BECKENBODENSCHMERZ AUS SICHT DES

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BECKENBODENSCHMERZ AUS SICHT DES
PSYCHOSOMATIKERS
Einleitend möchte ich eine Definition der IASP (Internationale
Gesellschaft zum Studium des Schmerzes) vorstellen:
„ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit
aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist
oder mit Begriffen einer aktuellen Schädigung beschrieben
wird.“ (IASP, 1976)
Interessant an dieser Definition ist, dass bereits hier die
Trennlinie zwischen somatisch bedingtem und funktionellem
Schmerz aufgehoben ist und mittlerweile durch neue
neurobiologische Forschung zunehmend bestätigt wird.
Krankheitsbilder, welche oft mit chronischem
Beckenbodenschmerz einhergehen, sind z.B.:
 Funktioneller gastrointestinaler Unterbauchschmerz , wie z.:
Colon irritabile oder Proctalgie
 Störungen des Urogenitaltraktes
- Reizblase, sowie ihre Sonderform "psychosomatisches
Urethralsyndrom der Frau“ mit krampfartigen
Schmerzen am Übergang der Harnröhre zur Vagina
- Vegetatives Urogenitalsyndrom des Mannes, z.B.
abakterielle Prostatitis, welche häufig eine Komorbidität
mit psychischen Störungen zeigt.
 Pelvipathiesyndrom mit häufiger Komorbidität mit affektiven
Störungen (Depression) Angststörungen und anderen
somatoformen Störungen.
In der Ätiologie chronischen Schmerzes geht man von einer
gestörten Schmerzwahrnehmung auf kortikaler und
subkortikaler Ebene aus, wobei psychosoziale Faktoren wie
Krankheitsverarbeitung, psychische Störungen und aktuelle
Konflikte die viszerale Wahrnehmung und Symptomstärke
beeinflussen.
Neurobiologie des Schmerzes
Die Intensität eines Schmerzreizes wird v.a. über den
vorderen Anteil der Insula, Teile des Somatosensorischen
Cortex und des kontralateralen Thalamus gesteuert.
Die affektive Qualität („quälend“, „grässlich“ wird über
Aktivierungen im dorsalen anterioren zingulären Cortex (ACC)
und der Insula reguliert.
Aktivierungen im Bereich der Insula werden auch mit der
Regulation schmerzbezogener vegetativ-autonomer
Vorgänge in Verbindung gebracht.
In diesem Zusammenhang intersessant ist, dass diese Areale
auch als Kernbestandteile des affektgenerierenden und –
verarbeitenden zentralnervösen Netzwerkes bekannt sind.
Aufgrund dieser Überlappung von Schmerz- und Emotions
– relevanten ZNS-Regelkreisen bezeichnet der
amerikanische Neurophysiologe Craig „pain as an
homoestatic emotion“, vergleichbar dem Affekt der Angst
oder Depression.
Klinisch ist schon lange bekannt, dass in Situationen
existentieller Bedrohung auch schwere Verletzungen subjektiv
schmerzfrei bleiben können, wobei durch eine Verlagerung der
bewussten Aufmerksamkeit von einem Schmerzreiz zu einem
anderen Stimulus eine Verringerung subjektiven
Schmerzempfindens möglich ist.
In funktionellen Bildgebungsstudien konnte gezeigt werden,
dass es unter kognitiver Ablenkung (bei subjektiv niedrig
erlebter Schmerzintensität) zu einer massiven Aktivierung
des orbitofrontalen Cortex kam. Parallel dazu zeigte sich
auch eine Zunahme der Aktivität im ventral-rostralen Anteil
des anterioren zingulären Cortex.
Demgegenüber zeigte sich eine Verminderung der
Aktivierung in folgenden Hirnarealen:
- Insula (Wechselwirkung mit dem autonomen Nervensystem)
- mediale thalamische Kerngebiete
- Hippocampus (hier korreliert das Ausmaß der Aktivierung mit
der dem Schmerz entgegengebrachten bewussten
Aufmerksamkeit
- dorsaler „Kognitiver“ Anteil des ACC.
Im Gegensatz dazu zeigte sich unter Zunahme der
Schmerzintensität eine vermehrte Aktivierung im ventralen
und orbitofrontalen präfrontalen Cortex, den bilateralen Inseln,
dem rechten ventralen Striatum dem perigenualen ACC und
medialen Thalamusanteilen.
Diese Befunde sprechen für eine vermehrte Bedeutung
kognitiver und emotionaler Faktoren für die individuell
unterschiedliche Schmerzwahrnehmung.
In einer Studie zu neuronalen Korrelaten einer interindividuell
unterschiedlichen Schmerzempfindlichkeit zeigten sich
auch Unterschiede im Ausmaß der Aktivierung des
anterioren zingulären Cortex:
Alle hoch schmerzempfindlichen (keiner der unempfindlichen
Probanden) zeigten eine signifikant erhöhte Aktivierung des
dorsalen „kognitiven“ Anteil das ACC bis zum rostralventralen „affektiven“ Anteil des ACC. Weiters zeigten die
hochempfindlichen Personen vermehrte Aktivierung im
sensomotorischen Cortex sowie zu einer verstärkten
Durchblutung des rechten präfrontalen Cortex.
Letzterer ist auch für die Verarbeitung von Emotionalität
und Kognition wichtig.
Interessanterweise zeigten sich auf thalamischen und
anderen subkortikalen Ebenen keine signifikanten
Unterschiede zwischen den Gruppen.
In einer neueren fMRI- Studie wurden die neuronalen
Korrelate während des subjektiven Gefühls des
Ausgeschlossen-Seins aus einem sozialen
Beziehungsnetzwerkes untersucht:
Es zeigte sich ein neuronales Aktivierungsmuster, welches
dem Aktivierungsmuster bei der Wahrnehmung eines
physischen Schmerzes gleicht! Dies spricht für die
Hypothese, das „körperlicher“ und „psychischer“ Schmerz
eine gemeinsame neuroanatomische Basis aufweisen.
Diese Hypothese bestätigt die klinisch-psychosomatischpsychotherapeutische Beobachtung, dass die
Erstmanifestation sowie Exazerbation von chronischen
Schmerzen oft in akut oder chronisch konflikthaften
Beziehungen oder bei Beziehungsabbrüchen (enger
zwischenmenschlicher Beziehungen) auftritt.
Ebenso wäre die oft zu beobachtende psychosoziale
Rückzugstendenz von Patienten mit chronischen
Schmerzen nicht nur reaktiv, sondern würde ätiologisch zu
einer verstärkten zentralnervösen Schmerzverarbeitung
beitragen.
Bei systemtheoretischer Betrachtungsweise können z.B.
aus Konflikten entstehende Emotionen als Ausdruck einer
Störung des affektreguliernden Subsystems durch
Interaktion mit anderen zentralnervösen Regelkreisen zu
Veränderungen physiologischer Abläufe und dadurch zu
körperlichen Symptomen und sogar zu morphologischen
Veränderungen in Organen führen.
Psychosomatische Aspekte chronischen Schmerzes:
Funktioneller Schmerz kann primär ohne somatisches Korrelat
entstehen, jedoch auch sekundär bei einer primären
Gewebeschädigung, wo der psychische Verarbeitungsprozess
im Sinne einer neurotischen Krankheitsverarbeitung zur
Entstehung einer funktionellen Schmerzstörung führt.
Psychodynamisch spielen Konversionsmechanismen,
psychovegetative Prozesse und narzisstische Problematik
eine Rolle:
Bei der Konversionsneurose ist die Funktion des Schmerzes
eine Verdichtung körperlichen und psychischen
Schmerzerlebens in der Kindheit; dem Patienten aktuell nicht
bewusst.
Beim depressiven Patienten wird psychischer Schmerz
physisch erlebt.
Wenn Schmerz als Affektäquivalent – meist eines negativen,
ich-dystonen - Affektes dient, führt eine vermehrte psychische
Anspannung zu einem erhöhten Muskeltonus, der wiederum als
unspezifische Reaktion Schmerz auslöst.
Bei narzisstischer Problematik dient Schmerz zur
Stabilisierung des Selbstwertgefühls, z.B. bei
Größenphantasien wie „so einen Schmerz hatte noch keiner“,
„mein Schmerz ist stärker als dein Skalpell“ oder „keiner kann
mir helfen - mein Schmerz ist stärker“.
Vor allem bei narzisstisch akzentuierten
Persönlichkeitsstrukturen findet man häufig das sogenannte
„doctor shopping“ und „Koryphäen-Killer-Syndrom“.
Bei Patienten mit chronischen Schmerzen finden sich häufig
folgende Auffälligkeiten:
 Wechsel von Idealisierung und Entwertung in der ArztPatient- Beziehung, wobei die Gefahr eines Machtkampfes
besteht
 Das Symptom Schmerz ist überdeterminiert und steht im
Zentrum zahlreicher Aktivitäten
 Agieren als Angstabwehr (zwingt den Arzt zum Handeln),
ständiges Reden über das Symptom als Ausdruck von
Aggressivität, Macht und Kontrolle kann wiederum beim Arzt
aversive Gefühle dem Patienten gegenüber auslösen!
(was dieser auch hochsensibel wahrnimmt)
möglicherweise weitere Intensivierung des Klagens
Psychodynamisch orientierte Diagnostik bei chronischem
Schmerz:
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biographische Anamnese
psychosoziale Entwicklung
klinisch signifikante psychische Komorbidität
Klärung unbewusster Konflikte unter Berücksichtigung
körperlicher Symptome mit oder ohne Gewebeschädigung
Erhebung der aktuellen Beziehungsgestaltung, welche die
Psychogenese des Schmerzes wahrscheinlich macht und zu
dessen Aufrechterhaltung beiträgt.
Erhebung des Schmerzverhaltens unter Berücksichtigung
psychosozialer Auslöser insbesondere in Partnerschaft und
Sexualität
Blick auf die biographische Dimension der
Krankheitsbewältigung
Verluste im psychischen, physischen und sozialen Bereich
(sind mit der Entwicklung und Aufrechterhaltung chronischer
Schmerzen eng verknüpft)
Psychische Besetzung des Körpers und seiner Funktionen
(entscheidend für die Symptomwahl)
Indikation für klinisch-psychologische Begutachtung
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Fehlen adäquater somatischer Befunde
Protrahierter Schmerz
Zusätzliche psychopathologische Auffälligkeiten
Vorliegen psychosozialer Konflikte
Diskrepanz zwischen subjektivem Befinden und objektiven
Befunden
Therapie:
Ein integratives Versorgungsmodell mit simultan und
koordiniert angewandten somatischen und psychosozialen
Diagnoseinstrumenten und therapeutischen Maßnahmen
wäre aus meiner Sicht optimal.
Ergänzende Maßnahmen sind:
 psychoedukative Maßnahmen
 physikalische Therapie
 Entspannungsverfahren
 Psychotherapie - indiziert, wenn zumindest partielle Einsicht
bez. psychischen Anteilen der Pathogenese besteht.
 Psychopharmakologische Therapie (bei Komorbidität mit
Angst und Depression
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