Eawag News 66d: Nonylphenole: Abbau und

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Forschungsberichte
Aktuelle
Forschung
Nonylphenole: Abbau
und Östrogenität
Frédéric Gabriel, Chemiker und Wissenschaftler in der
Gruppe Umweltbiochemie, und Hans-Peter Kohler, Biochemiker und Leiter der Gruppe Umweltbiochemie in der
Abteilung Umweltmikrobiologie.
Die hormonaktiven Nonylphenole kommen immer als Mix aus verschiedenen Isomeren
vor. Neue Resultate zeigen nun, dass Bakterien die Isomere unterschiedlich gut abbauen,
wobei sich das östrogene Risiko der Mischung sogar noch verstärken kann.
sich im Verzweigungsmuster und der Position der Alkylkette
unterscheiden (Abb. 1A). Etwa 85 % der Isomere im technischen
Gemisch sind 4-Nonylphenole, d. h. die Alkylkette befindet sich
in Position 4 – sie liegt der OH-Gruppe im Phenolring gegenüber. Obwohl es eine Fülle wissenschaftlicher Publikationen
zur Kontaminierung verschiedenster Umweltkompartimente mit
Nonylphenol gibt, weiss man wenig über die Veränderung der
Isomeren-Zusammensetzung im Verlauf des Abbauprozesses.
Aus diesem Grund führten wir Abbauexperimente durch mit
dem Nonylphenol-degradierenden Bakterium Sphingobium xeno­
phagum Bayram (siehe Kasten «Mikrobieller Abbau von Nonylphenolen») [1– 4]. Da die östrogene Wirkung (siehe Kasten
­«Östrogenaktivität der Nonylphenole» auf S. 30) der einzelnen
Nonylphenol-Isomere vom Verzweigungsmuster der Alkylgruppe
abzuhängen scheint, überprüften wir zudem in Zusammenarbeit
mit der Arbeitsgruppe von Prof. Sumpter in England eine Reihe
reiner Nonylphenol-Isomere mit einem Östrogenitätstest [1].
Nonylphenole sind sehr toxische und in den Hormonhaushalt
eingreifende Umweltschadstoffe. Bereits seit den 1980er-Jahren
untersucht die Eawag das Verhalten dieser Stoffe in Kläranlagen
und in der aquatischen Umwelt. Das im grossen Massstab aus
Phenol und Propylentrimer erzeugte «technische Nonylphenol»
wird zum überwiegenden Teil für die Produktion von NonylphenolPolyethoxylaten verwendet, einer wichtigen Gruppe nichtionischer Tenside. Die Nonylphenol-Problematik ist ein Paradebeispiel
dafür, wie in der Umwelt aus relativ harmlosen anthropogenen
Ausgangsstoffen toxische Verbindungen entstehen können. Denn
die relativ unbedenklichen Nonylphenol-Polyethoxylate gelangen
mit dem Abwasser in die Kläranlage, wo Mikroorganismen durch
schrittweisen Abbau der Polyethoxylat-Kette das für die TensidProduktion eingesetzte Nonylphenol wieder freisetzen. Die Verwendung von Nonylphenol und dessen Ethoxylaten ist in der
EU und der Schweiz seit einigen Jahren gesetzlich stark eingeschränkt. In den USA und den meisten anderen Ländern bestehen
jedoch bis anhin keine Limitierungen.
Technisches Nonylphenol ist aufgrund seines Herstellungsverfahrens eine komplexe Mischung aus über 100 Isomeren, die
Mikrobieller Abbau von Nonylphenol-Mischungen. In Abbauexperimenten boten wir S. xenophagum Bayram technisches
Mikrobieller Abbau von Nonylphenolen
Aus Belebtschlamm von Kläranlagen wurden in den letzten Jahren einige zur Gruppe der Sphingomonaden gehörende
Bakterien isoliert, die Nonylphenol abbauen und es als Kohlenstoff- und Energiequelle verwerten können. Erstaunlicherweise verwenden die auf verschiedenen Kontinenten isolierten Stämme alle den gleichen, neuartigen Abbaumechanismus: Die gesamte Seitenkette wird vom Ring abgespalten und erscheint als das entsprechende Alkohol-Derivat im
­N ährmedium. Für den Abbau von Nonylphenol durch Sphingobium xenophagum Bayram, einem an der Eawag aus
­Belebtschlamm der Kläranlage Kloten-Opfikon isolierten Bakterium [2], haben wir einen ipso -Substitutionsmechanismus
vorgeschlagen [3, 4]. Die in Belgien, Japan und den USA isolierten Stämme scheinen nach dem gleichen Mechanismus
zu arbeiten (siehe Referenzen in [1]).
Phenolring
ipso-Position
Alkylkette


OH

O H A
ipsoHydroxylierung

O H
Abspaltung der
-quaternären
Alkylgruppe als
Kation
Rearomatisierung
OH
OH
H
O H
Reaktion des
Alkylkations
mit einem
Wassermolekül
OH
+
Abbau von a-quaternären Nonylphenolen mittels ipso -Substitution durch Sphingobium xenophagum Bayram. Die in
Klammern gesetzten Zwischenprodukte sind instabil.
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Eawag News 66d/April 2009
NP 35 NP 37
NP 9 NP111 NP 65 NP110
a+b
*
*
OH
OH
OH
E2
0,278 µM
x 85
23,7 µM
NP93
HO
HO
NP70
HO
techn. NP
HO
NP170
EC50 von E2: 1,737
NP1
HO
NP10
HO
HO
NP2
0,520 µM
0,5
10 –12
10 –9
10 –6
10 – 3
Molare Konzentration
Abb. 2: Östrogene Aktivität (Mittelwerte und Standardabweichungen aus zwei
Messungen) einzelner Nonylphenol-Isomere und des weiblichen Geschlechtshormons 17-b-Östradiol in Abhängigkeit der Konzentration, ermittelt mit dem
«Yeast Estrogen Test» (YES). Hier nicht aufgeführte Strukturformeln siehe
Abb. 1.
0
B 100
Relative Stoffmenge
1,5
E2
NP93
NP70
techn. NP
NP111
NP152
NP112
NP170
NP194
NP10
NP65
NP2
NP9
NP1
OH
Leerproben
NP110 b
NP110 a
NP193 b
NP152
20
2,5
*
NP 35
OH
NP119
NP193 a
NP143
40
NP128
60
NP194
80
OH
NP 65, NP 9
OH
NP112
4-tert-Octylphenol
A 100
Relative Stoffmenge
OH
NP 37, NP111 a
OH
NP111 b
OH
NP 36
OH
NP 38
OH
*
x 1690
0,164 nM
a+b
Zunehmende Östrogenaktivität
NP112
Absorption (540 nm)
NP128 NP119 NP 38 NP 36
80
60
40
20
0
28
Zeit (Minuten)
leicht
abbaubar
33
34
35
36
NP194
37
NP152
38
39
NP143
40
NP193
a+b
*
schwer
abbaubar
OH
OH
OH
*
OH
Abb. 1: «Alterung» von technischem Nonylphenol als Folge des Abbaus durch
Sphingobium xenophagum Bayram. Die dargestellten GaschromatographieMassenspektrometrie-Spuren (TIC = «total ion current») entsprechen der
­N onylphenol-Mischung am Start des Experiments (A) bzw. nach 9 Tagen Inkubation (B). Stoffmengen müssen jeweils in Relation zum internen Standard
(4-tert-Octylphenol) gesetzt werden.
Nonylphenol als einzige Kohlenstoff- und Energiequelle an. Innerhalb von 9 Tagen wandelten die Bakterien etwa 86 % des 4-Nonylphenols um. Je nach Struktur der Alkylkette war der Abbau
jedoch mehr oder weniger vollständig. Generell waren Isomere
mit raumbeanspruchenden Gruppen in a-Position der Alkylkette
schlechter abbaubar, sie reicherten sich in der entstehenden
Mischung an (vergleiche Abb. 1A und B). Das ist wahrscheinlich
darauf zurückzuführen, dass die verzweigten Alkylketten dieser
Nonylphenol-Isomere den ipso -Abbau (siehe Kasten «Mikrobieller
Abbau von Nonylphenolen») sterisch hindern. Aus Experimenten
mit definierten Mischungen einzelner Isomere ging zudem hervor,
dass auch eine zu lange Alkylkette den ipso -Abbau erschwert.
Eine Anreicherung von Nonylphenol-Isomeren mit raumbeanspruchenden Gruppen in a-Position war bereits in Wasserproben
verschiedener Zuflüsse der Bucht von Tokyo sowie in Kompost­
anlagen gefunden worden (siehe Referenzen in [1]). Möglicherweise ist der von uns postulierte ipso -Abbaumechanismus für
die Entstehung solch charakteristischer Nonylphenol-Muster entscheidend. Wir vermuten ausserdem, dass die Isomeren-Zusammensetzung vom Grad der «Alterung» der Nonylphenol-Mischung
und vom vorherrschenden Alterungsprozess (z. B. mikrobiologischer Abbau oder photochemische Zersetzung) abhängt. Dort,
wo der Alterungsprozess kaum zwischen den einzelnen Isomeren
unterscheidet oder wo überhaupt keine Umwandlung stattfindet,
beispielsweise weil sich die Nonylphenole durch Adsorption an
Feststoffe dem Abbau entziehen, wird die Zusammensetzung
der Nonylphenol-Mischung derjenigen des ursprünglichen technischen Gemischs sehr ähneln. Dies könnte erklären, warum bei
manchen Sedimenten keine Änderung des Nonylphenol-Musters
beobachtet wurde.
Östrogenität von Nonylphenol-Isomeren. Dass die Östrogenität der Nonylphenol-Isomere von der Struktur des Alkylrests
abhängt, wurde bisher durch drei Studien belegt. Die Gesetzmässigkeiten, die dieser Beziehung zugrunde liegen, sind jedoch
noch nicht vollständig geklärt. Aufgrund der bisher erarbeiteten
Resultate ist aber zu erwarten, dass Nonylphenol-Mischungen
mit unterschiedlicher Isomerenzusammensetzung verschieden
stark wirken. Diese Folgerung ist für die Risikoabschätzung von
Umweltschadstoffen relevant, da das Isomerenverteilungsmuster
von Nonylphenol in manchen biologischen Systemen deutlich von
demjenigen des technischen Gemischs abweicht.
Abbildung 2 zeigt die östrogene Aktivität von 12 verschiedenen Nonylphenol-Isomeren im Hefetest («Yeast Estrogen Assay»
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Aktuelle Forschung
Östrogenaktivität der Nonylphenole
Wegen der Strukturverwandtschaft mit dem weib­
lichen Geschlechtshormon 17-b-Östradiol können
Nonylphenole eine hormonelle, östrogene Aktivität
auf viele Wirbeltiere ausüben. In den 1990er-­
Jahren standen in Grossbritannien Nonylphenole
im Verdacht, bei der Verweiblichung von Fischen
in stark kontaminierten Flüssen beteiligt zu sein:
Männliche Jungfische, die stromabwärts von Kläranlageneinleitungen lebten, hatten abnormal kleine
Hoden, und sie produzierten Vitellogenin, ein Eidotter-Protein, das normalerweise nur in Weibchen
vorkommt.
YES ) als Funktion der Konzentration. Im Allgemeinen erreichten
die untersuchten Isomere die gleiche maximale Aktivität wie
das weibliche Geschlechtshormon 17-b-Östradiol, jedoch waren
dazu zwischen 1700- bis 140 000-fach höhere Konzentrationen
erforderlich. Der EC 20 -Wert von technischem Nonylphenol – das
ist die Konzentration, die im YES -Test 20 % der maximalen
17-b-Östradiol-Antwort bewirkt – liegt mit ca. 61 µg/l in der Grössenordnung der gelösten Nonylphenol-Konzentrationen, die Mitte
der 1990er-Jahre tatsächlich in stark verschmutzten Flusspartien
Grossbritanniens gemessen wurden (24 – 53 µg/l). Eine Pionier­
studie nimmt an, dass eine starke Verzweigung am a-Kohlenstoff
der Alkylkette ein wichtiges Strukturmerkmal stark östrogen
aktiver Nonylphenol-Isomere sein könnte. In unseren Versuchen
waren allerdings die Isomere NP93 und NP70 besonders aktiv. Beide tragen einen Alkylsubstitutenten in b-Stellung und eine Hauptkette mit 5 respektive 6 Kohlenstoffatomen. Isomere mit einer
ähnlich langen Seitenkette (4 – 6 Kohlenstoffatome) aber ohne
b-Substituent (z. B. NP65 ) und solche mit b-Substituenten, aber
einer längeren Seitenkette (NP10 ), sind weniger potent, selbst
wenn sie einen quaternären a-Kohlenstoff tragen (a-Kohlenstoffatom, das mit 4 Kohlenstoffatomen verbunden ist). Wir kommen
deswegen – wie auch eine japanische Forschungsgruppe – zum
Schluss, dass nicht a-, sondern b-Substitution zusammen mit
einer optimalen Länge der Hauptkette entscheidend für eine
­starke östrogene Aktivität von Nonylphenol-Isomeren sind [1].
Fehlen beide aktivitätsfördernden Strukturmerkmale, so zeigen
Isomere eine eher schwache östrogene Aktivität. Aufgrund ihrer
Struktur könnten die bisher nicht getesteten, aber schwer abbaubaren Isomere NP193a und NP193b deshalb stark östrogenaktiv
sein.
Um den östrogenen Effekt zu entfalten, muss die Wirksubstanz mit einem räumlich entsprechenden Hohlraum im Proteinrezeptor interagieren (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Dabei ist
insbesondere die Struktur des 17-b-Östradiols gut auf die Proteinrezeptor-Bindungsstelle abgestimmt. Trotzdem bleiben im
Hormon-Rezeptor-Komplex grosse Kavitäten angrenzend an zwei
Positionen des Liganden unausgefüllt. Das gilt auch dann, wenn
Nonylphenole an den Rezeptor binden. Diese Kavitäten können
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Eawag News 66d/April 2009
weitere Gruppen eines Liganden (z. B. geeignet geformte b-Substituenten bestimmter Nonylphenole) aufnehmen, wodurch die
Stabilität des Ligand-Rezeptor-Komplexes und damit der östro­
gene Effekt erhöht werden kann.
Einfluss des mikrobiellen Abbaus auf die östrogene Aktivität. Von den 18 Hauptisomeren, die im technischen Nonylphenol
vorkommen, sind bislang nur 11 Isomere synthetisiert und auf ihre
östrogene Aktivität hin geprüft worden. Erstaunlicherweise waren
die untersuchten Isomere alle weniger potent als das technische
Gemisch. Falls der Grund dafür kein synergistischer Effekt ist
(d. h. wenn das Ganze der Summe aller Teile entspricht), bedeutet
dies, dass entweder einige nicht untersuchte Hauptkomponenten
eine wenigstens leicht stärkere Wirkung als das technische Gemisch haben, oder dass gewisse Nebenkomponenten hoch aktiv
sind. Zum Beispiel müsste geprüft werden, ob so potente Isomere
wie NP167, das, wie es scheint, 153-mal aktiver ist als technisches
Nonylphenol, als Nebenkomponenten im technischen Gemisch
enthalten sind. Offensichtlich würde es nur geringe Mengen einer
solchen Verbindung im technischen Nonylphenol benötigen, um
für deren östrogene Potenz aufzukommen.
In der einen oder anderen Weise beeinflusst ein isomeren­
spezifischer Abbau sicherlich die endokrine Aktivität von Nonylphenol-Mischungen. Falls sich herausstellen sollte, dass schwer
abbaubare Isomere wie NP193a und NP193b tatsächlich hoch wirksam sind, besteht ein signifikantes Risiko, dass der mikrobielle
Abbau durch ipso -Substitution die östrogene Potenz von Nonylphenol-Mischungen verstärkt [1]. Ein aussagekräftiges Monitoring – wie die EU es für Nonylphenole vorschreibt – ist daher nur
möglich, wenn die einzelnen Isomere gemessen werden. i i i
[1] Gabriel F.L.P., Routledge E.J., Heidlberger A., Rentsch D.,
Guenther K., Giger W., Sumpter J.P., Kohler H.-P.E.
(2008): Isomer-specific degradation and endocrine disrupting activity of nonylphenols. Environmental Science
& Technology 42, 6399– 6408.
[2] Gabriel F.L.P., Giger W., Guenther K., Kohler H.-P.E.
(2005): Differential degradation of Nonylphenol isomers
by Sphingomonas xenophaga Bayram. Applied Environmental Microbiology 71, 1123–1129.
[3] Gabriel F.L.P., Heidlberger A., Rentsch D., Giger W.,
Guenther K., Kohler H.-P.E. (2005): A novel metabolic
pathway for degradation of 4-nonylphenol environmental
contaminants by Sphingomonas xenophaga Bayram.
ipso -Hydroxylation and intramolecular rearrangement.
Journal of Biological Chemistry 280, 15 526–15 533.
[4] Gabriel F.L.P., Cyris M., Jonkers N., Giger W., Guenter K.,
Kohler H.-P.E. (2007): Elucidation of the ipso -substitution
mechanism for side chain cleavage of a-quaternary
­4 -nonylphenols and 4-t-butoxyphenol in Sphingobium
xenophagum Bayram. Applied Environmental Micro­
biology 73, 3320–3326.
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