DIE VERLIERERIN Nach Kleopatras Tod brach in Rom eine Ägyptomanie aus. Selbst Augustus, Erzfeind der Königin, ließ sich bei der Stadtverschönerung von orientalischen Vorbildern inspirieren. begräbnisstätte angelegt, damit er und seine Dynastie nach dem Tod wiederverhrfürchtig pilgerte Octavi- einigt sein würden wie die Ptolemäer. Aus Ägypten ließ Octavian zwei Obean nach seinem Sieg über Kleopatra und Marcus An- lisken übers Meer transportieren, um sie tonius zum Sema, einer von vor dem im Süden gelegenen Eingang blühenden Gärten durchzo- des Mausoleums zu postieren – sie stegenen Prunknekropole der Ptolemäer in hen heute auf der Piazza del Quirinale Alexandria. In einer der Grabkammern als Teil des Dioskurenbrunnens vor dem dort, unter einem Erdhügel, stand der Palast des italienischen StaatspräsidenAlabaster-Sarkophag Alexanders des Großen. Der künftige Imperator der Supermacht Rom ließ die Mumie des Makedonen aus dem Gewölbe nach oben schaffen, um den Kopf des Einbalsamierten mit Blumen und einem goldenen Eichenkranz zu schmücken. Octavian hantierte dabei laut Cassius Dio so ungeschickt, dass Alexanders Nase abbrach. Bald nach seiner Rückkehr nach Rom gab Octavian für sich selbst eine Begräbnisstätte in Auftrag, die dem Grabmal des hellenischen Eroberers nachempfunden war. Grabpyramide des Gaius Cestius Von 28 bis 23 v. Chr. wurde an dem Mausoleum gebaut, einem mit ten sowie auf der Piazza dell’ Esquilino Travertin verkleideten Zylinder mit ei- vor der Basilika Santa Maria Maggiore. Zwei weitere jeweils über 200 Tonnem Durchmesser von 89 Metern, über dem sich ein wohl mit Zypressen bestan- nen schwere, mehr als 20 Meter hohe ägyptische Monolithen aus Granit ließ dener Erdhügel erhob. So wie das Vorbild in der Nähe des Octavian an markanten Stellen Roms Nils lag, bestimmte Octavian das Ufer aufstellen. Der eine, der jetzt auf der des Tibers zu seiner letzten Ruhestätte. Piazza del Popolo steht, wurde ursprüngAuch war sein Mausoleum als Familien- lich im Circus Maximus platziert; der Von NORBERT F. PÖTZL E 116 andere, heute auf der Piazza di Montecitorio, diente zunächst als Schattenstab für eine riesige Sonnenuhr auf dem Marsfeld. Auf der Spitze dieses Obelisken war eine goldene Kugel mit einem vertikal aufgesetzten Dorn angebracht. Als Zifferblatt diente ein mit Travertin gepflasterter Platz, in den ein Liniennetz und die Tierkreiszeichen aus Bronze eingelassen waren. Das System diente wohl gleichermaßen als Uhr und als Kalender. Der Obelisk geriet allerdings bald nach seiner Aufstellung aus dem Lot, weil der Sandboden des Marsfeldes unter dem ungeheuren Gewicht nachgab – die Zeitanzeige stimmte daher nicht mehr. Die ägyptischen Steinsäulen wirkten auf Octavian, dem der Senat im Jahr 27 v. Chr. den Ehrennamen Augustus verlieh, nicht nur wegen ihrer eleganten Monumentalität attraktiv, sondern ebenso wegen ihrer Sonnen-Symbolik. Augustus verstand sich als Abkömmling des römischen Sonnengottes Apollo. Diesem entsprach in der ägyptischen Mythologie der mächtige Sonnengott Re. Dessen Strahlen sollten die Obelisken auffangen und zugleich darstellen. Die aus einem einzigen Steinblock gehauenen, sich nach oben verjüngenden Pfeiler mit einer pyramidenförmigen SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 ANDREA JEMOLO / AKG (O.); TRISTAN LAFRANCHIS / AKG (L.) Alexandria am Tiber Obelisk auf dem Petersplatz: Caligula ließ den 25 Meter hohen Pfeiler auf einem eigens dafür konstruierten Schiff nach Rom bringen. Spitze erinnerten an den ägyptischen „Benben“, den Urhügel in Heliopolis, auf dem sich der sagenumwobene Vogel Phoenix (ägyptisch: Benu), eine Verkörperung des Re, niedergelassen haben soll. Benu, meist als Reiher dargestellt, erschien im Zeitabstand von mehreren hundert Jahren, verbrannte bei Sonnenaufgang in der Glut der Morgenröte, um verjüngt aus seiner Asche wiederaufzuerstehen. Die Obelisken wurden aber auch als Kriegsbeute nach dem Sieg über Kleopatra geschätzt. Die Römer waren von der Größe der Granitpfeiler beeindruckt. Da die altägyptische Tempelstadt Heliopolis vor Obelisken strotzte, konnte sich Augustus dort wie in einem Steinbruch bedienen. sche Kunsthistorikerin Diana Kleiner in ihrem Buch „Cleopatra and Rome“. Manche dieser Werke „waren Kopien berühmter ägyptischer Vorbilder, andere gänzlich neue Kreationen, die nur im Ägypten-Look daherkamen“. Die Künstler und Handwerker seien möglicherweise ägyptische Einwanderer gewesen, meint die Spezialistin für die Architektur des antiken Rom. ULLSTEIN BILD Im Stadtgebiet Roms stehen heute noch acht altägyptische und fünf von den Römern angefertigte Obelisken. Die größte Originalsäule vom Nil, ohne Sockel 32 Meter hoch, befindet sich an der Lateranbasilika, die zweithöchste auf dem Petersplatz. Die von Augustus importierten Obelisken wie auch pharaonische Statuen und Kunstwerke aus dem eroberten nordafrikanischen Land lösten in Rom eine ungestüme Ägyptomanie aus. Die zusammengerafften Schätze animierten reiche römische Aristokraten, auch neue Gebäude und Gemälde mit ägyptischer Anmutung in Auftrag zu geben. „Darin drückte sich keine politische Äußerung aus, vielmehr war es eine Modeerscheinung“, schreibt die amerikani- SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 Wandmalerei mit dem Vogel Phoenix in einem Grab bei Luxor Im „Haus der Livia“ auf dem Palatin, das Augustus mit seiner dritten Frau Livia bewohnte, sind Fresken mit ägyptischen Motiven teilweise gut erhalten: Girlanden aus Früchten und Laub oder Szenen aus dem Leben der Ägypter. In anderen römischen Villen wurden Fußböden mit nilotischen Mosaiken ausge- schmückt, die exotische Pflanzen oder Tiere, etwa Krokodile, abbildeten. Der exaltierte Kaiser Caligula, der von 37 bis 41 regierte und in pharaonischer Weise eine sexuelle Beziehung mit seiner Schwester Drusilla gehabt haben soll, ließ vermutlich die „Aula Isiaca“ in seinem Palast auf dem Palatin besonders opulent mit ägyptischen Wandmalereien ausstatten. Sie zeigten Wassergefäße („Situlae“) der Göttin Isis, Schlangen, Lotusblüten und Sonnenscheiben. An einer Wand wurde eine Nilszene mit Pygmäen und einem Flusspferd abgebildet, an einer anderen eine verschleierte Isis-Priesterin. Neben religiösen Motiven tauchten ägyptische Elemente in vielerlei profanen Variationen im römischen Stadtbild auf. Wohlhabende Römer wetteiferten um den größten und prächtigsten Garten im ägyptischen Stil. Darin wurden künstliche Wasserläufe angelegt, die an den Nil erinnern sollten, und an deren Ufern Statuetten ägyptischer Götter aufgestellt. Die Imitationen fanden ihren Höhepunkt in dem Nachbau eines ägyptischen Kanals („Canopus“) und eines Serapistempels in der Hadriansvilla, die sich der römische Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert bei Tivoli als Sommerresidenz und Alterssitz errichten ließ. Manche Römer ließen sich Pyramiden als Grabdenkmäler vor den Toren der Stadt bauen. Einige säumten die Via Appia und die Via Flaminia, zwei wichtige Fernstraßen. Erhalten ist – vor der Porta San Paolo – die gut 36 Meter hohe Grabpyramide des Gaius Cestius, eines 117 weißen und farbigen Marmor aus den Ländern rund ums Mittelmeer zu importieren. Die Kunsthistorikerin Kleiner ist überzeugt, dass Cäsar seine Baupläne mit Kleopatra besprochen hat, „auch wenn Cäsars römiOctavian wollte Rom, das damals sche Bauvorhaben vergleichsweise provinziell erschien, zu lange vor seiner perBegegeiner ähnlichen Metropole wie Alexan- sönlichen dria machen. Sein Ziel, so schreibt Diana nung mit Kleopatra Kleiner, sei „nicht gewesen, ein Alexan- eingeleitet worden dria am Tiber zu erbauen, sondern ein waren und sicherlich Rom, das glänzender sein sollte als sein auch ohne sie fortgesetzt worden wären“. Vorbild“. Von Augustus ist das Zitat überliefert, Es sei „kaum anzuer habe „eine Stadt aus Ziegeln vorge- nehmen“, dass sie funden und eine aus Marmor hinterlas- nicht miteinander sen“. Abgesehen davon, dass gebrannte über die römische Ziegel auch in seiner Regierungszeit und Stadtplanung diskuspäter das übliche Baumaterial für Pri- tiert haben. vathäuser, große Wohnblocks und selbst Zu Cäsars favorivon öffentlichen Gebäuden war, hatte sierten Projekten gebereits Cäsar die Verwendung von Mar- hörte eine große öfmor forciert. fentliche Bibliothek Cäsar hatte schon in den späten sech- wie jene weltbeziger Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. rühmte in Alexandie Absicht gehabt, das Stadtbild Roms dria. Der Legende von Grund auf zu verändern. Vor allem nach soll diese weltging es ihm darum, die Gedenkstätten weit größte Sammberühmter Vorfahren zu restaurieren lung von 400 000 und monumentale Gebäude an wichti- Schriftrollen im gen öffentlichen Plätzen zu errichten, Jahr 48 v. Chr. ein etwa auf dem Forum Romanum. Raub der Flammen Cäsar gab die Parole aus, alles müsse geworden sein, als größer, schöner, heller werden. Deshalb Cäsar im Hafen der ließ er die Marmorsteinbrüche bei Luna, ägyptischen Hauptstadt die Schiffe der dem heutigen Carrara, ausbeuten und Ptolemäer in Brand stecken ließ, worauf die Hafenanlagen in Ostia erweitern, um die Flammen auf die Bibliothek übergegriffen hätten. Tatsächlich wurde wohl nur ein kleiner Teil der Schriften vernichtet, die in einem Lagerhaus aufbewahrt wurden (siehe Seite 38). Cäsars Ermordung machte den Plan einer römischen Bibliothek vorerst zunichte. Aber ein treuer Gefolgsmann, Asinius Pollio, verwirklichte ab 39 v. Chr. das Relief an der Ara Pacis mit Livia und ihren Söhnen ehemaligen Praetors und Volkstribuns, der 12 v. Chr. gestorben war. Eine wohl noch etwas größere Grabpyramide („Meta Romuli“) stand zwischen dem Nero-Circus und dem Mausoleum des Kaisers Hadrian (der heutigen Engelsburg). Die darin verbauten Marmorblöcke wurden im 10. Jahrhundert teilweise abgetragen und für den Vorläuferbau des heutigen Petersdoms verwendet. 118 Ägyptisches Bildmotiv: Pygmäen jagen Krokodile und ein Flusspferd. Fresko aus Pompeji Konzept des Diktators im Atrium Libertatis unterhalb des Capitols. Kleopatras Aufenthalt in Rom zwischen 46 und 44 v. Chr. hatte ebenfalls Spuren hinterlassen. Ihre Art, sich herauszuputzen, färbte auf den Geschmack der einheimischen Frauen ab. Zum Beispiel avancierte die sogenannte Melonenfrisur, die traditionelle Haartracht der Ptolemäerinnen seit dem 3. Jahrhundert v. Chr., zum weiblichen Schönheitsideal. Die italienische Archäologin Brunella Germini verweist auf eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen der heute im Vatikan ausgestellten Kleopatra-Porträtbüste und einer auf einem Grabrelief dargestellten Römerin aus jener Zeit; Letzteres zeige „eine Variante dieser Frisur mit Hakenlöckchen auf der Stirn und Locken vor dem Ohr“. SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 GETTY IMAGES (L.); FOTOFINDER / BRIDGEMANART.COM (R.) DIE VERLIERERIN Mit der Niederlage der Ägypterin endete keineswegs deren Bewunderung. „Kleopatras Auswirkung auf Rom“, analysiert die Kunsthistorikerin Kleiner, „war nach ihrem Tod sehr viel größer als zu ihren Lebzeiten.“ Das erscheint paradox, war sie doch Octavians Staatsfeindin Nummer eins gewesen. Gleichwohl beeinflusste sie „dessen Leben und viele der Kunstwerke, die er in Auftrag gab“. Am sinnfälligsten geschah dies an der Ara Pacis Augustae, dem Friedensaltar, der im Jahr 13 v. Chr. nach den siegreichen Feldzügen des Augustus in Gallien und Spanien begonnen und vier Jahre später eingeweiht wurde. Das Monument orientierte sich an griechischen Vorbildern. Der eigentliche Altar wurde umschlossen von einem 11,60 mal 10,60 Meter großen, gut sechs Meter hohen Gebäude mit Eingängen SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2012 im Osten und im Westen. Wie etwa beim Pergamonaltar wurden die Wandflächen mit Reliefs verziert. Eben in diesen Bildmotiven erkennt Diana Kleiner verblüffende Parallelen mit einem sakralen ägyptischen Bauwerk. An der Rückwand des Hathor-Tempels in Dendera hatte Kleopatra ein überlebensgroßes Relief anbringen lassen, das sie mit ihrem Sohn Kaisar darstellte. Nun wurde auch Livia, die Ehefrau des Augustus, mit ihren Söhnen in einem Reliefporträt verewigt – obschon eine solche Hervorhebung römischer Tradition widersprach, die keine weiblichen Regenten kannte. Kleopatra verschmolz in der bildlichen Darstellung mit den Göttinnen Isis und Hathor. Ähnlich wurde auch Livia an der Ara Pacis mit Gottheiten gleichgesetzt, die für Schönheit, Sinnlichkeit, Fruchtbarkeit und Häuslichkeit standen. Und wie in Dendera spiegelt die Szene eine Friedensprozession mit einem rituellen Opfer, das den Göttern dargebracht wird. Kleiner sieht deshalb in der Ara Pacis „das Dendera des Augustus“. Auch die Sonnenuhr mit dem ägyptischen Obelisken, die Augustus in unmittelbarer Nähe seines Mausoleums und des Friedensaltars anlegen ließ, hatte Symbolkraft. Der Schatten, den der steinerne Zeiger warf, erreichte am 23. September, Augustus’ Geburtstag, genau die Mitte der Ara Pacis. Es sollte als kosmisches Zeichen gedeutet werden, dass in der Konstellation der Gestirne die Friedensherrschaft des Augustus schon vorherbestimmt gewesen sei. 119