Augenprobleme in der Grundversorgung

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Augenprobleme in der
Grundversorgung
Erstellt von: Anna Fierz
Zuletzt revidiert im März 2010
Trockenes Auge
Kratzen, Fremdkörpergefühl, „empfindliche Augen“.
Verschlimmernd: Zugluft, Kälte, trockene geheizte Räume, PC. Sehr häufiges, meist
chronisches Problem.
Ursachen: verminderter Tränenfilm (Alter, Menopause, seltener autoimmun,
medikamentös) oder instabiler Tränenfilm bei Blepharitis (Ölmangel durch verstopfte
Meibomdrüsen) oder Allergien (Schleimmangel bei chronischer Konjunktivitis). Bei
Blepharitikern und Allergikern oft paradoxes Tränenlaufen: Tränenfilmaufreisszeit
vermindert, Cornealreflex regt Tränendrüse zu Nachschub an.
Bei wesentlicher Blepharitis (Lidkantenrötung, ev. Krusten, ev. Hordeola in der
Vorgeschichte) immer Basistherapie mit warmen Kompressen und – bei fähigen und
motivierten Patienten – Lidhygiene mit Wattestäbchen und verdünntem
Babyshampoo.
Eventuell zusätzlich Medikamente: künstliche Tränen siehe unten. Primär gegen die
Blepharitis wirksam ist Fucithalmic (Fusidinsäure). Bei schweren Blepharitiden u.U.
systemische Tetracyclinkur über mehrere Wochen wie bei Akne. Bei frischen
Hordeola warme Kompressen, ev. vorsichtig gegen Lidkante hin ausmassieren, bei
starker Schwellung/Schmerzen (und weissem Auge) cortisonhaltige Salbe wie z.B.
Blephamide (Sulfacetamid + Prednisolon): nicht repetieren, potentiell Steroidglaukom
innert Wochen! Eine kleine Minderheit aller Hordeola hinterlässt ein nicht mehr
entzündetes Knötchen (Chalazion), das nicht mehr verschwindet, aber operiert
werden kann.
Tränenersatz: Dutzende von Präparaten, im Zweifelsfall ausprobieren. In leichten
Fällen Beginn mit wenig viskösen Tropfen (d.h. kürzere Wirkdauer), z.B. Protagent,
Oculac. NaCl 0.9% ist schlechter, da ebenso instabil wie ein viel zu wässriger
Tränenfilm ohne Öl- oder Schleimanteil. Konservierte Präparate in Flaschen billiger
und für ältere Patienten leichter anzuwenden. KI: Weiche Kontaktlinsen, corneale
Epitheliopathien (Fluoresceinprobe!).
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Bei Allergikern, Linsenträgern und bei Verwendung über ca. 4x tgl. von Anfang an
unkonservierte Monodosen verwenden, z.B. Protagent SE, Oculac SDU. Falls
ungenügend wirksam: viskösere, gelartige Substanzen wie Oculotect, Celluvisc,
Fermavisc (alle als Einzeldosen erhältlich) etc. Cave: machen in den ersten
Momenten einen „Film“. Gute, aber nicht kassenpflichtige Befeuchtung:
hyaluronsäurehaltige Monodosen, z.B. Vismed (relativ lange wirksam, relativ wenig
„Film“). Weiterführende Artikel für Interessierte/Betroffene:
http://www.pharmasuisse.org/de/pharmazie_fachpublikum/11_aka/media/publikation
en/08_19_Traeneners_Update_d.pdf,
http://www.pharmasuisse.org/de/pharmazie_fachpublikum/11_aka/media/publikation
en/06_13_Trockenes_Auge_d.pdf. – Bei schwerster Trockenheit
(Autoimmunkrankheiten, Facialis- oder Trigeminusaffektion) auch Vitamin A-Salbe,
Uhrglasverband, ev. punctum plugs (Tränenwegstöpsel), ultima ratio: Tarsorrhaphie.
Allergische Konjunktivitis
Häufig. Juckreiz ++, wässriges bis schleimiges Sekret, u.U. massive
Bindehautchemose, Rötung oft weniger als bei infektiösen Konjunktivitiden. Ev.
saisonaler oder anderer Auslöser (Pollen, Makeup, Duftstoffe, Tierhaare, Hausstaub,
Schimmel) oder Allergieanamnese. Antihistaminika wirken rasch und spezifisch (z.B.
Livostin = Levocabastin). Zunehmend verlassen wird Mastzellstabilisation vor
(saisonalem) Symptombeginn mit Chromoglykat, z.B. Chromosol, Opticrom (volle
Wirkung erst nach ca. 14d). Neuere Antiallergika wie Zaditen Ophta/SDU (oder
Opatanol, das aber nur mit Konservantien erhältlich ist) kombinieren beide
Wirkmechanismen. Vasokonstriktoren („Weissmacher“) sind ungezielt wirksam und
nur über wenige Tage sinnvoll, cave Gewöhnung, trocknen aus. (Bsp.: Spersallerg =
Vasokonstriktor plus Antihistaminikum, sollte nicht mehr als ein bis zwei Wochen
verwendet werden.) Zu Steroiden siehe unten.
Infektiöse Konjunktivitis
Virale und bakterielle Formen sind selbstlimitierend. Bester klinischer Prädiktor für
bakt. Infekt: verklebte Augen, gelbes Sekret. Akute Konjunktivitiden muss man nicht
zwingend behandeln; bei bakteriellen Formen verkürzt eine Therapie wahrscheinlich
die Krankheitsdauer und die Ansteckungs“gefahr“ (Krippenkinder). Bei viralen nur
Symptombehandlung möglich. Chlamydien sprechen nicht auf topische Therapie an
und können chronifizieren, sind aber selten – Abstrich, falls es nicht bessert.
Keratokonjunktivitis epidemica: heftigste Bindehautentzündung, Adenoviren,
präaurikulärer Lymphknoten, in einigen Prozent Hornhautbeteiligung mit
Visusminderung, die bis zu Monaten dauern kann. Hochansteckend. Bei allen
Konjunktivitiden Kontaktlinsenkarenz, kontaminierte KL desinfizieren/ersetzen lassen
inkl. Behälter. Separate Handtücher benützen.
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Therapie diskutieren und mit dem Patienten zusammen je nach Leidensdruck
entscheiden: bei bakt. Infekt ev. Antibiotikatropfen (z.B. Spersapolymyxin (Lagerung
im Kühlschrank): Polymyxin /Neosporin, auch bei Kleinkindern; bei Säuglingen
spülen, ev. Fucithalmic). Bei Chronifizierung Chlamydienabstrich (kratzen, da Erreger
intrazellulär) und systemische Therapie inkl. Partner. Symptomatisch alles möglich
vom Vasokonstriktor (leicht: z.B. Collypan, potenter: z.B. Visine) über NSAR (z.B.
Voltaren Ophta, in Kombination mit Tobramycin: Tobrafen) bis zum topischen
Steroid.
Vor Steroidgabe muss zwingend eine Hornhautbeteiligung ausgeschlossen
werden – Fluorescein (Blaulicht), ev. Lupe. Red flags: Schmerzen,
Photophobie, Visusminderung. Cave Kontaktlinsenträger: höheres Risiko für
Hornhautulcera, breiteres Erregerspektrum, geringere Schmerzempfindlichkeit.
Viele Augenärzte betrachten (auch in Gerichtsgutachten) Steroidgabe durch
Grundversorger als Kunstfehler - potentieller Haftpflichtfall. (Hingegen ist die
kurzfristige Steroidgabe am weissen, ruhigen Auge z.B. bei einem Hordeolum meist
unbedenklich, da hier ja keine Keratitis vorliegen kann.) Wenn Steroide, dann
möglichst schwache: Fluorometholon penetriert kaum und führt nicht zu einem
Steroidglaukom (FML-Liquifilm, in Kombination mit Neomycin FML-Neo-Liquifilm).
Herpes simplex im Augenbereich und Herpes zoster ophthalmicus
Gehören notfallmässig zum Augenarzt, outcome auch bei prompter und korrekter
Behandlung oft frustrierend, bei HSV langwieriger Verlauf mit Rezidiven und
progredientem Visuszerfall möglich. Erstinfekt bei HSV meist am Lid (Bläschen).
Gefürchtet sind Keratitiden und Uveitiden – red flags siehe oben, wobei der Schmerz
wegen der verminderten Hornhautsensibilität praktisch fehlen kann. Eventuell
topische und systemische Virostatika je nach Schweregrad. – Beim Zoster V1
notfallmässige Überweisung nur nötig, wenn das Auge rot ist (sonst kein Zoster
ophthalmicus sensu stricto).
Oberflächenverletzung
Sonderfall Verätzung: sofort und mehrere Minuten spülen, bei krampfartigem
Lidschluss ev. vorher Lokalanästhetikum tropfen (z.B. Oxybuprocain = Novesin). Bei
Kalkverätzung ektropionieren: subtarsale Kalkbrösel setzen weiter Lauge frei.
Kalkverätzungen daher nach dem Spülen immer zum Augenarzt. Andere leichte
Verätzungen ev. nur beobachten, falls Patient nach dem Spülen beschwerdefrei und
Auge reizfrei. Rötung ist kein verlässlicher Indikator zur Beurteilung des
Schweregrads.
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Oberflächenverletzungen und kleine Fremdkörper im Auge sind ohne Spaltlampe
schwierig zu sehen. Womöglich eine Lupe benutzen, immer bei guter Beleuchtung
schauen. Eine Erosio sieht man am besten mit Fluorescein und Blaulicht. Jede
Erosio antibiotisch abschirmen, am besten mit Salbe, schmiert und wirkt auch
analgetisch (z.B. Floxal = Ofloxacin). Bei suspekter Anamnese immer ektropionieren:
subtarsaler Fremdkörper? Verletzung bei Arbeit mit Metall: im Zweifelsfall zum
Augenarzt, selten gedeckte Perforation mit intraokulärem FK. Hornhautfremdkörper
sind manchmal nach Novesin-Tropfen mit dem Wattestäbchen oder Spritzenkanüle
abstreifbar. Metall-FK hinterlassen meist einen (von blossem Auge kaum sichtbaren)
Rosthof, der zwingend vom Augenarzt ausgebohrt werden muss. Keine topischen
Lokalanästhetika mitgeben (epitheltoxisch). Eine nicht infizierte Erosio sollte
innerhalb von 1-2d zuheilen. Reibeverbot bis Epithel stabil (ca. 7d), bei langwierigem
Verlauf kann eine rezidivierende Erosio entstehen.
Iritis/Iridozyklitis/Uveitis anterior:
Selten. Red flags wie bei der Keratitis: nicht nur rotes Auge, sondern auch
Schmerzen, Photophobie, Visusabfall. Klinisch ciliare Injektion (v.a. um die Iris,
bläulicher Unterton). Ca. 50% idiopathisch, Rest bei div. autoimmunen
Systemerkrankungen (Bechterew, andere rheumatische Kh, entzündliche
Darmerkrankungen). Bei verschleppter Behandlung potentiell ernsthafte
Komplikationen: Synechien, Katarakt, Sekundärglaukom. Gehört wie jedes rote Auge
mit red flags rasch zum Augenarzt. Th: in 1. Linie topische Steroide.
Katarakt („grauer Star“)
Altersphysiologische Linsentrübung. Häufigste Operation überhaupt in der 1. Welt,
meist ambulant und in LA, zu ca. 98% komplikationslos. Weltweit immer noch
häufigste Erblindungsursache. Indikationsstellung individuell unterschiedlich,
grundsätzlich Wahleingriff, zwingend nur bei weit fortgeschrittenem Befund oder
Komplikationen wie z.B. sekundärem Druckanstieg. Postoperativ kombinierte
Antibiotika-Cortison-Tropfen (z.B. Tobradex). Spätfolge: Nachstar = Trübung der im
Auge belassenen hinteren Linsenkapsel, mit Laser ambulant zu beheben. Stationäre
Operation kann indiziert sein bei fkt. Einäugigkeit, ev. bei Operation in
Allgemeinnarkose (z.B. bei essentiellem Tremor), Demenz/Verwirrung.
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Glaukom („grüner Star“)
Im weitesten Sinne druckbedingte Schädigung des Sehnerven, wobei es keine
allgemeingültige Grenze für den „normalen“ Augendruck gibt (Richtwert 21 mm Hg)
und Schäden z.B. bei Vasospastikern und schlechter Durchblutung schon bei nicht
eindeutig erhöhten Augendruckwerten vorkommen können („Normaldruckglaukom“).
Umgekehrt gibt es Leute, die lebenslang „zu hohe“ Druckwerte haben, aber nie
Folgen („okuläre Hypertension“).
Immer noch häufige Ursache vermeidbarer Sehbehinderung bzw. Erblindung auch in
der 1. Welt, da das chronische Offenwinkelglaukom (die bei uns mit Abstand
häufigste Form) sehr lange asymptomatisch bleibt. Erst grosse Gesichtsfeldausfälle
fallen subjektiv auf. Screeningempfehlung vgl. Dossier Vorsorgeuntersuchungen:
spätestens ab 50 ca. alle drei Jahre, bei Risikofaktoren vorher. RF:
Familienanamnese, hohe Fehlsichtigkeit, hoher Blutdruck. Die Behandlung der
okulären Hypertension ist eine Grauzone und individuell zu diskutieren. Es gibt
neuerdings evidenzbasierte Berechnungsgrundlagen fürs Risiko eines
Folgeschadens, d.h. eines Glaukoms. Bei bereits vorhandenem Endorganschaden
(Gesichtsfeldausfall) ist eine Therapie zwingend, ausser bei terminal Kranken. Auch
hier ist der Behandlungseffekt seit einigen Jahren evidenzbasiert. Man beginnt in der
Regel mit Augentropfen. Nebenwirkungen und Complianceprobleme sind häufig, und
oft wirken die Tropfen alleine nicht genug. In diesen Fällen wird eine
Glaukomoperation nötig.
Für den Grundversorger ist das Glaukom die wahrscheinlich relevanteste
ophthalmologische Diagnose. Dennoch wird es in Problemlisten (z.B. von
Spitalaustrittsberichten) oft ignoriert. Demente Glaukompatienten vergessen ihre
Tropfen nicht selten; als Folge erblinden sie über kurz oder lang. Deshalb und wegen
den potentiellen systemischen NW der Glaukombehandlung gehört diese Diagnose
auf den „Radar“ des Hausarztes.
First line drugs sind heute die Betablocker und die Prostaglandinanaloga.
Betablocker können selbst bei topischer Anwendung systemische Nebenwirkungen
haben; eine Okklusion des Tränenkanals nach dem Tropfen verhindert die
systemische Aufnahme teilweise. Übliche Kontraindikationen. Es gibt
„kardioselektive“ Betablocker, zB Betoptic = Betaxolol, nicht ganz so potent wie der
meistverwendete Betablocker Timolol = Timoptic. Seit Einführung der
Prostaglandinanaloga sind Xalatan = Latanoprost und Co. die erste Wahl bei
systemischen KI für Betablocker: Prostaglandinanaloga sind derzeit die stärksten
topischen Drucksenker und machen systemisch nichts, dafür lokal in bis zu 10% rote
Augen, manchmal auch eine Nachdunkelung der Iris und ein verstärktes
Wimpernwachstum. Nicht ganz so oft verwendet werden alpha-adrenerge Agonisten
(Alphagan = Brimonidin, Haupt-NW: Müdigkeit, lokale Reizung), topische
Carboanhydrasehemmer (Trusopt = Dorzolamid, Azopt = Brinzolamid, weniger
potent, lokale NW) und die alte Substanzklasse der Miotika wie Pilocarpine (häufige
Applikation, sehr oft NW wie z.B. Sehstörungen).
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Einzig Betablocker und Kombinationen davon sind als Monodosen erhältlich.
Acetazolamid per os (Diamox) senkt den Druck sehr gut, ist aber mit vielen NW
behaftet und dient in der Regel nur der Überbrückung bis zu einer
Glaukomoperation.
Sport – als eine Art endogener Betablocker - und Cannabis senken den Augendruck,
wobei Cannabis wegen der kurzen Halbwertszeit nichts nützt (starke Schwankungen
des Augendrucks sind wahrscheinlich per se schädlich). Beim Normaldruckglaukom
und in terminalen Situationen kann man auch versuchen, die lokale Durchblutung zu
fördern, z.B. mit Ginkgo oder Calciumantagonisten. Eine englische Studie –
allerdings retrospektiv – zeigte, dass in der Risikopopulation der behandelten
Hypertoniker die mit einem Betablocker signifikant seltener ein Glaukom entwickelten
als die andern Gruppen (Langman et al, BJO 2005).
In Europa viel seltener ist das akute Winkelblockglaukom: akute Rötung mit
Sehstörung und heftigsten Schmerzen bis hin zum Pseudo-akuten Abdomen. Das
klinische Vollbild ist mühelos zu erkennen: die Pupille ist entrundet, mittelweit und
lichtstarr, der Bulbus steinhart (auch für Ungeübte problemlos palpabel), der Visus
stark vermindert. Notfallmässige Zuweisung zum Facharzt bzw. auf die Augenklinik,
auch zu Unzeiten. Akuttherapie mit Diamox i.v., Glycerin per os, Pilocarpine lokal et
cetera, meist baldiges invasives Vorgehen nötig. – Es gibt Mischformen, z.B. das
chronische Engwinkelglaukom. Bei Asiaten ist es häufiger als das
Offenwinkelglaukom.
Noch seltener ist der Buphthalmus, das angeborene Glaukom, das sich als „schöne
grosse Augen“ beim Baby oder Kleinkind äussert, manchmal mit Tränen und
Lichtscheu.
Diabetes und diabetische Retinopathie
Wohl einzige Ursache (meist) vermeidbarer Erblindung, die im Westen häufiger ist
als anderswo. Erhältliche Daten zur Häufigkeit veraltet, nimmt fast sicher ab ggü.
dem, was in den 90ern galt (damals: 50% nach 10 Jahren). Wird durch optimale
Einstellung des Grundleidens und begleitender RF wie Hypertonie statistisch
verzögert. Wenige Patienten haben auch nach Jahrzehnten keine (genetische
Varianten?). Gefässschäden -> retinale Ischämie -> vascular endothelial growth
factor VEGF -> Leckagen (z.B. Makulaödem mit Visusminderung) und
Neovaskularisationen mit hohem Risiko für Glaskörperblutungen, traktive
(vernarbungsbedingte) Netzhautablösungen und Erblindung. Kann ganz oder
weitgehend verhindert werden durch eine gezielte (Makula) oder panretinale
Laserkoagulation. Der Preis für die Pan-LK ist eine leichte
Gesichtsfeldeinschränkung, der Nutzen ist jedoch wiederum klar evidenzbasiert.
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Forschungsgebiete: Steroide, VEGF-Hemmer. – Diabetiker ohne Retinopathie sollten
gemäss internationalen Richtlinien jährlich zum Augenarzt, beim Altersdiabetes ab
Diagnosestellung, beim Typ I innert 3-5 Jahren danach. Bei dokumentiert normaler
Netzhaut und guter Diabeteseinstellung kann das Intervall wahrscheinlich länger
sein; eine englische Studie fand in den Nullerjahren, dass ein Screeningintervall von
3 Jahren nichts Wesentliches verpasst. Bei bereits vorhandenen Netzhautschäden
müssen die Intervalle natürlich kürzer sein.
Alterskorrelierte Makuladegeneration AMD
Heute häufigste Ursache einer funktionellen Erblindung im Westen (ganz blind wird
man daran nie). Über 70 hat jeder Dritte, über 80 jeder Zweite Zeichen einer meist
leichten AMD. Sie beginnt als „trockene“ Form mit Unregelmässigkeiten im retinalen
Pigmentepithel (Drusen, Atrophie, Pigmentverklumpungen). Die trockene Form
schreitet entweder langsam zur völligen Atrophie fort oder geht in die rasch
progrediente feuchte Form über, die sich als akutes Wellen- und Fleckensehen
äussert. Patienten mit diesen Beschwerden müssen innert weniger Tage zum
Facharzt. Die feuchte Form ist oft behandelbar. Die Behandlung wird intensiv
erforscht. Seit 2007 ist ein intravitreal injizierter Hemmer des vascular endothelial
growth factor VEGF in der Schweiz kassenzulässig: Lucentis = Ranibizumab. Offlabel und selbst zu bezahlen ist hingegen Avastin = Bevacizumab (dasselbe Molekül
in einem grösseren Grundgerüst). Die Behandlung ist teuer und aufwändig und muss
teils oft wiederholt werden. Langzeiterfahrungen fehlen noch. Mit den VEGFHemmern gelingt es oft, den Visus über Jahre zu stabilisieren, eine ganz neue
Erfahrung in der Behandlung der AMD. Mit früheren Methoden wie Visudyne und
„kaltem Laser“ konnte man den Verlauf nur bremsen, das Endresultat blieb die
schwere Sehbehinderung.
Bis vor kurzem musste man der Prävention besonderes Gewicht beimessen, weil die
Behandlungsmöglichkeiten so limitiert waren. Sie ist immer noch sinnvoll. Wichtig ist
die Einstellung von Risikofaktoren: gut belegt sind Rauchen und Hypertonie,
kontroverser die Hypercholesterinämie. Die Vitamine A, C, E und Zink vermindern
das Risiko einer AMD sowohl als hochdosiertes Vitaminpräparat (AREDS-Studie
2001) als auch in Form von Früchten und Gemüsen (Rotterdam Eye Study, van
Leeuwen et al, JAMA 2005). Für Fisch und omega-3-Fettsäuren gilt dasselbe
(Nurses’ Health Study etc.). Tierexperimentell hochwirksam ist Lutein. Vitamine in der
AREDS-Dosis sind u.a. bei Rauchern, Osteoporose und Nierensteinen kontraindiziert
und wegen der NW in der Schweiz nicht zugelassen. Das wohl beste Präparat auf
dem einheimischen Markt ist z.Z. Vitalux plus, ein anderes Beispiel ist Ocuvite Lutein.
Eine gesunde Ernährung ist ganz sicher sinnvoll, und konventionelle Multivitamine
sind nie falsch, z.B. Supradyne Vital 50+, Centrum Silver und fürs schmale Budget
Actilife Vision plus von der Migros. (Auch bei Zusatzversicherten übernimmt die KK
die Kosten oft nicht.)
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Patienten, bei denen die Sehverschlechterung nicht aufgehalten werden kann, dürfen
nicht aufgegeben werden. Es gibt eine breite Palette von Low Vision-Hilfsmitteln,
Selbsthilfegruppen und Vergünstigungen für Sehbehinderte (zu erfragen z.B. bei der
Zürcher Sehhilfe, Lutherstr. 14, 8004 Zürich, eigentlich Aufgabe des Augenarztes,
wird manchmal vernachlässigt).
Akute Sehstörung
Perakut –„Licht aus“: Zentralarterienverschluss? Lyse möglich analog zum CVI,
übliche Kontraindikationen, Ergebnisse innert 6h am besten, wird am USZ bis 24h
nach dem ZAV gemacht. Bei klarer Anamnese wohl am besten direkt ins USZ, sonst
jedenfalls notfallmässig zum Augenarzt. DD unter anderem: Zentralvenenthrombose,
Netzhautablösung = Amotio (RF: Myopie, Symptome: Blitzen, Mouches ++,
Schatten), ischämische oder entzündliche Optikusneuropathien, etc. Sowohl beim
ZAV als auch bei einer Opticusischämie kann eine Arteriitis temporalis die Ursache
sein -> Systemanamnese, Senkung?
Patienten mit Blitzen gehören dringlich (innert 24h) überwiesen. Myope mit frischen
und ausgeprägten Mouches volantes auch. Sind die Mouches älter und nicht akut
zunehmend, handelt es sich meist um harmlose Glaskörpertrübungen. Selten gibt es
Netzhautrisse ohne Blitzen, aber wenn die Netzhaut reisst und sich in der Folge
ablöst, bemerkt der Patient meistens bald darauf eine Sehstörung im Sinne eines
Schattens oder einer dunklen Wand, die sich übers Gesichtsfeld ausbreitet. Wenn er
die Mouches seit Monaten hat und nichts weiter passiert ist, braucht er nicht
zwingend eine ophthalmologische Untersuchung. Ist bei Kurzsichtigen jedoch nie
falsch (das Amotiorisiko steigt proportional zur Myopie).
Schielen und Amblyopie
Breites Spektrum von primär (Kinder) bis zur Hirnnervenparese oder OrbitaPathologie im Erwachsenenalter. Gehört auf jeden Fall zum Augenarzt, ausser bei
intermittierendem Schielen in den ersten 6 Lebensmonaten. Beim Kleinkind besteht
bis ins Vorschulalter die Gefahr einer Amblyopie, d.h. einer Unterdrückung der
Sehzentren im Hirn, denen das Schielauge Afferenzen liefert. Das kindliche
Sehzentrum ist noch unreif und kann ein störendes, d.h. doppeltes oder unscharfes
Bild, einfach unterdrücken. Die Amblyopie ist mit gut 2% Prävalenz immer noch der
häufigste Grund für eine einseitige Visusminderung. Grosse Schielwinkel sind
einfach zu sehen, kleine sieht man oft nicht, eine einseitige hohe Kurz- oder
Weitsichtigkeit auch nicht. Amblyopien entstehen nicht nur bei Schielpatienten,
sondern auch durch einseitige hohe Refraktionsfehler (refraktive A., kritische Phase
etwas länger) und durch Medientrübungen (Deprivationsamblyopie, z.B. bei Ptose
oder kongenitaler Katarakt, sehr kurze kritische Phase). Nach der Pubertät verändert
sich die Sehschärfe eines amblyopen Auges kaum noch.
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Die einseitige Sehschwäche sollte durch die üblichen pädiatrischen
Screeninguntersuchungen erfasst werden, aber es gibt immer wieder Kinder, die
durchrutschen. Wichtig ist beim Sehtest das Abdecken des nicht geprüften Auges mit
der Handfläche – zwischen den Fingern gucken die Kinder hindurch. Auch muss man
die Stereopsis prüfen. (Ein positiver Langtest mit 2jährig garantiert nicht, dass das
Kind nicht z.B. eine leichte refraktive Amblyopie hat, die im Verlauf tiefer wird, so
dass es die Stereopsis wieder verliert; die Tiefe der Amblyopie nimmt mit der
Visusentwicklung zu.) Die Behandlung der Amblyopie ist das Abdecken des
besseren Auges, was bis nach Abschluss der kritischen Phase weitergeführt werden
muss (weit ins Schulalter hinein, am besten bis zur Pubertät). Eine Schieloperation
löst das Problem der Amblyopie nicht, sie ändert nur den Schielwinkel. Der ideale
Zeitpunkt ist kontrovers: Frühoperierte (bis 2j.) haben eine marginal bessere
Stereopsis, müssen dafür häufiger reoperiert werden als primär später Operierte (vor
der Einschulung).
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Die vorliegende Aufzählung ist bei weitem nicht abschliessend. Bei Patienten
mit obskuren ophthalmologischen Diagnosen könnt Ihr mich gerne fragen.
Anhang: Einige ophthalmologische Abkürzungen
OD oculus dexter = rechtes Auge
OS oculus sinister = linkes Auge
OU oculus uterque = beide Augen
FV Fernvisus
NV Nahvisus
cc cum correctione = mit Korrektur
sc sine correctione = ohne Korrektur
(m)eB mit der eigenen Brille
(m) eLB mit der eigenen Lesebrille
aGbn andere Gläser bessern nicht
R = G Rot = Grün (d.h. in etwa: nicht überkorrigiert)
T Tension = Druck
VBA vordere Bulbusabschnitte
HHD Hornhautdicke
VK Vorderkammer
PEX Pseudoexfoliation = Kapselhäutchen (-> aggressive Glaukomform)
LR Lichtreaktion
RAPD relatives afferentes Pupillendefizit
Cat. inc. Cataracta incipiens, beginnende Katarakt
HGA hintere Glaskörper- (GK-) Abhebung
Fd Fundus = Augenhintergrund
RPE retinales Pigmentepithel
GCS Glaucoma chronicum simplex = POAG primary open-angle glaucoma
AMD alterskorrelierte Makuladegeneration
CNV choroidale Neovaskularisationsmembran (zB bei feuchter AMD)
PED Pigmentepithelabhebung (z.B. bei feuchter AMD)
RCS (Chorio-)Retinopathia centralis serosa
ZAV Zentralarterienverschluss
AAV Astarterienverschluss
ZVT Zentralvenenthrombose
AVT Astvenenthrombose
DRP diabetische Retinopathie
PDR proliferative diabetische Retinopathie
NPDR nichtproliferative diabetische Retinopathie
MA Mikroaneurysmen
HE harte Exsudate
(C)MÖ (cystoides) Makulaödem
AION anteriore ischämische Optikusneuropathie
ET Esotropie, Innenschielen
XT Exotropie, Aussenschielen
DVD dissoziierte vertikale Deviation
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FA Fluoreszenzangiografie
ICG Indocyanidgrün(angiografie)
PDT photodynamische Therapie
IOL Intraokularlinse, HKL Hinterkammerlinse, VKL Vorderkammerlinse
TE Trabekulektomie
ppV pars plana-Vitrektomie
VVE vordere Vitrektomie
ALK Argonlaserkoagulation (meist an der Netzhaut)
YAG-IT Yttrium-Aluminium-Granat-Laser-Iridotomie (bei gewissen Glaukomen)
YAG-KT YAG-Laser-Kapsulotomie (bei Nachstar)
LASIK laser in situ keratomileusis (interessierte Patienten sollen lasikdisaster.com
konsultieren und den Eingriff wenn, dann in Europa machen lassen)
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Augenmedikamente in der MediX-Gruppenpraxis (Stand 2010)
Blephamide Augensalbe (Sulfacetamid, Prednisolonacetat, z.B. geschwollenes Hordeolum bei
weissem Auge)
Cyclogyl 1% und 0.5% Augentropfen (Cyclopentolat, diagnostisch, Refraktion bei Kindern)
Diamox Tbl 250 mg (akute Drucksteigerungen z.B. Winkelblock, postoperativ)
Floxal Augentropfen und –salbe (Ofloxacin, Breitspektrumantibiotikum, Ulcus/Keratitis, prophylaktisch
nach Erosio, bitte nicht bei jeder Konjunktivitis, cave Resistenzen, gut geeignet für
Pseudomonasinfekte bei Linsenträgern)
Fucithalmic Gel (Fusidinsäure), bei Säuglingen und Kleinkindern Fucithalmic nur für die Blepharitis
und nicht für die Konjunktivitis zu geben. Besser ist Spersampolymyxine
Indophtal Augentropfen (Indomethacin, postoperativ, Skleritiden, Makulaödeme)
Livostin Augentropfen (Levocabastin, Antihistaminikum)
Mydriaticum Augentropfen (Tropicamid, diagnostisch, Pupillenerweiterung)
Oxybuprocaine AT (Lokalanästhetikum, diagnostisch, nie abgeben, epitheltoxisch)
Phenylephrine AT (diagnostisch, Pupillenerweiterung)
Pred forte AT (Prednisolonacetat, intraokuläre Entzündungen, Makulaödeme)
Protagent AT (Polyvidon, befeuchtend, wenn öfter als ca. 4x tgl.: Monodosen rezeptieren, dito bei
Kontaktlinsenträgern und Polyallergikern wg Konservierungsmittel), 1. Stufe der Befeuchtung
Spersacarpine 2% AT (Pilocarpin, drucksenkend, an Lager für den Fall eines Winkelblocks)
Spersapolymyxin AT (Polymyxin B/Neomycin, Kühlschrank, bakt. Konjunktivitis, auch bei Säuglingen
und Kleinkindern) Kühlschrank
Tobradex AT und AS (Dexamethason, Tobramycin, postop), z.B. bei Keratoconjunktivitis epidemica
Tobrafen AT (Tobramycin, Diclofenac, postop oder bei schweren Konjunktivitiden)
Ultracortenol Augensalbe (Prednisolonpivalat) z.B. für Lidekzeme
Viscotears Augengel (Carbomer, befeuchtend, visköser als Protagent), 2. Stufe der Befeuchtung
Vitamin A AS (Winter 09/10 nicht lieferbar, Ersatzpräparat Oculotect Gel, Kühlschrank)
Zovirax AS (Aciclovir, okulärer Herpes)
NB: Die abgabe cortisonhaltiger Augentropfen durch den Grundversorger ohne Ausschluss von Keratitis, Iritis etc.
wird von ophthalmologischen Gutachtern regelmässig als Kunstfehler taxiert. Auch bei gewissen anderen
Präparaten auf dieser Liste, z.B. Zovirax Augensalbe, sollte die Indikationsstellung beim Augenarzt liegen.
Autorin:
Dr. med. Anna Fierz
Fachärztin für Ophthalmologie FMH
mediX Gruppenpraxis
Rotbuchstrasse 46
8037 Zürich
044 365 30 30
[email protected]
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