Original Gewinnung funktioneller Lebensmittelinhaltsstoffe aus Reststoffen der Karottensaft- und Apfelsaftproduktion1 Reinhold Carle und Andreas Schieber, Institut für Lebensmitteltechnologie, Lehrstuhl Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Universität Hohenheim Reststoffe der Obst- und Gemüseverarbeitung stellen angesichts hoher Produktionszahlen einerseits ein erhebliches Entsorgungsproblem dar. Andererseits enthalten solche Nebenprodukte große Mengen an sekundären Pflanzenstoffen und Polysacchariden, die als Zutaten für funktionelle Lebensmittel eingesetzt werden können. Im Rahmen dieses Beitrags wird am Beispiel von Apfeltrester und Karottentrester aufgezeigt, wie Reststoffe zur Gewinnung funktioneller Verbindungen herangezogen und damit einer nachhaltigen Verwertung zugeführt werden können. Einführung Bei einer jährlichen Produktionsmenge von ca. 125 Mio. Tonnen Lebensmitteln in Deutschland fallen über 50 Mio. Tonnen Abfälle tierischer und pflanzlicher Herkunft an. Während bei der Gewinnung pflanzlicher Fette und Öle sowie der Zucker- und Stärkegewinnung der Anteil des Abfalls bzw. der Nebenprodukte bis über 80 % erreicht, liegt der Anteil der Reststoffe bei der Frucht- und Gemüsesaftproduktion bei durchschnittlich 40 %. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Fruchtsäften und Fruchtnektaren in Deutschland verzeichnete in den vergangenen 50 Jahren einen starken Zuwachs und lag 2004 bei über 40 L. Unter den Fruchtsäften nimmt Apfelsaft mit 12,8 L die führende Position ein, gefolgt von Orangen- (8,9 L), Multivitamin- (3,8 L) und Traubensaft (1,3 L) [1]. Aufgrund der wachsenden Produktionszahlen stellen Reststoffe ein erhebliches Entsorgungsproblem dar, zumal sie zumeist saisonal anfallen und raschem mikrobiellem Verderb unterworfen sind. Andererseits sind die Kosten für Trocknung, Lagerung und Transport wirtschaftlich limitierende Faktoren. Daher werden solche Reststoffe häufig als Viehfutter oder als Dünger eingesetzt. Allerdings ist die Nachfrage u. U. starken Schwankungen unterworfen, 1 Erweitertes Manuskript eines Vortrags anlässlich des Seminars „Biowirkstoffe und Ernährung“ des ISHNetzwerks am 18.05.2006 in Holtsee 348 und die Entsorgung durch Deponierung wird zunehmend durch gesetzliche Restriktionen, wie z. B. durch die Bioabfall-Verordnung, erschwert. Mit der Unterzeichnung eines Aktionsplans für das 21. Jahrhundert anlässlich der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro haben sich 179 Staaten zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und somit zur nachhaltigen Nutzung wachsender Rohstoffe verpflichtet. Reststoffe der Verarbeitung pflanzlicher Lebensmittel enthalten ein immenses Potenzial an Wertstoffen, das bislang nur sehr unzureichend ausgeschöpft wurde [2]. In diesem Zusammenhang sind in erster Linie sekundäre Pflanzenstoffe zu nennen, die in der Pflanze als Attraktanzien und Phytoalexine sowie zum Schutz vor UV-Strahlung und Wildverbiss fungieren. Sie sind daher meist in den Randschichten der als Lebensmittel genutzten Pflanzenteile akkumuliert, die im Zuge der Verarbeitung häufig entfernt werden. Zur Nutzung dieses Potenzials sind Verfahren zur Gewinnung funktioneller Verbindungen und analytische Methoden zu deren Charakterisierung eine unabdingbare Voraussetzung. Sekundäre Pflanzenstoffe stellen nicht nur für die Pflanze selbst überaus wichtige Verbindungen dar, sondern haben längst auch das Interesse der Lebensmittelwissenschaften auf sich gezogen. Mit dem Trend zu gesunder Ernährung geht ferner der Wunsch des Verbrauchers nach möglichst na- turbelassenen Lebensmitteln und Zutaten aus natürlichen Quellen einher. Am Lehrstuhl Lebensmittel pflanzlicher Herkunft der Universität Hohenheim wurden daher im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts Verfahren zur Gewinnung und Charakterisierung funktioneller Inhaltsstoffe aus Reststoffen der Obstund Gemüseverarbeitung am Beispiel von Karotten- und Apfeltrester entwickelt. Karottentrester Nach den ernüchternden Ergebnissen der ATBC- und der CARET-Studie, in denen nach Verabreichung hoher Mengen an isoliertem β-Carotin an Raucher entgegen der Erwartung eine signifikante Zunahme bestimmter Krebsformen und der Gesamtmortalität beobachtet wurde, wurde seitens des damaligen Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) Rauchern empfohlen, auf den Verzehr von β-carotinhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminpräparaten sowie Getränken, die mit β-Carotin angereichert sind, zu verzichten. Gesundheitlich völlig unbedenklich hingegen sei die Aufnahme von β-Carotin aus Obst und Gemüse. Laut einer weiteren Empfehlung des BgVV sollten Höchstmengen für β-Carotin festgelegt werden, die sicherstellen, dass pro Tag insgesamt nicht mehr als 2 mg β-Carotin in isolierter Form aufgeErnährungs-Umschau 53 (2006) Heft 9 Original nommen werden. In einer aktuelleren Stellungnahme wies das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erneut auf mögliche Risiken durch die erhöhte Zufuhr von isoliertem β-Carotin hin und empfahl aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes, β-Carotin in Nahrungsergänzungsmitteln nur mit großer Vorsicht einzusetzen [3]. Auch die Anwendung β-carotinhaltiger Arzneimittel wurde jüngst durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingeschränkt. Hiernach dürfen Arzneimittel mit hohen Dosen von β-Carotin (mehr als 20 mg pro Tag) nicht mehr von starken Rauchern eingenommen werden. Für niedriger dosierte β-carotinhaltige Arzneimittel wurde ein Warnhinweis angeordnet [4]. Gewinnung eines carotinangereicherten Hydrolysats Vor dem Hintergrund der dargestellten Empfehlungen erschien es aussichtsreich, Carotinoide aus einer natürlichen Matrix zu gewinnen und in ihrem genuinen Mengenverhältnis zu belassen. Karotten leisten in den USA und in Europa den größten Beitrag zur β-Carotinversorgung in der menschlichen Ernährung. Karottensaft gehört neben Tomatensaft zu den beliebtesten Gemüsesäften. Zur Gewinnung carotinoidreicher Säfte wird das Carotin durch enzymatische (Maischeenzymierung) und physikalische Zellaufschlussverfahren aus den Karotten freigesetzt. Trotz Dekantertechnologie bleibt bei der Herstellung von Karottensaft allerdings rund ein Drittel der eingesetzten Rohwarenmenge als Trester zurück. Wie Untersuchungen industrieller Tresterproben zeigten, verbleiben sortenunabhängig mit über 1 g β-Carotin pro kg Trockenmasse ca. 50 % des Wertstoffs im Trester. Auch durch Maischeenzymierung konnte der β-Carotingehalt im Trester lediglich um 30 % reduziert werden [5]. Zur Gewinnung eines natürlichen Carotinkonzentrats wurde daher ein Verfahren zur enzymatischen Totalverflüssigung von Karottentrester entwickelt. Hierzu wurde der Trester nach Feinvermahlung einer enzymatischen Hydrolyse mittels depolymerisierender Enzyme mit pektolytischer, hemicellulolytischer und cellulolytischer Aktivität unterworfen, wodurch die Matrix fast vollständig abgebaut werden konnte. Nach Abtrennung verholzter Fasern erfolgte eine Homogenisation und Pasteurisation mit nachErnährungs-Umschau 53 (2006) Heft 9 folgender Konzentrierung. Die Bedingungen der Totalverflüssigung wurden in verschiedenen Versuchsreihen optimiert, wobei sich der Abbau der Matrix anhand der Viskositätsabnahme verfolgen ließ. Als besonders vorteilhaft erwies sich die Verwendung pektinolytischer und cellulolytischer Aktivitäten im Verhältnis 1 : 1. Bei einer Enzymdosage von 1 000 ppm resultierte bei einer Inkubationstemperatur von 50 °C und einem pH-Wert von 4 in Gegenwart von 1 000 ppm Kalzium eine minimale Enzymierungsdauer von 60 min. Besonders hervorzuheben ist, dass der Gesamtcarotingehalt unter den genannten Bedingungen der Totalverflüssigung im Technikumsmaßstab stabil blieb [6]. Applikation als funktionelle Zutat in einem Modellgetränk Unter den funktionellen Lebensmitteln stellen sogenannte ACE-Getränke die wichtigste Applikationsform von β-Carotin im Lebensmittelbereich dar. Neben Provitamin A enthalten sie als wertgebende Inhaltsstoffe die Vitamine C und E. Provitamin A wird in vielen Fällen in Form von synthetischem isoliertem β-Carotin in das Getränk eingebracht. Nur in wenigen Fällen stammt es vollständig aus Karottensaft, was analytisch leicht am Fehlen von α-Carotin nachweisbar ist. Während systematischer Untersuchungen zur Verteilung von trans-cisIsomeren in Karottensäften und ACEGetränken fiel auf, dass β-Carotin in Karottensäften gewöhnlich eine geringere Isomerisierungsrate aufwies und ACE-Getränke, die unter Verwendung von synthetischem β-Carotin hergestellt worden waren, durch einen höheren Anteil an cis-Isomeren des β-Carotins gekennzeichnet waren als solche, in denen Karottensaft als Carotinquelle diente (Tab. 1) [7]. Die Isomerisierung wird insbesondere durch Hitzeeinwirkung, Lichtexposition und die Anwesenheit elektrophiler Verbindungen begünstigt [8]. Die cis-Isomeren des β-Carotins besitzen im Vergleich zum all-trans-Isomer eine deutlich verringerte Provitamin-A-Aktivität. Es lag daher nahe, das Totalhydrolysat aus Karottentrester als funktionelle Zutat in Getränken einzusetzen. Neben der chemischen Stabilität sollte auch die physikalische Stabilität des Trubs in einem Modellgetränk auf der Basis von naturtrübem Apfelsaft näher untersucht werden. Auch ohne Zusatz von trubstabilisierendem Pektin zeigte das Modellgetränk nach 170 Tagen Lichtlagerung eine auffällige Trubstabilität. Außerdem fehlte auch die für carotinsupplementierte Getränke häufig typische Separation des β-Carotins im Bereich des Flaschenhalses. Noch erstaunlicher allerdings war die Stabilität des Carotins, das auf einen Gehalt von 12 mg/L eingestellt war. Sogar nach intensiver Bestrahlung mit einer Lichtintensität von ca. 3000 lux blieb der Carotingehalt stabil. Ferner konnten keine trans-cis-Isomerisierung der Carotine nachgewiesen werden. Im Unterschied zu synthetischem β-Carotin, das üblicherweise als Gelatineformulierung ins Getränk eingebracht wird, zeigte die natürliche Carotinformulierung außerdem keine Tab. 1: Deklarierte und ermittelte Carotinoidgehalte in Karottensäften und ACE-Getränken (aus [7]) Probe Deklarierter all-trans-α- all-trans-βCarotinoidCarotin Carotin gehalt mg/L mg/L mg/L 9-cis-βCarotin 13-cis-βCarotin mg/L mg/L Relativer Gehalt an cisIsomeren1 % Karottensäfte 1 45,02 2 50,03 3 o 4 o 5 146,02 6 140,02 7 o 19,9 24,6 49,4 38,2 45,3 43,1 40,4 32,8 54,0 83,9 71,4 84,8 78,3 69,2 1,0 1,0 3,5 3,4 2,0 0,9 n.d. 2,8 2,8 9,6 8,2 8,8 8,7 2,8 11,6 7,0 15,6 16,2 12,7 12,3 4,0 ACE-Getränke 1 20,04 2 20,04 3 20,64 4 29,04 5 28,84 n.d. n.d. 0,7 0,6 1,5 23,6 17,3 20,1 29,7 26,4 2,5 0,8 0,6 0,6 1,1 8,0 4,7 1,1 1,4 2,5 44,5 31,8 8,5 6,7 13,6 bezogen auf all-trans- β-Carotin; 2Gesamtcarotinoide; 3β-Carotin; 4Provitamin A; o: keine Angabe; n.d.: nicht detektierbar 1 349 Original Präzipitation mit Polyphenolen des Apfelsafts [9]. Gewinnung von Oligogalacturonsäuren Der Pädiater Ernst MORO erkannte bereits 1908 den therapeutischen Nutzen von Karottensuppe bei der Behandlung frühkindlicher Diarrhöen. Als Wirkungsmechanismus wird die Bindung niedermolekularer Pektinabbauprodukte (Oligogalacturonsäuren) an pathogene Keime angenommen, wodurch ihre Adhäsion an die Mukosa und damit die Freisetzung durchfallerzeugender Toxine blockiert wird. Neueren Untersuchungen zufolge ist die antiadhäsive Wirkung auf Oligogalacturonsäuren mit Polymerisationsgrad (DP) 2–3 bzw. solchen mit einer terminalen gesättigten Uronsäure zurückzuführen. Bei der Totalverflüssigung von Karottentrester entstehen in Abhängigkeit von den eingesetzten Enzymen gesättigte und ungesättigte Oligogalacturonsäuren, die teils noch mit Methanol verestert sein können. Zur Charakterisierung der bioaktiven Komponenten wurden daher analytische Methoden entwickelt, die durch Hintereinanderschaltung von RI- und UV-Detektoren die simultane Quantifizierung gesättigter und ungesättigter Oligogalacturonsäuren bis DP 7 gestatten. Durch Variation der Ionenstärke des eingesetzten flüchtigen Puffers konnte sogar die Basislinientrennung gesättigter Derivate bis DP 14 erreicht werden [10]. Dieser Puffer erlaubte ferner die massenspektrometrische Identifizierung der einzelnen Komponenten, die angesichts der limitierten Verfügbarkeit von Referenzsubstanzen unverzichtbar ist. Bei der enzymatischen Hydrolyse von Polygalacturonsäure entstehen in Abhängigkeit vom gewählten Enzympräparat sehr differenzierte Muster von Oligogalacturonsäuren, deren DP von 1 bis 3 bzw 1 bis 7 schwankt. Durch Modifizierung der pektolytischen Enzymaktivitäten bei der Totalverflüssigung von Karottentrester kann ein definiertes Fragmentierungsmuster erzielt werden. Das entwickelte Verfahren zur Totalverflüssigung von Karottentrester erlaubt somit eine ganzheitliche Verwertung dieses bisher lediglich als Viehfutter verwendeten Reststoffs. Neben Carotinen enthält das Hydrolysat auch Oligogalacturonsäuren, deren biologische Aktivität Gegenstand weiterer Untersuchungen ist [11]. 350 Apfeltrester Die zu Saft verarbeitete Menge an Äpfeln beläuft sich derzeit auf jährlich ca. 700 000 t, wobei ungefähr 25 000 t Nasstrester mit einem Trockenmasseanteil von 25 % anfallen [12]. Diese Trester stellen nicht nur ein Umweltproblem dar, sondern sie verursachen für die betroffenen Betriebe auch hohe Kosten bei der Entsorgung. Möglichkeiten hierfür sind Kompostierung, Vieh- und Wildfütterung, Müllverbrennung, Deponierung oder die Gewinnung von Biogas. Diese Alternativen sind allerdings weder aus wirtschaftlicher noch aus umweltpolitischer Sicht attraktiv. Gewinnung von Pektin Demgegenüber wird die Pektingewinnung als der sowohl ökologisch wie auch ökonomisch sinnvollste Weg der Verwertung von Apfeltrester angesehen. Die Trester müssen unmittelbar nach der Saftgewinnung getrocknet werden, um den Abbau von Pektin durch depolymerisierende Enzyme zu unterbinden. Weiterhin wird durch die Trocknung eine Bevorratung und damit eine ganzjährige Produktion von Pektin gewährleistet. Die durch Sieben abgetrennten Apfelkerne dienen zur Gewinnung von Apfelkernöl und enthalten darüber hinaus auch phenolische Verbindungen. Zur Pektingewinnung werden die Trester mit verdünnten Mineralsäuren extrahiert. Nach Aufkonzentrierung dieses Extrakts erfolgt die Fällung des Hydrokolloids durch Zusatz von Alkohol. Apfelpektine zeichnen sich in vielen Applikationen im Vergleich zu Citruspektinen durch bessere Geliereigenschaften aus. Aufgrund mitextrahierter phenolischer Verbindungen sind sie jedoch schwach braun gefärbt, wodurch ihre Verwendung in sehr hellen Produkten eingeschränkt ist. Gewinnung von Polyphenolen Neuere Arbeiten belegen ferner, dass Apfeltrester auch eine vielversprechende Quelle phenolischer Verbindungen darstellen [13, 14]. Einige hieraus isolierte Komponenten wiesen in vitro starke antioxidative Eigenschaften auf. Die dosisabhängige In-vitroHemmung der Proliferation von Colon- und Lebertumorzellen durch Extrakte aus frischen Äpfeln wurde insbesondere auf die enthaltenen phenolischen Säuren und Flavonoide zu- rückgeführt [15]. Weitere Arbeiten zeigen ferner, dass durch die Aufnahme polyphenolreicher Apfelsäfte der Antioxidantienstatus signifikant erhöht werden kann [16]. Aufgrund dieser Erkenntnisse hat es daher nicht an Versuchen gefehlt, einerseits Apfelpektin zu veredeln, andererseits die im Trester enthaltenen phenolischen Verbindungen durch geeignete technologische Maßnahmen zu extrahieren. Die Bleichung von Apfeltrester mit alkalischer Wasserstoffperoxidlösung führte allerdings sowohl zur Zerstörung der phenolischen Verbindungen als auch zu einem beträchtlichen Abbau von Pektin [17]. Durch Behandlung von Apfeltrester mit Cellulasen und Pektinasen konnten zwar Polyphenole in erhöhtem Maß freigesetzt werden [18], doch ist die Gewinnung von Pektin auch hiernach nicht mehr möglich. Ferner ist der polyphenolhaltige „Extraktionssaft“ aus lebensmittelrechtlicher Sicht als Saft nicht verkehrsfähig, da ein Verbot des Einsatzes von Cellulasen bei der Fruchtsaftherstellung im Gegensatz zur Gemüsesaftherstellung besteht. Weiterhin könnte die vermehrte Freisetzung phenolischer Verbindungen zu Adstringenz bis hin zur Bitterkeit führen, so dass die Akzeptanz derartiger Produkte fraglich ist. Kombinierte Gewinnung Daher wurde das Ziel verfolgt, die Gewinnung phenolischer Verbindungen mit der Veredelung von Apfelpektin zu kombinieren. Das zu entwickelnde Verfahren sollte in den etablierten Prozess der Pektinproduktion integriert werden, um damit in wirtschaftlicher Hinsicht attraktiv zu sein. Um dem Rechnung zu tragen, wurde der wässrig-saure und aufkonzentrierte Extrakt in einer Säule über ein unpolares, lebensmitteltaugliches Adsorberharz geführt. Das Pektin passierte hierbei die Säule, während der überwiegende Teil der phenolischen Verbindungen adsorbiert wurde. Im Anschluss wurde das Pektin durch Zusatz von Alkohol präzipitiert. Die Gewinnung der phenolischen Verbindungen erfolgte durch Desorption mit einem organischen Lösungmittel, vorzugsweise mit Alkohol. Nach Entfernen des Lösungsmittels in vacuo wurde das Eluat zur Stabilisierung der Polyphenole lyophilisiert [19]. Ein Vergleich der Farbwerte von Apfeltresterextrakten vor und nach der Passage des Harzes belegte, dass durch Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 9 Original Ernährungs-Umschau 53 (2006) Heft 9 mg/kg Frischgewicht ckenmasse von 25–30 % in einem Dreizugtrommeltrockner für 5–8 Min. bei 300–700 °C getrocknet, wobei die Temperatur des Tresters 50–60 °C nicht überschritt. Übereinstimmend mit den Resultaten früherer Untersuchungen [14] enthielten die Tresterproben über 2 g/kg Polyphenole. Unter den genannten Fraktionen wurden lediglich die Flavanole (Catechine, Procyanidine) durch die Trocknung beeinträchtigt, während die Flavonole, Dihydrochalcone und HydroxyzimtsäureDerivate keinen beträchtlichen Veränderungen unterlagen. Aus diesen Untersuchungen wurde ersichtlich, dass die industrielle Trocknung von Apfeltrester sich nicht so nachteilig auswirkt wie ursprünglich angenommen. Nach Literaturangaben kann eine hohe UV-Einstrahlung, wie sie etwa in Neuseeland auftritt, zu höheren Flavonoidgehalten in Äpfeln führen. Zur Abschätzung des Einflusses der Rohware auf den Gehalt an phenolischen Verbindungen wurde daher ein Screening von ca. 20 Tafel- und Mostapfelsorten des süddeutschen Raums durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass alle Sorten ein qualitativ sehr ähnliches Polyphenolprofil aufwiesen (Abb. 1). Die Gehalte der verschiedenen Sorten variierten allerdings stark. Auch bei Äpfeln der gleichen Sorte war die Streuung der ermittelten Gehalte z. T. sehr groß. Die vorzugsweise als Mostobst verwendeten Sorten, z. B. Bittenfelder und Trierer Weinapfel, wiesen insgesamt höhere Gehalte auf als die über- wiegend zum Frischverzehr bestimmten moderneren Sorten, wie z. B. Idared, Gala und Jonagold [20]. Diese Unterschiede wurden insbesondere bei den Hydroxyzimtsäurederivaten, Flavanolen und Dihydrochalconen deutlich, während bei den Flavonolglycosiden keine Sortenabhängigkeit feststellbar war. Untersuchungen an vier neuseeländischen Apfelsorten (Pacific Rose, Sunrise, Braeburn und Royal Gala) belegten zwar, dass Schale und Kernhaus ebenfalls reich an Polyphenolen sind [19]. Die Hypothese, dass die in Neuseeland angebauten Apfelsorten beträchtlich höhere Gehalte an phenolischen Verbindungen aufweisen als die mitteleuropäischen, konnte allerdings bislang noch nicht verifiziert werden. Das im Technikumsmaßstab entwickelte Verfahren zur kombinierten Gewinnung von Pektin und Polyphenolen aus Apfeltrester wird mittlerweile in der industriellen Produktion umgesetzt, wodurch phenolische Verbindungen in hohen Ausbeuten erhalten werden können. In einem ersten Anwendungsbeispiel wurde der polyphenolreiche Apfeltresterextrakt als natürliches Antioxidans zur Verbesserung der Lagerfähigkeit von Pizzasalami eingesetzt [21]. Die sensorische Bewertung der Rohwurst nach Lagerung unter Tiefkühlbedingungen zeigte bereits in geringer Dosierung des Apfelextrakts eine deutliche Verringerung der Ranzigkeit und somit eine verbesserte Lagerfähigkeit des Produkts. Die 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 Br a Ru ebu bi rn ne G ol tt de e n F D uj G e lo lic i ck io en u a s Jo pfe na l go Id ld Br ar et ed ta ch e H r M ilde el ro se G al Pi a n Ö ov hr a in G Ge ge Tr ew isin r ie ü re rz ger r W lui ke Bi ein n tt ap en fe fe l Ra lde m r Bo bou sk r oo p die Adsorption der phenolischen Verbindungen eine deutliche Aufhellung erzielt werden konnte. Weiterhin wiesen die entfärbten Extrakte einen höheren Galacturonsäuregehalt auf, der auf die Abreicherung von Nichtpektinstoffen zurückzuführen ist. Gele aus dem resultierenden Pektin zeichneten sich durch eine erhöhte Bruchfestigkeit aus. Somit konnte gezeigt werden, dass die Geliereigenschaften durch das entwickelte Verfahren sogar verbessert werden. Daher können für Apfelpektine nun Anwendungspotenziale erschlossen werden, die bislang Citruspektinen vorbehalten waren. Das Lyophilisat bestand überwiegend aus Hemicellulosen, die nach Hydrolyse anhand des Neutralzuckerspektrums identifiziert wurden (Arabinose 53,1 %; Glucose 4,9 %; Rhamnose 2,0 %). Überraschenderweise wurde demzufolge ein größerer zuckerhaltiger Bestandteil der Apfelzellwand, der vermutlich mit Polyphenolen verknüpft ist, am Harz retiniert. Neben geringen Mengen an Proteinen, Galacturonsäuren und lipophilen Substanzen wurden ca. 12 % als phenolische Verbindungen identifiziert, während ein Fünftel bislang noch nicht charakterisiert werden konnte. Es handelt sich hierbei vermutlich um höhermolekulare Phenole. Die Charakterisierung der phenolischen Verbindungen erfolgte mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie. Die dominierenden phenolischen Verbindungen waren erwartungsgemäß Chlorogensäure, das Dihydrochalconglucosid Phloridzin sowie eine Reihe von Quercetinglycosiden, unter denen Quercetin-3-galactosid den größten Anteil hatte. Vorläufige Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Gehalte der quantifizierbaren Polyphenole in Trester süddeutscher Apfelsorten beträchtlich unterhalb derer lagen, die in Apfeltrester neuseeländischer Sorten gefunden wurden [13,14]. Da es sich im Fall der neuseeländischen Trester um lyophilisierte Proben handelte, während die von uns untersuchten Proben einer industriellen Trocknung in Dreizugtrommeltrocknern unterzogen worden waren, war zu klären, ob Unterschiede im Polyphenolgehalt der Rohware oder die Trocknungsbedingungen für die differierenden Gehalte verantwortlich sind. Daher wurden zunächst die Auswirkungen einer industriellen Trocknung auf die Stabilität der Polyphenole ermittelt. Hierzu wurde nasser Apfeltrester mit einer Tro- Flavonolglykoside Dihydrochalcon-Derivate Flavanole Hydroxyzimtsäuren Gesamt Abb. 1: Gehalte phenolischer Verbindungen in ausgewählten Tafel- und Mostapfelsorten aus Süddeutschland (aus [20]) 351 Original Zusammenfassung Gewinnung funktioneller Lebensmittelinhaltsstoffe aus Reststoffen der Karottensaft- und Apfelsaftproduktion R. Carle, A. Schieber, Hohenheim Reststoffe der Obst- und Gemüseverarbeitung sind ein erhebliches Entsorgungsproblem für die Industrie, zumal sie zumeist saisonal anfallen und raschem mikrobiellem Verderb unterworfen sind. Andererseits stellen diese Nebenprodukte nachwachsende Rohstoffe dar, deren Potenzial bislang noch völlig unzureichend genutzt wird. Die im Zuge der Verarbeitung entfernten Randschichten der als Lebensmittel genutzten Pflanzenteile enthalten insbesondere sekundäre Pflanzenstoffe und Polysaccharide, denen zahlreiche gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden. Am Beispiel von Apfel- und Karottentrester wurden Verfahren zur Gewinnung von Pektin und Polyphenolen bzw. Oligogalacturonsäuren und Carotinoiden entwickelt, die sowohl als technofunktionelle wie auch als biofunktionelle Inhaltsstoffe in Lebensmitteln eingesetzt werden können. Ernährungs-Umschau 53 (2006), S. 348–352 antioxidative Eigenschaft der Apfelpolyphenole kommt nicht nur der Produktqualität zugute, sie könnte auch beim Verzehr der Pizzasalami durch einen zusätzlichen Gesundheitsnutzen interessante Perspektiven als funktionelles Lebensmittel eröffnen. Fazit Am Beispiel von Karottentrester und Apfeltrester konnte gezeigt werden, dass Reststoffe der Gemüse- und Obstverarbeitung reiche Quellen funktioneller Inhaltsstoffe darstellen. Dabei lässt sich die Funktionalität von Lebensmittelinhaltsstoffen in zweifacher Hinsicht nutzen. Steht die Erzielung einer bestimmten technologischen Eigenschaft, z. B. die texturgebende Funktion des Pektins, im Vordergrund, so wird die Technofunktionalität genutzt. Soll ein über den Nährwert des Lebensmittels hinaus gehender zusätzlicher Gesundheitsnutzen (added value) erzielt werden, steht die Biofunktionalität im Mittelpunkt. Dabei sind die Übergänge mitunter fließend. So kann etwa die antioxidative Eigenschaft von Polyphenolen sowohl technofunktionell zur Inhibierung der Lipidoxidation als auch biofunktionell im Sinne einer Radikalfängerfunktion zum Schutz von Lipidmembranen im lebenden Organismus verstanden werden. Die Verwertung von Reststoffen ist bei weitem nicht auf die genannten Beispiele beschränkt. Jüngst wurden erfolgreich Verfahren zur Gewinnung phenolischer Verbindungen aus Traubentrester und Mangoschalen entwickelt. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass bei der Extraktion von 352 Anthocyanen aus Traubentrester vollständig auf den Einsatz von Sulfit verzichtet werden konnte [22], das pseudoallergische Reaktionen hervorrufen kann. Mangoschalen erwiesen sich darüber hinaus auch als eine reichhaltige Quelle von hochwertigem Pektin [23]. Angesichts der zunehmenden Bestrebungen, die Saftausbeute bei der Apfelsaftherstellung durch Einsatz depolymerisierender Enzyme zu maximieren und dabei das Pektin abzubauen, könnte Mangoschalenpektin eine vielversprechende Alternative darstellen. Literatur 1. VdF Verband der deutschen Fruchtsaftindustrie: http://www.fruchtsaft.net (2006). 2. Schieber, A.; Stintzing, F.C.; Carle, R.: By-products of plant food processing as a source of functional compounds – recent developments. Trends Food Sci Technol 12: 401–413 (2001). 3. BfR Bundesinstitut für Risikobewertung: http://www.bfr.bund.de (2005). 4. 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