Orchester und Konzertwesen

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Orchester und Konzertwesen in Deutschland
Wie bei Schauspiel und Oper wurzelt auch der Reichtum des Konzertwesens in Deutschland in
historisch gewachsenen Strukturen, die viele Zentren mit lokalen Musiktraditionen ausgeprägt
haben. Selbst in kleineren Städten wie Meiningen oder Coburg gibt es Theater und Orchester; in
Großstädten wie München, Berlin oder Hamburg können die Zuhörer unter den Konzerten von
mehreren weltweit renommierten Orchestern auswählen. Mit den etwa 130 Sinfonieorchestern und
zahlreichen Kammerorchestern gehört Deutschland, bezogen auf die Einwohnerzahl, zu den Ländern
mit der höchsten Orchesterdichte. Das Rückgrat dieser Vielfalt bilden die 84 in Opern- und
Theaterhäusern tätigen Orchester, deren Größe zwischen 40 und 130 Orchesterstellen variiert. Fast
ausnahmslos treten sie auch als Konzertorchester in Erscheinung und bestreiten zumal in kleineren
Städten einen Großteil des Konzertangebotes. Hinzu kommen 32 reine Konzertorchester.
Geschichte
Das erste schriftliche Zeugnis zur deutschen Orchesterkultur stammt aus Kassel. Es berichtet, dass
der Hessische Landgraf Wilhelm II. im Jahr 1502 einen gewissen Henschel Deythinger in die Kasseler
Hofmusik aufnahm. Wurden bis dahin Musikstücke ad hoc und variabel, je nach akustischen,
räumlichen und personellen Gegebenheiten, besetzt und gespielt, so bildeten nun der Trompeter
Deythinger und acht weitere Bläser unter einem gemeinsamen Leiter die Kasseler Hofkapelle. Das
erste selbstständige Instrumentalensemble – ein Orchester – war geboren. Heute weltweit
renommierte Ensembles wie beispielsweise die Sächsische Staatskapelle Dresden oder das Orchester
der Münchner Staatsoper, das Bayerische Staatsorchester, haben ihre Wurzeln im 16. Jahrhundert.
Unter der Leitung des Renaissancekomponisten Orlando di Lasso, der 1563 am Münchner Hof
angestellt wurde, war die (damals noch vokal geprägte) dortige Hofkapelle europaweit bekannt. Um
1770 wurde sie zum Churfürstlichen Orchester umbenannt und acht Jahre später mit der
Mannheimer Hofkapelle verschmolzen, als der pfälzische Kurfürst Karl Theodor (1724-1799) seine
Residenz von Mannheim nach München verlegte.
Karl Theodors Mannheimer Hof war damals politisch eher unbedeutend. Doch musikalisch hatte er
sich mit der Gründung der Hofkapelle bald zu DEM Kristallisationspunkt der Frühklassik entwickelt.
Gezielt formierte der Geiger Johann Stamitz im Auftrag des kunstsinnigen Kurfürsten aus den besten
Instrumentalisten ganz Europas ein Ensemble, das mit seiner einheitlichen Spielweise, Virtuosität
und Klangkultur bald Musiker und Komponisten aller Länder anlockte und für Künstler wie Mozart
und Haydn zum Referenzpunkt ihrer Entwicklung wurde. Zusammen mit seinem Assistenten Christian
Cannabich sorgte Stamitz für eine einheitliche Ausbildung und prägte durch präzise Vorgaben der
Strichtechnik, Artikulation und Dynamik den Beruf des Konzertmeisters. Um diesem ersten
europäischen Spitzenorchester qualifizierten Nachwuchs zu sichern, schuf er ein umfassendes
musikpädagogisches Angebot durch die Gründung einer Tonkunstschule und die Vergabe von
Stipendien für Studienaufenthalte bei berühmten Kompositionslehrern. Die Musiker wurden dazu
angehalten, möglichst viele Proben, Akademiekonzerte und Opernaufführungen mitzuspielen – eine
praxisnahe Ausbildung, wie sie heute kaum noch eine Musikhochschule bietet. Rund 100 Jahre später
schrieb das fusionierte Orchester dann an der Münchner Hofoper Geschichte mit der Uraufführung
der Werke Richard Wagners. 1865 kommt an der Hofoper „Tristan und Isolde“ heraus, drei Jahre
später „Die Meistersinger von Nürnberg“. 1869 folgen „Das Rheingold“ und 1870 „Die Walküre“.
Orchester als Keimzellen des lokalen Musiklebens
Der Reichtum der deutschen Orchesterlandschaft und die tiefe lokale und regionale Verwurzelung
vieler Orchester selbst in kleineren Städten verdankt sich also Traditionen, die weit in die Geschichte
höfischer Repräsentation und Kunstpflege zurückreichen. Da sich in Deutschland, anders als in
Frankreich, Spanien oder England, auch nach Ende des Dreißigjährigen Krieges keine stark
nationalstaatliche Zentralgewalt durchsetzen konnte, blieb das Land aufgesplittert in zahlreiche
kleine Fürstentümer. Es gab viele Höfe – und an vielen dieser Höfe Orchester. Im 19. Jahrhundert
nahm sich dann das aufstrebende Bürgertum dieser Orchester an, heute haben die Kommunen und
Länder das Erbe der Fürsten von einst übernommen.
Die Beziehung dieser Orchester zu den Trägern und zu ihrem Publikum ist eine grundsätzlich andere
als die durchreisender Gastspiel-Ensembles. Diese spielen überall das gleiche Tournee-Programm,
das folglich nur sehr pauschal auf die Bedürfnisse der jeweiligen Spielorte zugeschnitten werden
kann. Ortsansässige Orchester dagegen können mit ihrem Angebot sehr differenziert auf die
Bedürfnisse ihres Umfelds eingehen, und vor allem: Sie können in ihrer Spielplangestaltung eine
Kontinuität entwickeln, die durch Gastspiele kaum herzustellen wäre. Viele Generalmusikdirektoren
in zahlreichen Städten nutzen diese Chance mit großer künstlerischer Phantasie. Dirigenten wie Ingo
Metzmacher in Hamburg und Berlin, Peter Kuhn in Bielefeld oder Marcus R. Bosch in Aachen haben
eine thematische Konzertdramaturgie in ihren Städten entwickelt, sie machen ihr Konzertpublikum
mit wenig bekannten Kapiteln der Musikgeschichte vertraut oder führen die Zuhörer systematisch an
zeitgenössische Werke heran. Die Präsenz des Orchesters und seines Leiters am jeweiligen Ort
erlaubt es dabei, solche Konzepte durch Begleitveranstaltungen umfangreich einzubetten:
Einführungsmatineen, Gesprächskonzerte, literarisch-musikalische Themenabende und thematisch
verwandte Kammermusikkonzerte gehören heute zum Angebot vieler Orchester in Deutschland.
Damit leisten die Orchester wertvolle Beiträge auch zum Bildungsangebot für Jugendliche und
Erwachsene in ihren jeweiligen Städten. In Chemnitz beispielsweise haben die Mitglieder der RobertSchumann-Philharmonie an fast 30 Schulen der Region so genannte Klassenpatenschaften
übernommen: Die Philharmoniker begleiten die Klassen bis zum Schulabschluss und machen auf
unterschiedlichste Weise mit ihrer täglichen Arbeit, mit Theater- und Konzertaufführungen und mit
klassischer Musik bekannt. Das Projekt steht in einem vielfältigen Zusammenhang mit anderen
Angeboten des Orchesters, alle mit dem Zweck, junge Menschen an die Musik- und Orchesterkultur
heranzuführen. Ähnliche Projekte gibt es in zahlreichen anderen Städten. So bilden die Orchester
wertvolle Keimzellen für das lokale Musikleben. Viele Orchestermusiker haben zudem Lehraufträge
an Musikhochschulen und unterrichten an Konservatorien und Jugendmusikschulen. Nicht selten
entwickeln sie aus privater Initiative feste Kammermusikensembles, die ein breites Spektrum von
Salonmusik über Alte Musik bis hin zu experimentellen Formen und freien Musiktheater-Projekten
abdecken. Andere Orchestermusiker leiten semi-professionelle Sinfonie- und Kammerorchester, die
auch zusammen mit örtlichen Chören die für die deutsche Chorszene typischen Oratorienkonzerte
veranstalten.
Die Situation der Orchester
In den letzten 20 Jahren hat sich in der deutschen Orchesterlandschaft vieles verändert. Im Gefolge
des gesellschaftlichen Wandels in den neuen Bundesländern nach der deutschen Wiedervereinigung
wurden, nachdem die Übergangsfinanzierung des Bundes ausgelaufen war, Orchester fusioniert,
verkleinert oder ganz aufgelöst (laut Gesetz sind die einzelnen Bundesländer für ihre
Kulturfinanzierung zuständig, in der Ausnahmesituation der Wiedervereinigung sprang in den ersten
Jahren zusätzlich der Bund mit Förderprogrammen ein). Daneben gab es auch einige Fusionen oder
Auflösungen im Westen. Aber es gab auch Neugründungen in den letzten 30 Jahren, die öffentlich
finanziert oder zumindest gefördert werden. Sie finden sich vor allem im Bereich der Neuen Musik.
Die Junge Deutsche Philharmonie versammelt besonders begabte Studenten der Musikhochschule
und arbeitet mit international renommierten Dirigenten wie Lorin Maazel oder Markus Stenz
zusammen. Sie verwaltet sich ohne Chefdirigent selbst und betreibt eine kollektive
Programmplanung. Aus der Jungen Deutschen Philharmonie ging das Ensemble Modern hervor, das
ebenso wie die Musikfabrik Nordrhein-Westfalen seinen kammermusikalischen Stamm je nach
Programm durch zusätzliche Musiker erweitert. Im Bereich der Alten Musik arbeiten nahezu
ausschließlich private Ensembles wie Musica Antiqua Köln mit einem mehr oder minder festen Pool
von Musikern, die jeweils für einzelne Projekte engagiert werden.
Der Beruf
Orchestermusiker ist in Deutschland ein äußerst begehrter Beruf. Rund 1.400 Studierende der Sparte
Instrumental-/Orchestermusik legen jedes Jahr ihr Examen ab. Dem standen allerdings in den letzten
Jahren nur etwa 170 freie Stellen jährlich gegenüber. Auf eine ausgeschriebene Orchesterstelle
bewerben sich schon bei mittelgroßen Orchestern oft 200 und mehr Interessenten, darunter auch
zahlreiche Instrumentalisten aus dem Ausland. Mit eigenen Akademien und Praktikantenplätzen
versuchen inzwischen einige Orchester, den Studenten bereits während des Studiums
orchesterspezifische Spielpraxis und Vertrautheit mit der wichtigen Orchesterliteratur zu vermitteln.
Da für viele Studenten die Orientierung auf eine Solistenkarriere am Anfang ihres
Instrumentalstudiums steht, können solche Akademien und Praktika den Studenten wichtige
Erfahrungen und Orientierungshilfen für eine realistische Berufsplanung bieten.
Die Rundfunkanstalten
Eine wichtige Säule des Konzertlebens sind die aus den Rundfunkgebühren finanzierten 13 Orchester
der öffentlichen Rundfunkanstalten. Sie tragen mit Kompositionsaufträgen und eigenen
Konzertreihen maßgeblich zur Fortentwicklung der Musik bei und machen mit
Rundfunkübertragungen Neues und wenig Bekanntes abseits des gängigen Repertoires zwischen
Barock und Romantik einem breiten Publikum zugänglich. Konzertreihen wie die Wittener Tage für
neue Kammermusik und Musik der Zeit (beide Westdeutscher Rundfunk WDR), die Musica Viva des
Bayerischen Rundfunks BR und das neue Werk des Norddeutschen Rundfunks NDR in Hamburg
genießen internationales Renommee. Das Sinfonieorchester des Südwestrundfunks SWR etwas hat
seit seiner Gründung 1946 rund 350 Werke zur Uraufführung gebracht und als Mitveranstalter der
Donaueschinger Musiktage maßgebliche Komponisten wie Pierre Boulez, Hans Werner Henze oder
Cristobal Halffter durchgesetzt. Aber auch Festivals, die ein breiteres Publikum ansprechen, wie das
Schleswig-Holstein Musik Festival, könnten in dieser Form nicht ohne die Partnerschaft der
Rundfunkanstalten existieren.
Neben den Opernhäusern, die eigene Chöre unterhalten, tragen die Rundfunkanstalten auch die
wenigen öffentlich finanzierten Berufschöre in Deutschland. In der Nachkriegszeit unterhielt nahezu
jede Rundfunkanstalt außerdem eine eigene Bigband. Heute gibt es nur noch vier, von denen vor
allen die des NDR und des WDR mit Auftragskompositionen das Spektrum großer Jazzbesetzungen
kontinuierlich erweitern und damit international zu den Spitzenformationen zählen. Die
wirtschaftlich angespannte Situation führt allerdings in jüngster Zeit dazu, dass die
Rundfunkanstalten ihre eher für leichte Musik zuständigen Orchester in Frage stellen und selbst
Institutionen wie die Donaueschinger Musiktage in ihrem Fortbestand bedroht sind.
Private Anbieter und Festivals
Während der sinfonische Bereich überwiegend von den öffentlichen Orchestern abgedeckt wird,
bietet eine Vielzahl privater Konzertagenturen vor allem Kammermusik, Soloabende und
Liederabende in Form von Gastspielen an. In den größeren Städten veranstalten solche Agenturen
eigene Konzertreihen und laden Orchester anderer Regionen und aus dem Ausland ein. Sie sind aber
auch für das Kulturangebot kleinerer Städte, die nicht über ein eigenes Orchester verfügen, von
großer Bedeutung. Vielfach veranstalten dort die Kulturämter und private Kultur- und Konzertvereine
eigene Reihen, für die die Konzertagenturen Künstler vermitteln. Auch die wachsende Zahl
freischaffender Künstler sucht hier ihr Auskommen. Parallel zu diesem jahrzehntelang gewachsenen
Angebot hat sich eine breit differenzierte Landschaft mehrerer hundert Festivals entwickelt, die noch
immer wächst und offensichtlich neue Zuschauerschichten zu erschließen vermag. Festivals wie das
Bonner Beethovenfest, das Kurt-Weill-Fest in Dessau oder die Richard-Strauss-Tage in GarmischPartenkirchen konzentrieren sich auf einen vor Ort beheimateten Komponisten und dessen
musikalisches Umfeld und haben – wie die Bayreuther Richard-Wagner-Festpiele – zum Teil
weltweite Bedeutung. Andere Strategien verfolgen Festivals wie der MDR-Musiksommer oder das
Schleswig-Holstein Musik Festival, bei dem ein ganzes Bundesland flächendeckend über einen Monat
lang mit einem umfassenden Programm aus Orchesterkonzerten, Kammermusik, Lesungen und
Kursen bespielt wird, oder die vor einigen Jahren gegründete Ruhrtriennale in Nordrhein-Westfalen,
die mit internationalen Koproduktionen und im Verbund mit lokalen Orchestern denkmalgeschützte
Bauten des Industriezeitalters sowie Theater- und Opernhäuser bespielt.
Zukunftsperspektiven
Mit als erstes wurden nach dem Krieg in Deutschland die Theater- und Opernhäuser wieder
aufgebaut. „Fidelio“ bei Kerzenschein in den ungeheizten Trümmern eines Opernhauses – eine
geschlagene und beschämte Nation schöpfte aus der Musik Zuversicht und Hoffnung für den
Wiederaufbau. Wenn heute immer häufiger selbst traditionsreiche und künstlerisch ausgezeichnete
Orchester um ihren Erhalt kämpfen müssen, ist das nur zum Teil der wirtschaftlichen
Umbruchsituation und den fehlenden Steuermitteln geschuldet. In der modernen
Mediengesellschaft sind den Orchestern (ebenso wie den Theatern) zahlreiche Konkurrenten im
Wettbewerb um die Gunst des Publikums erwachsen, zudem steht das konzentrierte Lauschen auf
bildlose Klangereignisse, wie es ein Sinfoniekonzert von den Hörern erfordert, der Beschleunigung
und multimedialen Verdichtung der Informationen in der modernen IT-Gesellschaft diametral
entgegen. Vor diesem Hintergrund ist vor allem die zeitgenössische Musik in eine schwierige
Situation geraten. „Noch bis zum Kriegsbeginn funktionierte der natürliche Kreislauf eines neuen
Werkes vom Musikfest in das Abonnementkonzert. [...] Heute ist Gegenwartsmusik fast völlig aus
den normalen Konzerten verschwunden", stellte der Komponist Günter Bialas (1907-1995) bereits
1985 in einem Interview fest.
Allerdings ist im Zuge der postmodernen Entkrampfung hinsichtlich der Beziehung zeitgenössischer
Werke zur Tradition auch wieder Musik entstanden, die dem intuitiven Hören relativ gut zugänglich
ist. Werke beispielsweise von Giya Kantcheli, Arvo Pärt oder Philipp Glass, von arrivierten Meistern
wie Hans Werner Henze, Manfred Trojahn oder Peter Ruzicka, aber auch von jungen Künstlern wie
Moritz Eggert, Detlev Glanert oder Christian Jost werden von einem breiteren Publikum gut
angenommen. Sie dürften auch geeignet sein, wieder mehr junge Zuhörer in die Konzerte zu locken –
eine Aufgabe, der sich gerade in den letzten Jahren viele Orchester in Deutschland mit besonderem
Engagement stellen. Dazu besteht offenbar auch Anlass, wie einzelne Untersuchungen zur
Publikumsstruktur zeigen. So lag beispielsweise bei einer Publikumsbefragung unter 4.800 Besuchern
der Abonnementskonzerte der Münchner Philharmoniker das Durchschnittsalter bei immerhin 58
Jahren. Konzertreihen für Kinder und Familien sind inzwischen bei fast allen Orchestern üblich, die
Entwicklung einer intensiven Kinder- und Jugendarbeit, wie sie in den USA und Großbritannien weit
verbreitet ist, scheint sich auch in Deutschland immer mehr durchzusetzen.
Diese Entwicklung entspricht einer generellen Tendenz in der deutschen Orchesterlandschaft: In
früheren Jahrzehnten war der regelmäßige Konzertbesuch selbstverständlicher Bestandteil des
Lebensstils bildungsbürgerlich geprägter Publikumsschichten. In dem Maße jedoch, in dem die
Verbindlichkeit dieser Traditionen schwächer wird, müssen die Orchester neue Strategien zur
Gewinnung und Bindung des Publikums entwickeln. Das geschieht in vielfältiger Weise. So haben
zum Beispiel etliche deutsche Orchester das Modell des composer in residence mit Erfolg aus den
USA und Skandinavien übernommen. Es bietet den Orchestern die Möglichkeit, ihr Publikum mit
einem bestimmten Komponisten über längere Zeit vertraut zu machen, er wird über sein Werk
hinaus auch als Persönlichkeit interessant für die Zuschauer. Und die Instrumentalisten selbst können
sich das spezifische Idiom seiner Musik im kontinuierlichen Austausch mit dem Komponisten
erarbeiten. Ebenso kann die bereits erwähnte Strategie, eine ganze Saison unter ein inhaltliches
Motto zu stellen und musikgeschichtlich aufeinander abgestimmte Konzertprogramme mit
Einführungsveranstaltungen zu konzipieren, dabei helfen, dem Publikum einen intensiveren Zugang
zur sinfonischen Musik zu vermitteln. Aber auch der in den letzten Jahren erkennbare Trend, in
größeren Städten eindrucksvolle Konzerthäuser zu bauen bzw. zu planen (u.a. Dortmund, Essen,
Bochum), die den städtischen Orchestern als ständiger Sitz dienen und daneben für Gastspiele
auswärtiger Orchester genutzt werden, gibt den Orchestern die Möglichkeit, sich gegenüber ihrem
Publikum durch attraktive Gebäude zu profilieren und in diesen Gebäuden mannigfaltige Aktivitäten
zu entfalten.
So befindet sich Deutschlands Orchesterlandschaft derzeit in einem Wandlungsprozess, in dessen
Verlauf viele neue Formen des Konzerts und des Austausches mit dem Publikum entstanden sind und
vermutlich weiter entstehen werden. Vor dem Hintergrund eines immer vielfältiger werdenden
Freizeitangebotes und langsam verblassender bildungsbürgerlicher Traditionen stehen die Orchester
vor der Aufgabe, nach neuen Formen der Partnerschaft mit ihren Zuhörern zu suchen. Dieser
Herausforderung stellen sie sich mit Phantasie und Engagement.
(Johannes Wunderlich: Orchester und Konzertwesen in Deutschland. In: Theater und Orchester in
Deutschland, Hrsg. Deutscher Bühnenverein.)
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