cannabis – psychose huhn oder ei?

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OSE
CANNABIS – PSYCH
HUHN ODER EI?
IMPRESSUM
Auflage:
September 2015/1
Diese Broschüre wurde in Zusammenarbeit mit
PD Dr. med. R. Stohler und
Prof. Dr. Rudolf Brenneisen erstellt.
Herausgeber:
Takeda Pharma AG, Freienbach SZ
VORWORT
Unter dem Begriff «Drogen» versteht man
Entsprechend soll die vorliegende Broschüre
Substanzen und Pflanzen, die sich auf die
den aktuellen Wissensstand über den Zusam-
Psyche des Menschen auswirken. Dazu ge-
menhang zwischen Cannabiskonsum und der
hören zum Beispiel Opiate, Cannabis, Koka-
Wirkung auf die Psyche pragmatisch zusam-
in aber auch Alkohol, Nikotin und Koffein.
menfassen. Wertneutral sollen Fakten vermit-
Solche Substanzen können zu einer körper-
telt und die Anliegen, sowie Sorgen Betroffe-
lichen und/oder psychischen Abhängigkeit
ner aufgenommen werden.
und nach längerem Gebrauch zu körperlichen und psychischen Schäden führen. Die
Der suchende, junge Mensch soll durch die
Wirkung von Drogen auf die Psyche hat die
Broschüre ebenso unterstützt werden, wie der
Menschen seit jeher interessiert. Die öffent-
Hausarzt oder Psychiater, der Eltern berät oder
liche Meinung über Drogen und auch der
sich zum Umgang mit Begleiterkrankungen
Umgang mit ihnen verändert sich natürlich
ertieft informieren möchte.
mit der Weiterentwicklung der Gesellschaft.
Heutzutage
steht
berechtigterweise
der
Freundliche Grüsse
Wunsch nach objektiven Daten und grundle-
Dr. med. M.H.A. Daniel Bielinski
gender Information aber auch die Selbstverantwortung des Einzelnen im Vordergrund.
Cannabis ist die weltweit am häufigsten konsumierte Droge. Dabei geniesst Cannabis den
Ruf, einer vergleichsweise harmlosen Droge,
wobei regelmässiger Konsum insbesondere bei jungen Menschen das Risiko, an einer
schweren psychischen Störung zu erkranken,
Gut zu wissen
erhöht. Es ist bedauerlich, dass Gesetzesregelungen zum Verbot oder zur Legalisierung
von Cannabis oft ohne Berücksichtigung der
Regelmässiger Cannabiskonsum erhöht
wissenschaftlichen Daten von Studien über
insbesondere bei jungen Menschen das
die Auswirkungen von Cannabis gemacht
Risiko, an einer schweren psychischen
wurden.
Störung zu erkranken.
3
INHALTSVERZEICHNIS
CANNABIS Einleitung
6
8
Was ist Cannabis?
8
Die Hanfpflanze
9
Cannabis als Droge
10
Wie wirkt Cannabis?
10
Historischer Hintergrund
12
Der Cannabis-Rausch
14
Wie häufig wird Cannabis konsumiert?
PSYCHOSE
Was ist eine psychotische Episode?
16
19
Zusammenhang zwischen Cannabis und Schizophrenie?
Wie gross ist das Risiko durch Cannabiskonsum an
19
einer Psychose zu erkranken?
Welches sind die entscheidenden Risikofaktoren?
20
Früherkennung von Psychosen?
21
NEHMEN SIE RAT UND HILFE IN ANSPRUCH
22
Hilfreiche Links
23
5
CANNABIS
EINLEITUNG
nicht nur über Banales und allgemein Bekanntes
Die Forschungsanstrengungen zu Cannabis
zu sprechen.
haben in letzter Zeit stark zugenommen.
Leserinnen und Leser sollen bei der Meinungs-
Während im Jahre 2000 nur 377 Artikel unter
bildung unterstützt werden. Der Umgang
dem Stichwort «Cannabinoide» in wissen-
mit Cannabis und dessen Auswirkungen auf
schaftlichen medizinischen Zeitschriften publi-
Cannabiskonsumenten lassen sich nicht allein
ziert wurden, waren es 2014 schon über 1200.
auf einer chemisch-pharmakologisch-medi-
Unter dem Suchbegriff «Cannabis» findet
zinischen Ebene beschreiben. Die Verwen-
man im Jahre 2015 bereits mehr als 14‘000
dung von Cannabis diente und dient auch
Publikationen. Obwohl die zur Verfügung ste-
rituell-religiösen Zwecken. Sie war Ausdruck
hende Datenmenge stark zugenommen hat,
ethnischer Identifikation und auch Symbol der
gehen die Ansichten zu Cannabis in unserer
Zugehörigkeit zu meist oppositionellen Kultur-
Gesellschaft äusserst weit auseinander.
bewegungen. Vielleicht erklärt die sozio-kul-
Oftmals beruhen sie eher auf ideologisch be-
turelle Einbindung die Heftigkeit der Ausein-
gründeten Positionen als auf der Kenntnis der
andersetzung um Cannabis besser, als seine
Fakten. Dies zeigt sich in teilweise heftig und
biochemischen Effekte. Diese Aspekte werden
polemisch geführten Diskussionen über die
in der vorliegenden Broschüre nicht behan-
Zulassung von Cannabinoid- (z.B. THC-) und
delt. Die Verwendung und Entwicklung von
Cannabis-basierten Medikamenten bis hin zu
Cannabis-basierten oder, das körpereigene
Debatten über Vor- und Nachteile einer kom-
Cannabinoid-System auf andere Art beeinflus-
pletten oder teilweisen Strafbefreiung des
senden Medikamenten, wird in der Broschüre
Freizeitkonsums.
nur ganz am Rande behandelt.
Die vorliegende Broschüre soll den Stand der
Diese Broschüre möchte den Lesern die
wissenschaftlichen Erkenntnis über die Funk-
Aufbruchstimmung näher bringen, welche
tion des körpereigenen Cannabinoid-Systems
das sich schnell und produktiv entwickelnde,
(Endocannabinoid-System) umreissen, das die
Gebiet
vom Körper selbst hergestellten Cannabinoi-
1960er Jahren erfasst hat.
de (Endocannabinoide) und die CannabinoidRezeptoren umfasst. Auch die aus Pflanzen
gewonnenen Cannabinoide, die mit diesem
System interagieren, sollen übersichtsartig
beschrieben werden. Dennoch wird versucht,
6
der
Cannabisforschung
seit
den
Gut zu wissen
Mehr über die Anwendung von Cannabinoiden in der Medizin erfahren
Sie in der Übersichtsstudie des BAG.
https://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=57795
WAS IST CANNABIS?
Cannabis ist zum einen der Name einer Pflan-
pharmakologisch interessantesten Vertreter
zengattung aus der Familie der Hanfgewächse
der Phytocannabinoide sind Delta-9-Tetrahy-
(Cannabaceae) und zum anderen die Bezeich-
drocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).
nung für die aus dieser Pflanzengattung ge-
Sie werden primär von den Drüsenhaaren
wonnenen Drogen respektive Heilmittel.
(Trichome) der weiblichen Blütenstände produziert. Durch Lagerung oder Erhitzen (z.B.
DIE HANFPFLANZE
Die
Cannabispflanze
ist
Verdampfen oder Verbrennen) der Pflanze
ein
einjähriges,
werden die Phytocannabinoide aktiviert und
meist entweder weibliches oder männliches,
können dann im menschlichen Körper die ge-
(zweihäusiges), Kraut. Botanisch umstritten
suchte Wirkung entfalten.
ist, ob es nur als eine, sehr heterogene Art,
Cannabis sativa, oder in mehreren Arten
(C. sativa, C. indica, C. ruderalis etc.) vorkommt. Gesichert, aber oft schwierig zu differenzieren sind verschiedene Unterarten,
Varietäten, Rassen, Sorten und Zuchtformen.
Vermutlich ist Cannabis eine der ältesten
Kulturpflanzen, deren Gebrauch zu medizinischen und rituellen Zwecken seit mehreren tausend Jahren bekannt ist. In Europa wurde Hanf vor allem zur Fasergewinnung
angebaut. Es ist nicht gesichert, dass heute
noch Cannabispflanzen existieren, die nicht
durch menschliche Züchtungen verändert
wurden. Einige Autoren sprechen von einer
sich gegenseitig beeinflussenden Entwicklung
der Menschheit und der Cannabispflanze.
Die Chemie der Cannabis-Inhaltsstoffe, bis
jetzt sind rund 500 identifiziert, ist sehr komplex. Die wichtigsten Inhalts- und Wirkstoffe sind die rund 70 Phytocannabinoide. Sie
kommen nur in der Cannabispflanze vor. Die
8
CANNABIS ALS DROGE
Wird die Cannabispflanze als psychotrope
und somit zu einer guten Steuerbarkeit des
Substanz verwendet, gibt es drei geläufige Zu-
Rausches, kann aber Irritationen der Atem-
bereitungsformen (siehe Tabelle).
wege und -organe hervorrufen. Die Verdamp-
Phytocannabinoide können auch mit Lö-
fung von Cannabis mit Hilfe von sogenannten
sungsmitteln aus den getrockneten Pflanzen
Vaporizern resultiert in einer leicht höheren
extrahiert werden und liegen dann, höher
Blut-Wirkstoff-konzentration als nach dem
konzentriert, in Form von «Haschisch-Öl» vor.
Rauchen und reduziert die Lungenbelastung,
Wichtigstes psychoaktives Cannabinoid ist das
keine giftigen Verbrennungsprodukte entste-
THC. Der Gehalt an THC in Cannabispflanzen
hen. Historisch ist die orale Einnahme wichti-
wurde in jüngerer Zeit durch selektive Züch-
ger gewesen (z.B. Ganja-Tee in Jamaica). Sie
tung vor allem in Indoor-Anlagen erhöht.
verzögert den Wirkungseintritt im Vergleich
Neuere Untersuchungen berichten von einem
zum Rauchen, verlängert aber die Wirkdauer
durchschnittlichen THC-Gehalt von 6–15 %
und resultiert in wesentlich tieferen Blutspie-
in Europa und von 8–12 % in den USA. Eine
geln. Pharmazeutische Präparationen werden
Studie hat gezeigt, dass der durchschnittliche
hier nicht besprochen.
THC Gehalt von Marihuana in den USA sich in
den knapp 35 Jahren zwischen 1975 und 2009
versiebenfacht hat. In der Schweiz wurden
Spitzenwerte von rund 30 % gemessen. Cannabis als Droge wird meist in Form von Zigaretten, Joints, konsumiert. In Europa wird Cannabis fast immer mit Tabak vermischt. Rauchen
führt zu einem schnellen Anfluten der Wirkung
Gras, Marijuana oder Bhang
Haschisch oder Charas
Sinsemilla oder Ganja
Eine Samen enthaltende
Drüsenharz, gewonnen
Samenlose, unbefruchtete
Mischung aus getrockne-
durch Sieben oder
Blütenstände.
ten Blüten, Blättern und
Abkratzen der Trichome.
Stängeln.
9
WIE WIRKT CANNABIS?
HISTORISCHER HINTERGRUND
Die beiden Endocannabinoide unterscheiden
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bemühten
sich bezüglich Rezeptor-Bindungseigenschaf-
sich Forscher vermehrt darum, das psychoak-
ten. So scheint zum Beispiel AEA hauptsäch-
tive Prinzip der Cannabispflanzen zu isolieren.
lich an CB1 und weniger gut an CB2 anzu-
Schliesslich konnten israelische Forscher (Gaoni
docken. Beide Endocannabinoide werden auf
und Mechoulam) aber erst 1964 die Struktur
Bedarf biosynthetisiert, freigesetzt und nach
von THC aufklären, da vor der Entwicklung
Aktivierung ihrer Rezeptoren zum grössten
der NMR-Technik (Nuclear Magnetic Resonance)
Teil rasch wieder abgebaut. Dies unterschei-
keine Möglichkeit derartiger Analysen be-
det Endocannabinoide von den meisten an-
stand. Es dauerte aber noch mehr als 20 Jahre,
deren Nervenüberträgersubstanzen. Letztere
bis in einem amerikanischen Labor der erste
werden meist aus Speichern freigesetzt und
Cannabinoid-Rezeptor (CB1) charakterisiert
nach der Interaktion mit dem Rezeptor rück-
werden konnte. Man war bis dahin mehrheit-
resorbiert. Die physiologische Bedeutung
lich davon ausgegangen, dass Cannabinoide
des äusserst komplexen Endocannabi-
ihre Wirkung aufgrund unspezifischer Interak-
noid-Systems wird noch nicht vollstän-
tionen mit Nervenzell-Membranen entfalten.
dig verstanden. Es scheint im Körper es-
1993 wurde ein zweiter Cannabinoid-Rezep-
sentielle Schutzfunktionen auszuüben.
tor (CB2) charakterisiert. Beide Rezeptoren
An Mäusen wurde gezeigt, dass diese ohne
lassen sich sowohl im als auch ausserhalb des
Endocannabinoid-System nicht überlebensfä-
Zentralnervensystems nachweisen, wobei CB1
hig sind. Das System wird bei übermässigem
häufiger zentral und CB2 häufiger in Organen
Stress aktiv, hilft dem Körper zum Normal-
(z.B. Leber, Milz) zu finden ist.
zustand zurückzufinden und eine neuronale
Der Nachweis von Cannabinoid-Rezeptoren,
Überreizung zu normalisieren.
biologische Schlösser, motivierte in der Fol-
So spielt es beispielsweise eine wichtige Rolle bei:
ge die Suche nach körpereigenen Cannabi der Regulierung des Appetits und der
noiden, biologische Schlüssel, die an diesen
Nahrungsaufnahme
Bindungsstellen andocken. Diese werden En-
der Verdauung, des Muskel- und
docannabinoide genannt.
Knochenaufbaus
Im Schweinehirn gelang es dann 1992, ein
der Schlafsteuerung und Schmerz-
erstes Endocannabinoid, Anandamid (Ara-
wahrnehmung
chidonylethanolamid, AEA), nachzuweisen.
1995 wurde ein zweites Endocannabinoid
der Gefühlswahrnehmung und der
gefunden: das 2-Arachidonoylglycerol (2-AG).
Verarbeitung negativer Erlebnisse
10
Phytocannabinoide sind in der Lage, im Kör-
einigen europäischen Ländern, so auch der
per gleiche oder ähnliche Reaktionen wie
Schweiz, zur Behandlung des metabolischen
Endocannabinoide auszulösen. Einige For-
Syndroms bei Fettleibigkeit zugelassen, wur-
scher vermuten die Existenz eines «klini-
de aber 2010 wegen Berichten über ein ver-
schen Endocannabinoid-Mangel-Syndroms»,
mehrtes Auftreten von depressiven Störungen
das Krankheiten wie Migräne, Fibromyalgie,
sowie Suizidhandlungen vom Markt genom-
Gedeihstörungen und dem Reizdarm-Syn-
men. Da THC-haltiger Cannabis antidepressiv
drom zugrunde liegen könnte.
wirken kann, waren diese Nebenwirkungen
Ein weiterer Meilenstein der Forschung wurde
bei CB1-Blockade nicht weiter verwunderlich.
mit der Synthese eines CB1-Rezeptorblockers
In den USA wurde die Zulassung immer ver-
(Rimonabant) erreicht. Rimonabant wurde in
weigert.
«Das Endocannabinoid-System hilft entspannen, schlafen, schützt und lässt vergessen».
Di Marzo, renommierter ital. Endocannabinoid-Forscher
Gut zu wissen
Endocannabinoide werden bei einigen Kranheiten im
Sinne eines Heilungsversuchs oder «Selbstschutzes»
freigesetzt:
Multiple Sklerose, Parkinson, Schizophrenie,
Depression, Alzheimer Demenz, Zwangsstörungen
Entzündliche Darmkrankheiten
Neurodermitis
Bluthochdruck
Karzinomen
DER CANNABIS RAUSCH
Der Cannabis-Rausch wird meist als eu-
fenbar zum Allgemeinwissen, zumindest in
phorisierter Zustand beschrieben, oftmals
Konsumentenkreisen. Es kommt allerdings
geprägt durch Heiterkeit und Entspannt-
auch heute noch, wenn auch seltener,
heit. Musik und Farben werden intensiver
immer wieder vor, dass Euphorie und Ent-
wahrgenommen, und das Mitteilungsbe-
spanntheit in Angst und Panik umschla-
dürfnis ist erhöht. Teilweise werden «ver-
gen, ein erhöhtes Mitteilungsbedürfnis in
tiefte Erkenntnisse» auf «philosophischem
Zustände mündet, die mit Angst vor den
Gebiet» gewonnen, die nach Abklingen des
Mitmenschen einhergeht. Aufgrund der
Rausches aber häufig vergessen sind, mögli-
vielen Einflussfaktoren ist nicht immer
cherweise auf Grund der Störung des Kurz-
vorauszusagen, ob der Cannabis-«Trip»
zeitgedächtnisses, oder als banal erkannt
eher als unangenehm oder angenehm er-
werden. Die Zeit wird als verlangsamt erlebt.
fahren wird.
Häufig löst der Konsum intensive Hungerge-
An körperlichen Symptomen ist eine Beschleu-
fühle aus. Das Abklingen ist von Müdigkeit
nigung des Pulses und des Blutdrucks während
begleitet, der anschliessende Schlaf wird meist
der ersten Phase des Rausches mit einer an-
als «traumlos» empfunden.
schliessenden Puls- und Druckreduktion, eine
Das Rauscherleben ist sehr variabel, dies ab-
Rötung der Augenbindehaut («Haschisch-Au-
hängig von der konsumierten Cannabis-Sor-
gen») und eine ausgeprägte Mundtrockenheit
te (THC-, CBD- oder THC-CBD-Typ), von der
zu erwähnen. Todesfälle durch Herzinfarkte
Dosis, dem Applikationsweg, der Konsumsi-
sind beschrieben, scheinen aber selten zu sein.
tuation, Setting, dem Zustand und Befinden
Rund 0,8 % aller Infarkte sind gemäss neuerer
des Konsumenten, Set, der Gewöhnung an
Schätzungen cannabisverursacht oder -mit-
den Rauschzustand und anderen Faktoren. So
verursacht. Dabei sollten aber allfällige kardio-
scheint der Grad der Bekanntheit des Canna-
vaskuläre Prädispositionen beachtet werden.
bisrausches in einer Kultur eine wichtige Rol-
Bei regelmässigem Gebrauch tritt eine
le zu spielen. Wurden in den 1960er Jahren
gewisse Gewöhnung ein, die vor allem
von berauschten Personen vergleichsweise
Euphorie und Heiterkeit betreffen. Ob
häufig medizinische Angebote aufgesucht,
ein Langzeitkonsum die Entstehung von
ist das seit Ende des letzten Jahrhunderts –
Antriebslosigkeit, Gleichgültigkeit und
zumindest in der Schweiz – eine Seltenheit
Desinteresse begünstigt, ist unklar, da der
geworden. Techniken wie Reizabschirmung
Cannabiskonsum bei Personen gehäuft
und «Herunterholen» (talking-down) bei un-
ist, die der bestehenden Gesellschafts-
angenehmen Rauscherlebnissen gehören of-
ordnung kritisch gegenüber stehen und
12
Cannabis-
Cannabiskonsums wird kontrovers beurteilt. Es
konsum, weniger karrieremotiviert sein
deshalb,
unabhängig
vom
scheint aber nicht zu schwerwiegenden blei-
dürften. Auch die Umkehrbarkeit von Kurz-
benden Beeinträchtigungen zu kommen.
zeitgedächtnisstörungen nach Absetzen des
Gut zu wissen
Cannabiskonsum in der Schwangerschaft
Ob der Cannabiskonsum einen schädlichen Einfluss auf das ungeborene Kind ausübt, ist Gegenstand aktueller Forschungsanstrengungen. Tierexperimentelle Befunde deuten auf eine Hemmung
der neuronalen Entwicklung beim Ungeborenen hin. Angesichts
der Unklarheit der bis heute vorliegenden Befunde ist von einem
Konsum während der Schwangersschaft sicher abzuraten.
13
Gut zu wissen
Verschiedene Langzeitstudien untersuchen den Einfluss von Cannabiskonsum auf die Entstehung depressiver Symptome in Jugendlichen. Die meisten fanden einen mässigen, begünstigenden Einfluss bei einem starken Konsum. Eine klare Schlussfolgerung lässt sich momentan schwer
ziehen. Eventuell ergibt sich der depressionsbegünstigende Effekt eines ausgeprägten Konsums
auch aus dem Umstand, dass Cannabis den Erfolg von Ausbildungscurricula einschränkt und
Konsumenten wegen dem Verbot des Konsums ungünstige Erfahrungen mit polizeilicher und
andersgearteter Repression gehabt haben könnten.
Angststörungen scheinen nicht durch Cannabiskonsum beeinflusst zu werden.
Die Wirkung von Cannabis auf den Verlauf einer schizophrenen Störung wird vermehrt
diskutiert. Ein ungünstiger Einfluss scheint wahrscheinlich. Jedoch stellt dies mehr einen
Glaubenssatz, als eine durch wissenschaftliche Untersuchungen belegte Tatsache dar.
Cannabis konsumierende Patientinnen und Patienten, die an einer Schizophrenie leiden,
beurteilen ihren Konsum meist als unschädlich bis hilfreich.
WIE HÄUFIG WIRD
CANNABIS KONSUMIERT?
Cannabis ist in Europa – nach Alkohol und
mehr von Männern und am wenigsten häufig
Tabak – die mit Abstand am häufigsten kon-
in der italienischen Schweiz. Die Schweiz liegt
sumierte Droge mit einem «Marktanteil» von
bezüglich Konsumhäufigkeit im europäi-
etwa 80 % der verbotenen Substanzen. Etwa
schen Mittelfeld, etwas hinter Frankreich
23 % der Schweizer Bevölkerung zwischen
und etwas vor Deutschland. Das Ausmass
15 und 64 Jahren gaben im Jahre 2013 an, in
der Strafandrohung für Anbau, Handel, Be-
ihrem Leben schon mindestens einnmal Can-
sitz und Konsum haben wenig Einfluss auf
nabis konsumiert zu haben und 5,7 % taten
die Konsumhäufigkeit. Generell muss fest-
dies in den der Befragung vorausgehenden 12
gehalten werden, dass bei Befragungen, diese
Monaten. In den Jahren 1990–2000 hatte die
erfolgen meistens telefonisch und sind daher
Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten
schwierig zu anonymisieren, ein Teil der Bevöl-
in vielen Ländern Europas und in den USA stark
kerung einen Drogenkonsum verschweigt, was
zugenommen. In den letzten 15 Jahren scheint
zu einer Unterschätzung der Konsumhäufigkeit
sich die Konsumhäufigkeit In Europa zu stabi-
führen dürfte.
lisieren. Am meisten wird in der Altersgruppe
der 15–29jährigen konsumiert, etwa zweimal
Cannabiskonsum-Verhalten in der Schweiz:
Umfrage 2013 in der Bevölkerunggruppe 15 bis 64 Jahre
Konsumhäufigkeit
in der Schweiz
23 %
77 %
mind. 1× Cannabis
konsumiert
nie Cannabis
konsumiert
1:2
15
29
15
Alter (Jahren)
PSYCHOSE
WAS IST EINE
PSYCHOTISCHE EPISODE?
Psychotisches Erleben kann als (fakultatives)
Der Begriff Psychose ist nicht klar definiert
und Krankheiten auftreten:
Symptom bei verschiedenen Störungsbildern
(siehe Seite 17). Historisch diente er in diesem
im Rahmen von Demenzen
Sinne der Abgrenzung von aus dem Lebens-
affektiven Störungen (Manien, schweren
Depressionen)
zusammenhang begreifbaren, sogenannten
neurotischen psychischen Störungen. Es wird
dissoziativen Störungen
zwischen «organischen» und «funktionellen»
bei akuten oder gewohnheitsmässigen
Vergiftungserscheinung und Entzugs-
Psychosen unterschieden.
Funktionelle Psychosen
Organische Psychosen
syndromen (Delirien)
beim Erleben von Traumata oder sonstigen ausgeprägten Stress-Situationen
Organische Psychosen entstehen
aufgrund einer körperlichen
Krankheit oder Verletzung, z.B.
bei Neurosyphillis oder
Schädel-Hirn-Traumata.
bei entzündlichen (Hirn-) Erkrankungen,
hohem Fieber, etc.
Häufig dient der Ausdruck zudem als Sammelbezeichnung für Störungen aus dem «schizophreniformen» Formenkreis und umfasst dann
Schizophrenien, schizotype Störungen, vorü-
Bei funktionellen Psychosen sind dem
psychotischen Erleben zugrundeliegende oder dieses begleitende
(hirn-) organische Veränderungen
nicht oder ungenügend bekannt
oder nicht vorhanden.
bergehende und längerdauernde wahnhafte
Störungen sowie schizoaffektive Störungen.
Für die Wirkung eines psychotischen
Zustandes sind Halluzinogene verantwortlich, welche als psychotrope Substanzen bezeichnet werden. Ein solcher
Zustand kann auch durch Stimulantien (z.B.
Amphetamine), Alkohol und Cannabis ausgelöst werden und wird als Intoxikationspsychose bezeichnet. Dauert der substanzinduzierte
psychotische Zustand länger als die Wirkdauer
der Substanz (bis zu einem Monat), spricht
man von einer toxischen Psychose.
16
Definition von Psychose
Der Begriff Psychose ist nicht klar definiert. Einerseits
meint er vorübergehende oder längerdauernde psychische Störungen, die mit einem mehr oder weniger weitgehenden, vorübergehenden oder längerdauerndem
Kontaktverlust zur Realität einhergehen. Andererseits
werden unter dem Begriff psychische Störungen zusammengefasst, deren Entstehung aus dem «Lebenszusammenhang» der Betroffenen kaum zu verstehen sind.
Psychotische
Erfahrungen
sind
auch
in
wie Häufigkeit des Auftretens, Inhalte der
nicht-klinischen Bevölkerungsgruppen häufig
Erlebnisse (bedrohlich vs. nicht-bedrohlich),
(>10 %). Es lassen sich vier Subtypen identi-
Allgemeinbefinden etc. wichtige Faktoren zur
fizieren:
Beurteilung des prognostischen Wertes.
Psychotische Erfahrungen und Cannabis-
1. Anormale Wahrnehmungen
konsum treten gehäuft gemeinsam auf.
2. Bizzare Erlebnisse
Konsumreduktion führte in einer Studie
3. Verfolgungsideen
zur Reduktion der Anzahl solcher Erfah-
4. Magisches Denken
rungen. Einige Autoren sehen nicht den
Cannabiskonsum per se sondern «Umwelt-
Ob psychotische Erfahrungen – oder spezielle
faktoren» als Grund für das gehäufte gemein-
Subtypen – Vorläufersymptome, späterer Stö-
same Auftreten von psychotischen Erfahrun-
rungen aus dem schizophrenen Formenkreis
gen und Cannabiskonsum.
darstellen, ist unklar. Allenfalls sind Kriterien
18
ZUSAMMENHANG ZWISCHEN
CANNABIS UND SCHIZOPHRENIE?
Fast alle Untersuchungen finden ein über-
konsumieren fast doppelt so häufig Cannabis
zufälliges Zusammentreffen von Canna-
wie nicht Betroffene.
biskonsum und schizophrenen Störungen.
urteilt, aber von den meisten Forscherinnen
WIE GROSS IST DAS RISIKO
DURCH CANNABISKONSUM AN
EINER PSYCHOSE ZU ERKRANKEN?
und Forschern für wahrscheinlich gehalten.
Die bis jetzt umfassenste Metaanalyse
Als Hinweise auf eine Kausalbeziehung gilt
zum
der – allerdings auch nicht einheitlich akzep-
und psychotische Störungen fand, dass
tierte – Befund, dass Cannabiskonsum der
das Risiko, irgend eine psychotische
Erstmanifestation einer Schizophrenie häufig
Störung zu entwickeln, durch den Kon-
vorausgehe, und dass eine positive Dosis-Wir-
sum von Cannabis um einen Faktor von
kungsbeziehung zwischen Konsumhäufigkeit
1,41–2,09 erhöht werde.
Ob Cannabis-Konsum für diesen Zusammenhang ursächlich ist, wird unterschiedlich be-
Zusammenhang
Cannabiskonsum
und Auftreten der Störung bestehe. Im Widerspruch dazu wird von einigen Wissenschaftlern angemerkt, dass vor der Erstmanifestation einer Schizophrenie bereits psychische
Auffälligkeiten auftreten können, welche per
se den Cannabiskonsum motivieren könnten.
Schizophrenie-Patientinnen und -Patienten
Risiko eine psychotische
Störung zu entwickeln
Zunahme des Risikos durch Cannabiskonsum an einer Psychose zu erkranken
Risiko um Faktor
1,41–2,09 erhöht
Nicht-Konsumenten
Cannabis-Konsumenten
19
WELCHES SIND DIE ENTSCHEIDENDEN RISIKOFAKTOREN?
Nur ein kleiner Teil der Cannabiskonsu-
zumindest teilweise zu kompensieren vermag.
mentinnen und -konsumenten entwickelt
Zunehmend wird auch berichtet, dass gewisse
eine schizophreniforme Störung und nur
synthetische Cannabinoidderivate (K2, Spice
bei wenigen der Betroffenen ist diese
etc.) schädlicher seien als natürliche. Eine
konsumbedingt. Zwei sich nicht gegenseitig
Reihe dieser synthetischen Cannabinoide ist
ausschliessende Hypothesen versuchen diese
deshalb in vielen Ländern Europas verboten
Befunde zu erklären:
worden.
Gegen die beiden Hypothesen und die Annah-
Hypothese eins besagt, dass der Kon-
me, heutiger Cannabis sei sehr viel gefährli-
sum nur bei Trägern einer gewissen Va-
cher als solcher der 1980er Jahre spricht aller-
riante eines enzymkodierenden Gens
dings, dass die Mehrheit der Untersuchungen
(COMT oder AKT1) psychosefördernd
trotzt einer Zunahme des Konsums keine Zu-
wirke, während bei Nicht-Trägern dieses
nahme der Inzidenz psychotischer Störungen
Risiko nicht besteht.
finden kann.
Hypothese zwei postuliert einen «contributing factor cannabis», der sich generell
additiv zu schon bestehenden Risikofaktoren für die Entwicklung psychotischer
Störungen (z. B. erkrankte Eltern oder Geschwister) verhalte und somit mehr Menschen psychotisch werden lasse.
Einige Arbeiten untersuchten die Auswirkungen erhöhter THC-Konzentrationen in gewissen Cannabispräparaten, die meist Hand
in Hand mit einer Reduktion des CBD-Gehalts gehen. Sie finden, dass «skunk-type
cannabis» mit hohem THC-Gehalt psychosefördernd, «hash-type cannabis» dagegen unbedenklich sei. Es gilt heute als erwiesen, dass
CBD die psychotropen Eigenschaften des THC
20
FRÜHERKENNUNG VON
PSYCHOSEN?
Falls bei Ihnen oder bei Ihren Bekannten psy-
Verdachtsfällen, spezialisiert. Ihre Hausärztin
chische Beschwerden im Zusammenhang
resp. Ihr Hausarzt kann Sie dort zuweisen. Die
mit einem Konsum von Cannabis auftre-
Kosten für solche Konsultationen wer-
ten, kann es sinnvoll sein, medizinischen Rat
den von der obligatorischen Krankenver-
einzuholen. Erste Anlaufstellen sind die
sicherung getragen.
Hausärztinnen und -ärzte. Die meisten
Der Erfolg von solchen Frühinterventionen ist
psychiatrischen Kliniken der Schweiz und
noch nicht abschliessend evaluiert. Namentlich
speziell die Universitätskliniken haben
ist unklar, ob solche Angebote die «Konversi-
in den letzten Jahren Spezialangebote
onsrate», der Übergang von einem Prodromal-
zur Früherkennung resp. Frühbehand-
stadium in eine volle Störung, verglichen mit
lung psychotischer Störungen bereitge-
einer Behandlung «as usual» vermindern kön-
stellt. Diese haben sich auf die Abklärung
nen. Anhaltspunkte für die Effektivität solcher
und eine allenfalls notwendige «phasenge-
Frühinterventionen liegen auf dem Gebiet der
rechte» Behandlung von Frühsymptomen,
Familientherapie und der Berufsausbildung vor.
21
NEHMEN SIE RAT UND HILFE IN ANSPRUCH
Liebe Leserin, lieber Leser
Wir hoffen, dass diese Broschüre Ihnen eine
nehmen. Fragen Sie Ihren Hausarzt nach ei-
guten Überblick über Cannabis, Psychose und
nem geeigneten Psychiater in Ihrer Nähe.
den Zusammenhang zwischen diesen beiden
Ausserdem können Sie eine Liste von Fach-
Themen gegeben hat. Haben sich aber auch
ärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und
neue Fragen und weiterer Informationsbe-
Psychotherapie sowie eine Liste der psychiatri-
darf ergeben? In diesem Fall möchten wir
schen Kliniken im Telefonbuch finden.
Ihnen empfehlen, Kontakt zu einer Ärztin
Werden Sie aktiv und wagen Sie den ersten
oder einem Arzt Ihres Vertrauens aufzu-
Schritt!
MEINE FRAGEN ZU CANNABIS:
22
HILFREICHE LINKS
www.vask.ch VASK Vereinigung der Angehörigen von Schizophrenie und Psychisch-Kranken.
www.promentesana.ch Pro Mente Sana - im Interesse psychisch kranker Menschen.
www.psychosis.ch
Informationen zu Schizophrenie und dem Umgang damit.
www.suchtschweiz.ch
Hilfe bei Problemen um dem Konsum von Alkohol und anderen
259.15-LAT
psychoaktiven Substanzen.
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