Fortbildung · Schwerpunkt Aufnahme: Möglichst in natürlicher Form Vitamine: Lebenswichtig für Stoffwechsel und Energiegewinnung Vitamine sind essentielle Nährstoffe, die keine Energie lie­ fern, aber wichtige Funktionen im Stoffwechsel beim Zell­ aufbau und -umbau und der Energiegewinnung erfüllen. Im menschlichen Organismus spielen 13 Vitamine eine wichtige Rolle, die nach ihrer Löslichkeit in fettlösliche (A, D, E und K) und wasserlösliche (B und C) Vitamine eingeteilt werden. D er Begriff Vitamine wurde vor etwas mehr als hundert Jahren (1912) geprägt und 1 Jahr später wurden die damals bekannten Wirkstoffe nach dem Alphabet benannt und eingereiht. Als eines der letzten der 13 Vitamine wurde Folsäure 1941 entdeckt (1). Tabelle 1 gibt die Wirkung, die Bedarfswerte und die Mangelerscheinungen der einzelnen Vitamine wieder. Erstaunlich ist, dass unser Organismus Transport- und Enzymsysteme besitzt, die die aus dem Umfeld durch die Nahrung aufgenommenen Vitamine im Körper verteilen, umbauen und zu wirksamen Endstufen verarbeiten. Dass dabei angeborene Defekte vorkommen können, die auch bei normaler Aufnahmemenge zu Vitaminmangel und Mangelerscheinungen führen, ist unter dem Begriff Vitamin-abhängige Stoffwechselstörungen oder Vitamin-abhängige Krankheiten bekannt. Im Handel befindliche Vitamin-Endprodukte wie z.B. Rocaltrol (1,25-DHCC) oder Metafolin (5-MTHF) sind dabei eine wichtige Ergänzung für die Behandlung. Bei 2 Vitaminen wurden in den letzten Jahren die empfohlenen Bedarfswerte angepasst, beim Vitamin D nach oben und für Folsäure etwas nach unten. Auf wichtige Details der Folsäure wird später in diesem Beitrag näher eingegangen. Vitamine müssen regelmässig mit der Nahrung in ausreichender Menge zugeführt werden. Einzig für Vitamin D besteht unter dem Einfluss des Sonnenlichts eine Eigensynthese, die aber meist nicht ausreicht. In Tabelle 1 sind für jedes Vitamin nach den D_A_CH–Referenzwerten für Nährstoffe folgende Angaben zusammengestellt: Wirkung, empfohlener oder geschätzter Tagesbedarf, das Hauptvorkommen in der Nahrung, die Mangelerscheinungen und die in der Schweiz zugelassene Tagesdosis, die einem Lebensmittel zur Ergänzung zugesetzt werden darf (2,3). Zu beachten ist, dass einzelne Vitamine sehr sensibel auf äussere Einflüsse wie Hitze, Licht oder Sauerstoff reagieren und deswegen mit Verlusten zu rechnen ist. Deshalb sollte v.a. Obst und Gemüse frisch verwendet und schonend behandelt werden, um einen Verlust möglichst niedrig zu halten. Detaillierte Angaben dazu sind in Tabula, der Zeitschrift der Schweiz. Gesellschaft für Ernährung (SGE) dargestellt (4,5). Bedarf und Versorgung In den D_A_CH- Referenzwerten sind die Bedarfszahlen für jedes Vitamin festgehalten entsprechend den verschiedenen Altersgruppen der Bevölkerung (Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsen, jede mit verschiedenen Altersabschnitten) (2). Aus Gründen Prof. emer. Dr. med. Kurt Baerlocher St. Gallen der Übersichtlichkeit haben wir uns in Tabelle 1 auf die Werte von gesunden Erwachsenen beschränkt. Unter den Referenzwerten wird zwischen „der empfohlenen Zufuhr“, den Schätzwerten und Richtwerten unterschieden. Die „empfohlene Zufuhr“ entspricht den RDA (recommended dietary allowances) und deckt den Bedarf von ca. 98% der Bevölkerung ab. Diese gelten für die Mehrzahl der Vitamine. Bei 5 Vitaminen (Vitamin D, E, K, Biotin und Pantothensäure) handelt es sich um Schätzwerte, da die Werte nicht mit gewünschter Genauigkeit bestimmt werden können. Richtwerte gelten als Orientierungshilfe, wenn eine Regelung der Zufuhr in bestimmten Bereichen notwendig ist (2). Die in der Tabelle wiedergegebenen Werte der Tagesdosen für Erwachsene im LGV (3) sind für die Industrie wichtig, da sie die Zugabe von Vitaminen zu Lebensmitteln gesetzlich begrenzen. Eine deutlich über dem Referenzwert liegende Zufuhr von Vitaminen kann zu unerwünschten toxischen Wirkungen führen. Besonders kritisch sind die fettlöslichen Vitamine, v.a. Vitamin A und D, da sie im Körper angereichert werden und so Vergiftungserscheinungen bewirken können. Für manche Vitamine sind die Toleranzgrenzen, d.h. die obere Grenze (upper limit, UL) bekannt (2). Für spezielle Lebenssituationen wie Schwangerschaft und Stillzeit, beim wachsenden Organismus (Säuglinge und Kleinkind) oder im Alter gelten gewisse Besonderheiten. Über die Versorgung der Schweizerischen Bevölkerung mit Vitaminen bestehen leider keine exakten Angaben mittels detaillierter Ernährungserhebungen und Bestimmungen des Vitaminstatus wie in anderen Ländern. Nur für wenige ausgewählte Gruppen bestehen solche Daten. Im alle 7 Jahre erscheinenden Schweizerischen Ernährungsbericht wird die Versorgungslage der Bevölkerung mittels einer angenäherten Verzehrmenge dargestellt, die anhand des Verbrauchs berechnet wird. Im 6. Ernährungsbericht aus dem Jahr 2012 wird eine Minderversorgung mit Vitamin D und Folsäure betont. Die zu niedrige Vitamin D-Einnahme wird auch durch tiefe Serum 25(OH)D-Werte bestätigt, die bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen und gesunden erwachsenen Blutspendern erhoben wurden (6). Dabei hatten bis zu 12.5% in den ersten Monaten des Jahres (Wintermonate) einen Wert, der einem deutlichen Vitamin D-Mangel entsprach (< 25 nmol/L). Bei allen andern Vitaminen (A, E C und die B-Vitamine) sind die angenäherten Verzehrswerte im Bereich der gewichteten empfohlenen Zufuhr, womit aber ein individueller Mangel je nach Ernährungssituation nicht ausgeschlossen ist. Besondere Aspekte betreffen Vitamin A und B12. _ 2014 _ der informierte arzt 1405 Fortbildung · Schwerpunkt Tab. 1 Name Übersicht über die Vitamine Entde­ chem. Be­ ckung zeichnung Wirkung Tagesbedarf für Erwachsene Vorkommen (gute Lieferanten) Mangelerscheinungen LGV* fettlösliche Vitamine Vitamin A 1909 Vitamin D 1918 Vitamin E 1922 Vitamin K 1929 Retinol, bCarotin wichtig für Wachstum, Immunsystem, Zellentwicklung. Für Haut, Schleimhäute und Sehvorgang Calciferole Calciumhomöostase, (Ergo-, Cho- Phosphatstoffwechsel le-..) Tocopherole Schutz gegen Lipidperoxidati(a-,b-,g-,d-) on (Radikalfänger), Einfluss bei Zellatmung, auf Immunsystem, Membranfluidität Phyllochinon K1, Menadion K2 0.8 (w)–1.0 (m) Leber, Fisch, Milchfet- Nachtblindheit, mg RAE, 2–4 mg te, Gemüse (b-Carotin) Xerophthalmie b-Carotin 6 mg Carotin = 1 RAE** 20 µg bei fehlen- Fischprodukte, (Milch) Rachitis, Osteomalazie der Eigensynthese 0.8 mg 4.8 mg b-Carotin 12–15 mg-Äquiva- pflanzliche Öle lent (Weizenkeim-, Sonnenblumen-, Maiskeim- u. Rapsöl) 12 µg Bildung von Gerinnungsfakto- 60–80 µg ren, Protein S und C, Synthese von Osteocalcin Durch Anhäufung von Radikalen Störungen der Membranfunktion, des Muskelstoffwechsels und des Nervensystems grünes Gemüse, Milch, Gerinnungsstörungen, Eier, Getreide, Leber Osteoporose 5 µg 75 µg wasserlösliche Vitamine Vitamin B1 1912 Thiamin Coenzym bei Reaktionen im Energiestoffwechsel Vitamin B2 1920 Riboflavin Baustein der Coenzyme FAD* 1.2–1.5 mg und FMN*, wichtig im oxidativen Stoffwechsel Niacin (B3, PP) 1936 Pantothensäure (B5) 1931 Vitamin B6 1934 Nicotin­amid Bestandteil des Coenzyms NAD* und NADP*, wichtig bei Redoxreaktionen, Synthese aus Tryptophan Bestandteil von Coenzym A, wichtig bei Abbau von Fetten, KH und Aminosäuren und Synthese von Fettsäuren, Cholesterin u. Steroidderivaten Pyridoxin an vielen Enzymreaktionen im 1.2–1.6 mg (Pyridoxal- EW-Stoffwechsel und Funktiphophat onen des Nervensystems, und Pyrido- der Immunabwehr und der xamin Hb-Synthese beteiligt phosphat Biotin abhäng. Enzyme 30–60 µg (Carboxylasen) wichtig für Gluconeogenese, Abbau von Aminosäuren und Fett säurebiosynthese Biotin (B7) 1931 1–1.3 mg Fleisch, Leber, Fisch, Störungen im KH-Stoffwech- 1.1 mg Vollkorn, Hülsen­früchte sel, Beri-Beri-Krankheit Milch und Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier, grünes Blattgemüse, Vollkornprodukte 13–17 mg-Äquiva- mageres Fleisch, lent (1 mg-Äquiv.= Fisch, Milch, Eier, Hefe 60 mg Tryptophan) 6 mg Leber, Fleisch, Fisch, Milch, Vollkornprodukte Hülsenfrüchte Folat (B9) 1941 Pteroylpolyglutamate (Tetrahydrofolat) Übertragung von Methyl(CH3)-Gruppen, Purin- u. Pyrimidinsynthese, RNA- u. DNA-Synthese u. Methylierung 300 µg-Äquivalent Frauen, die schwanger werden möchten: 4 Wo vor Konzeption und in ersten 12 SS-Wochen zusätzlich 400 µg synthet. Folsäure täglich 3µg Vitamin B12 1926 Cobalamine Adenosyl-, Methylcobalamin Abbau ungeradzahliger und verzweigtkettiger Fettsäuren, Übertragung von Methylgruppen (z.B. im Folatstoffw.) Vitamin C 1912 Ascorbinsäure Radikalfänger und Antioxi­ 100 mg dans, Cofaktor von 8 Enzymen bei der Bildung von Kollagen, Carnitin, Catecholaminen u. im Tyrosinstoffwechsel Wachstumsstörungen, Dermatitis, Glossitis, Rhagaden, Anämie 1.4 mg Pellagra 16 mg Muskelschwäche, Müdigkeit 6 mg Fleisch, Fisch, gewisse Anämie, neurolog. StörunGemüse, Bananen, gen, seborrh. Dermatitis Vollkornprodukte 1.4 mg Leber, Sojabohnen, Eigelb, Nüsse, Linsen, Haferflocken seborrh. Dermatitis, Schwäche, Anorexie, Alopezie 150 µg grünes Gemüse, Tomaten, Hülsenfrüchte, Nüsse, Weizenkeime, Leber und Eier megaloblastäre Anämie Schwangerschaftskomplikationen und Neuralrohr­ defekte, andere Fehlbil­ dungen 200 µg Folsäure Leber, Fleisch, Fisch, Eier, Milch u. Käse megaloblastäre Anämie, fu- 2.5 µg nikuläre Myelose (Störung des Rückenmarks und des Nervensystems). alimentärer Mangel nur nach längerer strikter vegetarischer Kost ohne tierisches Eiweiss Möller-Barlow'sche Krank80 mg heit (Kind), Skorbut (Erw.): Störungen der Knochenbildung u. des Wachstums, Neigung zu Blutungen Obst und Gemüse, bes. Zitrusfrüchte, Sanddorn, Broccoli FAD = Flavin-Adenin-Dinucleotid; NAD = Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid; FMN = Flavinmononucleotid; NADP = Nicotinamid-Adenin-DinukleotidPhosphat; **RAE = Retinol-Äquivalent; *Verordnung Speziallebensmittel: empfohlene Tagesdosis für Lebensmittel-Ergänzung der informierte arzt _ 05 _ 2014 15 Fortbildung · Schwerpunkt Dem Vitamin A zugeordnet sind die β-Carotine, die als Provitamin A gelten und mit einem Umrechnungsfaktor (6 mg β-Carotin = 1 mg Retinoläquivalent (RÄ)) als Vitamin A berechnet werden. Heute werden dem β-Carotin eigene Wirkungen zugeschrieben wie antioxidative und präventive Funktionen im Sinne einer Verminderung des Risikos für bestimmte Krebskrankheiten (Lungen-, Speiseröhrenund Magenkrebs) (2). Die Umwandlung von β-Carotin zu Vitamin A wird je nach Zufuhr von β-Carotin und Vitamin A-Status gesteuert. Wenn ein Bedarf an Vitamin A-besteht wird β-Carotin umgewandelt und wenn nicht, wird es als solches in der Haut gespeichert. Als Referenzwert für die tägliche Zufuhr von β-Carotin werden 2–4 mg angegeben (2), ein spezifischer β-Carotin-Mangel ist nicht bekannt. Beim Vitamin B12 ist die Versorgung bei einer ausgewogenen Ernährung mit 3 µg täglich für alle Personen nahezu gesichert (2). Bei älteren Menschen können infolge einer atrophischen Magenschleimhaut und verminderter Absorption Mangelzustände entstehen. Da Vitamin B12 fast ausschliesslich in Lebensmitteln tierischer Herkunft enthalten ist (Fleisch und Fleischprodukte), besteht für Veganer und in geringerem Masse für ovo-lacto-Vegetarier ein erhöhtes Risiko für Vitamin B12-Mangel (7). Dies kann besonders während einer Schwangerschaft gefährlich werden, weil ein B12-Mangel das Kind in seiner Entwicklung stört, und es schwere Schädigungen davontragen kann. Dies ist leider nicht so selten, wie ein Bericht des Ostschweizerischen Kinderspitals kürzlich gezeigt hat (8). Die beiden zurzeit meist diskutierten Vitamine sind Vitamin D und Folsäure. Bei beiden haben sich die Referenzwerte für die tägliche Zufuhr nach neueren Kenntnissen über Zufuhr und Vitaminstatus geändert, bei Vitamin D nach oben, bei den Folaten nach unten. Für die Prävention eines Vitamin-D-Mangels werden nach den Empfehlungen der Schweizerischen Ernährungskommission für alle bei minimaler Sonnenexposition folgende Zufuhrmengen empfohlen: 1. Lebensjahr 400 IE /Tag; 2.–59. Lebensjahr 600 IE /Tag und >= (über/gleich); 60 Jahre : 800 IE /Tag (9). Details über die Folate/Folsäure werden im entsprechenden Abschnitt dieses Beitrags eingehender beschrieben. Bei manchen Vitaminen werden präventive Wirkungen diskutiert. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden. Präventive Wirkungen von Vitaminen Epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei langfristigen Vergleichen Personen mit einem optimalen Vitaminstatus (im oberen Bereich der Norm) gesundheitliche Vorteile haben gegenüber solchen mit einem Vitaminstatus im unteren Normbereich. Dies betrifft v.a. geringere Risiken für bestimmte chronische Krankheiten. Solche Vorteile einer optimalen Vitaminzufuhr sind bei manchen Vitaminen beschrieben (10). Erwähnt wurde bereits die Risikoverminderung von Vitamin A, besonders β-Carotin für bestimmte Krebskrankheiten. Viele Studien mit erhöhter Vitaminzufuhr versuchten eine kardioprotektive Wirkung zu erreichen, allerdings ohne positive Ergebnisse (11). Es würde zu weit führen, hier alle positiven Ergebnisse solcher Studien aufzuzählen. Vielmehr möchte ich versuchen anhand der Folate/Folsäure die präventiven Aspekte dieses Vitamins aufzuzeigen. Folate und Folsäure Folate sind die natürliche Form des Vitamins, das auch als Vitamin B9 bezeichnet wird. Der Name leitet sich von „folium“ (= Blatt) ab; deshalb auch der hohe Gehalt in Blattgemüsen wie Spinat, Salaten, aber auch in Broccoli, Bohnen und Tomaten. Folate sind empder informierte arzt _ 05 _ 2014 Tab. 2 Präventivwirkungen von Folsäure • Prophylaxe von Fehlbildungen des Feten: Neural1. Folsäure rohrdefekte, angeborene Herzfehler, Lippen-Kieferpräkonzeptionell Gaumenspalte, Fehlbildungen der Harnwege und in der Schwangerschaft • Tumoren: Neuroblastom, primitive neuro-ektodermale Tumoren, frühkindliche Leukämie (ALL) • Verhütung von Schwangerschaftskomplikationen: Abort, Präeklampsie, Frühgeburt, erniedrigtes Geburtsgewicht • Postnatale Auswirkungen beim älteren Kind: vermindertes Risiko für Verhaltensstörungen, emotionale Probleme, Hyperaktivität, Autismus 2. Folsäure beim • Verhütung von Herz- und Gefäss-Krankheiten •A lterskrankheiten, die mit hohem Homocystein Erwachsenen assoziiert sind: Depressionen, senile Demenz, M. Alzheimer, exfoliatives Glaukom • Verbesserung der Samenzahl und -qualität (in Kombination mit anderen Wirkstoffen) findlich gegenüber Hitze, Licht und Sauerstoff und werden nur zu 50–60% resorbiert. Folsäure hingegen ist die synthetische, stabile Form des Vitamins, die nüchtern fast vollständig aufgenommen wird. Wegen dieser unterschiedlichen Merkmale wird für die praktische Zufuhr-Berechnung der Begriff Folat-Äquivalente (FÄ) verwendet: 1 FÄ = 1 µg Nahrungsfolat = 0.5 µg Folsäure = 0.6 µg Folsäure der Nahrung zugesetzt (Anreicherung). Im menschlichen Organismus ist Tetrahydrofolat (THF) die wirksame Folatverbindung (12). Folate ermöglichen die Übertragung von Methyl-(CH3-) gruppen bei verschiedenen Stoffwechselvorgängen und spielen eine Schlüsselrolle bei der Zellteilung und Zellerneuerung. Folatmangel äussert sich v.a. bei Zellsystemen mit hoher Teilungsrate, d.h. Blut- und Schleimhautzellen. Deshalb sind die ersten Zeichen eines Folat-Mangels Blutbildveränderungen (Anämie) und Schleimhautentzündungen. Wie wir gesehen haben ist die Folatversorgung der Bevölkerung knapp (6). Trotzdem wurden die D_A_CH-Referenzwerte für Erwachsene von 400 µg täglich auf 300 µg (Schwangere 550 µg, Stillende 450 µg) gesenkt, weil die heutige Zufuhrmenge von 190–255 µg/Tag in Deutschland und Österreich einen normalen Folatstatus ergeben hat (13). Ähnliche Untersuchungen liegen für die Schweiz nicht vor. Es ist schwierig mit einer gesunden Ernährung den täglichen Folat-Bedarf zu decken, insbesondere wenn dieser erhöht ist wie in Schwangerschaft und Stillzeit oder bei chronischem Alkoholkonsum, Rauchen oder bei Einnahme bestimmter Medikamente (FS-Antagonisten, gewisse Antiepileptika). Die gesundheitlichen Vorteile der Folsäure bei optimaler Zufuhr ergeben sich aus zahlreichen epidemiologischen Untersuchungen, in denen langfristig bestimmte Endpunkte im Vergleich mit der Folateinnahme und dem Folatstatus ausgewertet wurden. Auch Vergleichsstudien von vor und nach der Anreicherung von Mehl mit Folsäure haben viele positive Effekte ergeben (12). In Tabelle 2 sind einzelne dieser präventiven Wirkungen zusammengefasst. Bei der Prophylaxe von Fehlbildungen in der Embryonal- und Fetalphase stehen die Neuralrohrdefekte (NRD) im Vordergrund. Kommt es zwischen dem 18. bis 28. Tag der Entwicklung nicht zum Verschluss des Neuralrohrs, dann bleiben Wirbelbögen (und Schädeldach) ohne Hautüberdeckung offen (spina bifida, Myelomeningocele). Trotz früher postnataler Behandlung – heute auch intrauterin möglich – bleiben die Kinder meist motorisch und sensibel gelähmt. Die Inzidenz des NRD schwankt zwischen 5–6%0 und 0.6–0.8%0. In der Schweiz ist sie etwas unter 1%0 (12). Durch zahlreiche Inter17 Fortbildung · Schwerpunkt Tab. 3 Einige Vitamin-abhängige Störungen Vitamin Krankheitsbild B1 (Thiamin) megaloblastäre Anämie congenital Lactatacidose Ahorn Sirup-Krankheit B6 (Pyridoxin) Epilepsie (B6-abhängige Krämpfe) Homocystinurie Zystathioninurie (Pyridoxalphosphat) Epilepsie (B6-abhängige Krämpfe) B12 (Cobalamin) Methylmalonsäurekrankheit Methylmalonacidämie-Homocystinurie Biotin Propionsäurekrankheit Biotinidase-Mangel, multipler Carboxylasemangel Folat/Folsäure hereditäre Folat-Malabsorption MTHFR (C677T) (Polymorphismus) zerebraler Folsäure-Transport Defekt (FOLR1) Dihydrofolatreduktase- Mangel MTHFR-Mangel D Pseudo-Mangelrachitis Vit.-D resistente Rachitis ventionsstudien mit einer perikonzeptionellen Folsäurezufuhr von mind. 400 µg /Tag zur üblichen Nahrung konnte das Risiko für NRD um 40–100% gesenkt werden. In mehr als 75 Ländern wird heute weltweit das Mehl obligat mit Folsäure angereichert und damit eine durchschnittliche Reduktion der NRD von 47% erreicht. Dabei ist aufgefallen, dass auch andere Fehlbildungen, wie in Tabelle 2 neben NRD erwähnt, um die Hälfte verringert waren (12). In Tierversuchen konnte kürzlich gezeigt werden, dass hohe mütterliche Folsäure-Werte in der Schwangerschaft zu deutlichen Änderungen im Methylierungsmuster und der Genexpression verschiedener Gene in den cerebralen Hemisphären der Feten führten und dass diese Änderungen die allgemeine Entwicklung beeinflussen können (14). Die Folsäure-Substitution bei den Müttern hat auch bewirkt, dass frühkindliche Malignome seltener geworden sind. Solche Resultate ergaben sich auch aus dem Vergleich der Krankheits-Prävalenzen in der Vor- und Nach-Periode der Mehlanreicherung. Verschiedene Studien haben auf einen Zusammenhang von niedrigem Folsäurestatus in der Schwangerschaft mit Aborten, Präeklampsie, abruptio placentae wie auch fetalen Wachstums­ störungen hingewiesen. Solche Placenta-gebundenen Veränderungen fanden sich auch beim Einsatz von Folsäureantagonisten. Eine erhöhte Folsäurezufuhr konnte 60% der Aborte verhindern und das Risiko für Frühgeborene um 16% senken (12). Nach einer holländischen Studie hatten Kleinkinder von Müttern, die im ersten Trimenon keine Folsäure Supplemente einnahmen ein um 44% höheres Risiko für Verhaltens- und emotionale Probleme (15). Und in einer englischen Studie waren niedrige Plasma-Folsäure-Werte in der Frühschwangerschaft bei den Kindern mit einer höheren Rate von Hyperaktivität verbunden (16). In der norwegischen Mutter-KindStudie (109 000 Kinder von 1999–2009 und ihre Mütter) war die periconceptionelle Einnahme von Folsäure mit einem niedrigeren Risiko von autistischen Krankheiten (OR 0.61) assoziiert (17). Der Einfluss von Folsäure zur Prävention von Krebs wird kontrovers diskutiert. Verschiedene Studien haben primär eine inverse, d.h. präventive Assoziation zwischen dem Folatstatus und dem Risiko für kolorektale-, Pankreas-, Brust- oder Prostata-Tumoren gezeigt (12). Dem gegenüber stehen Berichte, die eine erhöhte Krebsrate unter Folsäure angeben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Folsäure als Wachstumsfaktor auch die Proliferation und das Wachstum Vitamindosis / Tag von frühen Krebsstadien fördern kann. In 20 mg einer kürzlichen Meta­analyse konnte kein 1–10 mg /kg Zusammenhang zwischen einer Folsäure 10 mg Supplementation und der Inzidenzzu100 mg iv., 30 mg/kg p.o. 100–1000 mg nahme von Dickdarm-, Prostata-, Lungen50 mg und Brust-Krebs festgestellt werden (18). 30 mg/kg p.o. Neuerdings wird versucht, Folate als Trans1 mg portmittel zu verwenden, um gezielt radio5–10 mg aktive Wirkstoffe in Tumoren zu bringen 5 mg und diese so zu zerstören. Erste Resultate 5–20 mg bei Mäusen sind vielversprechend (19). Folsäure i.m. Epidemiologische Studien haben Folsäure 1mg, Metafolin auch auf den Zusammenhang zwischen Leucovorin, Metafolin Metafolin (5-MTHF) der Folatversorgung und kognitiven Metafolin Beeinträchtigungen im Alter wie AltersRocaltrol demenz, Alzheimer und depressiven StöRocaltrol rungen hingewiesen, und zwar mit bis zu 50% Risikoreduktion. Auch das Risiko für das im Zusammenhang mit erhöhtem Homocystein bekannte exfoliative Glaukom ist reduziert (20). Neuere Arbeiten weisen auch darauf hin, dass der C1-Metabolismus mit der Spermiogenese und der männlichen Infertilität verbunden ist. Eine Unterversorgung mit Folsäure beeinflusst die Spermienzahl und Chromosomenbrüchigkeit. Eine Behandlung mit Folsäure und Zink und anderen Mikronährstoffen (als Profertil in Österreich im Handel) konnte die Spermienzahl und Spermienqualität um 23–83% verbessern in einer sechsmonatigen Beobachtungsphase (12). Die mit der Nahrung aufgenommene Folsäure durchläuft im Organismus zahlreiche Transportvorgänge und enzymatische Reaktionen bis zur aktiven Wirkung in der Zelle. Seltenerweise gibt es dabei angeborene Defekte, die zum Vollbild eines extremen Mangels an Folaten führen. Sie können aber je nach Defekt mit Präparaten wie Folinsäure (Leucovorin) oder Metafolin (5-Methyl-THF) behandelt werden. Bekannt ist die hereditäre Folat-Malabsorption oder der zerebrale Folsäure-Transport-Mangel (FOLR1-Mangel), die beide im frühen Kindesalter zu schweren Krankheitsbildern führen (12). Bekannt ist ein Polymorphismus bei der Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR-C677T), der mit einem erhöhten Folatbedarf einhergeht und zu einer leichten Erhöhung des Homocysteins führt. Bei Frauen kann dieser Polymorphismus auch ein Risikofaktor für NRD sein (12). Diese Beispiele führen zum Thema der Vitamine als Behandlungsmittel bei bestimmten Stoffwechselstörungen. Darüber soll im Folgenden noch kurz Stellung bezogen werden. Vitamine als „medikamentöse“ Behandlungsmittel Vitamine werden im Organismus mittel spezifischer Transporter aufgenommen, verteilt und zu aktiven Endprodukten umgewandelt, die auch durch spezifische Bindungen und Rezeptoren ihre Wirkung entfalten. Dass auf diesem Weg Defekte vorkommen können, ist nicht erstaunlich. Betroffen sind v.a. angeborene Störungen des Stoffwechsels, bei denen Vitamine als Co-Faktoren wirken. Diese Störungen werden auch als Vitamin-responsive oder Vitamin-abhängige Störungen oder Krankheiten bezeichnet. Durch eine pharmakologische Vitamindosis (mehrfach erhöhte physiologische Dosis) kann dabei eventuell eine positive Wirkung erzielt _ 2014 _ der informierte arzt 1805 Fortbildung · Schwerpunkt werden. In Tabelle 3 sind einige solche Defekte zusammengestellt, bei denen Vitamine als Behandlungsmittel eingesetzt wurden und zumindest eine teilweise Besserung gebracht haben (21, 22). Es handelt sich v.a. um die B-Vitamine, aber auch Vitamin D gehört dazu. Diese Krankheiten oder Störungen werden als Vitamin-abhängige Störungen (Vitamin-dependency-Syndrome) bezeichnet. Es sind seltene Störungen, aber in ihrer Gesamtheit doch eine beachtliche Gruppe (einige mehr als in Tabelle 3 erwähnt). Sie führen schon im frühen Säuglingsalter zu schweren Krankheitsbildern mit geistiger und psychomotorischer Behinderung und schwer behandelbaren Epilepsien. Ihre frühe Diagnose und rasche Behandlung sind wichtig, um eine eindrückliche Besserung zu erreichen. Ihre Pathogenese ist bei manchen geklärt und die Diagnose kann auch molekulargenetisch bestätigt werden. Prof. emer. Dr. med. Kurt Baerlocher ehem. Chefarzt Ostschweizer Kinderspital Tanneichenstrasse 10, 9010 St. Gallen [email protected] B Interessenkonflikt: Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit seinen beiden Beiträgen deklariert. B Literatur Take-Home Message ◆Vitamine sind essentielle Mikronährstoffe, die für Stoffwechsel und Energiegewinnung des Organismus lebenswichtig sind. Eine Unterversorgung führt zu Mangelerscheinungen. In bestimmten Situation kann der Bedarf für einzelne Vitamine erhöht sein, physiologischer Weise im Wachstum, während der Schwangerschaft und Stillzeit, aber auch bei Rauchen, Alkoholkonsum und bei Einnahme bestimmter Medikamente ◆Ein optimaler Vitaminstatus kann gesundheitliche Vorteile bringen, wie zahlreiche epidemiologische Studien gezeigt haben. Auch Anreicherungen von Grundnahrungsmitteln (in > 75 Ländern praktiziert) z.B. durch Anreicherung des Mehls, haben gesundheitliche Verbesserungen gebracht, als bestes Beispiel die Folsäure zu Verhütung von NRD. ◆Diese Resultate haben die Industrie stimuliert, Lebensmittel mit einzelnen Vitaminen oder andern Mikronährstoffen anzureichern (functional food) und die Einnahme von Supplementen vermehrt zu propagieren. Dies birgt allerdings die Gefahr einer Überdosierung, was besonders bei den fettlöslichen Vitaminen zu Intoxikationen führen kann ◆Vitamin D und Folate/Folsäure sind die beiden einzigen Vitamine, bei denen aufgrund des jährlichen Verbrauchs in der Schweiz sich eine generelle Unterversorgung berechnen liess ◆Vitamine sollten möglichst in ihrer natürlichen Form eingenommen werden und nur gezielt und kontrolliert mit der Nahrung oder durch Supplemente ergänzt werden am Online-Beitrag unter: www.medinfo-verlag.ch Literatur 1.Wälti M.K., Jacob S. Angereicherte Lebensmittel in der Schweiz. Fünfter Schweizerischer Ernährungsbericht, Eds. Eichholzer M, Camenzind-Frey E, Matzke A, Amado R, Ballmer PE et al. Bern: Bundesamt für Gesundheit 2005 13.Krawinkel MB, Strom D, Weissenborn A. et al. Revise D-A-CH intake recommenda-tions for folate: how much is needed ? European Journal of Clinical nutrition 2-April 2014 ; doi :10.1038/ejcn.2014.45 2. D_A_CH : Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 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