Forschungsberichte Aktuelle Forschung Nonylphenole: Abbau und Östrogenität Frédéric Gabriel, Chemiker und Wissenschaftler in der Gruppe Umweltbiochemie, und Hans-Peter Kohler, Biochemiker und Leiter der Gruppe Umweltbiochemie in der Abteilung Umweltmikrobiologie. Die hormonaktiven Nonylphenole kommen immer als Mix aus verschiedenen Isomeren vor. Neue Resultate zeigen nun, dass Bakterien die Isomere unterschiedlich gut abbauen, wobei sich das östrogene Risiko der Mischung sogar noch verstärken kann. sich im Verzweigungsmuster und der Position der Alkylkette unterscheiden (Abb. 1A). Etwa 85 % der Isomere im technischen Gemisch sind 4-Nonylphenole, d. h. die Alkylkette befindet sich in Position 4 – sie liegt der OH-Gruppe im Phenolring gegenüber. Obwohl es eine Fülle wissenschaftlicher Publikationen zur Kontaminierung verschiedenster Umweltkompartimente mit Nonylphenol gibt, weiss man wenig über die Veränderung der Isomeren-Zusammensetzung im Verlauf des Abbauprozesses. Aus diesem Grund führten wir Abbauexperimente durch mit dem Nonylphenol-degradierenden Bakterium Sphingobium xeno­ phagum Bayram (siehe Kasten «Mikrobieller Abbau von Nonylphenolen») [1– 4]. Da die östrogene Wirkung (siehe Kasten ­«Östrogenaktivität der Nonylphenole» auf S. 30) der einzelnen Nonylphenol-Isomere vom Verzweigungsmuster der Alkylgruppe abzuhängen scheint, überprüften wir zudem in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Sumpter in England eine Reihe reiner Nonylphenol-Isomere mit einem Östrogenitätstest [1]. Nonylphenole sind sehr toxische und in den Hormonhaushalt eingreifende Umweltschadstoffe. Bereits seit den 1980er-Jahren untersucht die Eawag das Verhalten dieser Stoffe in Kläranlagen und in der aquatischen Umwelt. Das im grossen Massstab aus Phenol und Propylentrimer erzeugte «technische Nonylphenol» wird zum überwiegenden Teil für die Produktion von NonylphenolPolyethoxylaten verwendet, einer wichtigen Gruppe nichtionischer Tenside. Die Nonylphenol-Problematik ist ein Paradebeispiel dafür, wie in der Umwelt aus relativ harmlosen anthropogenen Ausgangsstoffen toxische Verbindungen entstehen können. Denn die relativ unbedenklichen Nonylphenol-Polyethoxylate gelangen mit dem Abwasser in die Kläranlage, wo Mikroorganismen durch schrittweisen Abbau der Polyethoxylat-Kette das für die TensidProduktion eingesetzte Nonylphenol wieder freisetzen. Die Verwendung von Nonylphenol und dessen Ethoxylaten ist in der EU und der Schweiz seit einigen Jahren gesetzlich stark eingeschränkt. In den USA und den meisten anderen Ländern bestehen jedoch bis anhin keine Limitierungen. Technisches Nonylphenol ist aufgrund seines Herstellungsverfahrens eine komplexe Mischung aus über 100 Isomeren, die Mikrobieller Abbau von Nonylphenol-Mischungen. In Abbauexperimenten boten wir S. xenophagum Bayram technisches Mikrobieller Abbau von Nonylphenolen Aus Belebtschlamm von Kläranlagen wurden in den letzten Jahren einige zur Gruppe der Sphingomonaden gehörende Bakterien isoliert, die Nonylphenol abbauen und es als Kohlenstoff- und Energiequelle verwerten können. Erstaunlicherweise verwenden die auf verschiedenen Kontinenten isolierten Stämme alle den gleichen, neuartigen Abbaumechanismus: Die gesamte Seitenkette wird vom Ring abgespalten und erscheint als das entsprechende Alkohol-Derivat im ­N ährmedium. Für den Abbau von Nonylphenol durch Sphingobium xenophagum Bayram, einem an der Eawag aus ­Belebtschlamm der Kläranlage Kloten-Opfikon isolierten Bakterium [2], haben wir einen ipso -Substitutionsmechanismus vorgeschlagen [3, 4]. Die in Belgien, Japan und den USA isolierten Stämme scheinen nach dem gleichen Mechanismus zu arbeiten (siehe Referenzen in [1]). Phenolring ipso-Position Alkylkette OH O H A ipsoHydroxylierung O H Abspaltung der -quaternären Alkylgruppe als Kation Rearomatisierung OH OH H O H Reaktion des Alkylkations mit einem Wassermolekül OH + Abbau von a-quaternären Nonylphenolen mittels ipso -Substitution durch Sphingobium xenophagum Bayram. Die in Klammern gesetzten Zwischenprodukte sind instabil. 28 Eawag News 66d/April 2009 NP 35 NP 37 NP 9 NP111 NP 65 NP110 a+b * * OH OH OH E2 0,278 µM x 85 23,7 µM NP93 HO HO NP70 HO techn. NP HO NP170 EC50 von E2: 1,737 NP1 HO NP10 HO HO NP2 0,520 µM 0,5 10 –12 10 –9 10 –6 10 – 3 Molare Konzentration Abb. 2: Östrogene Aktivität (Mittelwerte und Standardabweichungen aus zwei Messungen) einzelner Nonylphenol-Isomere und des weiblichen Geschlechtshormons 17-b-Östradiol in Abhängigkeit der Konzentration, ermittelt mit dem «Yeast Estrogen Test» (YES). Hier nicht aufgeführte Strukturformeln siehe Abb. 1. 0 B 100 Relative Stoffmenge 1,5 E2 NP93 NP70 techn. NP NP111 NP152 NP112 NP170 NP194 NP10 NP65 NP2 NP9 NP1 OH Leerproben NP110 b NP110 a NP193 b NP152 20 2,5 * NP 35 OH NP119 NP193 a NP143 40 NP128 60 NP194 80 OH NP 65, NP 9 OH NP112 4-tert-Octylphenol A 100 Relative Stoffmenge OH NP 37, NP111 a OH NP111 b OH NP 36 OH NP 38 OH * x 1690 0,164 nM a+b Zunehmende Östrogenaktivität NP112 Absorption (540 nm) NP128 NP119 NP 38 NP 36 80 60 40 20 0 28 Zeit (Minuten) leicht abbaubar 33 34 35 36 NP194 37 NP152 38 39 NP143 40 NP193 a+b * schwer abbaubar OH OH OH * OH Abb. 1: «Alterung» von technischem Nonylphenol als Folge des Abbaus durch Sphingobium xenophagum Bayram. Die dargestellten GaschromatographieMassenspektrometrie-Spuren (TIC = «total ion current») entsprechen der ­N onylphenol-Mischung am Start des Experiments (A) bzw. nach 9 Tagen Inkubation (B). Stoffmengen müssen jeweils in Relation zum internen Standard (4-tert-Octylphenol) gesetzt werden. Nonylphenol als einzige Kohlenstoff- und Energiequelle an. Innerhalb von 9 Tagen wandelten die Bakterien etwa 86 % des 4-Nonylphenols um. Je nach Struktur der Alkylkette war der Abbau jedoch mehr oder weniger vollständig. Generell waren Isomere mit raumbeanspruchenden Gruppen in a-Position der Alkylkette schlechter abbaubar, sie reicherten sich in der entstehenden Mischung an (vergleiche Abb. 1A und B). Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die verzweigten Alkylketten dieser Nonylphenol-Isomere den ipso -Abbau (siehe Kasten «Mikrobieller Abbau von Nonylphenolen») sterisch hindern. Aus Experimenten mit definierten Mischungen einzelner Isomere ging zudem hervor, dass auch eine zu lange Alkylkette den ipso -Abbau erschwert. Eine Anreicherung von Nonylphenol-Isomeren mit raumbeanspruchenden Gruppen in a-Position war bereits in Wasserproben verschiedener Zuflüsse der Bucht von Tokyo sowie in Kompost­ anlagen gefunden worden (siehe Referenzen in [1]). Möglicherweise ist der von uns postulierte ipso -Abbaumechanismus für die Entstehung solch charakteristischer Nonylphenol-Muster entscheidend. Wir vermuten ausserdem, dass die Isomeren-Zusammensetzung vom Grad der «Alterung» der Nonylphenol-Mischung und vom vorherrschenden Alterungsprozess (z. B. mikrobiologischer Abbau oder photochemische Zersetzung) abhängt. Dort, wo der Alterungsprozess kaum zwischen den einzelnen Isomeren unterscheidet oder wo überhaupt keine Umwandlung stattfindet, beispielsweise weil sich die Nonylphenole durch Adsorption an Feststoffe dem Abbau entziehen, wird die Zusammensetzung der Nonylphenol-Mischung derjenigen des ursprünglichen technischen Gemischs sehr ähneln. Dies könnte erklären, warum bei manchen Sedimenten keine Änderung des Nonylphenol-Musters beobachtet wurde. Östrogenität von Nonylphenol-Isomeren. Dass die Östrogenität der Nonylphenol-Isomere von der Struktur des Alkylrests abhängt, wurde bisher durch drei Studien belegt. Die Gesetzmässigkeiten, die dieser Beziehung zugrunde liegen, sind jedoch noch nicht vollständig geklärt. Aufgrund der bisher erarbeiteten Resultate ist aber zu erwarten, dass Nonylphenol-Mischungen mit unterschiedlicher Isomerenzusammensetzung verschieden stark wirken. Diese Folgerung ist für die Risikoabschätzung von Umweltschadstoffen relevant, da das Isomerenverteilungsmuster von Nonylphenol in manchen biologischen Systemen deutlich von demjenigen des technischen Gemischs abweicht. Abbildung 2 zeigt die östrogene Aktivität von 12 verschiedenen Nonylphenol-Isomeren im Hefetest («Yeast Estrogen Assay» Eawag News 66d/April 2009 29 Aktuelle Forschung Östrogenaktivität der Nonylphenole Wegen der Strukturverwandtschaft mit dem weib­ lichen Geschlechtshormon 17-b-Östradiol können Nonylphenole eine hormonelle, östrogene Aktivität auf viele Wirbeltiere ausüben. In den 1990er-­ Jahren standen in Grossbritannien Nonylphenole im Verdacht, bei der Verweiblichung von Fischen in stark kontaminierten Flüssen beteiligt zu sein: Männliche Jungfische, die stromabwärts von Kläranlageneinleitungen lebten, hatten abnormal kleine Hoden, und sie produzierten Vitellogenin, ein Eidotter-Protein, das normalerweise nur in Weibchen vorkommt. YES ) als Funktion der Konzentration. Im Allgemeinen erreichten die untersuchten Isomere die gleiche maximale Aktivität wie das weibliche Geschlechtshormon 17-b-Östradiol, jedoch waren dazu zwischen 1700- bis 140 000-fach höhere Konzentrationen erforderlich. Der EC 20 -Wert von technischem Nonylphenol – das ist die Konzentration, die im YES -Test 20 % der maximalen 17-b-Östradiol-Antwort bewirkt – liegt mit ca. 61 µg/l in der Grössenordnung der gelösten Nonylphenol-Konzentrationen, die Mitte der 1990er-Jahre tatsächlich in stark verschmutzten Flusspartien Grossbritanniens gemessen wurden (24 – 53 µg/l). Eine Pionier­ studie nimmt an, dass eine starke Verzweigung am a-Kohlenstoff der Alkylkette ein wichtiges Strukturmerkmal stark östrogen aktiver Nonylphenol-Isomere sein könnte. In unseren Versuchen waren allerdings die Isomere NP93 und NP70 besonders aktiv. Beide tragen einen Alkylsubstitutenten in b-Stellung und eine Hauptkette mit 5 respektive 6 Kohlenstoffatomen. Isomere mit einer ähnlich langen Seitenkette (4 – 6 Kohlenstoffatome) aber ohne b-Substituent (z. B. NP65 ) und solche mit b-Substituenten, aber einer längeren Seitenkette (NP10 ), sind weniger potent, selbst wenn sie einen quaternären a-Kohlenstoff tragen (a-Kohlenstoffatom, das mit 4 Kohlenstoffatomen verbunden ist). Wir kommen deswegen – wie auch eine japanische Forschungsgruppe – zum Schluss, dass nicht a-, sondern b-Substitution zusammen mit einer optimalen Länge der Hauptkette entscheidend für eine ­starke östrogene Aktivität von Nonylphenol-Isomeren sind [1]. Fehlen beide aktivitätsfördernden Strukturmerkmale, so zeigen Isomere eine eher schwache östrogene Aktivität. Aufgrund ihrer Struktur könnten die bisher nicht getesteten, aber schwer abbaubaren Isomere NP193a und NP193b deshalb stark östrogenaktiv sein. Um den östrogenen Effekt zu entfalten, muss die Wirksubstanz mit einem räumlich entsprechenden Hohlraum im Proteinrezeptor interagieren (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Dabei ist insbesondere die Struktur des 17-b-Östradiols gut auf die Proteinrezeptor-Bindungsstelle abgestimmt. Trotzdem bleiben im Hormon-Rezeptor-Komplex grosse Kavitäten angrenzend an zwei Positionen des Liganden unausgefüllt. Das gilt auch dann, wenn Nonylphenole an den Rezeptor binden. Diese Kavitäten können 30 Eawag News 66d/April 2009 weitere Gruppen eines Liganden (z. B. geeignet geformte b-Substituenten bestimmter Nonylphenole) aufnehmen, wodurch die Stabilität des Ligand-Rezeptor-Komplexes und damit der östro­ gene Effekt erhöht werden kann. Einfluss des mikrobiellen Abbaus auf die östrogene Aktivität. Von den 18 Hauptisomeren, die im technischen Nonylphenol vorkommen, sind bislang nur 11 Isomere synthetisiert und auf ihre östrogene Aktivität hin geprüft worden. Erstaunlicherweise waren die untersuchten Isomere alle weniger potent als das technische Gemisch. Falls der Grund dafür kein synergistischer Effekt ist (d. h. wenn das Ganze der Summe aller Teile entspricht), bedeutet dies, dass entweder einige nicht untersuchte Hauptkomponenten eine wenigstens leicht stärkere Wirkung als das technische Gemisch haben, oder dass gewisse Nebenkomponenten hoch aktiv sind. Zum Beispiel müsste geprüft werden, ob so potente Isomere wie NP167, das, wie es scheint, 153-mal aktiver ist als technisches Nonylphenol, als Nebenkomponenten im technischen Gemisch enthalten sind. Offensichtlich würde es nur geringe Mengen einer solchen Verbindung im technischen Nonylphenol benötigen, um für deren östrogene Potenz aufzukommen. In der einen oder anderen Weise beeinflusst ein isomeren­ spezifischer Abbau sicherlich die endokrine Aktivität von Nonylphenol-Mischungen. Falls sich herausstellen sollte, dass schwer abbaubare Isomere wie NP193a und NP193b tatsächlich hoch wirksam sind, besteht ein signifikantes Risiko, dass der mikrobielle Abbau durch ipso -Substitution die östrogene Potenz von Nonylphenol-Mischungen verstärkt [1]. Ein aussagekräftiges Monitoring – wie die EU es für Nonylphenole vorschreibt – ist daher nur möglich, wenn die einzelnen Isomere gemessen werden. i i i [1] Gabriel F.L.P., Routledge E.J., Heidlberger A., Rentsch D., Guenther K., Giger W., Sumpter J.P., Kohler H.-P.E. (2008): Isomer-specific degradation and endocrine disrupting activity of nonylphenols. Environmental Science & Technology 42, 6399– 6408. [2] Gabriel F.L.P., Giger W., Guenther K., Kohler H.-P.E. (2005): Differential degradation of Nonylphenol isomers by Sphingomonas xenophaga Bayram. Applied Environmental Microbiology 71, 1123–1129. [3] Gabriel F.L.P., Heidlberger A., Rentsch D., Giger W., Guenther K., Kohler H.-P.E. (2005): A novel metabolic pathway for degradation of 4-nonylphenol environmental contaminants by Sphingomonas xenophaga Bayram. ipso -Hydroxylation and intramolecular rearrangement. Journal of Biological Chemistry 280, 15 526–15 533. [4] Gabriel F.L.P., Cyris M., Jonkers N., Giger W., Guenter K., Kohler H.-P.E. (2007): Elucidation of the ipso -substitution mechanism for side chain cleavage of a-quaternary ­4 -nonylphenols and 4-t-butoxyphenol in Sphingobium xenophagum Bayram. Applied Environmental Micro­ biology 73, 3320–3326.