THEMA 8 Bild oben: Die erste Ernte nach dem Seebeben. Bild rechts: Häuser bauen ist wichtig – aber es braucht auch genügend gesundes Essen. Ein Jahr nach dem Tsunami Der Tsunami zerstörte auch in Sri Lanka ganze Dörfer. Das SAH leistete bereits am ersten Tag Nothilfe und engagiert sich seither beim Wiederaufbau. Drei Geschichten aus dem Projekt «Home Gardens». Text und Fotos: Sulochana Peiris Die Flut schwimmend überlebt K.G. Tushara kannte das Meer, fuhr der 26Jährige doch täglich mit seinem Boot hinaus, um mit Fischfang den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Damals, am 26. Dezember 2004, merkte er sofort, dass etwas Seltsames im Gange war. Doch er deutete die Zeichen nicht richtig. Obwohl sich das Meer seltsam zurückgezogen hatte, konnte Tushara der Versuchung nicht widerstehen, ein Bad zu nehmen. Gerade als er ans Ufer zurückschwimmen wollte, kam die Flutwelle. Die säuberlich aufgereihten Fischerboote am Strand vor ihm wurden durch die Luft geschleudert. Die Welle fegte über sein Dorf hinweg und zerstörte es. Und Tushara selbst wurde von der Strömung hinaus aufs offene Meer gezogen. Vor dem Eintreffen der zweiten Welle erreichte er das Ufer. Er rannte zu seinem Haus – suchte nach seiner Frau, seinem Kind und seinem Bruder. Sie waren nicht da. Und auch vom Haus war nichts übrig geblieben. Tushara lief den Hügel neben dem Dorf hinauf, um zu sehen, ob sich seine Familie dorthin hatte retten können. Da waren sie: seine Frau, seine Tochter, sein Bruder. Welche Erleichterung ... Tushara und seine Familie hatten Glück. Sie überlebten. Doch ihre Existenz – das Fischerboot und ihr Haus – waren zerstört. Im Durchgangslager Samudratheera, weiter im Landesinnern, fanden sie Aufnahme. Tushara lernte dort das SAH-Projekt «Home Gardens» kennen. Noch am gleichen Tag meldete er sich zur Mitarbeit in der Gärtnerei. THEMA 10 Bild unten links: K.G. Tushara und seine MitarbeiterInnen haben ihr Hab und Gut verloren. Bild oben rechts: Ein Mitarbeiter des Projekts «Home Gardens» übergibt Setzlinge an eine Familie. Bild unten rechts: Mit Kompost und Kuhdung wird die Erde wieder fruchtbar gemacht. Tushara engagierte sich mit ganzem Herzen. Schon bald wurde er zum Projektleiter. Er und sein Team mit drei Frauen und zwei Männern aus dem Durchgangslager haben ein klares Ziel: «Wir wollen mit der Gärtnerei zum Wiederaufbau unserer zerstörten Dörfer beitragen.» Bald können sie die ersten Setzlinge für Gemüse, Medizinalkräuter und Blumen an Seebebenopfer weitergeben. Damit legen die Familien die für Sri Lanka typischen «Home Gardens» an und können dann so selbst für ihre ausgewogene Ernährung sorgen, vor allem für die Kinder. Bald wird Thushara wieder in seinen angestammten Beruf als Fischer zurückkehren. Doch auch in Zukunft möchte er in der Gärtnerei mithelfen. «Dafür werde ich immer Zeit finden.» Kein Geld für Saatgut Als die Flutwelle über ihr Haus hereinbrach, arbeiteten Hewa Malawige Mala (42 Jahre), ihr Mann und ihre beiden Kinder gerade in ihrem kleinen Laden, weiter im Landesinneren. Das rettete ihr Leben. Haus und Garten wurden vollständig zerstört. Hewa: «Ich lebe noch, doch die Folgen des Tsunamis sind für mich und meine Familie verheerend. Mein Garten hatte uns bislang ernährt. Wir hatten Tomaten, Bohnen, Chilis für den Eigenbedarf. Den Ernteüberschuss verkauften wir in unserem Lebensmittelgeschäft. Nach der Flutwelle war der Garten mit Trümmern und Abfall übersät. Für neues Saatgut fehlte uns das Geld.» «Home Gardens» sichern das Überleben Der Tsunami hat nebst den Häusern auch die Vegetation an der Küste zerstört. Pflanzen wurden ausgerissen, ins Meer gespült, der Humus abgetragen und die Fruchtbarkeit des Bodens durch das Salzwasser beeinträchtigt. Für viele Familien war dies ein harter Schlag. Neben der Fischerei hatten sie sich vor allem von der Ernte aus dem eigenen Garten selbst versorgt. Die eigene Produktion von Gemüse, Früchten und Kräutern trug wesentlich zur ausgewogenen Ernährung bei. Das vom SAH unterstützte Projekt «Home Gardens» hilft deshalb Menschen, ihre Gärten wieder anzulegen. In Gärtnereien im Landesinneren werden Gemüse und Gewürze, aber auch Heilkräuter und Blumen produziert. Wenn Bewohner des Durchgangslagers in ihre neu aufgebauten Häuser zurückkehren, erhalten sie eine Kiste mit verschiedenen Setzlingen und eine Anleitung, wie sie den Boden wieder fruchtbar machen können. THEMA 11 Hewa Malawige Mala und ihr Mann überlebten. Doch der Tsunami zerstörte ihre Lebensgrundlage. Die Hilfe, die Hewa durch das SAH-Projekt «Home Gardens» erhielt, war «ein Geschenk des Himmels». Sie bekam von der SAH-Gärtnerei im Durchgangslager Samudratheera eine Kiste mit Setzlingen: Limonen, grüner Paprika, Spinat, Papaw und vieles mehr. «Ausserdem bekam ich 500 Rupien, um Gerätschaften für die Gartenarbeit zu kaufen. Mit Kuhdung und Kompost machte ich die Erde wieder fruchtbar. Auf Chemikalien verzichte ich, gegen Schädlinge spritze ich einzig Tabakwasser. Das ist gewöhnliches Wasser, in dem Tabak ausgekocht wurde.» Die letzten Monate waren hart. Doch vor kurzem konnte Hewa die ersten Chilis pflücken, und die Ernte des weiteren Gemüses steht kurz bevor. Hewa hat mit ihrem Mann vereinbart, dass sie einen Teil der Ernte kostenlos an Nachbarn und andere Tsunami-Betroffene abgibt. Mit den Fach- leuten der Gärtnerei steht sie noch immer in Kontakt. Sie kommen einmal im Monat vorbei, erkundigen sich nach dem Zustand des Gartens und geben Anbau-Tipps. «Vielleicht kann ich später wieder Gemüse verkaufen und so etwas hinzu verdienen», blickt Hewa hoffungsvoll in die Zukunft. «Aber im Augenblick benötige ich die ganze Ernte für die Familie.» Orlen Weerawickrama Gunawardena: Die 80-jährige Powerfrau Die Flutwelle kam auch für Orlen völlig überraschend. Zusammen mit der Familie ihrer Tochter rannte sie um ihr Leben. Glücklicherweise ist die 80-Jährige gut zu Fuss. Sie konnten sich auf höher gelegenes Gelände in Sicherheit bringen. Seither wohnt Orlen bei ihrer Tochter. Von ihrem eigenen Haus sind nur eingestürzte Wände übrig geblieben. Fast mehr als das zerstörte Haus machte Orlen ihr verwüsteter Garten zu schaffen. Die Humusschicht war abgetragen, die verbliebene Erde durch Meersalz unfruchtbar gemacht, Saatgut hatte sie keines mehr. Umso erfreuter war sie über die Unterstützung durch das «Home Garden»-Projekt. Sie konnte ihren Garten wieder aufbauen. «Es gibt nichts Schöneres, als am Morgen früh seinen Garten zu bewundern», schwärmt Orlen. Ihre Arbeit trägt bereits erste Früchte (siehe Titelbild). Schon kurz nach der Katastrophe hatte sie begonnen, ein kleines Stück Land zu bewirtschaften. Diesen Garten hat sie dann erweitert. Und sie plant, die Anbaufläche nochmals zu vergrössern. So kann sie einen Teil der Ernte auf dem Markt verkaufen.