Einfache Sätze

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Einfache Sätze • 3
Einfache Sätze
Was ist ein Satz?
Ein Satz besteht aus wenigstens zwei Satzgliedern: Subjekt und Prädikat:
Amicae adsunt. (Die Freundinnen sind da.)
Subjekt
Prädikat
Amicae salutant. (Die Freundinnen grüßen.)
Beim zweiten Satz bräuchte das Subjekt nicht wiederholt zu werden: Salutant stellt
einen vollständigen Satz dar, denn aus dem Zusammenhang mit dem vorausgehenden
geht das Subjekt hervor, im Übrigen ist es in der Personalendung -nt als 3. Person
Plural (= sie) enthalten.
Ähnliches gilt beim Imperativ: Ave! (Sei gegrüßt!) In der Endung -e ist die 2. Person
Singular als Subjekt enthalten. Auch I! (Geh!) ist ein vollständiger Satz.
Bei unpersönlichen Verben ist das Subjekt in der 3. Person Singular Neutrum
enthalten: Pluit. (Es regnet.) Hier kann gar kein gesondertes Subjekt (wie im Deutschen mit ‚es‘) auftreten.
Inwieweit ein Satz vollständig ist, richtet sich in erster Linie nach dem Prädikat. Jedes
Verb verlangt, wie wir gesehen haben, wenigstens nach einem Subjekt, doch bei
manchen genügt das nicht, sie verlangen nach mehr:
Cornelia amicas exspectat. (Cornelia erwartet ihre Freundinnen.)
Subjekt
Objekt
Prädikat
Das Verb exspectare verlangt wie das deutsche ‚erwarten‘ nach einer Ergänzung auf
die Frage ‚Wen oder was?‘
Ähnliches gilt für stare (stehen):
Cornelia ante domum stat. (Cornelia steht vor dem Haus.)
Subjekt
Adverbiale
Prädikat
stare verlangt wie das deutsche ‚stehen‘ eine Erweiterung auf die Frage ‚Wo?‘
Diese Eigenheit der Verben, andere Satzglieder an sich zu binden, bezeichnet man als
Valenz (Wertigkeit): adesse (da sein) ist ein einwertiges Verb, das mit dem Subjekt
auskommt, stare oder exspectare sind zweiwertige Verben, die zusätzlich zum
Subjekt noch ein anderes Satzglied benötigen.
Einige Verben sind sogar dreiwertig:
Cornelia amicas in domum ducit. (Cornelia führt die Freundinnen ins Haus.)
Subjekt
Objekt Adverbiale Prädikat
Cornelia amicis domum monstrat. (Cornelia zeigt den Freundinnen das Haus.)
Subjekt
Objekt Objekt Prädikat
ducere verlangt also nach einem Objekt auf die Frage ‚Wen oder was?‘ und einem
Adverbiale auf die Frage ‚Wohin?‘ – monstrare verlangt nach Objekten auf die Frage
‚Wen oder was?‘ und auf die Frage ‚Wem?‘
4 • Latein leicht gelernt
Die Satzbaupläne
Natürlich können zu diesen notwendigen Satzgliedern noch zusätzliche hinzutreten,
insbesondere weitere Adverbiale:
Amicae tandem adsunt. (Die Freundinnen sind endlich da.)
Subjekt Adverbiale Prädikat
Totum diem pluit. (Es regnet den ganzen Tag.)
Adverbiale
Prädikat+Subjekt
Cornelia diu ante domum stat. (Cornelia steht lange vor dem Haus.)
Subjekt Adverbiale+Adverbiale Prädikat
Vor allem aber sind es Attribute (Frage: ‚Was für?‘ ‚Welcher?‘)
Amicae Corneliae veniunt. (Cornelias Freundinnen kommen.)
Tres amicae adsunt. (Drei Freundinnen sind da.)
Cornelia filia ante domum stat. (Tochter Cornelia steht vor dem Haus.)
(Im letzten Beispiel könnte natürlich auch Cornelia Attribut zu filia sein.)
Attribute sind selbst keine Satzglieder, sondern erweitern andere Satzglieder, sind also
nur Satzgliedteile, die für eine Satzstruktur nicht unbedingt erforderlich sind.
Solche Zusätze können auch Prädikativa sein (Frage etwa ‚Als was?‘)
Cornelia laeta ante domum stat. (Cornelia steht fröhlich vor dem Haus.)
Paulam primam salutat. (Paula grüßt sie als Erste.)
laetus und primus bezeichnen hier nicht die Art und Weise des Stehens bzw.
Begrüßens, es sind also keine Adverbiale, sondern zeigen die Verfassung Cornelias
bzw. die Reihenfolge an, gehören also nicht nur zum Verb, sondern auch zu einem
anderen Satzglied, in diesem Fall dem Subjekt bzw. Objekt.
Femina Cornelia flores amat. (Als Frau liebt Cornelia Blumen.)
Hier zeigt sich, dass solche Prädikativa satzwertig sind: ‚als Frau‘ = ‚da sie eine Frau
ist‘. Alters- und Amtsbezeichnungen stehen oft als Prädikativa.
Schematisch stellt sich der lateinische Satzbau also folgendermaßen dar:
1. Ebene
Subjekt
Prädikat
(notwendig)
2. Ebene
Objekt
Cornelia
Cornelia
ducit.
führt
amicam
in domum
die Freundin ins Haus
Adverbiale
(notwendig oder
entbehrlich)
3. Ebene
(entbehrlich)
Attribute
filia
die Tochter
Paulam
Paula
patris
des Vaters
Einfache Sätze • 5
Das Prädikatsnomen
Der letzte Pfeil in unserem Satzschema zeigt vom Attribut auf das Prädikat, auch ein
Prädikat kann also durch ein Attribut erweitert werden. Das trifft natürlich nur auf die
Prädikate zu, die einen nominalen Bestandteil enthalten:
Cornelia discipula bona est. (Cornelia ist eine gute Schülerin.)
Das Attribut bona gehört hier zu discipula (,Was für eine Schülerin?‘), das Prädikat
lautet (ohne Attribut) discipula est.
Das Verb esse wird gelegentlich als Vollverb verwendet mit der Bedeutung ‚sich
befinden‘, ‚leben‘:
Cornelia domi
est. (Cornelia ist zu Hause.)
Subjekt
Adverbiale Prädikat
In der Regel ist esse aber Hilfsverb und kann allein kein Prädikat bilden, sondern
benötigt dazu noch ein Prädikatsnomen: ein Substantiv oder Adjektiv:
Cornelia puella est. (Cornelia ist ein Mädchen.)
Cornelia pulchra est. (Cornelia ist hübsch.)
Hier bilden puella bzw. pulchra zusammen mit est das Prädikat, sind also Prädikatsnomina.
Was für esse gilt, gilt auch für fieri in der Bedeutung ‚werden‘ sowie für manere
(bleiben), exsistere (auftreten) und videri (erscheinen):
Cornelia amica mea manet. (Cornelia bleibt meine Freundin.)
Cornelia beata fit. (Cornelia wird glücklich.)
Ein solches Prädikatsnomen muss mit dem Subjekt kongruent (➥Kongruenz S. 6)
sein, steht also in der Regel im Nominativ.
Bei Infinitivkonstruktionen ändert sich das natürlich, d.h. im A.c.I. (➥S.32) muss das
Prädikatsnomen im Akkusativ stehen:
Te felicem esse spero. (Ich hoffe, dass du erfolgreich bist.)
Das trifft auch auf Verben zu, die ein Objektsprädikativ bei sich haben, z.B.:
Te felicem puto. (Ich halte dich für erfolgreich.)
und andere Verben mit der Bedeutung ‚beurteilen‘, ‚bezeichnen‘, ‚sich zeigen als‘
bzw. ‚machen zu‘ und ‚wählen zu‘. In passivischer Konstruktion steht das Prädikatsnomen natürlich im Nominativ:
Ciceronem consulem creant. ➝ Cicero consul creatur. (Man wählt ...)
Bei licet und zur Bezeichnung des Zwecks (➥S. 21) erscheint es im Dativ:
Tibi contento esse licet. (Du darfst zufrieden sein.)
Discere pueris usui est. (Lernen ist für Kinder von Nutzen.)
Auch im Genitiv und Ablativ erscheint das Prädikatsnomen:
Haec margarita plurimi est. (Diese Perle ist sehr viel wert.) ➥S. 23
Discipulorum est discere. (Lernen ist Aufgabe der Schüler.)
Bono animo este! (Seid guten Mutes!) ➥S. 27
6 • Latein leicht gelernt
Die Kongruenz
Dass nicht jedes Subjekt zu jedem Prädikat passt, versteht sich von selbst. Bei unpersönlichen Verben wie Pluit (Es regnet.) kann die Subjektstelle wegen semantischer
Unverträglichkeit überhaupt nicht gefüllt werden; bei den meisten kommt immerhin
ein Infinitiv in Frage: Intrare licet. (Man darf eintreten.)
Doch auch formale Übereinstimmung muss sein, man nennt das Kongruenz, und
zwar muss sie bestehen in Person, Kasus, Genus und Numerus.
Sie gilt zwischen Subjekt und Prädikat (mit Prädikatsnomen): So ist z.B. bei
Cornelia puellam pulchrum estis. (Cornelia seid eine hübscher Mädchen.)
alles falsch: estis ist 2. Person, zum Subjekt Cornelia passt aber nur die 3., außerdem
liegt mit dem Plural ein Numerusfehler vor; puella muss als Prädikatsnomen zum
Subjekt Cornelia im Nominativ stehen (Kasusfehler), das Attribut pulcher muss zu
puella passen, nicht nur im Kasus, sondern auch im Genus. Der Satz muss also richtig
lauten:
Cornelia puella pulchra est. (Cornelia ist ein hübsches Mädchen.)
Zusammengehöriges muss also auch durch zueinander passende Endungen kenntlich
sein, das gilt ganz besonders
für Subjekt und Prädikat: Bei Puellae placere non dedecet kann puellae nicht
Subjekt sein, da das Prädikat im Singular steht: ‚Einem Mädchen zu gefallen ist
keine Schande.‘
Bei Homines deis comparare aequum non est kann homines ebenso wenig
Subjekt sein: ‚Menschen mit Göttern zu vergleichen ist nicht angemessen.‘
für Adjektive: Zwei Zeilen aus der Beschreibung des goldenen Zeitalters in Ovids
Metamorphosen mögen zeigen, wie wichtig diese Zuordnung besonders in der
Poesie ist, um Zusammengehöriges erfassen und übersetzen zu können:
Nondum caesa suis, peregrinum ut viseret orbem,
(Noch war nicht, gefällt, um den fremden Erdkreis zu sehen,
montibus in liquidas pinus descenderat undas.
von ihren Bergen ins wogende Wasser die Fichte gestiegen.)
Vier Adjektive (unterstrichen, das Partizip caesa zählen wir hier dazu) gehören zu
vier Substantiven (kursiv), doch keines steht bei dem zugehörigen Bezugswort,
peregrinum immerhin in der gleichen Zeile wie orbem, liquidas in der gleichen
wie undas, doch auch diese durch zwei dazwischen eingefügte Wörter voneinander
getrennt, suis weit von montibus entfernt, caesa noch weiter von pinus. Dass wir
das im Deutschen nicht nachahmen können, versteht sich. Glücklicherweise sind in
der Prosa die Sperrungen nicht ganz so ausgefallen wie in der Dichtung.
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