Mathematik beim Aufbau von Tonleitern 1. Einleitung Bestimmte Tonintervalle werden vom menschlichen Gehör als besonders harmonisch empfunden. Die zugehörigen Tonfrequenzen stehen in einem festen ganzzahligem Verhältnis zueinander. Tonleitern mit irrationalen Schwingungsverhältnissen, wie z.B. dem des goldenen Schnittes, spielen daher eher in der experimentellen Musik oder in speziellen Kulturkreisen eine Rolle. Bei der Festlegung der Tonleiter strebte man an, zu jedem Ton auch die Quinte und Quarte in ihr zu enthalten. Die mathematische Analyse zeigt, dass bei der Entwicklung dieser Tonleiter durch musikalische Intuition ein mathematisches Optimierungsproblem gelöst werden muss: Um zu einem Grundton die Quinte zu erhalten, muss man seine Frequenz mit 3/2 multiplizieren, Multiplikation mit 4/3 liefert die Quarte. Die Multiplikation eines Tones mit 1/2 bedeutet einen Sprung um eine Oktave nach unten. Ziel ist es, nach m Quintensprüngen aufwärts und n Oktavsprüngen abwärts wieder zur Grundfrequenz zu gelangen. Gesucht ist also ein gemeinsames Maß von Quinten- und Oktavsprüngen. Also: Gesucht sind m und n, so dass (3/2)^m * (1/2)^n = 3^m / 2^(m+n) =1 Exakt kann diese Bedingung natürlich nicht erfüllt werden, da eine 3er Potenz nie gerade ist. Es folgt (m+n)/m = log3 /log 2 ≈ 4771/3010. Um eine gute Nährung mit ganzen Zahlen zu finden, wird der Bruch als Kettenbruch entwickelt. Anhang 1 Die vierte Nährungsstufe würde mit nur 5 Tönen in der Oktave zu wenig Auswahl bieten. Mit 41 Tönen hätte die sechste Nährungsstufe unhandlich viele Zwischenstufen und die Instrumente wären zu komplex. Dies führt nun zu einer Teilung der Oktaven in 12 Intervalle gewählt. Die 5. Nährungsstufe liefert also m = 12 und n = 7. Teilt man die Oktave in 12 Halbtöne, so ist die oben genannte Bedingung näherungsweise erfüllt. 12 Oktavsprünge entsprechen danach 19 Quintensprüngen. Man sieht, dass dies unabhängig von der Wahl des Grundtones ist. 2. pythagoräische C-Dur Tonleiter Diese Tonleiter baut auf die reine Quinte auf. Sie hat (wie bereits erwähnt) einen multiplikativen Wert von 3/2. Als Startton (Tonika) wird c’ gewählt um die Tonleitern später besser vergleichen zu können. Seine Frequenz (mit 264 Hz) soll hier der Einfachheit halber Maß für alle Frequenzen sein. Von c´ aus steigen wir 1 Quinte abwärts und 5 Quinten aufwärts. Daraus ergeben sich die folgenden multiplikativen Werte: Anhang 2. Die Töne verschieben wir nun um 1-2 Oktaven nach oben oder unten bis wir uns zwischen c´ („1“) und c“ („2“) befinden. Damit ergibt sich eine Tonleiter wie auf Folie 1 zu sehen ist. Hierbei ergeben sich in unserer Tonleiter 2 Intervalle, die kleine Sekunde und große Sekunde, und daraus die möglichen Grundintervalle in dieser Stimmung. (s. Folie 2) 3. reine C-Dur Tonleiter Tragender Baustein dieser Tonleiter ist der reine „Dur-Dreiklang“ mit Frequenzen die sich verhalten wie 4:5:6. Als Tonika wählen wir wieder c´, mit einer Frequenz von 264 Hz. Daraus ergeben sich nun folgende Frequenzen: f = 176 Hz, a = 220 Hz, e´ = 330 Hz, g´ = 396 Hz, h´= 495 Hz und d´= 594 Hz. Als Bereich für unsere Tonleiter wählen wir wieder c´ bis c´´ (also 264 Hz bis 528 Hz). Unsere Töne müssen nun wiederum um 1-2 Oktaven versetzt werden. Damit ergeben sich für unsere Tonleiter die Frequenzwerte laut Folie 1. Hierbei treten 3 Tonschritte auf: 9/8, 10/9 (gr. bzw. kleine Ganzton), und 16/15 (kleine Sekunde). Daraus ergibt sich eine Liste von in dieser Stimmung möglichen Tonintervallen. (s. Folie 2) 4. Die C-Dur Tonleiter „7-aus-12-gleichen“ Tragender Baustein ist hier der einzige Halbton ζ = 2^(1/12). Alle anderen Intervalle sind Potenzen von ζ. Als Tonschritte kommen nur ζ und ζ^2 (Ganzton) vor. Wählen wir als Tonika wieder c´, dann ergibt sich unsere Tonleiter laut Folie 1. Alle in dieser Stimmung möglichen Grundintervalle haben nun bestimmte multiplikativen Werte die auf Folie 2 zu sehen sind. Analog lässt sich dies auch für einen Wert ώ = 2^(1/31) durchführen. Als Tonschritte in der entsprechenden C-Dur Tonleiter kommen der Halbton ώ ^3 und der Ganzton ώ ^5 vor. Unsere Liste der möglichen Grundintervalle lässt sich nun mit den zugehörigen mult. Werten ergänzen. Man erkennt dass die große Terz in dieser Tonleiter fast rein ist, aber die Quinte z.B. unreiner als in der vorigen Tonleiter. 5. Quintenzirkel und Wolfsquinte Anlass zu pythagoräischen Leitern mit mehr als 7 Tönen sind zum Beispiel Tonikawechsel. Dabei möchte man mit möglichst wenig Aufwand aus einer bestehenden Dur-Tonleiter eine analoge Dur-Tonleiter mit einer neuen Tonika konstruieren. Ausgehend von der pythagoräischen c-DurTonleiter kann man zum Beispiel nach links oder rechts rutschen, mit F bzw. g als Tonika. Sollte jeder bereits vorkommende Ton Tonika einer neuen (korrekt pythagoräischen) Dur-Leiter sein können, müsste der Tonvorrat endlos sein. Für Instrumente mit Tasten (z.B. Spinett) oder mit Bünden (z.B. Gitarre) ist also eine Einschränkung unumgänglich. Eine erste Einschränkung ist die auf 21 Töne, nämlich von B# bis Fis in der absteigenden Quintenfolge. Diese neue Leiter ist dann pythagoräisch und «vollständig diatonisch-chromatisch-enharmonisch». – diatonisch: sie enthält die über die Ganztöne hinweg führende C-Dur-Leiter; – chromatisch: die größten Tonschritte in der Leiter sind Halbtöne; – enharmonisch: Db und C#, Ab und G#, Es und D# u.s.w. werden unterschieden. In dieser pythagoräischen 21-Tonleiter ist zwar Ges höher als As, Es höher als F, B höher als Cis usw., aber alle nur um ein minimales Intervall k. k hat einen multiplikativen Wert von 312/219. 9-mal sind sich aber zwei Töne der Leiter zum Verwechseln ähnlich. Deshalb ist eine weitere Einschränkung auf 12 Töne möglich. Von jedem der Pärchen lässt man jeweils nur einen Ton in der Leiter. Es bleiben so noch 12 Töne. In diesem Fall sind nur noch B-Dur, F-Dur, C-Dur, G-Dur, D-Dur und A-Dur korrekt pythagoräisch. In E-Dur zum Beispiel wird statt Dis ein Es gespielt, was man eine enharmonische Verwechslung nennt. Das «wahre» Dis wäre um das Intervall k höher als das gespielte Es. In der aufsteigenden Quintenfolge werden von Es bis Dis nämlich 12 Quinten und etwas mehr als 7 Oktaven überwunden. Bei der Einschränkung auf 12 Töne schließt man also einen Kreis, der – korrekt pythagoräisch – gar nicht geschlossen werden dürfte. Dieser Kreis der zwölf Quinten ist der so genannte «Quintenzirkel». (s. Anhang 3) Elf der Quinten sind rein. Nur die Quinte von Gis nach Es ist in der Mitteltonik unrein. Diese Quinte klingt verstimmt und wird deshalb auch phytagoräische Wolfsquinte genannt. Man erkennt, dass 12 aufeinanderfolgende Quinten (mit Wolfsquinte) erzeugen eine Oktave, 4 aufeinander folgende Quinten erzeugen eine große Terz und 2 aufeinander folgende Quinten erzeugen einen Ganzton. Für die temperierte Stimmung wird die Reinheit leicht gedämpft. Statt 11 reine und eine pythagoräische Wolfsquinte werden 12 „passable Quinten“ verwendet. Die Grenze einer sinnvollen Genauigkeit liegt bei der Fähigkeit des menschlichen Gehörs, Töne nahe beieinander liegender Frequenzen als verschieden zu empfinden. Die Empfindlichkeitsgrenze liegt, abhängig von der Frequenz, von Alter und Übung des Hörenden bei ungefähr 0.3 % im Bereich von 1000 Hertz.