Teil 2: Wahrscheinlichkeitsrechnung 326 Grundlagen Wozu Wahrscheinlichkeitsrechnung? Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Rechnen mit einfachem Mengenkalkül Grundlagen 327 Wozu Wahrscheinlichkeitsrechnung? Ein Beispiel (konstruiert) zur Motivation Ein Marktforschungsinstitut möchte mittels Telefonumfrage (Zufallsauswahl/Stichprobe) untersuchen, wie viel Prozent aller Deutschen mindestens ein Handy besitzen. Einer ein Jahr alten Untersuchung zufolge soll der Anteil bei etwa 67% liegen. Es interessiert nun auch die Frage, ob der Anteil gestiegen ist. Betrachtung des Gesamtprozesses Erhebung Aufbereitung und Darstellung Analyse und Interpretation Auswertung der Befragung Telefonbefragung (Stichprobe) Beantwortung der beiden Untersuchungsziele aufgrund der vorliegenden Daten Grundlagen - Wozu Wahrscheinlichkeitsrechnung? 328 Wozu Wahrscheinlichkeitsrechnung? Resultat der Telefonstichprobe könnte z.B. lauten: Relativer Anteil der Handybesitzer unter 500 Befragten beträgt 69%. Problem: Ergebnis könnte nur durch „Zufall“ zustande gekommen sein. Hypothetische Betrachtung: Angenommen, die wahre Handyquote liege unverändert bei 67%. Wie groß ist die „Wahrscheinlichkeit“, dass die Quote in der Stichprobe zufällig höher als 67% ausfällt? Wie groß ist die Aussagekraft (Zuverlässigkeit) der Ergebnisse? Ist die Handyquote nun gestiegen oder nicht? Wie kann das Ergebnis der Untersuchung sachgerecht wiedergegeben werden? Technischer Apparat der Wahrscheinlichkeitsrechnung erforderlich, „um den Zufall in den Griff zu bekommen“. Grundlagen - Wozu Wahrscheinlichkeitsrechnung? 329 Was versteht man eigentlich unter „Zufall“? 330 Was versteht man unter „Wahrscheinlichkeit“? 331 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Zufallsvorgänge und Interpretation von Wahrscheinlichkeiten Beispiele „Die Wahrscheinlichkeit eine Sechs zu würfeln beträgt 1/6.“ „Die Kreditausfallwahrscheinlichkeit für diese Kundenklasse beträgt weniger als 1%.“ „Die Chance für sechs Richtige im Lotto beträgt genau 1: 13 983 816.“ „Morgen wird es höchstwahrscheinlich regnen.“ „Dieser Patient wird nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 40% überleben.“ „Ich bin mir zu 95% sicher, dass ...“ „Eine Studie ergab, dass die Bevölkerung im Jahr 2050 mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% zwischen 40 und 50 Millionen liegen wird.“ „Die Wahrscheinlichkeit für eine Mädchengeburt liegt in Deutschland bei 48.7%. „Mit einer Wahrscheinlichkeit von 94% erhält die Partei einen Stimmenanteil zwischen 29.8 % und 31.4%.“ „Deutschland wird nicht Weltmeister. Da würde ich 500 Euro darauf wetten.“ Welche Gemeinsamkeit(en) haben alle Aussagen? Auf welche verschiedene Weisen wird hier mit Wahrscheinlichkeit verfahren? Nehmen Sie eine Kategorisierung vor. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 332 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Zufallsvorgang und Zufallsexperiment Ein Zufallsvorgang ist ein Vorgang mit mindestens zwei möglichen verschiedenen Ergebnissen, bei dem im Voraus nicht eindeutig bestimmbar ist, welches Ergebnis eintreten wird. Ein Zufallsvorgang der unter kontrollierten Bedingungen abläuft und somit unter gleichen Bedingungen wiederholbar ist, bezeichnet man auch als Zufallsexperiment. Interpretation von „Wahrscheinlichkeiten“ - objektiv a priori (klassische Wahrscheinlichkeit/Laplace-Wahrscheinlichkeit) - objektiv a posteriori (statistische Wahrscheinlichkeit) - subjektiv Weshalb ist auch die klassische Wahrscheinlichkeit letztlich von statistischer Art? ! „Das Schlechteste überhaupt: Von Wahrscheinlichkeiten zu sprechen und selbst nicht zu wissen, wie diese zu verstehen sind.“ Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 333 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Forderung: Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten zu bestimmten Ergebnissen sollte nicht beliebig erfolgen. Um eine gewisse „Sinnhaftigkeit und Konsistenz“ zu erzielen, müssen bestimmte Rechengesetze beachtet werden. Diese Rechengesetze sollten von der interpretativen Ebene der Wahrscheinlichkeiten unabhängig sein. Rechentechnisch einheitliche Behandlung von subjektiven und objektiven Wahrscheinlichkeiten Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Wahrscheinlichkeitstheorie, Stochastik, ...) Wichtige Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung: (hier mehr oder minder notwendig bzw. ausführlich) Mengenlehre, Kombinatorik, Maßtheorie, Integrationstheorie, ... Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 334 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Mengen und Mengenoperationen Wozu überhaupt Mengenlehre? Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit eine gerade Zahl zu würfeln beträgt 1/2. Die Wahrscheinlichkeit eine gerade Zahl zu würfeln, die gleichzeitig noch kleiner als 5 ist, beträgt 1/3. Vorstellung: Ω A 6 B 4 1 2 3 5 Ergebnisse als (Teil)Mengen Operationen auf diesen Mengen erzeugen neue Ergebnisse. Wahrscheinlichkeit steht dann für die „Größe“ (Mächtigkeit) einer Menge Hier z.B.: A ... Gerade Zahl B ... Zahl kleiner 5 „A ∩ B“ ... Gerade Zahl UND kleiner 5 Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 335 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Menge und Elemente Eine Menge ist eine Zusammenfassung unterscheidbarer Objekte zu einem Ganzen. Die einzelnen Objekte werden Elemente genannt. Beispiele: Sei A die Menge der natürlichen Zahlen von eins bis zehn, so kann A wie folgt angegeben werden. A = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10} A = {x: x ist eine natürliche Zahl mit 1 ≤ x ≤ 10 } Enthält die Menge B die möglichen Ausprägungen eines Münzwurfs, so besteht B aus zwei Elementen: B = { Wappen, Zahl }. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 336 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Grundbegriffe der Mengenlehre 1. x ist Element der Menge A bzw. nicht Element von A; in Zeichen (i.Z.) x ∈ A bzw. x ∉ A . 2. A ist Teilmenge von B, falls jedes Element von A auch in B ist; i.Z. A ⊂ B. 3. Die Schnittmenge zweier Mengen A und B ist die Menge aller Elemente, die sowohl in A als auch in B sind; i.Z. A ∩ B = { x : x ∈ A ∧ x ∈ B }. 4. Die Vereinigungsmenge zweier Mengen A und B ist die Menge aller Elemente, die in A oder B sind; i.Z. A ∪ B = { x : x ∈ A ∨ x ∈ B }. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 337 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Grundbegriffe der Mengenlehre fortgesetzt ... 5. Die Differenzmenge zweier Mengen A und B ist die Menge aller Elemente, die in A aber nicht in B sind (oder umgekehrt); i.Z. A \ B = { x : x ∈ A ∧ x ∉ B } bzw. B \ A = { x : x ∈ B ∧ x ∉ A }. 6. Für A ⊂ Ω ist die Komplementärmenge von A bzgl. Ω die Menge aller Elemente von Ω, die nicht in A sind; i.Z. A = Ω \ A. 7. Die Potenzmenge einer Menge A ist die Menge aller Teilmengen von A; i.Z. ℘( A) = { M : M ⊂ A }. 8. Die Mächtigkeit einer Menge A gibt an, wie viele Elemente in A enthalten sind; i.Z. | A | = # { x : x ∈ A} . Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 338 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Die Menge, die kein Element enthält, ist die sogenannte leere Menge. Sie wird mit ∅ bezeichnet, d.h. ∅ = { }. Beispiel zur Potenzmenge Gegeben sei die Menge A = {1, 2, 3}. Dann lautet die Potenzmenge von A ℘( A) = {{1}, {2}, {3}, {1,2}, {2,3}, {1,3}, {1,2,3}, ∅}. Bemerkungen: - Die Menge selbst und die leere Menge sind immer in der Potenzmenge enthalten. - Falls |A| < ∞, dann gilt: ℘( A) = 2 . A Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 339 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Venn-Diagramme zur Veranschaulichung von Mengenoperationen B B A A A⊂B Ω A∩B Ω B A A B A∪B Ω A ∩B ∩C C Ω A B A\B A Ω A Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Ω 340 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Übung: Kennzeichnen Sie in nachfolgenden Venn-Diagrammen die geforderten Mengen. B A C C (A ∩ B ) \ C (A ∪ B ) \ C B A B A C (A ∩ B )∩ C B A C (A ∪ B)∪ C Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 341 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Beim einmaligen Werfen eines Würfels werden folgende „Ereignisse“ betrachtet: A: Eine gerade Zahl wird gewürfelt, B: eine durch 3 teilbare Zahl wird gewürfelt, C: eine 1 wird gewürfelt. a) Beschreiben Sie durch geeignete Verknüpfungen von A, B und C das Ereignis, (i) eine ungerade Zahl, (ii) mindestens eine 2, (iii) eine 6, (iv) eine 1 oder eine 5 zu würfeln. b) Gelten die folgenden Beziehungen (i) B ⊂ A, (ii) C ⊂ B, (iii) C ⊂ A ∪ B ? Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 342 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Rechenregeln für Mengen 1. Kommutativgesetze: A ∩ B = B ∩ A, A ∪ B = B ∪ A, ( A ∩ B ) ∩ C = A ∩ (B ∩ C ), ( A ∪ B ) ∪ C = A ∪ (B ∪ C ), 2. Assoziativgesetze: 3. Distributivgesetze: 4. De Morgansche Regeln: ( A ∪ B ) ∩ C = ( A ∩ C ) ∪ (B ∩ C ), ( A ∩ B ) ∪ C = ( A ∪ C ) ∩ (B ∪ C ), A∪ B = A ∩ B, A ∩ B = A ∪ B. Ohne formalen Beweis. Gültigkeit mit Hilfe von Venn-Diagrammen jedoch leicht einsichtig. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 343 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Ereignisse und Wahrscheinlichkeiten Der Ereignisraum (auch Ergebnisraum, Grundraum oder Stichprobenraum) ist die Menge aller möglichen Ergebnisse eines Zufallsvorgangs und wird üblicherweise mit Ω bezeichnet. Besteht Ω aus höchstens abzählbar vielen (endlich oder abzählbar unendlich vielen) Elementen ϖ 1 ,ϖ 2 ,ϖ 3 ,K so sprechen wir von einem diskreten Ereignisraum. Teilmengen von Ω heißen Zufallsereignisse oder einfach Ereignisse. Die einelementigen Ereignisse von Ω heißen Elementarereignisse. Das Ereignis Ω heißt sicheres Ereignis, das zugehörige Komplementärereignis Ω = ∅ unmögliches Ereignis. Sind A und B sich gegenseitig ausschließende Ereignisse heißen sie disjunkt, und es gilt: A ∩ B = ∅. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 344 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Beispiele - Münzwurf: Ω = { Zahl, Wappen } - Werfen eines Würfels: Ω = { 1, 2, 3, 4, 5, 6 } - Zweimaliges Werfen eines Würfels: Ω = { (1,1), (1, 2), (1, 3), (1, 4), (1, 5), (1, 6), (2, 1), ..., (2, 6), ..., (6, 6) } - Mietspiegelerstellung: Zufälliges Ziehen einer Wohnung aus allen mietspiegelrelevanten Wohnungen. Diese stellen dementsprechend den Ergebnisraum dar. - Klausurpunktezahl: z.B. Ω = { 0, 1, 2, ..., 100 } - Einschätzung des Sachverständigenrates zur Konjunkturentwicklung: z.B. Ω = { „positive Entwicklung“, „unverändert“, „negative Entwicklung“ } - Anzahl der Würfelwurfe bis zur 1. Sechs: Ω = { 1, 2, 3, 4, ... } - Lebensdauer einer CD Ω = [ 0, ∞) Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 345 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Ziel: Den Ereignissen eines Ereignisraumes sollen Zahlen zugeordnet werden, die die „Chance“ für deren Eintreten („Wahrscheinlichkeit“) zum Ausdruck bringen. Ordnet eine Funktion P den Ereignissen eines diskreten Ereignisraumes Ω Zahlen unter Einhaltung folgender Regeln zu: (K1) P( A) ≥ 0, (K2) P(Ω ) = 1, (K3) für A1 , A2 , A3 ,K ⊂ Ω paarweise disjunkt gilt: ∞ P( A1 ∪ A2 ∪ A3 ∪ K) = ∑ P( Ai ) , i =1 so heißt P Wahrscheinlichkeitsmaß auf der Potenzmenge von Ω und die Funktionswerte von P heißen Wahrscheinlichkeiten. Die aufgeführten Regeln entsprechen den Axiomen von Kolmogoroff. Interpretation? Motivation? Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 346 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Ω P(A) A „Ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist eine Funktion, die den Teilmengen einer Menge unter Einhaltung der Kolmogoroffschen Axiomatik Zahlen zwischen 0 und 1 zuordnet, die als Wahrscheinlichkeiten bezeichnet werden.“ Wie folgt aus der Axiomatik, dass Wahrscheinlichkeiten zwischen 0 und 1 liegen? Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 347 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Rechenregeln für Wahrscheinlichkeiten Sei Ω ein Ereignisraum, dann gilt: 1. 0 ≤ P( A) ≤ 1 für A ⊂ Ω , 2. P(∅ ) = 0, 3. P( A) ≤ P(B ) , falls A ⊂ B und A, B ⊂ Ω, 4. P(A ) = 1 − P( A) mit A = Ω \ A, 5. P( A1 ∪ A2 ∪ K ∪ Ak ) = P( A1 ) + P( A2 ) + K + P( Ak ), falls A1 , A2 ,K, Ak paarweise disjunkt, d.h. Ai ∩ A j = ∅ für i ≠ j und Ai ⊂ Ω , i, j = 1,K, k , 6. P( A ∪ B ) = P( A) + P(B ) − P( A ∩ B ) . Beweis: Folgt leicht aus den Axiomen nach Kolmogoroff. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 348 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Berechnung der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses A Sei A ⊂ Ω das Ereignis eines diskreten Ereignisraumes Ω mit den Elementarereignissen {ϖ 1},K, {ϖ n }, dann gilt P({ϖ i }) ≥ 0, i = 1, 2, K, ∞ P(Ω ) = ∑ P(ϖ i ) = 1, i =1 P ( A) = P({ϖ }) . ∑ ϖ i: i ∈A i Beweis: Ergibt sich unmittelbar aus den Axiomen nach Kolmogoroff. Interpretation? Weshalb gilt dieses Resultat nur für diskrete Ereignisräume? Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 349 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Überabzählbare Ereignisräume und Ereignisalgebren Das auf der Potenzmenge definierte Wahrscheinlichkeitsmaß ist so in der strengen Anwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie nicht bzw. nicht genügend operabel. Insbesondere im Falle überabzählbar viel möglicher Ergebnisse erweist sich die Potenzmenge für die Definition eines Wahrscheinlichkeitsmaßes als zu groß. Stattdessen genügt es, gröbere Teilmengensysteme von Ω (Mengen von Teilmengen von Ω), die bestimmte Eigenschaften erfüllen müssen, zu betrachten. Konkret werden sogenannte Sigma-Algebren verwendet. Im Zusammenhang von Ereignisräumen heißen diese dann auch Ereignisalgebren. In der Wahrscheinlichkeitstheorie wird ein Wahrscheinlichkeitsmaß üblicherweise auf einer Ereignisalgebra von Ω definiert. Die interessierenden Ereignisse sind dann nur noch die Elemente dieser Sigma-Algebra. Die Potenzmenge wäre lediglich ein Spezialfall einer Sigma-Algebra (die „feinste“ Sigma-Algebra). Alle bisherigen und folgenden Rechenregeln für Wahrscheinlichkeiten (einschließlich der Axiome (K1)-(K3)) sind, soweit nicht anders vermerkt, auch für ein auf einer Sigma-Algebra definiertes Wahrscheinlichkeitsmaß gültig. Die Problematik überabzählbarer Ereignisräume (stetige Ereignisräume) wird im Zusammenhang stetiger Zufallsvariablen später erneut aufgegriffen werden. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 350 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit => Übungen Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis ( A ∪ B ∪ C ) . Nehmen Sie an, dass Ihnen nur folgende Wahrscheinlichkeiten bekannt sind: A B P( A), P(B ), P(C ), P( A ∩ B ), P( A ∩ C ), P(B ∩ C ), C P( A ∩ B ∩ C ). P( A ∪ B ∪ C ) = Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 351 Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit Aufgabe 39 Gegeben seien zwei Zufallsereignisse. Die Wahrscheinlichkeit, dass R F mindestens eines der beiden Ereignisse eintritt, ist stets die Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten, die beiden Ereignisse gleichzeitig eintreten, ist stets die Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten. Aufgabe 40 Gegeben seien zwei Ereignisse A und B mit P( A) = 0.2. Dann gilt immer: R F P( A ∩ B ) < 0.2, ( ) P A ∪ B ≥ 0.8, P( A ∪ B ) ≥ 0.2. Grundlagen - Definition und Begriff der Wahrscheinlichkeit 352 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Die Laplace-Wahrscheinlichkeit Laplace-Experiment Kann man für ein beliebiges Zufallsexperiment mit endlichem Ereignisraum Ω annehmen, dass alle Elementarereignisse gleichwahrscheinlich sind, so nennt man ein solches Experiment Laplace-Experiment. In einem Laplace-Experiment mit Ω = {ϖ 1 ,ϖ 2 ,K,ϖ N } gilt: (i) (ii) P(ϖ j ) = 1 1 = , j = 1,K, N , Ω N P ( A) = A P ( A) = Ω = M , für A ⊂ Ω mit A = M , d.h., N Anzahl der für A günstigen Ergebnisse . Anzahl aller möglichen Ergebnisse Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 353 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Bemerkung Eine solche Berechnungsvorschrift definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß gemäß der Kolmogoroffschen Axiomatik. Die Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen in einem Laplace-Experiment nennt man dann Laplace-Wahrscheinlichkeiten. Beispiel: Dreimaliger Münzwurf Eine „faire“ Münze wird dreimal „unabhängig“ voneinander geworfen und es wird notiert, ob die Münze Wappen oder Zahl anzeigt. Der Ereignisraum lautet dann: Ω = { (W ,W ,W ), (W ,W , Z ), (W , Z ,W ), (Z ,W ,W ), (W , Z , Z ), (Z ,W , Z ), (Z , Z ,W ), (Z , Z , Z )}. Die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis A = {genau einmal Zahl} ist dann P ( A) = A Ω {(Z ,W ,W ), (W , Z ,W ), (W ,W , Z )} 3 = . {(W ,W ,W ),K, (Z , Z , Z )} 8 Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 354 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Urnenmodell und Kombinatorik Problem: Mächtigkeit von Mengen in Laplace-Experimenten bisweilen schwierig festzustellen. Beispiel: Lotto 6 aus 49 Aus 49 Kugeln werden 6 Kugeln zufällig gezogen (Ziehen ohne Zurücklegen). Der Hauptgewinn kann eingelöst werden, falls alle 6 Kugeln richtig getippt wurden, wobei die Reihenfolge ihres Erscheinens beim Ziehen keine Rolle spielt. Frage: Wie viele Möglichkeiten gibt es, 6 aus 49 Kugeln zu ziehen, wobei nicht zurückgelegt wird und die Reihenfolge nicht berücksichtigt wird? Kombinatorische Grundlagen hilfreich Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 355 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten zunächst einige mathematische Schreibweisen ... Fakultät und Binomialkoeffizient Die Fakultät einer natürlichen Zahl k ist definiert als k!= k ⋅ (k − 1) ⋅ (k − 2) ⋅K ⋅ 2 ⋅1. Es gilt: 1!= 1 , 0 != 1. N Für zwei natürliche Zahlen n und N ist der Binomialkoeffizient definiert als n N N! = . n ( ) N − n ! ⋅ n ! N Es gilt: = 1, 0 N = N , 1 N = 1, N N = 0, falls N < n. n Beispiel: 4 ! = 4 ⋅ 3 ⋅ 2 ⋅1 = 24 Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 356 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Urnenmodell Viele Laplace-Experimente können auf ein Urnenmodell übertragen werden. Aus einer Urne mit N Kugeln wird eine „Zufallsstichprobe“ von n Kugeln gezogen. Für den Ziehvorgang gibt es nun verschiedene Varianten. Ziehen ohne Zurücklegen mit Berücksichtigung der Reihenfolge ohne Berücksichtigung der Reihenfolge 9 6 1 7 8 2 10 3 5 4 Ziehen mit Zurücklegen mit Berücksichtigung der Reihenfolge ohne Berücksichtigung der Reihenfolge Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 357 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Einfache Zufallsstichprobe Besitzt jede Stichprobe vom Umfang n aus einer Grundgesamtheit vom Umfang N dieselbe Wahrscheinlichkeit gezogen zu werden, so liegt eine einfache Zufallsstichprobe vor. Zur Berechnung der Laplace-Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen ist die Kenntnis der Anzahl aller möglichen Stichproben erforderlich. Problem 1 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, mit einem fairen Würfel bei fünf Würfen erst im fünften Wurf eine 6 zu werfen? Urnenmodell: Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 358 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Lösung: Modell mit Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge Bei einer Ziehung mit Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge aus einer Grundgesamtheit vom Umfang N ist die Anzahl der möglichen Stichproben vom Umfang n gegeben als N n. Einfache Zufallsstichprobe? Problem 2 Wie groß wäre die Gewinnwahrscheinlichkeit beim Lotto 6 aus 49, falls zusätzlich die Reihenfolge der getippten Zahlen mit der Reihenfolge der gezogenen Kugeln übereinstimmen müsste? Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 359 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Urnenmodell: Lösung: Modell ohne Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge Bei einer Ziehung ohne Zurücklegen und mit Berücksichtigung der Reihenfolge aus einer Grundgesamtheit vom Umfang N ist die Anzahl der möglichen Stichproben vom Umfang n gegeben als N! . (N − n )! Einfache Zufallsstichprobe? Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 360 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Problem 2* In einer Unterhaltungsshow wird ein Kandidat aufgefordert, 5 Personen gemäß ihres Alters zu ordnen. Wie viele Möglichkeiten besitzt der Kandidat theoretisch, diese 5 Personen zu ordnen? Mit welcher Wahrscheinlichkeit würde er also die richtige Reihenfolge tippen, wenn er auf pures Raten angewiesen wäre? Urnenmodell: Lösung: Permutationen Es gibt N! Möglichkeiten, N unterscheidbare Objekte anzuordnen. Diese Anordnungsmöglichkeiten werden Permutationen genannt. Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 361 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Problem 3 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für genau 5 Richtige beim Lotto 6 aus 49? Urnenmodell: Lösung: Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 362 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Modell ohne Zurücklegen und ohne Berücksichtigung der Reihenfolge Bei einer Ziehung ohne Zurücklegen aus einer Grundgesamtheit vom Umfang N ist die Anzahl der möglichen Stichproben vom Umfang n, wenn zwischen den Anordnungen der Objekte in der Stichprobe nicht unterschieden wird, gegeben als N . n Einfache Zufallsstichprobe? Problem 4 Was wäre, falls Lotto 6 aus 49 mit Zurücklegen gespielt würde? Urnenmodell: Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 363 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Modell mit Zurücklegen und ohne Berücksichtigung der Reihenfolge Bei einer Ziehung mit Zurücklegen aus einer Grundgesamtheit vom Umfang N ist die Anzahl der möglichen Stichproben vom Umfang n, wenn zwischen den Anordnungen der Objekte in der Stichprobe nicht unterschieden wird, gegeben als N + n − 1 . n Einfache Zufallsstichprobe? Probleme? Zusammenfassung der kombinatorischen Resultate ohne Zurücklegen mit Zurücklegen mit Berücksichtigung der Reihenfolge N! (N − n )! Nn ohne Berücksichtigung der Reihenfolge N n N + n − 1 n Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 364 Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten Aufgabe 41 Die Wahrscheinlichkeit mit einem fairen Würfel bei fünf Würfen genau dreimal nacheinander eine 6 und keine weitere zu werfen R F ist kleiner als 1%. Aufgabe 42 Bei einem Fußballturnier werden 16 Mannschaften in zwei Gruppen eingeteilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden stärksten Mannschaften in der gleichen Gruppe spielen, R F ist kleiner als 50%. Grundlagen - Berechnung von Laplace-Wahrscheinlichkeiten 365