Margarita Mishaev Das Lachen durch Tränen in „Satiren“ Op.109 von Dmitri Schostakowitsch Schriftliche Prüfungsarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Magistra artium“ an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz Begutachter : Ao. Univ.-Prof.Mag.Dr. Ernest Hötzl Juni 2013 1 Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................... 3 Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975) ............................................. 4 Sascha Tschorny - Alexander Michajlowitsch Glikberg ..................................... 10 Op. 109 – Satiren ................................................................................................... 12 Literaturverzeichnis ............................................................................................... 21 2 Vorwort Ich habe meine Kindheit in der ehemaligen Sowjetunion verbracht, und bin hiermit in einem autoritären System aufgewachsen. Auch heute gibt es leider wieder diktatorische Tendenzen in den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR. Dissidenten, welche sich trauten ein solches Regime zu kritisieren, haben mich deshalb schon immer interessiert. Persönlichkeiten wie Alexander Solschenizyn (russischer Schriftsteller und Nobelpreisträger), Andrei Sacharov (der Vater der russischen Wasserstoffbombe und Friedensnobelpreisträger), und eben Dimitry Schostakowitsch haben es gewagt das System unter Inkaufnahme schwerer Konsequenzen für das eigene Leben zu kritisieren. Insbesondere Schostakowitsch hat es verstanden, durch die Verwendung von Ironie, des Spotts, und des Sarkasmus auf eine sehr intelligente Art und Weise Kritik zu üben. Er tat dies immer an der Grenze der Freiheit die ihm das Regime zugestand, und immer wieder überschritt er diese, was sich an seiner zweimaligen Denunziation zeigt. Aus meiner Sicht repräsentiert insbesondere das Op.109 – Satiren seine Form und seinen Stil der Regime- und Gesellschaftskritik und deshalb habe ich dieses als Thema für meine Masterarbeit ausgewählt. Die Gedichte wurden zwar vor der Revolution verfasst, sind jedoch auf die Zeit des Kommunismus (und auch der Gegenwart) übertragbar, und es bedurfte großen Mutes dieses Werk zu dieser Zeit zu verfassen. 3 Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975) War Pianist, Pädagoge und einer der wichtigsten sowjetischen Komponisten. Sein Vater, Dmitri Boleslawowitsch war Ingenieur und die Mutter Pianistin, mit der der junge Dmitri Dmitrijewitsch seinen ersten Klavierunterricht hatte. Er studierte von 1919 bis 1925 Klavier am St. Petersburger Konservatorium, wo er besondere Aufmerksamkeit von dem Komponisten Alexander Glasunov (der damalige Konservatoriumsdirektor) erhielt, dem die Musik Schostakowitschs zwar nicht gefiel, welcher sich allerdings trotzdem um ein Stipendium für den jungen Musiker bemühte, und über ihn sagte: "Er ist eine der größten Hoffnungen unserer Kunst." 1 1922 erkrankte der Vater Schostakowitschs unerwartet und starb. Die Familie befand sich aufgrund dessen in einer schwierigen Situation und wusste nicht, wie sie die Armut und die Hoffnungslosigkeit bewältigen soll. Trotz der nicht einfachen Lebensbedingungen, lernte und arbeitete Schostakowitsch ohne Unterlaß. Bereits mit seiner Abschlussarbeit der 1. Sinfonie (1925) gewann er internationale Anerkennung: das Werk wurde im Ausland unter namhaften Dirigenten aufgeführt und Alban Berg schrieb ihm einen Gratulationsbrief. Inspiriert von zeitgenössischen Komponisten wie Igor Strawinski, Sergei Prokofjew, Alban Berg, Paul Hindemith und später auch Gustav Mahler, setzt er sich mit ihren Musikrichtungen auseinander, findet jedoch seinen eigenen avantgardistischen Weg, der im Westen als sowjetische Propaganda interpretiert wurde. Diese Ansicht musste mit der Veröffentlichung des Buches “Die Memoiren des Dmitry Schostakovich” von Solomon Wolkow 1979 revidiert werden. Die Echtheit der Manuskripte wurde von mehreren Seiten angezweifelt, wobei dies jedoch auch im Interesse des Sowjetregimes lag. Selbst die Desinformationsabteilung des KGB (Eine Abteilung des KGB hatte die Aufgabe das Volk zu desinformieren, als solche wird sie natürlich erst heutzutage bezeichnet) war daran beteiligt.2 Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war es möglich durch neue Nachforschungen deren Authentizität zu unterstreichen.3 1 2 3 Krzysztof Meyer, Dmitri Schostakowitsch: S.34 Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, Wolkow S. 12 Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, Wolkow S. 16-18 4 Aufgrund der von dem Sowjetregime auferlegten Restriktionen bewegte sich Schostakowitsch ständig in einem Spannungsfeld aus Regimekritik und Linientreue, und wurde deswegen 1936 sowie 1948 denunziert. Kunst hatte den ideologischen Zielen des Regimes zu dienen, und jegliche Kritik konnte zu gravierenden Konsequenzen bis zum Tode im Gulag führen. So erschien z.B. am 28. Jänner 1936 in der Zeitung "Prawda" (Die Wahrheit) nach einem Besuch Stalins ein Artikel, der "Chaos statt Musik" hieß – in welcher die Oper "Lady Macbeth von Mzensk" kritisiert wurde. Die Oper welche 2 Jahre lang einen Erfolg nach dem anderen feierte, hatte plötzlich keinen Wert mehr. Über sie wurde geschrieben: ".....Es ist dies ein linkes Chaos statt einer echten, menschlichen Musik. Die Kraft der Musik, die den Hörer mitreißen kann, wurde zugunsten kleinbürgerlicher und unfruchtbarer formalistischer Versuche und prätentiöser Bemühungen um Originalität mit Hilfe billigster Mittel verschleudert. Dieses Spiel kann aber böse enden."4 Es war kein Wunder, dass nach einem solchen Artikel Schostakowitsch Monate lang mit einem Koffer unter dem Bett schlief, wartend auf die Geheimpolizei. Nach dieser vernichtenden Kritik hatte Schostakowitsch panische Angst, was ihn jedoch nicht davon abhielt weiter zu schreiben. Er sagte über diese Situation: “Und wenn sie mir beide Hände abhacken, werde ich mit den Zähnen eine Feder halten und weiter Musik schreiben.“5 Er versuchte mit seiner vierten Symphonie seine alte Position in der Gesellschaft und dem Regime wieder zu erhalten, aber plötzlich, aus unklaren Gründen zog er das Werk kurz vor der Uraufführung zurück. Es wurden mehrere Mutmassungen diesbezüglich geäußert - einige glaubten, dass Schostakowitsch mit dem Werk unzufrieden gewesen sei - andere dachten wiederum, dass er mit dem Dirigenten der Uraufführung, Fritz Stiedry, nicht zurechtgekommen sei. Eine weitere Vermutung, und die an die ich persönlich glaube, war der Einfluss des großen Terrors der Regierung. Darauf weisen einige Ereignisse in seiner Familie hin. Der Mann seiner Schwester Marija wurde verhaftet und sie selbst in ein Lager in Sibirien deportiert. Seine Großmutter wurde zwangsweise nach Karaganda umgesiedelt. Das wichtigste Indiz ist wahrscheinlich der Titel seiner fünften Symphonie: „praktische Antwort eines 4 5 Krzysztof Meyer, Dmitri Schostakowitsch: S.225 I.Glikman, Vsio rovno-budu pisat‘ muzyku, in:Sovetskaja muzyka 1989, Mr.9, S.45 5 Sowjetkünstlers auf gerechte Kritik“. Er musste die Kritik akzeptieren um sich und seiner Familie unter dem Stalinregime ein weiteres Leben zu ermöglichen. Die Symphonie No.5 war ein Kompromiss - ohne sich an neuen Entdeckungen zu versuchen – in der die Musiksprache einfacher war, aber ohne seine Individualität zu verlieren. Sie wurde von vielen Seiten gelobt, und dies wohl nicht nur aus Begeisterung über das Werk, sondern auch weil die positive Rückmeldung der Regierung die Meinung vorgab. Während der nächsten Jahre hat Schostakowitsch mit dem Regime kollaboriert, zumindest konnte man dies aus Sicht der Regierung so empfinden. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass zur Zeit des zweiten Weltkriegs andere Regeln galten und die Regierung sich mit wichtigeren Dingen als mit Auseinandersetzungen mit Künstlern zu beschäftigen hatte. Weiters wurden die Werke Schostakowitschs zu dieser Zeit, wie beispielsweise die Symphonien Nr. 7 und 8, zum aktuellen Thema des Krieges komponiert. Stalin zumindest erschienen sie prosowjetisch, er verlieh Schostakowitsch sogar einen Preis für seine Symphonie Nr. 7. Zum Ende des Krieges wurde er öfters dazu gedrängt, eine Symphonie über den großen Sieg zu komponieren. Er entgegnete, er habe zwar daran gedacht eine neunte Symphonie zu komponieren, allerdings suche er noch nach einem Text, denn in diesem Werk sollten auch Chor und Solisten beteiligt werden.6 Aufgrund solch offensichtlicher Analogien zu der neunten Symphonie Beethovens, entstand eine Erwartungshaltung für eine Triumphsymphonie. Stattdessen erklang am Ende Zirkusmusik, wofür er heftig kritisiert wurde und später, in weiterer Folge denunziert (im Übrigen auch wegen anderer Werke). Er durfte nicht mehr unterrichten, wurde ständig von der Presse angegriffen, mehrere Bekannte hatten Angst mit ihm zu tun zu haben und Kinder lernten in der Schule über den Schaden, welche Schostakowitsch angeblich an der Kunst verursacht hätte. 1948 bei dem ersten Kongress des Komponistenverbands wurden ihm Formalismus und Volksfremdheit vorgeworfen. Als Beweis wurden auch Werke von seinen Studenten erwähnt. Schostakowitsch akzeptierte die Kritik und gab seine Fehler zu. Er gestand, dass die Partei besser wüsste was richtig sei und dass er in Zukunft einen neuen 6 G. Orlov, Simfonii Schostakowitscha , Moskau 1961, S.221 6 Weg zu den Herzen des Volks suchen werde. Zum Abschluss des Kongresses wurde ein Dankesbrief an Stalin geschickt, für sein angebliches Interesse an der Entwicklung der Musikkultur.7 In der Zeit komponierte er – allerdings aufgrund seiner damaligen Situation nur für die Schublade - ein neues Werk namens „Rajok“ („ein kleines Paradies“), in dem er Stalin sowie weitere Antiformalisten verspottete. Ich bin der Meinung, dass wenn Schostakowitsch sich an der Politik des Regimes beteiligt hätte, solche Stücke nicht entstanden wären. Es ist wohl auch kein Zufall, dass im gleichen Jahr sein Zyklus „Aus der jüdischen Volkspoesie“ entstand. In seiner Situation konnte er sich mit der Situation des verfolgten jüdischen Volkes identifizieren. Als es 1949 in der Vertretung der UdSSR in den USA zu einem Kongress für Kultur und Friedenssicherung kam, wurde ironischerweise Schostakowitsch als Vertreter ausgewählt - dieser wollte daran allerdings nicht teilnehmen. Dann kam es ironischerweise zu einem interessantem Vorfall: Stalin rief Schostakowitsch an und eröffnete ihm, dass kein anderer die sowjetische Musik besser als er repräsentieren könne, dass seine Musik nie verboten worden wäre, und wenn dies der Fall gewesen wäre, wisse er davon nichts. So wurde Schostakowitsch vielleicht davon „überzeugt“ oder besser gesagt eher gezwungen sich der Delegation anzuschließen. Ein derartiges Vorgehen war damals üblich, um bei den Bürgern ein Klima der Unsicherheit zu schaffen. Auf diese Weise lebte man in ständiger Angst und Unwissen, während die Machthaber unlimitierte Freiheit genossen zu tun was ihnen beliebte, und sie die Möglichkeit erhielten mit den Bürgern als Marionetten zu spielen. Nach der Reise verbesserte sich die Position Schostakowitschs ein wenig und hin und wieder wurden einige seiner Werke wieder aufgeführt. Schostakowitsch litt an den Umständen in der UdSSR und hoffte, dass sich nach dem Tod Stalins (1953) die Situation ändern wird. In seiner zehnten Symphonie rechnete er mit Stalin ab – die Musik beschreibt den Despoten - und am Ende des Werkes vertont er D.SCH. (D-Es-C-H) - als ein Zeichen seines Triumphs. Er wagte es endlich seine 7 Krzysztof Meyer, Dmitri Schostakowitsch: S.335 7 verborgenen Werke aus der Schublade herauszuholen - wie das Violinkonzert Op.77, Jüdische Lieder, sowie das Quartett Nr. 4, welches zu den bedeutendsten kammermusikalischen Stücken gehört. Während er seinen musikalischen Erfolg feierte, war sein Privatleben von Sorgen geprägt. Seine erste Frau erkrankte und starb unerwartet an Krebs (1954). Ein Jahr später verlor er auch seine Mutter, zu der er ein sehr enges Verhältnis pflegte, denn nur ihr vertraute er die intimsten Dinge an. Er heiratete wieder, aber auch seine zweite Ehe stand unter keinem guten Stern. "Da sie [seine zweite Frau] aus einer einfachen Familie stammte, verstand sie weder die Bedeutung seiner [Schostakowitschs] Arbeit noch die Rolle, die sie an der Seite dieses Künstlers zu spielen hatte." Sie sagte - "Ein Musiker! Na und? Mein erster Mann war auch ein Musiker... er hat Akkordeon gespielt!"8 Der Tod des Diktators erweckte die Hoffnung auf eine Demokratisierung im Volk. Es wurde eine neue Staatsführung bestätigt: Ein Kollektiv statt Einzelperson. Mehrere Provokationskomplotte wurden veröffentlicht und in der Folge wurden viele Beteiligte verhaftet und hingerichtet. Nicht mehr weit war der Tag an dem Chruschtschow Stalin als einen Verbrecher bezeichnete. Die sowjetische Kunst erlebte langsam eine "Entstalinisierung": internationale Kontakte wurden belebt, Bücher und Theaterstücke tauchten auf, es gab kleine Fortschritte in der Liberalisierung. Eine gewisse Unabhängigkeit von der Regierung wurde erreicht. Ein paar Jahre später (1958) gab die Partei ein Dekret über die Berichtigung der Fehler in der Beurteilung der Komponisten 1948 bekannt, und Schostakowitsch befand sich natürlich auf der Liste. Die kommende Jahre schienen sehr produktiv zu sein, er reiste mit einer Delegation viel ins Ausland und komponierte viele bedeutende Werke mit neuen Elementen, wie z.B. das anspruchsvolle Konzert Nr.1 für Violoncello, das er für Rostropowitsch schrieb, sowie mehrere Streichquartette und Satiren Op. 109. Die Reisen Schostakowitschs hatten vor allem eine politische Bedeutung und in Folge wird er überzeugt oder, was mir glaubwürdiger erscheint, gezwungen der Kommunistischen Partei beizutreten. Die russische Intelligenz staunte: Warum tritt ein solcher Mensch der Partei bei? Er hatte zwar bisher mehrere Preise und Titel von der Regierung bekommen, aber er stand immer ausserhalb des Systems. Die Antwort war 8 Krzysztof Meyer, Dmitri Schostakowitsch: S.393 8 einfach: er bekam die Sekretärsposition des Komponistenverbands, aufgrund dessen musste er der Kpdsu betreiten - Widerstand war zwecklos. Dies sollte jedem in der UdSSR bewusst werden. Seine Schwierigkeiten waren damit jedoch noch lange nicht zu Ende. Nach seiner Aufnahme in die Partei fand eine öffentliche Sitzung des Komponistenverbands statt, auf der er eine bereits verfasste Rede halten musste. In deren Inhalt musste er über die Wichtigkeit der Partei in seinem Leben referieren, und sich bei der Partei „für alles was gut in ihm sei“ bedanken. Er las alles murmelnd vor, allerdings nur bis zu dem Satz "Alles was in mir gut ist, verdanke ich..." - an dieser Stelle hielt er inne und schrie "... meinen Eltern!“. Daraufhin weinte er bitterlich. Einige seiner Freunde konnten ihm die Aufnahme in die Partei nicht verzeihen, denn dieser Schritt galt als Verrat. Ich denke dass Schostakowitsch sich selbst dafür gehasst hatte, darauf weisen seine Neurologischen sowie Herzkrankheiten hin welche sich schnell entwickelten. Seine rechte Hand war gelähmt und kurz vor seinem 60. Geburtstag erlitt er seinen ersten Herzinfarkt – und nach weiteren 5 Jahren den zweiten. 1962 heiratete er zum dritten Mal. Seine Frau war nur 27 Jahre alt, aber sie widmete sich ihm. Sie begleitete ihn bei seinen sehr häufigen und strapaziösen Reisen welche seiner Gesundheit sicher nicht zuträglich waren. Sie unterstürzte und pflegte ihn bis zu seinem letzten Tag - an dem er an seinem dritten Herzinfarkt starb. Schostakowitschs Persönlichkeit war meiner Meinung nach bewundernswert - er hatte sehr schlimmer Erlebnisse zu verarbeiten - gab aber dennoch seine Individualität und Prioritäten niemals auf. Er litt, wurde gequält, hat aber niemals wirklich kapituliert, und trotz aller schwierigen Umstände gewann er die weltliche Anerkennung die er verdiente. 9 Sascha Tschorny - Alexander Michajlowitsch Glikberg (1880-1932) Wenn man diesen Dichter bespricht, sollte man vielleicht mit seinem Tod beginnen, da dieser sehr viel über seine Persönlichkeit aussagt. Er starb an einem Herzinfarkt in Frankreich, nachdem er seinem Nachbar half, einen Brand zu bekämpfen. Der Dichter der sich rücksichtslos über alles und alle lustig gemacht hatte, war eigentlich ein Mensch mit einer zarten Seele, der das Leid der Anderen nicht ignorieren konnte und bereit war, sein eigenes Leben zu opfern um jemanden zu retten. Diese Eigenschaft seiner Persönlichkeit hatte wahrscheinlich mit seiner Kindheit und Erziehung zu tun. Er stammte aus einer jüdischen Familie, aber um einen Platz im Gymnasium zu bekommen, musste er getauft werden. Die Familie Glikberg hatte 5 Kinder, 2 davon hießen komischerweise Alexander. Der einer war blond und wurde "belyj" (der Weiße) genannt und der zukünftige Dichter war dunkelhaarig und deshalb wurde er "tschorny" (der Schwarze) genannt. Daraus ergibt sein Deckname - Sascha Tschorny (der schwarze Sascha). Sein Vater, Pharmazeut vom Beruf, musste aufgrund seines Dienstes ständig reisen und hatte für die Kinder keine Zeit. Die Mutter litt des Öfteren an Anflügen von Hysterie und war nicht in der Lage sich um die Kinder zu kümmern. Alexander hielt die schwere Situation nicht aus und entschloss sich, nach Sankt Petersburg zu fliehen. Er litt dort an Hunger und bat in Briefen an die Eltern um Hilfe. Sie haben diese ignoriert und ihm damit zu verstehen gegeben, dass er mit seinen Problemen selbst zurechtkommen hatte. Ihn rettete ein Zufall: ein junger Journalist, Alexander Jablonski, schrieb über den verlassenen Jungen in der Zeitung, worauf ein prominenter Beamter aus Zhitomir, Konstantin Konstantinowitsch Rosche, der zuletzt seinen Sohn verlor, sofort reagierte und sich des Kindes annahm, Wahrscheinlich lernte Tschorny Mitleid und Mitgefühl von seinem neuen Vater. Bei ihm machte er auch seine ersten Schritte in der Poesie und ab diesem Moment beginnt seine Biographie als Dichter. Die Ironie war der einzige Ausweg aus der furchtbaren Realität, Dunkelheit und Verzweiflung die Tschorny erlebte. Allerdings war seine ausgesprochene Ironie über 10 die Gesellschaft sehr schockierend und zu dieser Zeit nicht akzeptiert. Bereits die Veröffentlichung seiner ersten politischen Satire "Tschepucha" (Unsinn) in der Zeitschrift "Zritel" (Der Zuschauer), führte zu einem Skandal und dem Verbot der Zeitschrift (1905). Die Wirkung der Satire war jedoch unglaublich groß: sie wurde von Hand kopiert im ganzen Land verteilt und brachte dem Dichter unsterblichen Ruhm. Nachdem er 2 Jahre in Deutschland lebte und studierte, kehrte er nach Sankt Petersburg zurück (1908) und begann dort an für die beliebte Zeitschrift der Satire und des Humors "Satirikon" zu schreiben. Nicht nur das einfache Volk sondern auch die Intelligenz war von seinen Versen fasziniert - und lernte diese sogar auswendig. Später erschienen seine Dichtbänder, Satiren sowie Kinderbücher. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zog er freiwillig ins Feld. Durch die schrecklichen Erlebnisse die er dort erlebte, versank er in einer Depression. Während der Oktoberrevolution emigrierte Tschorny nach Frankreich, wo er in verschiedene Publikationen der Immigranten satirische Gedichte, Kurzgeschichten und Kindergedichte schrieb. Fast jede dort geschriebene Zeile wies auf sein Heimweh hin. Erst in Frankreich hatte er begriffen, dass das, was ihm in Russland als fremd erschien, sein Zuhause darstellte, und er jetzt ein Fremder unter Fremden war. 11 Op. 109 – Satiren Schostakowitsch wurde immer von Satire und Groteske angezogen. Dies zeichnete auch seine erste jugendliche Oper "Nos" (Die Nase) nach Gogols Erzählung, eine Satire auf die russische Bürokratie aus. Auch seine zweite Oper "Lady Macbeth von Mzensk" enthielt satirische Elemente. Daran angeschlossen kam die Zeit der tragischen Werke, die dem Schicksal der Menschheit gewidmet waren. Einst gestand er Glikman, er spüre, dass sein schweres Leben zum Verlust seines Humors geführt habe. 9 Meiner Meinung nach war die Verwendung solcher Elemente wie Satire und Groteske eine Möglichkeit die furchtbaren Ereignisse innerhalb des UdSSR Regimes sowie seine privaten Erlebnisse zu verarbeiten. Er erlebte beide Weltkriege, Armut, schwere Krankheiten, die offizielle Verdammung der Regierung und ständigen psychologischen Druck auf ihn und seine Familie, den Verlust seiner ersten Frau und ein Jahr später auch seiner Mutter. Dies war wahrscheinlich ein Versuch durch Tränen hindurch zulachen. Das erinnert mich doch sehr an Worte Schostakowitsch über jüdische Musik: "Sie [die jüdische Musik] kann fröhlich erscheinen und in Wirklichkeit tief tragisch sein. Fast immer ist es ein Lachen durch Tränen..... Die Juden wurden so lange gequält, daß sie es gelernt haben, ihre Verzweiflung zu verbergen."10 (Vielleicht ist das gar kein Zufall, daß der Dichter der Satiren ursprünglich ein Jude war). Im Frühjahr 1960 zog ein Gedichtband von Sascha Tschorny die Aufmerksamkeit von Schostakowitsch auf sich. Dieser Dichter war am Anfang des 20 Jahrhunderts nicht unbekannt, vor allem aufgrund seiner frechen politischen Satiren, die er in verschiedenen Zeitschriften zu veröffentlichen wagte. (2 davon wurden z.B.: als Vorwand das Magazin "Zritjel" zu verbieten genutzt). Der neugierige Schostakowitsch fing sofort an sich Anmerkungen zu notieren und Texte für den zukünftigen Zyklus auszuwählen. 9 10 Khentova, Shostakovich, 2:559. Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, Wolkow S. 249 12 Der Vokalzyklus "Satiren" für Sopran und Klavier entstand innerhalb von wenigen Tagen (abgeschlossen am 18. Juni 1960), für die berühmte Sängerin, Galina Wischnewskaja, und wurde ihr auch gewidmet. Zu dem Inhalt der Satiren sagte Schostakowitsch folgendes in einem Interview: "Mir sind auch heitere Stimmungen nicht fremd. So schrieb ich fünf satirische Romanzen auf Worte des bekannten Satirikers der Vorrevolutionszeit, Sascha Tschorny. Scharf und mit großem Sarkasmus verspottet er darin die Spießbürger der Epoche der Reaktion, die nach der Revolution von 1905 im Vormarsch waren. Mit beißendem Hohn überzieht Tschorny jene Menschen, die der Mystik verfallen sind und sich in der beschränkten, kleinen Welt der Privatsphäre zu verbergen trachten."11 Diese bissigen und sarkastischen Gedichte von Sascha Tschorny, die in vorrevolutionärer Zeit geschrieben wurden, haben ihre Aktualität nicht verloren. Ihr Inhalt konnte ohne Probleme auf Ereignisse in der Gegenwart Schostakowitschs anspielen. Um Auseinandersetzungen mit dem Regime zu vermeiden, riet Wischnewskaja dem Komponisten dem Zyklus einen Untertitel zu geben, und zwar "Bilder der Vergangenheit". Die Idee war den Eindruck zu schaffen, dass der Text als eine Satire auf die Zarenzeit zu verstehen sei. Schostakowitsch befand die Idee für gut und nach längerem Hin und Her kam tatsächlich die Genehmigung der Regierung zur Uraufführung des Stückes. Am 22. Februar 1961, sang Wischnewskaja den neuen Zyklus begleitet von ihrem Ehemann, Mstislaw Rostropowitsch. Der Saal des Moskauer Konservatoriums war überfüllt und die Zuhörer begriffen sogleich den Sinn des Werkes und die Intention des Komponisten. Sie waren so begeistert von dem Werk, dass ihr stehender Applaus die Künstler zwang den Zyklus noch 2 Mal zu wiederholen. Doch bereits kurz nach der Uraufführung wurde das Werk verboten, folglich kam es nicht zu einer Fernsehübertragung des Werkes oder einer Schallplatteneinspielung. Das Werk war erst mehr als 5 Jahre später in UdSSR wieder zu hören. 11 Aufführungsmaterial vom Sikorski Verlag. 13 Die lakonischen Satiren verfügen über typische Merkmale der Werke von Schostakowitsch, jedoch weichen sie in ihren spezifischen Techniken ab. Diese Besonderheiten verstärken die Ironie des Werkes. Zum ersten Mal greift Schostakowitsch auf Schlüsselkonzepte der Gesellschaft zurück. Die Ausgewählten Gedichte waren kein Zufall, denn in jedem Gedicht sind allgemeine Fragen zu finden die den damaligen Künstlerkreis beschäftigt haben: Identifikation des Künstler mit der Hauptfigur seines Werkes (die erste Satire "An den Kritiker" hat einen engen Bezug auf das Thema), Gefühl der Neuheit in der Kunst, Realisierung der Thesis über die Einigkeit des Volkes und der Intelligenz, Gleichberechtigung der Frau etc. Es muss unglaublich schwierig sein, sich in solchen Fällen dem Dichter anzupassen, allerdings findet Schostakowitsch eine Lösung: statt den Rhythmus oder andere strukturelle Elemente der Poesie zu bewahren, imitiert er die kreative Logik des Dichters. Wenn Tschorny poetische Monothematik verwendet, z.B.: in der Satire No. 2 „Das Erwachen des Frühlings“ durch Kombination aus einem Zitat aus einem Gedicht von Nekrassov aus der Schulprogram ("Zeljony Schum" - Der grüne Rausch), mit einem anderen aus einem bekannten Trinklied ("Vetschernij Zvon" - Die Abendglocke). Schostakowitsch verwendet auch die Monothematik und das Zitat, aber im musikalischen Sinne. Einige wesentliche ironische Elemente in Zyklus: 1. Der Titel jeder Satire ist in der Gesangspartie eingeschlossen - die Sängerin stellt den Zuhörer jede Satire singend vor. 14 Satire No.1 - An den Kritiker Satire No.2 - Das Erwachen des Frühlings Satire No.3 - Die Nachkommen 15 Satire No.4 - Missverständnis Satire No. 5 - Kreutzersonate 2. Die Begleitung in Satire No.2 "Probuzhdenije Vesny" (Das Erwachen des Frühlings) ist an "Vessenije Vody" (Frühlingsflüße) von S.Rachmaninow, wo die klangvolle Begleitung den starken Fluß des schmelzenden Schnees im Frühjahr darstellt, angelehnt. Bei Schostakowitsch verliert die Begleitung allerdings bewusst ihre Eindringlichkeit und wird grafisch klar und klingt elementar. 16 "Spring Waters" - S. Rachmaninow, Takt 1 (1) vs. Satire No.2 "Das Erwachen des Frühlings", Takt. 7-8(2) (1) (2) 3. Die Satire No.3 "Potomki" (Die Nachkommen) klingt nach einem primitiven Drehorgel Walzer. Damit wollte Schostakowitsch möglicherweise zeigen, dass das Leben immer gleich schwer bleiben wird, und es sinnlos ist zu glauben dass die Nachkommen besser leben werden. Satire No.3 "Die Nachkommen" - Takt. 7-13 17 4. No. 4 "Nedorazumenije" (Missverständnis) ist im Geiste der Salonromanze komponiert. Das Stück klingt banal, aber mit Anspruch auf Eleganz um die Dichterin, im Alter der Balzac Figuren zu beschreiben. 5. Satire No.5 enthält einige Elemente, die an die Novelle von L.N.Tolstoi "Krejtserova sonata" (Die Kreuzersonate) erinnern, nach welcher sie auch benannt wurde. In der Novelle, verdächtigt Posdnyschew seine Frau, dass sie nach einer neuen Liebe sucht, und er wird wahnsinnig vor Eifersucht, als sie in dem gemeinsamen Haus mit einem Geiger musiziert (die „Kreutzersonate“ von Beethoven). Er tötet die Ehebrecherin. Die Satire beginnt mit einem Zitat des Geigensolos aus der Kreuzersonate Beethovens und darauf folgt der Anfang der Orchesterbegleitung der Arie von Lenski. (Eugene Onegin, Tschaikowski) in welcher er sich fragt, wo die schönsten Tage seines Lebens hin gegangen seien und was ihm der nächste Tag bringen wird ("Kuda, kuda vy udalilis..."). Als Vergleich folgt die Musik der Wäscherin, Fökla, welche nach Volksmusik klingt um den Text zu verstärken - der Mann stellt die Intelligenz dar und Fökla ist das Volk. L.van Beethoven - Kreuzersonate - Geige Solo(1) vs. Satire No.5 Kreutzersonate Takt.6-9 (2)- Schostakowitsch zitiert die Geigepartie (1) (2) 18 Satire No.5 "Kreuzersonate" - Takt.14-15 (1), 58-61 (3) vs. P.Tschaikowski, Arie des Lenski "Kuda, kuda vy udalilis..." - Takt. 16-19 aus "Eugene Onegin" (2). (1) ist ein Zitat des (2), jedoch (3) ist eine Imitation des Motivs. (1) (2) (3) 19 Satire No. 5 "Kreuzersonate" Takt 62-65 - Motiv der Wäscherin Fökla Das Werk Satiren Op. 109 besteht aus 5 Satiren für Sopran und Klavier. Die Aufführungsdauer des Werkes ist ca. 17 Minuten. Zwischen Schostakowitsch und dem Regime bestand ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis. Das Regime instrumentalisierte ihn für seine eigenen Zwecke, benutzte ihn auch zur Repräsentation. Schostakowitsch testete wiederum die Grenzen dessen aus, was ihm die Regierung an Freiheit zugestand. Zwar wurde er immer wieder dafür bestraft, doch gelang es dem System nicht seinen Willen zu brechen. Dieses Verhältnis erinnert nicht nur zufällig an das zwischen Puschkin und Nikolaus dem ersten. In beiden Fällen versuchte ein autoritärer Staat die Kreativität eines bedeutenden Künstlers zu kontrollieren und für sich selbst zu nutzen. So hat vermutlich gerade diese schwierige Situation Schostakowitsch zu dem gemacht was er war. 20 Literaturverzeichnis Solomon Wolkow: Stalin und Schostakowitsch. Der Diktator und der Künstler. Berlin: Propyläen 2004 Laurel E. Fey: Shostakovich. A life: Oxford 2000 Krzysztof Meyer: Dmitri Schostakowitsch: Serie Musik Atlantis Schott 1998 Esti Sheinberg: Irony, Satire, Parody and the Grotesque in the Music of Shostakovich: Esti Sheinberg 200 Lothar Seehaus: Dmitrij Schostakowitsch. Leben und Werk: Florian Noetzel Verlag 1986 Natalja Walerewna Lukjanowa: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch: Serie Musik Piper Schott 1993 Shostakovich Studies 2: Pauline Fairclough: Cambridge University Press 2010 Solomon Wolkow: Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch: List Verlag 2003 G. Orlov: Simfonii Schostakowitscha: Moskau 1961, 21