Zusammenfassung - Universität Innsbruck

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© Andreas Exenberger 2000,2001
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MAX WEBER: PROTESTANTISCHE ASKESE
UND KAPITALISMUS
ZUM INHALT:
„Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“
(1904/05 und 1919/20)
Zusammenfassung
von
Andreas Exenberger
Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte
Universität Innsbruck
Working Paper 00/01
Die vorliegende Arbeit stellt lediglich eine an manchen Stellen kommentierte inhaltliche
Zusammenfassung von Webers Text dar, die mit Zitaten unterfüttert ist. In der Gliederung
hält sie sich völlig an die Unterteilungen Webers. Doch sind auch die Rahmenbedingungen
der Entstehung des Werkes und die darauf folgende Kritik (und Webers Antikritik) sehr
interessant. Es sei daher exemplarisch auf folgende Literatur verwiesen: Die Schrift „Die
Protestantische Ethik“ in zwei Bänden von WEBER selbst faßt einerseits Aufsätze und
andererseits „Kritiken und Antikritiken“ zusammen (wobei Weber selbst die kritische
Diskussion bereits um 1910 einseitig für beendet erklärt hat). Das Begleitbuch zur FaksimilieAusgabe im Rahmen der Serie „Klassiker der Nationalökonomie“ (auf die hier in erster Linie
bezug genommen wird) enthält vor allem zwei interessante Aufsätze einerseits zu einer
Zusammenfassung der primär wirtschaftshistorischen Kritik an der „Protestantischen Ethik“
(KAUFHOLD) und andererseits zur Biographie Max Webers (ROTH), aus der sich einiges an
Verständnis für den Inhalt des Texts gewinnen läßt. Auch LEHMANN schreibt zur Sicht eines
Wirtschaftshistorikers auf Webers Arbeit, während H ENNIS sich vor allem im letzten Kapitel
seines Buches mit der Frage beschäftigt, welche Bücher Max Weber im Laufe seines Lebens
gelesen hat und welchen Einfluß diese auf sein Gesamtwerk (und damit an prominenter Stelle
auch die „Protestantische Ethik“) gehabt haben.
I.
Das Problem
1. Konfession und soziale Schichtung
Empirische Untersuchungen um die Wende zum 20.Jahrhundert zeigten, daß Protestanten
(gar nicht zu reden von Juden) im Durchschnitt „reicher“ waren als Katholiken. Das lag
freilich auch daran, daß sich gerade Menschen aus bestimmten sozialen Schichten im
16.Jahrhundert und danach dieser Religion zuwandten. Dennoch bleibt aber eine Differenz
bestehen, wenn man diese Effekte ausblendet: Katholiken neigten eher humanistischer
Bildung zu, Protestanten eher praktischer; Katholiken neigten eher dem Handwerk zu,
Protestanten eher der (gehobenen) Fabriksarbeit. Auch haben sich die Katholiken
unabhängig davon, ob sie Minderheit oder Mehrheit waren, stets in der selben Weise
verhalten und nicht etwa besondere ökonomische Aktivitäten entfaltet, wenn ihren Eliten
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der Weg in den Staatsdienst verwehrt war. Es gibt also offenbar Unterschiede, die auf die
Konfession und damit auf die ethische Grundhaltung zurückgehen mögen.
Katholische weltfremde Askese versus protestantischer Materialismus? „Der Protestant ißt gut, während der Katholik ruhig schlafen will“? Das sind bloß Vorurteile, die bei
genauerer Betrachtung verschwinden, meint Weber. Viel eher stellt sich die Frage, „ob
nicht der ganze Gegensatz zwischen ‚Weltfremdheit‘, ‚Askese‘ und kirchlicher Frömmigkeit auf der einen Seite, Beteiligung am kapitalistischen Erwerbsleben auf der anderen
Seite geradezu in eine innere Verwandtschaft umzukehren sei.“1 Wir werden sehen, daß
dem so ist.
„Nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig von kirchlich-religiöser Beherrschung des
Lebens war es ja, was gerade diejenigen Reformatoren, welche in den ökonomisch
entwickeltsten Ländern entstanden, zu tadeln fanden.“2 Sollten daher die „so auffällig oft
aus Pfarrhäusern“ hervorgegangenen Unternehmer ein bloßer Reflex gegen die Askese
gewesen sein? Nein, denn viel zu oft treffen ökonomische Dynamik und Religion nicht
bloß im Einzelnen, sondern in gesellschaftlichen Gruppen zusammen. Und daraus
formuliert Weber folgende erste Frage: „Welchen Grund hatte diese besonders starke
Prädisposition der ökonomisch entwickeltsten Gebiete für eine kirchliche Revolution?“3 Er
stellte sie freilich, ohne sie in der vorliegenden Arbeit zu beantworten.
2. Der „Geist“ des Kapitalismus
Die Frage nach dem „Geist“ des Kapitalismus wird nicht durch eine Definition und damit
Abgrenzung begonnen, sondern dieser Geist wird bewußt vage über Veranschaulichung
bestimmt. Weber nennt dies eine „historische Begriffsbildung“, der Begriff „muß aus
seinen einzelnen aus der geschichtlichen Wirklichkeit zu entnehmenden Bestandteilen
komponiert werden. Die endgültige begriffliche Erfassung kann nicht am Anfang, sondern
nur am Schluß der Untersuchung stehen“ und ist deren wesentliches Ergebnis. 4 So wird der
Geist des Kapitalismus von Weber im Sinne einer „ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung“ verstanden, die er durch Benajmin Franklin aufzeigt: dieser proklamiert eine
sittliche Lebensweise zum Zwecke der Kreditwürdigkeit und er postuliert, daß Geld, das
man nicht erworben hat, wiewohl man es hätte erwerben können, Kosten der Freizeit sei
und schließlich auch, daß Mäßigkeit am sichersten zu Reichtum führt; jedoch setzt er diese
Handlungen als Tugenden, weil sie nutzen und ist daher unbedingter Utilitarist (selbst der
Schein der Ehrlichkeit genügt, wenn er dieselbe Wirkung hat, wie die Ehrlichkeit selbst).
Aber Franklin führt die Offenbarung der Nützlichkeit der Tugend auf Gott zurück,
der ihn „dadurch zur Tugend“ bringen wollte und Weber zeigt, daß Franklin den Gelderwerb zum Selbstzweck stilisiert, „unter strengster Vermeidung alles unbefangenen
Genießens“. 5 Als allgemeine Regel folgt daraus eine wichtige ethische Veränderung, ja
Umkehrung: „Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das
Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen
Lebensbedürfnisse bezogen.“6 („Mittel“ und „Zweck“ dabei ganz kantianisch gedacht)
Und dieser kapitalistische Geist, dieses Entstehen auch eines „Berufs“ (im Sinne einer
1
W EBER I, S 8; L ICHTBLAU/W EIß, S 7. Die Weber-Zitate basieren einerseits auf einer einbändigen
Faksimilie-Ausgabe seiner beiden Aufsätze aus dem Jahr 1904/05 (getrennt zitiert als W EBER I und
W EBER II) und andererseits auf einer durchgehenden Textausgabe von L ICHTBLAU/W EIß, die auch
die später (bis 1919/20) vorgenommenen Änderungen rekonstruiert und in einem Anhang aufführt.
In dieser Arbeit wird so zitiert, wie ein korrigierter Text ausgesehen hätte (also Version 1920).
Ebenso werden aus dem Original Hervorhebungen (in kursiver Schrift) grundsätzlich übernommen.
2
W EBER I, S 3; L ICHTBLAU/W EIß, S 3.
3
W EBER I, S 3; L ICHTBLAU/W EIß, S 2.
4
W EBER I, S 12; L ICHTBLAU/W EIß, S 11.
5
W EBER I, S 16; L ICHTBLAU/W EIß, S 15.
6
W EBER I, S 16f; L ICHTBLAU/W EIß, S 15.
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Arbeit, zu der man – von Gott – „berufen“ und der man daher verpflichtet ist), kam jeder
eigentlich „kapitalistischen“ Entwicklung und er darf nicht verwechselt werden mit den
immer schon dagewesenen Geschwistern Geiz und Profitgier, die weniger kollektive
Eigenschaften als vielmehr persönliche sind.
Der Kapitalismus aber mußte den Traditionalismus (jene noch nicht „umgekehrte“
Ethik) überwinden: die Arbeitsmoral ausmärzen, die den Arbeiter immer dann nach Hause
gehen läßt, wenn er genug (für heute) und nicht etwa dann, wenn er soviel als möglich
verdient hat. Um letzteres zu denken, mußte man sich schon, wie Weber sagt, „der Arbeit
gegenüber verpflichtet“ fühlen. 7 Ebenso verhält es sich mit Industrien, die zwar der Form
nach kapitalistisch, dem Geiste nach aber traditionalistisch organisiert sind: anstatt den
früher ordentlichen Gewinn in eine gemächliche Lebensführung zu transformieren (ein
Gedanke, dem die Expansion fast fremd ist) wurde der nunmehr sehr ordentliche Gewinn
in noch mehr Gewinn investiert (und damit direkt in die Expansion). Eine neue, rationalistische Ethik hatte sich entfaltet – die übrigens Gemeinschaftsgeist, also Freude an der
ökonomischen Entwicklung des ganzen Gemeinwesens, nicht nur nicht ausschließt, sondern oft sogar impliziert.
Doch diese Ethik stieß schon früh auf die Gegnerschaft des (mittelalterlichen)
Katholizismus, wie er sich etwa im Wucherverbot äußert: wenn der Reiche ein „Konto
Gottes“ führt und dieses Geld für karitative Zwecke vorsieht oder wenn er „Wucherzins“
rückvergütet, dann handelt er im Bewußtsein der Schuldhaftigkeit des Erwerbs auf Kosten
anderer; solche Naturen können dem Erwerb „bestenfalls indifferent“ gegenüberstehen.
„Wie war es möglich, daß im Zentrum der kapitalistischen Entwicklung der damaligen
Welt [Florenz im 15.Jahrhundert ...] als sittlich bedenklich galt, was in den hinterwäldlerisch-kleinbürgerlichen Verhältnissen von Pennsylvania [im 18.Jahrhundert ...] als Inhalt
einer sittlich löblichen, ja gebotenen Lebensführung gelten konnte?“8 Es ist jedenfalls
kaum zu denken ohne Berücksichtigung der normativen Kraft einer religiös begründeten
Ethik. Und weiter: „Hier von einer ‚Widerspiegelung‘ der ‚materiellen‘ Verhältnisse in
dem ‚ideellen Überbau‘ reden zu wollen, wäre ja barer Unsinn“, 9 denn es ist selbstverständlich gerade umgekehrt.
Der moderne Kapitalist zu Webers Zeiten aber war schon areligiös oder wenigstens
religiös gleichgültig. Nichtsdestoweniger hatte er noch, anders als heute, ein religiöses
Ethos in sich, das ihn zum Selbstzweck Beruf und zum Selbstzweck Erwerb drängte, so
daß er sich sonst in Genügsamkeit und Bescheidenheit übte. Der Kapitalismus der Gegenwart (1900 ebenso wie 2000) braucht diese Ethik, um sein Arbeits- und damit Herrschaftsmuster durchzusetzen, wenigstens solange bis er diese Regentschaft erreicht hat. Ab
diesem Zeitpunkt (vorher auch, aber nunmehr ohne das Erfordernis der Rücksichtnahme
auf den noch nicht sicheren Erfolg) verwahrte er sich gegen die Einmischung der diese
Ethik hervorbringenden Religion, wie er sich auch gegen die Einmischung des Staates stets
verwahrt hat, wenn sie ihm nicht Nutzen spendete. Also stand Weber eigentlich an der
Schwelle dieses Sieges und hat ihn bereits erahnt, vor allem, wenn man den Sozialismus
lediglich als Negativ des Kapitalismus und damit gänzlich von ihm bestimmt erkennt.
Doch solche Prognosen waren nicht Webers Frage.
3. Luthers Berufsbegriff. Aufgabe der Untersuchung.
In der katholischen Vorstellungswelt fehlt ein ethisch-religiös gefärbter Begriff für „Beruf“
(im Sinne von göttlicher Berufung) – ganz anders im Protestantismus, wenngleich erst
durch die Bibelübersetzungen angeregt. Damit dringt Weber in seiner Argumentation an
7
8
9
W EBER I, S 24; L ICHTBLAU/W EIß, S 22.
W EBER I, S 33; L ICHTBLAU/W EIß, S 31.
W EBER I, S 33; L ICHTBLAU/W EIß, S 31.
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jene Stelle vor, die ihm eigentlicher Dreh- und Angelpunkt werden soll: Vor Luther war
nicht von „Beruf“ die Rede, sondern vielmehr von „Ruf“ oder „Stand“. Darin kommt
„jenes Zentraldogma aller protestantischen Denominationen zum Ausdruck, welches [...]
als einziges Mittel Gott wohlgefällig zu leben, nicht eine Überbietung der innerweltlichen
Sittlichkeit durch mönchische Askese [wie im Katholizismus praktiziert], sondern
ausschließlich die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten kennt, wie sie sich aus der
Lebensstellung des einzelnen ergeben, die dadurch eben sein ‚Beruf‘ wird.“10
Luther begann seine Reformationstätigkeit noch der Arbeit gegenüber indifferent,
doch endete er in der Idee, daß „sie und nur Gottes Wille sei“ und zudem Ausdruck der
Nächstenliebe. 11 Und dies ist Weber zufolge (was nicht unumstritten blieb) Luthers entscheidende Leistung im Zusammenhang mit dem Kapitalismus, dem er an anderer Stelle –
beim Zins etwa, auch beim Gewinn im Allgemeinen, der nur die eigenen Bedürfnisse
decken helfen sollte – durchaus nichts Produktives beizugeben gewillt ist. Daher muß auch
gesagt werden, daß „Luther die Bibel durch die Brille seiner jeweiligen Gesamtstimmung
[las] und diese ist im Lauf seiner Entwicklung zwischen etwa 1518 und 1530 nicht nur
traditionalistisch geblieben, sondern immer traditionalistischer geworden.“12
Eine der wichtigen Bibelstellen diesbezüglich ist der erste Korintherbrief, in dem
Paulus davon schreibt, daß jeder in seinem Stand (oder eben „Beruf“) das Kommen des
Reiches Gottes erwarten solle. 13 Luther brachte diese Stelle dazu, sich zunehmend dem
Fatalismus zuzuwenden, und damit sah er den Beruf letztlich als das, „was der Mensch als
göttliche Fügung hinzunehmen, worin er sich zu schicken hat“ und nicht als „die von Gott
gestellt Aufgabe“. 14 Duckmäusertum als ethische Kathegorie, wie schon im Katholizismus
angesichts des katholischen Staates? Jedenfalls noch keine Erfüllung im Beruf, noch kein
„Heil“ in ihm, was später schließlich ganz zentral werden soll.
Denn diese Auffassung ändert sich schon mit dem Calvinismus. Angesichts von
Miltons „Paradise Lost“ veranschaulicht Weber die „puritanische Weltfreudigkeit, das
heißt: Wertung des Lebens als Aufgabe“, 15 die im Mittelalter noch völlig undenkbar
gewesen wäre und die auch Luther in dieser Weise noch fremd war. Das Paradies liegt in
jedem selbst, in der Form der Tugenden der Liebe, des Glaubens, der Geduld und der
Mäßigkeit, so daß Weber sogar folgert, daß primär aus der Religion (und genauer: der
Spaltung der Christenheit) heraus die spezifisch nationalen Charaktere späterer Epochen
sich gespeist haben mögen. 16
Sicher scheint, daß kein religiöser Reformer den Kapitalismus als Ziel vor Augen
hatte, nicht einmal, daß für sie das Streben nach Gütern als Selbstzweck einen ethischen
Wert verkörpert hätte. Ebenfalls klar ist für Weber, daß der Kapitalismus nicht wegen der
Reformation entstanden ist (seine Wurzeln reichen tiefer). Worum es ihm jedoch geht, ist
aufzuzeigen, „ob und in welchen Punkten bestimmte Wahlverwandtschaften zwischen
gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik erkennbar sind.“17 Dann
10
W EBER I, S 41; L ICHTBLAU/W EIß, S 39.
W EBER I, S 40; L ICHTBLAU/W EIß, S 43. Während das Mönchstum von einer „den Weltenpflichten
sich entziehenden Lieblosigkeit“ geprägt sei; W EBER I, S 40; L ICHTBLAU/W EIß, S 42.
12
W EBER I, S 46; L ICHTBLAU/W EIß, S 43.
13
„Jeder bleibe in dem Beruf, in den er berufen wurde“ (1 Kor 7,20), „so fällt er den Brüdern nicht
als Armer lästig“, kommentiert Weber dazu; W EBER I, S 46; L ICHTBLAU/W EIß, S 43.
14
W EBER I, S 48f; L ICHTBLAU/W EIß, S 45f. „Aufgabe“ und „die“ (die einzige Aufgabe nämlich), beides
ist gleichermaßen wichtig an diesem Zitat.
15
W EBER I, S 52; L ICHTBLAU/W EIß, S 48.
16
Natürlich fällt es leicht zu folgern, wenn man einmal die religiöse Identität und ihre Abgrenzung
gegen die anderen vorausgesetzt hat, daß sich dies von der Religion auf die Nation übertragen
hatte; nur, die Identifikation mit einer bestimmten Religion war gerade in der Zeit der Reformation
ein Minderheitenphänomen und für die Masse der Menschen nicht wichtig. Soviel nur als erste
Einschränkung eines solche umfassenden Anspruchs eines Erklärungsmusters.
17
W EBER I, S 54; L ICHTBLAU/W EIß, S 51.
11
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kann man deren Einflußrichtung identifizieren und schließlich möglicherweise auch die
Frage stellen, inwieweit moderne Kulturinhalte auf religiöse Formen zurückgehen. All das
soll nicht in der Form einer Wertung geschehen, die etwa den Protestantismus im
Vergleich mit dem Katholizismus (ab-)qualifiziert, sondern es interessiert die Frage nach
dem Einfluß des Protestantismus auf die Form des Kapitalismus und nichts sonst.
II. Die Berufsidee des Asketischen Protestantismus
1. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese
Die geschichtlichen Träger des Protestantismus sind in der Hauptsache viererlei: der
Calvinismus (vor allem der des 17.Jahrhunderts), der Pietismus, der Methodismus und die
aus der täuferischen Bewegung hervorgewachsenen „Sekten“ (Quäker, Baptisten und
andere). Diese Bewegungen und deren ethische Grundpositionen möchte Weber untersuchen, womit er freilich Erfolgsgeschichtsschreibung betreibt. Nur, wie sonst sollte man
das beschreiben, was beschrieben werden soll? Sicher nicht, indem man sich betrachtet, wo
es nicht vorliegt. Und daß die ethische Konzeption bei Luther noch nicht konsequent war,
sollte im ersten Teil der Arbeit schon gezeigt worden sein (er meinte noch: „Weinen geht
vor Wirken und Leiden übertrifft alles Tun“. 18
Die Untersuchung stützt sich dabei vor allem auf die schriftlichen Quellen der
Geistesgrößen jener Strömungen. Dies obwohl die gelebte Praxis als das wesentlichere
identifiziert wird, wenngleich mit der wichtigen Einschränkung, daß eine gelebte Praxis in
Absehung von der dogmatischen Grundlage völlig undenkbar ist. „Denn nicht auf das, was
etwa in ethischen Kompendien der Zeit theoretisch gelehrt wurde [...], kommt es in erster
Linie uns an; sondern auf etwas ganz anderes: auf die Ermittlung derjenigen durch den
religiösen Glauben und die Praxis des religiösen Lebens geschaffenen psychologischen
Antriebe, welche der Lebensführung die Richtung wiesen und das Individuum in ihr
festhielten.“19
Calvinismus (WEBER II, S 5-39; LICHTBLAU/WEIß S 56-89)
Das wichtigste Dogma des Calvinismus ist die Gnadenwahl, 20 zumindest im Hinblick
auf dessen „kulturgeschichtliche Wirkungen“. Der Mensch selbst ist der Gnade des Herrn
voll und ganz ausgeliefert. Dessen Entschluß über Heil und Verdammnis wird durch
göttlicher Willkür (wie sie in dem Satz „Gottes Wege sind für den Menschen unergründlich“ spürbar wird) gefaßt und ist vom Menschen durch nichts zu beeinflussen, wenngleich
die Verdammten „zuweilen“ durch Gottes Bezeichnung als solche erkenntlich gemacht
werden (so kann auch etwa einer, der sich der Kirche fernhält, keinesfalls zum Heil
gelangen). Die Gnade ist daher aber nicht verlierbar, wie sie eben auch nicht gewinnbar ist,
beides gänzlich andere Ansätze als im Luthertum.
Maßstäbe irdischer Gerechtigkeit wären eine Verletzung der göttlichen Majestät,
welche Aspekte seiner Weisheit Gott den Menschen mitzuteilen gedachte, obliegt allein
seinem Ratschluß und das menschliche Leben, sein Sinn und das Schicksal jedes
Einzelnen, sie liegen gänzlich im Dunkeln. „Denn alle Kreatur ist durch eine unüberbrückbare Kluft von Gott geschieden und verdient von ihm, soweit er nicht zur Verherrlichung
seiner Majestät ein anderes beschlossen hat, lediglich den ewigen Tod“. 21 „Aus dem
menschlich verständlichen ‚Vater im Himmel‘ des Neuen Testaments, der sich über die
18
Zitiert in W EBER II, S 36 (Fußnote 73); L ICHTBLAU/W EIß, S 86 (Fußnote 142).
W EBER II, S 3, ergänzt; L ICHTBLAU/W EIß, S 55 und S 176.
20
Von Weber aus der Westminster Confession von 1647 destiliert; für Auszüge vgl. W EBER II, S 7f;
L ICHTBLAU/W EIß, S 58f.
21
W EBER II, S 10; L ICHTBLAU/W EIß, S 61.
19
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Wiederkehr des Sünders freut, wie ein Weib über den wiedergefundenen Groschen, ist hier
ein jedem menschlichen Verständnis entzogenes transzendentes Wesen geworden, welches
von Ewigkeit her nach gänzlich unerforschlichen Ratschlüssen jedem einzelnen sein
Geschick zuteilt und über alles Kleinste im Kosmos verfügt hat.“22
Könnte der Mensch durch eigenes Zutun sein Schicksal wandeln, seinen Gnadenstand verändern, wäre dies ein direkter Angriff auf Gottes unbedingte Souveränität und
damit schlicht undenkbar. Der Mensch geht „einem von Ewigkeit her feststehenden
Schicksal entgegen“23 und das im übrigen ganz allein, und nichts und niemand kann ihm
auf diesem Wege helfen, nicht einmal Gott selbst (auch Christus ist nur für die Erwählten
gestorben). Des Menschen individuelles Schicksal steht schon fest und alles Gemeinschaftsgefühl kann ihn darüber nicht trösten, sondern die einzige Gemeinschaft, die zählt,
ist die zwischen dem Gläubigen (nicht „den“) und Gott. Ganz besonders die „magischen
Rituale“ (Sakramente) fördern daher nicht das Heil, sondern dienen höchstens einer
weltlichen Verherrlichung Gottes. Zumeist aber werden sie ganz abgelehnt.
Dieses Dogma war bei Calvin selbst noch nicht ganz so scharf, wie es schließlich in
den folgenden „Kulturkämpfen“ werden sollte. Der Puritanismus lehnte alle „sinnlichgefühlsmäßigen Elemente in der Kultur und die subjektive Religiosität“24 ab, er ist
illusionslos (und damit bar jeden „Aberglaubens“), pessimistisch und individualistisch. All
dies äußert sich deutlich etwa im Verschwinden der „Privatbeichte“ im Calvinismus, mit
der freilich auch das Ventil des Schuldbewußtseins verschwand. Ein sehr plastisches
Beispiel dieser Art der individualistischen Lebensführung, die selbst jedwedes Vertrauen
in irgendeinen Menschen in Frage stellt, gibt Weber mit der Schilderung einer Episode aus
Bunyans „Pilgrims Progress“. 25
Diese Lehre kulminiert aber nicht in Rücksichtslosigkeit, sondern der Calvinist
glaubt, daß „die Welt dazu – und nur dazu – bestimmt ist, der Selbstverherrlichung Gottes
zu dienen, der erwählte Christ dazu da, den Ruhm Gottes in der Welt durch Vollstreckung
seiner Gebote an seinem Teil zu mehren. Gott will die soziale Leistung des Christen [...
]“26 Ebenso verhält es sich mit der Berufsarbeit, die gewissermaßen der weltliche Teil von
Gottes Gebot ist. Der Beruf nimmt daher den Charakter „eines Dienstes [!] an der
rationalen Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos“27 an.
Kommen wir an einen weiteren Kernpunkt: Wie kann der Calvinist seine Erwählung
erkennen und sich ihrer versichern (ein ewiges Leben währt schließlich länger als ein
irdisches und ist daher wichtiger)? Der Erwählte unterschied sich schließlich äußerlich in
nichts vom Verdammten (von Ausnahmen abgesehen). Zwei Lösungen – die eigentlich
eine sind – werden angeboten: erstens mußte man sich schlicht für erwählt halten und
jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abwehren (mangelnde Glaubensgewißheit wurde
also als Zeichen der Verdammnis gedeutet); zweitens sollte man sich durch rastlose
Berufsarbeit vom Zweifel ablenken, sie als „Mittel zum Abreagieren der religiösen
Angstaffekte“28 begreifen, eigentlich als Beichtersatz.
Die Suche nach der Einheit mit Gott beenden die Calvinisten mit der Feststellung,
daß diese aufgrund der Unvereinbarkeit des Ewigen mit dem Vergänglichen nur durch
Gottes Wirken durch den Menschen möglich ist. Der Mensch ist Gottes Werkzeug, nicht
Gottes Tempel, soll damit aktiv und nicht passiv sein. Nicht „subjektive“ Emotionen,
22
W EBER II, S 10; L ICHTBLAU/W EIß, S 61.
W EBER II, S 11; L ICHTBLAU/W EIß, S 62.
24
W EBER II, S 11; L ICHTBLAU/W EIß, S 62.
25
W EBER II, S 13f; L ICHTBLAU/W EIß, S 64f. Der Berufene läßt als er feststellt, daß er in der „Stadt der
Sünde“ weilt, ohne zu zögern Weib und Kinder hinter sich, obwohl sich diese an ihn klammern.
26
W EBER II, S 15, ergänzt; L ICHTBLAU/W EIß, S 66 und S 180.
27
W EBER II, S 17; L ICHTBLAU/W EIß, S 67.
28
LICHTBLAU/W EIß, S 182 (Ergänzung zu L ICHTBLAU/W EIß, S 71). Dieses Zitat ist meiner Ansicht
nach vor allem deshalb wesentlich, weil es die psychoanalytische Bedeutung der Religion betont.
23
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sondern lediglich „objektive“ Wirkungen können den Gnadenstand offenbaren, „in einer
Lebensführung des Christen, die zur Mehrung von Gottes Ruhm dient.“29 Und durch den
Vergleich des „eigenen Seelenzustandes mit dem, welcher nach der Bibel den Erwählten,
z.B. den Erzvätern eignete, kann man seinen eigenen Gnadenstand kontrollieren.“30 Dies
ist sehr praktisch und es ist möglich, da die Bibel eine jener wenigen Aufhellungen ist, die
Gott dem Menschen durch die Offenbarung seiner Weisheit ins Dunkel des Daseins
gegeben hat (nicht geklärt bleibt allerdings die Frage, daß der Nichterwählte die Bibel
nicht richtig interpretieren kann). Und so sind die Werke der Erwählte wirklich gut und
scheinen nicht nur gut zu sein, wie es sich mit guten Werken der Menschen sonst verhält.
„So absolut ungeeignet also gute Werke sind, als Mittel zur Erlangung der Seligkeit zu
dienen [...], so unentbehrlich sind sie als Zeichen der Erwählung. Sie sind das technische
Mittel, nicht: die Seligkeit zu erkaufen, sondern: die Angst um die Seligkeit loszuwerden.“31 Gott hilft dem, der sich selbst hilft.
Gott erwartet aber auch vom Gläubigen ein „heiliges Leben“, eine „zum System
gesteigerte Werkheiligkeit“. 32 Die Werkheiligkeit, also die „Selbstheiligung“ durch gute
Werke, wurde vom Luthertum strikt abgelehnt, speziell auf das katholische Auf und Ab
von Sünde und Buße und Vergebung und neuer Sünde und so fort bezogen. Der Calvinist
aber erklärt dies zur Methode (daher auch später der „Methodismus“), wobei ein
Rückschreiten (zurück zur Sünde) nicht vorgesehen ist, sondern das ganze Leben
zumindest quasi-linear auf das persönliche Ziel der Gnade und das transzendente Ziel der
Mehrung des Ruhms Gottes ausgerichtet ist. Die Striktheit der Ausrichtung wird durch
permanente Selbstreflexion geprüft.
„Diese Rationalisierung nun gibt der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch
asketischen Zug [...]“33 und sie ähnelt darin durchaus mönchischen und damit katholischen
Praktiken aus dem Mittelalter. Doch ist die Askese im Calvinismus strikt innerweltlich.
Durch die Absage an die Mönchsbewegungen im Protestantismus (sie waren nicht nur stets
fern ihrem Ideal geblieben, sondern hatten sich immer mehr der Welt entfremdet) mußte
fürderhin jeder Gläubige jederzeit in gewissem Sinne Mönch sein. Diesen Gedanken hat
der Calvinismus verinnerlicht und die Askese als „Notwendigkeit der Bewährung des
Glaubens im weltlichen Berufsleben“34 eingeführt. Die Erwählten spalteten sich so von
den Verdammten, was teilweise in religiösen Separatismus ausarten konnte, der manchmal
den Gedanken überwog, daß auch die Verdammten der Zucht durch Gottes Gebote
unterworfen werden müssen. In späterer Zeit kontrollierten die gläubigen Calvinisten
(manche wenigstens) sich allerdings auch nicht mehr nur selbst, sondern zogen auch ihre
Schlüsse über Gottes Sündenbuchführung und daraus ihre Konsequenzen, wie mit den
Sündern „innerweltlich“ zu verfahren sei.
Fassen wir noch einmal Webers zentralen Punkt zusammen: während Luther noch
von der jederzeitigen Wiedergewinnbarkeit der Gnade durch Unterwerfung unter Gottes
Gebot ausging und damit keinen Anreiz bot, sein ganzes Leben systematisch der Gnade
und dem Gebotenen zu widmen (darin dem Wesen nach dem Katholiken fast gleich),
vertraten die Calvinisten den Standpunkt der immer schon feststehenden Gnade (oder
Verdammnis), deren man sich nur durch eine systematisch „heilige“ Lebensführung (einigermaßen) versichern konnte, die notwendig eine innerweltliche Askese hervorbringen
mußte. „Die lutherische Frömmigkeit ließ demgemäß die unbefangene Vitalität triebmäßigen Handelns und naiven Gefühlslebens ungebrochener, es fehlte jeder Antrieb zur
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W EBER II,
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S
S
S
S
S
S
23;
23;
24,
27;
28;
31,
L ICHTBLAU/W EIß, S 73.
L ICHTBLAU/W EIß, S 74.
ergänzt; L ICHTBLAU/W EIß, S 74 und S 183.
L ICHTBLAU/W EIß, S 77.
L ICHTBLAU/W EIß, S 78.
ergänzt; L ICHTBLAU/W EIß, S 81.
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konstanten Selbstkontrolle und damit überhaupt zur planmäßigen Reglementierung des
eigenen Lebens, wie ihn die unheimliche Lehre des Calvinismus enthielt.“35 Andere puritanische Glaubensrichtungen haben sich dies zum Vorbild genommen. Dazu gesellte sich
eine spezifische Form der Werkheiligkeit und zugleich ein strenges Verbot der Kreaturverherrlichung und daher eine unbedingte Ablehnung des äußerlichen Reichtums und der
ausschweifenden, verschwenderischen Lebensweise.
Pietismus (WEBER II, S 39-57; LICHTBLAU/WEIß , S 89-105)
Im Pietismus tritt dazu vorerst der Gedanke, daß auch der Erwählte sündigen kann
und daß auch der Verdammte möglicherweise wahrhaft gute Werke tun mag, was ihn viel
eher als den Calvinismus zur religiösen Toleranz bringt. Jedoch wird auch die Gefühlsseite
der Religion stärker betont, da der Pietist bereits „im Diesseits die Gemeinschaft mit Gott
in ihrer Seligkeit kosten“36 will und damit in dieser Hinsicht eher lutherisch (der Mensch
kann zu Gott kommen) als calvinistisch (der Mensch kann nur Gottes Werkzeug sein)
denkt. Dieses Gefühlsmoment „lenkt die praktische Religiosität in die Bahn diesseitigen
Genusses der Seligkeit statt des asketischen Kampfes um ihre Sicherung für die jenseitige
Zukunft.“37 Dies kann sich für das Alltags- und Berufsleben aber auch höchst nachteilig
auswirken, etwa dann, wenn das in einem emotionell gedachten Calvinismus (was der
Pietismus in gewisser Weise war) allgegenwärtige „Wurmgefühl“ die Tatkraft lähmt; oder
wenn die Gewißheit von der Vorbestimmtheit in Fatalismus mündet; oder wenn der
Individualismus in Mönchstum „ausartet“. Doch solange die Emotionalität des Pietismus
nicht die Oberhand gewinnt, ähnelt er in seiner Wirkung auf das Berufsleben, mittels
dessen der Gläubige sich seiner Seligkeit durch Askese zu versichern versucht, sehr dem
Calvinismus.
Der Pietismus ist also von folgenden Vorstellungen zentral geprägt: „daß nämlich 1.
methodische Entwicklungen der eigenen Heiligkeit zu immer höherer, am Gesetz zu
kontrollierender Befestigung und Vollkommenheit Zeichen des Gnadenstandes sei und daß
2. Gottes Vorsehung es ist, welche in den so Vervollkommneten wirkt, indem er bei
geduldigem Harren und methodischer Überlegung ihnen seine Winke gibt.“38 Und die
Berufsarbeit ist ein vortreffliches Mittel der Askese und damit auch ein vortreffliches
Mittel, sich des Heils zu versichern. Dazu gilt der „Terminismus“, eine abgeschwächte
Prädestinationslehre, die die Gnade zwar grundsätzlich jedem zugänglich macht, aber nicht
unbegrenzt. Wer also den richtigen Moment (oder den letzten richtigen Moment) verpaßt,
wird (bleibt) verdammt. Doch scheint der Pietismus inkonsequent in seiner Lehre, da er in
der Versicherung der Gnade oft auf die eigenen Glaubensgewißheit zurückgeht (und damit
ja eigentlich dem Menschen viel Gewicht gegenüber Gott gibt) und nicht darüber hinaus.
„Alles in allem werden wir, wenn wir den deutschen Pietismus unter den für uns hier
in Betracht kommenden Gesichtspunkten betrachten, in der religiösen Verankerung seiner
Askese ein Schwanken und eine Unsicherheit zu konstatieren haben, welche gegen die
eherne Konsequenz des Calvinismus erheblich abfällt und teils durch lutherische Einflüsse,
teils durch den Gefühlscharakter seiner Religiosität bedingt ist.“39 Der entscheidende Punkt
in dieser Hinsicht ist dabei folgender: „An Stelle des planmäßigen rationalen Strebens
darnach: das sichere Wissen von der künftigen (jenseitigen) Seligkeit zu erlagen und
festzuhalten, steht hier das Bedürfnis, die Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott, jetzt
(diesseitig) zu fühlen.“40 Der Pietismus ist im Hinblick auf die Förderung des „Geistes des
Kapitalismus“ stärker als das Luthertum, aber schwächer als der Calvinismus.
35
36
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37f; L ICHTBLAU/W EIß, S 86f.
44; L ICHTBLAU/W EIß, S 93.
44; L ICHTBLAU/W EIß, S 93.
48; L ICHTBLAU/W EIß, S 96.
54; L ICHTBLAU/W EIß, S 102.
57; L ICHTBLAU/W EIß, S 105.
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Methodismus (WEBER II, S 57-61; Lichtblau/Weiß, S 105-109)
Der Methodismus ist der angelsächsische Bruder des (kontinentalen) Pietismus, der
die calvinistischen Dogmen als solche noch stärker ablehnt. In seinem Mittelpunkt steht
allerdings, wie auch der Name schon sagt, die bereits mehrfach erwähnte „methodische
Lebensführung“ zum Zwecke der Versicherung des eigenen Gnadenstandes. Jedoch war er
zugleich noch emotioneller als der Pietismus (nicht zuletzt, weil er auf Massenmission
abzielte) und „diese Methodik [war] speziell auch auf die Herbeiführung des gefühlsmäßigen Aktes der ‚Bekehrung‘ übertragen [worden]“, 41 was sich auch in den Methoden
des Bußkampfes (wie er auch im Pietismus zu verrichten ist) widerspiegelt.
Ganz anders als der Calvinismus betonte der Methodismus die eigene, gefühlte
Gewißheit des Gläubigen über seinen Gnadenstand als Fundament für dessen Versicherung
(wobei selbst die Stunde ihres Eintritt feststellbar ist). Der zum Heil Bestimmte ist sich
daher seines Gnadenstandes bewußt und sicher und somit auch verpflichtet, dies durch eine
entsprechende Lebensführung zum Ausdruck zu bringen – doch die Lebensführung allein
genügt eben nicht, es braucht außerdem und unbedingt die Gewißheit des Gnadenstandes.
Und zudem gilt auf jeden Fall: „Wer keine guten Werke tut, [ist] kein wahrer Gläubiger“. 42
Das Problem dabei ist die möglicherweise sich zu schwindelerregender Höhe
„aufgipfelnde Selbstgewißheit des Heiligen“, 43 die diesen in den Exzeß treibt, da sich der
Auserwählte quasi an Gottes Statt seine eigenen Gesetze macht: er kann sich anmaßen,
über andere zu richten; er kann aber vor allem auch seine methodi(sti) sche, „heilige“
Lebensführung aufgeben, da er seines Heils ja gewiß ist und bleibt. Diesen Folgen versuchte man, „durch gesteigerte Betonung der normativen Geltung der Bibel und der Unentbehrlichkeit der Bewährung entgegenzutreten.“44 „Methodisch wird der Akt der Bekehrung
herbeigeführt und, nachdem er erzielt ist, findet nicht ein frommes Genießen der
Gemeinschaft mit Gott [...] statt, sondern alsbald wird das erweckte Gefühl in die Bahn
rationalen Vollkommenheitsstrebens geleitet.“45 Dies geht zwar mit einer geringeren
Entwicklung des Sündengefühls einher und überläßt die sittliche Kontrolle fast ganz der
persönlichen emotionellen Verfaßtheit (während sich im Calvinismus trotz seines
Individualismus eher „objektive“ Regeln finden ließen), doch bleibt der Methodismus
insgesamt in seiner Wirkung recht nahe am Calvinismus, darin ähnlich dem Pietismus aber
in weiter abgeschwächter Form. Im Zusammenhang mit dem Berufsbegriff liefert der
Methodismus gar nichts Neues.
Täuferbewegungen (WEBER II, S 61-72; LICHTBLAU/WEIß , S 109-120)
Anders als Pietismus und Methodismus, die beide im Hinblick auf die Askese vom
Calvinismus „abgeleitete“ Glaubensrichtungen sind, bilden die Täuferbewegungen (vor
allem Baptisten, Mennoniten und Quäker) ein eigenständiges Standbein der protestantischen Askese. Deren wichtigstes Merkmal ist ihr Charakter als „Klub“ der Auserwählten,
als „Gemeinschaft der persönlich Gläubigen und Wiedergeborenen und nur dieser“. 46
Deswegen wurde man auch erst als Erwachsener getauft, nachdem man sich seines
Gnadenstandes sicher geworden ist. Und diese individuelle Offenbarung, die innerliche
Aneignung des Erlösungswerkes, sie zeichnen die Täuferbewegungen aus, ebenso wie:
„Strenge Meidung der Welt, d.h. alles nicht unbedingt nötigen Verkehrs mit den Weltleuten, in Verbindung mit striktester Bibliokratie im Sinn der Vorbildlichkeit des Lebens
der ersten Christengemeinden [...]“47 Daraus folgt „die unbedingte Verwerfung aller
41
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55; L ICHTBLAU/W EIß, S 103.
59; L ICHTBLAU/W EIß, S 106.
59; L ICHTBLAU/W EIß, S 107.
59; L ICHTBLAU/W EIß, S 107.
60; L ICHTBLAU/W EIß, S 108.
63f; L ICHTBLAU/W EIß, S 111.
65; L ICHTBLAU/W EIß, S 112.
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‚Kreaturvergötterung‘ als einer Entwertung der Gott allein geschuldeten Ehrfurcht.“48 Die
Bibliokratie ist aber nicht total, denn Gott hat den Aposteln und Propheten nicht alle
Weißheit offenbart, sondern offenbart sie ganz nach seinem Ratschluß auch jedem
Gläubigen (was besonders bei den Quäkern gilt, die dem innerlichen Zeugnis des Geistes
„in Vernunft und Gewissen“49 entscheidende Bedeutung zumessen). Jeder Gläubige ist
daher berufen, auch Glaubenserkenntnis zu erlangen.
Derjenige Mensch, der der unsichtbaren Kirche der vom Geist Erleuchteten fern
stand, wurde besonders stark als „rein kreatürliches Wesen“ empfunden. Wer hingegen
erleuchtet wurde, für den war ein Rückfall in die Sünde fast unmöglich, denn der
Erleuchtete mußte sich ja dem eigenen Gewissen und damit dem Willen Gottes ganz
unterstellen und konnte insofern nicht anders, als gute Werke zu tun. Denn außerdem darf
nur, wer nach den Gesetzen lebt, sich selbst erleuchtet finden. Methode der Erleuchtung ist
dabei das „Harren“, ihr Erwarten. „Diesen ruhigen, nüchternen, hervorragend gewissenhaften Charakter hat denn auch die Lebenspraxis der späteren täuferischen Gemeinschaften, in ganz spezifischem Maße die der Quäker, sich zu eigen gemacht. Die radikale
Entzauberung der Welt ließ einen anderen Weg als die innerweltliche Askese innerlich
nicht zu [...].“50 Damit dringt die Askese in die Berufsarbeit ein, da auch bei den Täuferbewegungen selbstverständlich das Mönchstum verworfen wurde.
Schwächer als im Calvinismus ausgeprägt ist die Idee vom „zum Beruf berufen sein“
und damit vom Beruf als von Gott gestellte Aufgabe. Stärker dafür scheint die Intensität
des ökonomischen Berufsinteresses: öffentliche Ämter wurden abgelehnt (da man sich von
der Welt abscheiden mußte; teils über den „Trick“ der Verweigerung des Eides), jedweder
„aristokratische Lebensstil“ (und damit jede Ausschweifung) wurde argwöhnisch betrachtet. Ein weiterer Punkt ist sehr wichtig, daß sie nämlich eine freiwillige Unterwerfung
unter sittliche Gebote betrieben, anstatt eine kirchliche Sittenpolizei (die teils die Intensität
der Sittlichkeit der Lebensführung mehr lähmte als förderte) zuzulassen, wie das in
späterer Zeit bei manchen Protestanten geschehen ist. Ebenso ist ihr Charakter als
„Sekten“ (im Sinne der einzig wahren Kirche) und nicht „Kirchen“ hervorzuheben.
Resümee
„Entscheidend aber für unsere Betrachtung war immer wieder, um es zu rekapitulieren, die bei allen Denominationen wiederkehrende Auffassung des religiösen ‚Gnadenstandes‘ eben als eines Standes (status), welcher den Menschen von der Verworfenheit des
Kreatürlichen, von der ‚Welt‘ abscheidet, dessen Besitz aber [...] nicht durch irgendwelche
magisch-sakramentalen Mittel oder durch Entlastung in der Beichte oder durch einzelne
fromme Leistungen garantiert werden konnte, sondern nur durch die Bewährung in einem
spezifisch gearteten von dem Lebensstil des ‚natürlichen‘ Menschen unzweideutig
verschiedenen Wandel garantiert werden kann. Daraus folgt für den einzelnen der Antrieb
zur methodischen Kontrolle seines Gnadenstandes in der Lebensführung und damit zu
deren asketischer Durchdringung. Dieser asketische Lebensstil aber bedeutet eben, wie wir
sahen, eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Daseins. Und
diese Askese ist [...] eine Leistung, die jedem zugemutet wird, der seiner Seligkeit gewiß
sein will.“51 Statt daß nur einzelne Heilige entrückt einem Lebenswandel im Hinblick auf
die Gnade nachgehen, wurde er durch den Protestantismus in die Welt gebracht, wurde
„gerade das weltliche Alltagsleben mit ihrer Methodik durchtränkt“52 (W EBER II, S 73 [S
120]). Da es keine Mönche mehr gibt, wird jeder zum Mönch, aber eben in seinem Beruf.
48
W EBER II, S 65; L ICHTBLAU/W EIß, S 113.
W EBER II, S 66; L ICHTBLAU/W EIß, S 114. Deshalb verwarfen sie auch besonders konsequent alle
Sakramente.
50
W EBER II, S 69, korrigiert; L ICHTBLAU/W EIß, S 116 und S 192.
51
W EBER II, S 73, ergänzt; L ICHTBLAU/W EIß, S 120 und S 193.
52
W EBER II, S 73; L ICHTBLAU/W EIß, S 120.
49
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Und eben „[d]iese Rationalisierung der Lebensführung innerhalb der Welt im Hinblick auf
das Jenseits ist die Wirkung der Berufskonzeption des asketischen Protestantismus.“53
2. Askese und Kapitalismus
Weber verwendete – wie schon einmal in anderer Hinsicht erwähnt – für seine Studie vor
allem jene Schriften, „die aus der seelsorgerischen Praxis herausgewachsen [... sind, da]
die in dieser Praxis sich geltend machenden religiösen Mächte die entscheidenden Bildner
des Volkscharakters“54 darstellen. Denn in der Zeit, von der Weber spricht, war das
Jenseits noch weit wichtiger als zu seinen Lebzeiten und die soziale Position des Christen
hing, wie er schreibt, ganz wesentlich an seiner Zulassung zum Abendmahl. Hauptbezugsquelle dieser Lehre ist für Weber der Puritaner (also Calvinist) Richard Baxter und seine
„Christian Directory“, womit er aber den Schwerpunkt seiner Erkenntnisse zwingend stark
einerseits auf die Praxis und andererseits auf eine eher moderate Position legt (weder
revolutionär, noch allzu seiner Seligkeit gewiß, noch besonders sektiererisch), die Baxter
in einer besonders dem weltlichen Leben zugewandten Weise vertritt. Baxter war im
übrigen ein Mann des unruhigen englischen 17.Jahrhunderts, der weitum im Protestantismus anerkannt wurde und wird und daher als dessen gemeinsamer Nenner gelten darf
(ein weiteres Indiz für wenig Radikalismus und dafür große Breitenwirkung). Daneben
verwendet Weber vor allem den deutschen Pietisten Spener und den Quäker Barclay.
Weit mehr als noch Calvin befindet Baxter Reichtum als „eine schwere Gefahr, seine
Versuchungen [sind] unausgesetzte, das Streben danach [ist] nicht nur sinnlos gegenüber
der überragenden Bedeutung des Gottesreichs, sondern auch sittlich bedenklich.“55 Dazu
muß freilich erläutert werden, warum genau: „Das sittlich wirklich Verwerfliche ist
nämlich das Ausruhen auf dem Besitz, der Genuß des Reichtums mit seiner Konsequenz
von Müßiggang und Fleischeslust, vor allem von Ablenkung von dem Streben nach
‚heiligem‘ Leben. Und nur weil der Besitz diese Gefahr des Ausruhens mit sich bringt, ist
er bedenklich“56 Und so geht es weiter, in der Art, wie wir sie im vorigen Kapitel bereits
verdeutlicht gefunden haben: Auf Erden „muß auch der Mensch, um seines Gnadenstandes
sicher zu werden, ‚wirken die Werke dessen, der ihn gesandt hat, solange es Tag ist‘ [Zitat
Baxter]. Nicht Muße und Genuß, sondern nur Handeln dienen nach dem unzweideutig
geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms.“57 Als Quintessenz dieses
Denkens könnte man vielleicht festhalten: „Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell
schwerste aller Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz und kostbar, um die
eigene Berufung „festzumachen‘. Zeitverlust durch Geselligkeit, ‚faules Gerede‘, Luxus,
selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf – 6 bis 8 Stunden – ist sittlich absolut
verwerflich.“58
Kontemplation ist Gott minder wohlgefällig als das Tun, außer sie dient am Sonntag
zur Mehrung seines Ruhms. Ganz anders die Arbeit, bei der sich auch noch ein anderer
asketischer Zusammenhang zeigt: „Wie gegen religiöse Zweifel und skrupulöse Selbstquälerei, so wird auch gegen alle sexuellen Anfechtungen – neben nüchterner Diät, Pflanzenkost und kalten Bädern – verschrieben: ‚Arbeite hat in deinem Beruf‘ [Zitat Baxter].“59
Und weiter: „Aber die Arbeit ist darüber hinaus, und vor allem, von Gott vorgeschriebener
Selbstzweck des Lebens überhaupt. [...] Arbeitsunlust ist ein Symptom fehlenden Gnaden53
54
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73, korrigiert; L ICHTBLAU/W EIß, S 120 und S 193.
74; L ICHTBLAU/W EIß, S 122.
76; L ICHTBLAU/W EIß, S 123.
76; L ICHTBLAU/W EIß, S 124.
76; L ICHTBLAU/W EIß, S 124.
76f; L ICHTBLAU/W EIß, S 124f.
79ff; L ICHTBLAU/W EIß, S 127f.
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standes.“60 Die Arbeit wurde damit zur persönlichen Verpflichtung aller Menschen, nicht
nur – wie schon bei Thomas von Aquin – zur Verpflichtung derjenigen Teile des
Menschengeschlechts, die nicht über Besitz verfügten. Jedes Gottesgebot gilt ja für alle
Menschen, Arme wie Reiche, und somit auch das Gebot zur Arbeit: „Denn für jeden ohne
Unterschied hält Gottes Vorsehung einen Beruf (calling) bereit, den er erkennen und in
dem er arbeiten soll, und dieser Beruf ist nicht wie im Luthertum eine Schickung, in die
man sich zu fügen und mit der man sich zu bescheiden hat, sondern ein Befehl Gottes an
den Einzelnen, zu seiner Ehre zu wirken.“61
Die Arbeitsteilung wurde ebenfalls bei Thomas oder Luther noch als gottgewollte
Schickung angesehen und damit der dem Einzelnen jeweils zufallende Beruf – allgemeiner
und richtiger: seine ganze Stellung im Leben – grundsätzlich als unveränderbar. 62 Das
ändert sich im Puritanismus, wo die Spezialisierung nicht nur mehr auf Gottes Willen
zurückgeführt, sondern auch utilitaristisch begründet wird (Spezialisierung führt ja zu
verbesserter Arbeitsqualität und -quantität für das Gemeinwohl) und mit den Erfordernissen des Heils abgesichert wird: „Außerhalb eines festen Berufs sind die Arbeitsleistungen eines Menschen nur unstete Gelegenheitsarbeit und er verbringt mehr Zeit in
Faulheit als in Arbeit“, und weil dies zeitverschwenderische Verwirrung mit sich bringt, im
Gegensatz zur Ordnung eines festen Berufes, „deshalb ist ein fester Beruf für jedermann
das Beste“63 Und das interpretiert Weber wie folgt: „Es fehlt eben dem ‚Berufslosen‘ der
systematisch-methodische Charakter, den, wie wir sahen, die innerweltliche Askese
verlangt.“64 Das Berufsleben des Menschen ist eine „konsequente asketische Tugendübung, eine Bewährung seines Gnadenstandes an seiner Gewissenhaftigkeit [...]. Nicht
Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte.“65
Und das bedeutet ein rationales Abwägen des praktischen und spirituellen Nutzens
der Berufung: durchaus mehrere Berufe (sofern man dadurch nicht ungewissenhaft wird
oder jemandem direkt schadet), durchaus einen Wechsel des Berufes, durchaus auch am
eigenen Nutzen orientiert arbeiten (man soll schließlich den Nächsten lieben wie sich
selbst). Und dreierlei ist zu beachten: erstens die Sittlichkeit des Berufes, zweitens sein
Gemeinnutz, und drittens der privatwirtschaftliche Profit(!). Denn wenn Gott „einem der
Seinigen eine Gewinnchance zeigt, so hat er seine Absichten dabei. Und mithin hat der
gläubige Christ diesem Rufe zu folgen, indem er sie sich zunutze macht.“66 Es besteht also
geradezu Profitpflicht im Puritanismus, sofern die beiden anderen Bedingungen auch
erfüllt sind. 67 Denn wir erinnern uns, unter welcher Bedingung ausschließlich Reichtum
eine Gefahr darstellt: die in ihm schlummernde Versuchung zum Müßiggang. Und man
kann es verallgemeinern und damit steigern: „Arm sein wollen hieße [...] dasselbe wie
krank sein wollen.“68 Es ist allein Gottes Angelegenheit, zu bestimmen, wer reich und wer
arm ist und der freiwillig Arme entzieht sich daher Gottes Willen.
Spezialisierung, wie sie schon in Goethes Faust durch das unrühmliches Ende dieses
Universalisten propagiert wird, und Expansionsstreben (der Erwerb) sind damit im
Puritanismus religiös begründet und geradezu zum Heil notwendige Bedingungen.
60
W EBER II, S 81; L ICHTBLAU/W EIß, S 128.
W EBER II, S 82; L ICHTBLAU/W EIß, S 129f.
62
Wie in 1 Kor 7,17-24 von Paulus ausgeführt: „(17) Sonst aber wandle ein jeder, wie es ihm der
Herr zugeteilt, wie Gott ihn berufen hat. [...] (20) Jeder bleibe in dem Beruf, in den er berufen wurde.
[...] (24) Worin ein jeder berufen wurde, Brüder, darin verbleibe er vor Gott!“).
63
Baxter, zitiert in W EBER II, S 84; L ICHTBLAU/W EIß, S 131.
64
W EBER II, S 84; L ICHTBLAU/W EIß, S 131.
65
W EBER II, S 84; L ICHTBLAU/W EIß, S 131. Dies gilt vor allem für die Quäker.
66
W EBER II, S 85; L ICHTBLAU/W EIß, S 132.
67
„Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft ihr arbeiten, um
reich zu sein.“ Baxter, zitiert in W EBER II, S 86; L ICHTBLAU/W EIß, S 133.
68
W EBER II, S 87; L ICHTBLAU/W EIß, S 134.
61
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Entsprechend bewundert der Puritaner den „nüchternen, bürgerlichen Selfmademan“69 und
erwartet weltliche Belohnung als Zeichen des Gnadenstandes, wie dies etwa im Buch Hiob
geschieht (das ansonsten ein recht seltsames und einigermaßen „faustisches“ Gottesbild
transportiert). Er zeigt Parallelen mit dem gesetzestreuen aber auch geschäftstüchtigen
Judentum der christlichen Ära und er wiederbelebt den Glauben an das auserwählte Volk
im Gegensatz zum Allerweltsanspruch der katholischen Kirche.
Was die Puritaner denn auch besonders bekämpften, waren Auswüchse des Müßiggangs. Mit solchen wurden sie auch ihrerseits recht geschickt von der Obrigkeit bekämpft,
da ihre ganz auf Gott gerichtete Askese sich natürlich von Grund auf gegen jede weltliche
Autorität richtete und damit staatsfeindlich war. 70 Der Puritanismus glänzte insgesamt
daher durch Sinnenfeindlichkeit, lehnte alle überflüssige Belustigung ab (und welche
Belustigung ist unter diesem Gesichtspunkt nicht überflüssig) und neigte sich sogar immer
mehr der „Uniformierung des Lebensstils“ zu, da alles andere die Möglichkeit zur Eitelkeit
in sich birgt und damit sündhaft oder wenigstens von den Berufungen ablenkend ist. 71
Hingegen wurde Bildung, sofern sie praxisbezogen war und damit zur Sittlichkeit, zum
Gemeinnutzen oder zur Profimehrung diente (wir erinnern uns an einen der Ausgangspunkte, nämlich die unterschiedlichen Bildungsgewohnheiten von Protestanten und Katholiken), in den Hauptströmungen des Puritanismus keineswegs abgelehnt, sondern lediglich
in manchen besonders „apostolischen“ Gruppen.
Gänzlich dogmatisch war diese nüchterne, rationale Haltung zwar nicht, aber als
allgemeine Regel galt doch, „daß die Statthaftigkeit der Freude an den rein dem
ästhetischen oder sportlichen Genuß dienenden Kulturgütern jedenfalls immer eine
charakteristische Schranke findet: sie dürfen nichts kosten.“72 Und dieses „nichts kosten“
gilt sowohl direkt finanziell (man erinnert sich an Franklin), als auch in zeitlicher Hinsicht
oder im Hinblick auf Aufmerksamkeit. Da der Mensch nichts wirklich besitzt, sondern
alles lediglich (auf Zeit!) von Gott überlassen erhält, droht in diesem Fall die Gefahr, daß
Gott mit der Rechtfertigung, es sei zum eigenen Genuß verausgabt worden, nicht zufrieden
ist und den Sünder deswegen verdammt. Daher stammt auch der Drang der Besitzenden,
„ihrem“ Besitz durch stete Arbeit immer noch etwas hinzuzufügen oder ihn zumindest so
zu erhalten, wie er ihnen „übergeben“ worden ist. Diese Einstellung zeitigt eine starke
Konsequenz: wenn jemand aufgrund seines Gnadenstandes in der Lage ist, mit seinem
Besitz mehr zur Verherrlichung Gottes zu leisten als andere, dann ist er auch durch die
Nächstenliebe nicht dazu verpflichtet, von diesem Reichtum abzugeben; man könnte
daraus sogar die Anweisung ableiten, den eigenen Reichtum insbesondere auf Kosten
gerade dieser „Nächsten“ zu vermehren.
„Auch die Genesis dieses Lebensstils reicht in einzelnen Wurzeln [...] bis in das
Mittelalter zurück, aber erst in der Ethik des asketischen Protestantismus fand er seine
konsequente ethische Unterlage. Seine Bedeutung für die Entwicklung des modernen
Kapitalismus liegt auf der Hand.“73 Die unausweichliche Ambivalenz ist recht
bemerkenswert, daß nämlich der Reichtum zugleich in höchstem Maße verwerflich ist
(dann nämlich, wenn er als „Selbstzweck“ erscheint) und aber ebenso als Zeichen der
Gnade Gottes (wenn er als „Frucht der Berufsarbeit“) auftritt.
„Die innerweltliche protestantische Askese [...] wirkt also mit voller Wucht gegen
den unbefangenen Genuß des Besitzes, sie schnürt die Konsumption, speziell die Luxuskonsumtion, ein. Dagegen entlastet sie im Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen
69
W EBER II, S 88; L ICHTBLAU/W EIß, S 134.
Webers Beispiel zur Verdeutlichung dieses Umstandes ist das „Book of Sports“ mittels dessen die
englische Krone im 17.Jahrhundert ihren Untertanen den Sport „erlaubte“, was von diesen zu allerlei
Formen der Belustigung ausgenutzt wurde. Den Puritanern war dies freilich eine Greuel.
71
Was dies als Basis für kapitalistische Effizienz (Massenproduktion) bedeutet, sei nur angerissen.
72
W EBER II, S 97; L ICHTBLAU/W EIß, S 143.
73
W EBER II, S 98; L ICHTBLAU/W EIß, S 144.
70
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der traditionalistischen Ethik, sie sprengt die Fesseln des Erwerbsstrebens, indem sie es
nicht nur legalisiert, sondern [...] direkt als gottgewollt ansieht.“74 Wie schon erwähnt:
Versuchung, nicht Reichtum, ist das Problem. – Wir sollten uns übrigens angesichts
unserer Konsumgesellschaft an dieser Stelle ganz besonders fragen, welcher Wandel in der
Lebenseinstellung und ihrer ethischen Fundierung sich wenigstens seit Webers Zeiten wohl
ereignet hat ... – Und Weber setzt fort: Die „religiöse Wertung der rastlosen, stetigen,
systematischen, weltlichen Berufsarbeit als schlechthin höchsten asketischen Mittels und
zugleich sicherster und sichtbarster Bewährung des wiedergeborenen Menschen und seiner
Glaubensechtheit mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung sein, die wir hier als ‚Geist‘ des Kapitalismus bezeichnet haben.“75
Die Vermögen, die auf diesem Wege angehäuft wurden, mußten nun aus ethischen
Gründen und damit individuell zwingend wieder einer nützlichen Verwendung zugeführt
werden: durch Ersparnis (und damit Kapitalbildung) oder Investition, keinesfalls durch
„Veradeligung“ von Vermögen (so galt des Puritaners Hochachtung auch dem Landwirt,
während der „Landlord“ verachtetet wurde). Das hat manche Puritaner natürlich nicht
gehindert, ihre Ideale zu relativieren, sobald sie sich in einer Position gesteigerten
Wohlstandes befanden (ähnlich wie die Relativierung des „ora et labora“ im zu Reichtum
gelangten Kloster). Auch war der Puritanismus besonders attraktiv für die aufsteigenden
Kleinbürger und „Farmer“, die sich eine Verbesserung auch ihrer Lebensumstände im
Diesseits versprachen, doch ändert das nichts am ehernen Grundsatz eines reinen und
guten Gewissens der Gläubigen beim Gelderwerb.
„So weit die Macht der puritanischen Lebensführung [insbesondere in der Erziehung
zu diesen Idealen] reichte, kam sie unter allen Umständen [...] der Tendenz zu bürgerlicher,
ökonomisch rationaler Lebensführung zugute; sie war ihr wesentlichster und einzig
konsequenter Träger. Sie stand an der Wiege des modernen ‚Wirtschaftsmenschen‘.“76
Aber um ganz in die Sphäre der Wirtschaft durchzuschlagen, bedarf es einer gewissen
Säkularisierung: „Ihre volle ökonomische Wirkung entfalteten, ganz wie Wesley sagt, jene
mächtigen religiösen Bewegungen [...] regelmäßig erst, nachdem die Akme des rein
religiösen Enthusiasmus bereits überstiegen war, der Krampf des Suchens nach dem
Gottesreich sich allmählich in nüchterne Berufstugend aufzulösen begann, die religiöse
Wurzel langsam abstarb und utilitaristischer Diesseitigkeit Platz machte [...].“77
Damit aber war der Weg gegangen: „Eine spezifisch bürgerliche Berufsethik ist
entstanden. Mit dem Bewußtsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar
gesegnet zu werden, vermag der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich innerhalb der
Schranken formaler Korrektheit hält, sein sittlicher Wandel untadelig und der Gebrauch,
den er von seinem Reichtum macht, kein anstößiger ist, seinen Erwerbsinteressen zu folgen
und soll dies tun. Die Macht der religiösen Askese stellte ihm überdies nüchterne,
gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck
klebende Arbeiter zur Verfügung.“78 Selbst die soziale Ungleichheit ist gottgewollt, und
sie ist durchaus nichts Schlechtes, da sie die Menschen daran bindet, Gottes Gebot zu
folgen, da sie Vorbilder, Versuchungen und daher Möglichkeiten der Bewährung des Heils
bereithält. Dies offenbart ein negative Menschenbild der Puritaner, die offenbar annehmen,
daß die eindeutige Mehrheit der Menschen nicht zum Heil, sondern zur Verdammnis
bestimmt ist und daß daher die Mehrheit der Menschen von den Früchten des Reichtums
und damit seinen Versuchungen ferngehalten werden muß, Versuchungen, denen sie als
von Gott zur Verdammnis bestimmte geradezu erliegen müssen.
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78
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99; L ICHTBLAU/W EIß, S 144f.
100; L ICHTBLAU/W EIß, S 146f.
103; L ICHTBLAU/W EIß, S 148f.
104, ergänzt; L ICHTBLAU/W EIß, S 149 und S 200.
104; L ICHTBLAU/W EIß, S 150.
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Die Arbeiter ihrerseits blieben im Puritanismus aber nicht unberücksichtigt: auch
ihre Berufstreue und ihr Erwerbsdesinteresse (teils wohl auch ihre als solches umgedeutete
Armut) war für sie ein Weg zum Leben nach dem Vorbild der Apostel und damit zum
Heil. Treue Arbeit ist auch bei niederen Löhnen „etwas Gott höchst Wohlgefälliges“. 79 Im
Protestantismus wurde diese auch vorher im Christentum verbreitete Anschauung durch
die Deutung der Arbeit „als Beruf, als einziges Mittel, des Gnadenstandes sicher zu werden
[... vertieft, und die protestantische Askese] legalisierten auf der anderen Seite die
Ausbeutung dieser spezifischen Arbeitswilligkeit, indem sie auch den Gelderwerb des
Unternehmers als ‚Beruf‘ deutete.“80 Man strebte zuletzt ausschließlich über die Erfüllung
der Arbeitspflicht im „Beruf“ nach dem Gottesreich und steigerte damit die wirtschaftliche
Produktivität ins Vielfache.
Resümee
„Der Puritaner wollte Berufsmensch sein – wir müssen es sein“, 81 schreibt Weber
offenbar nicht ohne Wehmut. Der Puritaner stand noch vor der Wahl, da der Kapitalismus
im 17.Jahrhundert noch nicht gesiegt, zu Anfang des 20.Jahrhunderts aber schon gewonnen
hatte, was es zu gewinnen gab. Denn der Kapitalismus bestimmt nicht erst seit heute die
Lebensumstände, definiert die Rahmenbedingungen der meisten Menschen, zuallermindest
in Europa und damit indirekt fast überall in der Welt. Aus einem einst nur dünnen Mantel
„ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt
umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter
dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie
niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus
diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf
mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr.“82 Nur noch ein „Gespenst“ dieses
einst starken religiös-geistigen Fundaments ist der Gedanke der „Berufspflicht“, und der
Mensch hat den Zusammenhang zwischen Fundament und Ausprägung verloren. Wer das
verlassene Gehäuse beziehen wird, ist offen. Und in einem Ausfluß tiefsten Pessimismus
schreibt Weber (vielleicht, aber jedenfalls nicht offen, Nitzsche zitierend): „Fachmenschen
ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz, dies Nichts bildet sich ein, ein nie vorher erreichte
Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.“83
Literatur
H ENNIS , Wilhelm: „Die ‚Culturprobleme des Kapitalismus‘“ in Hennis, Wilhelm: Max
Webers Wissenschaft vom Menschen. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1996, S
173-222.
KAUFHOLD, Karl Heinrich: „Protestantischer Ethik, Kapitalismus und Beruf. Überlegungen
zu Max Webers Aufsatz aus der Sicht der Wirtschafts- und Sozialgeschichte“ in
Schefold, Bertram (Hrsg.): Max Weber und seine „Protestantische Ethik“. Vademecum
zu einem Klassiker der Nationalökonomie. Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen,
1992, S 69-91.
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© Andreas Exenberger 2000,2001
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LEHMANN, Hartmut: Max Webers „Protestantische Ethik“. Beiträge aus der Sicht eines
Historikers. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996.
LICHTBLAU, Klaus und Johannes WEIß (Hrsg.): Max Weber: Die protestantische Ethik und
der „Geist“ des Kapitalismus. Textausgabe auf der Grundlage der ersten Fassung von
1904/05 mit einem Verzeichnis der wichtigsten Zusätze und Veränderungen aus der
zweiten Fassung von 1920. Weinheim: Beltz Athenäum, 1996 (2.Auflage)
ROTH, Günther: „Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von Max Webers Protestantischer Ethik“ in: Schefold, Bertram (Hrsg.): Max Weber und seine „Protestantische
Ethik“. Vademecum zu einem Klassiker der Nationalökonomie. Düsseldorf: Verlag
Wirtschaft und Finanzen, 1992, S 43-68.
WEBER, Max: Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. Düsseldorf:
Verlag Wirtschaft und Finanzen, 1992. Zitiert als WEBER I und WEBER II.
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