Das Training sozialer Fertigkeiten bei schweren

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Übersicht
371
Das Training sozialer Fertigkeiten bei schweren psychischen Erkrankungen –
ist es wirksam?
Eine systematische Übersicht
Social Skills Training in Severe Mental Illness – Is it Effective?
A Systematic Review
Autoren
Uta Gühne1, Stefan Weinmann2, Katrin Arnold3, Thomas Becker3, Steffi Riedel-Heller1
Institute
1
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Universität Leipzig
Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Berlin
3
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm am Bezirkskrankenhaus Günzburg
Schlüsselwörter
" schwere psychische
●
Störungen
" Training sozialer Fertigkeiten
●
" psychosoziale Interventionen
●
" Wirksamkeit
●
" Evidenz
●
Keywords
" severe mental illness
●
" social skills training
●
" psychosocial treatment
●
" efficacy
●
" evidence
●
Zusammenfassung
!
Anliegen: Darstellung der Evidenz zur Wirksamkeit des Trainings sozialer Fertigkeiten bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen.
Methode: Systematische Literaturrecherche nach
systematischen Reviews und randomisierten Studien (RCTs) in elektronischen Datenbanken und
zusätzliche Handsuche.
Ergebnisse: Vier Reviews und 7 RCTs weisen auf
signifikante Effekte hinsichtlich erweiterter sozia-
Einleitung
!
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0032-1327289
Psychiat Prax 2012; 39:
371–380
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0303-4259
Korrespondenzadresse
Dr. rer. med. Uta Gühne
Institut für Sozialmedizin,
Arbeitsmedizin und Public
Health (ISAP),
Universität Leipzig
Philipp-Rosenthal-Straße 55
04103 Leipzig
[email protected]
Schwere und chronische psychische Erkrankungen sind häufig mit Beeinträchtigungen sozialer
Fertigkeiten verbunden, die wiederum den Erkrankungsverlauf und die Lebensqualität zusätzlich negativ beeinflussen. Es kommt oft zu Behinderungen in verschiedenen Lebensbereichen. So
können die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen in Familie, Freizeit und beruflichen Bezügen
erschwert sein.
Soziale Fertigkeiten umfassen eine Vielzahl von
Verhaltensweisen, die sich nonverbalem (z. B.
Blickkontakt, Gestik, Körperhaltung) und paraverbalem Verhalten (z. B. Lautstärke, Tonfall, Sprechgeschwindigkeit) zuordnen lassen sowie an verbale Inhalte (z. B. Nachricht, Angemessenheit der
Selbstöffnung) und interaktionelle Aspekte (z. B.
Einsatz von sozialen Verstärkern wie dem aktiven
Zuhören) gebunden sind. Darüber hinaus spielen
kognitive Fertigkeiten wie Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und eine adäquate Wahrnehmung sozial relevanter Parameter eine wichtige
Rolle. Erst das entsprechende Zusammenspiel
der einzelnen Verhaltensweisen führt zu einer
gelungenen Interaktion [1].
Trainingsansätze zur Verbesserung sozialer Fertigkeiten nutzen überwiegend verhaltenstherapeutische Prinzipien und Techniken [2]. Ziel ist,
ler Fertigkeiten sowie einer verbesserten sozialen
Anpassung der Betroffenen hin. Weniger eindeutig sind die Effekte auf andere Zielgrößen.
Schlussfolgerungen: Menschen mit schweren
psychischen Erkrankungen sollten ein Training
sozialer Fertigkeiten erhalten, das bei Vorliegen
kognitiver Defizite durch kognitive Übungsstrategien ergänzt werden sollte. Erforderlich sind
Techniken, die den Transfer in den Alltag unterstützen.
die Patienten darin zu unterstützen, eigene Gefühle und Erwartungen im Rahmen sozialer Situationen und der Beziehungsgestaltung wahrzunehmen und angemessen zu adressieren. Die Patienten sollen dahingehend angeleitet werden,
auf der Basis gut funktionierender zwischenmenschlicher Beziehungen eigene Ziele, berechtigte Interessen sowie formulierte Wünsche und
Bedürfnisse im Hinblick auf ein unabhängiges Le" Tab. 1 gibt einen Überblick
ben zu verfolgen [2].●
über typische Trainingselemente von Interventionsansätzen zur Verbesserung sozialer Fertigkeiten.
In der Literatur lassen sich 3 Formen des Trainings
sozialer Fertigkeiten unterscheiden: ein Basis-,
ein soziales Problemlöse- und ein sozialkognitives
Modell [3, 4]. Darüber hinaus existieren zahlreiche Variationen und Adaptationen [2]. Im Rahmen des Basismodells werden anfangs komplexe
soziale Fertigkeiten in originäre Einzelschritte
oder -komponenten zerlegt, korrigierendes Lernen durch verschiedene Techniken, z. B. durch
Rollenspiele, angestrebt und deren Anwendung
in alltäglichen Situationen erprobt. Das Modell
des sozialen Problemlösens fokussiert auf eine
Verbesserung von Beeinträchtigungen innerhalb
der Informationsverarbeitung. Dabei werden 3
Phasen des interpersonalen Kommunikationsprozesses betrachtet:
Gühne U et al. Das Training sozialer … Psychiat Prax 2012; 39: 371–380
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2
Übersicht
Tab. 1
Trainingselemente sozialer Fertigkeiten (nach Kopelowicz 2006) [2].
Problemanalyse
Erkennen bestehender Hindernisse und Probleme bezogen auf die Bereiche des sozialen Verhaltens und aller damit verbundenen Schwierigkeiten
Zielsetzung und Trainingsplanung
Entwicklung „kleinster Schritte“ im Hinblick auf eine Annäherung an
persönliche Ziele, v. a. im sozial-emotionalen Kompetenzbereich.
Erforderlich dabei ist eine genaue Beschreibung der notwendigen sozialen Fertigkeiten und die Herstellung des genauen Kontextbezuges
(welche Fähigkeit benötigt der Patient wann, wo und wozu?)
Rollenspiele und konkrete Übungen
Demonstration konkreter verbaler, nonverbaler und paralinguistischer
Verhaltensweisen durch den Patienten, welche für eine erfolgreiche soziale Interaktion erforderlich sind
positive und negative Verstärker
in Form von Feedback an den Patienten infolge von demonstriertem
Verhalten
Modelllernen
ermöglicht dem Patienten indirektes Lernen durch die Beobachtung der
erwünschten Verhaltensweisen am Trainer oder anderen Patienten
Übungsphase
Einüben der zu erlernenden Verhaltensweisen durch Wiederholungen
positive soziale Verstärkung
in Abhängigkeit der verbesserten Verhaltensweisen
Hausaufgaben
Motivation des Patienten, erlernte soziale Kompetenzen in alltäglichen
Situationen anzuwenden inkl. Planung, Vor- und Nachbesprechung
positive Verstärkung und Problemlösung
in Abhängigkeit neuer Erfahrungen des Patienten im Umgang mit den
neu erlernten Strategien erfolgen entsprechend positive Verstärkung
durch den Trainer und/oder die Erarbeitung weiterer Problemlösestrategien
1. Wahrnehmung von Eingangssignalen,
2. deren Verarbeitung und Ableitung relevanter Strategien und
3. Senden einer angemessenen Antwort an die entsprechende
Person [5].
Das kognitive Trainingsmodell zielt eher auf die Verbesserung
wichtiger kognitiver Fertigkeiten, wie bspw. Aufmerksamkeit
und exekutive Funktionen, von denen angenommen wird, dass
sie das soziale Lernen entscheidend beeinflussen [4]. Neuere Ansätze fokussieren deshalb auf eine Kombination des sozialen Fertigkeitentrainings mit kognitiven Übungsstrategien. Häufig zitiert wird dabei die Integrierte Psychologische Therapie (IPT),
ein mehrstufiges Verfahren, das auf dem Training grundlegender
kognitiver Fähigkeiten und sozialer Wahrnehmungsprozesse aufbauend, soziale Fertigkeiten in zunehmend komplexer Form erweitert [6].
Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit der Verallgemeinerung
und des Transfers erlernter sozialer Kompetenzen in den Alltag
wurden spezielle Verfahren entwickelt, die bspw. die Unterstützung des Transfers durch einen Case Manager ermöglichen (z. B.
In Vivo Amplified Skills Training [IVAST]) [7, 8]. Andere Weiterentwicklungen beinhalten spezielle Ansätze zur Behandlung
von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und einer zusätzlichen Suchtstörung [9] oder sind auf die Vermittlung
sozialer Fertigkeiten bei älteren Menschen ausgerichtet [10 – 12].
Entstanden ist die vorliegende Arbeit im Rahmen der Erarbeitung
der S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN). Die aktuelle Arbeit
geht der Frage nach, ob ein Training sozialer Fertigkeiten bei
Menschen mit schweren psychischen Störungen wirksam ist.
Gühne U et al. Das Training sozialer … Psychiat Prax 2012; 39: 371–380
Das besondere hierbei ist, dass der Fokus nicht auf Menschen
mit einer bestimmten psychischen Erkrankung begrenzt ist, sondern Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen
(people with severe mental illness) umfasst, die jedem in der Versorgung psychisch Kranker praktisch Tätigen als Personengruppe
mit besonderen Hilfebedarfen bekannt ist. Es wurde eine systematische Literaturrecherche nach entsprechenden Wirksamkeitsstudien durchgeführt und die vorliegende Evidenz übersichtlich aufbereitet.
Methoden
!
Es wurde zunächst eine systematische Literaturrecherche nach
systematischen Reviews und Metaanalysen durchgeführt. In
einem zweiten Schritt wurde die Suche nach einzelnen später
publizierten randomisierten kontrollierten Studien, die nicht in
den vorliegenden Reviews und Metaanalysen enthalten waren,
ergänzt. Nichtrandomisierte Studien blieben aufgrund der höheren Ergebnisunsicherheit unberücksichtigt. Es wurden lediglich
englisch- oder deutschsprachige Publikationen eingeschlossen,
für die ein Volltext vorlag. Eine zeitliche Eingrenzung der Studien
in der Literaturrecherche wurde nicht vorgenommen. In folgenden Datenbanken wurde recherchiert: MEDLINE, Cochrane Database of Systematic Reviews, EMBASE und PsycInfo. Daneben wurden alle großen Leitlinien- und HTA-Datenbanken nach entsprechenden Metaanalysen im Rahmen von bereits existierenden
Leitlinien durchsucht. Die Qualität der eingeschlossenen randomisierten kontrollierten Einzelstudien wurde unter Verwendung
einer Qualitätscheckliste in Anlehnung an das Cochrane Risk-ofBias-Tool, die u. a. Kriterien wie adäquate Randomisierung, Verdeckung der Gruppenzuteilung, Verblindung und Angemessenheit der statistischen Auswertung enthielt, bewertet. Für die Darstellung der Wirksamkeit wurden die in den Studien verwendeten Ergebnisparameter verwendet.
Es wurden definierte Schlüsselbegriffe für die Literatursuche verwendet:
1. zur Intervention: ([social and skill* and training] or [social and
skill* and program*] or [social and communication* and training] or [social and communication* and program] or [psychosocial and skill* and training] or [psychosocial and skill*
and program] or [interpersonal* and skill* and training] or
[interpersonal* and skill* and program] or [social and interaction* and training] or [social and interaction* and program] or
[social and behaviour and training] or [social and behaviour
and program*] or [social and functioning* and training] or
[social and functioning* and program] or [skill* and training]
or [social and training] or [skill* and program +] or [social and
program*])
2. zur Indikation: ([chronic* or sever*] and mental* and disorder)
or ([chronic* or sever*] and mental* and illness) or (severe and
psychiatric and disorder) or (severe and mental and health and
problems) or (depression or [depressive and disorder] or [severe and affective and disorder]) or (schizophrenia or psychotic* or paranoid or schizophrenic* or psychosis) or ([bipolar
and disorder] or [bipolar and affective and disorder] or [manic
and depression] or [bipolar and depression]) or ([personality
and disorder] or [obsessive and compulsive and disorder])
Für die Definition einer schweren psychischen Störung wurden
die Kriterien von Ruggeri et al. (2000) und Parabiaghi et al. (2006)
zugrunde gelegt, die gleichzeitig als Einschlusskriterien galten:
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372
Übersicht
71 Reviews
897 Einzelstudien
62 doppelte oder irrelevante Abstracts
ausgeschlossen
846 doppelte oder irrelevante Abstracts
ausgeschlossen
9 Arbeiten und 9 zusätzlich identifizierte
Arbeiten zur weiteren Prüfung auf Relevanz
51 Einzelstudien und 34 zusätzlich identifizierte
Studien zur weitere Prüfung auf Relevanz
Ausschluss von:
· 3: Intervention entspricht nicht den Kriterien
· 10: kein systematischer Review oder
methodische Mängel
· 1: Stichprobe entspricht nicht den Kriterien
Ausschluss von:
· 42: zu alt bzw. in Reviews bereits enthalten
· 10: kein RCT bzw. methodische Mängel
· 5: Stichprobe entspricht nicht den Kriterien
· 21: Intervention entspricht nicht den Kriterien
n = 7 eingeschlossene RCTs
1. gesicherte Diagnose einer psychischen Störung nach ICD-10
(Fokus auf Schizophrenien, schwere Depressionen und bipolare Störungen, Zwangsstörungen und/oder Persönlichkeitsstörungen),
2. verbunden mit ausgeprägten Beeinträchtigungen, die mithilfe
von Skalen zur Erfassung von psychopathologischen Symptomen oder des sozialen Funktionsniveaus objektivierbar sind,
3. bei einer Mindestdauer der Erkrankung bzw. Behandlung von
2 Jahren [13, 14].
Die Suche blieb auf englisch- und deutschsprachige Studien limitiert. Potenziell relevante Studien wurden über die Durchsicht
der Titel und Abstracts identifiziert.
Ergebnisse
!
Von 968 Treffern erwiesen sich nach Durchsicht der Titel und
Abstracts 908 der Arbeiten als doppelt oder irrelevant. Nach Prüfung der verbleibenden Arbeiten und zusätzlich identifizierter
Studien aus Referenzen wurden 4 Metaanalysen und 7 Einzelstu" Abb. 1). Aufgrund der hohen methodischen
dien selektiert (vgl.●
Qualität und der Aktualität wurde zusätzlich die Metaanalyse zur
Effektivität des Trainings sozialer Fertigkeiten der Leitlinie Schizophrenie des britischen National Centre for Health and Clinical
Excellence (NICE) berücksichtigt.
Bei Betrachtung der relevanten Metaanalysen zeigt sich, dass es
erwartungsgemäß Überschneidungen hinsichtlich der eingeschlossenen Studien gibt. Vier Übersichtsarbeiten [15 – 18]
schlossen Arbeiten ein, die verschiedene strukturierte psychosoziale Interventionen untersuchten, in denen unter Verwendung
verschiedener Techniken (Modellbildung, Verstärkung, Rollenspiele etc.) auf eine Verbesserung sozialer Funktionen fokussiert
wird. Hinsichtlich allgemeiner Merkmale sind die eingeschlossenen Studien vergleichbar. Mehrheitlich wurden Patienten mit
einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis untersucht; seltener Patienten mit schweren affektiven oder anderen
psychotischen Störungen. Dabei handelte es sich um Patienten
mit langen und schweren Krankheitsverläufen und mehreren
stationären Behandlungsaufenthalten in der Vergangenheit. Die
Studienpopulation umfasste in der Mehrheit Männer zwischen
18 und 60 Jahren. Hinsichtlich der Kontrollinterventionen ergibt
sich eine breite Varianz. Überwiegend wurde die Effektivität von
strukturiertem Fertigkeitentraining mit einer aktiven Kontrollintervention (arbeitsrehabilitative Programme, Gesundheitsprogramme, unspezifische Gruppentherapien, künstlerisch-kreative
Ansätze etc.) verglichen. In einigen Studien galt eine Standardbehandlung (treatment as usual) als Vergleichsintervention. Die betrachteten Studien wurden sowohl in ambulanten als auch in stationären Settings durchgeführt; seltener im Rahmen einer tagesklinischen Behandlung oder in Pflegeeinrichtungen. Die Behandlungsdauer schwankte erheblich über alle Studien hinweg. Der
Einbezug von Familienangehörigen wurde überwiegend vernachlässigt. Bezogen auf methodische Aspekte wurden ausschließlich randomisierte kontrollierte Studien bei strenger Qualitätsbewertung berücksichtigt. Die in den 4 Metaanalysen eingeschlossenen 39 Studien sind zwischen 1977 und 2007 erschienen. Die Mehrzahl der Studien wurde in den USA, andere in Kanada, Mexiko, Polen, Italien, Türkei, Japan, China, Hongkong, Taiwan, Korea und Australien durchgeführt. Aus Deutschland liegen
bisher Studien zum Integrierten Psychologischen Therapieprogramm (IPT) für schizophrene Patienten vor, deren Ergebnisse
neben denen anderer Arbeiten in einer weiteren Metaanalyse
evaluiert wurden [6].
Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse aus den Arbeiten skizziert und in Tabellenform zusammengefasst. Die Effekte
eines Trainings sozialer Fertigkeiten, die sich in Metaanalysen
" Tab. 2) und in neueren Einzelstudien (RCTs) (●
" Tab. 4) zeigen,
(●
werden jeweils getrennt dargestellt. Dabei werden die OutcomeParameter in Gruppen zusammengefasst (z. B. krankheits- und
" Tab. 3 gibt aufgrund der
behandlungsassoziierte Merkmale). ●
Besonderheit des hier zugrunde liegenden theoretischen Modells
zur Wirkungsweise von Interventionen zur Verbesserung sozialer Fertigkeiten die Ergebnisse der Metaanalyse von Kurtz und
Mueser (2008) wieder.
Im Rahmen einer ersten nunmehr über 10 Jahre zurückliegenden
Metaanalyse konnte kein signifikanter Vorteil des Trainings sozialer Fertigkeiten gegenüber herkömmlicher Behandlung oder
anderen spezifischen psychosozialen Interventionen gefunden
Gühne U et al. Das Training sozialer … Psychiat Prax 2012; 39: 371–380
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Abb. 1 Identifikation von Übersichtsarbeiten und
Einzelstudien zum Training sozialer Fertigkeiten.
968 potenziell relevante Abstracts
n = 4 Metaanalysen
Metaanalyse aus NICE – Leitlinie Schizophrenie
(NICE-Leitlinie)
373
Übersicht
Tab. 2
Effekte des Trainings sozialer Fertigkeiten aus Metaanalysen auf verschiedene Zielparameter.
Anzahl eingeschlossener Studien (k)
Pilling [15]
Pfammatter [16]
Kurtz u. Mueser
NICE-Leitlinie
Roder [6]
2002
2006
[17]
Schizophrenie [18]
2006
2008
2009
k = 22
k = 23
k=9
k = 23
k=7
krankheitsassoziierte Merkmale
Erweiterung sozialer Fertigkeiten
↑
↑↑
↑↑
~
Erweiterung sozialer Funktionen
↑↑ 1
↑↑
↑↑
~
↑↑
~
↑↑
↑↑
Reduktion der Symptomschwere (allgemein)
↑↑
~
– Negativsymptome
– andere Symptome
Verbesserung der Lebensqualität
↑↑ 1
↑
~
behandlungsassoziierte Merkmale
Reduktion von Rückfallrisiko & stationärer
Wiederaufnahmeraten
↑↑ 1
~
↑↑
Reduktion stationärer Behandlungszeiten
Reduktion der Behandlungsabbrüche
~
~
~
~
psychologische Merkmale
↑↑
Stärkung von Selbstbewusstsein
↑↑
Verbesserung kognitiver Funktionen
↑↑: signifikanter Vorteil in Experimentalgruppe gegenüber Kontrollgruppe, ↑: tendenzielle Überlegenheit ohne signifikanten Unterschied in Experimentalgruppe gegenüber
Kontrollgruppe; ~: Ergebnisse vergleichbar in beiden Gruppen;
1
Ergebnisse beziehen sich auf Einzeldaten (d. h. es zeigten sich Effekte in den Daten einzelner Studien, aber nicht in einer Berechnung über mehrere Studien hinweg)
Tab. 3
Training sozialer Fertigkeiten: Ergebnisse einer Metaanalyse (Kurtz 2008) [17].
← Nähe-Distanz-Kontinuum →
Nähe
Distanz
Zielvariablen
trainingsnahe Aufgaben
soziale und alltagsprak-
psychosoziale Funktionen
Negativsymptome
tische Fertigkeiten
andere psychische Symptome/Rückfälle und Wiederaufnahmen
z. B. Strukturierte Rollenspiele aus Manualen,
Fragebogentests
z. B. Rollenspiele zu simulierten sozialen Situationen
z. B. Global Assessment Scale
z. B. Scale for the Assessment
of Negative Symptoms
z. B. Positive and Negative
Syndrome Scale
k=7
k=7
k=7
k=6
k = 10 /9
n = 330
n = 481
n = 371
n = 363
n = 604 /485
ES = 1,20
ES = 0,52
ES = 0,52
ES = 0,40
ES = 0,15/0,23
95 %-KI = 0,96 – 1,43
95 %-KI = 0,34 – 0,71
95 %-KI = 0,31 – 0,73
95 %-KI = 0,19 – 0,61
95 %-KI = – 0,01 – 0,31/
0,04 – 0,41
p < 0,01
p < 0,01
p < 0,01
p < 0,01
n.s./p < 0,05
k = Anzahl der eingeschlossenen Studien, n = Anzahl der Patienten, ES = Effektstärke, 95 %-KI = 95 %-Konfidenzintervall, p = Signifikanzniveau
werden [15]. Die Ergebnisse einzelner Studien geben Hinweise
zur Wirksamkeit entsprechender Interventionen bezogen auf
die Verbesserung sozialer Funktionen [19] und die Lebensquali" Tab. 2).
tät [20] (vgl. ●
Die Metaanalyse von Pfammatter und Kollegen (2006) weist auf
" Tab. 2). Unmittelbar nach
stabile positive Effekte hin (vgl. ●
Durchführung eines Trainings sozialer Fertigkeiten verfügten die
Patienten über deutlich erweiterte soziale Fertigkeiten (Effektstärke = 0,77) sowie über ein stärkeres Selbstbewusstsein (Effektstärke = 0,43) im Vergleich zu herkömmlicher Behandlung oder
einer unspezifischen psychosozialen Kontrollintervention. Soziale Funktionen wurden verbessert (Effektstärke = 0,39) und psychopathologische Symptome reduziert (Effektstärke = 0,23).
Auch Erhebungen der Zielparameter zu einem späteren Zeitpunkt zeigten signifikante Vorteile gegenüber anderen Behandlungen hinsichtlich der Verbesserung sozialer Funktionen (Ef-
Gühne U et al. Das Training sozialer … Psychiat Prax 2012; 39: 371–380
fektstärke = 0,32) sowie einer Reduktion stationärer Wiederaufnahmeraten (Effektstärke = 0,48) [16].
Auf der Basis eines theoretischen Modells zur Wirkungsweise
von Interventionen zur Verbesserung sozialer Fertigkeiten entwickelten Kurtz und Mueser (2008) ein 5-dimensionales Kontinuum, in welches sie die betrachteten Zielvariablen in Abhängigkeit von ihrem Nähe-Distanz-Verhältnis zu den zu erwartenden
Effekten des Trainings sozialer Fertigkeiten einordneten (vgl.
" Tab. 3). Dabei nahmen sie an, dass der Einfluss durch ein ent●
sprechendes Training am ehesten messbar sein sollte, wenn mit
der Zielvariable inhaltsnahe soziale Fertigkeiten (z. B. Rollenspielaufgaben aus Trainingsmanualen, Fragebogentests) erhoben werden. Begründet durch die größte Distanz zwischen Trainingsinhalt und zu erwartenden Effekten ordneten die Autoren am anderen Ende des Kontinuums Zielvariablen ein, mit deren Hilfe
Auswirkungen auf psychische Symptome (mit Ausnahme von negativen Symptomen) und die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen
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374
erfasst wurden. Die größten Effekte des Trainings sozialer Fertigkeiten wurden wie erwartet unter Verwendung inhaltsnaher
Zielparameter messbar. Entlang des Nähe-Distanz-Kontinuums
wird eine Verringerung der Effektstärken mit größerer Entfernung zu den vermittelten Trainingsinhalten deutlich. Entsprechend der Hypothese, scheint ein Training sozialer Fertigkeiten
lediglich einen geringen Einfluss auf psychische Symptome und
die Rückfallwahrscheinlichkeit zu haben, wobei Negativsympto" Tab. 2 und ●
" Tab. 3).
me eher beeinflussbar scheinen [17] (●
Die Ergebnisse der Metaanalyse im Rahmen der NICE-Leitlinie
Schizophrenie lieferten keine Hinweise darauf, dass ein Training
sozialer Fertigkeiten hinsichtlich der Verbesserung krankheits" Tab.
und behandlungsassoziierter Merkmale wirksam ist (vgl. ●
2). Eingeschränkte Evidenz fand sich lediglich im Hinblick auf die
Verringerung der Negativsymptomatik [18].
Roder und Kollegen (2006) untersuchten die Wirksamkeit des Integrierten Psychologischen Therapieprogramms (IPT). Das IPT
vereint verschiedene Interventionsansätze in einem 5-stufigen,
systematisch aufgebauten Programm (Kognitive Differenzierung,
soziale Wahrnehmung, verbale Kommunikation, soziale Fertigkeiten und interpersonelles Problemlösen), verwendet dabei typische Anwendungen des sozialen Fertigkeitentrainings und zielt
auf die Verbesserung kognitiver Grundfunktionen und sozialer
Kompetenzen. Das IPT ist durch spezifische Erweiterungen
(Emotional Management Therapy, Adressierung sozialer Fertigkeiten in einem beruflichen Kontext, im Bereich des Wohnens
oder der Freizeit) mehrfach modifiziert worden [21 – 23]. In der
vorliegenden Metaanalyse wurden zunächst 30 Studien mit insgesamt 1393 Patienten aus 9 Ländern berücksichtigt, darunter
einige Studien aus Deutschland. In einer zweiten Analyse wurden
ausschließlich randomisierte kontrollierte Studien (k = 7 Studien,
n = 362 Patienten) betrachtet. Die Patienten der Experimentalgruppe zeigten hierbei signifikante Verbesserungen in 3 relevanten Bereichen: kognitive Fähigkeiten (Effektstärke = 0,48), psychosoziales Funktionsniveau (Effektstärke = 0,62) und Psychopa" Tab. 2).
thologie (Effektstärke = 0,49) [6] (vgl. ●
Es konnten weitere randomisierte kontrollierte Studien identifiziert werden, die die Effekte eines Trainings sozialer Fertigkeiten
gegenüber einer aktiven Kontrollintervention bei Menschen mit
schwerer psychischer Erkrankung, v. a. schizophrener Erkrankung, untersuchten und in den zitierten Metaanalysen keinen
" Tab. 4). Deutlich wird auch hier die
Einschluss fanden (vgl. ●
große Breite an verschiedenen Trainingsprogrammen, die v. a.
Ansätze kognitiven Trainings nutzen.
Horan und Kollegen (2009) untersuchten die Effekte eines integrativen Interventionsansatzes zum Training sozialer Kognitionen (Social cognitive skills training) gegenüber einem Training
zum Krankheitsmanagement (UCLA Social and Independent
Living Skills Program) [24]. Im Ergebnis wurden signifikante Verbesserungen hinsichtlich der Wahrnehmung des mimischen Ausdrucks in der Experimentalgruppe gegenüber der Kontrollgruppe deutlich. Nach Trainingsende wurde allerdings auch eine erhöhte Antriebslosigkeit in der Interventionsgruppe evident [25].
Die Effekte des Social Skills and Neurocognitive Individualized
Trainings (SSANIT) wurden gegenüber strukturierten Freizeitaktivitäten (Musikgruppe, Tischlerarbeiten, Töpferarbeiten, Kochen, Bewegung etc.) in einem tagesklinischen Setting beobachtet. Zur Unterstützung des Alltagstransfers wurden außerhalb
des therapeutischen Settings erprobte Übungen wiederholt reflektiert. Kognitive Fertigkeiten wurden mithilfe eines computergestützten kognitiven Rehabilitationsprogramms mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen trainiert. Nach Interventionsende
zeigten sich in der Experimentalgruppe signifikante Vorteile hinsichtlich der psychosozialen Anpassung in verschiedenen Bereichen [26]. Die Anwendung einer chinesischen Version des Community Re-Entry Module (CRM) [24], eines standardisierten und
strukturierten Trainings sozialer Fertigkeiten, führte zu signifikanten Vorteilen hinsichtlich erweiterter sozialer Funktionen,
der Reduktion psychopathologischer Symptome, einer verbesserten Krankheitseinsicht, einem geringeren Rückfallrisiko sowie einer verbesserten beruflichen Wiedereingliederung gegenüber
der Kontrollgruppe (standardisierte Gruppenpsychoedukation)
innerhalb eines Untersuchungszeitraums von 2 Jahren [27].
Ebenfalls positive Effekte auf soziale Problemlösefertigkeiten
wurden in einer Studie von Kern und Kollegen (2005) evident,
in der die Auswirkungen eines sozialen Problemlösetrainings
auf der Basis von errorless learning gegenüber einem standardisierten Training zum Krankheitsmanagement untersucht wurden [28]. Die Cognitive Enhancement Therapy (CET) kombiniert
ein begleitendes Gruppentraining neurokognitiver und sozialkognitiver Fähigkeiten als auch sozialer Fertigkeiten. Am Behandlungsende wurden signifikante Effekte auf die Verarbeitungsgeschwindigkeit, Denkstile, soziale Kognitionen und die soziale Anpassung evident [29]. Die Effekte blieben auch nach einem Jahr
bestehen. Dabei erwies sich die Verbesserung der Verarbeitungsgeschwindigkeit als ein bedeutender Mediator für eine verbesserte soziale Anpassungsleistung [30]. Silverstein et al. (2009) untersuchten Patienten mit einer Schizophrenie und ausgeprägten,
bisher veränderungsresistenten Beeinträchtigungen von Aufmerksamkeit und sozialen Kompetenzen mittels eines erweiterten Trainingsprogramms. Die Patienten erhielten entweder das
UCLA Basic Conversation Skills Module (BCSM) erweitert durch
Attention Shaping oder die standardisierte Version ohne die aufmerksamkeitsstärkende Intervention. Es zeigte sich eine signifikante Verbesserung sozialer Fertigkeiten im Vergleich zur Baselineerhebung in der Experimentalgruppe gegenüber der Kontrollgruppe, die von einer verbesserten Aufmerksamkeitsleistung
abhängig war [31]. Eine spanische Studie untersuchte die Effekte
einer adaptierten Form des Social and Independent Living Skills
Program (UCLA) [24] im häuslichen Setting auf die psychopathologische Symptomatik. Auf der Basis eines individuellen Interventionsplans wurden 64 Patienten mit Schizophrenie sowie deren Angehörige über 6 Monate trainiert. Der Einbezug von Familienangehörigen während des Fertigkeitentrainings im Lebensumfeld der Betroffenen resultierte in einer größeren Symptomreduktion verglichen mit einer herkömmlichen Behandlung in
einer Institution [32].
Zusammenfassung der Befunde
Während eine erste Metaanalyse keine signifikante Überlegenheit der Intervention gegenüber anderen Ansätzen fand und lediglich einzelne Befunde auf verbesserte soziale Funktionen und
eine höhere Lebensqualität in der Experimentalgruppe hinwiesen, liegt mittlerweile deutlich mehr Evidenz zur Wirksamkeit
des Trainings sozialer Fertigkeiten bei schweren psychischen Störungen vor. Ein entsprechendes Training zeigt überwiegend signifikante Auswirkungen auf die Erweiterung sozialer Fertigkeiten
und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer besseren sozialen Anpassung der Betroffenen. Weniger eindeutig sind die Effekte auf
andere Zielgrößen. Die Symptomschwere, insbesondere die Negativsymptomatik, scheint durch ein Fertigkeitentraining positiv
beeinflussbar. Die Befunde dazu sind jedoch nicht konsistent. Positive Effekte auf Lebensqualität, Rückfallrisiko und stationäre
Wiederaufnahmeraten sowie auf Behandlungszufriedenheit,
Gühne U et al. Das Training sozialer … Psychiat Prax 2012; 39: 371–380
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Übersicht
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Effekte des Trainings sozialer Fertigkeiten aus Einzelstudien auf verschiedene Zielparameter.
Horan [25]
Galderisi [26]
Xiang [27]
Kern [28]
Hogarty [29]
Silverstein [31]
Moriana [32]
2009
2009
2007
2005
2004
2009
2006
Stichprobengrößegesamt (n)
n = 34
n = 60
n = 103
n = 60
n = 121
n = 82
n = 64
Experimentalintervention
Social cognitive skills
Social Skills and
Community Re-Entry
soziales Problemlöse-
Cognitive Enhance-
UCLA Basic Conversa-
Social and Inde-
training
Neurocognitive Indivi-
Module (CRM)
training
ment Therapy
tion Skills Module
pendent Living
(errorless learning)
(CET)
(BCSM) + Attention
Skills Program
Shaping
(UCLA) im häus-
dualized Training
(SSANIT)
Übersicht
lichen Setting
Kontrollintervention
UCLA Social and Inde-
strukturierte Freizeit-
Gruppenpsycho-
Training zum Krank-
Enriched Supportive
UCLA Basic Conversa-
herkömmliche
pendent Living Skills
aktivitäten
edukation
heitsmanagement
Therapy
tion Skills Module
Behandlung
Program
(BCSM) allein
krankheitsassoziierte Merkmale
Erweiterung sozialer Fertigkeiten
↑↑ 1
Erweiterung sozialer Funktionen
↑↑
↑↑
↑↑
↑↑
↑↑
~
~
↑↑
↑↑
~
↑↑
Reduktion der Symptomschwere
– Negativsymptome
– andere Symptome
–2
~
behandlungsassoziierte Merkmale
↑↑
Reduktion von Rückfallrisiko & stationärer Wiederaufnahmeraten
↑↑
Reduktion von Behandlungsabbrüchen
Erhöhung der Patientenzufriedenheit
~
Merkmale sozialer Inklusion/Exklusion
↑↑
Verbesserung beruflicher Wiedereingliederung
psychologische Merkmale
Verbesserung kognitiver Funktionen
Verbesserung von Krankheitseinsicht
~
↑↑
~
↑↑
↑↑: signifikanter Vorteil in Experimentalgruppe gegenüber Kontrollgruppe, ~: Ergebnisse vergleichbar in beiden Gruppen, – : Nachteil in Experimentalgruppe gegenüber Kontrollgruppe
1
Verbesserungen in einer Domain (Wahrnehmung von fazialen Affekten); 2 Verschlechterung in einer Domain (Anergie)
↑↑
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Tab. 4
Übersicht
Diskussion
!
Ziel der Arbeit war, die aktuelle Evidenz für die Wirksamkeit
eines Trainings sozialer Fertigkeiten bei Menschen mit schweren
psychischen Störungen aufzubereiten. Es existiert mittlerweile
eine große Vielfalt an Manualen und Trainingsansätzen zur Stärkung sozialer Fertigkeiten, die in zahlreichen Studien evaluiert
worden sind.
Heterogenität der Interventionen
Nicht selten fokussieren diese verschiedenen Ansätze gleichzeitig auch auf ein Training zur Stärkung von Alltagsfertigkeiten
oder auf das Krankheits- bzw. Symptommanagement. Während
ein Training sozialer Fertigkeiten auf eine Verbesserung sozialer
und kommunikativer Fähigkeiten zielt, kann unter einem Training alltags- oder lebenspraktischer Fertigkeiten ein breiterer
Ansatz verstanden werden, der die persönlichen Kompetenzen
der Betroffenen im Sinne einer unabhängigen Alltagsgestaltung
stärkt. Das UCLA Social and Independent Living Skills (SILS) Program [24] bspw. enthält eine Reihe von Modulen, die unterschiedliche Bereiche berühren. Neben grundlegenden kommunikativen Fertigkeiten, dem Umgang mit Freundschaften sowie
freizeit- und beschäftigungsbezogenen sozialen Fertigkeiten werden hier auch Strategien zum Management von Medikation,
Symptomatik und Substanzgebrauch vermittelt und die Planung
von alltäglichen Aufgaben eingeübt. Auch das Functional Adaptation Skills Training (FAST) [33] orientiert sich inhaltlich am SILS
und fokussiert bspw. auf Alltagsbereiche des Planens und Handelns, des Transports und der Pflege der Finanzen. Aufgrund der
weitreichenden Beeinträchtigungen alltagspraktischen Handelns
schwer und chronisch psychisch kranker Menschen und der Notwendigkeit der Bewältigung dieser als Voraussetzung für ein
selbstbestimmtes und unabhängiges Leben in der Gemeinde ist
eine Kombination dieser verschiedenen Trainingsansätze im Alltag bedeutsam. Eine gezielte Beurteilung der Wirksamkeit der
verschiedenen Interventionen insbesondere durch die Anwendung quantitativer Analysen ist damit jedoch erschwert. Ein
Training sozialer Fertigkeiten kann auch andere Ansätze beinhalten, so z. B. Ansätze, die einen Transfer des Erlernten in den Alltag
unterstützen (z. B. In Vivo Amplified Skills Training [IVAST] [8])
oder Ansätze, die kognitive Funktionen stärken (z. B. Integriertes
Psychologisches Therapieprogramm [34]). Zukünftige Arbeiten
sollten deshalb auch zugrunde liegende Bedingungen eines Trainings und spezifische Wirkfaktoren untersuchen bzw. der Frage
nachgehen, in welcher Kombination mit anderen Interventionen
ein Training sozialer Fertigkeiten besonders wirksam ist.
Heterogenität der Studien und Outcome-Kriterien
Die dargestellten Metaanalysen sind in ihren Ergebnissen nicht
konsistent. Eine erste Metaanalyse, die ausschließlich randomisierte kontrollierte Studien einschloss [15], konnte abgesehen
von positiven Effekten aus Einzelstudien, keine signifikanten Ergebnisse bezogen auf Rückfallraten, soziale Funktionen und Lebensqualität aufzeigen. Vorausgegangene Übersichtsarbeiten,
die auch quasiexperimentelle Studien einbezogen, wiesen dagegen signifikante Vorteile durch ein Training sozialer Fertigkeiten
auf. Die metaanalytischen Berechnungen resultierten in großen
Effektstärken bezogen auf die Erweiterung sozialer Fertigkeiten
und Durchsetzungskraft sowie in kleinen bis großen Effekten bezogen auf die Reduktion der psychopathologischen Symptomatik
und der Anzahl notwendiger stationärer Behandlungen [35, 36].
Nun können nichtrandomisierte Studien zu einer Überschätzung
von Therapieeffekten führen [37]. Doch konnten später erschienene Metaanalysen, die eine größere Anzahl von randomisierten
kontrollierten Studien einschlossen als dies noch bei Pilling und
Kollegen (2002) der Fall war, signifikante Effekte aufzeigen. Eine
Ausnahme bildet dabei die Metaanalyse der NICE-Leitlinie Schizophrenie. Vermutlich ist die breite Varianz der betrachteten Experimental- und Kontrollinterventionen für die widersprüchlichen Befunde unter den jüngeren Arbeiten verantwortlich. Zudem haben die Autoren der NICE-Leitlinie jeweils nur wenige
Studien pro Ergebnisparameter für die einzelnen quantitativen
Informationssynthesen (Metaanalysen) eingeschlossen – teilweise nur eine Studie. Für die Mehrzahl der Ergebnisparameter ergab sich damit keine signifikante Überlegenheit der Intervention.
Bei Pfammatter et al. (2006) sowie Kurtz und Mueser (2008) hingegen sind pro Berechnung mehr Studien eingeschlossen worden, da hier auch verschiedene Outcome-Skalen berücksichtigt
wurden [16, 17]. Durch die Zusammenfassung von ähnlichen,
aber dennoch unterschiedlichen Skalen zu gleichen Outcome-Dimensionen und die gemeinsame Auswertung wird zum einen die
Zahl der Studien, die für die Berechnung der mittleren Effektstärke herangezogen wird, größer und zum anderen verringert sich
auch das Konfidenzintervall. Überzeugend sind zudem die Befunde von Kurtz und Mueser (2008) [17], die ausgehend von einem hypothetischen Modell nachweisen konnten, dass der Einfluss eines Trainings sozialer Fertigkeiten am stärksten auf Zielvariablen ist, die in einer großen inhaltlichen Nähe zum Trainingsansatz stehen. So konnte hinsichtlich der Verbesserung sozialer
Fertigkeiten, deren Erhebung aus Rollenspielen oder Interviews
erfolgte, die größte Effektstärke erzielt werden.
Zielgruppe
Die Mehrheit der aufgeführten Ergebnisse basiert auf Untersuchungen bei Menschen mit schizophrenen Erkrankungen. Die Integrierte Psychologische Therapie (IPT) [6] bspw. ist auf die Diagnosegruppe schizophren Erkrankter zugeschnitten und bisherige
Evaluationen wurden ausnahmslos an Menschen mit einer schizophrenen Störung durchgeführt. Andere betrachtete Metaanalysen schlossen auch Studien ein, die diagnoseübergreifend Menschen mit schweren psychischen Störungen untersuchten. Dennoch wäre eine breitere Datenbasis für die Gesamtgruppe der
Menschen mit schweren psychischen Störungen wünschenswert.
Generalisierbarkeit der Effekte
Die Generalisierbarkeit der in einem klinischen Setting erlernten
sozialen Fertigkeiten wurde vielfach hinterfragt [38]. Von einer
spontanen Übertragbarkeit der Fertigkeiten in den Alltag kann
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Krankheitseinsicht und auf erweiterte Chancen einer beruflichen
Wiedereingliederung konnten lediglich vereinzelt aufgezeigt
werden und waren seltener Gegenstand der Untersuchung.
Verschiedene Modifikationen und Erweiterungen bzw. Neuentwicklungen der Trainingsmanuale zur Verbesserung sozialer
Kompetenzen fokussieren auf die Kombination mit kognitiven
Verfahren (Attention Shaping, Integrated Psychological Therapy,
Cognitive Enhancement Therapy, Errorless Learning). Positive Effekte werden dabei bei der Erweiterung sozialer Fertigkeiten sowie kognitiver Funktionen beobachtet. Eine spezielle Unterstützung, um erlernte Fertigkeiten in den Alltag zu transferieren,
zeigt positive Auswirkungen auf die soziale Anpassungsleistung
und auf eine Reduktion der Symptomschwere.
377
Übersicht
selten ausgegangen werden, vielmehr ist die systematische Unterstützung durch geeignete Techniken erforderlich [39]. Je ähnlicher die Trainingsbedingungen denen des Alltagslebens gestaltet werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Anwendung der erlernten Fertigkeiten im Alltag [2]. Das In Vivo
Amplified Skills Training (IVAST) bspw. kombiniert ein Fertigkeitentraining mit Ansätzen des Intensive Case Management [8]. Ein
spezialisierter Case Manager unterstützt die Patienten mit Hilfe
verhaltenstherapeutischer Techniken darin, die in einem standardisierten Training erworbenen Fertigkeiten im unmittelbaren
Lebensumfeld anzuwenden. Die auf diese Weise unterstützten
Patienten konnten von Vorteilen hinsichtlich verbesserter sozialer Problemlösefertigkeiten, einer signifikant größeren sozialen
Anpassung und einer höheren Lebensqualität über einen Zeitraum von 2 Jahren gegenüber denjenigen Patienten profitieren,
die allein ein Training sozialer Fertigkeiten erhalten haben [7, 8].
An anderer Stelle wurde gezeigt, dass auch sog. naturalistic supporters einige der Aufgaben eines Case Managers erfolgreich
übernehmen können. Freunde und Angehörige der Betroffenen
oder psychisch stabile Peers aus Selbsthilfegruppen unterstützen
diese im Alltag in der Anwendung der erlernten Fertigkeiten. Die
Supporter selbst erfahren Anleitung und Supervision durch einen
Case Manager. Die Kombination eines Trainings sozialer Fertigkeiten und einer solchen Unterstützung führte zu einer stetigen
Verbesserung sozialer und alltagspraktischer Funktionen während des Trainings und über 18 Monate darüber hinaus. Im Gegensatz dazu verloren sich positive Effekte innerhalb der Beobachtungszeit von 18 Monaten unter denjenigen, die keine spezielle Unterstützung des Alltagstransfers erhielten [40]. Der Einbezug der Angehörigen zur Unterstützung des Alltagstransfers
erwies sich auch in 2 weiteren Studien als wirksam [32, 41].
Neuropsychologische Therapieansätze
Zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien konnten zeigen,
dass die Anwendung neuropsychologischer Therapieansätze bei
schweren psychischen Erkrankungen, insbesondere bei schizophrenen Störungen, positive Effekte auf die Erweiterung sozialer
Fertigkeiten hat. Es wird dabei von einer komplexen, wechselseitigen Beziehung zwischen kognitiven Funktionen und sozialen
Kompetenzen ausgegangen [2]. So gibt es auch Evidenz dafür,
dass ein erfolgreiches Training sozialer Fertigkeiten in verbesserten kognitiven Funktionen mündet [42]. Am umfangreichsten
evaluiert ist bisher die Integrierte Psychologische Therapie [6].
Neben bedeutsamen Verbesserungen neurokognitiver Funktionen und der psychosozialen Anpassung wird hierdurch auch
die psychopathologische Symptomatik positiv beeinflusst. Mit
einem computerbasierten neurokognitiven Training kombiniert
mit einem sozialkognitiven Gruppentraining zielt die Cognitive
Enhancement Therapy (CET) auf eine Verbesserung sozialkognitiver Fähigkeiten. Spezielle Techniken unterstützen ferner den
Transfer in den Alltag [43]. Auch hier wurden positive Effekte
auf die soziale Anpassung sowie auf soziale Kognitionen, Denkstile und die Verarbeitungsgeschwindigkeit evident [29]. Patienten
mit ausgeprägten Denkstörungen und hoher Ablenkbarkeit sowie mangelnder Erreichbarkeit für herkömmliche Trainingsansätze zur Stärkung sozialer Fertigkeiten erfahren durch neuropsychologische Verfahren, die die Aufmerksamkeitsleistung der
Patienten stärken, Erfolge hinsichtlich kommunikativer und sozialer Fertigkeiten. Eine Technik ist bspw. Attention shaping [31].
Eine weitere erfolgreiche Methode ist das fehlerfreie Lernen (errorless learning) [28]. Im Gegensatz zum Lernen aus Versuch und
Irrtum soll den Patienten durch eine gezielte Ausgestaltung der
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Lernsituation ein fehlerfreies Lernen ermöglicht werden. Man
geht davon aus, dass ein fehlerfreies Lernen robustere und beständigere Lernerfolge sichert. Wie die skizzierte Studie von
Kern und Kollegen (2005) zeigen konnte, wirkt sich ein Training
sozialer Problemlösefertigkeiten, konzeptualisiert auf der Basis
von errorless learning, positiv aus [28]. Ein jüngerer Ansatz, der
Metakognitionen berücksichtigt, ist mit dem Social Cognitive
and Interaction Treatment Program (SCIT) entwickelt worden
[44]. Das Manual beinhaltet ein gestaffeltes Training sozialkognitiver Fähigkeiten, das auf Veränderungen von emotionalen Wahrnehmungsprozessen, Attributionsstilen und des Vergegenwärtigen von Intentionen, Gedanken und Gefühlen anderer (theory of
mind) ausgerichtet ist. In einer Pilotstudie konnte zunächst gezeigt werden, dass sich sozialkognitive Fähigkeiten messbar bessern und ein solches Training bei forensischen psychiatrischen
Patienten mit schizophrener Erkrankung zu einer Stärkung der
sozialen Kompetenz sowie zu einer Reduktion aggressiven Verhaltens führte [45].
Multimodales Vorgehen
Insgesamt wird deutlich, dass ein multimodales Vorgehen dem
Trainieren von äußeren Verhaltensweisen in einer umschriebenen Übungssituation vorzuziehen ist. Ein Fertigkeitentraining
sollte deshalb, ausgerichtet an den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen des Patienten unter Einbezug der Angehörigen und Anwendung spezifischer Methoden, die den Transfer in
den Alltag unterstützen, in ein Gesamtbehandlungskonzept (vgl.
z. B. [46]) eingebettet werden. Ein integrierter und evidenzbasierter Ansatz zur Behandlung der Schizophrenie wird bspw. im Rahmen des „Optimal Treatment Projects“ (OTP) umgesetzt. Hier
werden verschiedene evidenzbasierte Strategien wie ein Training
sozialer Fertigkeiten, Assertive Community Treatment (eine gemeindepsychiatrische, multiprofessionelle, aufsuchende und
nachgehende Versorgungsform), medikamentöse Behandlung
und Compliancetraining sowie Familieninterventionen in die
Routineversorgung integriert, indem die an der Behandlung Beteiligten intensiv geschult werden. Erste Ergebnisse einer breit
angelegten internationalen Studie weisen auf Vorteile unter den
Patienten hinsichtlich der psychopathologischen Symptomatik
und sozialer Funktionen hin [47].
Obgleich die S3-Leitlinie Schizophrenie [48] auf der Grundlage
der damals verfügbaren Literatur ein Training sozialer Fertigkeiten nicht innerhalb der breiten Routineversorgung empfehlen
konnte, liegt heute wesentlich mehr Evidenz für dessen Wirksamkeit vor. Die S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen empfiehlt allen Patienten mit
schweren psychischen Erkrankungen ein Training sozialer Fertigkeiten mit dem höchsten Empfehlungsgrad (Empfehlungsgrad A).
Zum einen ist die Anzahl an hochwertigen Studien deutlich gestiegen und zum anderen sind neuere Interventionsansätze entwickelt worden, die neben einer stärkeren Berücksichtigung und
Einübung des Transfers in den Alltag ihre Wirksamkeit v. a. in
Kombination mit neurokognitiven Techniken verbessern sollen.
Hierin wird das große Potenzial dieser psychosozialen Interventionsform deutlich, die in den letzten Jahren eine interessante
Weiterentwicklung erfahren hat.
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378
Konsequenzen für Klinik und Praxis
▶ Ein Training sozialer Fertigkeiten sollte als Teil eines Gesamtbehandlungskonzepts bei schweren psychischen Erkrankungen durchgeführt werden und an die Voraussetzungen und Bedürfnisse des Einzelnen anknüpfen.
▶ Das Training sollte durch spezielle Aufgaben zum Alltagstransfer ergänzt werden, da diese die Wirksamkeit erhöhen. Dabei sollte der Einbezug von Angehörigen angestrebt
werden.
▶ Es gibt Hinweise, dass eine Kombination von Interventionen, die gleichermaßen kognitive und soziale Funktionen
stärken, besonders wirksam ist.
Danksagung
Die vorliegende Arbeit entstand in Zusammenhang mit der systematischen Recherche in Vorbereitung der S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ gefördert durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN).
Interessenkonflikt
!
Die AutorInnen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Abstract
Skills Training in Severe Mental Illness – Is it Effective?
– A Systematic Review
!
Objective: To report about existing evidence of effectiveness of
social skills training for severely mentally ill adults.
Methods: Systematic electronic and manual literature search for
systematic reviews and randomized clinical trials (RCTs).
Results: Social skills training is a widely used intervention for
people with severe mental illness. We identified four reviews
and seven RCTs demonstrating the efficacy and effectiveness of
social skills training. Results suggest that patients would benefit
from trainings by improving social skills and social functioning.
There are ambiguous results regarding other outcomes.
Conclusions: People with severe mental illness should be provided with social skills training, if necessary, combined with cognitive remediation. Those techniques are required which actively
support the generalization of positive achievements into patients’ natural environments.
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