Tsunamis made in Switzerland

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Umwelt _Tsunami
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Tsunamis made in Switzerland
Vor Schreckszenarios wie meterhohen Tsunami-Wellen wähnte man sich in Europa bisher
in Sicherheit. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen nun, dass wir vor Tsunamis längst
nicht so sicher sind, wie wir glauben. Nicht einmal in der Schweiz.
Stefanie Pfändler Stefanie Pfändler, ZVG
Es ist lange her, und was lange her ist, geht leicht
vergessen: Vor rund 8000 Jahren war Europa gerade
dabei, seine drei Kilometer dicke Eisschicht zu verlieren und sich langsam von der letzten Eiszeit zu
verabschieden. Das schwindende Eis entlastete die
Erdkruste, die sich dadurch immer wieder ruckartig
anhob. So zum Beispiel in Norwegen, wo diese Entlastung ein gewaltiges Beben auslöste, das zwischen
Bergen und Trondheim Erdmassen der Grösse Islands
in die Tiefsee riss. Die Gesteinslawine löste eine ­Serie
monumentaler Wellen aus, die über die Nordsee
­rasten und noch an der Küste Schottlands diverse
Steinzeitlager verwüsteten.
Lange galt das Beben von Storegga als einziges Beispiel eines europäischen Tsunamis. 2006 allerdings
stiess der Geologe Roger Musson auf Chroniken, die
auf ähnliche Ereignisse hindeuteten. Der Brite machte
sich an eine aufwendige Recherche und förderte aus
verschollenen Archiven schliesslich Hinweise auf
zahlreiche Nordsee-Tsunamis zutage. Seine Warnung: «Tiefsee-Beben sind in Europa vielleicht nicht
nur zahlreicher als gedacht, sondern auch viel stärker.» Mussons norwegische Kollegen machten sich
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daraufhin auf die Suche nach weiteren Anzeichen für
Tsunamis. Und sie wurden fündig. Die UntermeerKlippe Norwegens fällt 3800 Meter tief ab – wenn
hier Material abrutscht, ist etwas los in der Nordsee. Solche Rutsche kamen immer wieder vor, doch
die ­vielen Unsicherheitsfaktoren machen es fast unmöglich, solche Ereignisse endgültig nachzuweisen.
Vor zwei Monaten ist ein solches Kunststück endlich ­gelungen, und zwar ausgerechnet einer Gruppe
Genfer Forschern im Binnenland Schweiz. ­Tsunamis
bilden sich nämlich nicht nur auf dem Meer, sondern
ebenso auf Seen und gefährden deren Uferregionen.
In der Schweiz sind gleich mehrere solche Ereignisse
­dokumentiert (siehe Kasten).
Die mysteriöse Welle von Genf
Katrina Kremer und ihre Kollegen von der Universität Genf haben es erstmals geschafft, die Ursache
für einen Tsunami im Genfersee zu identifizieren. Dass
die Stadt Genf vor 1500 Jahren von einer TsunamiWelle überrollt worden war, ist schon länger bekannt.
Der damalige Bischofssitz erfreute sich florierenden
Lebens, als 563 n. Chr. eine riesige Flutwelle entlang
des ganzen Seeufers zahlreiche Todesopfer forderte, Weideland und Viehbestände zerstörte und
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schliesslich auf die Stadt selbst zuraste, über die
Stadtmauer hinweg rollte und in der Innenstadt eine
Brücke und mehrere Mühlen zerstörte sowie weitere
Opfer einforderte. Lange wusste man nicht, woher
die mysteriöse Welle gekommen war, doch nun ­haben
die Genfer Forscher das Rätsel gelöst: An der tiefsten Stelle im Seeboden erzeugten sie künstliche seismische Wellen und produzierten so ein detailliertes
Profil der Bodensedimente. Das Ergebnis waren
­keineswegs typisch horizontale Bodenschichten,
­sondern eine ungeordnete und chaotische Schicht,
die sich linsenförmig auf 50 Quadratkilometern ausbreitete. «Dies deutet darauf hin, dass die Schicht
während eines einmaligen, kurzen Ereignisses abgelagert wurde», erklärt Stéphanie Girardclos, ­G eologin
des Genfer Forschungsteams. Dank ­kleinen Holzpartikeln in den Bohrkernen gelang es den ­Forschern,
die Sedimente zu datieren. Das Ergebnis förderte Erstaunliches zutage: Das Alter der seltsamen Sedimentschicht stimmt perfekt mit dem so ­genannten
Tauredunum-Vorfall überein, der 563 das RhoneDelta arg in Mitleidenschaft zog. Der damalige französische Bischof Genfs, Grégoire de Tours, beschrieb
in Chroniken einen Steinschlag am Ostende des Genfersees, der mehrere Dörfer komplett zerstörte und
viele Todesopfer einforderte. Im Mündungsgebiet der
Rhone stürzten damals Felsen auf einen weichen und
wassergesättigten Untergrund, der sich sofort in den
See hineinschob. Dort destabili­sierte die schwere
Brühe das gesamte Rhone-Delta, das mit seiner
Masse von rund 0,25 Kubikkilo­metern auf den Seeboden abrutschte. Was dann geschah, haben die
Genfer Forscher mittels eines Computermodells
­simuliert: Nach 15 Minuten erreichte eine 13 Meter
hohe Welle die Stadt Lausanne. Nach 70 Minuten
war die Welle, nun noch 8 Meter hoch, in der Stadt
Genf angekommen. Zurück blieben zahlreiche Opfer
und riesige Schäden.
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«»
Nach 70 Minuten war die Welle, nun
noch 8 Meter hoch, in der Stadt Genf angekommen. Zurück blieben zahlreiche ­Opfer
und riesige Schäden.
_01 Muss man es sich so vorstellen?
_02-03 Hat auch schon einen
Tsunami er- und überlebt: Genf.
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_04 Die zeitliche Ausbreitung einer
Tsunami-Welle auf dem Genfersee.
Tsunamis auf Schweizer Seen
1584 Nach einem Erdbeben bei Aigle im Waadtländer Rhonetal forderte ein Fels
sturz 320 Todesopfer. Ein darauffolgender Tsunami überflutete das Ufer des
Genfersees bei Villeneuve, Lausanne und Genf.
1601 Ein Unterwasserbeben der Stärke 6 im Vierwaldstädtersee war in der ganzen
Schweiz zu spüren und forderte angeblich acht Tote. Eine vier Meter hohe Flut
welle überflutete die Stadt Luzern und richtete enormen Schaden an.
1687 Bei Brunnen (SZ) brach das Delta der Muota ein und löste einen fünf Meter
hohen Tsunami aus. Die Flutwelle setzte grosse Teile des Ufers des Vierwald
städtersees unter Wasser.
1806 Ein Bergsturz am Rossberg zerstörte das ganze Dorf Goldau und forderte 457
Tote. Ein Teil der Felsmassen stürzte in den Lauerzersee, es entstand ein 15 Met­er
hoher Tsunami, der zehn Menschen das Leben kostete.
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Wann kommt der nächste Tsunami?
Was bedeuten diese Forschungsergebnisse für
heute? In Norwegen haben sich bereits zahlreiche
Forscher dieser Frage gewidmet. Dort zeigen Computermodelle, dass ein Tsunami, der heute an der
Küste Norwegens ausgelöst würde, durchaus katastrophale Folgen hätte: Norwegen selbst würde
­innert Minuten von einer 14 Meter hohen Welle überrollt, drei Stunden später träfen 20 Meter hohe
­Wellen auf die Shetland Inseln und nochmals zwei
Stunden später würden 14 Meter hohe Wellen die
Färöer Inseln erreichen. An der deutschen Nordseeküste erwarten die Forscher allerdings nur noch leichtes Hochwasser. Und in der Schweiz?
In Genf weist man vor allem darauf hin, dass die
­Topographie vieler Schweizer Seen sehr steile Ufer
aufweist, was grundsätzlich ein hohes Gefahren­
potenzial für Steinschläge birgt. Erdbeben sind eher
schwach und selten, kommen aber ebenso als Ursache für Binnen-Tsunamis in Frage. Eine detaillierte
Risikoanalyse sei wichtig und dürfte in den ­nächsten
Jahren ein klareres Bild der realen Tsunami-Gefahr
in Schweizer Seen liefern, konstatiert Stéphanie
Girardclos. «Abzuschätzen, wie gross die Auswirkungen eines vergleichbaren Tsunamis auf die heutige Stadt Genf wären, ist sicherlich wichtig», gibt
die Geologin zu bedenken. Genf selbst wäre vermutlich besonders stark gefährdet. Nicht nur liegt
die Stadt auf derselben Höhe wie der Genfersee,
dessen Trichterform würde die Wellen noch zusätzlich kanalisieren und geradezu in die Innenstadt
pressen. Eine Einschätzung der konkreten Folgen
bleibe jedoch schwierig, räumen die Forscher ein.
Und die vielleicht wichtigste Frage wird notgedrungen wohl unbeantwortet bleiben: die Frage nach
dem Wann.
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_01 Gefährdet: Faröer Inseln.
_02 Tsunamischäden in Messina, Italien.
_03 Hawaii nach einem Tsunami.
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