Onur Güntürkün Schmerz Schmerz – ein Überblick über das System und seine Plastizität • Das Schmerzsystem: Ein kurzer Überblick • Neurale Reaktionen auf Verletzungen • Hebb‘sches Prinzip und die Veränderung des Homunculus • Phantomschmerzen und die Variabilität des Homunculus • Das Lernen der Angst vor dem Schmerz Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) sind i. d. R. freie Nervenendigungen im Gewebe. Die meisten sind polymodal, unmyelinisiert und langsam (C-Fasern, 1 m/s); einige sind myelinisiert und schnell (Aδ-Fasern, 2,5-30 m/s). Die Antwort der Nozizeptoren kann direkt in der Peripherie moduliert werden. Dies ist eine der Möglichkeiten der bottom-up Regulation von Schmerz. Ein bekannter Mechanismus hierfür ist die Freisetzung von Entzündungsmediatoren (z. B. Prostaglandine), die die Schwellen der Nozizeptoren deutlich absenken können. Nach der Rückenmarksumschaltung erreichen die Schmerzeingänge aus Rumpf und Kopf nach nur einer thalamischen Umschaltung den Cortex. Spezifische Projektion (hauptsächlich somatosensorischer Cortex) Unspezifischere Projektion in weite corticale und subcorticale Regionen Ein gequetschter Finger und das zugehörige corticale Konzert Aktivierung des primären somatosensorischen Cortex: Lokalisation der Hautafferenzen Aktivierung des sekundären somatosensorischen Cortex: Wahrnehmung der Verletzung des Körperschemas Aktivierung der anterioren Insula: Negative affektive Komponente des Schmerz, das Erleben von Schmerz Aktivierung des posterioren Teils des anterioren Gyrus cinguli: Die Aufmerksamkeitszuwendung und das „Beendenwollen der Situation“ Verletzungen ascendierender Schmerzfasern können erhöhte Aktivierungen im Schmerzsystem und neue zentrale Konnektivitäten des Schmerzsystems nach sich ziehen. Erhöhte Schmerzempfindung durch Tod eines hemmenden C-Neurons Erhöhte Aktivierung eines exzitatorischen C-Neurons Normalsituation Neurale Reaktionen auf Verletzungen Zwischenzusammenfassung Schmerz ist ein eigenes neurales System, das auf Verletzungen reagiert. Verletzungen können zu morphologischen Veränderungen der Schmerzafferenzen oder der von ihnen beeinflussten Systeme führen. Das Körperbild und seine Veränderungen Der Homunculus Die Repräsentation des corticalen Körperbildes ist ein Resultat sowohl einer genetischen Vorstrukturierung als auch einer erfahrungsabhängigen Feinjustierung. Ausmaß der Lebendigkeit der Vorstellung sowie der Existenz und Bewegungsfähigkeit bestimmter Gliedmaße bei einer Frau mit kongenitaler Abwesenheit der Extremitäten. Rechts ist das corticale Aktivierungsbild bei der imaginierten Vorstellung von Fingerbewegungen dargestellt. Hebb‘sches Lernprinzip Thalamus Cortex Hand Schmerz Hand Mund Hebb‘sches Lernprinzip Thalamus Cortex Hand Schmerz Hand Mund Hebb‘sches Lernprinzip Thalamus Cortex Hand Schmerz Mund Mund Die Amputation eines Gliedmaßen kann zur Reorganisation der corticalen somatosensorischen Karte führen. Zwischenzusammenfassung Die Hyperaktivität des Schmerzsystems kann postsynaptische Neurone hochfrequent treiben. Nach größeren Verletzungen kommt es zum Auswachsen neuer Axone. Diese würden normalerweise nach einer Weile untergehen, da sie keine Erfolge bei der Aktivierung postsynaptischer Neurone erreichen können. Wenn diese neuen Axone aber zusammen mit hyperaktiven Schmerzafferenzen auf Neuronen terminieren, können durch Hebb’sche Lernprozesse neue erfolgreiche synaptische Verbindungen entstehen. intakt amputiert Mund, Finger, Schmerzpatient Mund, Finger, schmerzfreier Patient Patienten mit Phantomschmerzen haben häufig eine corticale Reorganisation, wobei das Ausmaß der Schmerzen mit dem Ausmaß der corticalen Reorganisation korreliert! Die Korrelation erklärt 85% der Varianz. Wenn der Amputationsstumpf durch Blockade des Plexus brachialis anästhesiert wird, kommt es bei einigen Patienten zum Wegfall der Phantomschmerzen. Bei diesen Menschen verschiebt sich die Mundregion innerhalb von 20 Minuten in die alte Position zurück. Das bedeutet, dass die alte und die neue somatosensorische Repräsentation parallel existiert haben mussten. Die Schmerz-assoziierte verschobene Repräsentation dominierte aber während des Schmerz-Geschehens. Anfang Arm Mund Phase 1 Arm Mund Mit Hilfe der Prinzipien des Hebb’schen Lernens lassen sich fusionierte Phase 2 Repräsentationen teilweise wieder trennen. Dies führt bei einem Teil der Patienten zum Verlust der Phantomschmerzen. Arm & Mund Arm & Mund Arm Arm Mund Mund Die Nutzung myoelektrischer Prothesen führt zur Reorganisation des somatosensorischen Cortex und sekundär (?) zur Reduktion der Phantomschmerzen. Zwischenzusammenfassung Das Auftreten von Phantomschmerzen und die pathologische Neuorganisation des somatosensorischen Cortex stehen in einem engen Zusammenhang. Modulation der Karte oder Modulation des Schmerzes verändern die jeweils andere Variable. Die kausalen Mechanismen zwischen Phantomschmerz und Reorganisation des Cortex sind dadurch aber nicht geklärt. Furchtkonditionierung als Modellparadigma zum Erlernen der Angst vor Schmerz Läsionsstudien erschließen Teile der neuralen Bahn für Furchtkonditionierung Die laterale Amygdala bekommt direkte sensorische (Hören, Tastsinn, Sehen, Schmerz) Eingänge aus dem Thalamus, ohne dass diese erst über den Cortex laufen müssen. MGm/PIN Laterale Amygdala MGm = N. geniculatus medialis, pars medialis PIN = N. posterioris intralaminaris Hören eines 6 KHz Tons Die Zellen im MGm/PIN sind sehr unspezifisch und multimodal. MGm/PIN Hören eines 6 KHz Tons (CS) + Elektroschock (UCS) mit Angstsituation assoziierte Stimuli werden synaptisch gekoppelt 24 ms 12 ms synaptische Veränderung entsprechend Hebb‘schem Lernparadigma Diskriminative Klassische Konditionierung (6 KHz = CS+; 8 Khz = CS-) mit Angstsituation assoziierte Stimuli werden synaptisch gekoppelt Eingrenzungindiskriminative des Angst Angstreizes synaptische Veränderung entsprechend Hebb‘schem Lernparadigma Schmerzhafte Reize können ein mit Angst assoziiertes Schmerzgedächtnis schaffen. Durch die schnelle Vermittlung über die Amygdala können mit Schmerzen assoziierte Reize wesentlicher schneller zu Angstreaktione führen als die bewusste Repräsentation des Angstreizes braucht. Die Angst vor dem Schmerz ist schon da, bevor wir den Stimulus bewusst wahrgenommen haben. Zusammenfassung Schmerzen können Veränderungen unseres Körperschemas nach sich ziehen. Schmerzen werden mit Situationen assoziiert. Diese Assoziation ist teilweise in der Amygdala abgelegt und führt zum Auftreten von angeborenen Angstreaktionen. Die Angst vor Schmerzen ist schneller als das bewusste Nachdenken über die Situation.