© SPL, picturedesk.com Krebs bei Kindern 34 › österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 DFP - Literaturstudium In den westlichen Industrieländern stellt Krebs bei Ein- bis 15-Jährigen immer noch die häufigste krankheitsbedingte Todesursache dar. Mit den Warnsymptomen von malignen Erkrankungen im Kindesalter sollten daher alle Ärzte, die Kinder betreuen, vertraut sein. Derzeit wird etwa bei mehr als zehn Prozent aller Hirntumoren die Diagnose erst mehr als ein Jahr nach dem Auftreten der ersten Symptome gestellt. Von Helmut Gadner und Leo Kager* Aktuelle Entwicklungen K rebserkrankungen im Kindes­ alter sind selten. Bei den unter 15-jährigen Kindern erkrankt eines von 500 Kindern an Krebs; in Österreich werden in dieser Alters­ gruppe etwa 250 Neuerkrankungen pro Jahr registriert. Trotz der ermu­ tigenden Behandlungserfolge (FünfJahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 81 Prozent und Zehn-JahresÜberlebenswahrscheinlichkeit von 78 Prozent), welche durch meist mul­ timodale Behandlungskonzepte in den letzten Dekaden erreicht werden konnten, sind Krebserkrankungen in der Kohorte der Ein- bis 15-Jährigen in Industrieländern immer noch die häufigste krankheitsbedingte Todes­ ursache. Deshalb ist eine weitere Ver­ besserung der Behandlung dringend erforderlich. Die Verbesserung der Prognose für Kinder mit Krebs wurden in der Ver­ gangenheit vorwiegend empirisch – in prospektiven, kontrollierten, multizen­ trischen Studien – unter Anwendung von sogenannten risikoadaptierten Be­ handlungsstrategien erreicht. Im Rah­ men einer risikoadaptierten Therapie wird – grosso modo – die Intensität der Behandlung dem Schweregrad der Erkrankung (Tumoraussaat, Tumor­ biologie, etc.) angepasst. Eine weitere Verbesserung der Prognose kann ent­ weder durch eine Optimierung der bereits als wirksam erwiesenen The­ rapie (zum Beispiel optimale Dosie­ rung, verbesserte Galenik, optimale Kombinationen von zytostatischen Arzneimitteln) oder durch Implemen­ tierung von neuen erfolgreichen Be­ handlungsmodalitäten (zum Beispiel zielgerichtete Therapie, Differenzie­ rungstherapie, Immunmodulation, Protonenbestrahlung) erreicht werden. Erfreulicherweise ist eine Verbesserung der Prognose nicht immer an eine In­ tensivierung der Therapie geknüpft, denn bei manchen Erkrankungen trat trotz Reduktion der Behandlungsin­ tensität (wie zum Beispiel Weglassen der prophylaktischen ZNS-Bestrah­ lung bei Kindern mit bestimmten Subtypen einer akuten lymphatischen Leukämie) keine Verschlechterung der Behandlungsergebnisse auf. Solche Erkenntnisse sind besonders wichtig, weil damit das Risiko des Auftretens von teils gravierenden Spätfolgen (zum Beispiel Sekundär-Malignome nach Bestrahlung) vermindert werden kann. In dieser Übersicht werden die wichtigsten Krankheitsbilder sowie deren aktuelle Diagnostik und Thera­ pie dargestellt. Krankheitsbilder Die häufigsten Krebserkrankungen im Kindesalter sind akute lympho­ blastische Leukämien (27 Prozent al­ ler Neoplasien) und Hirntumoren (22 Prozent). Andere Erkrankungen wie Lymphome (zwölf Prozent), Tumo­ ren des sympathischen Nervensystems (acht Prozent), Weichteilsarkome (sechs Prozent), Nierentumoren (5,5 Prozent), akute myeloische Leukämien (fünf Prozent), maligne Knochentu­ › österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 moren (4,5 Prozent), Keimzelltumo­ ren (3,5 Prozent), Retinoblastome (zwei Prozent), chronisch myeloische Leukämien und myelodysplastische Erkrankungen (zwei Prozent), epi­ theliale Neoplasmen (1,5 Prozent) und Lebertumoren (ein Prozent) sind zwar insgesamt selten, können aber in verschiedenen Altersgruppen ge­ häuft auftreten. Im ersten Lebensjahr überwiegen zum Beispiel Tumoren des sympathischen Nervensystems (33 Prozent) und bei 15- bis 20-Jährigen Lymphome (24 Prozent). Während Retinoblastome (häufigster maligner intraokularer Tumor) fast ausschließ­ lich in den ersten Lebensjahren auf­ treten, treten Osteosarkome (die häu­ figsten bösartigen Knochentumoren) vor allem während des Wachstums­ schubes in der Pubertät auf. Diese altersspezifischen Unterschiede in der Inzidenz maligner Erkrankungen sind bei differenzialdiagnostischen Überle­ gungen zu berücksichtigen. Wichtige Symptome und Zeichen Die häufigsten Symptome und Zeichen einer malignen Erkrankung (wie zum Beispiel Müdigkeit, Leis­ tungsknick, Fieber, Gewichtsverlust, Blässe, Auftreten von Hämatomen, Schmerzen, Schwellung, Erbrechen, Kopfschmerzen, Knochen- und Ge­ lenkschmerzen, Abdominalschmerzen, etc.) sind relativ unspezifisch, was sehr oft eine fatale Verzögerung der adäqua­ ten Diagnostik zur Folge hat. Da eine Frühdiagnose bei fast allen Krebs- : 35 : erkrankungen bei Kindern eine essentielle Voraussetzung für eine er­ folgreiche Therapie ist, müssen alle Ärzte, die Kinder betreuen, mit den Warnsymptomen von malignen Er­ krankungen im Kindesalter vertraut sein und entsprechende diagnostische Schritte einleiten beziehungsweise Pa­ tienten bei dringenden Verdacht rasch zur entsprechenden Diagnostik an ein spezialisiertes Zentrum zuweisen. Es ist beispielsweise bedenklich, dass nur etwa ein Drittel aller Hirntumoren in­ nerhalb eines Monats nach Auftreten der ersten Symptome diagnostiziert wird und bei mehr als zehn Prozent der Patienten der Diagnoseverzug mehr als ein Jahr beträgt. Während bei Neoplasmen mit einer sehr hohen Proliferationsrate wie zum Beispiel akuten Leukämien die Anamne­ sedauer meist relativ kurz ist, werden die ersten Zeichen und Symptome bei lang­ sam wachsenden soliden malignen Tu­ moren oft Monate vor der Diagnosestel­ lung bemerkt. Typischerweise wird bei Jugendlichen mit Knochentumor in der Anamnese berichtet, dass zum Beispiel beim Fußballspielen eine Verletzung er­ folgte, und diese ‚Schwellung’ nun über Monate Schmerzen verursachte. Derbe, schmerzlose Lymphknoten, bei denen nicht innerhalb von zwei Wochen eine Rückbildungstendenz erkennbar ist, sollten an eine neoplastische Ursache denken lassen, besonders wenn diese supraclaviculär oder mediastinal lokali­ siert sind. In Tab. 1 sind die häufigsten Symptome und Zeichen maligner Er­ krankungen im Kindesalter sowie deren Differentialdiagnosen und Hinweise zur Diagnostik aufgelistet. Diagnostik und Therapie Wichtige Grundprinzipien der Dia­ gnostik und Differenzialdiagnostik : Symptome, Differenzialdiagnosen und Diagnostik von malignen Erkrankungen im Kindesalter Symptome und Zeichen Maligne Erkrankungen Differenzialdiagnosen Müdigkeit, Leistungsabfall, Leukämien, myelodysplastische Infektionen, systemische Schwäche, Blässe, Erkrankungen, Lymphome, metastatische rheumatische Fieber, Gewichtsverlust, Tumoren wie Neuroblastom (NBL), Erkrankungen Appetitlosigkeit Ewing Tumor (ET) und alveoläres Rhabdomyosarkom (RMA) Blutungszeichen (Haut Leukämien, Stadium IV NBL, ET und RMA Idiopathische und Schleimhaut) mit Knochenmarkbefall throbozytopenische Purpura (ITP), Koagulopathien, Thrombozytopathien Lymphadenopathie Lymphome, Leukämien, lokale Metastasen Infekte (EBV, CMV, Röteln, bei soliden Tumoren Tuberkulose und atypische Mykobacterien, Bartonella henselae, etc.), Autoimmunerkrankungen, Sarkoidose, etc. Kopfschmerz, Erbrechen, Hirntumor, ZNS Befall/Metastasen Migräne, orthostatische Krampfanfälle, (Leukämien, Lymphome, Osteosarkom, RMS, Dysregulation, Sinusitis, neurologische Symptome ET, etc.) Meningitis/Encephalitis, metabolische Erkrankungen Abdominalschmerz/ Wilms-Tumor, NBL, Lymphome, Gastroenteritis, -schwellung Hepatoblastom, Keimzelltumoren, Appendizitis, Invagination, Weichteilsarkome, Leukämie Nieren- und Leberzysten, Echinokokken, Hamartome Weichteilschwellung Weichteilsarkome, NBL, Langerhans Zell Hämatom, Lipom, Fibrom, Histiozytose (LCH), Akute myeloische Abszeß. Leukämie, Lymphome 36/37 Diagnostik Blutbild und Differentialblutbild (BB +Diff), Harnsäure (HS), Laktatdehydrogenase (LDH), Blutsenkung und CRP, Knochenmark, Bildgebung BB+Diff, Gerinnungsanalysen, HS,LDH, Knochenmark, Bildgebung, ev. Tumormarker (Katecholamine im Harn) BB+Diff, HS, LDH, Blutsenkung und CRP, Mendel-Mantoux-Test, Bildge bung, Gewebsanalyse (Abklatsch, Histologie, Bakteriologie, Virologie, etc.) EEG, EKG, NNH-Sonographie, Augenfundus, Cerebrale Bildgebung (Sonographie, MRT, CT), Liquor, BB+Diff, HS, LDH, Blutzucker, Ammoniak, Astrup, Tumormarker Bildgebung (Sonographie, MRT, CT), BB+Diff, HS, LDH, Blutsenkung und CRP, Tumormarker (AFP, Katecholamine, β-HCG, etc.) Blutbild und Differentialblutbild, HS, LDH, Blutsenkung und CRP, Bildgebung, Gewebsanalyse (Abklatsch, Histologie, Bakteriologie) Tab. 1 österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 Grundprinzipien der Diagnostik und Differenzialdiagnostik Klinische Verdachtsdiagnose (Anamnese, Symptome und klinische Untersuchung) Labordiagnostik Blutbild (+Differenzialblutbild), BSG, CRP, LDH, HS, Elyte, Ca, P, Crea, GPT Bei entsprechendem Verdacht – Tumormarker: Neuroblastom (Harnkatecholamine, Ferritin, NSE), manche Keimzelltumoren und Hepatoblastom (AFP, β-HCG) Bildgebende Diagnostik Sonographie (am wenigsten „invasiv“), Thoraxröntgen Bei entsprechendem Verdacht – erweiterte Diagnostik: (Cave! bei kleinen Kindern nur in Sedierung möglich): MRT, CT (Cave! Strahlenbelastung), Szintigraphie: Neuroblastom (MIBG), Knochen- und Weichteiltumoren, Klarzellsarkom (Skelett), M. Hodgkin und manche seltene Tumoren (FDG-PET) Gewebsuntersuchungen Gewebsentnahmen sind exakt zu planen (und ggf. in einem entsprechenden Zentrum durchzuführen) und das Gewebe ist entsprechend zu versorgen! Zytologie (Abklatsch), Histologie, Immunhistochemie, Zytogenetik, Molekulargenetik, Spezialuntersuchungen (z.B. Elektronenmikroskopie) Abb. 1 : finden sich in Tab. 1 (auf Seite 36 ) und Abb. 1. Diagnostische Schritte, Fallgruben bei der Diagnostik und die aktuelle Therapie der beiden wich­ tigsten neoplastischen Erkrankungen (akute lymphatische Leukämie und Hirntumoren) im Kindesalter werden nachfolgend dargestellt. Für sonstige, seltene Neoplasmen werden synop­ tisch aktuelle Entwicklungen zur Dia­ gnostik und Therapie beschrieben. Ein Überblick über aktuelle Behand­ lungsprotokolle der pädiatrischen Onkologie gibt es auf der Website der Gesellschaft für Pädiatrische Häma­ tologie und Onkologie (http://www. kinderkrebsinfo.de/ ). Akute lymphoblastische Leukämie In Österreich werden pro Jahr etwa 60 neue Erkrankungsfälle an akuter lymphoblastischer Leukämie (ALL) bei Kindern unter 15 Jahren diagnos­ tiziert. Die Infiltration des Knochen­ marks mit leukämischen Blasten ver­ drängt die normale Hämatopoese und verursacht Infekte (relative Leukozy­ topenie, das heißt eine Verminderung der funktionellen Leukozyten), eine normochrome, normozytäre Anämie sowie Blutungsneigung. 38/39 Etwa 50 Prozent der Kinder mit ALL haben zum Zeitpunkt der Dia­ gnose normale Leukozytenwerte. Al­ lerdings weisen 88 Prozent der Kinder bei der Diagnose ALL eine Thrombo­ zytopenie (<50.000/μl bei 50 Prozent aller Patienten) auf und 75 Prozent eine Anämie (Hb < 6g/dl bei 25 Pro­ zent aller Patienten). Eine Infiltration anderer Organe kann zur Lympha­ denopathie, Hepatosplenomegalie oder Hodenvergrößerung führen. Be­ sonders zu beachten sind Infiltra­ tionen der Nieren (Gefahr einer Nie­ reninsuffizienz bei Therapiebeginn) sowie Thymus-Tumoren (T-ALL mit Gefahr einer Ateminsuffizienz nach Narkose), weshalb bei ALL-Verdacht sofort eine Abdomensonographie und ein Thoraxröntgen durchgeführt wer­ den müssen. Neben Blutbild und Dif­ ferentialblutbild weisen Laboranalysen (Erhöhung von Harnsäure und LDH) den Weg zur Diagnose. Die Diagnose ALL wird durch eine Knochenmarkpunktion gesichert. Um einen ZNS-Befall auszuschließen, ist eine Lumbalpunktion unter optima­ len Bedingungen durchzuführen. Die Diagnose der heterogenen Erkrankung ALL fußt auf der Beurteilung der Kno­ chenmarksausstriche und der Immun- Phänotypisierung. Zusätzlich erfolgen an den ALL-Blasten zytogenetische und molekulargenetische Analysen. Diese liefern zum einen die Mög­ lichkeit zum späteren Nachweis einer minimalen Resterkrankung (MRD = minimal residual disease) und können zur Therapiestratifizierung verwendet werden (zum Beispiel Nachweis des prognostisch ungünstigen BCR-ABL Fusion Genes). Die Standard-Behandlung dauert insgesamt etwa zwei Jahre. Für Pa­ tienten, deren Erkrankung auf die konventionelle Therapie ungenügend anspricht, ist ein Hochrisiko-Behand­ lungskonzept mit dosisintensiven Therapiekursen, bei prognostisch sehr ungünstigen ALL-Subtypen auch eine allogene Stammzelltransplantation vorgesehen. Säuglinge mit ALL zei­ gen ebenso wie Patienten mit BCRABL positiver ALL meist ein extrem schlechtes Ansprechen auf die konven­ tionelle Therapie und werden gemäß internationaler Protokolle behandelt (Interfant und EsPhALL). Eine Be­ strahlung des Schädels wird nur noch bei Patienten mit einem sehr hohen ZNS-Rezidivrisiko durchgeführt. Mit BFM-ALL Therapieprotokollen konnte in Österreich kontinuierlich eine Verbesserung der Prognose erzielt werden (siehe Abb. 2). Derzeit können mehr als 85 Prozent der Kinder mit ALL dauerhaft geheilt werden. Bei manchen ALL-Subtypen wird man durch weitere Optimierung der derzeit verwende­ ten Arzneimitteln möglicherweise alle Kinder dauerhaft heilen können (zum Beispiel bei E2A-PBX1 positiver ALL sind seit 1992 alle in Österreich behan­ delten 29 Kinder in anhaltender erster Krankheitsremission). Bei anderen, prognostisch schlechten Subtypen (zum Beispiel Säuglinge mit MLL-rearran­ gierter ALL) hängt eine Verbesserung der Heilungsrate von der erfolgreichen Implementierung neuer Therapien : österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 Akute lymphoblastische Leukämie bei Kindern in Österreich Ereignisfreies Überleben 1981 bis 2006 (N = 1341 Kinder) intrakraniellen Keimzelltumoren) und der Tumor-Zellnachweis im Liquor hilfreich sein. Zur Diagnosesicherung ist fast immer eine Gewebsentnahme erforderlich. Quelle: PD Dr. A. Attarbaschi : (z.B. FLT3 Inhibitoren) ab. Dabei ist auf eine Verringerung von potentiellen Spätschäden durch die Initialtherapie Rücksicht zu nehmen. Moderne Strate­ gien zur Erhöhung der Toxizität in den Zielzellen und Reduktion der Toxizität in normalen Geweben (zum Beispiel Pharmakogenomik, Verbesserung der Galenik, zielgerichtete Behandlung mit small molecules, etc.) lassen hoffen, dass die ALL Behandlung weiter kon­ tinuierlich verbessert wird. Hirntumoren Hirntumoren sind eine sehr hete­ rogene Gruppe von Erkrankungen. Sie stellen insgesamt die häufigsten soliden malignen Tumoren im Kindes­ alter dar. In Österreich erkranken et­ was weniger als 50 Kinder pro Jahr an einem Hirntumor. Die Tumorlokalisa­ tion (Kleinhirn und vierter Ventrikel: rund 38 Prozent, Hirnstamm: rund 32 Prozent, Großhirnhemisphären: rund 20 Prozent, supraselläre Region: rund zehn Prozent), die Tumorgröße und Metastasierung bestimmen die Leitsymptomatik. Bei Kleinkindern überwiegen rasch wachsende Mali­ gnome (Kleinhirn-Medulloblastome und Ependymome), die rasch zum Liquorstau mit Hirndruck (Kopf­ 40 Abb. 2 schmerz von drückendem Charakter, morgendliches Erbrechen mit Besse­ rung während des Tages) und Ataxie symptomatisch werden. Bei eher lang­ sam wachsenden kortikal lokalisierten Tumoren, welche bei älteren Kindern überwiegen, wird die Diagnose oft erst Monate nach den ersten Symptome gestellt. Bei 40 bis 50 Prozent der Patienten stellen Hirndruckzeichen das erste Symptom dar, zum Diagno­ sezeitpunkt liegen sie dann aber bei 70 bis 80 Prozent der Kinder vor. Bis dahin haben aber 90 Prozent der Kin­ der weitere neurologische Symptome entwickelt (Wesensveränderung, Doppelbilder, Sehstörungen, Ataxie, Krampfanfälle, etc.), was auf die Be­ deutung wiederholter sorgfältiger neu­ rologischer Kontrolluntersuchungen bei Kindern mit Cephalea hinweist. Die Diagnose erfolgt via Bildge­ bung, ein Hirndruck kann auch durch Fundusuntersuchung nachgewiesen werden. Bei offener Fontanelle sollte initial eine Sonographie durchge­ führt werden. Zusätzlich sind Unter­ suchungen mittles MRT/CT erfor­ derlich. Bei der Differentialdiagnose können das Alter bei Diagnosestel­ lung, die Lokalisation des Tumors, die Tumormarker (AFP und β-HCG bei Die Behandlung ist meist multimo­ dal und richtet sich nach Histologie und Tumoraussaat. Medulloblastome (etwa 40 Prozent aller Tumoren der hinteren Schädelgrube) sind beispiels­ weise chemo- und radiosensitiv. Den­ noch ist auch bei diesen Tumoren eine komplette Resektion anzustreben, was aber trotz Verbesserung der chirur­ gischen Methoden oft nicht möglich ist. Mit multimodaler Behandlung ist nun bei bis zu 80 Prozent der Patienten ein progressionsfreies Fünf-JahresÜberleben möglich, jedoch sind Ein­ schränkungen durch bleibende Schä­ den oft beträchtlich. Ependymome (dritthäufigster Hirntumor bei Kin­ dern) sind zum Teil chemoresistent. Hier spielt die lokale Tumorkontrolle eine besondere Rolle, denn bei inkom­ pletter Resektion ist die Prognose sehr schlecht (0 Prozent bis 25 Prozent). Mit hochdosierter adjuvanter Strah­ lentherapie kann die Prognose verbes­ sert werden, allerdings sind vor allem bei kleinen Kindern bleibende Schä­ den des ZNS zu erwarten. Wie auch bei Medulloblastomen haben kleine Kinder eine schlechtere Prognose (Progressionsfreies FünfJahres-Überleben: unter drei Jahren: zwölf Prozent; über drei Jahren: 60 Prozent). Bezüglich anderer ZNS-Tu­ moren (Kraniopharyngeome, Gliome, atypisch teratoide/rhabdoide Tumo­ ren, Plexustumoren, ZNS-Metasta­ sen, etc.) wird auf die Spezialliteratur (Gadner et al., Springer Verlag, 2006) verwiesen. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die in den letzten Jah­ ren erreichte Verbesserung der Über­ lebensrate von Hirntumoren (etwa › österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 DFP - Literaturstudium 70 Prozent Langzeitüberleben) doch von signifikanten Einschränkungen der Überlebenden im täglichen Leben überschattet wird. Ob eine Verbesser­ ung der Therapie mit den modernen Fortschritten der Biotechnologie und Technik gelingen wird (zum Beispiel zielgerichtete Therapie, intraoperatives MRT, stereotaktische Operationsme­ thoden, verbesserte Fraktionierungs­ schemata etc.) bleibt zu hoffen. von MYCN, der Zugewinn von 17q, ein hyperdiploider Chromosomensatz und die Deletion von 1p36.3 (siehe Abb. 3). Neuroblastome In Österreich wurde in den letzten Jahren ein Screening auf Neuroblastom durchgeführt. Aus heutiger Sicht be­ steht keine Indikation zu einem Neu­ roblastom-Screening, jedoch konnten durch das Screening-Programm wich­ tige Einblicke in die Erkrankungsbio­ logie gewonnen werden. Das Neuroblastom ist der häufigste extrakranielle solide Tumor im Kin­ desalter. 70 Prozent der Tumoren sind im Abdomen lokalisiert (Nebennieren­ mark oder Grenzstrang). Die Diagno­ se wird durch Bildgebung (Sonogra­ phie, MRT, MIBG-Scan), Erhöhung von Tumormarkern (Katecholamine im Harn, LDH, Neuronspezifische Enolase, Ferritin) und histologisch/ molekulargenetisch gestellt. Prognos­ tisch ungünstig (ungünstige Biologie) sind der Nachweis einer Amplifikation Der Erkrankungsverlauf ist sehr va­ riabel. Mit Spontanremissionen sogar bei primär metastatischer Erkrankung im Säuglingsalter (sogenanntes IV-S Neuroblastom, günstige Biologie), und weniger als 50 Prozent Überleben bei metastatischer Erkrankung älterer Kin­ der mit ‚ungünstiger’ Biologie trotz mul­ timodaler Therapie (Chemotherapie + Strahlentherapie + Chirurgie). In den letzten Jahren ist es durch eine bessere Definition der Risikogruppen eine er­ folgreiche Therapiereduktion bei Kin­ dern mit niedrigem und mittlerem Ri­ siko gelungen. Bei Hochrisikopatienten wiederum wurde durch die Intensivie­ rung der Chemotherapie, den Einsatz der Hochdosischemotherapie und auto­ loger Stammzelltransplantation gefolgt von einer Differenzierungstherapie mit 13-cis Retinolsäure eine Verbesserung der Prognose erzielt. Ob in der Hochri­ sikogruppe eine Immuntherapie mit an­ tiGD2 Antikörper von Nutzen ist, wird derzeit geprüft. Lymphome Bei Jugendlichen sind Lymphome die häufigsten Neoplasmen. Neben der meist schmerzlosen Lymphadeno­ pathie finden sich oft sogenannte BSymptome (Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust). Beim großzelligenanaplastischen Lymphom kann auch die Haut in typischer Weise (erythe­ matös, maculopapulös) befallen sein. Eine exakte Klassifizierung (Histologie, Staging) ist entscheidend für die Wahl der geeigneten Therapieform. : Nachweis von genetischen Veränderungen in Neuroblastomzellen via Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification (MLPA) Amplifikation/Zugewinn Verlust › österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 Abb. 3 Quelle: Univ. Doz. Dr. Peter Ambros, CCRI 41 : Non­Hodgkin Lymphome (NHL) im Kindesalter teilt man in drei the­ rapeutische Hauptgruppen ein: pe­ riphere B­Zell­Lymphome (B­NHL) einschließlich B­ALL (Fünf­Jahres­ Überlebenswahrscheinlichkeit: 88 Pro­ zent), lymphoblastische Lymphome (Fünf­Jahres­Überlebenswahrschein­ lichkeit: 84 Prozent) und großzellig­ anaplastische Lymphome (ALCL; Fünf­Jahres­Überlebenswahrschein­ lichkeit: 70 Prozent). Bei Patienten mit lymphoblastischen Lymphomen hat sich die ALL­Therapiestrategie bewährt. B­NHL und ALCL werden durch fraktionierte Verabreichung und Dauerinfusion von zytotoxisch wirkenden Arzneimitteln behandelt. Ob monoklonale Antikörper gegen li­ nienspezifische Membranantigene der Lymphomzellen eine therapeutische Ergänzung sind, wird geprüft. Beim Morbus Hodgkin wird derzeit geprüft, ob mit Hilfe von 18­FDG­ PET Untersuchungen eine adäquate Response Beurteilung möglich ist. Wegen der ausgezeichneten Langzeit­ prognose mit 95 Prozent Langzeit­ überleben ist eine Vermeidung von Spätfolgen (zum Beispiel Sekundär­ Malignome nach Strahlentherapie) ein Hauptanliegen der Therapieopti­ mierung bei Patienten mit M. Hodg­ kin. Akute myeloische Leukämie Im Gegensatz zur ALL ist die AML bei Kindern sehr selten (etwa zwölf Neuerkrankte pro Jahr in Österreich) und mit einer deutlich schlechteren Prognose (ereignisfreies Überleben von 50 bis 60 Prozent) behaftet. Symptome und Diagnostik sind ähnlich wie bei der ALL. Die akute Promyelozyten­ leukämie (AML FAB M3) kann eine Koagulopathie verursachen, weshalb diese Patienten initial mit dem Dif­ ferenzierung induzierenden Wirkstoff 42/43 all­trans­Retinsäure (ATRA) behandelt werden. Durch diese Vorbehandlung wird die Gefahr einer lebensbedroh­ lichen Blutung im Rahmen der In­ duktionstherapie deutlich vermindert. Während bei ALL die intrinsische Zy­ tostatikaresistenz schon früh beurteilt werden kann, ist durch die Intensität der Initialbehandlung eine Remissi­ onsbeurteilung bei AML oft erst nach bis zu acht Wochen möglich. Nach der Induktionstherapie sind weitere inten­ sive Postremissionskurse zur Elimina­ tion residualer AML Zellen erforder­ lich. Die Therapieintensivierung bei schlechtem Ansprechen umfasst auch die Stammzelltransplantation. Künf­ tige Therapieverbesserungen durch small molecules, verbesserte Galenik von zytostatischen Arzneimitteln und gezielt Antikörper vermittelter Che­ motherapie (Myelotarg) scheinen in Griffweite. Knochentumoren Die häufigsten malignen Kno­ chentumoren sind Osteosarkome und Ewing­Tumoren. Osteosarkome tre­ ten vor allem an den Metaphysen der langen Röhrenknochen (zwei Drittel um das Kniegelenk) auf, während der Prädilektionssitz von Ewing­Tumoren das Becken (25 Prozent) ist. Etwa bei einem Drittel der Patienten sind in der Bildgebung (obligat sind MRT der be­ troffenen und angrenzenden Knochen, Thorax­CT und Knochenszintigra­ phie) schon bei der Diagnose Metasta­ sen nachweisbar. Die diagnostische Bi­ opsie sollte in einem entsprechenden Zentrum durchgeführt werden. Bei Ewing Tumor finden sich typische molekulargenetische Veränderungen (EWS­Rearrangements). Nach Diagnosesicherung erhalten Patienten mit Osteosarkomen und Ewing­Tumoren eine präoperative (neoadjuvante) Chemotherapie. Da­ nach erfolgt die Lokaltherapie mit möglichst vollständiger Entfernung al­ ler makroskopisch nachweisbaren Lä­ sionen im Gesunden. Das Ansprechen des Tumors auf die neoadjuvante Che­ motherapie (gutes Ansprechen: < zehn Prozent vitaler Tumor) wird zur adju­ vanten Therapiesteuerung verwendet. Im Gegensatz zu Ewing Tumoren, bei denen die Strahlentherapie alternativ zur Chirurgie eingesetzt werden kann, sind Osteosarkome relativ strahlenre­ sistent. Nur moderne Bestrahlungs­ verfahren, mit denen eine hohe Strah­ lendosis gezielt appliziert werden kann (zum Beispiel Protonenbestrahlung), können bei nicht resezierbaren Osteo­ sarkomen (zum Beispiel Wirbelsäule) zur erfolgreichen Lokaltherapie einge­ setzt werden. Bei Osteosarkomen wird derzeit in einer weltweiten Studie kontrolliert geprüft, ob Interferon von therapeu­ tischem Nutzen ist, und ob durch Intensivierung der adjuvanten zyto­ statischen Therapie die Prognose bei schlechten Ansprechen auf die neo­ adjuvante Therapie verbessert werden kann. Bei Ewing­Tumoren wird vor allem geprüft, ob bei Patienten mit schlechter Prognose die Hochdosis­ Chemotherapie mit autologer Stamm­ zell­Reinfusion von Nutzen ist. Nieren-Tumoren Der Wilms­Tumor ist die häufigste bösartige Neubildung der Niere. Er tritt besonders bei Kleinkindern auf und ist manchmal mit angeborenen Anomalien und Syndromen assozi­ iert. Typischerweise ist das erste Zei­ chen der asymptomatische palpable oder sichtbare abdominale Tumor (60 Prozent); seltener sind Hämaturie (15 Prozent) oder Schmerzen. Etwa zehn Prozent der Tumoren werden zufällig im Rahmen einer Routineuntersu­ chung entdeckt. Bei sehr großen : österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008 : Tumoren besteht die Gefahr einer Tumorruptur und des Verblutens; es sollte umgehend eine Einweisung in ein Zentrum erfolgen. Nach der diagnostischen Bild­ gebung (Sonographie, MRT, CTThorax) erhalten die Patienten eine präoperative Chemotherapie. Für die Diagnostik ist eine Biopsie nur in Ausnahmefällen erforderlich. Das An­ sprechen auf die neoadjuvante Thera­ pie, der histologische Subtyp und das Stadium werden zur postoperativen Therapieplanung herangezogen. Die meisten Patienten haben niedrig oder intermediär-maligne Nephroblastome mit exzellenter Prognose (>90 Prozent Überleben). In dieser Gruppe ist be­ sonderes Augenmerk auf Spätfolgen und deren Vermeidung zu legen. Etwa zehn Prozent der Nephroblastome sind hoch-maligne mit unbefriedi­ gend niedrigem Überleben von <50 Prozent. In dieser Kohorte sind neue Therapien erforderlich. Weichteilsarkome Diese seltenen Neoplasmen sind eine heterogene Gruppe mit chemo­ sensitiven Tumoren (alveoläre und em­ bryonale Rhabdomyosarkome (aRMS­ und eRMS), Synovialsarkom), mäßig chemosensitiven Tumoren (maligner peripherer Nervenscheidentumor, Li­ posarkom, Angiosarkom, etc.) und chemoresistenten Tumoren (Fibro­ sarkom, etc.). Die oft schmerzlose Schwellung, die nicht selten auf ein stattgehabtes Trauma zurückgeführt wird, ist Leitsymptom. Mehr als die Hälfte der Tumoren sind RMS, die vorwiegend im Kopf-Halsbereich und Urogenitaltrakt lokalisiert sind. Die Diagnose wird nach Bildgebung und Biopsie histologisch gestellt. Moleku­ largenetische Untersuchungen erlau­ ben eine verfeinerte Diagnostik, spezi­ ell beim aRMS. 44 Bei chemoresistenten Tumoren ist die völlige Entfernung des Tumors es­ sentiell für das Langzeitüberleben. Die Überlebenschance bei primär komplett resezierten Weichteilsarkomen liegt bei über 90 Prozent. Mit multimoda­ ler Therapie (Chemotherapie, Strah­ lentherapie und Chirurgie) können bei bis auf mikroskopische Reste rese­ zierten Tumoren Überlebesraten bis zu 75 Prozent erreicht werden. Patienten mit primär metastatischer Erkrankung haben eine schlechte Prognose bis ma­ ximal 30 Prozent Überleben. Speziell in dieser Gruppe ist zu hoffen, dass mit neuen Erkenntnissen der Moleku­ larbiologie wirksamere Behandlungs­ methoden gefunden werden. Ausblick Die in den letzten Jahren stattge­ fundene explosionsartige Vermehrung von neuen Biotechnologien hat ihren Niederschlag auch in der pädiatrischen Onkologie erfahren. Sie ermöglicht jetzt beispielsweise Genom-weite Ana­ lysen hinsichtlich der Gen-Expression oder Variationen im Genom (Geno­ mik), hochauflösende Proteinanaly­ sen (Proteomik) und hochauflösende Analysen von Stoffwechselmetaboliten (Metabonomik) in Tumorzellen so­ wie normalen Zellen eines Patienten durchzuführen. Diese Methoden – gepaart mit den Möglichkeiten, die­ se Daten auch entsprechend in-silico auszuwerten – lassen hoffen, künftig Modelle zu schaffen, mit Hilfe derer tiefere Einblicke in die Pathogenese der Erkrankungen gewonnen werden können, die Diagnostik verfeinert und die Therapie rational verbessert wird, etwa durch die Individualisierung der Therapie. Neben Fortschritten in Diagnostik und Therapie wurde schon früh er­ kannt, dass bei seltenen Erkrankungen wie Krebs im Kindesalter internatio­ nale Zusammenarbeit ein essentieller Faktor für die rasche Klärung von Studienfragen ist. Obwohl eine sol­ che Globalisierung auch durchaus mit Schwierigkeiten assoziiert sein kann – wie das Beispiel der ad hoc Imple­ mentierung einer EU-Verordnung für Klinische Studien in EU-Ländern schmerzhaft gezeigt hat – wird die in­ ternationale Zusammenarbeit in Netz­ werken – zusammen mit den Mög­ lichkeiten der Datenübertragung und der modernen Molekularbiologie – eine Grundlage schaffen, aufgrund derer es möglich erscheint, dass Krebs in absehbarer Zeit nicht mehr die häufigste krankheitsbedingte Todes­ ursache bei Kindern ist. Da künftige Fortschritte aber kostenintensiv sein werden, ist es notwendig, bei immer knapper werdenden Ressourcen im Gesundheitssystem die Bevölkerung und Politiker entsprechend darüber aufzuklären, dass für das Erreichen dieses wichtigen Zieles auch die ent­ sprechenden Mittel zur Verfügung ge­ stellt werden müssen. 9 Buchtipp: Pädiatrische Hämatologie und Onkologie von Gadner et al., Springer Verlag, 2006 *) Univ. Prof. Dr. Helmut Gadner, Priv. Doz. Dr. Leo Kager; beide: St. Anna Kinderspital Kinderspitalgasse 6, 1090 Wien; Tel.: 01/40 170/12 50; E-Mail: [email protected] Herausgeber: St. Anna Kinderspital/Abteilung für Kinderund Jugendheilkunde Lecture Board: Priv. Doz. Dr. Andishe Attarbaschi Priv. Doz. Dr. Milen Minkov Univ. Doz. Dr. Andreas Zoubek Diesen Artikel finden Sie auch im Web unter www.arztakademie.at/ls › österreichische ärztezeitung ‹ 17 › 10. September 2008