03.05.07 Die Form der Wechselwirkung

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Sommersemester 07
Zusammenfassung zur
Vorlesung: "Soziale I nteraktion"
PD Dr. Udo Thiedeke
Die Form der Wechselwi rkung
03.05.07
1
Vorlesung: "Soziale I nteraktion"
Die Form der Wechselwi rkung
03.05.07
Programm:
1 ) Vorbemerkung
2) Formen der Vergesel lschaftung
3) Wechselwi rkungen der I ndividuen
4) Zusammenfassung
1 ) Vorbemerkung
- Wie bereits hi nsichtl ich elemenarer I nteraktionsmögl ichkeiten zu sehen war, argu-
mentieren i nteraktionistische Ansätze i mmer i n Hi nbl ick auf die empi rischen Wahrnehmungs-, Reflexions- und Reaktionsmögl ichkeiten von Menchen.
- Wi r fi nden hier demzufolge ei nen engen Bezug zu sozial psychologischen, sozial phä-
nomenologischen und pragmatischen, aber auch zu anthropologischen und ethnolo-
gischen Untersuchungsansätzen.
- Es gi bt aber auch ei ne soziologische Grundlegung des I nteraktionismus, die wi r bei
dem Soziologen Georg Si mmel (1 858-1 91 8) i n sei ner Formbi ldungstheorie fi nden, i n
der er Gesel lschaft aus den Wechserlwi rkungen der I ndividuen ableitet.
- Der Begriff der "Wechselwi rkung" hat dann i n sei ner engl ischen Übersetzung "I nteraction" der ganzen Richtung den Namen gegeben.
2) Formen der Vergesel lschaftung
- Für Si mmel , 1 958 i n Berl i n geboren, blei bt Zeit sei nes Lebens der Ei ndruck des
Großstadtlebens besti mmend. Hier beobobachtet er die Problemati k der Ei nordnung
des I ndividuums i n die moderne, beschleunigte Gesel lschaft.
- Si mmel studiert ab 1 876 i n Berl i n Geschichte, Völ kerspsychologie (die Vorläuferwis-
senschaft der Sozial psychologie), Phi losophie und Kunstgeschichte, was sei ne weit-
gespannten Forschungsi nteressen von Gruppenprozessen, über Emotionen, die Mode, die Kunst bis hi n zum Geld zu begründen schei nt.
- 1 881 promoviert er i n Berl i n, 1 885 habi l itiert er sich und lehrt dann an der dortigen
Universität als unbesoldeter Privatdozent und außerplanmässiger Professor. Erst vier
Jahre vor sei nem Tod 1 91 4 erhält er den Ruf auf ei ne ordentl iche Professur an der
Universität Straßburg.
- I n Berl i n ist Si mmel für sei ne i nteressanten Vorlesungen bekannt, die zu gesel l -
schaftl ichen Ereignissen werden und zusammen mit sei ner Frau Getrud Ki nel , die
sel bst phi losophisch und l iterarisch tätig ist, führt er ei nen i ntel lektuel len Salon.
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- Sei ne Bedeutung für die Soziologie l iegt dari n, dass er theoretisch ei nen 'dritten
Weg' zwischen i ntensional istischer Handl ungstheorie (wie etwa von Max Weber vertreten) und kol lektiv orientierter Strukturtheorie (wie wi r sie bei Durkhei m fi nden)
ei nschlägt.
- Er legt ei ne soziologische Theorie der Formbi ldung vor, i n der Gesel lschaft i n ei nem
Prozess der "Vergesel lschaftung" aus den Wechselwi rkungen der I ndividuen mitei -
nander als Synthese sozialer Formen entsteht.
- Si mmel schrei bt i n sei ner 1 908 erschienenen "Soziologie" i m Kapitel "Das Problem
der Soziologie" (hier zitiert nach der Gesamtausgabe von 1 992, Bd. I I):
"Soll es also eine Wissenschaft geben, deren Gegenstand die Gesellschaft und
nichts anderes ist, so kann sie nur diese Wechselwirkungen, diese Arten und Formen der Vergesellschaftung untersuchen wollen". (1 992: 1 9)
- Die Formen der Vergesel lschaftung stel len demnach ei ne eigene Qual ität der Sozia-
l ität dar, i n die die ' I nhalte' des i ndividuel len Handel ns (gemei nt si nd damit die i ndivi -
duel len Motive) ebenso ei ngehen, wie die I ndividuen sich hier, i n i hren wechselseiti gen Beziehungen, veral lgemei nert und typisisiert erfahren (Si mmel spricht vom
"Fragment", das wi r für uns und andere seien) .
- Dass er die I ntensionen der I ndividuen als "I nhalte" aus der soziologischen For-
schung ausblendet und sich auf das konzentriert, was zwischen den I ndividuen als
Wechselwi rkung soziale Form gewi nnt, begründet Si mmel empi risch.
- So können verschiedene I nhalte i n ei ne Form ei ngehen. Der Streit kann etwa aus
Niedertracht, aus altruistischen Motiven oder aus verletzter Ehre angezettelt werden.
Es blei bt soziologisch aber i mmer die Form des Streits. [siehe schematisch Fol ie 1 ]
- Ebenso kann sich auch ei n I nhalt i n verschiedenen Formen real isieren. Man kann
versuchen sei ne Geltungssucht i n ei ner Liebe, i m Wettbewerb oder i n der Geldwi rtschaft zu befriedigen etc.
- Da die Formen der Vergesel lschaftung die Art der Wechselwi rkung anzeigen, kann
es sogar ei ne ' rei ne' Form der Vergesel lschaftung geben, näml ich die Gesel l igkeit also das Wechselwi rken um der Wechselwi rkung wi l len.
- Si mmel konzi piert die i ndividuel le Betei l igung an der Wechselwi rkung dabei psychologisch, die I ndividuen erfahren zugleich ei n 'Tun' und ' Erleiden' der Formysnthese.
- Soziologisch von I nteresse si nd aber nur die Wechselwi rkungen.
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3) Die Wechselwi rkungen der I ndividuen
- Für Si mmel kommt es nicht auf die motivationale Qual ität der Wechselwi rkungen an
oder ob sie von langer Dauer si nd etc. Das hat Auswi rkungen auf die empi rische
Ausprägungen der Formen (so kann ei ne Liebe eng oder oberflächl ich sei n), nicht jedoch auf das Faktum, dass die soziale Form der Vergesel lschaftung erst durch
Wechselwi rkung und nicht schon aufgrund der Motive zustande kommt.
- Ei ne Soziologie der Vergesel lschaftung hat daher die unterschiedl ichen Formen der
Wechselwi rkungen anhand i hrer spezifischen Perspektiven zu beobachten.
[siehe Fol ie 2]
- Wie aber kann es durch Wechselwi rkung zur Formbi ldung kommen, wenn nicht
durch die I ntensionen der betei l igten I ndividuen?
- Si mmel begründet dies i n sei nem berühmten Exkurs "wie ist Gesel lschaft mögl ich"
i n sei ner "Soziologie" aus ei ner Fähigkeit der I ndividuen zur Wechselwi rkung, die i n
elementare Grunderfahrungen ei nes Bewusstsei ns der Vergesel lschaftung münden.
Mit Bl ick auf Kant bezeichnet er diese als "soziale Aprioris".
- Das mei nt: Die soziale Wechselwi rkung ist schon apriorisch (von vornherei n) i m sozialen Bewusstsei n der I ndividuen verankert.
- Sie erfahren dies als: soziale Veral lgemei nerung, Dialekti k der Vergesel lschaftung und
Ungleichheit der Gesel lschaftselemente.
[siehe Fol ie 3]
- Wei l sich al le i hr 'Tun' und ' Erleiden' i m Horizont dieser sozialen Aprioris entfalten,
si nd sie zur sozialen Wechelwi rkung i n der Lage.
- Für i hr Zustandekommen bedarf Gesel lschaft also kei ner externen I nstanzen, sie
entsteht erst und verändert sich erst i n der sozialen Wechselwi rkung, zu der al le
grundsätzl ich fähig si nd.
- Bei Si mmel begegnet uns somit ei ne Denkfigur, wie wi r sie ähnl ich i n der Sozial phä-
nomenologie antreffen, mehr noch aber i n der sozial psychologischen Deutung sozia-
l er I nteraktionen bei George Herbert Mead. Und es überrascht nicht, dass Si mmel
vor al lem den sozial psychologischen und pragmatischen I nteraktionismus i n den
USA, vermittelt z. B. über Al bi non Smal l und Robert E. Park, stark i nspi riert hat.
4) Zusammenfassung
- [siehe zur schematischen Übersicht über die Form der Wechselwi rkung Fol ie 4]
Literatur
Georg Si mmel , 1 992: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesel lschaf-
tung. Georg Si mmel Gesamtausgabe, Bd. I I , hrsg. v. Otthei n Rammstedt. Frankfurt/M.
Vorlesung: "Soziale I nteraktion"
Die Form der Wechselwi rkung
Fol ie 1
Beziehung von Form und I nhalt der Vergesel lschaftung bei Si mmel
Vergesel lschaftung
Gesellschaft
Individuen
Form
I nhalt(e)
Z. B.
Z. B.
Der Streit
Streitsucht
Gewi nnstreben
Ehrgefühl
Eifersucht
Engagement
Altruismus
Vorlesung: "Soziale I nteraktion"
Die Form der Wechselwi rkung
Fol ie 2
Soziologische Beobachtungsperspektiven der Wechselwi rkung bei
Georg Si mmel
1)
Relation (sozial konstitutiv si nd die Beziehungen der I ndividuen oder
Gruppen)
2)
Zi rkularität (soziale Elemente können sich wechselseitig sti mul ieren)
3)
Dynami k (soziale Ordnungen si nd i n ständigem Wandel begriffen)
4)
Überi ndividual ität (I ndividuen si nd 'soziale Fragmente')
Vorlesung: "Soziale I nteraktion"
Die Form der Wechselwi rkung
Fol ie 3
Die "sozialen Apriori " der Vergesel lschaftung bei Georg Si mmel
1.
Apriori : soziale Verallgemeinerung
(der/die andere wi rd grundsätzl ich veral lgemei nert, als Typ, z. B. als
Gruppenmitgl ied, wahrgenommen) .
2.
Apriori : Dialektik der Vergesellschaftung
(I ndividuen si nd als I ndividuen zugleich Mitgl ieder und Nichtmitgl ieder
der Gesel lschaft) .
3.
Apriori : Ungleichheit der Gesellschaftselemente
(al le I ndividuen si nd ungleich begabt oder orientiert, fi nden aber gera-
de deshal b i hren spezifischen Platz i n der Gesel lschaft) .
Vorlesung: "Soziale I nteraktion"
Die Form der Wechselwi rkung
Fol ie 4
Schematische Übersicht zum Prozess der Vergesel lschaftung
Form der Vergesel lschaftung
I ndividuum A
[
I nhalte der
Wechselwi rkung /
soziale Apriori
Wechselwi rkung /
I nteraktion
I ndividuum B
]
I nhalte der
Wechselwi rkung /
soziale Apriori
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