vortrag autismus-epilepsie freiburg gb 11

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Epileptische und autistische Störungen bei Menschen
mit einer geistigen Behinderung
Diagnose, Therapie und Hilfestrukturen
Autistische Verhaltensweisen bei Menschen mit Behinderung
Erscheinungsformen – Ursachen – Hilfen
Fachtagung der Abteilugen für Menschen mit
Behinderung/katholische Akademie der Erzdiözese Freiburg
9. November 2010
P. Martin
Séguin-Klinik für Menschen mit
schwerer geistiger Behinderung,
Epilepsiezentrum Kork
Patientenbeispiel
Patient B.W. 32 J, m
• unauffällige Schwangerschaft und Geburt
• unauffällige Entwicklung bis zum 7. Lebensjahr (in der ersten
Grundschulklasse „überdurchschnittlich gut“)
• ab 7./8. Lebensjahr:
– Bewegungsunruhe, ticartige / stereotype Bewegungen
(Fingerschnipsen, Wischbewegungen, Schaukeln mit dem
Oberkörper), überschießende Grobmotorik
– Rückzugstendenzen
– Absinken in eine „Comicwelt“ – „völlig realitätsfern“
– nur noch Kontaktaufnahme zu Familienmitgliedern
– fast keine aktive Sprache mehr
– Verlust erworbener Fähigkeiten wie Schrieben, Lesen, Zeichnen
Patientenbeispiel
Patient B.W. 32 J, m
– Entwicklung einer Inkontinenz
– ab 9. LJ Unterbringung in einem Wohnheim
– Verdachtsdiagnose in dieser Zeit: kindliche Form der Chorea
Huntington mit demenzieller Entwicklung und Hyperkinesien bei
familiärer Belastung (Urgroßvater, Großmutter ms)
• konnte später molekulargenetisch nicht bestätigt werden (1996)
– Mutter an unklarer neurogenerativer Erkrankung mit psychiatrischer
Symptomatik verstorben
Patientenbeispiel
Patient B.W. 32 J, m
– Entwicklung einer Epilepsie ab dem Alter von 6 Jahren
• tonische- und generalisiert tonisch-klonische Anfälle sowie
atypische Absencen
• therapierefraktärer Verlauf – nur 3 ½ Jahre ohne Anfälle (19.23.LJ) unter Carbamazepin und Ethosuximid
• zahlreiche Antikonvulsiva wurden eingesetzt (u.a. Brom,
Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Valproat, Ethosuximid, Topiramat,
Zonisamid, Levetiracetam, Lamotrigin)
• zuletzt unter Felbamat und Valproat relativ gute
Anfallsituation (1 Grand mal alle 1 bis 2 Monate)
Patientenbeispiel
Patient B.W. 32 J, m
– seit dem Alter von 17 Jahren vermehrt aggressives- /
autoaggressives Verhalten
• verbunden mit starker Bewegungsunruhe und
• Schlafstörungen
• jeweils phasisch über Wochen und Monate verstärkt (ohne
sicher identifizierbare, verstärkend wirkende Faktoren)
• zahlreiche Psychopharmaka wurden eingesetzt (u.a.
Methylphenidat, Pipamperon, Haloperidol, Risperidon, Amisulprid,
Quetiapin, Olanzapin,Clozapin, Lithium, Citalopram, Doxepin)
• derzeit unter Risperidon, Chlorprothixen und Melatonin leicht
gebessert (schlägt nur Betreuer, wenn er gewaschen wird;
geht nachts umher, lautiert und klopft)
Patientenbeispiel
•
Patient B.W. 32 J, m
• 2004 klinische Diagnose einer tiefgreifenden
Entwicklungsstörung im Sinne einer Heller Demenz
• Kernspintomografie des Gehirns:
– Fraontal betonte Gehirnvolumenverminderung
– mässiggradige Kleinhirnatrophie (Volumenminderung)
– frontobasale Defekte, am ehesten alten Kontusionen (durch Sturz
im Anfall?, durch Kopfanschlagen?) entsprechend
• Liquoruntersuchung:
– Normalbefund, einschließlich Laktatkonzentration
• molekulargenetische Untersuchung (2009)
– Array-CGH: Nachweis einer Duplikation 15q11.2q13.1
> kann zu mitochondrialen Störungen/Störungen der Zellatmung
und damit zu prozesshaften Gehirnerkrankungen führen
Filipek PA et al (2003) Ann Neurol 53:801-804
Tiefgreifende Entwicklungsstörungen / autistisches
Spektrum nach ICD-10 und DSM-IV
DSM-IV
Autistische Störung
ICD-10
frühkindlicher Autismus
Rett-Syndrom
Rett-Syndrom
desintegrative Störung des Kindesalters
andere desintegrative Störungen des
Kindesalters
Asperger-Syndrom
Asperger-Syndrom
andere tiefgreifende
Entwicklungsstörungen, einschließlich
atypischer Autismus
atypischer Autismus
andere tiefgreifende Entwicklungsstörung
(z.B. Heller-Syndrom)
nicht näher bezeichnete tiefgreifende
Entwicklungsstörung
überaktive Störung mit
Intelligenzminderuung und
Bewegungsstereotypien
Idiopathischer – symptomatischer Autismus
•
idiopathischer Autismus
– keine eindeutige Ursache bei der betroffenen Person identifizierbar
– vermutlich durch ein Zusammenwirken unterschiedlicher Gene
– idiopathischer frühkindlicher Autismus als psychische Störung mit
der stärksten genetischen Komponente
– ca. 90% der Fälle
•
symptomatischer Autismus
– verursachende gehirnorganische Störung/Erkrankung (oder
definierte genetische Störung) identifizierbar
– ca. 10% der Fälle
Folstein S, Rutter M. J Child Psychol Psychiatry 1977; 18:297-321. Ritvo ER et al..Am J Psychiatry 1985; 142: 74-77.
Steffenburg S et al.. J Child Psychol Psychiatry 1989; 30:405-416. Bailey A et al.. Psychol Med 1995; 25:63-77.
LeCouteur A et al.. J Child Psychol Psychiatry 1996; 37:785-801. Muhle R, Trentacoste SV, Rapin I , Pediatrics
2004; 113: e472-e486
Symptomatischer Autismus - Ursachen
diagnostizierbare genetische Syndrome und ätiologische
Faktoren
(autistisches Spektrum/tiefgreifende Entwicklungsstörungen) - z.B.:
–
–
Tuberöse Sklerose Komplex
Hypomelanosis Ito
–
Fragiles X-Syndrom
–
partielle Tetrasomie 15
–
–
Angelman – Syndrom
Rett – Syndrom
–
interauterine Röteln – Infektion
–
–
Herpes simplex – Enzephalitis
intrauterine Valproat – Exposition
–
intrauterine Thalidomid – Exposition
–
–
intrauterine Alkohol – Exposition
neurometabolische Erkrankungen (z.B. GAMT-Defekt)
–
angeborene-, früh erworbene Sehstörungen
Muhle R, Trentacoste SV, Rapin I , Pediatrics 2004; 113: e472-e486
<10%
Autismus, Epilepsie und Intelligenzminderung (IM)
vermutlich wird bei Personen mit schwerer geistiger Behinderung
die Diagnose eines Autismus (einer Störung des autistischen
Spektrums) zu selten gestellt
Fombonne E (2003) JAMA 289:87-89.
Prävalenz von Autismus bei Erwachsenen mit schwerer geistiger
Behinderung: 21%
Saemundsen E et al. (2010) JIDR 54: 727-735
Autismus und schwere IM - mögliches diagnostisches
Vorgehen
1.
2.
3.
Verdacht auf eine Störung des autistischen Spektrums
ICD-10- und/oder DSM-IV Kriterien?
differenzierende Symptome
•
•
•
4.
Domäne des reziproken Kontaktes (z.B. eingeschränkte Reaktion auf den
Gesichtsausdruck anderer Personen; durch andere hindurchschauen)
ungewöhnliche Vorliebe (attachment) für bestimmte Gegenstände
Abnorme (idiosynkratische) negative Reaktion auf spezielle sensorische
Stimuli
Vergleich von intellektuellem Niveau und dem sozialer Fähigkeiten
(z.B. Vineland)
Entwicklungsanamnese – insbesondere autistische Regression
Standardisierte psychometrische Instrumente (Befragung,
Beobachtung)
5.
6.
•
•
Screening: ABC, CARS
ausführlich: ADOS-G, DISCO
Autismus und schwere IM - mögliches diagnostisches Vorgehen
7.
prädisponierende Faktoren erfragen und durch
körperliche/neurologische Untersuchung sowie paraklinische (MRI,
Genetik usw.) erfassen – beziehen sich vor allem auf symptomatischen Autismus
•
•
•
•
•
•
Familienanamnese
pränatale Faktoren (z.B. Alkohol, Valproat, Thalidomid, Röteln)
Kleinhirn- / Hirnstammveränderungen / -symptome
neurogenetische Störungen (z.B. Fragiles X-Syndrom, TSC)
neuropsychiatrische Entwicklungsstörungen mit Regression (z.B. Rett
Syndrom, Heller-Syndrom)
neurometabolische Störungen (z.B. Kreatinin-MangelSyndrome/z.B.GAMT)
8.
psychiatrische- (kinder- und jugendpsychiatrische/
Verhaltensstörungen, die mit Autismus verwechselt werden können?
9.
Sinnesstörungen (Sehen, Hören)?
Autismus, Epilepsie und IM
•
•
•
•
Prävalenz von Autismus
Prävalenz von Epilepsien
Prävalenz von Intelligenzminderung (IM)
Prävalenz von schwerer IM
5.8 : 1000 Kinder
7.1 : 1000 Kinder
10-25 : 1000
1-3 : 1000
•
IM (IQ unter 70) bei ca. 70% der Menschen mit Autismus
•
•
leichte IM:
schwere IM:
•
•
Autismus bei ca. 30% kindlicher Epilepsien (spezialisierte Zentren)
6-7% der Kinder, die im ersten Lebensjahr erste Anfälle haben,
entwickeln IM + Autismus
6% Epilepsien
ca. 50% Epilepsien
Rutter M (1970); Bartak I, Rutter M (1976); Gillberg C, Coleman M (2000); Tuchman R, Rapin I (2002) Lancet Neurol
1:352-358; Steffenburg S et al (2003) Australian`s Health 2004; Gillberg C, Soderstrom H (2003) Lancet; 362: 811-82;
Munro JD (1986), Psychiatr Clin North Am 9: 91-624. WHO (1986). Roeleveld N (1997) Dev Med CHild Neurol 39:
125-132; Tuchman R et al. (2010) Brain Dev 31:95-103; D`Amelio et al.(2002); Lhatoo und Sander (2001);
Richardson et al. (1981); Clarke DF et al (2005) Epilepsia 46:1970-1977
Autismus, Epilepsie und IM
Häufigkeit von Epilepsien bei Autismus
•
Prävalenz von Epilepsien bei Autismus (allgemein; verschiedene
Altersgruppen) - Angaben in der Literatur: (5-)12.6 – 39.2 (-46)%
•
Studie von H. Hara (2007):
– idiopathischer Autismus
– n = 130
– 1 – 14 Jahre
follow up
18 – 35J
– 31/130 Patienten entwickelten eine Epilepsie im Verlauf
– 20/ 99 Patienten ohne Epilepsie entwickelten epilepsietypische
Veränderungen im EEG
Tuchman et al. (2010) Brain Dev 32:709-718;Hara H (2007) Brain Dev 29:486-490. Deykin EY, Mac Mahon (1979) Am J Psychiatry
136:1310-1312; Olsson I et al (1988) Arch Neurol 45:666-668; Volkmar FR and Nelson DS (1990) J Am Acad Child Adolesc
Psychiiatry 29^127-129; Tuchman R et al(1991) Pediatrics 88:1219-1225; Kawasaki Y et al (1997) J Autism Dev Disord 27:605-620;
Mouridsen SE et al (1994) Dev Med Child Neurol 41:110-114; Rossi PA et al (2000) Brain Dev 22:102-106; Danielsson S et al (2005)
46:918-923
Autismus, Epilepsie und IM
•
Studie von H. Hara (2007):
– in der Gruppe von Individuen, die eine Epilepsie entwickelten
häufiger (als in der Gruppe, die keine Epilepsie entwickelte):
• niedriges Intelligenzniveau
• niedriges Niveau sozialer Fähigkeiten (Vineland)
• Behandlung mit Psychopharmaka
– 56% der Individuen mit schwerster IM und idiopathischem
Autismus entwickelten eine Epilepsie
– männliche und weibliche Personen waren gleich häufig von einer
autistischen Störung betroffen
– keine Korrelation der Entwicklung einer Epilepsie mit Sprachverlust
(Regression) im Kindesalter
– 61% der Epilepsien mit fokalen Anfällen
Hara H (2007) Brain Dev 29:486-490
Autismus, Epilepsie und IM
Risikofaktoren für die Manifestation einer Epilepsie bei
idiopathischen und symptomatischen autistischen Störungen:
•
•
•
•
IM
schwere (rezeptiver) Sprachdefizite
motorische Störungen
definierte genetische Störungen (Syndrome)
Tuchman R et al (2009) Brain Dev 31:95-103
Alter bei Erstmanifestation einer Epilepsie bei autistischen
Störungen
zwei Gipfel der Erstmanifestation von Epilepsien bei Personen mit
Autismus
1. frühe Kindheit:
54.7% zwischen 0 und 5 Jahren
(Parmeggiani et al.)
2. Adoleszenz:
23.4% zwischen 10 und 15 Jahren
(Parmeggiani et al.)
– Erwachsenalter
10% > 18 Jahre
(Rossi et al.)
– keine sicheren Unterschiede im Alter bei Erstmanifestation der Epilepsie
zwischen idiopathischem und symptomatischem Autismus
Parmeggiani A et al. (2010) Brain Dev 32:783-789; Rossi GP et al (2000) Brain Dev 22:102-106; Parmeggiani et al
(2007) J Child Neurol 22:1198-1203; Volkmar FR et al (1990) J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 29:127-129;
Tuchman et al. (2009) Brain Dev 31:95-103
Autistische Regression
Definition:
•
zeitlich umschriebener sprachlicher Abbau und Regression im
Kommunikations- bzw. Sozialverhalten, Antrieb sowie im
imaginären Spiel, verbunden mit Aufmerksamkeitsstörungen,
Schlafstörungen, Stereotypien/Perseverationen und Inflexibilität
•
z.T. ist nur eine Regression im sprachlichen Bereich erkennbar
•
es liegen keine identifizierbaren erworbene Gehirnerkrankungen
bzw. neurodegenerative/ neurometabolische Erkrankungen vor
•
sowohl eine normale als auch eine „auffällige“ Entwicklung können der
Regression vorausgehen
Fombonne E, Chakrabarti S (2001) Pediatrics 108:e58; Goldberg W et al (2003) Jf Autism Dev Disord33: 607-616; Kurita
H (1985) J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 24:191-196; Lord C et al (2004) J Child Psychol Psychiatry; 45: 1-21;
Shinnar S et al (2001) Pediatr Neurol 24: 183-189; Tuchman RF and Rapin I (1997) Pediatrics 99: 560-566; Wilson S
et al (2003) Dev Med Child Neurol 45: 508-514
Autistische Regression
sehr gut gestütztes Konzept
in unterschiedlichen Studien deutliche Übereinstimmung der
Befunde hinsichtlich:
klinischem Bild
Manifestationsalter
assoziierten autistischen Symptomen
Persistenz
Frombonne E, Chakrabarti S (2001) Pediatrics 108:e58; Goldberg W et al (2003) Jf Autism Dev Disord33: 607616; Kurita H (1985) J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 24:191-196; Lord C et al (2004) J Child Psychol
Psychiatry; 45: 1-21; Shinnar S et al (2001) Pediatr Neurol 24: 183-189; Tuchman RF and Rapin I (1997)
Pediatrics 99: 560-566; Wilson S et al (2003) Dev Med Child Neurol 45: 508-514
Autistische Regression
•
Studie von C. Lord:
N = 351 Kinder mit Autismus (Erstuntersuchung im 2. LJ)
– 53,6% ganz ohne Regression
– 46,4% mit sprachlicher u./o.
Verhaltensregression
– Manifestationsalter der Regression mit ca. 20 Monaten
•
sehr ähnliche Ergebnisse in anderen Studien
– > bei etwa 1/3 (20-40%) aller Personen mit Autismus vollzieht sich eine
autistische Regression
– im Alter von 18 bis 24 Monate
Fombonne E, Chakrabarti S (2001) Pediatrics 108:e58; Goldberg W et al (2003) Jf Autism Dev Disord33: 607-616; Kurita H (1985) J Am Acad Child
Adolesc Psychiatry 24:191-196; Lord C et al (2004) J Child Psychol Psychiatry; 45: 1-21; Shinnar S et al (2001) Pediatr Neurol 24: 183-189;
Tuchman RF and Rapin I (1997) Pediatrics 99: 560-566; Wilson S et al (2003) Dev Med Child Neurol 45: 508-514
Autistische Regression
Beziehung zwischen autistischer Regression und Epilepsie
•
Studien, die höhere Raten an Epilepsien bei autistischen Kindern mit
Regression sehen als bei solchen ohne Regression
(Kobayashi and Murata; Hrdlicka et al; Giannotti et al)
•
andere Studien fanden keine Beziehung zwischen autistischer
Regression und Epilepsie
(Parmeggiani et al; Tuchman and Rapin; Canitano et al)
Parmeggiani A et al (2010) Brain Dev 32:783-789; Canitano R et al (2005) J Child Neurol 20:27-31; Kobayashi R and
Murata (1998) Acta Psychiatr Scand 98:296-303; Hrdlicka M et al (2004) Eur Child Adolesc Psychiatry 13:209-213;
Tuchman RF and Rapin I (1997) Pediatrics 99:560-566
Autismus und Epilepsie
Epilepsie und Autismus / autistische Regression
•
hohe Assoziation von infantilen Spasmen (BNS- Epilepsie, West
Syndrom) im ersten Lebensjahr und Autismus
– bis zu 35% der Kinder mit infantilen Spasmen entwickeln, abhängig
vom Ausmaß der IM eine Störung des autistischen Spektrums
– keine sichere Evidenz, dass eine frühe und „aggressive“
Epilepsietherapie (Medikamente, Operation) die Entwicklung hin zur
autistischen Störung aufhalten kann
•
äußerst selten ist eine autistische Regression begleitet von
ausgeprägten, statusartigen EEG-Veränderungen (die dann behandelt
werden müssten)
Riikonen R and Amnell G (1981) Dev Med Child Neurol 23:747-760; Taft LT and Cohen HJ (1971) J Autism Child Schizophr
1:327-336; Saemundsen E et al (2007) J Child Neurol 22:1102-1107; Saemundsen E et al (2008) Epilepsia 49:18651870; Kayaalp L et al (2007) Brain Dev 29:336-345; Jambaque I et al (2000) Epilepsy Res 38: 151-160; Mackay MT et al
(2004) Neurology 62: 1668-1681
Autismus und Epilepsie
Epilepsie und Autismus – mögliche neurobiologische
Zusammenhänge
• bisher existieren keine umfassenden, schlüssigen neurobiologischen
Modelle über das Zusammenwirken epileptischer- und Autismus
verursachender Veränderungen im sich entwickelnden Gehirn
•
alle Aussagen hierzu sind weitgehend spekulativ
•
möglicherweise drei Endstrecken (zum Autismus, zur Epilepsie und zur
geistigen Behinderung) eines gemeinsamen zugrunde liegenden
genetisch gesteuerten Prozesses auf zellulärer und subzellulärer
Ebene (Synapsen, Zellfortsätze; Imbalance hemmender und
erregender Transmittersysteme…)
•
solche zellulären/subzellulären Veränderungen könnten auch durch
frühe epileptische Aktivität verursacht sein
Brooks.Kayal A (2010) Brain Dev 32:731-738; Tuchman R et al (2009) Brain Dev 31:95-103
Tuberöse Sklerose Komplex (TSC)
Tuberöse Sklerose Komplex (TSC)
•
autosomal dominant vererblich
•
Gesamtprävalenz :
•
dem TSC liegt eine Störung der zellulären Proliferation, Differenzierung und
Migration zugrunde
•
Genetik:
– TSC 1 (9q34)
– TSC 2 (16p13.3)
ca. 1: 30 000
> Hamartin
> Tuberin
• synergistische Wirkung von Tuberin und Hamartin auf zellulärer Ebene
• >Erkrankung einer gestörten Funktion von Tumor Suppressor-Genen
•
am häufigsten befallene Organe: Gehirn, Haut, Nieren, Herz
–
neue therapeutische Ansätze (Everolimus, Rapamycin) die gegen Veränderungen in
verschiedenen Organsystemen gerichtet sind!
Krueger DA et al (2010) N Engl J Med 363:1801-1811; Micozkudioglu H et al (2010) Ren Fail 32:1233-1236
Shepherd CW, in: Gómez MR, Sampson JR, Whittemore VH (Eds),Tuberous Sclerosis Complex 1999. pp 24-28
Osborne JP, Fryer A, Webb D, Ann NY Acad Sci 1991; 615: 125-127.
Northrup H; Au K-S, in: Gómez MR, Sampson JR, Whittemore VH (Eds),Tuberous Sclerosis Complex 1999. pp 263-274
Kwiatkowski DJ, in: Gómez MR, Sampson JR, Whittemore VH (Eds),Tuberous Sclerosis Complex 1999. pp 275-287
Tuberöse Sklerose Komplex (TSC)
•
•
Intelligenzminderung:
50-60% der TSC-Fälle
Epilepsie:
84% der TSC-Fälle
(nahezu 100%, wenn eine Intelligenzminderung vorhanden ist)
•
Autismus (autistisches Spektrum):
40-50% der TSC-Fälle
– TSC + Intelligenzminderung: 76% Autismus
– TSC - Intelligenzminderung: 24% Autismus
•
Häufigkeit des TSC bei ASD: 1-5%
•
14 % der Menschen mit ASD und Epilepsie sind von einem TSC betroffen
Asato MR, Hardan MD, J Child Neurol 2004; 19: 241-249. Smalley SL et al, J Autism Dev Disord 1992; 22: 239-255. Hunt A, J Intell Disab Res 1993;
37: 41-51
Tuberöse Sklerose Komplex (TSC)
subependymäres Riesenzellastrozytom
Autismus und Komorbidität
häufige weitere neuropsychiatrische Komorbidität des Autismus
•
Depression
•
Angststörungen
•
Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis
•
ADHS, Tic-Störungen
•
Schlafstörungen
Ghaziuddin M 2005, Mental health aspects of autism and Asperger syndrome,J Kingsley Publishers, London,
Philadelphia
Schlaf und Schlafstörungen bei geistiger Behinderung
bei Menschen mit geistiger Behinderung können mehrere
unterschiedliche Faktoren in der Entstehung von
Schlafstörungen zusammenwirken:
geistige Behinderung „an sich“ –
zugrunde liegende Gehirnschädigung
Epilepsien
Autismus
„zum Syndrom gehörend“
(z.B. Prader Willi Syndrom, Down Syndrom,
Smith-Magenis Syndrom)
gestörter
Schlaf
Spastik
psychologische Einflüsse
(Probleme in der Familie; Zubettgehzeiten)
Sehstörungen
anatomische Besonderheiten
(z.B. vergrößerte Zunge bei Trisomie 21)
Autismus und Schlafstörungen
Entstehung von Schlafstörungen bei Autismus
•
im Rahmen der autistischen Störung
•
im Rahmen der Epilepsie und der Epilepsietherapie
•
durch weitere (komorbid) vorhandene Erkrankungen/Störungen
(z.B. Sinnesstörungen, Adipositas, gastrooesophagealer Reflux…)
Autismus und Schlafstörungen
Häufigkeit von Schlafstörungen:
•
in mehreren Studien
– 330 Patienten mit Autismus
(2,5 – 19J)
– 520 Kontrollen (z.T. mit Intelligenzminderung)
– bei Autismus in 63% Schlafstörungen
– bei Kontrollen in 36% Schlafstörungen
in einer aktuellen Übersicht: Schlafstörungen bei Kindern und
Jugendlichen mit autistischen Störungen: 40-80%
•
Patzold LM et al (1998) J Paedirat Child Health 34:528-533; Hoshimo Y et al. (1984) Folia Psychiatr Neurol Jpn
38:45-51; Clements J et al (1986) J Child Psychol Psychiatry 25:399-407; Tiara M et al (1998) Psychiatry Clin
Neurosci 52: 182-183 und 181-182
Cortesi F et al (2010) Sleep Med 11:659-664
Autismus und Schlafstörungen
Schlafprobleme bei Autismus:
• häufiger bei jüngeren Kindern
•
unterschiedliche Schlafstörungen:
– unregelmäßiges Schlaf-Wach Muster
– Einschlafstörungen / lange Einschlaflatenz
– Durchschlafstörungen
– Früherwachen
– verminderter Nachtschlaf
– verminderte Schlafqualität
– möglicherweise vermehrt Parasomnien (z.B. Schlafwandeln,
Parasomnien)
Richdale AL, Schreck KA (2009) Sleep Med Rev 13:403-411; Store G, Wiggs L (2001) Schreck KA,
Mulick JA (2000) J Autism Dev Disord 30:127-135
Autismus und Schlafstörungen
- mögliche ursächliche Faktoren von Schlafstörungen - direkt
Autismus bezogen:
•
Angst
•
Festhalten an inadaequaten Einschlafritualen
•
Schwierigkeiten, soziale Hinweise zu verstehen
•
Anomalien im zirkadianen Melatonin-Rhythmus
•
(keine übereinstimmende Befunde aus
Polysomnografie/Aktometrie – Untersuchungen)
Stores G, Wiggs L (2001) Sleep Disturbance in Children and Adolescents with Disorders of Development: Its
Significance and Management
Epilepsie und Schlafstörungen
Zusammenhang Epilepsie – Schlaf:
•
Verstärkung interiktualer (=nicht mit einem Anfall zeitlich
zusammenfallend) epilepsietypischer Aktivität (im Leichtschlaf,
bei Stadienwechsel)
•
schlafgebundene Anfälle
•
Anfallshäufung durch verminderten Schlaf
•
Tagesmüdigkeit/-schläfrigkeit als Folge von
– nächtlichen Anfällen
– Schlafstörungen (infolge schlechter Anfallsituation)
– unerwünschter Wirkung der Antikonvulsiva
Epilepsien und Schlafstörungen
Schlafinventar bei 154 Erwachsenen mit Epilepsie:
– Tagesmüdigkeit in 61%
– Durchschlafstörungen / Aufwachschwierigkeiten in 50%
– je mehr Anfälle umso schlechter der Schlaf
Vaugh BV, D´Cruz OF (2004) Sem Neurol 24:301-313; Vaugh BV et al (1996) Seizure 5:73-70
Epilepsien und Schlafstörungen
wenig Studien über den Einfluss von
Antikonvulsiva
•
unter antikonvulsiver Medikation mit Phenobarbital, Phenytoin,
Carbamazepin , Valproat, Pregabalin und Gabapentin häufiger
Tagesmüdigkeit als bei Epilepsiepatienten ohne Medikation
•
verminderter Nachtschlaf mit Lamotrigin, Felbamat, Ethosuximid,
Levetiracetam
•
erfolgreiche (medikamentöse) Behandlung der Epilepsie verbessert
die Schlafqualität
Helmstaedter C et al (2008) Epilepsy Behav 13:535-541; nn(2005) Prescrire Int 14:203-206; Salinsky MC et al
(1996)Epilepsia 37:181-187; Manni R et al (1993) Electroencephalogr Clin Neurophysiol 86: 322-328
Schlaf und Verhalten/Kognition
Auswirkungen der Schlafstörungen auf
die Verfassung während des Tages:
•
vermehrte Schlafprobleme führen zu vermehrtem
Problemverhalten (auch Irritierbarkeit,
Stimmungsschwankungen)
•
Schlafvariablen als unabhängige Faktoren, die die kognitiven
Funktionen beeinflussen (neben Aktivität der Epilepsie, antikonvulsiver
Medikation)
Richdale AL , Schreck KA (2009) Sleep Med Rev 13:403-411; Levanon A (1999) J Pediatr 134:755-776;
Espie CA et al (1998) Am J Ment Retard 103: 47-59; Wiggs L, Stores G (1996) J Intellect Disabil Res
40:518-528; Ouine L (1991) J Ment Def Res 35:269-290
Autismus und geistige Behinderung im Erwachsenenalter
Unterstützung – Therapie - Versorgungsstrukturen
was benötigen wir ?
•
V.a. ambulante Versorgungsangebote, mit folgenden Merkmalen:
– multiprofessionelles Team (Psychologen, Ergotherapeuten, Pädagogen,
Logopäden, Sozialarbeiter, Ärzte)
– räumliche Voraussetzungen und Abläufe, die der besonderen Situation und
den speziellen Bedürfnissen von Menschen mit Autismus und geistiger
Behinderung entsprechen
– Kompetenz in den hier relevanten sowohl neurologischen wie
psychiatrischen Fragestellungen
– Kompetenz in der Diagnostik von meist untypisch ausgeprägten / häufig
vorkommenden somatischen Störungen (Schmerzdiagnostik)
– Kompetenz in der Diagnostik und Therapie von Autismus assoziierten
seltenen Erkrankungen (z.B. tuberöse Skelrose)
– Möglichkeit, Autismusdiagnostik auf hohem Niveau vornehmen zu können
Autismus und geistige Behinderung im Erwachsenenalter
Unterstützung – Therapie - Versorgungsstrukturen
was benötigen wir ?
•
V.a. ambulante Versorgungsangebote, mit folgenden Merkmalen:
– Beratungsmöglichkeiten hinsichtlich
• Kommunikationshilfen
• speziellen therapeutischen Angeboten (z.B. TEACH)
• Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten
• Sexualität und Partnerschaft
• Sinnesstörungen
• Fragestellungen, die sich für Familienangehörige/Betreuer im
Umgang mit betroffenen Person ergeben
•
ergänzende spezialisierte stationäre Behandlungsmöglichkeiten mit hoher
Flexibilität (Notfälle!)
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
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