50 61. VORLESUNG / 8.4.2002 / Thau MANISCH – DEPRESSIVE ERKRANKUNG Thau zeigt als Einstieg die Zeichnung eines Patienten zur MDK, hier sieht man die wichtigsten Charakteristika, und zwar: • MDK nimmt jahrelangen Verlauf • 2 Pole: den der Manie und den der Depression („himmelhoch jauchzend“ vs. „zu Tode betrübt“) • MDK ist eine potentielle lebensbedrohende Erkrankung (10-15% der Betroffenen sterben durch Suizid) MANIE UND DEPRESSION: • • • heißen auch manisch-depressive Erkrankung heißen affektive Störungen im ICD-10 heißen „Mood-Disorders“ im DSM-IV (Dieser Begriff hieße wörtlich übersetzt „Gemütskrankheiten“, ist im Deutschen aber veraltert. Im DSM wurde der frühere Begriff „affective disorders“ fallen gelassen, da zu eng gefasst; im Deutschen wurde er allerdings beibehalten. DAZU GEHÖREN FOLGENDE KRANKHEITSBILDER: • Depression: Î einzelne Phasen sind selten (d.h. nur eine einzige Phase im Leben gibt es so gut wie nie) Î hohe Rückfallwahrscheinlichkeit Î lebenslang begleitende Erkrankung (bis zu 40 Jahre Dauer) • Manie und Hypomanie: Î einzelne Phasen sind selten Î Hypomanie = Zustand, in dem Stimmungsschwankungen nicht vollen Ausprägungsgrad erreicht hat; es kommt zu Antriebssteigerung; Patient erlebt sich als leistungsfähiger und er IST es auch; braucht weniger Schlaf, etc.; wird die Hypomanie aber nicht behandelt, so wird daraus eine klinische manifeste Manie. • depressive und manische Phasen (= Bipolar I): Î beides ist voll ausgeprägt 1 ACHTUNG: Die 5. VO bei Springer-Kremser ist entfallen, sie wird aber angeblich nachgeholt. Termin wurde noch nicht bekanntgegeben! 51 • depressive und hypomane Phasen (= Bipolar II): Î schwere depressive Verstimmungen, aber keine volle manische Phase, sondern nur hypomane Schwankungen Î ist oft schwer zu erkennen, vor allem dann, wenn Patient in einer depressiven Phase stationär aufgenommen wird • Zyklothymie: Î deutliche Stimmungsschwankungen Î weder auf depressiver noch auf manischer Seite wird jedoch das Vollbild erreicht • Dysthymie: Î ausschließlich depressive Verstimmung über langen Zeitraum (mindestens 2 Jahre) chronifiziert liegt vor • Kombination Dysthymie + schwere depressive Phasen: Î heißt auch double depression • depressive Phasen ohne Hypomanie aber mit hyperthymem Temperament (pseudounipolar / Bipolar III): Î ob es das als eigene Verlaufsform überhaupt gibt, ist derzeit noch unklar HÄUFIGKEIT: Depression = eine sehr häufige Erkrankung • • Punktprävalenz = 5-10% Lebenszeitprävalenz = 15-20% Geschlechterverteilung: Frauen Männer 2/3 unipolar (Depression) 2 : 1 1/3 bipolar 1 : 1 3 : 1 aber Rapid Cyclers (d.h. 4 Phasen / Jahr und mehr) 52 PARADIGMENWECHSEL BEI MDK (in den letzten 15 Jahren): • früher: Î Es handelt sich um einzelne abgesetzte Krankheitsphasen Î ist Erkrankung des mittleren Lebensalters • heute: Î hohe Rückfallswahrscheinlichkeit Î kontinuierliche Betreuung = notwendig Î Ersterkrankung prinzipiell in jedem Lebensalter möglich; Gipfel zwischen 3. und 4. Lebensjahrzehnt; kann aber schon bei Kindern beginnen [ist zwar selten, aber es gibt es doch!]. Symptomatik bei Jugendlichen vor allem bei Manie anders (z.B. produktive Symptome wie Wahn erlauben keine Diagnostik der MDK; meist gekennzeichnet durch Gereiztheit) Fazit: Ö MDK ist eine lebenslang begleitende Krankheit Ö MDK ist eine Erkrankung jedes Lebensalters Vor der Ära der Lithium-Therapie (Cade 1949, Schon 1954) bedeutete das: Eine Frau, die mit 25 Jahren an bipolarer Störung erkrankt,: Î hat um 9 Jahre verkürzte Lebenserwartung Î verliert 12 Jahre normales gesellschaftliches Leben sowie Î 14 Jahre normale berufliche und familiäre Aktivität Î 25% der Lebenszeit hospitalisiert manisch oder depressiv Î 25% der Lebenszeit auf dem Weg in oder aus einer Phase Vor allem bei depressiver Verstimmung gilt: Nur 1/3 der Betroffenen erhält entsprechende medizinische / psychiatrische Behandlung, obwohl 70-90% der Patienten mit adäquater Therapie effizient behandelt werden könnten. MDK = eine sehr häufige Erkrankung: • weltweite Prävalenz: Î unipolare Depression bis 19% (Weissman 1996) Î bipolare Erkrankung bis zu 5% (Angst 1995) • Vor allem Depression = zweithäufigste psychosoziale Behinderung nach HerzKreislauf-Erkrankung (WHO Prognose für 2020) MDK ist eine Erkrankung, die unterdiagnostiziert und unterbehandelt wird: • • • es braucht 3 – 4 Ärzte und ca. 8 Jahre für eine korrekte Diagnose 30% erhalten eine adäquate Behandlung 70-90% könnten effizient behandelt werden 53 => daher: Wissen um diese Erkrankung ist wichtig, um auch bei niedergelassenen Ärzten Sensibilität zu erreichen und mehr Betroffene in entsprechende Behandlung zu bringen GESCHICHTE DER MDK: Seit dem Altertum immer wieder beschrieben; Zusammenhang zwischen Manie und Depression ist seit 2000 Jahren bekannt. 19. Jhd. Welle der psychiatrischen Publikationen, diagnostische und nosologische Einteilungen, z.B. von: • FALNET: „La folie à double forms“ (beschreibt beide Pole der Erkrankung als doppelte Ausgestaltung des Verrücktseins) • BAILLANGER: „folie circulaire“ (Im ICD-9 gibt es „zirkuläre Verlaufsform der manisch-depressiven Psychose“ -> die geht noch auf Baillanger zurück) • GRIESINGER: „Jahreszeitliche Veränderungen und rasche Phasenfolge“ (beschreibt saisonal abhängige Störungen und Rapid Cycling) • KRAEPELIN: (1899; 6. Auflage): Einteilung der psychiatrischen Krankheiten Î Dichotomie von - „manisch-depressivem Irresein“ - „Dementia praecox“ Î Kraepelin orientiert sich an Verlaufskriterien: - manisch-depressives Irresein = phasenhafte Erkrankung; dazwischen vollständige Restitutio ad integrum (= völlige Genesung) - Dementia praecox = Erkrankung mit schleichendem, kontinuierlichem Abbauprozess Î Kraepelin nahm maßgeblichen Einfluss auf die Psychiatrie. • EUGEN BLEULER (1924): Î Kontinuum - „die Gruppe der Schizophrenien“ zu - „manisch-depressive Erkrankung“ Î Bleuler betont kontinuierlichen Krankheitsverlauf zwischen den 2 Polen Schizophrenien (= ganze Gruppe, keine Einzelerkrankungen) und manisch-depressive Erkrankung 54 • LEONHARD (1957), ANGST UND PERRIS (1966): Î Aufteilung in unipolare und bipolare Verläufe Î Leonhard und Angst / Perris haben das unabhängig voneinander anhand von Familiengeschichten und Krankheitsverläufen entdeckt Fazit: Kraepelin: MDK Schizophrenien phasenhaft / Intervalle chronisch Leonhard: unterschied zwischen - MDK - MDK ohne Manie FAMILIÄRE BELASTUNG BEI BIPOLAREN UND UNIPOLAREN STÖRUNGEN bipolar affektive Erkrankung der Eltern Konkordanzrate für eineiige Zwillinge2 Konkordanzrate für zweieiige Zwillinge Verwandte 1. Grades / Manie Risiko für Kind mit 2 kranken Eltern 50% 80% 20% 10% 55% unipolar 25% 80% 20% 0,4% 55% Î d.h. bei bipolarer Erkrankung eines Elternteil höheres Risiko für Kind. DIAGNOSTISCHER PROZESS: gliedert sich in 2 Schritte: 1) Querschnitt (Diagnose des gegenwärtigen Zustandes) 2) Längsschnitt (Beschreibung des bisherigen Krankheitsverlaufs) wichtige Faktoren, die dabei erhoben werden müssen, sind: a) Ersterkrankungsalter: - Symptomatik der ersten Episode (bei Männern Beginn häufiger mit Manie; bei Frauen Beginn häufiger mit Depression) b) Erstbehandlungsalter: - ist oft NICHT identisch mit Ersterkrankungsalter! - erste depressive Phasen mit Schlafstörungen, Gewichtsverlust, Antriebslosigkeit, etc. bleiben oft unbehandelt, bewirken großes Leid, klingen aber von selbst wieder ab 2 Ist ein deutlicher Hinweis, dass bipolare Störungen bei klassischer Form große hereditäre Komponente aufweisen! 55 c) Anzahl der bisherigen Phasen und ihre Frequenz: - ist nicht leicht, da Patient oft große Mühe hat, die einzelnen Phasen abzugrenzen und Situation dazu zu beschreiben d) Dauer der einzelnen Phasen: - z.B. recurrent brief depression: = wiederholte, sehr kurze (d.h. einige Tage), aber sehr schwere depressive Verstimmungen e) Dauer der Intervalle f) Remissionsgrad im Intervall: - blieb Restsymptomatik? wenn ja, wie lange? - Kraepelins Konzept der vollständigen Wiederherstellung im Intervall ist NICHT zutreffend, da Restsymptomatik (Reizbarkeit, leichte kognitive Defizite) sehr häufig! SYMPTOMATIK DER DEPRESSION: betroffene Bereiche: 1) Antrieb: = vermindert; schöpferische Aktivitäten vermindert; weniger sprachliche Äußerungen; Betroffener kann nicht mehr tägliche Routinen erfüllen (z.B. Aufstehen, Anziehen) 2) Befindlichkeit: = gestört; Genussfähigkeit gesenkt; alle Gefühle = negativ getönt 3) Biorhythmus-Störungen: Schlafstörungen; Schlafverkürzung (morgendliche Erschöpfung); Etappenschlaf; nächtliches Erwachen; typische Tagesschwankungen (Symptomatik ist nicht gleich stark über den gesamten Tag hinweg, sondern in der Regel morgendliches Pessimum [bei Manie sind die manischen Symptome in der Früh am stärksten] 4) Triebleben: Sexualität vermindert, Libido vermindert 5) Intelligenzleistung / Gedächtnisleistung: = vermindert; schlechteres Gedächtnis; Patient kann sich weniger merken; Aufmerksamkeit verlangsamt; Probleme Neues zu entwickeln, über Neues nachzudenken. Bereiche können in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein Î sehr vielfältiges Bild der Krankheit (Es gibt Formen der Depression mit Antriebssteigerung bei extrem ausgeprägter depressiver Verstimmung) 56 SYMPTOMATIK DER MANIE: betroffene Bereiche sind ebenfalls 1) Antrieb: 2) Befindlichkeit: 3) Biorhythmus: 4) Triebe: 5) Affizierbarkeit: hier Steigerung Gegenteil von Depression Schlafverkürzung bis Schlaflosigkeit, wird aber als sehr angenehm erlebt, da man noch mehr machen kann Gegenteil von Depression nur im positiven Bereich gegeben -> traurige Mitteilung kann Patienten nicht aus seiner positiven Stimmung bringen KRANKHEITSBILD DER DEPRESSION: • beherrschende Symptome: Î gedrückte Stimmung Î Interessensverlust (wird von manchen oft ärger erlebt als die depressive Stimmung) Î Freudlosigkeit Î Verminderung des Antriebs bis zu Aktivitätsstopp • weitere Symptome: verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Schuldgefühle und Gefühle der Wertlosigkeit negative und pessimistische Zukunftsperspektiven (gestern – heute – morgen erscheint wie durch dunkle Brille als hoffnungslos) Î Suizidgedanken / Suizidhandlungen (muss IMMER ernst genommen und darf ja nicht bagatellisiert werden!) Î Schlafstörungen und Appetitabnahme (rascher und sehr deutlicher Gewichtsverlust, d.h. 8-10kg in 2-3 Wochen) Î Î Î Î KRANKHEITSBILD DER HYPOMANIE: • • • • einheitlich leicht gehobene Stimmung gesteigerter Antrieb und Aktivität auffallendes Gefühl von Wohlbefinden körperliche und seelische Leistungsfähigkeit: ist tatsächlich so, solange Vollbild der Manie nicht erreicht ist! Deshalb Abgrenzung der Hypomanie von der Manie, ABER: kaum zu kontrollierender Zustand, Übergang zur Manie ist üblich, daher unbedingt in eine Behandlung! 57 KRANKHEITSBILD DER MANIE: • Stimmung = situationsinadäquat gehoben; schwankt zwischen sorgloser Heiterkeit und unkontrollierbarer Erregung • Symptome: vermehrter Antrieb Überaktivität Rededrang vermindertes Schlafbedürfnis verminderte Aufmerksamkeit (Patient kann sich nicht konzentrieren) Verlust der üblichen sozialen Hemmungen (z.B. im Triebleben; Partnerschaftsprobleme entstehen, da Manie für Partnerschaft wesentlich belastender ist als Depression) Î erhöhte Ablenkbarkeit Î überhöhte Selbsteinschätzung und maßloser Optimismus Î Î Î Î Î Î WAHNSYNDROME: können sowohl bei depressiver als auch bei manischer Verstimmung vorkommen; sind per se KEIN diagnostisches Kriterium, da sie bei verschiedenen Krankheiten auftreten können. Definition: „Unter Wahn versteht man ein komplexes Ideengebäude, in dem Wahnideen untereinander und mit anderen „normalen“ Gedanken verknüpft sind (P. Berner 1982) Nicht jeder Wahn = sofort zu erkennen; oft paranoide Gedanken, bei denen es schwer ist, ihre Wahnhaftigkeit zu erkennen (vgl. Elektriker, der erklärt, man wolle ihm mit komplizierten Schaltungen das Leben sauer machen -> Psychologe kann Wahrheitsgehalt nur sehr schwer überprüfen, da er ja kein Elektriker ist...) Wahnkriterien nach Karl Jasper: 1) unvergleichliche subjektive Gewissheit 2) Unbeeinflussbarkeit durch Erfahrungen und zwingende Schlüsse (alles Diskutieren mit dem Betroffenen nützt nichts!) 3) Unmöglichkeit des Inhalts (= manchmal aber nur sehr schwer überprüfbar; vgl. den Elektrotechniker, der komplizierte technische Geräte beschreibt, mit denen er abgehört wird...) 58 Die psychotische / wahnhafte Manie: • typische Wahninhalte: Î Î Î Î Î Î • Größenwahn Omnipotenzwahn Abstammungswahn Beziehungswahn Liebeswahn Verfolgungswahn (im Rahmen eines gesteigerten Selbstwertgefühls, z.B. Verfolgung aus Neid) Halluzinationen: Î eher selten Î meist synthym (d.h. stimmungskongruent) Î wenn, dann vor allem akustische Halluzinationen Die psychotisch / wahnhafte Depression: • typische Wahninhalte: Î Î Î Î Î Î Î • Schuldwahn Verarmungswahn Insuffizienzwahn hypochondrischer Wahn Verfolgungswahn Beziehungswahn („die ganze Welt ist schlecht“) nihilistischer Wahn (Betroffener hat Gefühl, sich von innen her aufzulösen -> extrem angsterfüllend und sehr quälend) Halluzinationen: Î in erster Linie akustische Halluzinationen (Stimmen, die Schuld zuweisen oder schimpfen) Î olfaktorische Halluzinationen (z.B. man selbst stinkt nach verfaulendem Fleisch und dergleichen) • Derealisationen / Depersonalisationen: Î Körper wird als fremd / verändert / leblos erlebt • depressiver katatoner Stupor: ist Extremfall; Betroffener ist zu nichts mehr in der Lage als reglos im Bett zu liegen; ist die schwerste Form einer psychomotorischen Hemmung. 59 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN: bipolar unipolar Persönlichkeit: zyklothym / extravertiert dysthym / introvertiert Geschlechterverteilung: Frauen = Männer Frauen = doppelt so oft wie Männer Ersterkrankungsalter: 2. / 3. Lebensjahrzehnt (d.h. Ersterkrankter ist jünger als bei unipolarer Störung!) 3. – 5. Lebensjahrzehnt nach Geburt eines Kindes: postpartale Episoden sind häufiger postpartale Episoden sind seltener Beginn: rascher Episodenbeginn schleichender Beginn Episodendauer: Dauer 3-6 Monate Dauer 3-6 Monate (Tendenz sich länger hinzuziehen) Familienanamnese: für BIP positiv (d.h. hier ist es häufiger, dass jemand erkrankt, wenn jemand aus Familie es hat) für unipolar positiv für BIP + / - für unipolar positiv (d.h. wenn jemand aus Familie es hat, ist die Wahrscheinlichkeit es auch zu bekommen, bei beiden gleich) Merke: Unterschied zwischen Depression und Manie: • • Wenn man depressiv ist, glaubt man nicht, dass etwas dagegen getan werden kann. Wenn man manisch ist, glaubt man nicht, dass etwas dagegen getan werden sollte. 60 KLASSIFIKATION: ICD-10 = für alle Erkrankungen (somatisch und psychiatrisch) Kapitel F = psychische Störungen; nur dieses Kapitel hat ein Glossar, in dem die einzelnen Störungen beschrieben werden (hier findet man die Ein- und Ausschlusskriterien, die für die einzelne Diagnose notwendig sind) Einteilung des Kapitel F: F0. F1. F2. F3. F4. F5. F6. F7. Organische Störungen Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen Schizophrenie, schizotypische und wahnhafte Störungen affektive Störungen neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen Verhaltensauffälligkeiten und körperliche Störungen und Faktoren (Essstörung, sexuelle Funktionsstörung, Missbrauch) Persönlichkeits- und Verhaltensstörung Intelligenzminderung weitere Unterteilung: = affektive Störungen F30. manische Episode F31. bipolare affektive Störung F32. depressive Episode F33. rezidivierende depressive Episode F34. anhaltende affektive Störungen (Zyklothymie / Dysthymie) F38. sonstige affektive Störungen (z.B. rezidivierende kurze depressive Störungen [hierher gehört recurrent brief depression -> sehr hohes Suizidrisiko!]) noch weitere Unterteilungspunkte: F30.0 Hypomanie F30.1 Manie ohne psychotische Symptome F30.2 Manie mit psychotischen Symptomen synthym (d.h. kongruent mit Stimmung, z.B. F30.20 Größenwahn) parathym (d.h. nicht-kongruent mit Stimmung, z.B. F30.21 Verfolgungswahn) 61 PUERPERALE ERKRANKUNGEN = Erkrankungen, die innerhalb der ersten 6 Wochen postpartal beginnen (Wochenbett= vom Plazentaausstoß bis 6 Wochen post partum) PRÄVALENZ (im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt): * * * * depressive Symptome während der Schwangerschaft: postpartale Dysphorie (Baby Blues / Heultage): postpartale Depression Wochenbett-Psychose: 25% 50-85% 10-20% 0,1 – 0,2% ÄTIOLOGIE: • • • Schilddrüse, Hypothalamus–Hypophysen–Nebennierenrinde - Achse (hier hormonale Störung) reziproke Korrelation zwischen Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden - Achse und Serotonin – Achse genetische Faktoren 1) Post partum Blues = Heultag: a) Inzidenz: stark variabel; 10-80% b) Symptomatik: Gereiztheit Affektlabilität (weinerlich) Ängstlichkeit Angespanntheit c) Dauer: Stunden bis 2 Tage, vorübergehend ohne Therapie d) Ursache: hormonelle Umstellung körperliche und emotionale Erschöpfung nach der Geburt emotionale Überforderung (Eintritt in eine neue Rolle) e) Komplikationen: längere Dauer / Zunahme der Schwere des Symptoms ist ein Hinweis auf Übergreifen einer Depression, die bereits in Gravidität bestanden hat (antepartale Depression APD) Risikofaktor für postpartale Depression (PPD) 62 2) Postpartale (nicht-psychotische) Depression = Wochenbett-Depression: a) Inzidenz: 15% b) Symptome: wie Depression zu anderem Zeitpunkt, trotzdem oft unerkannt und unbehandelt (vor allem weil Betroffene zu dem Zeitpunkt, in dem sie auftritt, nicht mehr in gynäkologischer Behandlung ist bzw. Ärzte, mit denen sie zu dieser Zeit zu tun hat, in erster Linie Kinderärzte sind, die das nur selten erkennen) Es dominieren Versagensängste, Schuldgefühle (auf Kind bezogen), Schlafstörungen, Erschöpfungszustände (auch reale Basis durch Säuglingspflege) c) Auftreten / Dauer: beginnt einige Wochen (bis 6 Wochen) post partum meist selbstlimitierend (3-6 Monate) [d.h. es endet von selbst nach 3-6 Monaten] in 25% der Fälle Dauer länger als 1 Jahr d) Prognose: 1. in 60% Wiederauftreten von depressiven Phasen bevorzugt in postpartaler Phase (ca. 40%) 2. negative Auswirkung auf die Entwicklung der Mutter-KindBeziehung und die kindliche Entwicklung e) Ursache: transkulturell unterschiedliche Inzidenz spricht eher für eine psychosoziale Genese Wichtig = frühzeitiges Erkennen und frühzeitige Behandlung, abhängig vom Schweregrad. 3) Puerperalpsychose = Stillpsychose: a) Inzidenz: 1-2 Promille b) Diagnose: vorwiegend affektive Erkrankung + psychotische Symptome (vor allem als Manie) manische Symptome entwickeln sich innerhalb von 2 Wochen post partum depressive Symptome entwickeln sich etwas später c) Symptome: bunt gemischtes und wechselndes Bild d) Verlauf: stürmische, fluktuierende und schwere Symptomatik + psychotische Symptome (traumähnliche Zustände, Verwirrtheit, Ratlosigkeit) e) Prognose: massives Risiko für neuerliche Episode (vor allem post partum 3 – 500fach erhöhtes Risiko -> daher entsprechende Vorbereitung bei neuerlicher Schwangerschaft notwendig!) f) Ursache: hormonelle Hypothesen transkulturell gleiche Inzidenz spricht für eine biologische Genese 63 ÄTIOLOGIE DER MANISCH-DEPRESSIVEN ERKRANKUNGEN: Vulnerabilitätsfaktoren psycho-biologische Vorläuferbedingungen Vulnerabilität bzw. Disposition akute Depression und verlaufsbeeinflussende Faktoren aktuell auslösende Faktoren bzw. LifeEvents, akute Belastung depressive Verstimmung Verlauf 1) psycho-biologische Vorläuferbedingungen: • • • • biographische Entwicklung biologisch genetische Faktoren Familientradition, Erziehungsstile Lebensbedingungen, gesellschaftliche Bedingungen 2) psychobiologische Disposition: • • • • • Attributionsstile Coping-Strategien Aggressionsverhalten Modelle, Imitation Umgang mit objektiven Belastungen 3) Vulnerabilitätsfaktoren: • • • spezifische Mehrfachbelastungen (z.B. zusätzliche Erkrankung, psychische Stresssituation) Mangel / Verlust an Ressourcen objektive soziale Belastungen 64 4) Verlauf: • • • • • EINE Episode = selten meist rezidivierender Verlauf oft chronifiziert / therapieresistent / chronisch bipolar Suizidmortalität Komorbidität / Multimorbidität (oft Angststörung, Sucht, Alkoholmissbrauch dabei) Ö sehr viele, sehr unterschiedliche Faktoren beeinflussen Entstehung, Verlauf und Prognose einer Depression! 5) Was beeinflusst eine akute Depression und den Verlauf? • • • • • • • bisheriger Verlauf ausreichende antidepressive Medikation (Akut-, Erhaltungstherapie) Reziditivprophylaxe Besserung objektiver Belastungsfaktoren stabiles Beziehungssystem (Familie, Partner) Umgang mit Lebensereignissen Komorbidität (somatisch, Sucht-, Angst-, Persönlichkeitsstörung) LIFE-CHART METHODE: = Möglichkeit, den Verlauf der Krankheit grafisch darzustellen Einsatz von Medikamenten MANIE schwer Schwere mittel leicht Dauer in Jahren leicht Schwere mittel schwer DEPRESSION Life-Events Kommentare 65 Zum Abschluss bringt Thau noch eine Folie über den Komponisten Robert Schumann, die den Zusammenhang zwischen seiner MDK und seinen Werken zeigt: • • • • Schumann hatte 1840 und1849 hypomanische Phasen-> sehr viele Werke entstanden in diesen Jahren 1844 hatte Schumann eine schwere depressive Phase -> kein einziges Werk entsteht Schumann beschrieb seine Krankheit ziemlich genau in seinen Tagebüchern, berichtet von Halluzinationen und Wahnideen. 1857 nach 2jährigem Aufenthalt in psychiatrischer Klinik verstorben.