Behandlungsüberwachung bei Diabetikern Spezielle Aspekte der Behandlungsüberwachung bei Diabetikern Gerd Breuch Nipro Europe N.V. Weihoek 3H 1930 Zaventem Belgien [email protected] www.nipro-europe.com Die Behandlungsüberwachung bei diabetischen Patienten ist eine besondere Herausforderung für Pflegende in der Dialyse. Der nachfolgende Artikel beleuchtet spezielle Aspekte der Vitalzeichenkontrolle während der Dialyse. Blutdruck Diabetiker an der Hämodialyse bieten ein spezielles, höchst anspruchsvolles Muster spezifischer Probleme; dazu zählt auch das Problem der intradialytischen arteriellen Hypotension. Diese wird hauptsächlich durch eine fortgeschrittene autonome Neuropathie sowie eine gestörte linksventrikuläre Compliance (verminderte Dehnfähigkeit der linken Herzkammer) verursacht. Diabetiker sind bei einem beginnenden Blutdruckabfall häufig nicht in der Lage kompensatorisch mit einem reflektorischen Herzfrequenzanstieg und einer adäquaten peripheren Vasokonstriktion (Vasoplegie – Gefäßlähmung) zu reagieren. Die Folge der schwer kontrollierbaren arteriellen Blutdruckschwankungen ist häufig, dass das Trockengewicht nicht erreicht wird, was wiederum eine schwierigere und damit schlechtere RR-Einstellung zur Folge hat. Intradialytische Hypotensionsepisoden bei Diabetikern sollten unbedingt vermieden werden. Dies kann durch ein Pausieren der Antihypertensiva vor HD-Beginn sowie längeren Dialysezeiten mit moderaten Ultrafiltrationsraten erreicht werden. Eine engmaschige Vitalzeichenkontrolle ist bei Diabetikern unumgänglich. Eine besondere Bedeutung fällt in diesem Zusammenhang einer exakten Blutdruckmessung während der Hämodialyse zu. Bei älteren Menschen und bei Menschen mit Diabetes liegt häufig eine Mediasklerose vor. Arterien sind durch sklerotischen Umbau steif geworden. 32 Spektrum der Dialyse & Apherese I 05/2011 Der Widerstand der sklerosierten Gefäßwand muss beim Aufpumpen der Blutdruckmanschette über den eigentlichen intraarteriellen Druck hinaus überwunden werden. Der daraus resultierende Gesamtdruck liegt entsprechend um etwa 20 mmHg bis 60 mmHg über dem Druck in der Arterie und führt zu einer Überschätzung des Blutdrucks. Die Überprüfung auf das Vorliegen einer Mediasklerose ist wie folgt möglich: Nach Anlegen der Blutdruckmanschette wird diese unter Tasten des Radialispulses bis zum Verschwinden desselbigen aufgepumpt. Ist die Radialisarterie dann als pulsloser Strang weiter tastbar, liegt eine Mediasklerose vor. Fehlerhafte Messergebnisse kann aber auch erhalten, wer ein nicht geeignetes Gerät bzw. eine ungeeignete Stelle zur Blutdruckmessung verwendet. Sofern sich eine Mediasklerose nicht ausschließen lässt, ist ein Gerät, das am Oberarm mit seinen größeren Arterien misst, besser geeignet als Handmessgeräte. Bei ausgeprägten Herzrhythmusstörungen sind Geräte, die mit einem Mikrofon die Gefäßgeräusche erfassen, zuverlässiger als oszillometrische Messverfahren, die Druckänderungen in den Arterien auswerten. In Dialysegeräten sind zumeist automatische Geräte zur Blutdruckmessung integriert, die nach der oszillometrischen Methode messen. Um bei diabetischen Patienten zuverlässige Blutdruckwerte zu erhalten, muss man patientenindividuell sowohl die korrekte Methodik als auch eine geeignete Stelle für die Messung (ggf. Oberschenkel) eruieren. Körpertemperatur Eine weitere Möglichkeit hypotensive Episoden an der Dialyse zu vermeiden, ist die Verwendung von kühler Dialysierflüssigkeit. Schon vor mehr als 20 Jahren konnte gezeigt werden, dass der Blutdruck an der Dialyse durch den Gebrauch von kühler Dialysierflüssigkeit stabilisiert werden kann. Die Standard-Hämodialyse führt zu einem Anstieg der Körpertemperatur. Der durchschnittliche Anstieg liegt zwischen 0,39 und 0,67 °C. Eine Reihe von möglichen Erklärungen für den Temperaturanstieg während der Dialyse wurde diskutiert. Vermutlich sind im Wesentlichen zwei Mechanismen für den Temperaturanstieg an der Dialyse verantwortlich: • Die Verwendung von zu hohen Dialysierflüssigkeitstemperaturen (37 °C) • Eine verminderte Wärmeabgabe über die Haut durch Vasokonstriktion der Hautgefäße bei Ultrafiltration. Dies wurde zuerst durch Gotch beschrieben und die „Volumen-Hypothese“ genannt. Die Ultrafiltration induziert eine akute Verminderung des Blutvolumens. Daraufhin reagiert der Sympathikus mit einer Vasokonstriktion. Es konnte gezeigt werden, dass die Ansammlung von Wärme im Körper genau mit der Menge der Ultrafiltration während der Behandlung korreliert. Je mehr Volumen entzogen wird, desto mehr Wärme staut sich im Körper an. Die Daten legen nahe, dass die Wahrscheinlichkeit eines Blutdruckabfalls mit zunehmender Ultrafiltration steigt, da an einem bestimmten Punkt des Wärmestaus der Impuls, die Hautgefäße zur Wärmeableitung zu dilatieren, höher ist als der Impuls, die Hautgefäße wegen des Volumenmangels eng zu stellen. • Damit der Patient die Vasokonstriktion unter Volumenentzug aufrecht erhalten kann, sollte die Hämodialyse unter isothermischen Bedingungen durchgeführt werden. Dies bedeutet, dass die Dialysierflüssigkeit den Patienten nicht aufwärmen sollte. • Die Dialysierflüssigkeit sollte vielmehr die Menge an Wärmeenergie entfernen, die den Körper wegen der Vasokonstriktion nicht mehr über die Haut verlassen kann. Als Ergebnis dieser Wärmeabfuhr bleibt die Kerntemperatur des Patienten auf dem Niveau vor Dialysebeginn. Ob die Absenkung der Dialysierflüssigkeitstemperatur auch für Patienten mit Diabetes mellitus ein erfolgreiches Konzept darstellt, ist zumindest bei Patienten mit langjährigem Diabetes und fortgeschrittener autonomer Neuropathie sowie ausgeprägter Mediasklerose zweifelhaft. Diese Patientengruppe ist zu einer Vasokonstriktion unter Volumenentzug nur bedingt in der Lage. Dennoch sollte diese Möglichkeit zur Vermeidung hypotensiver Episoden auch bei diabetischen Patienten, wenn sie unter Blutdruckabfällen an der Dialyse leiden, auf jeden Fall geprüft werden. Die vorliegenden Untersuchungen zur Verwendung von kühler Dialysierflüssigkeit verdeutlichen zumindest, warum diabetische Patienten eher zu hypotensiven Episoden während der Dialyse neigen als nichtdiabetische Patienten. 33 Behandlungsüberwachung bei Diabetikern Pulsfrequenz Orthostatische Hypotonie Doch nicht nur die Überwachung des Blutdrucks, sondern auch die der Pulsfrequenz ist bei Diabetikern an der Dialyse von entscheidender Bedeutung. Last but not least sei auf das Symptom der orthostatischen Hypotonie bei Diabetikern, vor allem nach Volumenentzug (Dialyse) hingewiesen. Die orthostatische Hypotonie ist eine bei Wechsel in die aufrechte Körperlage (Orthostase) auftretende Regulationsstörung des Blutdrucks mit Schwindel, Sehstörungen, Schwarzwerden vor Augen, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen bis hin zur Ohnmacht. Die betroffenen Patienten zeigen oft schon vor Einsetzen der Ultrafiltration im Rahmen der Dialysebehandlung einen sehr hohen Puls (Ruhetachykardie), der mit Behandlungsbeginn (Start Ultrafiltration) dramatisch abfallen kann. Der Einsatz von vasoaktiven Substanzen (Vasokonstringenzien: gefäßverengende, blutdrucksteigernde Arzneimittel) führt auf Grund der beschriebenen Vasoplegie an den Gefäßen häufig nicht zu dem gewünschten Erfolg. Engmaschige Pulskontrollen und eine moderate Modulation der Ultrafiltration sind hier das Mittel der Wahl. Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist die häufigste und gefährlichste Komplikation des Diabetes mellitus. Jeder zweite Betroffene stirbt an den Folgen dieser Erkrankung, die bei Neuropathie oft symptomlos (stumme Myokardischämien und stumme Myokardinfarkte) verläuft. Ein weiterer Grund, der für eine engmaschige Kontrolle der Vitalzeichen und insbesondere des Allgemeinzustands bei diabetischen Patienten während der Dialyse spricht. Nach Beendigung der Dialysebehandlung sollte zur Vermeidung einer orthostatische Hypotonie zwischen Liegen und Aufstehen eine mindestens zweiminütige Sitzphase eingelegt werden, damit sich der Kreislauf an die veränderte Körperlage adaptieren kann. Es empfiehlt sich vor dem Aufstehen erneut den Blutdruck zu kontrollieren. Diabetiker sollten nur in Begleitung und/oder an Handläufen das Behandlungszimmer verlassen. Als Sonderform oder verwandtes Syndrom könnte man die postprandiale Hypotension (PPH) bezeichnen. Sie tritt häufig bei älteren Menschen mit Bluthochdruck und Diabetikern auf, zumeist 2 Stunden nach einer Mahlzeit. Ein Aspekt der hinsichtlich der Nahrungsaufnahme während der Dialyse beachtet werden muss. Literaturverzeichnis: „Spezialwissen Dialyse und Diabetes“ G. Breuch, E. Müller, B. Oser; elsevier, urban & fischer Verlag 34 Spektrum der Dialyse & Apherese I 05/2011