Neue psychoaktive Substanzen (NPS) R. Schlößer AHG Klinik Römhild http://www.ahg.de/roemhild Neue psychoaktive Substanzen (NPS) | Begriff Begriffsdefinition durch Resolution 55/1 vom 16. März 2012 der Kommission für Betäubungsmittel (Commission on Narcotic Drugs) NPS = Substanzen, die nicht unter folgende Kontrollregelungen fallen: • 1961 Convention on Narcotic Drugs • 1971 Convention on Psychotropic Substances Das Attribut „neu“ bedeutet nicht notwendigerweise neu entwickelt, sondern (wieder) neu verfügbar. 1 Neue psychoaktive Substanzen | Zugehörige Begriffe Designerdrogen Synthetisch hergestellte Substanzen. Sollen die Effekte bekannter psychoaktiver Substanzen nachbilden und durch chemische Modifikation bestehende gesetzliche Überwachung umgehen (EMCDDA) Legal highs Umfasst sowohl synthetische als auch natürliche (z.B. pflanzenbasierte) Substanzen Fallen (noch) nicht unter staatliche Regulierung fallen, daher im Sinne z.B. des BtMG als legal zu betrachten Arzneimittelgesetz (AMG) gilt jedoch Research Chemicals Chemische Reinsubstanzen Werden häufig als Forschungschemikalien verkauft, um Legalität zu suggerieren („Nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“) Präzise Angaben: Chemische Struktur, Reinheitsgrad, pharmakologische Zusatzinformationen NPS | Neue Psychoaktive Substanzen Substanzen, die gemäss UNODC als NPS klassifiziert werden Phenethylamine Synthethische Cathinone Synthetische Cannabinoide Piperazine Ketamin Pflanzliche psychoaktive Substanzen • Kratom (Mitragyna speciosa) • Salvia divinorum • Khat (Catha edulis) Andere Substanzen 2 Phenethylamine | Amphetaminartige Substanzen Leiten sich strukturell vom Phenethylamin ab Stimulieren das Zentrale Nervensystem Amphetamin Methamphetamin (“Crystal”) MDMA (“Ecstasy”) Phenethylamine | Pflanzliche Alkaloide Ephedra: Ephedrin, Pseudoephedrin Ephedra Arten gehören zu den ältesten als Medizin und Genußmittel verwendeten Pflanzen (Neanderthaler, Traditionelle chinesische Medizin) Peyote-Kaktus (Lophophora williamsii): Mescalin 3 Phenethylamine Neue Psychoaktive Substanzen (NPS): Chemische Modifikation der Phenethylamine ermöglicht die Synthese einer Vielzahl von pharmakologisch aktiven Substanzen Alexander Shulgin | Entwicklung von psychoaktiven Substanzen Seit den 1960er Jahren mehr als 230 psychoaktive Substanzen entdeckt bzw. synthetisiert, insbesondere Phenethylamine und Tryptamine Shulgin, A (1992) Pihkal: A Chemical Love Story (Phenetylamines I have known and loved) Phenethylamine tauchen z.B. auch als Inhaltsstoffe von Ecstasy-Tabletten auf Shulgin AT, Shulgin A (1992) Pihkal: A chemical love story. Transform Press, Berkeley, CA 4 Cathinone | Pflanzliches Vorkommen Kathstrauch (Catha edulis) • Cathin • Cathinon Wirkstoff Cathin in den Blättern des in Hochlagen ostafrikanischer Länder vorkommenden Kathstrauches Beim Kauen der Kathblätter wird hauptsächlich der Wirkstoff Cathin über die Mundschleimhaut aufgenommen. Derivate des Cathinons in synthetischen Drogen, NPS Cathinone | Bezeichungen Häufig unter verschiedenen Markennamen Explosion, Blow, Recharge usw. „Badesalz“ „Forschungschemikalie“ „Pflanzendünger“ Warnhinweis: „Nicht für den menschlichen Verzehr“ 5 Cathinon-Derivate | Mephedron Mephedron (4-MMC) Szenenamen Meph, Drone, Meow, MMCAT, Magic, oder "Miau" Weißes Pulver, in kristalliner Form Kapseln, Pillen Konsum Oral Nasal Phenethylamine und Cathinone | Wirkungen / Nebenwirkungen Effekte Stimulation Euphorie Wachheit Sozialkontakte ■ ■ ■ ■ Nebenwirkungen Herzrasen Blutdruckerhöhung Appetitminderung Schwitzen Anstieg der Körpertemperatur Gedächtnisstörungen Psychosen Gesteigerter Antrieb Impulsivität Angst Depression ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ 6 Cannabis sativa | Natürliche Cannabinoide Tetrahydrocannabinol (∆⁹-THC) Psychoaktiv ■ Cannabidiol (CBD) Wenig psychoaktives Cannabinoid Entzündungshemmend Antipsychotisch Antiepileptisch ■ ■ ■ ■ Cannabinoide | Wirkmechanismus CB1-Rezeptoren Vorwiegend in zentralen und peripheren Nervenzellen. Glücksgefühl, Entspannung und Analgesie (Schmerzlinderung). ■ ■ CB2-Rezeptoren Z.B. auf Lymphozyten An der Immunmodulation beteiligt ■ ■ 7 Cannabinoide | Wirkmechanismus CB1-Rezeptoren Cannabinoide als Neuromodulatoren: Retrograde Inhibition ■ Synthetische Cannabinoide und „legal highs“ | Historie Mitte/ Ende 2008 Mysteriöse „Kräutermischung“ (“Spice”) “Legal-High”-Phänomen Wirkungen ähnlich wie Cannabis Dezember 2008 Deutsche Labore entdecken synthetische Cannabinoide in Spice (JWH-018, CP47,497) Auf Kräutermischungen aufgesprüht BtMG-Unterstellung im Januar 2009 8 Synthetische Cannabinoide Herstellung erfolgte zunächst zur wissenschaftlichen Forschung JWH-018 HU-210 CP 47,497 John W. Huffman; Clemson University Hebrew University Pfizer AM WIN Alexandros Makriyannis, Northeastern University Sterling Winthrop Synthetische Cannabinoide | Wirkungen Vergleichbare psychotrope Effekte wie natürliche Cannabinoide Anhebung der Stimmung, entspannend, Wahrnehmungsveränderungen. ■ Synthetische Cannabinoide stärker wirksam als THC Wegfall partial-antagonistischer Effekte, d.h. volle Agonisten Hohe Spezifität und Rezeptoraffinität von synthetischen Cannabinoiden im Vergleich zu THC (niedrige Ki) ■ ■ Nebenwirkungen ■ Tachykardie, Erbrechen, Agitation, Verwirrtheit, Halluzinationen, voll ausgeprägte Psychosen (Müller 2010) ■ Blutdruckanstieg, Krampfanfälle 9 Synthetische Cannabinoide | Akute Intoxikation Monte et al. (2014). An Outbreak of Exposure to a Novel Synthetic Cannabinoid. N Engl J Med, 370: 389-390 Zwischen dem 21. August und dem 19. September 2013 mussten 263 meist junge Männer in zwei Kliniken der Region Denver wegen teils starker Vergiftungserscheinungen notfallmedizinisch behandelt werden. Die Symptome waren ein zunächst extrem erhöhter und anschließend verlangsamter Herzschlag, begleitet von starken Bewusstseinsstörungen. Einige erlitten Krampfanfälle. Die meisten Personen konnten ambulant behandelt werden. Sieben Personen mussten jedoch intensivmedizinisch betreut und künstlich beatmet werden. Durch die Analyse von Resten der Produkte, die die Patientinnen und Patienten konsumiert hatten, konnte das Ärzteteam ein neues synthetisches Cannabinoid identifizieren, das als ADB-PINACA bezeichnet wird. Das Team vermutet, dass ADB-PINACA der Grund für die Häufung von Vergiftungsfällen ist. Monte et al. (2014). An Outbreak of Exposure to a Novel Synthetic Cannabinoid. N Engl J Med, 370: 389-390 Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) | Verwendung 1961: GHB in der Anästhesie als Narkosemittel und als Hilfsmedikament beim Alkoholentzug Wegen erheblicher Nebenwirkungen an Bedeutung verloren. Heute zur Behandlung der Narkolepsie ■ ■ Anfang der 90er Jahre in Partyszene („Liquid ecstasy“): Euphorisierede und entspannende Wirkung Berichte über Einsatz von GHB als „date rape drug“ oder „K.O.-Tropfen“ Nachweis bisher in den meisten Fällen nur schwer möglich ■ ■ ■ Formen ■ Tabletten, weisses Pulver, Kapseln, klare Flüssigkeit 10 Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) | Wirkung Pharmakologisch Wirkung auf GABA- und GHB-Rezeptor ■ Niedrige bis mittlere Dosierungen Euphorie, Entspannung, Rededrang und sexueller Anregung Höhere Dosierung Schwindel, Erbrechen, Verwirrtheit Dosen > 3,500 mg: schnelle Bewusstlosigkeit Dosierungen > 7,000 mg: Atemdepression, Bradykardie mit folgender Herzinsuffizienz, Koma Oral Wirkung bereits nach ca. 15 Minuten, Wirkdauer beträgt 1 bis 3 h Geringe therapeutische Breite ■ ■ ■ ■ ■ GHB | Konsum über GBL ■ Da GHB dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, wird in Deutschland meist die legale Vorstufe GBL konsumiert. Gamma-Butyrolacton (GBL) Lösungsmittel, Nagellackentferner oder Felgenreiniger Im Körper wandelt sich GBL schnell in GHB um. ■ ■ 11 Ketamin Human- und Tiermedizin: Einsatz insbesondere in der Anästhesie und zur Behandlung von Schmerzen Szenenamen: K, Kate, Ket, Kitty, Kiti, Special K, Vitamin K, Multiketamin, Fiction, Keta, Kite. Dissoziativum (Depersonalisation) Zu den Nebenwirkungen zählen Horrortrips (albtraumartige Szenen mit Nahtod-Erlebnissen und Tunnelvisionen). • Kristallines, weißes, geruchloses Pulver • Als medizinisches Anästhetikum und Narkosemittel: klare Lösung zur intravenösen (i. v.) Injektion Verbreitung von NPS in Deutschland Epidemiologischer Suchtsurvey 2009, Spice-Produkte: 18-64Jährige: Lebenszeitprävalenz: 0.8 % 12-Monatsprävalenz: 0.4 % Flash Eurobarometer 2011 zu ‚Legal Highs‘: 15-24-Jährige: Lebenszeitprävalenz: 4% Wittchen H-U (2010) Der Epidemiologische Suchtsurvey 2009. SUCHT - Zeitschrift für Wiss und Prax / J Addict Res Pract 56:313–314. European Commission, Youth attitudes on drugs, Flash Eurobarometer 330, 2011, 18 12 Centre for drug research - Universität Frankfurt (Bernard et al. 2013) MoSyD JAHRESBERICHT 2012. Drogentrends in Frankfurt am Main. Trendscouts Szene-erfahrene Personen Ecstasy/MDMA Angebot von Ecstasy-Tabletten mit einem höheren MDMA-Gehalt. Angebot von MDMA-Kristallen und -Pulver In den elektronischen Tanzszenen rangiert Ecstasy/MDMA nunmehr auf Platz 2 der meistkonsumierten illegalen Substanzen. Bernard C et al. (2013) MoSyD JAHRESBERICHT 2012. Drogentrends in Frankfurt am Main. NPS in „Ecstasy“ | Problematik der unklaren Beimischung Beispiel: Pillenwarnungen (www.drugscouts.de) 14.03.2014 - Thaipille als "Ecstasy" verkauft! (= Methamphetamin statt MDMA) 14.03.2014 - Hoch dosierte Ecstasypille 08.03.2014 - Ecstasypille mit 2-CB statt MDMA 01.03.2014 - Ecstasypille mit TFMPP (+ evtl. BZP) statt MDMA Daten aus 5 europäischen Drug-Checking-Initiativen – TEDI (Trans European Drug Information) 2014: • Nur 65% der Tabletten enthielten MDMA • Der Rest kein MDMA oder andere Substanzen T.E.D.I. (Trans European Drug Information): Trend report 2014 13 NPS | Phenethylamine in Ecstasy 4-Brom-2,5-dimethoxyphenylethylamin (2C-B) Synthese: Shulgin and Carter 1975 4-Fluoramphetamin (4-FA) Para-Methoxyamphetamin (PMA/PMMA) Bei gleicher Dosierung toxischer als MDMA Wirkung setzt langsamer ein: Gefahr der Überdosierung Betreffende hatten den Eindruck, MDMA genommen zu haben Herzrhythmusstörungen, Krampfanfälle, Blutdruckanstieg, starke Erhöhung der Körpertemperatur, Organversagen. Shulgin AT, Carter MF (1975) Centrally active phenethylamines. Psychopharmacol Commun 1:93–98. Pressemitteilung 5.3.2014 – Landeskriminalamt Baden-Württemberg Zwei Todesfälle in den ersten beiden Monaten des Jahres 2014 und ein Todesfall eines Minderjährigen Ende 2013 im Zusammenhang mit den neuen psychoaktiven Substanzen lassen bei der Abteilung OK und Rauschgiftkriminalität des Landeskriminalamtes die Alarmglocken schrillen. Das jetzt vorliegende Gutachten der zuständigen Rechtsmedizin bestätigt, dass der Tod des Jugendlichen Ende vergangenen Jahres mit dem Konsum dieser Drogen zusammenhängt. Ferner hatte er neben einem Antidepressivum auch noch Cannabis, synthetische Cannabinoide und ein Amphetaminderivat konsumiert. Letzteres war aus toxikologischer Sicht besonders gefährlich, da dies zu Herzrhythmusstörungen sowie zu einem tödlich verlaufenden Anstieg der Körpertemperatur führte. 14 Pressemitteilung 5.3.2014 – Landeskriminalamt Baden-Württemberg Anfang dieses Jahres verstarb ein 29-Jähriger nach dem Konsum verschiedener Amphetaminderivate, sogenannter "Research Chemicals". Nach den polizeilichen Erkenntnissen konsumierte er über mehrere Tage hinweg aufputschende Substanzen, die er über das Internet aus den Niederlanden bezogen hatte. Der dritte Todesfall im Februar 2014 betraf ebenfalls einen 29-Jährigen, der gemeinsam mit Freunden eine Kräutermischung rauchte, die synthetische Cannabinoide enthielt. In seiner Wohnung wurde eine Vielzahl weiterer Kräutermischungen sowie leere Tütchen von "Research-Chemicals" aufgefunden, ein Hinweis darauf, dass er noch weitere Produkte konsumierte. Polysubstanz-Konsum │ Muster Tendenz zu Polysubstanzkonsum Sequentieller Polysubstanz-Konsum Paralleler Polysubstanz-Konsum Vorübergehender Ersatz Gezielter polyvalenter Konsum („Psychonauten“) Verschiedene unklare Beimischungen Entwicklung des eines polyvalenten Konsummusters folgt individuellen Trajektorien (Baggio 2014), die bei der Therapie (Rückfallprophylaxe) berücksichtigt werden müssen. Baggio S, Studer J, Deline S, et al. (2014) Patterns and Transitions in Substance Use Among Young Swiss Men: A Latent Transition Analysis Approach. J Drug Issues. 15 Staatliche Regulierung von Drogen │ Beispiele Washington, Colorado and Uruguay – Staatliche Kontrolle nichtmedizinischen Gebrauchs von Marihuana Mehrere US-Staaten: medizinischer Gebrauch von Marihuana Niederlande – Cannabis Coffee Shops Neuseeland – New Psychoactive Substances AHG Klinik Römhild│Therapiekonzept Alkoholabhängigkeit Drogenabhängigkeit Mehrfachabhängigkeit Schwerpunkte • Psychostimulanzien • Komorbiditäten Getrennte und integrierte Therapiegruppen 16 Diagnostik | Anamnese Detaillierte semistrukturierte Anamnese Erfassung der Substanzen und Straßennamen Erfassung von Konsumtrajektorien Rolle des Substanzkonsums Wechselwirkung Motivation Rolle von Komorbidität Strukturierte Psycho- und Leistungsdiagnostik AHG Klinik Römhild│Therapiekonzept Einzel- und Gruppenpsychotherapie Rückfallprävention Indikative Gruppen • Depression • Angst • Persönlichkeitsstörungen Soziales Kompetenztraining (Impulsivität, Aggressivität) Achtsamkeit und Meditation 17 AHG Klinik Römhild│Therapiekonzept Eltern mit Begleitkindern • Eigener Kindergarten • Schulen in der Region • Basisgruppen mit erziehungsspezifischen Therapiethemen • Gemeinsame Therapieelemente (Sport, Freizeitaktivitäten, Ergotherapie) • Interaktion mit Jugendämtern Behandlung von Paaren AHG Klinik Römhild│Therapiekonzept Sport- und Physiotherapie Ergotherapie Arbeitstherapie Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation Praktika Adaption Unterbringung von Hunden 18 Abschließende Überlegungen | Anforderungen Neue Zugangswege ■ Beratungsstellen ■ Selbsthilfekonzepte ■ „Drug checking“ ■ Harm Avoidance-Konzepte ■ Information als ein Zugangsmedium Abschließende Überlegungen | Anforderungen Therapeutischer Bereich Rasche Adaption an veränderte Rahmenbedingungen Therapeutische Angebote Polysubstanzabhängigkeit: Integrierte Therapiekonzepte Komorbiditäten Komplexe psychosoziale Problemlagen 19