6 Der Harmonische Oszillator Ein Teilchen der Masse m bewege sich auf der x-Achse unter dem Einfluß der Rückstellkraft F (x) = −mω 2 x. (186) Die Kreisfrequenz ω (bzw. die Federkonstante k := mω 2 ) ist neben der Masse m der zweite frei wählbare Parameter dieses Systems. 6.1 Newtonsche Bewegungsgleichung Newtons zweites Gesetz mẍ(t) = F (x(t)) führt auf die DGl mẍ(t) = −mω 2 x(t). (187) Die eindeutige Lösung zu den Anfangsbedingungen x(0) = x0 , ẋ(0) = v0 ist x(t) = x0 cos(ωt) + v0 sin(ωt) ω (x0 , v0 ∈ R beliebig). (188) Die Gesamtenergie beträgt m mω 2 ẋ(t)2 + x(t)2 2 2 i2 i2 v0 mω 2 h mh − x0 ω sin(ωt) + v0 cos(ωt) + x0 cos(ωt) + sin(ωt) = 2 2 ω m 2 mω 2 2 v + x = E = const. = 2 0 2 0 E(t) = (189) Anders als in der Quantenmechanik kann diese Energie in der klassischen Mechanik jeden beliebigen Wert E ≥ 0 annehmen. Bei maximaler Geschwindigkeit ẋ(t) = v̄ gilt x(t) = 0, während maximale Auslenkung x(t) = x̄ bedeutet, daß ẋ(t) = 0. Es folgt also m mω 2 2 E = v̄ 2 = x̄ 2 2 ⇒ x̄ = s 2E , mω 2 37 v̄ = s 2E . m (190) Wir können eine klassische Aufenthalts-W’keitsdichte (AWD) ρkl (x) definieren. Dazu betrachten wir eine halbe Schwingung mit Amplitude x̄ > 0, x(t) = x̄ sin(ωt) − T T . ≤t≤ 4 4 (191) (−x̄ ≤ x ≤ x̄). (192) Die Umkehrfunktion ist t(x) = x 1 arcsin ω x̄ Die W’keit, das schwingende Teilchen irgendwo zwischen den Punkten x1 und x > x1 (mit −x̄ ≤ x1 < x ≤ x̄) anzutreffen, ist gleich dem Verhältnis der Aufenthaltsdauer t(x)−t(x1 ) zwischen diesen Punkten zur halben Schwingungsperiode, Z x x1 dx′ ρkl (x′ ) = t(x) − t(x1 ) 1 T 2 ⇒ ρkl (x) = 38 figHOszQM.pdf 2t′ (x) 1 1 . = ·q T πx̄ 1 − ( xx̄ )2 (193) 6.2 Kanonische Gleichungen Die Kraft F (x) = −mω 2 x ≡ −V ′ (x) leitet sich aus dem Potential V (x) = mω 2 2 x 2 (194) ab. Daher lautet die Lagrange-Funktion L(x, ẋ) := T (x, ẋ) − V (x) = m 2 mω 2 2 ẋ − x, 2 2 (195) und der zu x kanonisch konjugierte Impuls ist p(x, ẋ) = ∂L(x, ẋ) = mẋ ∂ ẋ ⇒ ẋ(x, p) = p . m (196) Damit lautet die Hamilton-Funktion H(x, p) := pẋ(x, p) − L(x, ẋ(x, p)) = p2 mω 2 2 i mω 2 2 p2 h p2 − − x = + x, m 2m 2 2m 2 (197) und die kanonischen Gleichungen d dt x p ! = ∂H(x, p)/∂p −∂H(x, p)/∂x ! (198) sind gegeben durch ẋ(t) ṗ(t) ! = 1 p(t) m 2 −mω x(t) ! , (199) mit der durch die Anfangsbedingung {x(0) = x0 , p(0) = p0 } eindeutig bestimmten Lösung x(t) p(t) ! = p0 sin(ωt) x0 cos(ωt) + mω p0 cos(ωt) − mωx0 sin(ωt) 39 ! . (200) 6.3 Schrödinger-Gleichung Die quantenmechanische Wellenfunktion ψ(x, t) genügt der Schrödinger-Gleichung, ih̄ ∂ ψ(x, t) = Ĥψ(x, t). ∂t (201) Der Hamilton-Operator Ĥ wird aus der klassischen Hamiltonfunktion H(x, p) des jeweiligen Systems abgeleitet, indem darin die Variable p durch den quantenmechanischen ∂ ersetzt wird. Im Fall des harmonischen Oszillators gilt also Impulsoperator p̂ = −ih̄ ∂x Ĥ := H(x, p̂) = mω 2 2 p̂2 + x. 2m 2 (202) Das Quadrat p̂2 eines Operators bedeutet dabei seine zweifache Hintereinanderausführung, h i p̂2 ψ(x, t) := p̂ p̂ψ(x, t) = −ih̄ i ∂ ∂ 2 ψ(x, t) ∂ h − ih̄ ψ(x, t) = −h̄2 . ∂x ∂x ∂x2 (203) Damit lautet die Schrödinger-Gleichung (201) für den harmonischen Oszillator explizit ih̄ 6.3.1 ∂ h̄2 ∂ 2 ψ(x, t) mω 2 2 ψ(x, t) = − + x ψ(x, t). ∂t 2m ∂x2 2 (204) Eigenwerte und Eigenfunktionen Der Hamilton-Operator (202) ist zeitunabhängig. Daher betrachten wir in diesem Unterabschnitt nur zeitunabhängige Wellenfunktionen ψ(x). Def. 1: Eine Zahl λ ∈ C heißt Eigenwert von Ĥ, wenn es eine von der Nullfunktion R verschiedene quadratintegrable Funktion φ(x) gibt, dx|φ(x)|2 < +∞, sodaß gilt Ĥφ(x) = λφ(x) (∀x ∈ R). (205) φ(x) heißt dann eine zum Eigenwert λ gehörende Eigenfunktion von Ĥ. Die Menge S ⊂ C aller Eigenwerte von Ĥ heißt das Spektrum von Ĥ. Bem. 1: (a) Eine Eigenfunktion speziell des Hamilton-Operators Ĥ zum Eigenwert λ beschreibt immer einen Quantenzustand mit scharf bestimmter Energie E = λ. (b) Das Ergebnis einer Energiemessung ist immer einer der Eigenwerte von Ĥ, auch wenn die Wellenfunktion ψ(x), die den Systemzustand vor der Messung beschreibt, keine Eigenfunktion von Ĥ ist. 40 (c) Eine Eigenfunktion ist durch den Eigenwert λ nicht eindeutig bestimmt; mit φ(x) ist auch αφ(x) (mit beliebiger komplexer Zahl α 6= 0) Eigenfunktion zum Eigenwert λ. Def. 2: Der Eigenwert λ von Ĥ heißt entartet, wenn es dazu mindestens zwei linear unabhängige Eigenfunktionen gibt. Satz 1: Der Hamilton-Operator Ĥ = abzählbar-unendliche Spektrum p̂2 2m + mω 2 2 x 2 des harmonischen Oszillators hat das En = (n + 21 )h̄ω. S = {En }(n=0,1,2,...) ⊂ R, (206) Keiner der Eigenwerte λ = En ist entartet. Die entsprechenden Eigenfunktionen sind φn (x) = Nn Hn x a −x2 /2a2 e , a := s h̄ mω (n = 0, 1, 2, ...). (207) Bem. 2: Die Funktionen Hn (t) sind die Hermite-Polynome, dn −t2 Hn (t) := (−1) e e , dtn n t2 H0 = 1, H1 = 2t, H2 = 4t2 −2, H3 = 8t3 −12t, ... (208) Für die an sich willkürlichen Vorfaktoren wählt man üblicherweise √ 1 mω 1/4 Nn = (2n n! πa)−1/2 ≡ √ . 2n n! h̄π Damit sind die φn (x) korrekt normiert, a= s R (209) dx|φn (x)|2 = 1. Für die Länge a gilt 1.0546 · 10−34 Js 1.027 · 10−17 m . =q mω m[kg] · ω[s−1 ] (210) Zum Beweis von Satz 1: Wir prüfen als Beispiel den Fall n = 2, h̄2 d2 mω 2 2 i x2 2 2 4 + x − 2 e−x /2a 2 2 2m dx 2 a 2 2 h mω 2 a2 x4 x2 −x2 /2a2 i h̄ d 2 2 −x2 /2a2 e + 4 .(211) 4x − 2a − 2 e = N2 − 2ma2 dx2 2 a4 a2 h Ĥφ2 (x) = N2 − Mit h̄2 2ma2 = mω 2 a2 2 = h̄ω 2 folgt weiter h̄ω h d x3 −x2 /2a2 x4 x2 −x2 /2a2 i Ĥφ2 (x) = N2 − 10x − 4 2 e + 4 4 −2 2 e 2 dx a a a 5 h̄ω x2 2 2 20 2 − 10 e−x /2a = h̄ω φ2 (x). = N2 2 a 2 41 (212) 6.3.2 Stationäre Lösungen Bem. 2: Mit der Eigenfunktion φn (x) zum Eigenwert En = (n + 21 )h̄ω =: h̄ωn ist durch ψn (x, t) := φn (x)e−iωn t ωn := En h̄ (213) eine Lösung der Schrödinger-Gleichung (201) gegeben. Die rechte Seite ergibt nämlich h i h i Ĥψn (x, t) = Ĥφn (x) e−iωn t = En φn (x) e−iωn t = En ψn (x, t), (214) und die linke Seite lautet ih̄ ∂ψn (x, t) ∂ = ih̄φn (x) e−iωn t = ih̄(−iωn )φn (x)e−iωn t = En ψn (x, t). ∂t ∂t (215) Diese Lösungen ψn (x, t) sind insbesondere stationär, |ψn (x, t)|2 = |φn (x)|2 (zeitunabhängig). (216) Die zeitlich konstanten Aufenthalts-W’keitsdichten (AWD) |φn (x)|2 lassen sich, zumindest für große n ≫ 1, mit der klassischen AWD aus Abschnitt 6.1 vergleichen. Bem. 3: Neben der eigentlichen Schrödinger-Gleichung (201), ih̄ ∂ ψ(x, t) = Ĥψ(x, t), ∂t (217) wird auch die Eigenwert-Gleichung (205), Ĥψ(x) = Eψ(x), (218) als (zeitunabhängige) Schrödinger-Gleichung bezeichnet. Um Mißverständnisse auszuschließen, nennt man daher Gl. (217) meist die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung. 42 6.3.3 Lösungen zu beliebiger Anfangsbedingung Um interessantere, nicht-stationäre Lösungen zu gewinnen, muß man mehrere stationäre Lösungen zu verschiedenen Energien En (also mit verschiedenen Frequenzen ωn ) überlagern. Die Grundlage dieses Superpositionsprinzips ist: Satz 2: Der Hamilton-Operator Ĥ ist linear: Für zwei beliebige Funktionen ψa und ψb und beliebige Zahlen λa , λb ∈ C gilt stets h i Ĥ λa ψa (x) + λb ψb (x) = λa Ĥψa (x) + λb Ĥψb (x). (219) ∂ Damit ist auch die Schrödinger-Gleichung ih̄ ∂t ψ(x, t) = Ĥψ(x, t) linear: Mit zwei Lösungen ψa (x, t) und ψb (x, t) ist auch jede Linearkombination ψ(x, t) = λa ψa (x, t) + λb ψb (x, t) (220) eine Lösung (Superpositionsprinzip). Als einfachstes Beispiel überlagern wir die Oszillator-Lösungen ψn (x, t) und ψn+1 (x, t), i i 1 h e−iωn t h −iωn t −iωn+1 t √ ψ(x, t) = = √ φn (x)e + φn+1 (x)e φn (x) + φn+1 (x)e−iωt , (221) 2 2 wobei ωn+1 = ωn + ω benutzt wurde. Wir erhalten also jetzt eine zeitabhängige AWD, 2 1 φn (x) + φn+1 (x)e−iωt 2 i 1h |φn (x)|2 + |φn+1(x)|2 + φn (x) φn+1 (x) cos(ωt). = 2 |ψ(x, t)|2 = (222) Im zweiten Schritt wurde benutzt, daß die φn (x) reellwertig sind. Diese beobachtbare Größe oszilliert genau mit der klassischen Schwingungsfrequenz ω ! Um dies genauer zu untersuchen, betrachten wir den Fall n = 0. Der zeitabhängige Erwartungswert der Variable x mit der W’keitsdichte |ψ(x, t)|2 ist gegeben durch hxit = Z ∞ −∞ dx x |ψ(x, t)|2 = cos(ωt) Z ∞ dx x φ0 (x) φ1 (x). (223) −∞ Hier wurde ausgenutzt, daß |φnR(x)|2 für jedes n eine symmetrische Funktion von x ist. √ Wegen xφ0 (x) = a 2φ1 (x) und dx |φ1(x)|2 = 1 folgt also √ hxit = a 2 cos(ωt). (224) 43 Dies entspricht genau der klassischen Bewegung x(t) mit Energie E = 12 (E0 + E1 ), x(t) = x̄ cos(ωt), x̄ = s 2E = mω 2 s √ 2h̄ω = a 2. mω 2 (225) Satz 3: Die Eigenfunktion φn (x) (n = 0, 1, 2, ...) des harmonischen Oszillators bilden ein VONS im Raum H der quadratintegrablen Funktionen ψ : R → C, x 7→ ψ(x). Jede solche Funktion hat eine eindeutige Darstellung ψ(x) = ∞ X an φn (x); (226) n=0 die Koeffizienten sind gegeben durch an = ∞ Z dx φ∗n (x)ψ(x). −∞ (227) Durch Kombination von Satz 2 mit Satz 3 können wir nun die Lösung ψ(x, t) der Schrödinger-Gleichung (201) des harmonischen Oszillators zu jeder Anfangsbedingung ψ(x, t) t=0 = f (x), (228) mit beliebig vorgegebener Funktion f (x), konstruieren. Dazu entwickeln wir f (x) gemäß Satz 3 nach den Eigenfunktionen von Ĥ, f (x) = ∞ X fn φn (x), fn = Z ∞ −∞ n=0 dx φ∗n (x) f (x). (229) Nach dem Superpositionsprinzip (Satz 2) läßt sich dann die gesuchte Lösung als entsprechende Überlagerung der stationären Lösungen von Gl. (213) darstellen, ψ(x, t) = ∞ X n=0 fn ψn (x, t) ≡ ∞ X fn φn (x)e−iωn t . (230) n=0 Da die ψn (x, t) Lösungen sind, ist nach Satz 2 auch diese Linearkombination eine Lösung. Sie ist zugleich die gesuchte Lösung, da sie nach Konstruktion die Anfangsbedingung (228) erfüllt. Bsp. 1: Wir betrachten die Anfangsbedingung (228) mit der Funktion 2 2 e−(x−x̄) /2a f (x) = φ0 (x − x̄) = q √ a π (231) 44