Laboratorium für spektral­analytische und biologische ­Untersuchungen Dr. Bayer GmbH Labor Dr. Bayer Übergchrift Bopserwaldstraße 26 D-70184 Stuttgart zwgite Telefon +49- (0)711-16418- 0 Fax +49-(0)711-16418-18 • • [email protected] • www.labor-bayer.de Dies ist der Fließtext Mineralstoffe Risikofaktoren Schimmelpilz-Serologie Candida-Serologie Ausgabe Juni 2009 Immundiagnostik Fettsäureprofil Säure-Basen-Haushalt Schwermetalle Labor Bayer aktuell Vitamine Nahrungsmittelunverträglichkeiten Liebe Leserinnen, liebe Leser, in der aktuellen Ausgabe von Labor­ Bayer aktuell haben wir einige Schwer­ punkte detaillierter behandelt, denen aus unserer Sicht besondere Aktualität zukommt. Beim Vitamin D haben sich – wie bei keinem anderen Vitamin – in den letz­ ten zehn Jahren bahnbrechende neue Erkenntnisse ergeben, die die Bedeu­ tung dieses Vitamins weit über seine Funktion im Calciumund Phosphatstoffwechsel hinaus belegen. Auf der Basis von Dosisfindungsstudien lässt sich nun für den einzelnen Pa­tienten eine individuell optimierte Vorgehensweise bei der Vitamin D-Substitution ableiten. Die Vorgehensweise wird in diesem Newsletter beschrieben. Neben der essentiellen Bedeutung von Jod stellt auch das Selen ein zentrales Spurenelement für die Schilddrüsenfunktion dar, wobei in Deutschland weiterhin von einem endemischen Jodmangel ausgegangen werden muss. Neben einer optimier­ ten Jodversorgung ist vor allem bei Patienten mit Schild­ drüsenautoimmunerkrankungen eine adäquate Selen-Substi­ tution besonders wichtig und führt zu Absenkungen erhöhter Antikörpertiter gegen Schilddrüsengewebe. Im Bereich der Immundiagnostik können durch die Bestim­ mung der Th1/Th2-Balance wesentlich erweiterte Kenntnisse in die Immunregulation gewonnen werden, was bei vielen im­ munpathologischen Erkrankungen nicht nur zusätzliche diag­ nostische Erkenntnisse, sondern auch Ansatzpunkte für die Im­ munmodulation gibt. In diesem Zusammenhang hat die Misteltherapie einen fes­ten­ Stellenwert. Da wir immer wieder gefragt werden, unter welchen Bedingungen aus immunbiologischer Sicht eine Mistel­therapie angezeigt ist beziehungsweise wann eher davon abzuraten wäre, haben wir die uns vorliegenden Erkenntnisse auf der Basis einer sehr großen Anzahl immundiagnostischer Untersuchungen in dieser Ausgabe von Labor Bayer aktuell zusammengefasst. Hormone Spurenelemente In dieser Ausgabe Diagnostik und individuell optimierte Therapie des Vitamin D-Mangels 2– 4 –Vitamin D-Stoffwechsel –Diagnostik –Welches sind die präventiv-medizinisch ­wünschenswerten Serumkonzentrationen von 25-Hydroxy-Vitamin D3? –Wie sieht die Versorgungslage bezüglich Vitamin D in der deutschen Bevölkerung aus ? –Welche Therapieoptionen gibt es? –Vorgehensweise für eine individuell optimier­te Vitamin D-Substitution mit Cholecalciferol Bedeutung der Spurenelemente Jod und Selen für die Schilddrüsenfunktion 5–8 Identifizierung der Th1/Th2-Balance durch 9 –11 Bestimmung intrazellulärer Zytokine: Ein neues Instrument zur Aufdeckung unklarer Abwehrschwächen und ­immunpathologischer Erkrankungen –Das Zytokinmuster entscheidet über das Resultat sowohl protektiver als auch pathologischer Immunantworten –Was wird gemessen? –Programmierung der Th1- und Th2-Differenzierung und Ansatzpunkte der Immunmodulation –Immunpathologie –Welche therapeutischen Konsequenzen ziehen wir aus der Th1/Th2-Differenzierung? Rationeller Einsatz der Mistel in der begleitenden Krebstherapie: Misteltherapie zur Immunmodulation, wann und wann nicht? 12 –Inhaltsstoffe und Wirkungsweisen –Ziele und Unwägbarkeiten der Immunstimulation mit Mistelpräparaten –Positive Indikationen –Cave: andere Therapien könnten Vorrang haben –Negative Indikationen –Zweckmäßigkeit Mit den besten Grüßen Ihr Dr. Wolfgang Bayer Seite 1 Juni 2009 | Labor Bayer aktuell Diagnostik und individuell optimierte Therapie des Vitamin D-Mangels Vitamin D-Stoffwechsel Vitamin D ist ein Gattungsname für eine Gruppe von Seco-­ Steroiden mit der biologischen Aktivität von Vitamin D. Es handelt sich um fettlösliche Verbindungen mit enger struk­ tureller Verwandtschaft zum Cholesterin. Von besonderer Bedeutung sind: • Vitamin D3 = Cholecalciferol • 25-Hydroxy-Vitamin D3 = Calcidiol • 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 = Calcitriol Für Vitamin D (Cholecalciferol) ist eine internationale Ein­ heit (I. E.) definiert: 1 I. E. entspricht 0,025 µg Vitamin D, so dass 1 µg Vitamin D 40 I. E. entspricht. Vitamin D3 kann in der Haut aus der Vorstufe 7-DehydroCholesterin unter dem Einfluss von UV-B-Licht (Wellen­ länge 280 – 315 nm) gebildet werden, so dass der Mensch zu einer Eigensynthese befähigt ist. Diese Eigensynthese über­ wiegt in aller Regel deutlich die Vitamin D-Aufnahme mit der Nahrung, da nur wenige Nahrungsmittel wie z. B. fett­ reiche Meeresfische reich an Vitamin D sind. Die Konzen­ tration von 7-Dehydrocholesterin in der Haut nimmt mit dem Alter deutlich ab, so dass Ältere auch unter Sonnen­ licht-Exposition weniger Vitamin D bilden als Jüngere. Sonnenschutzmittel, bereits mit dem Lichtschutzfaktor 10, absorbieren über 90 % der UV-B-Einstrahlung. lich in der Niere vorkommt. In den letzten zehn Jahren wurden jedoch verschiedene andere Gewebe und Zellen identifiziert, die über dieses Enzym verfügen und zu einer Eigensynthese von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 befähigt sind. Dazu zählen verschiedene Immunzellen sowie auch die Prostata. Zudem weisen zahlreiche Gewebe einen Vita­ min D-Rezeptor auf und sind daher zur spezifischen Auf­ nahme dieses Vitamin D-Metaboliten befähigt. Aus diesen Mechanismen erklärt sich die immer mehr erkannte biome­ dizinische Bedeutung von Vitamin D, die weit über seine regulatorischen Funktio­nen im Calcium- und PhosphatStoffwechsel hinausgeht (Abbildung 2). Abbildung 2: Die vielfältigen Auswirkungen eines Vitamin D-Mangels. Diagnostik Die beiden Parameter zur Diagnostik des Vitamin D-Stoff­ wechsels sind: • 25-Hydroxy-Vitamin D3 • 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3. Abbildung 1: Übersicht über den Vitamin D-Stoffwechsel Über die Nahrung aufgenommenes beziehungsweise in der Haut gebildetes Vitamin D3 wird zur Leber transportiert und dort zu 25-Hydroxy-Vitamin D3 metabolisiert. Dieser Metabolisierungsschritt unterliegt keiner strengen Regula­ tion. In der Niere erfolgt eine zweite Hydroxylierung zum 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3, dem eigentlich auf den Cal­ ciumstoffwechsel wirksamen Metaboliten. Diese Metabo­ lisierung wird sehr streng reguliert durch das überwiegend nierenständige Enzym 1-α-Hydroxylase. Lange Zeit war man der Ansicht, dass dieses Enzym praktisch ausschließ­ Seite 2 25-Hydroxy-Vitamin D3 stellt den Hauptpool der Vita­ min D-Metabolite im Plasma dar und eignet sich zur Fest­ stellung von Mangel infolge unzureichender Zufuhr und/ oder niedriger UV-B-Exposition sowie zur Erkennung ei­ ner Intoxikation. Referenzmethode für die Bestimmung ist die Hochdruckflüssigkeits-Chromatographie (HPLC), die auch in unserem Haus durchgeführt wird. Bestimmungen sind auch möglich mit immunologischen Tests wie ELISA und RIA. 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 ist der auf den Calciumstoff­ wechsel aktivste Metabolit. Da die Konzentration von 25-Hydroxy-Vitamin D3 in etwa um den Faktor 500 höher­ liegt als die des 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 ist in der Re­ gel genug Substrat vorhanden, damit dieser Vitamin DMetabolit in der Niere unter dem Einfluss des Enzyms 1-α-Hydroxylase gebildet werden kann. Defizite bezüglich 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 treten daher vor allem bei ei­ ner reduzierten Aktivität der 1-α-Hydroxylase auf, wie dies regelmäßig bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz zu be­ obachten ist sowie auch bei lange andauerndem und aus­ Labor Bayer aktuell | Juni 2009 geprägtem Mangel der Vorstufe 25-Hydroxy-Vitamin D3. Erhöhte Werte von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 werden be­obachtet wenn eine hohe extrarenale Aktivität der 1-­αHydroxylase vorliegt, wie dies z. B. bei Patienten mit Sar­ coidose beobachtet werden kann sowie auch bei Überdosis von Calcitriol oder α-Calcidiol. Fazit: 25-Hydroxy-Vitamin D3 ist der Hauptparameter zur Diagnostik des Vitamin D-Mangels. Allerdings konnte in der LURIC (Ludwigshafen Risk and Cardiovascular Health Study) an kardiologischen Patienten gezeigt werden, dass niedrige Werte sowohl von 25-HydroxyVitamin D3 wie auch von 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 unab­ hängige Prädiktoren der Mortalität sind, so dass die dia­ gnostische Bedeutung beider Vitamin D-Metabolite nicht unterschätzt werden darf (Dobnig et al.: Independent asso­ ciation of low serum 25-hydroxy-vitamin D and 1,25-dihy­ droxy-vitamin D levels with all-cause and cardiovascular mortality. Arch. Intern. Med. 168, 1340 –1349, 2008). Welches sind die präventiv-medizinisch ­wünschenswerten Serumkonzentrationen von 25-Hydroxy-Vitamin D3? Im deutschsprachigen Standardwerk der Labordiagnostik, dem Buch „Labor und Diagnose“ (Hrsg. L. Thomas) finden wir in der 6. Auflage von 2005 folgende Referenzbereichsangaben für das 25-Hydroxy-Vitamin D3: 50 –175 nmol/l unter 50 Jahren und 63 –175 nmol/l über 50 Jahren. Dies trägt dem in­ effektiveren Vitamin D-Metabolismus bei Älte­ren Rechnung. Zahlreiche neuere Studien zeigen jedoch übereinstimmend, dass für präventiv-medizinische Wirkungen von Vitamin D deutlich höhere Serumkonzentrationen von 25-Hydroxy-Vi­ tamin D3 erforderlich sind. So müssen zur Vermeidung eines sekundären Hyperparathyreoidismus Werte über 100 nmol/l erreicht werden und eine umfassende Publikation zur prä­ ventiv-medizinischen Bedeutung von Vitamin D (Bischoff- Ferrari et al.: Estimation of optimal serum concentrations of 25-hydroxy-vitamin D for multiple health outcomes. Am. J.Clin.Nutr. 84, 18 – 28, 2006) zeigt, dass zur Optimierung der Knochendichte, zur Verminderung des Fraktur­ri­si­kos sowie auch zur Prävention bezüglich bestimmter Tumoren wie kolorektalen Carcinomen Serumkonzentrationen von 25-Hydroxy-Vitamin D3 erreicht werden müssen, die minde­ stens in einem Bereich von 80 –110 nmol/l liegen. Hypervita­ minosen D müssen selbstverständlich zur Vermeidung einer Hypercalcurie und Hypercalcämie vermieden werden, wobei die obere Grenze des Referenzbereichs bei 175 nmol/l liegt. Fazit: Die präventiv-medizinisch wünschenswerte Unter­ grenze für die Serumkonzentration von 25-Hydroxy-Vita­ min D3 liegt bei 80 –110 nmol/l. Wie sieht die Versorgungslage bezüglich Vitamin D in der deutschen Bevölkerung aus? Basierend auf dem niedrigen Grenzwert von 50 nmol/l für das 25-Hydroxy-Vitamin D3 zeigen aktuelle Untersuchungs­ ergebnisse des Robert-Koch-Instituts, dass zirka 57 % der er­ wachsenen Deutschen diesen Schwellenwert unterschreiten, bei Kindern und Jugendlichen sind es sogar 63 %. Diese Er­ gebnisse decken sich mit Daten, die wir bereits im Jahr 2004 publiziert haben (Bayer/Schmidt: Besteht in Mitteleuropa ein endemischer Vitamin D-Mangel? EHK, 53, 610 – 614, 2004 – Abbildung 3). Vergleicht man die Werteverteilungen im Sommer und Winter, so zeigt sich, dass im Sommer zirka 45 % der Pa­ tienten den Schwellenwert von 50 nmol/l unterschreiten, im Winter sind dies sogar 85 %. Ein Optimalbereich von 80 – 110 nmol/l wird, über das ganze Jahr gesehen, nur von etwa 15– 20 % der Patienten erreicht. Fazit: In Deutschland muss von einem endemischen ­V itamin D-Mangel ausgegangen werden. 25-Hydroxy-Vitamin D3 im Serum Abbildung 3: Verteilungskurve für 25 -HydroxyVitamin D3 im Serum grün unterlegte Fläche: Optimalbereich von 80 –110 nmol/l Seite 3 Juni 2009 | Labor Bayer aktuell Welche Therapieoptionen gibt es? Wie Abbildung 4 zeigt, kann therapeutisch auf verschie­ denen Ebenen in den Vitamin D-Stoffwechsel eingegriffen werden: 1. Weitaus am häufigsten erfolgt eine Vitamin D-Gabe über das Cholecalciferol, wobei auch die meisten der durchge­ führten Studien sich auf einen Einsatz dieses Vitamin DMetaboliten beziehen und für Cholecalciferol sind eindeu­ tige Dosis-Wirkungsbeziehungen beschrieben worden. Im allgemeinen ist daher der Einsatz von Cholecalciferol zu bevorzugen. 2. Gabe von Calcidiol. Für die Gabe dieses Vitamin D-Me­ taboliten sind nur sehr lückenhafte Literaturangaben hin­ sichtlich der optimalen Dosierungen und der erreichbaren Effekte auf den Vitamin D-Stoffwechsel vorhanden. Eine Gabe kann bei Patienten mit fortgeschrittener Funktions­ einschränkung der Leber sinnvoll sein, wenn diese bezüg­ lich des leberständigen Enzyms 25-Hydroxylase defizitär sind. 3. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, die bezüglich des nierenständigen Enzyms 1-α-Hydroxylase defizitär sind, bietet sich die Gabe von Calcitriol an. Eine Alternative stellt das α-Calcidiol dar, das bereits in der Po­ sition 1 des Vitamin D-Moleküls hydroxyliert ist, so dass dann in der Leber die weitere Metabolisierung zum 1,25Dihydroxy-Vitamin D3 erfolgen kann. Die Gabe von Cal­ citriol und α-Calcidiol bietet sich aus labordiagnostischer Sicht dann an, wenn das 25-Hydroxy-Vitamin D3 im Nor­ malbereich festgestellt wird, das 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 jedoch unter die Norm vermindert ist. Dies weist auf eine unzureichende Aktivität der 1-α-Hydroxylase hin, wie dies insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener Nie­ reninsuffizienz zu beobachten ist. Vorgehensweise für eine individuell optimier­te Vitamin D-Substitution mit Cholecalciferol In verschiedenen neueren Studien konnte gezeigt werden, dass eine Gabe von 1 µg (= 40 I. E. Cholecalciferol) zu einem durchschnittlichen Anstieg von 1 nmol/l für 25-HydroxyVitamin D3 führt, wobei die vorliegenden Arbeiten einen Bereich von 0,7 bis 1,5 nmol/l zeigen (Übersicht bei Heaney et al.: Human serum 25-hydroxy-cholecalciferol corresponds to extended oral dosing with cholecalciferol. Am.J.Clin.Nutr. 77, 204 – 210, 2003). Diese Daten basieren auf einer täglichen oralen Gabe von Cholecalciferol über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten. Auf der Basis dieser Daten kann aus einem gemessenen Ausgangswert für 25-Hydroxy-Vitamin D3 , einem festzulegenden Zielwert und dem Körpergewicht eine für den einzelnen Patienten individuell optimierte täg­ liche Vitamin D-Substitution errechnet werden (die Zahl 40 dient der Umrechnung von µg Cholecalciferol in I. E.): Individuell optimierte Therapie des Vitamin D-Mangels mit Cholecalciferol Vorgehensweise: 1. 25-Hydroxy-Vitamin D3 (und 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3) messen 2. Zielwert für 25-Hydroxy-Vitamin D3 definieren, z. B. 100 nmol/l 3. Notwendige Tages-Dosis für Cholecalciferol berechnen Substitution in I. E.: (Zielwert-Messwert) x 40 x F Beispiel: Zielwert 100 nmol/l, Messwert 60 nmol/l, KG 84 kg (100 – 60) x 40 x 1,2 = 1.920 (ca. 2000) I. E. Cholecalciferol F = KG/70 4. Nach 6 – 8 Wochen Substitution erreichte Werte für 25-Hydroxy-Vitamin D3 und ggf. 1,25-Dihydroxy-Vitamin D3 kontrollieren, da die Absorption und die weitere Metabo­lisierung von Vitamin D individuell sehr unter­ schiedlich sind. 5. Dosierung nach Laborwerten anpassen. Auf der Basis der vorgenannten Formel lässt sich eine für den Patienten individuell optimierte Vitamin D-Dosierung ableiten, die aufgrund der unterschiedlichen Resorptions­ verhältnisse und der unterschiedlichen Metabolisierungs­ raten durch weitere Laborkontrollen abgesichert und gege­ benenfalls modifiziert werden muss. Abbildung 4: Die verschiedenen Möglichkeiten der Vitamin D-Therapie Seite 4 Ein Mangel an Vitamin D ist weltweit eines der häufigsten Vitamindefizite mit teilweise schwerwiegenden klinischen Folgen. Es besteht daher eine dringende Notwendigkeit für präventive und therapeutische Maßnahmen und dies nicht nur bei besonders gefährdeten Risikogruppen. Die Emp­ fehlungen gehen derzeit von einer erforderlichen nutritiven Zufuhr von 400 bis 2000 I. E. /Tag (10 bis 50 µg/Tag) an Cholecalciferol aus. Die für eine optimale Prävention emp­ fohlene Zielgröße von 80 bis 110 nmol/l des Metaboliten 25-Hydroxy-Vitamin D3 im Serum wird allerdings erst bei einer täglichen Zufuhr von 2.000 I. E. /Tag (50 µg /Tag) bis 4.000 I. E. /Tag (100 µg /Tag) erreicht. Labor Bayer aktuell | Juni 2009 Bedeutung der Spurenelemente Jod und Selen für die Schilddrüsenfunktion Die Bildung der Hormone Trijodthyronin (T3) und Tetra­ jodthyronin (Thyroxin, T4) durch die Schilddrüse unter­ liegt einem sehr engmaschigen Regelkreis und wird durch Hypo­thalamus und Hypophyse kontrolliert (Abb. 1). Wäh­ rend praktisch alles im Blut messbare T4 durch die Schild­ drüse gebildet wird (zirka 100 μg/Tag), werden bei T3 nur etwa zirka 10 μg/Tag durch die Schilddrüse selbst gebildet. Ein größerer Anteil von etwa 30 μg pro Tag entsteht in peri­ pheren Geweben durch Dejodierung von T4. Für diesen Stoffwechselschritt sind Selen-abhängige Dejodasen erfor­ derlich. Im Blut liegt der überwiegende Teil der Schild­ drüsenhormone T3 und T4 an Plasmaproteine gebunden vor, vor allem an das Thyroxin-bindende Globulin (TBG), das Thyroxin-bindende Präalbumin und das Albumin. Nur zirka 0,3 % des T3 sind ungebunden (FT3) und sogar nur 0,03 % von T4 liegen in ungebundener Form (FT4) vor. rungen der FT4-Konzentration zu einem starken Anstieg von TSH und umgekehrt bereits moderate Anstiege von FT4 zu einem starken TSH-Abfall führen. Das TSH kann praktisch als „Vergrößerungsglas“ bezeichnet werden. Ver­ änderungen der TSH-Konzentration sind in etwa um den Faktor 40 stärker ausgeprägt als Veränderungen der FT4Konzentration. Die Spurenelemente Jod und Selen sind essentiell für die Schilddrüsenfunktion. Jod ist ein Bestandteil der Schild­ drüsenhormone und für die periphere Dejodierung von T4 zu T3 sind Selen-abhängige Dejodasen des Typ I und Typ II erforderlich (Abbildung 2). Das durch die Hypophyse gebildete Thyreotropin Releas­ing Hormone (TRH) stimuliert die Hypophyse, das Thyroideastimulierende Hormon (TSH) abzugeben. Hieraus resul­ tiert ein systemischer Anstieg von TSH, was wiederum in der Schilddrüse eine verstärkte Freisetzung von T3 und T4 bewirkt. Der Anstieg der freien Formen der peripheren Schild­drüsenhormone führt dann über eine negative Rückkopplung zur Abregulierung der TRH- und TSHAusschüttung. Dabei besteht eine inverse logarithmischlineare Beziehung zwischen den Konzentrationen von TSH und FT4. Dies bedeutet, dass bereits moderate Verminde­ Abbildung 2: Schilddrüsenhormone und Bedeutung der Dejodasen Jod Jodmangel gehört zu den am häufigsten in Deutschland verbreiteten Mikronährstoffdefiziten, wobei ein deutliches Nord-Süd-Gefälle mit einer Häufung der Mangelsituation in Süddeutschland besteht. Eine chronische Unterversor­ gung mit Jod führt zu einem kompensatorischen Wachstum der Schilddrüse. Durch den intrathyreoidalen Jodmangel kommt es zu einer verminderten Synthese von Schilddrü­ senhormonen, was zu einer verstärkten Freisetzung von Wachstumsfaktoren wie EGF, IGF-1 und TGF-α führt, was unabhängig vom TSH zu Zellvermehrung und Hyperplasie führt. Dies stellt einen adaptiven Prozess der Schilddrüse an den Jodmangel durch Proliferation dar. Gleichzeitig wird TSH freigesetzt und die Schilddrüsenfunktion stimuliert, was eine Volumenzunahme durch Zellhypertrophie bewirkt. Hingegen werden Struma-inhibierende Faktoren wie TGF-β durch Jodmangel gehemmt, was ebenfalls zu einer Stimula­ tion des Schilddrüsenwachstums führt. Abbildung 1: Regulation der Bildung von Schilddrüsenhormonen Folge des Jodmangels: Jodmangel-induzierte Struma Seite 5 Juni 2009 | Labor Bayer aktuell Ein durch Jodmangel induzierter mütterlicher oder feta­ ler Schilddrüsenhormonmangel kann bei Neugeborenen zu Entwicklungsstörung und Reifungsdefiziten führen, wobei Lern- und Entwicklungsstörungen mit verminderter In­ telligenz nachzuweisen sind. Auch eine erhöhte Rate von Fehlgeburten und Fehlbildungen ist unter den Zeichen eines Jodmangels bekannt. Schwerer Jodmangel in der Schwanger­ schaft kann zu Kretinismus mit mentalen Defek­ten, Innen­ ohrstörungen, Schielen und spastischer Diplegie führen, was heute praktisch nur noch in Entwicklungsländern auftritt. Jodstoffwechsel Mit der Nahrung zugeführte Jodverbindungen werden im Dünndarm zu Jodid reduziert und in dieser Form resor­ biert. Jod wird über das Blut zur Schilddrüse transportiert und aktiv gegen einen 30 - bis 50 fachen Konzentrations­ gradienten in den Thyrozyten angereichert ( Jodtrapping), durch TPO zu Jod oxidiert ( Jodination) und an Tyrosin an­ gelagert ( Jodisation). Dabei entstehen zunächst Monojod­ tyrosin und Dijodtyrosin und durch weitere Kondensation die Schilddrüsenhormone T3 und T4. Jodzufuhr Die Zufuhrempfehlungen für Jod sind in Tabelle 1 wider­ gegeben. Sie betragen für den erwachsenen Menschen 180 bis 200 μg pro Tag. Tabelle 1: Zufuhrempfehlung für Jod Alter Säuglinge 0 bis unter 4 Monate 4 bis unter 12 Monate µg/Tag 40 80 Kinder 1 bis unter 4 Jahre 4 bis unter 7 Jahre 7 bis unter 10 Jahre 10 bis unter 13 Jahre 13 bis unter 15 Jahre 100 120 140 180 200 Jugendliche und Erwachsene 15 bis unter 19 Jahre 19 bis unter 25 Jahre 25 bis unter 51 Jahre 51 bis unter 65 Jahre 65 Jahre und älter 200 200 200 180 180 Schwangere 230 Stillende 260 Empfohlene Höchstgrenze: 500 µg/Tag Jodgehalte in Lebensmitteln Betrachtet man die Jodgehalte in Lebensmitteln (Tabelle 2), so zeigt sich, dass vor allem Kaltwasserfische reich an Jod sind. Vegetabilien, Getreide und Milchprodukte tragen je­ doch nicht in wesentlichem Umfang zur Jodversorgung bei. Die Bioverfügbarkeit von Jod ist unterschiedlich. Während anorganisches Jod praktisch quantitativ resorbiert wird, werden organische Jodverbindungen unterschiedlich aufge­ schlossen und aufgenommen. Die Analyse deutscher Kan­ti­ nenverpflegungen ergab, dass nur 16 bis 18 % des angebote­ Seite 6 Tabelle 2: Jodgehalte in Lebensmitteln Nahrungsmittel µg Jod/100 g Mengen, 100 µg Jod enthalten Seelachs 260 38 g Muscheln, roh 130 75 g Kabeljau 120 83 g Goldbarsch 74 135 g Thunfisch 50 200 g Hühnerei 10 1000 g Roggenbrot 9 1200 g Möhren 6 1600 g Vollmilch 3 2700 g Fleisch 3 2700 g 1,6 6250 g Apfel nen Jods mit dem Urin ausgeschieden wurden. Das mit der Nahrung aufgenommene Jod steht dem Organismus nur begrenzt zur Verfügung. Zusätzlich können so genannte strumigene Faktoren die Aufnahme und Metabolisierung von Jod beeinträchtigen. Dazu gehören Thiocyanate wie sie in Kohl, Bohnen, Soja und Weißklee vorkommen. In früheren Zeiten war der Be­ griff des „Kohlkropfes“ bekannt. Auch Nitrate aus Salaten und Gemüse stellen strumigene Faktoren dar und Schad­ stoffe wie verschiedene Insektizide, polychlorierte Biphe­ nyle und Phtalsäureester (Weichmacher) müssen zu den antithyreoidalen Umweltschadstoffen gerechnet werden. Jodversorgung Die mittlere Jodzufuhr in Deutschland liegt bei 118 μg/Tag, was etwa zwei Drittel der von der DGE empfohlenen Zu­ fuhr von 180 bis 200 μg Jod pro Tag entspricht. In Deutsch­ land haben nach aktuellen Studien noch immer zirka 50 % der erwachsenen Bevölkerung einen Jodmangel Grad 1 und zirka 14 % einen Jodmangel Grad 2 und 3. Etwas besser ist die Situation bei den Schulkindern. Hier haben zirka 27 % einen Jodmangel Grad 1 und 7 % einen Jodmangel Grad 2. Das Joddefizit beträgt zirka 60 bis 80 μg/Tag. Fazit: In Deutschland herrscht ein endemischer Jodmangel. Diagnostik Unter Steady-State-Bedingungen befinden sich Jodauf­ nah­me und -ausscheidung im Gleichgewicht. Die tägli­ che effektive Jodaufnahme kann über die Jodausscheidung im Harn erfasst werden, was auch den WHO-Kriterien entspricht. Die Jodausscheidung im Harn zeigt eine klare­ inverse Korrelation mit dem Schilddrüsenvolumen. Die Jo­ dausscheidung im Harn kann nach WHO-Kriterien wie in Tabelle 3 klassifiziert werden. Die oben genannten Daten zur Häufigkeit des Jodmangels in Deutschland wurden auf der Basis der Jodausscheidung im ersten Morgenharn, bezogen auf Kreatinin ermittelt. Labor Bayer aktuell | Juni 2009 Tabelle 3: Kriterien für die Klassifizierung des Jodmangels (nach WHO) – Werte in µg Jod/g Kreatinin Jod-Ausscheidung Versorgungslage Klinik Ausreichende, aber suboptimale Jodversorgung Keine Hinweise auf Jodmangel-bedingte unzureichende ­Schilddrüsenfunktion Milder Jodmangel Grad I Erhöhte Struma-Häufigkeit. Normale mentale und körperliche Entwicklung 25 – 50 µg/g Mäßiger Jodmangel Grad II Deutlich erhöhte Struma-Häufigkeit. Hypothyreose-Risiko, jedoch noch kein manifestes Kretinismus-Risiko < 25 µg/g Schwerer Jodmangel Grad III Großes Hypothyreose-Risiko, ernstes Kretinismus-Risiko 100 –150 µg/g 50 –100 µg/g Sollwert: > 150 µg/g Kreatinin Die Erhebung der individuellen Versorgungslage bezüglich Jod erfolgt über die Messung der morgendlichen Jodaus­ scheidung im Harn, bezogen auf Kreatinin. Diese Messung erlaubt auch eine Stadieneinteilung des Jodmangels. Mögliche Risiken der Jodgabe Wenn die Schilddrüse, meist durch eine unzureichende Jodzufuhr, vorgeschädigt oder vergrößert ist oder insbeson­ dere autonome Knoten enthält, kann ein plötzlich erhöhtes Jodangebot zu einer Überaktivierung der autonomen An­ teile mit verstärkter Produktion von Schilddrüsenhormonen führen. Eine Zufuhrmenge von 500 μg Jod pro Tag sollte daher nicht überschritten werden. Jodhaltige Kontrastmittel führen zum Teil enorme Jodmengen zu und es ist eine Er­ höhung der Harnausscheidung von Jod bis zum 500 fachen messbar, wobei eine Normalisierung Wochen bis Monate benötigt. Algen können sehr große Jodmengen enthalten, wobei meist keine eindeutige Deklarierung der Jodgehalte vorliegt. Eine Jodallergie im engeren Sinn gibt es nicht. Aller­gien können jedoch gegen komplexe Jodverbindungen in Röntgenkontrastmitteln und Desinfektionslösungen auf­ treten. Strenge Kontraindikation für Jod ist die Dermatitis herpetiformis During (eine Manifestation einer gluten­ sensitiven Enteropathie außerhalb des Intestinaltraktes), bei der eine Jodunverträglichkeit unbekannter Genese besteht. Abbildung 3: Selen im Serum und TSH unter Selengabe Selen-Plasmaspiegel vor und nach der Supplementierung Basales TSH vor und nach der Selensupplementierung Abbildung 4: Autoantikörper unter Selengabe Selen Niedrige Selenkonzentrationen im Blut sind ebenfalls asso­ ziiert mit einem erhöhten Schilddrüsenvolumen und einer Echoarmut der Schilddrüse. Selen ist unerlässlich für die periphere Umwandlung von T4 in T3 und die Schilddrüse ist daher auf eine ausreichende Versorgung nicht nur mit Jod, sondern auch mit Selen angewiesen. Bereits im Jahr 1998 haben wir in Zusammenarbeit mit der nuklearmedizinisch-röntgendiagnostischen Abteilung der Oberschwabenklinik in Wangen im Allgäu eine Studie durchgeführt, bei der 446 Patienten einer Schilddrüsen­ ambulanz, die eine Selenkonzentration im Serum von unter 70 μg/l aufwiesen, eine Selensupplementierung in Form von 100 μg Selen in Form von Selenhefe erhielten. Neben einer Sonographie mit Bilddokumentation wurden die Labor­ parameter TSH, Schilddrüsenhormone mit freien Formen, Schilddrüsen-Autoantikörper und Jod im Urin erhoben. Antikörperspiegel TRAK, TPO und TAK vor und nach der Selengabe bei einer Patientin mit Autoimmunthyreoiditis Seite 7 Juni 2009 | Labor Bayer aktuell Nach sechs Wochen Selensubstitution stiegen die Selen­kon­ zentrationen im Serum von im Mittel 66 μg/l auf 105 μg/l an (Abbildung 3), während sich im gleichen Zeitraum das basale TSH von 2,55 mU/l auf 1,10 mU/l verminderte (1). Unter den untersuchten Patienten fanden sich einige Patien­ ten mit einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse und die Bestimmung der Antikörper ergab – damals noch über­ raschenderweise – einen massiven Rückgang der jeweiligen Antikörpertiter unter Selengabe (Abbildung 4). Dies war die erste Publikation, in der über eine Absenkung der Schild­ drüsenantikörper durch Selengabe bei Patienten mit Auto­ immunthyreoiditis berichtet wurde (Schmidt et al., 1998). Diese Ergebnisse wurden durch eine ganze Reihe weiterer Studien bestätigt. So konnten Gärtner et al. (2002) bei 71 Patienten mit bekannter Autoimmunthyreoiditis und er­ höhten Autoantikörperkonzentrationen eine Absenkung erhöhter anti-TPO-Antikörper unter 200 μg Selen/die in Form von Natriumselenit nachweisen (2). In einer weiteren in Deutschland durchgeführten Studie (Scheck und Adler, 2007) führte die Gabe von 200 bezie­ hungsweise 300 μg Selen in Form von Natriumselenit eben­ falls zu einer hoch signifikanten Absenkung der anti-TPOAntikörper (3). Weitere Studien bestätigen diese Ergebnisse bei schwangeren Frauen. Frauen, die während der Schwangerschaft anti-TPOAntikörper aufweisen, haben ein hohes Risiko post par­tum eine Schilddrüsendysfunktion, insbesondere eine Hypo­ thyreose zu entwickeln. Wenn Schwangere mit anti-TPOAntikörpern während der Schwangerschaft mit 200 μg Sele­ nomethionin/die supplementiert werden, sinkt die Häufig­ keit einer postpartalen Hypothyreose von 20,3 auf 11,7 % (4). Die Bestimmung von Selen im Serum spiegelt die kurz­ zeitige Versorgungslage wider, während Selen im Vollblut ein Langzeitparameter und Indikator der Körperspeicher ist. Selen-Gabe bei Patienten mit Autoimmunerkran­ kungen der Schilddrüse senkt die Werte der SchilddrüsenAutoantikörper. Die zitierten Studien bestätigen übereinstimmend die essen­tielle Bedeutung von Selen für die Schilddrüse. Dies dürfte nicht allein durch die Selen-abhängigen Dejodasen­ erklärbar sein. Vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass die Oxidation von Jodid zu Jod durch die Schilddrüsenpero­ xidase ( Jodination), die mit einer Bildung von H2O2 ein­ hergeht, zu einer verstärkten Anflutung von hoch reaktiven Sauerstoff-Spezies führt, für deren Entgiftung Selen-­ abhängige Enzymsysteme in ausreichender Menge erfor­ derlich sind. Seite 8 Zusammenfassung Jod und Selen sind unerlässliche Spurenelemente für die Schilddrüse. Jodmangel führt zu einer verminderten Bil­ dung von Schilddrüsenhormonen und zu einer Hyperplasie der Schilddrüse. Die Jodversorgung ist in Deutschland wei­ ter unzureichend und Jodmangel gehört zu den häufigsten Mikronährstoffdefiziten. Selen als essentielles Spurenele­ ment ist Bestandteil Selen-abhängiger Dejodasen und für die Dejodierung von T4 zu T3 unerlässlich. Zahlreiche Studien bestätigen übereinstimmend eine wichtige Schutz­ funktion von Selen bei Schilddrüsenautoimmunerkran­ kungen mit einer hoch signifikanten Absenkung erhöhter Titer der Autoantikörper unter Selengabe. Dies weist auf eine zusätzliche Bedeutung von Selen für die Schilddrüse im Rahmen antioxidativer Schutzmechanismen hin. Literatur: 1. Schmidt, K. J. et al.: Selensubstitution – ein therapeutischer Ansatz­ punkt bei Schilddrüsenerkrankungen? Vitaminspur 13, 33 – 39, 1998 2. Gärtner, R. et al.: Selenium supplementation in patients with auto­ immune thyroiditis decreases thyroid peroxidase antibodies concentra­­ tions. J. Clin. Endocrinol. Metab. 87, 1687– 1691, 2002 3. Scheck, R. und Adler, M.: Wirksamkeit und Verträglichkeit unter­ schiedlicher Selendosierungen (200 versus 300 μg Selen) bei Vorliegen einer Autoimmunthyreoiditis. Ernährung & Medizin 22 , 20 – 25, 2007 4. Negro, R. et al.: The influence of selenium supplementation on post­ partum thyroid status in pregnant women with thyroid peroxidase anti­ bodies. J. Clin. Endocrinol. Metab. 92 , 1263 – 1268, 2007 Labor Bayer aktuell | Juni 2009 Identifizierung der Th1/Th2-Balance durch Bestimmung intrazellulärer Zytokine: Ein neues Instrument zur Aufdeckung unklarer Abwehrschwächen und ­immunpathologischer Erkrankungen Nach der Entdeckung, dass sich Helfer-Zellen anhand ihrer Zytokinausstattung in mehrere Untergruppen einteilen las­ sen, wurde schnell klar, dass es sich dabei um Unterschiede handelt, die einen erheblichen Einfluss auf das Feintuning der Immunresponsivität nehmen. Gleichzeitig eröffneten sie die Möglichkeit, darauf mittels Immunmodulatoren gezielt Einfluss zu nehmen. Im Wesentlichen unterscheidet man drei Typen: Th1-, Th2- und Th0-Zellen. Th1-Zellen pro­ duzieren Interferon-gamma (IFN-γ), Interleukin-2 (IL-2) und Tumor-Nekrose-Faktor beta (TNF-β), während Th2Zellen vorwiegend IL-4, IL-5, IL-10 und IL-13 produzie­ ren. Th0-Zellen repräsentieren eine wahrscheinlich noch wenig spezialisierte Zwischenstufe, die sich nach Stimula­ tion der Vorläufer-Zelle entwickelt und die eine Mischung von Th1- und Th2-Zytokinen aufweist. Ein vierter Typ, die Th3-Zelle, die den Transforming growth factor β (TGF-β), ein generell immunsuppressives Zytokin, produziert, wird auch als regulatorische T-Zelle (Tr) bezeichnet und findet sich in nur niedriger Zellzahl im peripheren Blut. Das Zytokinmuster entscheidet über das Resultat sowohl protektiver als auch pathologischer Immunantworten Das Wesen der Th1-/Th2-Dichotomie besteht darin, dass eine Aktivierung der Th1-Zellen die Eliminierung intra­ zellulärer Pathogene (z. B. Viren und Tuberkelbakterien) bewirkt und dieses durch eine Aktivierung zellulärer Me­ chanismen, woran sich z. B. Makrophagen oder zytotoxi­ sche T-Zellen beteiligen, bewerkstelligt wird. Verminderte Th1-Reaktionen haben daher eine Infektneigung oder eine Tumorneigung zur Folge. Überhöhte Th1-Reaktivität wird wiederum mit vielen or­ ganspezifischen Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht, so z. B. mit rheumatoider Arthritis, Typ-I-Diabe­ tes, Psoriasis und multipler Sklerose. Th2-Zellen induzieren dagegen humorale Immunantworten, besonders auch die Produktion von IgG4 und IgE, ferner aktivieren sie Eosino­ phile, woraus dann ein Angriff auf extrazelluläre lösliche Pathogene und z. B. auf gastrointestinale Nematoden resul­ tiert. Bei überschießender Th2-Reaktion kann es jedoch zu allergischen Reaktionen kommen. Ein insbesondere auch mit Blick auf therapeutisch nutzbare Immunmodulatoren wichtiger Punkt ist, dass die gebildeten Zytokine nicht nur das eigene Milieu amplifizieren, sondern auch die Ent­ wicklung des anderen Milieus unterdrücken. So hemmt die Ausschüttung der Th2-Zytokine IL-4 und IL-10 die Aus­ reifung zu Th1 und die Ausschüttung von IL-12 oder des Th1-Zytokins IFN-γ die Differenzierung der CD4+ Vor­ läufer-T-Helfer-Zelle zu Th2. Mitentscheidend, ob Th1- oder Th2-Zellen auch ins Ge­ webe übertreten können und dort mit den Störfaktoren interagieren können, ist ihre Ausstattung mit Chemokin­ rezeptoren, womit sie die von den entzündeten Stellen aus­ gehenden Chemokine wahrnehmen. Dabei wird der Che­ mokinrezeptor CCR5 von Th1-Zellen exprimiert, während CRTH2 bei den Th2-Zellen induziert wird. Im Gegensatz zu den Zytokinen, die sich in nur winzigen Mengen in unstimulierten Helfer-Zellen nachweisen lassen, ist diese Chemokinrezeptor-Expression auch in unstimuliertem Zu­ stand vorhanden. Ihre nach Stimulation langfristig aufrecht erhaltene Expression führt letztlich auch dazu, dass die Zel­ len bei einer erneuten antigenen Aktivierung der jeweiligen Typ-1- oder Typ-2-Reaktion folgen. Die unterschiedliche Ausprägung der Chemokinrezeptoren erlaubt daher, die im Grundzustand vorhandene Th1-/Th2-Balance zu messen und erweist sich als ein anamnestisch begründeter prädis­ ponierender Faktor für entweder Th1- oder Th2-Antworten. Tabelle 1: Klinische Korrelate von Th1/Th2-Dysbalancen verschoben zugunsten von Th1 verschoben zugunsten von Th2 Autoimmunkrankheiten wie rheumatoide Arthritis, Psoriasis, ­Hashimoto-Thyreoiditis, M. Basedow, multiple Sklerose, Typ I-Diabetes Autoimmunkrankheiten wie progressive systemische Sklerodermie, Wegenersche Granulomatose, Pemphigus, systemischer Lupus erythematodes (SLE, z. T. auch mit Th1-Hochregulation) M. Crohn, Uveitis Colitis ulcerosa Kontaktekzem Rhinitis, allergische Konjunktivitis, atopische Dermatitis, Asthma bronchiale Tumorerkrankungen chronische Hepatitis B und C, HIV-Infektion, Hefepilz-Mykosen, Chronic Fatigue Syndrome frühe Phase einer sich selbst limitierenden Virusinfektion Urämie (Nierenversagen), Operation /Anaesthesie Dieselstaubexposition, viele Umweltschadstoffe Seite 9 Juni 2009 | Labor Bayer aktuell menten war allerdings, dass die Urspungszellen durch wie­ derholte antigene Stimulationen, die in einem bestimmten Zellkulturmilieu stattfanden, geprägt und damit quasi end­ gültig polarisiert waren. Bei einer Erstauseinandersetzung mit einem Antigen ist es dennoch kaum vorhersehbar, in welchen Zytokintyp sich eine zunächst unbeteiligte HelferZelle entwickelt. Entscheidende Signale kommen sowohl von den antigen-präsentierenden Zellen als auch von kosti­ mulierenden Faktoren. Was wird gemessen? Th1-Zellen werden anhand des Leitzytokins IFN-γ nach­ gewiesen, während das Leitzytokin IL-4 eine Th2-Zelle ausweist. Nach Aktivierung von Lymphozyten aus einer Patienten-Blutprobe werden zunächst Th-Zellen durch Antikörper gegen den Oberflächenmarker CD4 markiert und nach Permeabilisierung der Zellen das intrazellulär­ in jeder Th-Zelle vorhandene oder nicht vorhandene IFN-γ und IL-4 mit den entsprechenden monoklonalen Antizy­ tokin-Antikörpern durchflusszytometrisch nachgewiesen. Die so gezählten Th1- und Th2-Zellen werden als Prozent­ sätze von Helfer-Zellen ausgegeben und die Th1 :Th2Ratio errechnet, um damit gegebenenfalls eine Dysbalance zwischen einer Th1- und Th2-Antwort festzustellen. Zu­ sätzlich erfolgt eine Bestimmung der Koexpression der Chemokin-Rezeptoren CCR5 und CRTH2 auf nicht-akti­ vierten Helfer-Zellen, was eine Abschätzung der Th1- bzw. Th2-Prädisposition ermöglicht. Programmierung der Th1- und Th2Differenzierung und Ansatzpunkte der Immunmodulation Klonierungsexperimente haben gezeigt, dass die Diffe­ renzierung in Th1- und Th2-Zellen bis zu einem gewissen Grad genetisch fixiert ist. Voraussetzung in den Experi­ Seite 10 Ob sich eine Th1- oder Th2-Reaktion entwickelt, ist je­ doch auch von anderen endogenen und exogenen Faktoren abhängig. Ein erster Hinweis darauf ist die Tatsache, dass Lymphozyten mit einer Vielzahl von Rezeptoren ausge­ stattet sind. So weiß man, dass Helfer-Zellen Rezeptoren für Hormone wie Östrogen und Progesteron, aber auch Melatonin aufweisen. Mehr noch, man weiß, dass die bei einer Schwangeren physiologisch einsetzende Änderung in der Produktion von Sexualhormonen langfristige Nach­ wirkungen auf das Kind hat und nicht nur dem initialen Zweck, dem Unterbleiben einer Abstoßung der Frucht, dient. Grundlage dafür ist, dass die Hormone eine Verschie­ bung der Immunität zugunsten von Th2 auch im kindlichen Organismus verursachen und so das Kind nach seiner Ge­ burt über mehrere Monate hinweg für allergische Reaktio­ nen prädisponieren. Vielfältig bekannt sind die immunsup­ pressiven Wirkungen des Stresshormons Cortison. Andere Produkte des Cholesterinstoffwechsels wie DHEA bewir­ ken dagegen eine Immunmodulation in Richtung Th1. Wir­ kungen sind zunehmend auch für Neuropeptide nachge­ wiesen, was in nächster Zeit wohl auch genauere Einblicke in das neuro-immunologische Netzwerk liefern wird. Unter den exogenen Einflussfaktoren zeigen besonders Umwelt­ schadstoffe wie Diesel, Feinstaub, Ozon, Asbest und eine Reihe von Metallen einen Einfluss auf die Th1/Th2-Polari­ sation, wobei sie in der Regel einen Shift in Richtung Th2 zur Folge haben. Dafür, dass auch neben der Art des Anti­ gens und der Antigenpräsentation auch die Antigenmenge und die Eintrittspforte des Antigens den Reaktionstyp be­ einflusst, sprechen folgende Beobachtungen: bei der Aller­ gieentstehung wird eher eine ganz niedrige oder eine ganz hohe Dosis des Allergens als eine mittlere Dosis eine Th2Reaktion provozieren und schließlich kann man durch orale Applikation von Antigenen, die in der Lunge eine destruie­ rende Entzündung über eine Th1-Reaktion auslösen, diese in eine (antiinflammatorische) Th2-Reaktion umlenken. Immunpathologie I. Krankheiten und Folgen einer zu schwachen Th1-Reaktivität Es ist sicherlich die vorrangigste Aufgabe unseres Immun­ systems, gegen unterschiedlichste Pathogene eine effek­ tive Gegenreaktion aufzubauen. Bei solchen Reaktionen spielen die Helfer-Zellen als Initiatoren, Regulatoren und ­Effektoren eine entscheidende Rolle. Entscheidend ist dabei insbesondere, dass sie nach Aktivierung ein maßge­ schneidertes Panel von Zytokinen freisetzen, das wiederum die „richtige“ Abwehrkaskade in Gang setzt. So ist zunächst eine Th1-Reaktion notwendig, um eine zellulär vermittelte, Labor Bayer aktuell | Juni 2009 hoch inflammatorische Reaktion einzuleiten, aber auch ein Umschalten in Richtung Th2, wenn diese Reaktion wieder abgeschaltet werden soll. Dass in diesem Gefüge Fehler­ auftreten können ist ebenso klar wie der Umstand, dass solche Fehler dann auch gravierende Folgen im Outcome eines Infekt-Patienten haben. Klinisch können sich diese in wiederkehrenden oder atypischen Infekten niederschlagen, obgleich weder die Bestimmung von humoralen Faktoren noch eine Phänotypisierung der Lymphozyten-Subpopu­ lationen, das heißt die Erstellung eines zellulären Immun­ profils, einen Immundefekt offenzulegen imstande sind. Andererseits kann bei einer Infektion eine sehr starke, aber nicht passende Immunantwort stattfinden. Ein Beispiel da­ für sind Patienten mit Hepatitis C-Virusinfektionen. Eine initiale starke Th1-Reaktion ist mit Entzündung und Ge­ websuntergang assoziiert, aber auch mit zeitlich begrenzter Erkrankung, d. h. Selbstheilung. Patienten mit chronischer Hepatitis C zeigen dagegen eine Th2-Polarisation. Behan­ delt man solche Patienten, zeigen diejenigen, die auf die Therapie ansprechen, eine Wiederumkehrung der Th1/Th2Relation in Richtung Th1. Mithin kann man den Erfolg der Therapie schon frühzeitig an der Entwicklung des Th2- zu Th1-Shifts erkennen. Des Weiteren kann das relative Vor­ herrschen von Th2-Zellen, nach neueren Erkenntnissen durch Abschalten der Th1-Zellen bedingt, bei HIV-Infek­ tionen für ein schnelles Fortschreiten der Erkrankung zum Vollbild AIDS verantwortlich sein. Auch nach multiplen schweren Verletzungen, bei Krebserkrankungen und bei Nierenversagen finden sich Verschiebungen zugunsten der Th2-Responsivität. II. Krankheiten und Folgen einer zu starken Th1-Reaktivität Für das Verständnis der Pathogenese autoimmuner Krank­ heiten ist es wichtig zu wissen, dass zum Teil auch hinter solchen Autoimmunkrankheiten, bei denen man Autoanti­ körper antrifft und diesen auch einen krankmachenden Stellenwert zuschreiben muss, eine Th1-vermittelte Immun­ reaktion stecken kann. Th1-Antworten finden sich bei Organ-spezifischen Autoimmunkrankheiten, so etwa bei rheumatoider Arthritis, Psoriasis, multipler Sklerose, Typ-IDiabetes, Hashimoto-Thyreoiditis, M. Basedow, aber auch M. Crohn, akuter Abstoßung von Fremdspenderorganen und unerklärlichen wiederholten Fehlgeburten. III. Krankheiten und Folgen einer zu starken Th2-Reaktivität Th2-vermittelt sind dagegen nahezu alle allergischen Symp­ tomenkomplexe. So z. B. die atopische Dermatitis, noch mehr sieht man einen Shift zugunsten von Th2-Zellen auch beim Asthma bronchiale, idiopathischer pulmonaler Fibro­ se und bei der progressiven systemischen Sklerodermie. Neben der Sklerodermie sind es auch systemische Auto­ immunkrankheiten wie die Wegenersche Granulomatose und der systemische Lupus erythematodes (SLE), bei denen die Th2-Aktivität dominiert, wenngleich beim SLE auch verstärkt sezernierte Th1-Zytokine vorgefunden werden. Welche therapeutischen Konsequenzen ­ziehen wir aus der Th1/Th2-Differenzierung? Die Möglichkeiten, die es gibt, um auf die Th1- /Th2Polarisierung einzuwirken, sind in der Tabelle 2 aufgelistet. Zunächst ist jedoch die Frage zu stellen, welche Art von immunologischer Veränderung man mit der Therapie be­ wirken will. So wird man bei einem Allergie-Patienten, der eine Verschiebung in Richtung Th2-Zellen zeigt, eine Umkehrung in Richtung Th1 bewirken wollen. Ähnliches gilt für den Patienten mit chronischer Hepatitis C-Infek­ tion oder für einen Tumorpatienten. Dagegen wird man bei Patienten mit autoimmunen Krankheiten und chro­ nischen Entzündungen, bei denen eine Verschiebung zugunsten von Th1-Zellen besteht, versuchen, deren pro­ inflammatorische Rolle abzubremsen, also einen Shift in Richtung Th2-Reaktivität hervorzurufen. Tabelle 2: Modulatoren der Th1-/Th2-Polarisierung Th1- Hochregulierer Th1-Herabregulierer Th2-Hochregulierer * Th2-Herabregulierer rekombinantes humanes IL-12, rh IFN-alpha Beta-Interferone, rh IL-10 Vitamin E Zink, Vitamin B6, Glutathion Vitamin D Melatonin Curcumin CpG- Oligonukleotide Anti-TNF- α- Rezeptor Quercetin Pilzextrakte: Coriolus versicolor und Cordyceps sinensis Polypodium Isoflavone Probiotika, Cox-Inhibitoren, z. B. ASS Phosphodiesterase – 4- und – 3-Inhibitoren Probiotika Statine (β -HMG-CoA -Reduktase-Hemmer, Atorvastatin) moderater Ausdauersport Leistungssport * Eine Herabregulation von Th1-Zellen führt in der Regel, aber nicht immer, zu höheren Th2-Zellen Seite 11 Juni 2009 | Labor Bayer aktuell Rationeller Einsatz der Mistel in der begleitenden Krebstherapie: Misteltherapie zur Immunmodulation, wann und wann nicht? Inhaltsstoffe und Wirkungsweisen Positive Indikationen In biologischen Systemen wirkt das Mistelextrakt zytotoxisch und immunmodulierend. Die immunmodulierende Wirkung des Mistelextraktes kommt im Niedrigdosisbereich zum Tragen und reflektiert in erster Linie die Wirkung der Mistellektine. Einige Präpa­ rate (Eurixor, Lektinol) sind auf das Hauptlektin ML-1 stan­ dardisiert, wobei der Niedrigdosisbereich bei diesen bei etwa 0,2 bis 1 ng ML-1 pro Kilogramm Körpergewicht liegt. Bei anderen Präparaten wird die Dosis auf den Gesamtlektin­ gehalt eingestellt, die Anwendung richtet sich dann nach den Angaben des Herstellers. Für das Lektin ML-1 liegen die meisten immunologischen Untersuchungen vor. Es bewirkt demnach eine Aktivierung der Lymphozyten, eine erhöhte Freisetzung von T-Zell-Zytokinen und von TNF-β, eine Erhöhung von Zahl und Aktivität der Natürlichen KillerZellen (NK-Zellen) sowie eine Steigerung der Phagozytose­ aktivität der Granulozyten. Ziele und Unwägbarkeiten der Immun­ stimulation mit Mistelpräparaten Im Rahmen adjuvanter Krebstherapien will man mit der Verabreichung von niedrig dosiertem Mistelextrakt errei­ chen, dass eine Immunreaktion gegen Krebszellen erleich­ tert und verstärkt wird. Das Paradigma ist damit sowohl die Absenkung der Schwelle der lymphozytären Aktivierung (d. h. das Immunsystem empfindlicher zu machen) als auch eine Steigerung der Reaktion auf der Effektor-Zellebene. Die pleiotrope Wirkungsweise macht die Mistel jedoch zu einem weitgehend unspezifischen Immunstimulanz. Es muss daher vorab geprüft werden, ob der individuelle Zu­ stand des Immunsystems eines Patienten für eine solche Therapie geeignet ist – oder umgekehrt ein hohes Risiko ­einer nicht erwünschten Wirkung in sich birgt: ein etab­ liertes Testverfahren für diese Fragestellungen ist die Erhe­ bung eines zellulären Immunstatus. Im zellulären Immunstatus ist ein quantitativer Mangel von NK-Zellen sowie eine niedrige Aktivierung von T-Lym­ phozyten und von Killer-Zellen ein Indikator dafür, dass eine Misteltherapie zur Behandlung oder Nachbehandlung eines Krebspatienten sinnvoll sein könnte. Moderate Erhö­ hungen der aktivierten T-Zellen (11 bis 15 % der Lympho­ zyten bei einem Aktivierungsgrad von weniger als 0,20) stellen kein Hindernis dar. Cave: andere Therapien könnten Vorrang haben Erweist sich jedoch in einem Immunstatus eines Krebspa­ tienten, dass es bei ihm schon zu einer Erhöhung von Sup­ pressor-Zellen gekommen ist und die CD4:CD8-Ratio niedriger als 0,7 ist, riskiert man mit der Gabe eines Mistel­ präparates eine Verstärkung der Suppression (in solchen Fällen kann zunächst die Gabe von Thymuspeptiden in Be­ tracht kommen, um die Immunregulation auszugleichen). Negative Indikationen Gänzlich abzuraten von der Gabe eines Mistelextraktes ist dann, wenn man im prätherapeutisch erhobenen zellulären Immunstatus eine massive Disproportion von aktivierten T-Zellen und Gesamt-T-Zellen im Sinne eines sehr hohen Aktivierungsgrades (> 0,30) bei niedriger oder verminderter T-Zellzahl (< 700 Zellen/µl) antrifft. Eine solche Verände­ rung signalisiert eine bevorstehende oder bereits etablierte Überstimulation, d. h. einen Zustand des Immunsystems, bei dem Aktivierungsvorgänge die Apoptose (= Zelltod) der TZellen nach sich ziehen. Unter der Einwirkung der Mistel ist dann, wie wir in jahrelanger Beobachtung erfahren haben, ein noch stärkerer Verlust der T-Zellen zu erwarten. Zweckmäßigkeit Hohe quantitative Werte (aber nicht massiv erhöhte Werte) von NK-Zellen schließen den Einsatz der Mistel nicht aus, und dieses insbesondere dann nicht, wenn die Fraktion der aktivierten Killer-Zellen niedrig ist. Bei hohem bzw. erhöh­ ten Aktivierungsgrad des Killer-Zellsystems ist jedoch die Zweckmäßigkeit der Therapie an sich infrage zu stellen (was soll noch aktiviert werden?). Zweckmäßigkeit Indikator 1 Indikator 2 Gegenindikator 1 Gegenindikator 2 ja NK-Zellzahl niedrig oder normal Killer-Zell-Aktivierung niedrig T-Zellzahl im Normbereich T-Zell-Aktivierungsindex ≤ 20% bedingt NK-Zellzahl hoch Killer-Zell-Aktivierung niedrig T-Zellzahl grenzwertig oder zu niedrig nein NK-Zellzahl niedrig Killer-Zell-Aktivierung hoch T-Zellzahl vermindert Seite 12 T-Zell-Aktivierungsindex > 30% Gestaltung: www.himbeerrot-design.de Extrakte der Mistel enthalten viele biologisch aktive Stoffe, vor allem die Mistellektine I, II, und III, aber auch Visco­ toxine, Enzyme, schwefelreiche Verbindungen, Fette, Fla­ vonoide sowie verschiedene Proteine, Peptide, Oligo- und Polysaccharide.