Pilze holen mächtig auf

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B I O S P E K T R U M • 1. 0 1 • 7. J A H R G A N G
Transformations- und Selektionssysteme
Joachim Morschhäuser,
Zentrum für Infektionsforschung,
Universität Würzburg
Pilze holen mächtig auf:
Molekulare Pathogenitätsanalyse
von Infektionserregern
Da es immer mehr abwehrgeschwächte
Patienten gibt, haben eine Reihe von Pilzen
große Bedeutung als Erreger gefährlicher
opportunistischer Infektionen erlangt.
Bisher stehen gegen Pilze nur wenige
Therapiemöglichkeiten zur Verfügung.
Daher ist es wichtig, die Pathogenitätsmechanismen dieser Erreger zu verstehen, um
neue Wege zu ihrer wirksamen Bekämpfung zu finden. In den letzten Jahren
wurden für die wichtigsten humanpathogenen Pilze, wie Candida albicans, Aspergillus
fumigatus, Cryptococcus neoformans,
Histoplasma capsulatum oder Blastomyces
dermatitidis, molekularbiologische Methoden entwickelt, um ihre Virulenzeigenschaften auf genetischer Ebene untersuchen zu
können. Dadurch wurde es möglich, gezielt
spezifische Mutanten herzustellen und die
Rolle bestimmter Faktoren für den Krankheitsverlauf zu definieren. Methoden zur
Analyse der Genexpression erlauben es, das
Infektionsprogramm während unterschiedlicher Stadien einer Infektion zu entschlüsseln. In Zukunft wird die Verfügbarkeit der
Genomsequenz dieser Pilze solche Untersuchungen auf genomweiter Ebene ermöglichen, so dass das Wissen um die Pathogenitätsmechanismen von Pilzen ein ähnlich
hohes Niveau erreichen sollte, wie dies für
bakterielle Infektionserreger der Fall ist.
쑺 Pilze haben als Ursache von Infektionskrankheiten (Mykosen) beim Menschen traditionell eine weitaus geringere Rolle gespielt
als bakterielle Infektionserreger. Sie haben
ein vergleichsweise geringes pathogenes Potenzial und werden vom Abwehrsystem gesunder Menschen normalerweise gut in
Schach gehalten, das heißt, sie sind typische
„opportunistische“ Krankheitserreger. Bedingt durch die zunehmende Zahl von Patienten mit Immundefekten (z.B. AIDS) oder
schweren Krankheiten (z. B. Krebs), die heute länger leben, wandelt sich dieses Bild in
den letzten Jahren jedoch zunehmend. Pilze
wie Aspergillus fumigatus, Cryptococcus neoformans und Candida albicans (Abb. 1) sind heute ein großes medizinisches Problem bei solchen Risikopatienten (14). Die Erreger der
klassischen Systemmykosen wie Histoplasma
capsulatum oder Blastomyces dermatitidis, die in
den betreffenden Endemiegebieten auch gesunde Menschen infizieren und in diesen persistieren können, werden ebenfalls häufig bei
Immundefekten reaktiviert und stellen dann
eine tödliche Bedrohung dar. Bei bakteriellen Infektionserregern hat die molekulare Pathogenitätsanalyse große Fortschritte beim
Verständnis der Infektionsmechanismen ermöglicht. Um die Virulenzmechanismen humanpathogener Pilze ebenfalls besser zu verstehen und damit neue Ansätze zu ihrer Bekämpfung zu finden, wurden deshalb in den
letzten Jahren entsprechende molekularbiologische Werkzeuge und Methoden auch für
diese Keime entwickelt. Diese Bemühungen
waren äußerst erfolgreich, und die Pathogenitätsforschung bei Pilzen ist derzeit spannend wie nie zuvor, wie dieser Überblick anhand einiger ausgewählter Beispiele veranschaulicht.
Manche pathogenen Pilze haben auffällige Eigenschaften, die bereits einen Zusammenhang mit der Virulenz vermuten lassen.
So ist beispielsweise C. neoformans der einzige humanpathogene Pilz, der ähnlich wie viele pathogene Bakterien eine Polysaccharidkapsel ausbilden kann. In die Lunge gelangt
C. neoformans allerdings durch Inhalation unbekapselter Hefen oder Sporen, die aufgrund
ihrer geringen Größe tief in die Lungenalveolaren eindringen können. Dort bildet C. neoformans schnell die Kapsel aus, die ihm Schutz
vor Phagocytose verleiht. Der Erreger kann
dann in das Zentralnervensystem eindringen
und eine lebensbedrohliche Meningitis auslösen.
Um die Bedeutung der Kapsel für die Virulenz des Pilzes zu untersuchen, wurden
zunächst auf klassischem Weg über unspezifische, chemische Mutagenese kapsellose
Mutanten hergestellt, die aufgrund ihres rauen Koloniephänotyps auf Agarplatten leicht
zu erkennen sind. Tatsächlich waren solche
Mutanten avirulent, so dass die Inhibierung
der Kapselsynthese ein attraktives Ziel für
eine antimykotische Therapie wäre. Dazu ist
es jedoch nötig, den Biosyntheseweg der Kap-
Abb. 1: C. albicans ist in der Lage, neben der
Hefeform auch Hyphen zu bilden. Diese Fähigkeit
zum Gestaltwechsel spielt eine wichtige Rolle in
der Pathogenität des Erregers. Das Bild zeigt
eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme
einer C. albicans-Hyphe, die in eine menschliche
Endothelzelle eindringt.
sel in C. neoformans aufzuklären, was am einfachsten durch die Identifizierung der dafür
verantwortlichen Gene möglich ist. Dies
konnte durch Komplementation verschiedener Kapsel-negativer Mutanten mit einer
Genbank aus einem C. neoformans-Wildstamm
erreicht werden. Transformanten, die die Fähigkeit zur Kapselbildung wiedergewonnen
hatten, waren wieder virulent. Auf diese Weise
wurde eine ganze Reihe von Genen gefunden, deren Rolle in der Kapselbiosynthese
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gen bis vor kurzem kein dominanter Selektionsmarker verfügbar. Genetische Manipulationen erfolgten mit Hilfe von Genen der
Aminosäure- oder Nukleotidbiosynthese in
auxotrophen Wirtsstämmen, die durch den
Erhalt dieser Gene wieder prototroph werden,
so dass Transformanten im Gegensatz zum
Ausgangsstamm auf Minimalagarplatten
wachsen können.
Gezielte Geninaktivierung
Abb. 2: Sequentielle Geninaktivierung in
C. albicans durch URA3-blasting. Das Zielgen ist
durch den weißen Balken dargestellt. Weitere
Erläuterungen im Text
anschließend eine gezielte Geninaktivierung
bestätigte (3).
Für einen solchen experimentellen Ansatz muss jedoch DNA in Pilzzellen eingeschleust werden. Die oben aufgeführten humanpathogenen Pilze sind nicht natürlicherweise in der Lage, DNA von außen aufzunehmen. Konventionelle Methoden wie die
Protoplasten-Transformation oder Zellwandpermeabilisierung mit Lithiumacetat, die für
Modellorganismen wie Saccharomyces cerevisiae
oder Aspergillus nidulans entwickelt wurden,
konnten zwar bei C. albicans und A. fumigatus
erfolgreich angewendet werden, waren für
andere Pilze wie C. neoformans oder die dimorphen Pilze jedoch nicht brauchbar. Allerdings
wurden mittlerweile auch für diese Keime
mehr oder weniger effiziente Transformationssysteme entwickelt. Häufig verwandt wird
die Elektroporation, jedoch wurden auch biolistische Systeme entwickelt (bei diesen werden mit DNA überzogene Goldkügelchen in
die Zellen „hineingeschossen“), und in einige humanpathogene Pilze wurde DNA auch
durch Agrobacterium tumefaciens-vermittelten
Gentransfer übertragen.
Zur Selektion von Transformanten sind
auch bei Pilzen Antibiotikaresistenzgene ideal. Allerdings ist hier die Auswahl erheblich
eingeschränkt, da es sich um eukaryontische
Mikroorganismen handelt, gegen die viele bei
Bakterien verwendete Antibiotika nicht wirken. Ein Marker, der erfolgreich für die Transformation von A. fumigatus, C. neoformans
H. capsulatum und B. dermatitidis eingesetzt
wurde, ist das hph-Gen aus E. coli , das Resistenz gegen Hygromycin verleiht. Für
C. albicans, der sowohl als harmloser Kommensale bei gesunden Menschen als auch als
Erreger von Schleimhaut- und gefährlichen
systemischen Infektionen in immunsupprimierten Patienten auftreten kann, war dage-
Um die Rolle eines bestimmten Faktors
für die Virulenz eines Infektionserregers zu
überprüfen, wird üblicherweise das entsprechende Gen gezielt inaktiviert Die resultierenden spezifischen Mutanten werden auf
ihre Fähigkeit hin untersucht, in geeigneten
Modellsystemen eine Infektion auszulösen.
Methoden für die gezielte Geninaktivierung
wurden mittlerweile auch für die wichtigsten
humanpathogenen Pilze entwickelt. Allerdings waren dabei unterschiedliche Schwierigkeiten zu überwinden. Bei C. albicans zum
Beispiel ist die homologe Rekombination sehr
effizient, so dass mit entsprechenden Randsequenzen versehene Fremd-DNA fast immer spezifisch dort ins Genom integriert, wo
es beabsichtigt ist. Dafür hat dieser Pilz den
Nachteil, dass er permanent diploid ist. Nach
Inaktivierung eines Allels des Zielgens erhält
man daher zunächst heterozygote Mutanten,
die nicht den Phänotyp einer Nullmutante
aufweisen. Um den im ersten Schritt verwendeten Selektionsmarker auch für die Inaktivierung des zweiten Allels und so für die Herstellung homozygoter Mutanten einsetzen zu
können, muss dieser zunächst wieder aus dem
Genom des heterozygoten Stammes entfernt
werden (Marker Recycling). Beim so genannten „URA3-blasting“ (5) wird ein von direkten Repeats einer Fremdsequenz (hisG aus
Salmonella typhimurium) flankiertes URA3Gen (codiert für ein Enzym der Pyrimidinbiosynthese) in das klonierte Zielgen inseriert
und die lineare DNA-Kassette für die Transformation eines ura3-negativen C. albicansWirtsstammes verwendet (Abb. 2). Nach Selektion prototropher Transformanten erhält
man heterozygote Mutanten, bei denen eines der Wildtyp-Allele durch homologe Rekombination gegen die Mutagenesekassette
ausgetauscht ist. Durch zufällige Rekombination der direkten Repeats kann es wieder
zum Verlust des URA3-Markers kommen, dies
geschieht jedoch mit sehr niedriger Frequenz
(10–5-10–6). Da aber URA3-positive Pilzzellen
auf Fluor-Orotidylsäure-haltigem Medium
(fluoro-orotic acid, FOA) nicht überleben,
können die gesuchten seltenen auxotrophen
Deletionsmutanten leicht selektioniert und
für eine zweite Mutageneserunde eingesetzt
werden, bei der man die gewünschten homozygoten Mutanten erhält. Diese Methode
gehört seit einigen Jahren zum Standardre-
pertoire der molekularen Analyse von C. albicans und hat zur Aufklärung zahlreicher Virulenzeigenschaften dieses Pilzes beigetragen,
darunter Mechanismen der Adhärenz (6, 11),
der Eisenversorgung im Wirt (9) oder der
Hypheninduktion (7), einem herausragenden
Charakteristikum von C. albicans (Abb. 1).
Allerdings gleicht nicht ein C. albicansStamm dem anderen, sondern verschiedene
klinische Isolate besiedeln bevorzugt unterschiedliche Wirtsnischen, und die Bedeutung
einzelner Virulenzeigenschaften hängt vermutlich stark vom jeweiligen Stamm ab. Es
ist daher wünschenswert, genetische Untersuchungen in verschiedenen Ausgangsstämmen durchführen zu können. Kürzlich wurde von Gerwald Köhler an unserem Institut
ein dominanter Selektionsmarker für C. albicans entwickelt, der Resistenz gegen Mycophenolsäure (MPA) verleiht und daher auch
die Transformation von prototrophen Wildstämmen erlaubt. Für diesen Marker gibt es
allerdings keine Negativselektion, so dass wir
eine neue Mutagenesemethode entwickelten
(Abb. 3). Diese beruht auf der Verwendung
einer DNA-Kassette, die neben dem MPAResistenzmarker noch das Gen für die ortsspezifische Rekombinase FLP aus S. cerevisiae
enthält, das zuvor an den ungewöhnlichen Co-
Abb. 3: Sequentielle Geninaktivierung in
C. albicans durch MPAR-flipping. A: Aufbau der
Mutagenesekassette. Das caFLP-Gen steht unter
Kontrolle des induzierbaren SAP2-Promotors
(PSAP2, geknickter Pfeil) und ist mit der Transkriptions-Terminationssequenz des Actin-Gens (ACT1T,
schwarzer Kreis) fusioniert. MPAR: Mycophenolsäure-Resistenzmarker; FRT: Minimale Erkennungssequenz der FLP-Rekombinase. B: Schema
der sequentiellen Geninaktivierung. Das Zielgen
ist durch den weißen Balken dargestellt; MPARFLIP: Mutagenesekassette wie in (A). Weitere
Erläuterungen im Text
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dongebrauch von C. albicans angepasst werden
musste. Das caFLP-Gen steht unter Kontrolle eines induzierbaren Promotors (PSAP2), und
die gesamte Kassette ist von direkten Repeats
mit der minimalen Erkennungssequenz der
FLP-Rekombinase flankiert. Wird diese Kassette in ein Allel des Zielgens inseriert, kann
sie anschließend durch induzierte, FLP-vermittelte Excision nach Belieben wieder aus
dem Genom entfernt werden. Durch Wiederholung dieser Schritte erhält man schließlich
die homozygote Mutante. Auf diese Weise ist
es nun möglich, Gene in jedem beliebigen
C. albicans-Stamm auszuschalten und somit
die Bedeutung bestimmter Faktoren für die
Virulenz in unterschiedlichen Stämmen zu
vergleichen (8, 15).
Im Gegensatz zu C. albicans sind C. neoformans und die dimorphen Pilze H. capsulatum und B. dermatitidis haploid, so dass eine
Mutageneserunde ausreicht, um Nullmutanten eines Gens herzustellen. Dafür ist die Integration der Fremd-DNA äußerst unspezifisch; nach Selektion auf den Marker erhält
man fast immer Transformanten, in denen die
DNA durch den Anbau von Telomeren extrachromosomal stabilisiert wurde oder in denen ektopische Insertionen zufällig im Genom erfolgt sind. Spezifische Integrationen
sind dagegen extrem selten. Für diese Pilze
sind also spezielle Strategien notwendig, um
bestimmte Gene gezielt und effizient zu inaktivieren.
Bei C. neormans wurde ein Trick angewandt, um solche Transformanten anzureichern, bei denen die Integration einer Mutagenesekassette spezifisch ins Zielgen erfolgte. Dabei wird ein Selektionsmarker (z.B.
ADE2, das für ein Enzym der Purinbiosynthese codiert) so zwischen zuvor klonierte
Sequenzen des Zielgens inseriert, dass dieses inaktiviert wird. Auf demselben DNAKonstrukt wird neben diese Sequenzen ein
zweiter Marker gesetzt, gegen den eine Negativselektion möglich ist (z.B. URA5) (siehe
Abb. 4). Da bei einer ektopischen Integration meist das gesamte zur Transformation eingesetzte DNA-Fragment in das Genom inseriert wird, sind solche Transformanten sowohl
Adenin- als auch Uridin-prototroph und damit FOA-sensitiv. Die Selektion auf AdeninPrototrophie und gleichzeitige FOA-Resistenz reichert daher die gewünschten Klone
an. Bei ihnen ist es durch homologe Rekombination zum Allelaustausch gekommen, da
dabei nur der ADE2-Marker, nicht aber das
URA5-Gen in das Genom integriert wird. Auf
diese Weise konnten die Kapselbiosynthesegene inaktiviert und die Rolle der Kapsel als ein
herausragender Virulenzfaktor von C. neoformans genetisch eindeutig bewiesen werden (3).
Vor kurzem wurde ein analoger Ansatz
benutzt, um zum ersten Mal einen Virulenzfaktor des genetisch schwer zugänglichen Pilzes H. capsulatum zu charakterisieren. Dieser
dimorphe Pilz kommt weltweit in bestimmten Endemiegebieten als Saprophyt im Boden vor, wo er in der Myzelform wächst. Nach
Inhalation von Sporen in die Lunge bildet
H. capsulatum die pathogene Hefeform aus,
die in Makrophagen eindringt und dort intrazellulär überlebt. Der Pilz verhindert die Ansäuerung des Phagolysosoms und sekretiert
ein Calcium-bindendes Protein, das vom
Hefe-spezifischen Gen CBP1 codiert wird
und dem Pilz das Überleben in diesem Calcium-armen Milieu ermöglicht. Mutanten, in
denen das CBP1-Gen spezifisch inaktiviert
wurde, konnten kein Calcium mehr binden
und in Calcium-armem Kulturmedium nicht
wachsen. Dieser Defekt führte gleichzeitig
dazu, dass die Mutanten nicht mehr in der
Lage waren, Makrophagen in einem in vitroAssay abzutöten, und in einem Mausmodell
der Histoplasmose ihre Virulenz verloren hatten (10).
Eine andere Strategie führte bei B. dermatitidis, einem nahen Verwandten von
H. capsulatum, zum Erfolg. Das WI-1-Antigen
dieses Pilzes wurde aufgrund seiner Ähnlichkeit zum Invasin von Yersinia als Kandidat für
einen Adhärenzfaktor angesehen. Belegt wurde dies durch Herstellung einer Nullmutante. Hierbei wurde ein promotorloses hph-Gen
hinter ein kurzes Stück der WI-1 upstreamSequenz gesetzt, so dass nur die Insertion in
das WI-1-Gen durch homologe Rekombination zur Rekonstitution eines intakten Promotors und damit zur Hygromycinresistenz
führte. WI-1 konnte damit nicht nur als wichtiges Adhäsin und wichtiger Invasionsfaktor,
sondern auch als essentieller Virulenzfaktor
von B. dermatitidis bestätigt werden (1).
Mutantenbibliotheken und
Signature tagged mutagenesis
Die gezielte Inaktivierung von bekannten Genen ist ein gerichteter Ansatz, um die
Rolle eines bestimmten Gens für die Pathogenität zu untersuchen. Unbekannte Gene,
die an Virulenzeigenschaften eines Erregers
beteiligt sind, finden sich leichter, wenn man
durch ungerichtete Mutagenese ganze Mutantenbibliotheken herstellt. Die Klone lassen sich dann auf den Verlust bestimmter Eigenschaften untersuchen. Bei einer chemischen Mutagenese werden mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere verschiedene, kaum
zu lokalisierende Mutationen ins Genom eingeführt. Daher ist es wünschenswert, Methoden für eine Insertionsmutagenese zu entwickeln, die jeweils nur einen Genort betrifft,
der danach auch noch relativ einfach identifiziert werden kann. Leider gibt es für die humanpathogenen Pilze bisher noch keine mobilen DNA-Elemente, die für eine Transposonmutagenese eingesetzt werden können.
Allerdings ist es dennoch möglich, Selektionsmarker auch unspezifisch ins Genom zu inte-
grieren, entweder aufgrund der oben erwähnten, häufigen ektopischen Integration von
Fremd-DNA oder auch durch Restriktionsenzym-vermittelte Integration (REMI).
Die Untersuchung jedes einzelnen Klons
aus einer Mutantenbibliothek auf bestimmte
Phänotypen ist aufwändig und beim komplexen Phänotyp Virulenz, der letztendlich im
Tiermodell getestet wird, in der Praxis nicht
durchführbar. Die zunächst für bakterielle
Infektionserreger entwickelte „signature tagged mutagenesis“ (STM) erlaubt es dagegen,
viele individuell genetisch markierte Mutanten parallel in einem Ansatz zu untersuchen.
Klone mit verminderter Virulenz überleben
in einem experimentell infizierten Wirt nicht
Abb. 4: Strategie zur Selektion von C. neoformans-Transformanten, bei denen es durch
homologe Rekombination zum Allelaustausch
gekommen ist. Das Zielgen ist durch den weißen
Pfeil dargestellt. Nähere Erläuterungen im Text
und können so durch das Fehlen der entsprechenden Signatur im Pool reisolierter Keime
identifiziert werden. Vor kurzem wurde die
STM auch bei zwei humanpathogenen Pilzen erfolgreich eingesetzt, um für die Virulenz wichtige Eigenschaften zu definieren.
A. fumigatus ist ein ubiquitär verbreiteter
Umweltkeim, dessen Sporen wir alle täglich
einatmen, meist ohne gesundheitliche Folgen. In stark abwehrgeschwächten Patienten
kann A. fumigatus sich allerdings in der Lunge ausbreiten und dann meist tödlich verlaufende systemische Infektionen verursachen.
Bei solchen Infektionen scheinen weniger
spezifische Virulenzfaktoren eine Rolle zu
spielen als vielmehr die Tatsache, dass
A. fumigatus ein metabolisch vielseitiger, anpassungsfähiger Keim ist, der in einem wehrlosen Wirt gut wachsen kann und zum Beispiel auch die vergleichsweise hohe Körpertemperatur gut verträgt. Die Bedeutung der
metabolischen Unabhängigkeit vom Wirt für
die Fähigkeit, erfolgreich eine Infektion aus-
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lösen zu können, wurde kürzlich auch durch STM-Analyse belegt.
Dabei wurde eine Mutante identifiziert, die ihre Virulenz aufgrund
der Inaktivierung des pabaA-Gens verloren hatte, das für ein Enzym
der Folsäure-Biosynthese codiert. Die Bedeutung dieses Biosynthesewegs für die Fähigkeit von A. fumigatus, eine Infektion auslösen
zu können, wurde durch eine spezifische pabaA-Mutante verifiziert
(2).
Im Gegensatz zum haploiden A. fumigatus erhält man bei zufälliger Insertion eines Markers in das Genom der diploiden Hefe
C. albicans nur heterozygote Mutanten. Obwohl es auch dabei häufig
(offensichtlich durch Haploinsuffizienz) bereits zur Ausprägung eines
Phänotyps kommen kann, wurde die STM bisher erst in der haploiden Art C. glabrata durchgeführt (4). Die Methode wurde dabei so
modifiziert, dass zunächst eine Sammlung von 96 markierten Stämmen hergestellt wurde, in denen jeweils eine ausgewählte Signaturse-
le Infektionserreger in vivo-Expressionstechnologien (IVET) entwickelt. Eines dieser Systeme, das auf genetischer Rekombination als
Reporter der Genexpression beruht, wurde in unserer Arbeitsgruppe
für C. albicans adaptiert (12). Dabei steht das an den C. albicans-Codongebrauch angepasste caFLP-Gen (siehe oben) unter der Kontrolle
des Promotors des Gens, dessen Expression untersucht werden soll.
Eine Aktivierung dieses Promotors im Wirt führt zur Bildung der Rekombinase, die ihrerseits einen von Rekombinase-Zielsequenzen flankierten Marker, das MPA-Resistenzgen, irreversibel aus dem Genom
deletiert (Abb. 5). Durch Reisolierung der Zellen eines solchen Reporterstammes zu verschiedenen Zeitpunkten beziehungsweise aus
unterschiedlichen Organen nach einer Infektion kann deshalb anhand
der MPA-Sensitivität bestimmt werden, wie hoch der Anteil von Zellen in der Population ist, in denen das untersuchte Gen während eines bestimmten Stadiums der Infektion durch Wirtssignale signifikant induziert wurde. Dieses Reportersystem wurde erfolgreich angewendet, um die Expression der einzelnen Mitglieder einer Genfamilie von C. albicans, die für sekretierte Aspartylproteinasen kodieren, in unterschiedlichen Infektionsmodellen zu untersuchen (13).
Dabei stellte sich heraus, dass die einzelnen Gene abhängig von der
Art (Schleimhautinfektion bzw. systemische Infektion) und auch vom
Stadium der Infektion differentiell exprimiert werden. Dies weist darauf hin, dass C. albicans durch Genduplikation und anschließende
Diversifizierung Proteasen entwickelt hat, die jeweils bestmöglich an
unterschiedliche Aufgaben in bestimmten Wirtsnischen adaptiert sind
und dem Erreger so immer eine optimale Anpassung ermöglichen.
Abb. 5: Nachweis der Geninduktion in C. albicans durch in vivo-Expressionstechnologie. Das caFLP-Reportergen steht unter Kontrolle des Promotors
(geknickter Pfeil) des zu untersuchenden Gens. Die Aktivierung des
Promotors führt zur Expression der FLP-Rekombinase und damit zur
Deletion des MPA-Resistenzmarkers (MPAR), der von den FLP-Zielsequenzen
(FRT) flankiert ist. Zellen, in denen eine Geninduktion stattgefunden hat,
können aufgrund ihres MPA-sensitiven Phänotyps detektiert werden.
Ausblick
quenz an einem bestimmten, nicht Virulenz-assozierten Locus im
Genom inseriert wurde. Diese 96 Ausgangsstämme wurden dann durch
zufällige Insertion eines Selektionsmarkers mutagenisiert. Anschließend wurden Gruppen von jeweils einer Mutante aus jedem der 96
individuell markierten Ansätze hinsichtlich ihrer Virulenzeigenschaften verglichen. Da C. glabrata in Tiermodellen weitaus weniger virulent ist als beispielsweise C. albians, wurden die Mutanten zunächst in
einem in vitro-Modell hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Adhärenz an
humane Epithelzellen getestet. In fast allen Mutanten, die die Fähigkeit zur Adhärenz verloren hatten, war das EPA1-Gen inaktiviert.
Durch gezielte Gendeletion wurde bestätigt, dass dieses Gen essentiell für die Adhärenz von C. glabrata an die verwendeten Zellen ist.
Die Expression von EPA1 in der normalerweise nicht adhärenten Bäckerhefe S. cerevisiae ermöglichte dieser die Bindung an Epithelzellen. Bei Infektion von Mäusen war allerdings keine Verringerung der
Virulenz einer C. glabrata epa1-Mutante festzustellen, so dass die Rolle dieses Adhärenzfaktors im verwendeten Tiermodell offensichtlich
nicht zum Ausdruck kommt, möglicherweise weil der entsprechende
Ligand fehlt oder hier andere Kolonisierungsfaktoren wichtiger sind.
In vivo-Expressionstechnologie
Obwohl die Mutantenanalyse ein sehr wichtiges Instrument in
der Pathogenitätsforschung ist, reichen solche Untersuchungen nicht
aus, um Virulenzmechanismen genau zu verstehen. Dazu ist es vielmehr nötig, auch das Expressionsmuster von Virulenzgenen im Verlauf einer Infektion zu kennen, da dies Hinweise darauf gibt, in welchem Stadium einer Infektion bestimmte Faktoren wichtig für den
Erreger sind. Da eine solche Genexpressionsanalyse im Wirt mit konventionellen Methoden nur schwer möglich ist, wurden für bakteriel-
Für humanpathogene Pilze steht mittlerweile ein großes Arsenal
an molekularbiologischen Werkzeugen zur Verfügung, die in Kombination mit geeigneten Modellsystemen zur Analyse ihrer Virulenzeigenschaften eingesetzt werden können. Dies ist wichtig im Hinblick
auf die Post-Genom-Ära, die bald auch bei diesen Erregern erreicht
wird. Das C. albicans-Genom ist bereits vollständig sequenziert und
die Sequenzierung des C. neoformans- und A. fumigatus-Genoms ist im
Gange beziehungsweise geplant. Methoden, um in großem Stil Gene
auf ihre Funktion hin zu untersuchen, werden es erlauben, die durch
die Genomsequenzierung erhaltenen Informationen zu nutzen. DNAMicroarrays für C. albicans gibt es bereits kommerziell, oder sie werden von verschiedenen Forschergruppen hergestellt, so dass zum Beispiel genomweite Expressionsanalysen bald möglich sein werden. Dass
dieser Ansatz bereits vor Fertigstellung der kompletten Genomsequenz Erfolge bringen kann, wurde auch für humanpathogene Pilze
am Beispiel von H. capsulatum gezeigt. DNA-Microarrays wurden hier
mit DNA-Sequenzen aus einer Genbank hergestellt und für Expres-
Joachim Morschhäuser
geboren 1963, Studium der Biologie in Frankfurt/Main und Würzburg, Promotion
1993 bei Prof. Jörg Hacker (Promotionsstipendiat der Studienstiftung des
deutschen Volkes). 1993-1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für
Infektionsforschung in Würzburg. Forschungsaufenthalte in Umeå/Schweden
(1991) und Helsinki/Finnland (1994). 1997-2000 Nachwuchsgruppenleiter am
Zentrum für Infektionsforschung. 1999 Habilitation an der Universität Würzburg im
Fach Mikrobiologie. Seit 2001 Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Forschungsschwerpunkte: Molekulare Mykologie; Genregulation,
Pathogenitäts- und Resistenzmechanismen von Candida albicans.
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sionsanalysen unter infektionsrelevanten in
vitro-Wachstumsbedingungen eingesetzt (in
diesem Fall der niedrige pH-Wert des Phagolysosoms). Auf diese Weise konnten bereits
Gene gefunden werden, die unter solchen Bedingungen induziert werden und möglicherweise auch eine Rolle während der Infektion
spielen. Es ist zu erwarten, dass das Wissen
über die Pathogenitätsmechanismen medizinisch relevanter Pilze in naher Zukunft erheblich zunimmt und den Vergleich mit bakteriellen Infektionserregern nicht mehr scheuen muss.
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Korrespondenzadresse
Joachim Morschhäuser
Zentrum für Infektionsforschung
Universität Würzburg
Röntgenring 1, D-97070 Würzburg
Tel.: 0931-31 21 52, Fax: 0931-31 25 78
eMail: [email protected]
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