatten sie teilweise
völkerrechtlichen Charakter, bezogen sich aber im Grund doch nur auf die privaten
Rechte der ausländischen Gemeinde im Osmanischen Reich.38 Diese Kapitulationen
waren schon seit dem 11. Jahrhundert von den arabischen Herrschern den Franken
erteilt worden, jedoch waren es nicht sehr zahlreiche Fälle.39
Begonnen hat diese Praxis der Erteilung von Handelsprivilegien im
Osmanischen Reich 1352, als die Genuesen von Sultan Orhan (1324 – 1359) die
ersten speziellen Handelsrechte erhielten.40 Zunächst waren diese Konzessionen
politisch begründet, um Genuesen und Venezianer gegeneinander ausspielen zu
35
INALCIK, Economic S. 195. Siehe auch IRBEC, Determinanten S. 222.
36
MC CARTHY, Turks 135.
BEIN Wilhelm, Die Kapitulationen, Ihr Begriff, ihr wesentlicher Inhalt und ihre Aufhebung,
beurteilt nach Völkerrecht und türkischem Staatsrecht. Inaugural-Dissertation an der Königlichen
Universität Greifswald 1912. S. 1.:“Das Wort Kapitulation hat eine verschiedene Auffassung erfahren.
Es ist strittig, ob das Wort „Kapitulation“ vielleicht einfach Kapitel bedeutet, weil der Text in Kapitel
oder Capita eingeteilt ist, oder ob das Wort eine französische Übersetzung des arabischen Wortes soulh
ist, welches Friede, Waffenstillstand, besagt. Noch andere behaupten, es entstamme der
diplomatischen Sprache der früheren Zeit, dem Italienischen, und komme von dem Worte capitolazione,
das im Deutschen soviel wie Vereinbarung oder Einverständnis heißt.“
37
MATUZ Josef, Das Osmanische Reich, S. 124. Die eigene Gerichtsbarkeit für Ausländer stand auch
im Einklang mit dem osmanischen millet – System, welches den nichtmuslimischen Einwohnern des
Reiches das Recht einräumte, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln.
38
BEIN, Kapitulationen, S. 8:In der Mitte des 13. Jahrhunderts gab es bereits französische Konsuln in
Alexandrien und Tripolis. 1270 soll Karl der Kühne zugunsten des französischen Handels einen
Vertrag in Afrika abgeschlossen haben.
39
40
INALCIK, Economic S. 192.
16
können. Der Text der Erneuerung des Vertrages von 1352 aus dem Jahre 1387
(nach dem Tode eines jeden Herrschers musste die Kapitulation durch seinen
Nachfolger erneuert werden) ist durch die Arbeit von Kate Fleet erhalten.41 Weitere
Kapitulationen wurden an Pisa, Venedig, Florenz und Neapel vergeben. Diese ersten
Kapitulationen waren formaljuristisch staatsrechtliche Erlässe der osmanischen
Sultane, die lediglich Anordnungen mit innerstaatlicher Wirkung gaben und den
Untertanen des eigenen Staates Verpflichtungen auferlegten.42
Trotz der meistens antiosmanischen Haltung ihrer Mutterstadt, welche sich den
jeweiligen europäischen Bündnissen anschließen musste, erhielten zum Beispiel die
Genuesen in der Levante von den Sultanen laufend Unterstützung bei der
Ausweitung ihres Handels. Im Prinzip waren es zunächst die beiden italienischen
Mächte Venedig und Genua, welche die Vorteile von Kapitulationen genießen
konnten. Andere europäische Mächte waren noch nicht in das System einbezogen.43
Jedoch wurden nach der Eroberung von Ägypten durch Selim I. im Jahre 1517
die Kapitulationen der Mameluckensultane erneuert, welche den Franzosen und den
Katalanen eingeräumt worden waren.44 Deren Gültigkeitsbereich erstreckte sich
zunächst auf das gesamte Territorium der Mamelucken. Damit erhielten die
Franzosen zum ersten Mal breiteren wirtschaftlichen Zugang zum Osmanischen
Reich, obwohl ihre Rechte nicht so weit gefasst waren wie die der Italiener.
Im 16. Jahrhundert wurden schrittweise die Handelsbeziehungen der
Osmanen mit den westlichen Staaten ausgeweitet. 1535 erhielten die Franzosen als
erste eine Kapitulation für das gesamte Osmanische Reich.45 Diese war sehr weit
umfassend und sah unter anderem auch vor, dass sich andere europäische Mächte
unter ihren Schutz begeben konnten. Dies beinhaltete das Recht, unter französischer
Flagge zu segeln und bei Schwierigkeiten die Dienste des französischen Konsuls in
Anspruch nehmen zu dürfen. Dieser Vertrag wurde vom Großwesir Ibrahim
ausgehandelt und von den Franzosen unterschrieben, aber von Sultan Süleyman nie
ratifiziert.46 Diese Gewährung von Kapitulationen speziell an die Franzosen war auch
ein politischer Akt des Herrschers Süleyman I., der damit die Feinde Frankreichs,
Deutschland und Spanien, benachteiligen wollte. In weiterer Folge erhielt 1553 der
englische Kaufmann Anthony Jenkins von Sultan Süleyman die Handelserlaubnis für
das ganze Osmanische Reich47, und andere Staaten wie die Niederlande folgten
41
FLEET Kate, The Treaty of 1387 between Murad I. and the Genoese, BSOAS 56 (1993), 13 – 33.
42
BEIN, Kapitulationen S. 18 – 19.
43
INALCIK Halil, The Ottoman Empire, The Classical Age, London 1973, S. 133 – 134.
INALCIK, Economic: “Under Süleyman I. (1520 – 1566) Ottoman concern to find allies in
Western Europe against the Habsburgs as well as economic advantages led the Ottoman to extend full
capitulation privileges to France (1569).” S.192.
44
BEIN, Kapitulationen S. 8. Siehe auch INALCIK Halil, An Economic and Social History of the
Ottoman Empire, S. 192.
45
46
MATUZ, Osmanisches Reich S. 124.
Siehe zu diesem Thema das Werk von S.A. SKILLITER, William Harborne and the Trade with
Turkey 1578 – 1582, London 1977.
47
1612.48 Der französische Levantehandel begann sich auf Grund der
Handelsvorteile gut zu entwickeln, 1569, nach der Erneuerung der Kapitulationen
zugunsten der Franzosen hatten diese die Venezianer als führende Handelsmacht
abgelöst.49 Dabei wird auch Genua genannt, welches als eine der Nationen im
Vertrag aufscheint, die unter der französischen Flagge fahren.50
17
Ein spezieller Artikel der erneuerten französischen Kapitulationen aus dem
Jahre 1581 erlaubte es anderen europäischen Nationen abermals, unter ihnen die
Engländer, Portugiesen, Spanier, Sizilianer und Ancona, unter der französischen
Flagge zu segeln und Handel zu treiben. Auch Genua nützte diesen Vorteil weiter
aus.51 Als die Hohe Pforte erkannte, dass die protestantischen Nationen England und
die Niederlande gegen Philipp II. von Spanien gekämpft hatten, wurden auch ihnen
die Vorteile der Kapitulationen zuteil, da sie als wirtschaftlich nützliche Partner und
natürliche Verbündete gegen die Habsburger eingestuft wurden.52
Dieses System der Kapitulationen wurde praktisch bis ins 20. Jahrhundert
beibehalten, erst die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg mit der Türkei
schafften die Kapitulationen formell ab.
Diese Privilegien beinhalteten für die Kaufleute des jeweiligen Landes eine
Exemption von der türkischen Gerichtsbarkeit, Steuerfreiheit und Immunität der
Häuser und Geschäfträume. Nur der Konsul des jeweiligen Landes konnte seine
Landsleute gerichtlich verfolgen. Als Folge der Kapitulationen kam es ab dem 17.
Jahrhundert zu einem starken Ansteigen von ausländischen Kaufleuten in den
Handelszentren des Reiches und einem Anwachsen der Anteile von
nichtmuslimischen Händlern am Gesamtvolumen der osmanischen Wirtschaft.
48
INALCIK Empire S. 137 – 138.
BEIN, Kapitulationen S. 123. Interessant ist die Tatsache, dass dieses System der Kapitulationen
der Vorläufer für die Berufsdiplomatie späterer Jahrhundert wurde. Das Osmanische Reich hingegen
hielt es „mit der Lässigkeit einer Weltmacht nicht für notwendig, eigene Diplomaten dauerhaft bei
fremden Regierungen zu akkreditieren“ (Zitat Matuz).
49
SKILLITER S.A., William Harborne S.1. After the death of Suleimān I. in 1566 and the accession
of his son Selīm II., privileges were granted to France in 1569. In the preliminary communication,
before enumerating the privileges, the Sultan has cause to discuss “ les robbes et marchandises des
Genevois, Siciliens, Anconitains et autres qui cheminent soubs le nom et bannière de l’empreur de
France en Alexandrie, Tripoly de Syrie et aultres eschelles « . No other mention is made concerning
non-French merchants enjoying French protection in the Levant.” Siehe auch INALCIK, Economic ,
S. 192.
50
Ebenda S. 2: Zwar hatten die Franzosen keine formellen Rechte, die unter ihrer Flagge segelnden
anderen Nationen zu beschützen, dennoch dürften sie es doch getan haben. Die anderen
europäischen Nationen akzeptierten diese Praxis, segelten unter französischer Flagge und benutzten
die französischen Konsuln in den Häfen. Ausgenommen davon waren Venedig und Ragusa, welche
spezielle Privilegien genossen. Die Franzosen hüteten ihre Rechte sorgfältig, die ausländischen
Kaufleute mussten dafür ganz beträchtliche Gebühren entrichten.
51
INALCIK, Economic S. 192 – 193.Siehe auch Seite 137: “The Ottomans always tried to use these
commercial privileges as a political weapon. For example they championed the Calvinists in France
against the pro-Spanish Catholic league.”
52
18
Für die Italiener, insbesondere für Genua, war die Rolle in diesem neuen
System des 16. Jahrhunderts schwierig geworden. Nach dem Fall der Stützpunkte im
Schwarzen Meer und in Konstantinopel mussten neue Wege für den Handel
gefunden werden. Die Wirtschaftspolitik der Superba war seit jeher darauf
ausgerichtet, Kompromisse auf diplomatischer Ebene zu erreichen oder neue
Geschäftsmöglichkeiten in Angriff zunehmen. Daher passte man sich in gewohnter
Geschicklichkeit an und verwendete die französische Flagge für die eigenen Schiffe.
Allerdings versuchte Genua 1574 zusammen mit Mailand und Lucca, zur Hohen
Pforte diplomatische Beziehungen aufzubauen, jedoch waren diese Bemühungen
nicht erfolgreich. Es hatte sogar den Anschein, dass die Ragusaner auf Grund ihrer
guten Stellung in Alexandrien den Schutz der Genueser, Florentiner, Sizilianer und
Anconitaner übernommen hätten.53
1578 gelang es Spanien nach langen Verhandlungen mit der Hohen Pforte
einen Friedensvertrag auszuhandeln, der jedoch keine kommerziellen Bestimmungen
enthielt.54
Durch diesen diplomatischen Erfolg angespornt verlangten die Franzosen
eine Erneuerung ihrer Kapitulationen beim Sultan Murad III. im Jahre 1574. Erst
1581 wurde ihnen der Erlass (ahdnāme) des Sultans zuteil, welcher zu den
bestehenden 22 Privilegien noch drei neue hinzufügte. Das erste neue Privileg erteilte
den Franzosen nunmehr das formelle Recht, die ausländischen Kaufleute zu
schützen.55
Der Mangel an vorhandenen Aufzeichnungen erlaubt es nicht, das Volumen
der unter der französischen Flagge fahrenden Genueser Schiffstonnagen
beziehungsweise die Anzahl der Fahrten festzustellen. Wir haben lediglich Hinweise
auf diese Handelspraxis durch die erwähnten Quellen über die französischen
Kapitulationen.
Das System der Kapitulationen wurde bis zum Ende des Osmanischen
Reiches 1924 weiter geführt. Bereits im 17. Jahrhundert begannen die auf Profite im
Außenhandel orientierten europäischen Wirtschaftsmächte, den Charakter des
Systems langsam umzuformen. Die durch die Kapitulationen garantierten
autonomen Enklaven wurden immer mehr ausgebaut und zu Stadtvierteln mit
teilweise europäischen Charakter. Immer mehr europäische Waren flossen ins Land
und vermittelten die neuesten Technologien. Das Osmanische Reich wurde langsam
von Europa wirtschaftlich abhängig, die Levante wurde zum größten Absatzgebiet
europäischer Güter, vor allem von Stoffen, Mineralen und Papier. Gravierend wurde
die Lage für das Osmanische Reich erst nach der Industriellen Revolution des 19.
53
SKILLITER, Harborne S. 3.
SKILLITER S.A., The Hispano – Ottoman Armistice of 1581 in: Iran and Islam, ed. Bosworth,
Edinurgh 1971, S. 496 – 500.
54
SKILLITER, Harborne, S. 4: “ Que les Venitiens en hors les Geneuois, & Anglois, & Portugais, &
Espagnols, & marchands Catellans & Siciliens, & Anconitains, & Ragusois, & entierement tous ceux
qui ont cheminez soubs le nom & Banniere de France d’anciennité iusques à ce iourd’hui, 6 en al
condition qu’ils ont cheminez que d’ici en auant, ils ayent a y cheminer en la mesme maniere». Damit
hatten die Franzosen zunächst formell den Schutz über die europäischen Kaufleute zugestanden
bekommen.
55
19
Jahrhunderts, als die technischen Innovationen und vor allem die Bewaffnung des
Heeres eine starke Auslandsverschuldung der Pforte zur Folge hatten.56
In der frühen Periode des Güteraustausches zwischen Europa und dem
Mittleren Osten, also etwa ab 800 waren die wichtigsten Güter Silberbarren und
Münzen gewesen, welche von der Levante in den Westen gelangten. Noch bis ins 16.
Jahrhunderts hielt der Silberfluss aus Europa an. Um den freien Import dieser Güter
zu gewährleisten, hoben die Osmanen alle Zölle auf Silber auf. Ab 1580 begann das
billige europäische Silber den Markt im östlichen Mittelmeer zu überschwemmen.
Dadurch wurde eine Preisrevolution ausgelöst, welche die osmanische Wirtschaft
erschütterte und mit ihr die traditionellen Werte der Gesellschaft.57
Der genuesische und venezianische Levantehandel hatte durch das System der
Kapitulationen eine Möglichkeit bekommen, die Handelsbeziehungen mit dem
Osmanischen Reich weiter aufrecht zu erhalten. Allerdings konnte auf Grund der
politischen Gegebenheiten keine Dominanz im Schiffsverkehr im östlichen Teil des
Mittelmeeres aufrecht erhalten werden, wie dies im 14. und teilweise auch noch im
15. Jahrhundert der Fall gewesen war. Im 16. Jahrhundert waren es bereits die
Franzosen und Engländer, welche als Konkurrenten auftraten sowie auch die
verschiedenen Nationen, welche im Osmanischen Reich maritime Aufgaben
übernommen hatten, also Griechen und Juden.
Geld- und Finanzwesen
Das osmanische Wirtschaftssystem kannte die Vergabe von Krediten,
Akkreditive, Geldwechselgeschäfte und eine primitive Form des Bankwesens (dolab).
Dabei spielte zu Beginn der Präsenz der Europäer im Reich der Einfluss der
italienischen Gemeinden in Istanbul eine wichtige Rolle. Allerdings waren die
westlichen Einrichtungen des Bankwesens, der Wechselbriefe und anderer
kaufmännischer Insitutionen für den öffentlichen Sektor weniger bedeutend und
gewannen nie die Wichtigkeit, welche die Geldgeschäfte im Europa des 16.
Jahrhunderts bereits angenommen hatten. Europäische Entwicklungen gingen in
Richtung einer Finanzierung der öffentlichen Hand durch den privaten Sektor, wie es
das Beispiel der Genuesen und ihre Involvierung in die Finanzwirtschaft der
Spanischen Krone beweist. Für die Osmanen waren und blieben der staatliche
Landbesitz und die Kontrolle der Landwirtschaft die wichtigsten Quellen des
staatlichen Reichtums.58
Dabei muss festgehalten werden, dass der Umgang mit Geld in der osmanischen
Verwaltung sehr entwickelt war und zum Beispiel ihr Fiskalsystem des 16.
Jahrhunderts den europäischen Modellen weit voraus war. Auch die
Steuerverwaltung war geradezu modern zentralistisch organisiert. Es gab zwei
staatliche Budgetsysteme. Zunächst war es der zentrale Staatschatz, das enderun, ein
Budget, welches dem Sultan zur Verfügung stand und für den Hof, die
56
INALCIK, Empire S. 138.
57
Ebenda S. 139.
58
INALCIK, Economic S. 48.
20
Pfortentruppen und Gehälter der Zentralbeamten diente. Es wurde auch als eine
Art von Reservebudget eingesetzt, wenn das äußere Budget, das birun ,ein Defizit
aufwies. Letzteres beinhaltete die Abgaben der Provinzen und anderer staatlicher
Einkommensquellen wie die Zölle oder andere zentrale Steuern. Es stand unter der
gemeinsamen Aufsicht des Finanzministers ( defterdars) und des Großwesirs.59 In den
Provinzen gab es ebenfalls einen defterdar, welcher für die Steuerabrechnung
verantwortlich war, wobei auch der Generalgouverneur der Provinzen (beglerbeg)
mithaftete.
Nachdem das Heer bzw. auch die Flotte den Löwenanteil an den Staatsausgaben
verschlangen, kam es oft zu Defiziten im Budget. Diese wurden in guten Jahren
durch den inneren Staatsschatz ausgeglichen, wenn dies nicht möglich war, griff man
zum Mittel der Kriegssondersteuer (avarız). Diese Abgabe, welche ursprünglich für
Notfälle vorgesehen war, entwickelt sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer
Dauereinrichtung. Fehlten dann immer noch Mittel, so wurde einfach der
Silbergehalt der Währung vermindert, was zu großen inflationären Schüben führte.
Auch veränderte sich der Außenwert der osmanischen Währung, des aqce
langsam zu seinen Ungunsten. Die folgende Tabelle gibt darüber Auskunft:
Jahr
Wechselkurs zum Venezianischen
Dukaten
1479
45.5
1481
47
1491
52
1500
54
1512
55
1526
59
1550
60
1566
60
1582
60 offiziell, 65-70 Marktpreis
1584
60
1588
120
1600
125
1650
175
1698
300 – 400
1725
375
1731
385
(Aus INALCIK, Economic S. 958 und 964)
Während das 16. Jahrhundert noch von einer relativen Stabilität gekennzeichnet
war, sahen die darauf folgenden Jahrhunderte eine deutliche Geldentwertung mit
Differenzen zwischen dem offiziellen und dem Schwarzmarktkurs.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Finanzgebarung des 16.
Jahrhunderts und verdeutlicht die inneren Defizite:
Fiskaljahr
59
Ebenda, S. 77 – 78.
Steueraufkommen
Ausgaben
Differenz
21
1523-24
1524-25
1527-28
1546-47
1565-66
1567-68
1582-83
1592-93
1597-98
1608
116.888
141.272
277.244
241.711
183.088
348.544
313.744
293.400
300.000
503.691
118.783
126.581
150.228
171.872
189.657
221.532
277.578
363.400
900.000
599.191
- 1.895
+14.691
+127.016
+69.839
-6.569
+127.012
+36.166
-70.000
-600.000
-95.500
(Zahlen in aqçe, nach INALCIK, Economic S. 99)
Die ältesten Steuern wurden in Form von landwirtschaftlichen Produkten
eingehoben. Ebenfalls zu den frühen Steuern zählte die traditionelle Kopfsteuer für
Nichtmuslime (cizye), welche bis 1691 pro Haushalt eingehoben wurde, danach pro
Kopf. Neben den Steuern in Geld und Naturalien kamen auch Dienstleistungen,
etwa für die Armee in Frage.60
Im privaten Sektor entwickelte sich trotz des Zinsverbotes des Islam ein
beträchtliches Wucherkapital. Durchschnittliche Zinssätze betrugen 30 – 60 %, in
Ausnahmefällen bis zu 360 %. Neben den Privatpersonen liehen auch die so
genannten Vakif-Institutionen Geld aus. Diese waren eigentlich fromme Stiftungen,
welche teilweise mit umfangreichem Kapital ausgestattet waren, dieses aber auf den
Geldmärkten einsetzten. Das Geldwesen bzw. die Wucherwirtschaft wurde dabei
nicht nur von Christen und Juden, sondern auch von Muslims betrieben. Die neuere
Lehre hat festgestellt, dass es sehr wohl eine umfangreiche Kapitalbildung im
Osmanischen Reich gegeben hat, und zwar bereits im 16. Jahrhundert.61 Wie
allerdings das Finanzkapital im Unterschied zu Europa eingesetzt wurde, ist ein
anderes Kapitel.
Jedoch gibt es auch zwischen dem Osmanischen Reich und seinen
europäischen Gegenspielern keinen Unterschied was den Einsatz der staatlichen
Budgetmittel anbelangt: alle Staaten dieser Zeit finanzierten vor allem gegenwärtige
und zukünftige Kriege und überließen Erziehung und Wohlfahrt dem privaten
Sektor.62
Schlussbemerkungen
Wie wir gesehen haben, wies das Osmanische Reich um 1600, am Ende unserer
Betrachtungsperiode, deutliche wirtschaftliche und politische Schwächezeichen auf.
Ein allgemeiner Niedergang während des 17. und 18. Jahrhunderts kann historisch
60
INALCIK, Economic S. 536.
CAĞLAR, Türkei S. 97. Zitiert nach Şevket PAMUK The Ottoman Empire and European
Capitalism 1820 – 1913, Trade, Investment and Production, Cambridge 1987, S. 179.
61
62
INALCIK, Economic, S.542 – 543.
22
nicht fundiert bewiesen werden. Jedoch kann ohne Zweifel gesagt werden, dass es,
was die Wirtschaftskraft anbelangte, zu einer bedeutenden Umkehrung zugunsten
der europäischen Mächte kam. Allgemeine Aussagen sind deshalb so schwierig, weil
viele Gebiete des Reiches sehr unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen
hatten.63
Jedoch spielte das Osmanische Reich immer noch als großer einheitlicher
Wirtschaftskörper im östlichen Mittelmeer eine wichtige Rolle für die Entwicklung
des modernen Europa. Wir haben bereits erwähnt, dass es ja schon seit dem 16.
Jahrhundert der mit Abstand größte Absatzmarkt für europäische Exporte gewesen
war. Die Gewährung von Kapitulationen an die Mächte England, Holland und
Frankreich hatte diesen ein weites Gebiet für ihre Produkte im 17. Jahrhundert
eröffnet. Die ersten erfolgreichen Überseegesellschaften waren die Levantefirmen
gewesen, bevor es noch die holländischen und englischen Indiengesellschaften
gegeben hatte. Und aus dem Orient waren die ersten Lieferungen von Seide und
Baumwolle an die sich entwickelnden europäischen Industrien gekommen.64 Daher
hatte dieser Wirtschaftsraum als Brücke zwischen Asien und Europa nicht nur eine
Mittlerfunktion gehabt, sondern auch durch die Möglichkeit, Produkte in großen
Mengen absetzen zu können, der Exportwirtschaft Europas starke Impulse verliehen.
Warum hatten die Osmanen selbst keinen nennenswerten Anteil an der
Entwicklung des Welthandels im Rahmen der Atlantischen Expansion ? Einerseits
war wohl die geographische Lage ausschlaggebend – der Ausgang des Mittelmeeres
zum Atlantik lag weit entfernt und Basra bzw. Aden hatten nicht das ausreichende
kommerzielle Hinterland für Überseeexpeditionen. Es mag sein, dass auch die
Kleinhandelsideologie eine Rolle spielte, das Risikoelement des Seehandels, welches
man scheute.65 Oder aber waren die Ressourcen der Führung durch die vielen Kriege
gebunden, welche man im Mittelmeerraum und in den angrenzenden Regionen
führte. Möglicherweise hat auch ein Konservativismus der Ideologen und
Entscheidungsträger dazu beigetragen, der Neuerungen misstrauisch gegenüber stand
und in der Bewahrung der erprobten Vorgangsweisen der osmanischen Goldenen
Zeit die Lösung sah.66
Literatur
OWEN, Middle East, S. 8 – 9. “If there is proof of a general decline during the seventeenth and
eighteenth century it is still certainly true that there was a significant shift in the balance of economic
power between the Middle East and the nation states of western Europe. One important aspect to this
shift was the change in the pattern of sea-borne trade both in the Mediterranean and the Indian
Ocean.”
63
64
INALCIK, Economic S. 3.
65
IRBEC, Determinanten S. 232.
Bernard LEWIS, Der Untergang des Morgenlandes, Bergisch Gladbach 2002, S. 37 – 38. „Als
wichtigstes Heilmittel (gegen die negative Entwicklung) wurde die Rückkehr zu den … guten alten
islamischen und osmanischen Sitten…propagiert.“
66
23
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Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986.
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Anhang
Anhang 1
FLEET Kate, European and Islamic trade in the early Ottoman State. The
merchants of Genoa and Turkey, Cambridge 1999, S. 135 – 141, 147 - 149.
Anhang 2
McCARTHY, Justin, The Ottoman Turks, London 1997, S. 132 – 137.
Anhang 3
PAMUK, Şevket, A Monetary History of the Ottoman Empire, Cambridge 2000, S.
40 – 74 sowi Abb. 21 - 24.
Anhang 4
AKSAN Virginia and GOFFMANN Daniel, Early Modern Ottomans. Remapping
the Empire, Cambridge 2000, S. 78-82.
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