5/98 Westfälische Wilhelms-Universität Münster Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Direktor: Univ.-Prof. Dr. Dr. O. Schober Schilddrüse und Schwangerschaft Im Rahmen einer Schwangerschaft befindet sich der Körper der Mutter in Umstellung. Dies betrifft auch die Schilddrüse. Schilddrüsenerkrankungen der Mutter können im Zusammenhang mit der Schwangerschaft zum ersten Mal auftreten. Besondere Gesichtspunkte gelten jedoch, wenn bereits vor der Schwangerschaft eine Schilddrüsenerkrankung der Mutter besteht. Während eine Schilddrüsenunterfunktion sich negativ auf die Empfängnisbereitschaft der Frau auswirken kann, ist bei bestehender Schilddrüsenüberfunktion eine Schwangerschaft sehr wohl möglich und sollte bis zur Beseitigung der Schilddrüsenüberfunktion vermieden werden. • Die Schwangerschaft beeinflußt wichtige Laborwerte. Zur Überwachung einer Schilddrüsenbehandlung in der Schwangerschaft sollten neben dem sog. basalen TSH die Spiegel der freien Schilddrüsenhormone fT3 und fT4 bestimmt werden. Wie behandelt man die Schilddrüsenunterfunktion der Mutter? Unabhängig von der Ursache wird eine Schilddrüsenunterfunktion der Mutter mit Schildddrüsenhormon-Tabletten (L-Thyroxin, z. B. Euthyrox®, L-Thyroxin Henning®, Eferox®), behandelt. Dabei ist zu beachten, daß die Schilddrüsenhormondosis an den im Verlauf Kann eine Schilddrüsenfehlfunktion der Mut- der Schwangerschaft steigenden Bedarf angepaßt ter dem Kind schaden? wird und dann im Wochenbett entsprechend reJa. Sowohl bei unbehandelter Schilddrüsen- duziert wird. Da es sich bei L-Thyroxin um das unterfunktion als auch bei überfunktion ist das körpereigene Schilddrüsenhormon handelt, sind Risiko einer Fehlgeburt erhöht. Es ist also wich- keinerlei schädliche Nebenwirkungen auf das tig, durch entsprechende Behandlung vor und Kind zu befürchten. während der Schwangerschaft eine normale Wie behandelt man eine SchilddrüsenüberSchilddrüsenfunktionslage der Mutter herbeizu- funktion der Mutter? führen. Die weitaus häufigste Ursache für die Zu welchen Veränderungen führt eine Schilddrüsenüberfunktion der Mutter in der Schwangerschaft an der Schilddrüse? Schwangerschaft ist die Basedow-Krankheit der • Der Bedarf an Schilddrüsenhormon steigt im Schilddrüse (siehe separates Merkblatt). Vor eiLaufe der Schwangerschaft um bis zu 50 %. ner geplanten Schwangerschaft sollte sich die • Die normale Funktion der kindlichen Schild- Schilddrüse möglichst lange in einem stabilen drüse setzt eine hinreichende Jodzufuhr durch Funktionszustand befinden, ggf. auch herbeigeführt durch eine entsprechende definitive Thedie Mutter voraus. • Die Abwehrlage der Mutter ist in der Früh- rapie, d. h. eine Schilddrüsenoperation oder eine schwangerschaft eher erhöht und in der zwei- Radiojodtherapie. Im Zweifelsfalle empfehlen wir ten Hälfte der Schwangerschaft gemindert. Ihnen eine ambulante Vorstellung in einer speAutoimmunerkrankungen der Schilddrüse, zialisierten Klinik, damit rechtzeitig vor der wie die Basedow-Krankheit, verlaufen in der Schwangerschaft das therapeutische Vorgehen Frühschwangerschaft mit erhöhter Aktivität, mit Ihnen besprochen und geplant werden kann. während in der Spätschwangerschaft oft kei- Dies ist sehr wichtig, denn die Möglichkeiten der ne medikamentöse Behandlung mehr nötig ist. Diagnose und Behandlung einer Schilddrüsenüberfunktion sind während einer Schwangerschaft eingeschränkt: Während einer Schwangerschaft ist eine Radiojodbehandlung überhaupt nicht möglich, eine Schilddrüsenoperation nur mit erhöhtem Risiko. Die Behandlung der mütterlichen Schilddrüsenüberfunktion in der Schwangerschaft erfolgt in erster Linie mit Medikamenten, die die Produktion von Hormon durch die Schilddrüse hemmen, sog. Thyreostatika, und zwar Thiamazol, Carbimazol oder Proyplthiourazil. Für die übrigen in der Schilddrüsentherapie eingesetzten Medikamente liegen keine ausreichenden Erfahrungen vor. Für die Behandlung während der Schwangerschaft gilt: (1) Die Medikamente sollten in der niedrigsten wirksamen Dosierung gegeben werden, da sie auch in den Blutkreislauf des Kindes gelangen. Das Ziel sind hochnormale Spiegel der freien Schilddrüsenhormone im Blut; eine Schilddrüsenunterfunktion der Mutter ist unter allen Umständen zu vermeiden. (2) Da die Aktivität der Basedow-Krankheit während der Schwangerschaft sehr stark schwanken kann, sind die Kontrollen der Schilddrüse sehr engmaschig durchzuführen, u. U. sogar alle zwei Wochen. Meist ist in der Frühschwangerschaft eine höher dosierte Medikamentengabe nötig, in der Spätschwangerschaft eine niedrige oder gar keine. (3) In keinem Falle sollte die Mutter gleichzeitig ein Thyreostatikum und Schilddrüsenhormon in Kombination erhalten. (4) Eine zusätzliche Gabe von Jod (z. B. in Form von Jod-Tabletten oder Wundsalben) sollte vermieden werden. Thyreostatika können die folgenden, wenn auch seltenen Nebenwirkungen haben: (1) Hautausschlag oder Hautjucken (1 5 %). Bitte verständigen Sie davon Ihren Arzt. Diese Symptome verschwinden in der Regel nach einem Umsetzen des Medikaments, u. U. auch trotz Fortführung desselben Medikaments. (2) Anstieg der Leberwerte, in der Regel nur vom Arzt anhand einer Blutprobe bemerkt. (3) Verminderung der Zahl der weißen Blutkörperchen. Hinweise können sein: unklares Fieber, Mandel- und Rachenentzündungen. Suchen Sie sofort Ihren Arzt auf, wenn diese Beschwerden auftreten. Ihr Arzt wird dann die Zahl der weißen Blutkörperchen überprü- fen und ggf. das Medikament sofort absetzen. Unter Umständen werden Sie in eine Klinik aufgenommen werden, bis sich das blutbildende Knochenmark wieder erholt hat. Stillzeit Nach der Entbindung normalisiert sich wieder die Abwehrlage des mütterlichen Organismus und der Schilddrüsenhormonbedarf reduziert sich auf das übliche Maß. Wichtig ist: Auch nach mehr als einem Jahr nach der Entbindung kann es zum Wiederaufflammen von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse kommen, zumeist mit den Symptomen einer Schilddrüsenüberfunktion. Symptome können sein: innere Unruhe, Nervosität, Fahrigkeit, Schlafstörungen, Zittrigkeit, Herzjagen, Schweißausbrüche, Unbehaglichkeit in warmen Räumen, Gewichtsverlust trotz gesteigerten Appetits, Durchfälle, Haarausfall, Muskelschwäche, Müdigkeit oder Erschöpfung. Lassen Sie sich dann von Ihrem Arzt untersuchen. Die beiden wichtigsten Ursachen für eine Schilddrüsenüberfunktion im Wochenbett sind die postpartale Thryeoiditis und die BasedowKrankheit, die sich beide mit Hilfe eines Schilddrüsen-Szintigramms gut voneinander unterscheiden lassen. Die postpartale Thyreoiditis klingt zumeist von selbst wieder ab, kann aber in eine Schilddrüsenunterfunktion münden. Die Basedow-Krankheit verläuft meist schwerer und erfordert eine medikamentöse Behandlung mit Thyreostatika; handelt es sich um den zweiten Schub der Basedow-Krankheit sollte darüber hinaus rechtzeitig vor einer erneuten Schwangerschaft die Durchführung einer Radiojodbehandlung bzw. Schilddrüsenoperation diskutiert werden. Bezüglich der verschiedenen Schilddrüsenmedikamente gilt in der Stillzeit: (1) Schilddrüsenhormon, d. h. L-Thyroxin, kann von der Mutter ohne Bedenken eingenommen werden. (2) Eine niedrig dosierte Behandlung mit Thyreostatika ist in der Stillzeit möglich. Das Kind sollte durch einen Kinderarzt überwacht werden, da eine Schilddrüsenfehlfunktion im Säuglingsalter Entwicklungsstörungen nach sich ziehen kann. © WWU Münster 1998