Über Behaarung - erbliche Formen

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Dermatologie
Weiterbildung, Teil 6
Überbehaarung
Bildung des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) oder auf der Einnahme von Medikamenten (Kortison, adrenocorticotropes
Hormon = ACTH) beruhen. Als auslösende Faktoren kommen zudem das lokale
Auftragen von Hormonsalben oder das
Zupfen von Haaren in Frage (erworbene
Hypertrichose). Schließlich kann eine
übermäßige Behaarung ohne ersichtlichen Grund auftreten (idiopathisch).
Der vermehrte Haarwuchs kann sich
sehr unterschiedlich darstellen und sowohl das feine Lanugohaar (Fetalhaar)
als auch Vellushaar (Wollhaar) und Terminalhaar (kräftiges Haar) betreffen. So
kann beispielsweise das Lanugohaar
nach der Geburt bestehen bleiben und
anfangen zu wachsen. Von Hypertrichose spricht man auch, wenn sich bei
Frauen an Rumpf, Beinen oder Gesicht
feines Vellushaar in kräftiges, pigmentiertes, markhaltiges Terminalhaar umwandelt – naturbedingt bei südländischen Frauen. Dies erweckt den
Anschein, als seien mehr Haare gewachsen. Der Eindruck trügt jedoch.
Erblich bedingte Formen
Für ein Zuviel an Körperbehaarung werden oft die Begriffe Hypertrichose
und Hirsutismus synonym verwendet. Doch aufgrund der Ursachen und der
daraus folgenden Behandlung sind beide Formen der Überbehaarung klar
voneinander abzugrenzen.
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Kosmetische Praxis Dezember 2006
te Überbehaarung ohne bestimmte Prädilektionsstellen.
Hypertrichose
Es gibt verschiedene Formen der Hypertrichose: Ein Zuviel an Körperbehaarung kann erblich bedingt sein (angeborene Hypertrichose), auf Störungen bei der
KO N T R O L L F R AG E N
01. Was ist eine Hypertrichose?
02. Wie wird die Hypertrichose eingeteilt? Nennen Sie zwei Formen.
03. Welche erblich bedingten Formen
der Hypertrichose gibt es?
04. Welche Formen der symptomatischen Hypertrichose kennen Sie?
Nennen Sie fünf.
05. Welche Medikamente können eine
Hypertrichose verursachen?
06. Was versteht man unter umschriebener Hypertrichose?
07. Was versteht man unter Hirsutismus?
08. In welche Formen wird der Hirsutismus eingeteilt?
09. Wie unterscheiden sich die beiden
Formen?
10. Welche Erkrankungen können einem Hirsutismus zugrunde liegen?
Foto: Bilderbox
S
ind die Haare an irgendwelchen Körperstellen dichter,
dicker oder länger als „normal“, steht für den Laien klar im Vordergrund: Die Haare stören und müssen weg. Für den Fachmann ist es
wichtig zu wissen: Wie ist das Behaarungsmuster verteilt und welche Ursachen liegen der Überbehaarung zu
Grunde? Grundsätzlich ist eine Hypertrichose von einem Hirsutismus zu unterscheiden. Während im ersten Fall die
vermehrte Behaarung definiert ist als
Umwandlung wenig pigmentierter kurzer Vellushaare in gefärbte, dicke,
markhaltige und lange Terminalhaare,
versteht man unter Hirsutismus ein androgenabhängiges verstärktes Wachstum dicker Terminalhaare nach dem
Muster der männlichen sekundären
Geschlechtsbehaarung. Im ersteren Fall
zeigt sich eine diffuse oder generalisier-
Hypertrichose lanuginosa congenita
Eine seltene, angeborene Erkrankung;
hierbei beginnt das Lanugohaar nach
der Geburt am gesamten Körper außer
an den Handinnenflächen und Fußsohlen kontinuierlich bis auf eine Länge
von zehn Zentimetern zu wachsen. Das
Haarkleid bleibt so meist bis ins Alter
bestehen.
Lokale nävoide Hypertrichose
Die Mehrbehaarung beschränkt sich
auf umschriebene, lokale Herde, die
auch auf Nävuszellnävi vorkommen
(z.B. Becker Nävus). Ein Herd im
Kreuzbeinbereich kann auf eine Spina
bifida hinweisen.
Erworbene Formen
Neben der genetischen Disposition sind Begleiterkrankungen, Medikamente und chronische, mechanische oder thermische Hautirritationen häufig die Ursache einer Hypertrichose.
Symptomatische Hypertrichosen
Ein vermehrter Haarwuchs kann häufig ein Symptom einer Erkrankung sein. Bei folgenden Krankheiten tritt eine Hypertrichose typischerweise auf:
– Porphyrie: angeborene oder erworbene Störungen des Pigmentstoffwechsels, die auf spezifischen Enzymdefekten der Hämbiosynthese beruhen, lanugoartige Mehrbehaarung (erythropoetische Porphyrie), Mehrbehaarung im Bereich von Stirn,
Schläfen und Kinn (erythropoetische/hepatische Protoporphyrie), Hypertrichose im Schläfen- und Jochbeinbereich sowie periorbital (Porphyria cutanea tarda = PCT)
– Epidermolysis bullosa dystrophica: erblich bedingte blasenbildende Hauterkrankung
– Mukopolysaccharidose (MPS/Hurler-Syndrom): angeborene
lysosomale Speicherkrankheit
– Osteochondroplasie: angeborene Knochenerkrankung
– Gingivafibromatose: Zahnfleischwucherung, die vom Bindegewebe ausgeht
– Cornelia-de-Lange-Syndrom: erblich bedingte Erkrankung mit
multiplen Fehlbildungen
– Trisomie 18: Genommutation (numerische Chromosomenaberration); i.d.R. nicht erblich bedingt, Chromosom (hier 18)
liegt dreifach statt zweifach in den Körperzellen vor
– Winchester-Syndrom: vererbte Genmutation; kommt bei
Blutsverwandtschaft der Eltern vor
– Hypo- oder Hyperthyreose
– Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis
– Fehl- und Mangelernährung
– Anorexia nervosa
– Akromegalie
– Tumoren
– fetales Alkoholsyndrom
– Polymyositis/Dermatomyositis: Autoimmunkrankheit
Medikamentöse Hypertrichose
Folgende Medikamente können – topisch oder systemisch verabreicht – die Ursache eines vermehrten Haarwuchses sein:
– ACTH (adrenocorticotropes Hormon, Kortikotropin): das Hormon ist für die Synthese v.a. der Glukokortikoide in der Nebennierenrinde verantwortlich
– Androgene (männliche Geschlechtshormone); z.B. in Anabolika enthalten
– Ciclosporin (alte Schreibweise: Cyclosporin A): v.a. in der
Transplantationsmedizin eingesetzt
– Danazol: synthetisches Androgen, das zur Behandlung der
Endometriose verwendet wird
– Diazoxid: Wirkstoff in Arzneimitteln; wird verwendet bei
Bluthochdruck und einem zu niedrigen Blutzucker
– Diphenylhydantoin/Phenytoin: Antiepileptikum
– Fenoterol: Antiasthmatikum
– Glukokortikosteroide: Bezeichnung für Medikamente mit dem
Inhaltsstoff Kortison
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GLOSSAR
ACTH: adrenocorticotropes Hormon,
auch Stresshormon genannt; wird in der
Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) gebildet, regt die Nebennierenrinde dazu an,
Cortisol und andere Glukokortikoide
auszuschütten
Akromegalie: abnorme Vergrößerung
der Akren (= spitz endenden Körperteile, d.h. Nase, Kinn, Hände, Füße),
verursacht durch eine wachstumshormonproduzierende Geschwulst des
Hypophysenvorderlappens
Androgene: männliche Sexualhormone; typische Vertreter: Testosteron, Androsteron, Androstendion, Dehydroepiandrosteron (DHEA)
Anorexia nervosa: Magersucht
diffus: ausgedehnt, unscharf begrenzt
Endometriose: gutartige Wucherung von
Gebärmutterschleimhaut (Endometrium)
außerhalb der Gebärmutter (Uterus)
Enzephalitis: Gehirnentzündung
fetal: den Fötus betreffend
generalisiert: über den ganzen Körper
verbreitet
Genmutation: Veränderung des Erbguts einer Zelle, die nur ein Gen betrifft
und durch ein verändertes Genprodukt
erkennbar ist
Genommutation: Veränderung des
Erbguts einer Zelle, bei der die Chromosomenzahl geändert ist (numerische
Chromosomenaberration)
– Hexachlorbenzol: Wirkstoff in Mitteln gegen Parasiten (Kopfläuse und
Krätze)
– Interferone: Wirkstoffe in Arzneimitteln zur Therapie bei Multiple Sklerose, Hepatitis B/C, Krebs, schweren
Viruserkrankungen
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Häm: Bestandteil des Farbstoffs (Hämoglobin) der roten Blutkörperchen
Hypo-, Hyperthyreose: Unter-, Überfunktion der Schilddrüse
idiophatisch: ohne erkennbare oder
nachweisbare Ursache
Lanugohaar: Körperhaar des Fötus im
Mutterleib (unpigmentiert, weich, kurz,
ohne Mark)
Ovar: Eierstock
periorbital: in der Umgebung der Augenhöhle lokalisiert
polyzystisch: mehrere Zysten enthaltend
Somatotropin: Wachstumshormon
symptomatisch: als Folge einer Erkrankung auftretend und nicht als eigenständiges Krankheitsgeschehen; auf die
Symptome und nicht die Ursache (kausal) ausgerichtete Therapie
Spina bifida: Spaltwirbel; angeborener
Spalt in den Wirbelbögen
Terminalhaar: dickes, meist pigmentiertes, markhaltiges Haar; das Kopfhaar, aber auch einige Stellen der postpubertären Körperbehaarung bestehen
aus Terminalhaaren
Vellushaar (= Flaumhaar): auch Intermediär- oder Zwischenhaar genannt;
es ist kurz, dünn und hell. Es wächst
auf der gesamten Körperoberfläche
außer an den Handinnenflächen und
Fußsohlen
– Minoxidil: Medikament gegen Bluthochdruck und gegen Haarausfall
(androgenetische Alopezie)
– D-Penicillamin: Wirkstoff, der bei
Schwermetallvergiftungen mit Blei,
Cadmium oder Quecksilber und bei
Rheuma zum Einsatz kommt
– Psoralene: eingesetzt bei der photoaktivierten Chemotherapie zur Behandlung von Psoriasis, Vitiligo,
Mastozytose, Lichen ruber planus
und anderen Erkrankungen
– Streptomycin: Antibiotikum, das z.B.
bei bakteriellen Entzündungen eingesetzt wird
Umschriebene Hypertrichose
Eine umschriebene, d.h. nur an einer
bestimmten Stelle auftretende, Überbehaarung kann sich unter anderem einstellen, wenn die Haut mechanisch
oder thermisch irritiert wurde, wie zum
Beispiel durch chronisches Hautbeißen
oder aufgrund eines Gipsverbandes.
Des Weiteren kann – wenn auch nur
selten – nach entzündlichen Hauterkrankungen (zum Beispiel Ekzemen,
chronisch venöser Insuffizienz) oder
nach einer Warzenbehandlung eine
umschriebene Hypertrichose auftreten.
Hirsutismus
Unter Hirsutismus versteht man
einen übermäßigen Haarwuchs bei
Frauen und Kindern mit männlichem
Behaarungsmuster. Typische Lokalisationen sind Oberlippe (Damenbart),
Kinn, vor dem Ohr gelegen (präaurikulär), zwischen den Brüsten und um
die Brustwarzen, an den Schultern, an
den Oberschenkelinnenseiten, an der
Mittellinie des Bauches und eventuell
den Zehenrücken. Die Behaarung ist
also an androgenabhängigen Bereichen
bevorzugt konzentriert. Man unterscheidet zwei Formen: die erbliche
(hereditäre) Form und die endokrin bedingte Form.
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Erblich bedingte Form
Bei der erblichen Form ist in der
Mehrzahl der Fälle ein Elternteil ebenfalls stark behaart. Der vermehrte
Haarwuchs beginnt während der Pubertät und geht meist mit einem normalen Zyklus einher. Zur Diagnostik
werden Konzentrationsbestimmungen
der Hormone Testosteron und DHEAS
( Dehydroepiandrosteronsulfat; in der
Tumordiagnostik eingesetzt – die Werte sind erhöht wie bei endokrin bedingter Form) durchgeführt.
Endokrin bedingte Form
Bei diesem Typ fehlt die erbliche Belastung. Der Hirsutismus tritt plötzlich
auf und ist nicht unbedingt mit der Pubertät vergesellschaftet. Der endokrin
verursachte Typ ist oft mit Zyklusstörungen verbunden. Zur Diagnose werden die Werte von LH/FSH-Ratio ( Polycystisches Ovarial syndrom = PCOS),
Testosteron, DHEAS (Androgendiagnostik), Östradiol (zur Beurteilung der
ovariellen Aktivität), 3-Alpha-diol-Glucuronid (Maß für 5-Alpha-ReductaseAktivität), SHBG (= die Androgene
bindendes Eiweiß im Blutplasma; korreliert mit den gebundenen Androgenen), TSH (Hypo- und Hyperthyreose)
sowie Somatotropin (akromegale Patienten – bei ihnen wird das Wachstumshormon Somatotropin vermehrt
produziert – weisen oft einen starken
Hirsutismus auf) herangezogen.
Symptomatischer Hirsutismus
Folgende Erkrankungen bzw. physiologische Veränderungen kommen für eine verstärkte Wirkung von Androgenen und somit für die Entstehung von
Hirsutismus ursächlich in Frage:
– Erkrankungen endokriner Drüsen
bzw. von Nebennierenrinde, Ovar
(z.B. Polycystisches Ovarial syndrom
= PCOS, Morbus Cushing); führen
zu einem erhöhten Androgenspiegel
im Blut; ggf. wegen seltenen androgenproduzierenden Tumoren
– Hypophysentumor (Hirnanhangsdrüse)
– Androgenvorstufen werden vermehrt
in aktive Hormone umgewandelt
– es werden zu wenig Transporteiweiße (SHBG) produziert, so dass mehr
freie und damit wirksame Androgene
im Blut vorliegen; dies wird u.a. als
Ursache für die Entwicklung eines
Damenbartes im höheren Lebensalter
angesehen
– eine individuelle, meist vererbte
Empfindlichkeit des Haarfollikels gegenüber Androgenen
Grundsätzlich kann die Einnahme von
Medikamenten (siehe Kapitel Medikamentöse Hypertrichose) einen Hirsutismus nach sich ziehen.
Henriette Klein, Fachkosmetikerin mit
Schwerpunkt Dermatologie
Kosmetische Praxis Dezember 2006
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