Vitamine: Lebenswichtig für Stoffwechsel und

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Fortbildung · Schwerpunkt
Aufnahme: Möglichst in natürlicher Form
Vitamine: Lebenswichtig für Stoffwechsel
und Energiegewinnung
Vitamine sind essentielle Nährstoffe, die keine Energie lie­
fern, aber wichtige Funktionen im Stoffwechsel beim Zell­
aufbau und -umbau und der Energiegewinnung erfüllen. Im
menschlichen Organismus spielen 13 Vitamine eine wichtige
Rolle, die nach ihrer Löslichkeit in fettlösliche (A, D, E und K)
und wasserlösliche (B und C) Vitamine eingeteilt werden.
D
er Begriff Vitamine wurde vor etwas mehr als hundert Jahren
(1912) geprägt und 1 Jahr später wurden die damals bekannten Wirkstoffe nach dem Alphabet benannt und eingereiht. Als
eines der letzten der 13 Vitamine wurde Folsäure 1941 entdeckt
(1). Tabelle 1 gibt die Wirkung, die Bedarfswerte und die Mangelerscheinungen der einzelnen Vitamine wieder. Erstaunlich ist, dass
unser Organismus Transport- und Enzymsysteme besitzt, die die
aus dem Umfeld durch die Nahrung aufgenommenen Vitamine
im Körper verteilen, umbauen und zu wirksamen Endstufen verarbeiten. Dass dabei angeborene Defekte vorkommen können, die
auch bei normaler Aufnahmemenge zu Vitaminmangel und Mangelerscheinungen führen, ist unter dem Begriff Vitamin-abhängige Stoffwechselstörungen oder Vitamin-abhängige Krankheiten
bekannt. Im Handel befindliche Vitamin-Endprodukte wie z.B.
Rocaltrol (1,25-DHCC) oder Metafolin (5-MTHF) sind dabei eine
wichtige Ergänzung für die Behandlung.
Bei 2 Vitaminen wurden in den letzten Jahren die empfohlenen Bedarfswerte angepasst, beim Vitamin D nach oben und
für Folsäure etwas nach unten. Auf wichtige Details der Folsäure
wird später in diesem Beitrag näher eingegangen. Vitamine müssen regelmässig mit der Nahrung in ausreichender Menge zugeführt werden. Einzig für Vitamin D besteht unter dem Einfluss des
Sonnenlichts eine Eigensynthese, die aber meist nicht ausreicht. In
Tabelle 1 sind für jedes Vitamin nach den D_A_CH–Referenzwerten für Nährstoffe folgende Angaben zusammengestellt: Wirkung,
empfohlener oder geschätzter Tagesbedarf, das Hauptvorkommen
in der Nahrung, die Mangelerscheinungen und die in der Schweiz
zugelassene Tagesdosis, die einem Lebensmittel zur Ergänzung
zugesetzt werden darf (2,3).
Zu beachten ist, dass einzelne Vitamine sehr sensibel auf äussere Einflüsse wie Hitze, Licht oder Sauerstoff reagieren und deswegen mit Verlusten zu rechnen ist. Deshalb sollte v.a. Obst und
Gemüse frisch verwendet und schonend behandelt werden, um
einen Verlust möglichst niedrig zu halten. Detaillierte Angaben
dazu sind in Tabula, der Zeitschrift der Schweiz. Gesellschaft für
Ernährung (SGE) dargestellt (4,5).
Bedarf und Versorgung
In den D_A_CH- Referenzwerten sind die Bedarfszahlen für jedes
Vitamin festgehalten entsprechend den verschiedenen Altersgruppen der Bevölkerung (Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsen, jede mit verschiedenen Altersabschnitten) (2). Aus Gründen
Prof. emer. Dr. med.
Kurt Baerlocher
St. Gallen
der Übersichtlichkeit haben wir uns in Tabelle 1 auf die Werte von
gesunden Erwachsenen beschränkt. Unter den Referenzwerten
wird zwischen „der empfohlenen Zufuhr“, den Schätzwerten und
Richtwerten unterschieden. Die „empfohlene Zufuhr“ entspricht
den RDA (recommended dietary allowances) und deckt den Bedarf
von ca. 98% der Bevölkerung ab. Diese gelten für die Mehrzahl der
Vitamine. Bei 5 Vitaminen (Vitamin D, E, K, Biotin und Pantothensäure) handelt es sich um Schätzwerte, da die Werte nicht mit
gewünschter Genauigkeit bestimmt werden können. Richtwerte
gelten als Orientierungshilfe, wenn eine Regelung der Zufuhr in
bestimmten Bereichen notwendig ist (2). Die in der Tabelle wiedergegebenen Werte der Tagesdosen für Erwachsene im LGV (3)
sind für die Industrie wichtig, da sie die Zugabe von Vitaminen zu
Lebensmitteln gesetzlich begrenzen.
Eine deutlich über dem Referenzwert liegende Zufuhr von Vitaminen kann zu unerwünschten toxischen Wirkungen führen.
Besonders kritisch sind die fettlöslichen Vitamine, v.a. Vitamin A
und D, da sie im Körper angereichert werden und so Vergiftungserscheinungen bewirken können. Für manche Vitamine sind die
Toleranzgrenzen, d.h. die obere Grenze (upper limit, UL) bekannt
(2). Für spezielle Lebenssituationen wie Schwangerschaft und Stillzeit, beim wachsenden Organismus (Säuglinge und Kleinkind)
oder im Alter gelten gewisse Besonderheiten.
Über die Versorgung der Schweizerischen Bevölkerung mit Vitaminen bestehen leider keine exakten Angaben mittels detaillierter
Ernährungserhebungen und Bestimmungen des Vitaminstatus wie
in anderen Ländern. Nur für wenige ausgewählte Gruppen bestehen solche Daten. Im alle 7 Jahre erscheinenden Schweizerischen
Ernährungsbericht wird die Versorgungslage der Bevölkerung mittels einer angenäherten Verzehrmenge dargestellt, die anhand des
Verbrauchs berechnet wird. Im 6. Ernährungsbericht aus dem Jahr
2012 wird eine Minderversorgung mit Vitamin D und Folsäure
betont. Die zu niedrige Vitamin D-Einnahme wird auch durch tiefe
Serum 25(OH)D-Werte bestätigt, die bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen und gesunden erwachsenen Blutspendern erhoben
wurden (6). Dabei hatten bis zu 12.5% in den ersten Monaten des
Jahres (Wintermonate) einen Wert, der einem deutlichen Vitamin
D-Mangel entsprach (< 25 nmol/L). Bei allen andern Vitaminen
(A, E C und die B-Vitamine) sind die angenäherten Verzehrswerte
im Bereich der gewichteten empfohlenen Zufuhr, womit aber ein
individueller Mangel je nach Ernährungssituation nicht ausgeschlossen ist. Besondere Aspekte betreffen Vitamin A und B12.
_ 2014 _ der informierte arzt
1405 Fortbildung · Schwerpunkt
Tab. 1
Name
Übersicht über die Vitamine
Entde­ chem. Be­
ckung zeichnung
Wirkung
Tagesbedarf für
Erwachsene
Vorkommen
(gute Lieferanten)
Mangelerscheinungen
LGV*
fettlösliche Vitamine
Vitamin A
1909
Vitamin D
1918
Vitamin E
1922
Vitamin K
1929
Retinol, bCarotin
wichtig für Wachstum, Immunsystem, Zellentwicklung.
Für Haut, Schleimhäute und
Sehvorgang
Calciferole Calciumhomöostase,
(Ergo-, Cho- Phosphatstoffwechsel
le-..)
Tocopherole Schutz gegen Lipidperoxidati(a-,b-,g-,d-) on (Radikalfänger), Einfluss
bei Zellatmung, auf Immunsystem, Membranfluidität
Phyllochinon K1,
Menadion
K2
0.8 (w)–1.0 (m)
Leber, Fisch, Milchfet- Nachtblindheit,
mg RAE, 2–4 mg te, Gemüse (b-Carotin) Xerophthalmie
b-Carotin 6 mg
Carotin = 1 RAE**
20 µg bei fehlen- Fischprodukte, (Milch) Rachitis, Osteomalazie
der Eigensynthese
0.8 mg
4.8 mg
b-Carotin
12–15 mg-Äquiva- pflanzliche Öle
lent
(Weizenkeim-, Sonnenblumen-, Maiskeim- u.
Rapsöl)
12 µg
Bildung von Gerinnungsfakto- 60–80 µg
ren, Protein S und C, Synthese von Osteocalcin
Durch Anhäufung von
Radikalen Störungen der
Membranfunktion, des
Muskelstoffwechsels und
des Nervensystems
grünes Gemüse, Milch, Gerinnungsstörungen,
Eier, Getreide, Leber
Osteoporose
5 µg
75 µg
wasserlösliche Vitamine
Vitamin
B1
1912
Thiamin
Coenzym bei Reaktionen im
Energiestoffwechsel
Vitamin
B2
1920
Riboflavin
Baustein der Coenzyme FAD* 1.2–1.5 mg
und FMN*, wichtig im oxidativen Stoffwechsel
Niacin
(B3, PP)
1936
Pantothensäure
(B5)
1931
Vitamin
B6
1934
Nicotin­amid Bestandteil des Coenzyms
NAD* und NADP*, wichtig
bei Redoxreaktionen,
Synthese aus Tryptophan
Bestandteil von Coenzym A,
wichtig bei Abbau von Fetten,
KH und Aminosäuren und
Synthese von Fettsäuren,
Cholesterin u. Steroidderivaten
Pyridoxin
an vielen Enzymreaktionen im 1.2–1.6 mg
(Pyridoxal- EW-Stoffwechsel und Funktiphophat
onen des Nervensystems,
und Pyrido- der Immunabwehr und der
xamin
Hb-Synthese beteiligt
phosphat
Biotin abhäng. Enzyme
30–60 µg
(Carboxylasen) wichtig für
Gluconeogenese, Abbau von
Aminosäuren und Fett säurebiosynthese
Biotin (B7) 1931
1–1.3 mg
Fleisch, Leber, Fisch,
Störungen im KH-Stoffwech- 1.1 mg
Vollkorn, Hülsen­früchte sel, Beri-Beri-Krankheit
Milch und Milchprodukte, Fleisch, Fisch,
Eier, grünes Blattgemüse, Vollkornprodukte
13–17 mg-Äquiva- mageres Fleisch,
lent (1 mg-Äquiv.= Fisch, Milch, Eier, Hefe
60 mg Tryptophan)
6 mg
Leber, Fleisch, Fisch,
Milch, Vollkornprodukte Hülsenfrüchte
Folat (B9)
1941
Pteroylpolyglutamate
(Tetrahydrofolat)
Übertragung von Methyl(CH3)-Gruppen, Purin- u.
Pyrimidinsynthese, RNA- u.
DNA-Synthese u. Methylierung
300 µg-Äquivalent
Frauen, die
schwanger werden
möchten: 4 Wo
vor Konzeption
und in ersten 12
SS-Wochen zusätzlich 400 µg
synthet. Folsäure
täglich
3µg
Vitamin
B12
1926
Cobalamine
Adenosyl-,
Methylcobalamin
Abbau ungeradzahliger und
verzweigtkettiger Fettsäuren,
Übertragung von Methylgruppen (z.B. im Folatstoffw.)
Vitamin C
1912
Ascorbinsäure
Radikalfänger und Antioxi­
100 mg
dans, Cofaktor von 8 Enzymen
bei der Bildung von Kollagen,
Carnitin, Catecholaminen u.
im Tyrosinstoffwechsel
Wachstumsstörungen,
Dermatitis, Glossitis,
Rhagaden, Anämie
1.4 mg
Pellagra
16 mg
Muskelschwäche, Müdigkeit 6 mg
Fleisch, Fisch, gewisse Anämie, neurolog. StörunGemüse, Bananen,
gen, seborrh. Dermatitis
Vollkornprodukte
1.4 mg
Leber, Sojabohnen,
Eigelb, Nüsse, Linsen,
Haferflocken
seborrh. Dermatitis,
Schwäche, Anorexie,
Alopezie
150 µg
grünes Gemüse, Tomaten, Hülsenfrüchte,
Nüsse, Weizenkeime,
Leber und Eier
megaloblastäre Anämie
Schwangerschaftskomplikationen und Neuralrohr­
defekte, andere Fehlbil­
dungen
200 µg
Folsäure
Leber, Fleisch, Fisch,
Eier, Milch u. Käse
megaloblastäre Anämie, fu- 2.5 µg
nikuläre Myelose (Störung
des Rückenmarks und des
Nervensystems). alimentärer
Mangel nur nach längerer
strikter vegetarischer Kost
ohne tierisches Eiweiss
Möller-Barlow'sche Krank80 mg
heit (Kind), Skorbut (Erw.):
Störungen der Knochenbildung u. des Wachstums,
Neigung zu Blutungen
Obst und Gemüse,
bes. Zitrusfrüchte,
Sanddorn, Broccoli
FAD = Flavin-Adenin-Dinucleotid; NAD = Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid; FMN = Flavinmononucleotid; NADP = Nicotinamid-Adenin-DinukleotidPhosphat; **RAE = Retinol-Äquivalent; *Verordnung Speziallebensmittel: empfohlene Tagesdosis für Lebensmittel-Ergänzung
der informierte arzt _ 05 _ 2014
15
Fortbildung · Schwerpunkt
Dem Vitamin A zugeordnet sind die β-Carotine, die als Provitamin
A gelten und mit einem Umrechnungsfaktor (6 mg β-Carotin = 1 mg
Retinoläquivalent (RÄ)) als Vitamin A berechnet werden. Heute werden dem β-Carotin eigene Wirkungen zugeschrieben wie antioxidative und präventive Funktionen im Sinne einer Verminderung des
Risikos für bestimmte Krebskrankheiten (Lungen-, Speiseröhrenund Magenkrebs) (2). Die Umwandlung von β-Carotin zu Vitamin A
wird je nach Zufuhr von β-Carotin und Vitamin A-Status gesteuert.
Wenn ein Bedarf an Vitamin A-besteht wird β-Carotin umgewandelt und wenn nicht, wird es als solches in der Haut gespeichert. Als
Referenzwert für die tägliche Zufuhr von β-Carotin werden 2–4 mg
angegeben (2), ein spezifischer β-Carotin-Mangel ist nicht bekannt.
Beim Vitamin B12 ist die Versorgung bei einer ausgewogenen
Ernährung mit 3 µg täglich für alle Personen nahezu gesichert (2). Bei
älteren Menschen können infolge einer atrophischen Magenschleimhaut und verminderter Absorption Mangelzustände entstehen. Da
Vitamin B12 fast ausschliesslich in Lebensmitteln tierischer Herkunft enthalten ist (Fleisch und Fleischprodukte), besteht für Veganer und in geringerem Masse für ovo-lacto-Vegetarier ein erhöhtes
Risiko für Vitamin B12-Mangel (7). Dies kann besonders während
einer Schwangerschaft gefährlich werden, weil ein B12-Mangel das
Kind in seiner Entwicklung stört, und es schwere Schädigungen
davontragen kann. Dies ist leider nicht so selten, wie ein Bericht des
Ostschweizerischen Kinderspitals kürzlich gezeigt hat (8).
Die beiden zurzeit meist diskutierten Vitamine sind Vitamin D
und Folsäure. Bei beiden haben sich die Referenzwerte für die tägliche Zufuhr nach neueren Kenntnissen über Zufuhr und Vitaminstatus
geändert, bei Vitamin D nach oben, bei den Folaten nach unten. Für die
Prävention eines Vitamin-D-Mangels werden nach den Empfehlungen
der Schweizerischen Ernährungskommission für alle bei minimaler
Sonnenexposition folgende Zufuhrmengen empfohlen: 1. Lebensjahr
400 IE /Tag; 2.–59. Lebensjahr 600 IE /Tag und >= (über/gleich); 60
Jahre : 800 IE /Tag (9). Details über die Folate/Folsäure werden im entsprechenden Abschnitt dieses Beitrags eingehender beschrieben. Bei
manchen Vitaminen werden präventive Wirkungen diskutiert. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden.
Präventive Wirkungen von Vitaminen
Epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei langfristigen Vergleichen Personen mit einem optimalen Vitaminstatus (im oberen Bereich der Norm) gesundheitliche Vorteile haben
gegenüber solchen mit einem Vitaminstatus im unteren Normbereich. Dies betrifft v.a. geringere Risiken für bestimmte chronische
Krankheiten. Solche Vorteile einer optimalen Vitaminzufuhr sind
bei manchen Vitaminen beschrieben (10). Erwähnt wurde bereits
die Risikoverminderung von Vitamin A, besonders β-Carotin für
bestimmte Krebskrankheiten. Viele Studien mit erhöhter Vitaminzufuhr versuchten eine kardioprotektive Wirkung zu erreichen,
allerdings ohne positive Ergebnisse (11). Es würde zu weit führen,
hier alle positiven Ergebnisse solcher Studien aufzuzählen. Vielmehr möchte ich versuchen anhand der Folate/Folsäure die präventiven Aspekte dieses Vitamins aufzuzeigen.
Folate und Folsäure
Folate sind die natürliche Form des Vitamins, das auch als Vitamin B9 bezeichnet wird. Der Name leitet sich von „folium“ (= Blatt)
ab; deshalb auch der hohe Gehalt in Blattgemüsen wie Spinat, Salaten, aber auch in Broccoli, Bohnen und Tomaten. Folate sind empder informierte arzt _ 05 _ 2014
Tab. 2
Präventivwirkungen von Folsäure
• Prophylaxe von Fehlbildungen des Feten: Neural1. Folsäure
rohrdefekte, angeborene Herzfehler, Lippen-Kieferpräkonzeptionell
Gaumenspalte, Fehlbildungen der Harnwege
und in der
Schwangerschaft • Tumoren: Neuroblastom, primitive neuro-ektodermale Tumoren, frühkindliche Leukämie (ALL)
• Verhütung von Schwangerschaftskomplikationen:
Abort, Präeklampsie, Frühgeburt, erniedrigtes
Geburtsgewicht
• Postnatale Auswirkungen beim älteren Kind:
vermindertes Risiko für Verhaltensstörungen,
emotionale Probleme, Hyperaktivität, Autismus
2. Folsäure beim • Verhütung von Herz- und Gefäss-Krankheiten
•A
lterskrankheiten, die mit hohem Homocystein
Erwachsenen
assoziiert sind: Depressionen, senile Demenz,
M. Alzheimer, exfoliatives Glaukom
• Verbesserung der Samenzahl und -qualität
(in Kombination mit anderen Wirkstoffen)
findlich gegenüber Hitze, Licht und Sauerstoff und werden nur
zu 50–60% resorbiert. Folsäure hingegen ist die synthetische, stabile Form des Vitamins, die nüchtern fast vollständig aufgenommen wird. Wegen dieser unterschiedlichen Merkmale wird für die
praktische Zufuhr-Berechnung der Begriff Folat-Äquivalente (FÄ)
verwendet: 1 FÄ = 1 µg Nahrungsfolat = 0.5 µg Folsäure = 0.6 µg
Folsäure der Nahrung zugesetzt (Anreicherung). Im menschlichen
Organismus ist Tetrahydrofolat (THF) die wirksame Folatverbindung (12). Folate ermöglichen die Übertragung von Methyl-(CH3-)
gruppen bei verschiedenen Stoffwechselvorgängen und spielen eine
Schlüsselrolle bei der Zellteilung und Zellerneuerung. Folatmangel äussert sich v.a. bei Zellsystemen mit hoher Teilungsrate, d.h.
Blut- und Schleimhautzellen. Deshalb sind die ersten Zeichen eines
Folat-Mangels Blutbildveränderungen (Anämie) und Schleimhautentzündungen. Wie wir gesehen haben ist die Folatversorgung der
Bevölkerung knapp (6). Trotzdem wurden die D_A_CH-Referenzwerte für Erwachsene von 400 µg täglich auf 300 µg (Schwangere
550 µg, Stillende 450 µg) gesenkt, weil die heutige Zufuhrmenge von
190–255 µg/Tag in Deutschland und Österreich einen normalen
Folatstatus ergeben hat (13). Ähnliche Untersuchungen liegen für
die Schweiz nicht vor. Es ist schwierig mit einer gesunden Ernährung den täglichen Folat-Bedarf zu decken, insbesondere wenn
dieser erhöht ist wie in Schwangerschaft und Stillzeit oder bei chronischem Alkoholkonsum, Rauchen oder bei Einnahme bestimmter
Medikamente (FS-Antagonisten, gewisse Antiepileptika).
Die gesundheitlichen Vorteile der Folsäure bei optimaler Zufuhr
ergeben sich aus zahlreichen epidemiologischen Untersuchungen,
in denen langfristig bestimmte Endpunkte im Vergleich mit der
Folateinnahme und dem Folatstatus ausgewertet wurden. Auch Vergleichsstudien von vor und nach der Anreicherung von Mehl mit
Folsäure haben viele positive Effekte ergeben (12). In Tabelle 2 sind
einzelne dieser präventiven Wirkungen zusammengefasst. Bei der
Prophylaxe von Fehlbildungen in der Embryonal- und Fetalphase
stehen die Neuralrohrdefekte (NRD) im Vordergrund. Kommt es
zwischen dem 18. bis 28. Tag der Entwicklung nicht zum Verschluss
des Neuralrohrs, dann bleiben Wirbelbögen (und Schädeldach)
ohne Hautüberdeckung offen (spina bifida, Myelomeningocele).
Trotz früher postnataler Behandlung – heute auch intrauterin möglich – bleiben die Kinder meist motorisch und sensibel gelähmt.
Die Inzidenz des NRD schwankt zwischen 5–6%0 und 0.6–0.8%0.
In der Schweiz ist sie etwas unter 1%0 (12). Durch zahlreiche Inter17
Fortbildung · Schwerpunkt
Tab. 3
Einige Vitamin-abhängige Störungen
Vitamin
Krankheitsbild
B1 (Thiamin)
megaloblastäre Anämie
congenital Lactatacidose
Ahorn Sirup-Krankheit
B6 (Pyridoxin)
Epilepsie (B6-abhängige Krämpfe)
Homocystinurie
Zystathioninurie
(Pyridoxalphosphat) Epilepsie (B6-abhängige Krämpfe)
B12 (Cobalamin)
Methylmalonsäurekrankheit
Methylmalonacidämie-Homocystinurie
Biotin
Propionsäurekrankheit
Biotinidase-Mangel, multipler Carboxylasemangel
Folat/Folsäure
hereditäre Folat-Malabsorption
MTHFR (C677T) (Polymorphismus)
zerebraler Folsäure-Transport Defekt (FOLR1)
Dihydrofolatreduktase- Mangel
MTHFR-Mangel
D
Pseudo-Mangelrachitis
Vit.-D resistente Rachitis
ventionsstudien mit einer perikonzeptionellen Folsäurezufuhr von
mind. 400 µg /Tag zur üblichen Nahrung konnte das Risiko für NRD
um 40–100% gesenkt werden. In mehr als 75 Ländern wird heute
weltweit das Mehl obligat mit Folsäure angereichert und damit eine
durchschnittliche Reduktion der NRD von 47% erreicht. Dabei ist
aufgefallen, dass auch andere Fehlbildungen, wie in Tabelle 2 neben
NRD erwähnt, um die Hälfte verringert waren (12). In Tierversuchen konnte kürzlich gezeigt werden, dass hohe mütterliche Folsäure-Werte in der Schwangerschaft zu deutlichen Änderungen im
Methylierungsmuster und der Genexpression verschiedener Gene
in den cerebralen Hemisphären der Feten führten und dass diese
Änderungen die allgemeine Entwicklung beeinflussen können (14).
Die Folsäure-Substitution bei den Müttern hat auch bewirkt, dass
frühkindliche Malignome seltener geworden sind. Solche Resultate
ergaben sich auch aus dem Vergleich der Krankheits-Prävalenzen in
der Vor- und Nach-Periode der Mehlanreicherung.
Verschiedene Studien haben auf einen Zusammenhang von
niedrigem Folsäurestatus in der Schwangerschaft mit Aborten,
Präeklampsie, abruptio placentae wie auch fetalen Wachstums­
störungen hingewiesen. Solche Placenta-gebundenen Veränderungen fanden sich auch beim Einsatz von Folsäureantagonisten. Eine
erhöhte Folsäurezufuhr konnte 60% der Aborte verhindern und das
Risiko für Frühgeborene um 16% senken (12). Nach einer holländischen Studie hatten Kleinkinder von Müttern, die im ersten Trimenon keine Folsäure Supplemente einnahmen ein um 44% höheres
Risiko für Verhaltens- und emotionale Probleme (15). Und in einer
englischen Studie waren niedrige Plasma-Folsäure-Werte in der
Frühschwangerschaft bei den Kindern mit einer höheren Rate von
Hyperaktivität verbunden (16). In der norwegischen Mutter-KindStudie (109 000 Kinder von 1999–2009 und ihre Mütter) war die
periconceptionelle Einnahme von Folsäure mit einem niedrigeren
Risiko von autistischen Krankheiten (OR 0.61) assoziiert (17).
Der Einfluss von Folsäure zur Prävention von Krebs wird kontrovers diskutiert. Verschiedene Studien haben primär eine inverse, d.h.
präventive Assoziation zwischen dem Folatstatus und dem Risiko für
kolorektale-, Pankreas-, Brust- oder Prostata-Tumoren gezeigt (12).
Dem gegenüber stehen Berichte, die eine erhöhte Krebsrate unter
Folsäure angeben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Folsäure als Wachstumsfaktor
auch die Proliferation und das Wachstum
Vitamindosis / Tag
von frühen Krebsstadien fördern kann. In
20 mg
einer kürzlichen Meta­analyse konnte kein
1–10 mg /kg
Zusammenhang zwischen einer Folsäure
10 mg
Supplementation und der Inzidenzzu100 mg iv., 30 mg/kg p.o.
100–1000 mg
nahme von Dickdarm-, Prostata-, Lungen50 mg
und Brust-Krebs festgestellt werden (18).
30 mg/kg p.o.
Neuerdings wird versucht, Folate als Trans1 mg
portmittel zu verwenden, um gezielt radio5–10 mg
aktive Wirkstoffe in Tumoren zu bringen
5 mg
und diese so zu zerstören. Erste Resultate
5–20 mg
bei Mäusen sind vielversprechend (19).
Folsäure i.m.
Epidemiologische Studien haben
Folsäure 1mg, Metafolin
auch auf den Zusammenhang zwischen
Leucovorin, Metafolin
Metafolin (5-MTHF)
der Folatversorgung und kognitiven
Metafolin
Beeinträchtigungen im Alter wie AltersRocaltrol
demenz, Alzheimer und depressiven StöRocaltrol
rungen hingewiesen, und zwar mit bis zu
50% Risikoreduktion. Auch das Risiko
für das im Zusammenhang mit erhöhtem Homocystein bekannte
exfoliative Glaukom ist reduziert (20). Neuere Arbeiten weisen auch
darauf hin, dass der C1-Metabolismus mit der Spermiogenese und
der männlichen Infertilität verbunden ist. Eine Unterversorgung
mit Folsäure beeinflusst die Spermienzahl und Chromosomenbrüchigkeit. Eine Behandlung mit Folsäure und Zink und anderen Mikronährstoffen (als Profertil in Österreich im Handel) konnte die
Spermienzahl und Spermienqualität um 23–83% verbessern in einer
sechsmonatigen Beobachtungsphase (12).
Die mit der Nahrung aufgenommene Folsäure durchläuft im
Organismus zahlreiche Transportvorgänge und enzymatische Reaktionen bis zur aktiven Wirkung in der Zelle. Seltenerweise gibt es
dabei angeborene Defekte, die zum Vollbild eines extremen Mangels an Folaten führen. Sie können aber je nach Defekt mit Präparaten wie Folinsäure (Leucovorin) oder Metafolin (5-Methyl-THF)
behandelt werden. Bekannt ist die hereditäre Folat-Malabsorption
oder der zerebrale Folsäure-Transport-Mangel (FOLR1-Mangel), die
beide im frühen Kindesalter zu schweren Krankheitsbildern führen
(12). Bekannt ist ein Polymorphismus bei der Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR-C677T), der mit einem erhöhten Folatbedarf einhergeht und zu einer leichten Erhöhung des Homocysteins
führt. Bei Frauen kann dieser Polymorphismus auch ein Risikofaktor
für NRD sein (12). Diese Beispiele führen zum Thema der Vitamine
als Behandlungsmittel bei bestimmten Stoffwechselstörungen. Darüber soll im Folgenden noch kurz Stellung bezogen werden.
Vitamine als „medikamentöse“ Behandlungsmittel
Vitamine werden im Organismus mittel spezifischer Transporter
aufgenommen, verteilt und zu aktiven Endprodukten umgewandelt, die auch durch spezifische Bindungen und Rezeptoren ihre
Wirkung entfalten. Dass auf diesem Weg Defekte vorkommen können, ist nicht erstaunlich. Betroffen sind v.a. angeborene Störungen des Stoffwechsels, bei denen Vitamine als Co-Faktoren wirken.
Diese Störungen werden auch als Vitamin-responsive oder Vitamin-abhängige Störungen oder Krankheiten bezeichnet. Durch
eine pharmakologische Vitamindosis (mehrfach erhöhte physiologische Dosis) kann dabei eventuell eine positive Wirkung erzielt
_ 2014 _ der informierte arzt
1805 Fortbildung · Schwerpunkt
werden. In Tabelle 3 sind einige solche Defekte zusammengestellt,
bei denen Vitamine als Behandlungsmittel eingesetzt wurden und
zumindest eine teilweise Besserung gebracht haben (21, 22). Es handelt sich v.a. um die B-Vitamine, aber auch Vitamin D gehört dazu.
Diese Krankheiten oder Störungen werden als Vitamin-abhängige
Störungen (Vitamin-dependency-Syndrome) bezeichnet. Es sind
seltene Störungen, aber in ihrer Gesamtheit doch eine beachtliche
Gruppe (einige mehr als in Tabelle 3 erwähnt). Sie führen schon
im frühen Säuglingsalter zu schweren Krankheitsbildern mit geistiger und psychomotorischer Behinderung und schwer behandelbaren Epilepsien. Ihre frühe Diagnose und rasche Behandlung sind
wichtig, um eine eindrückliche Besserung zu erreichen. Ihre Pathogenese ist bei manchen geklärt und die Diagnose kann auch molekulargenetisch bestätigt werden.
Prof. emer. Dr. med. Kurt Baerlocher
ehem. Chefarzt Ostschweizer Kinderspital
Tanneichenstrasse 10, 9010 St. Gallen
[email protected]
B Interessenkonflikt: Der Autor hat keine Interessenkonflikte im
Zusammenhang mit seinen beiden Beiträgen deklariert.
B Literatur
Take-Home Message
◆Vitamine sind essentielle Mikronährstoffe, die für Stoffwechsel und
Energiegewinnung des Organismus lebenswichtig sind. Eine Unterversorgung führt zu Mangelerscheinungen. In bestimmten Situation kann
der Bedarf für einzelne Vitamine erhöht sein, physiologischer Weise im
Wachstum, während der Schwangerschaft und Stillzeit, aber auch bei
Rauchen, Alkoholkonsum und bei Einnahme bestimmter Medikamente
◆Ein optimaler Vitaminstatus kann gesundheitliche Vorteile bringen, wie
zahlreiche epidemiologische Studien gezeigt haben. Auch Anreicherungen von Grundnahrungsmitteln (in > 75 Ländern praktiziert) z.B.
durch Anreicherung des Mehls, haben gesundheitliche Verbesserungen gebracht, als bestes Beispiel die Folsäure zu Verhütung von NRD.
◆Diese Resultate haben die Industrie stimuliert, Lebensmittel mit einzelnen Vitaminen oder andern Mikronährstoffen anzureichern (functional
food) und die Einnahme von Supplementen vermehrt zu propagieren.
Dies birgt allerdings die Gefahr einer Überdosierung, was besonders
bei den fettlöslichen Vitaminen zu Intoxikationen führen kann
◆Vitamin D und Folate/Folsäure sind die beiden einzigen Vitamine,
bei denen aufgrund des jährlichen Verbrauchs in der Schweiz sich
eine generelle Unterversorgung berechnen liess
◆Vitamine sollten möglichst in ihrer natürlichen Form eingenommen
werden und nur gezielt und kontrolliert mit der Nahrung oder durch
Supplemente ergänzt werden
am Online-Beitrag unter: www.medinfo-verlag.ch
Literatur
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Ernährung (DGE), Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), Schweiz.
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acid. Epigeneics & Chromatin 2014, 7: 3-17
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Anhang 13
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