MANAGEMENT Serie „Selbstführung und Führung” Teil 13 Drei Arten von Intelligenz Mit seinem Buch „Emotional Intelligence” bereicherte Goleman 1995 die Intelligenzliteratur um eine zweite Kategorie von Intelligenz, die neben die vorher unumstritten einzige Kategorie trat, nämlich neben die rationale Intelligenz. Ihm folgten weitere Autoren wie Steiner mit seiner „Emotionalen Kompetenz” (1996). Goleman, Steiner usw. erzielten eine hohe Aufmerksamkeit. Es ging ihnen um den klugen Umgang mit Menschen. as Goleman, Steiner et al. offensichtlich nicht wussten: Immanuel Kant (1724 bis 1804) hatte schon vor über 200 Jahren dieselbe Unterscheidung getroffen und sogar noch um eine dritte Kategorie angereichert, nämlich die moralische (oder ethische) Intelligenz. Er sprach von „drei Arten des Handelns”: • dem technischen Handeln, den Umgang mit Sachen betreffend, Geschicklichkeit erfordernd, Gegenstand der Wissenschaften, dem problematischen (hypothetischen) Imperativ unterworfen, • dem pragmatischen Handeln, den Umgang mit Menschen betreffend (von denen jeder durch seine individuelle Absicht auf Glückseligkeit geprägt ist), Klugheit erfordernd, Gegenstand der Klugheitslehre (als Teil der praktischen Philosophie), dem assertorischen (hypothetischen) Imperativ unterworfen, • dem moralischen Handeln, die ethischen Normen betreffend, Weisheit erfordernd, Gegenstand der Weisheitslehre (und Teil der praktischen Philosophie), dem kategorischen Imperativ unterworfen. Dieser lautet: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.” Der kategorische Imperativ bedeutet „Verallgemeinerung der eigenen Zielsetzung auf die Gesamtheit“: Wenn sich z. B. ein Studierender in einer Klausur durch unerlaubte Hilfsmittel Benotungsvorteile (als „Maxime seines Willens”) verschaffen will, so verpflichtet ihn Kant zu der Erkenntnis: „Die Maxime meines Willens ist das Erreichen einer guten Note ohne entsprechendes Wissen”, und zur Verallgemeinerung: „Also sollte jeder Studierende desselben Fachbereichs oder derselben Hochschule ebenfalls eine gute Note ohne entsprechendes Wissen erhalten.” Konsequenz: Es spricht sich herum, dass hier kein vertieftes Wissen gefordert wird, und dieser Studiengang sinkt in seinem Ansehen gegenüber anderen, vor allem den leistungsbetonten Studiengängen. Bei seinem kategorischen Imperativ schwebte Kant das Ideal einer Gesellschaft als „Gemeinschaft der Vernünftigen„ vor, d. h. als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich bei ihrem Handeln am kategorischen Imperativ orientieren, sich also in der auf die Allgemeinheit erweiterten Reflexion der „Maxime ihres Willens” üben. Die meisten Skandale und Skandälchen der Vergangenheit hätten kaum geschehen können, wenn die zuständigen Entscheidungsträger Vernunft im Sinne des kategorischen Imperativs hätten walten lassen. Große Verfehlungen wie Bestechungspraktiken, Bilanzfälschungen, sitten- und rechtswidrige Begünstigungen des Betriebsrates, verheimlichte Überschuldung usw. bis hin zu kleinen Gemeinheiten inklusive Vorteilsnahme und Selbstbedienung wären ausgeblieben. W 42 technologie & management Foto: pixelio.de Dreigeteilte BWL Um solchen Verfehlungen vorzubeugen, ließe sich die Betriebswirtschaftslehre in der Kantschen Dreiteilung lehren, wie es u. a. der Autor (Müller-Merbach 1989) und Krupinski (1993) vorge- MANAGEMENT schlagen haben, und zwar als (i) Wissenschaft von der Unternehmung, (ii) als Führungskunst und (iii) als Führungsethik. Man könnte sogar den Hochschullehrern solcher BWL-Fachbereiche, in denen keine Lehrveranstaltungen zur Führungsethik, Wirtschaftsethik oder Unternehmensethik angeboten werden, eine Mitverantwortung für später praktizierte Sittenverstöße ihrer Absolventen zuschreiben. Sollte man nicht auch Praktiker, die gegen ethische Grundsätze verstoßen haben oder verstoßen, fragen: „Gab es an Ihrer Hochschule, insbesondere für Ihren Studiengang, ein Ethikangebot?”, und: „Haben Sie das Ethikangebot Ihrer Hochschule angenommen?”, und: „Welche beim Studium gelernten ethischen Prinzipien sind Ihnen noch bewusst und werden von Ihnen noch praktiziert?” Die Einheit des Handelns wortung für Sachen, darüber drastisches Beispiel – auch für Der kategorihinaus Verantwortung für Mendie Schergen des Dritten Reische Imperativ schen und – die umfassenden ches. Es gilt in gleicher Weise Maßstäbe betreffend – mofür alle Führungspersonen aller bedeutet „VerEbenen, sei es in der Politik, sei allgemeinerung ralische Verantwortung. Um der dreiteiligen Verantes in der Wirtschaft, sei es in wortung gerecht zu werden, beWissenschaft, Sport und Kunst. der eigenen Kant hat seine Dreiteilung Zielsetzung auf nötigen Führungskräfte eine sachbezogene technische (oder des Handelns in verschiedenen die Gesamtheit“ rationale) Intelligenz, ferner eine Veröffentlichungen (in leicht menschenbezogene emotionale unterschiedlicher Terminolo(oder pragmatische) Intelligenz und eine – gie) einschließlich des Systems der drei die moralischen Maßstäbe reflektierende – Imperative dargestellt. Hinske (1980, insmoralische (ethische) Intelligenz. besondere S. 86 ... 120) hat Kants Lehre zu Führungspersonen sollten sich dieser diesem Thema geordnet und systematisch Dreiteilung von Kant bewusst sein. zusammengefasst. Müller-Merbach (1987 /1995 und 1989) hat die Dreiteilung in die BWL übertragen, Krupinski (1993) knüpft daran an. Schwaiger (1999) vertieft die Literatur Lehre der Imperative mit philosophischer Sorgfalt. Goleman, Daniel: Emotional Intelligence. New Vom dreiteiligen Handeln zur dreiteiligen Intelligenz Die drei Arten des HanKant sprach von „drei Arten delns bilden für Kant eine des Handelns”, Goleman (1995) Einheit, die sich in der Praspricht von „Intelligenz”. Das passt xis nicht trennen lassen, zusammen: wohl aber in der idealtypi• Technische (oder rationale) Prof. em. Dr. Heiner schen Betrachtung. Die Intelligenz erscheint als gleichMüller-Merbach, TU Dreiteilung dient dem wertig mit Kants Geschicklichkeit Kaiserslautern, bietet dreidimensionalen Verim technischen Handeln. seit seiner Emeritierung ständnis der Verantwor• Emotionale Intelligenz entüberwiegend Lehrvertung bei jeglichem Hanspricht Kants Klugheit im Umgang anstaltungen zum Thedeln: der Verantwortung mit Menschen, d. h. dem pragmamenbereich „Philosofür Sachen, der Veranttischen Handeln bei Kant. Sie zielt phie, Selbstführung und wortung für Menschen auf die Berücksichtigung der IndiFührung” an. und der Verantwortung vidualität eines jeden Einzelnen. für das System der ethi• Moralische Intelligenz (von schen Werte. Goleman und Steiner nicht erKant betont, dass praktisches Handeln wähnt) hat Kants moralisches (ethisches) jeweils alle drei Bereiche berühre und damit Handeln zum Ziel, also die Orientierung an immer das technische, das pragmatische und umfassenden Konzepten der Sittenlehre. das moralische Handeln umfasse. Die DreiteiGanzheitliches Führen lung ist „idealtypisch” zu verstehen und dient insbesondere der Bewusstwerdung des UmDie idealtypische Dreiteilung des Handelns fangs von Verantwortung. Keiner kann sich nach Kant, die realtypisch zu einer untrennherausreden und seine Verantwortung auf baren Einheit verschmilzt, mag sich als Leitdie technische Ebene allein oder auf die bild eines jeglichen Führens eignen. Das technische und pragmatische Ebene allein dient dem Bewusstsein, dass ein Handeln beschränken. Die Verantwortung auf der gewöhnlich Sachen betrifft, darüber hinaus Menschen und als moralischen Maßstab die moralischen Ebene könne keiner wirksam ethischen Normen. Jede Führungsperson ausklammern – auch nicht unter Berufung trägt daher mit jeder Entscheidung Verantauf einen „Befehlsnotstand”. Das gilt – als York et al.: Bantam 1995 (Deutsch: Emotionale Intelligenz, München: Dtv 1997, seitdem mehrere Neuauflagen). Hinske, Norbert: Kant als Herausforderung an die Gegenwart. Freiburg/München: Albert 1980. Krupinski, Guido: Führungsethik für die Wirtschaftspraxis: Grundlagen – Konzepte – Umsetzung. Wiesbaden: DUV 1993. Müller-Merbach, Heiner: Immanuel Kant: Drei Arten des Handelns, in: technologie & management, 36. Jg., 1987, H. 4, S. 60 ... 61 (nachgedruckt in: Müller-Merbach, Heiner: Philosophie-Splitter für das Management, Bad Homburg v. d.h., DIE 1991, 3. Auflage 1995, S. 81 ... 91. Müller-Merbach, Heiner: Die Betriebswirt- schaftslehre als Wissenschaft, Führungskunst und Führungsethik, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 18. Jg., 1989, H. 3, S. 105. Schwaiger, Clemens: Kategorische und andere Imperative – Zur Entwicklung von Kants praktischer Philosophie bis 1985. StuttgartBad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1999. Steiner, Claude: Achieving emotional literacy. New York: Avon 1997 (Deutsch: Emotionale Kompetenz, München: Dtv 1999, seitdem mehrere Neuauflagen). technologie & management 43