VO linguistische und didaktische Grammatik

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Sommersemester 2014
VO linguistische
und didaktische
Grammatik
Sabine Dengscherz
Themenüberblick:
1. Was ist Grammatik?
2. Spannungsfeld linguistische und didaktische Grammatik
3. Lernergrammatiken
4. Sprachvergleich und Kontrastivität
5. Dependenz-, Valenz- und Generative Grammatik
6. Mitteilungsgrammatik
7. Kommunikative Grammatik
8. Textarbeit im Grammatikunterricht
9. Norm und Fehler
10.DiGS-Studie
Auf Moodle:
- Folien
- Textbeispiele zu Kapitel 8 (Textarbeit)
- weiterführende Literatur und Links
1
VO linguistische und didaktische Grammatik DaF/DaZ
Moodle!
1. Prüfungstermin: Di, 24. Juni, 13.15, HS 50
Prüfungsmodus: offene Fragen
11.3.2014
Was ist Grammatik? – Einführung und erste Überlegungen
-
-
-
-
wir nehmen Sprachstrukturen unserer Muttersprache oft naiv und selbstverständlich hin
o sprachliche Konventionen: keine logische Ableitbarkeit, von Grammatik her verschiedene
Möglichkeiten, viele Aspekte (auch semantische) kommen zusammen
o Beispiel: „Gute Fliege!“ statt „Guten Flug!“ (vgl. Analogie reisen-Reise)
Aufgabe:
o Wie viele verschiedene Adjektivendungen hat die deutsche Sprache?
 5 (+ Nullendung)
o Welche?
 -e, -en, -es, -er, -em (+ evtl. Nullendung)
o Schreiben Sie das System der deutschen Adjektivendungen aufzuschreiben!
 bestimmte und unbestimmte Artikel getrennt in Übersichtsdarstellungen (s.
Folien)
 Goethe-Institut: Material mit vielen Beispielen
 schwache Deklination, gemischte (A. nach unbest. Artikel), starke Deklination
(Nullartikel)
o Deklinieren Sie: „das schöne Haus“
 typische Reihenfolge bei DaF: Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv
 typische Reihenfolge bei Deutsch als L1: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ
 im DaF-Unterricht: Fälle beim Namen nennen, nicht bei ihren Nummern
– damit kann man das Problem der Reihenfolge umgehen
Was ist Grammatik? – Definition:
o Regelsystem einer Sprache?
o Regelsystem im Kopf?
o ein Nachschlagewerk?
o eine Lebensaufgabe?
o ein Prüfungsstoff?
o die aktuelle Vorlesung?
o eine Zumutung? – häufig in schulischer Praxis so dargestellt und den Schülern so
vermittelt, allerdings grenzt dies an einen „Missbrauch“ der Grammatik (Instrument zur
Drohung)
Grammatik – Etymologie:
o Altgriechisch:
 gramma = Buchstabe, Schrift
 grammatike = Kenntnis der Schrift
o in Antike Überschneidung von Rhetorik und Grammatik
2
-
-
-
o Spätantike/MA: Bedeutungsverengung auf „Regelkompendium“
o Grammatik, Rhetorik und Dialektik wurde dann unterschieden
Linguistik
o allgemeine Sprachwissenschaft im Spätmittelalter (Trennung zwischen semantischer und
grammatischer Wortbedeutung)
 in Unterricht: Grammatik immer in der Verbindung zur Anwendung, nicht die
Frage, wie ein Konjunktiv aussieht, sondern v.a. was man mit dem Konjunktiv
machen kann
o Humanismus: Rückbesinnung auf Antike
o 18. Jh.: Hochphase der universalen Sprachbeschreibung
o 19. Jh.: historisch-vergleichende Sprachwissenschaft
o 20. Jh.: Strukturalismus markiert den Beginn der modernen Sprachwissenschaft
(Saussure)
Herangehensweisen an Sprachbeschreibung
o deskriptiv vs. präskriptiv (normativ)
 wertfreie Beschreibung // richtiger Sprachgebrauch, Normierungsfunktion
 Unterricht über Grammatik: man geht v.a. präskriptiv vor
o synchron vs. diachron
 auf einer Zeitstufe vorhanden (z.B. verschieden Sprachsysteme im 21. Jh.) //
historische Entwicklung (Wörter, Grammatikstrukturen, Normen, z.B. während +
Dat./+Gen., „bräuchte“ mittlerweile anerkannt trotz Stammvokalveränderung
bei starkem Verb)
 Veränderung: oft pragmatischer Hintergrund (z.B. bräuchte vs. brauchte)
o universal vs. partikular
 Gesamtbeschreibung von Sprache (alle Facetten erfassen) // einen Teil der
Sprache erfassen
o weitere Aspekte:
 Kontrastivität: Sprachvergleich
 (z.B. Fremdsprachen-)Didaktik: Sprachvermittlung
GRAMMATIK
o
o
Helbig (1981): 3 Bedeutungen
 Grammatik A: das komplette Regelsystem einer Sprache
 Grammatik B: die sprachwissenschaftliche Beschreibung
 man braucht dafür schon eine bestimmte Auswahl und Perspektive, weil
man nie alles beschreiben kann
 das Beschriebene und die Beschreibung sind nicht das Gleiche (vs. Realer
Gegenstand vs. Bild des Gegenstands)
 hierher gehört die linguistische und die didaktische Grammatik =>
Spannungsfeld
 Grammatik C: das Regelsystem, das sich Sprach(en)lernerInnen aneignen
(Grammatik im Kopf)
 nicht dieselbe Beschreibung des Sprachsystems wie in einem
Nachschlagewerk
 bestimmte Sprachstrukturen mit bestimmten Situationen verbunden
Strukturalismus (Saussure)
3

-
Langage: allgemeinmenschliche Fähigkeit
 allgemein Sprachfähigkeit von Menschen, vgl. Boeckmann: „Der Mensch
als Sprachwesen“
 Frage nach den grammatischen Eigenschaften, die allen Sprachen
gemeinsam sind
 „Universalgrammatik“ (Noam Chomsky: Erforschung sprachlicher
Universalien)
 wird bei Helbig nicht als eigene Kategorie erwähnt
 Langue: Regelsystem einer Sprache
 System einer Einzelsprache
 Sprachsysteme sind dynamisch
 Sprachsysteme beinhalten verschiedenste Konventionen
unterschiedlicher Register, Textsorten, etc.
 entspricht Helbigs „Grammatik A“ (Regelsystem einer Einzelsprache)
 Parole: konkrete, einzelne Sprachäußerungen
 Ebene des Individuums
 ANWENDUNG der „Grammatik im Kopf“
 Sprachgebrauch als Ergebnis grammatischer „Hypothesenbildungen“
oder Analogieverfahren (KEINE bewusste Reflexion)
 „Parole“ entspricht nicht immer den geltenden Normen und
Konventionen
o Staffelung: Langage als äußerste Ebene, dann die Langue und Grammatik A, dann
Grammatik B (Beschreibung; Teilbereich), dann Grammatik C (deckt andere Teil der
Phänomene ab), dann Parole
Grammatik B: Beschreibung des Regelsystems
o Deskriptive Grammatik:
 sprachwissenschaftliche Beschreibung
 Bestandsaufnahme dessen, was ist und was verwendet wird
 meist zu wissenschaftlichen Zwecken
 man versucht, Sprachsysteme möglichst in allen Details darzustellen und
verschiedene Varianten und auch dynamische Veränderungen zu berücksichtigen
o Präskriptive Grammatik:
 normierend, vorschreibend
 zu didaktischen Zwecken: bietet Folie/Norm für Grammatikunterricht
 gibt „richtige“ Ausdrucksweise vor
 dieser Rahmen wird in authentischen Texten gesprengt, auch in Texten z.B. von
Wolf Haas
 Nachschlagewerke wie Duden, etc. – ist auch eine Bestandsaufnahme, jedoch ist
sie gefiltert
 Kritik an „Präskriptivismus“ von Weisgerber (aus 1980ern)
 statisch-normativ = unkritisches Verhalten
 kritische Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch wird in Schule
schon im Keim erstickt
 in dynamischem Grammatikbegriff wäre die Möglichkeit gegeben, sich zu
Entwicklungen positiv-verstärkend oder negativ-abwehrend zu verhalten
und nicht nur zu erkennen
4
-
-
 Anmerkung aus VO: Stellung nehmen, z.B. durch die Auseinandersetzung
mit Anglizismen, verschiedene Möglichkeiten des Genderns
Beschreibung eines komplexen Systems - LERNKONTEXT
o Erwartungshaltung durch Normen, die das Verstehen fördert und einen Rahmen gibt,
wie wir Inhalte einordnen können
o Auseinandersetzung mit Normen: man muss für Lernende überlegen, wie diese
Auseinandersetzung aussehen soll
 Vereinfachung zu didaktischen Zwecken
 Herausforderung: Vereinfachung so gestalten, dass es trotzdem nicht falsch ist,
was gelernt wird
o Kategorienbildung
 viele endliche Mittel, die in Kategorien eingeteilt werden, um ein System zu
bekommen, das die Aneignung vereinfacht und dadurch möglich macht
o Darstellung von Gesetzmäßigkeiten
o Darstellung von Zusammenhängen / Abhängigkeiten: algorithmische Beziehungen
 Wenn-Dann-Beziehungen, z.B. wenn ein Satz mit einem bestimmten Wort
begonnen wird, muss er auf diese und jene Art fortgeführt werden, etc.
 daraus ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten der Beschreibung
 Terminologie nicht immer einheitlich!
Grammatik im Kopf (Helbig: C)
o L1-SprecherInnen und Lernende
 verändert sich im Lauf des Lebens massiv:
 Fremdsprachen lernen
 kontrastive Elemente im Sprachvergleich
 lebenslanges Lernen
 Sprache verwenden ist nicht gleichzusetzen mit Sprache wissen
(Regelwissen)
o Grammatik im Kopf ist auch ein dynamisches System
o Interlanguage-Hypothese
 Lernende haben im Kopf eine Art „Zwischensprache“, die teilweise den Regeln
der Zielsprache folgt, teilweise den Ausgangssprachen und teilweise eigene
Regeln hat, die weder mit Ziel- noch Ausgangssprache übereinstimmen
o wichtig für den Unterricht: Input ist nicht gleichzusetzen mit Intake
Beispiel: Wortarten
o „Grammatik im Kopf“ (Helbig, C): Welche Wortarten kennen Sie im Deutschen?
 Nomen/Substantiv, Verb, Adverb, Adjektiv, Pronomen, Präposition, Artikel,
Partikel, Konjunktion (Subjunktion), Interjektion, Numerale, Fragewörter
 Adverb: engl./frz./ung. – häufig Adjektiv mit Endung // Deutsch: Wort ändert sich
nicht, jedoch der Gebrauch im Satz
o Beschreibung von Regelsystemen (Helbig, B): Schlagen Sie in mehreren Grammatiken
nach: Welche Kategorisierungen der Wortarten finden Sie?
5
2. VO fehlt
25.3.2014
VERMITTLUNG
zwei Extreme
-
-
-
direkte Methode: Fremdsprache wird erworben, indem in konkreten Situationen
(nach)gesprochen wird; es werden keine Grammatikregeln behandelt
o direkt, weil man nicht den Umweg über die Erklärung geht
o von Äußerung zu Äußerung
o negativ: z.T. Fahrwasser des Behaviorismus / Konditionierung
systematische Aneignung und Anwendung der Regel-Grammatik einer Sprache (z.B.: GÜM)
o führt eher dazu, Grammatiktests zu bestehen oder Texte zu übersetzen, nicht jedoch
dazu, ein Gespräch zu führen
o Fehleinschätzung, dass durch Erlernen und Anwenden grammatischer Regeln in der
Schule der richtige Sprachgebrauch begründet und garantiert werden kann (Weisgerber)
Methodenübersicht:
o Grammatik-Übersetzungs-Methode (1900, wirkt noch lange weiter)
o direkte Methode (W. Viétor; direkte Antwort auf GÜM)
o Audio-Linguale-Methode (Sprachlaborübungen, Hören und Nachsprechen, 1970er)
o Kommunikative Didaktik (1975 und wirkt weiter; authentische Übungen, die im Alltag
gebraucht werden kann; geringe Rolle von Grammatik und Sprachreflexion)
o Methodenmix (nach der Kognitiven Wende, 1990; Wunsch von Lernern nach einem
System, das zur Erklärung fähig ist)
o keine aktuelle Methode im 21. Jhdt., eher Lerner- und Zielgruppenorientierung,
Autonomie nach eigenen Lernzielen, Unterricht muss den Rahmen dafür bieten,
Grammatik wird wieder mehr in den Unterricht integriert auf möglichst kreative und
vielfältige Weise
Was wird gelernt?
-
Lehrziele/Lernziele
Lernzeit
Teilziele
o kommunikativ (Anwendung)
o formal/sprachen-analytisch (Sprachreflexion)
Wege zur Äußerung
-
-
Text, Äußerung – Rezeption
o auch direkter Weg wieder zum Text, dazwischen liegt allerdings eine „Black Box“, über
die sehr wenig bekannt ist (direkte Methode)
Textanalyse – Grammatik – Pragmatik
„Regel“-Grammatik – induktiv gefunden – bewusst gemacht
Übung – Automatisierung
Text, Äußerung – Produktion
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Zum Aufbau von linguistischen und didaktischen Grammatiken
LINGUISTISCHE GRAMMATIK
Teilbereiche der Grammatik (linguist.)
-
Phonologie (nicht Phonetik!)
o nicht in allen Grammatiken berücksichtigt
- Morphologie
o Kernbereich der traditionellen Grammatik
o Formenlehre: Flexionsformen, Wortbildung
- Syntax
o Kernbereich der traditionellen Grammatik
o Wie werden Wörter zu größeren funktionellen Einheiten zusammengefügt?
o Phrasen, Sätze
- Textgrammatik
o nicht in allen Grammatiken berücksichtigt
o satzübergreifende Beziehungen
nach Helbig(1993)
- Grammatik im engeren Sinne: Morphologie, Syntax
- Grammatik im weiteren Sinne: auch Semantik und Phonologie
nach Schlobinski (2003)
- Grammatiktheorie umfasst: Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik
Fragestellungen Morphologie
-
-
Was sind Wörter?
Was sind ihre grundlegenden Bestandteile?
Wie werden diese Bausteine zusammengesetzt?
In welcher Beziehung steht die Bedeutung des Wortes zur Bedeutung seiner Bestandteile?
o z.B. welche Endungen gibt es, die den Plural ausdrücken können?,
Stammvokalveränderungen
in welcher Beziehung stehen einzelne Wörter einer Sprache zu anderen Wörtern dieser Sprache?
o Übergang zur Syntax
MORPHOLOGIE
o Wortbildung
 Komposition
 Derivation (Ableitung)
 z.B. hausen – Häuschen - häuslich
o Flexion
 z.B. Haus, Häuser – der Tisch, des Tisches – gehen, ging, gegangen
Syntax
-
Satzbildung
Beziehungen im Satz
Wortstellung (Teil der Satzbildung)
Phraseologie (Schnittstelle zur Semantik)
7
-
Satztypen (z.B. Arten von Nebensätzen)
Darstellungen von syntagmatischen Beziehungen (z.B. Strukturbäume o.ä.)
auf Textebene
-
-
Kohäsion
o in Physik & Chemie: Bindungskräfte zwischen Atomen und Molekülen
o grammatische Beziehungen, grammatische Stimmigkeit
Kohärenz
o inhaltliche Zusammenhänge
o logische Beziehungen, inhaltliche Stimmigkeit
 möglich, dass man sich grammatisch richtig ausdrückt, aber auf Ebene der
Kohärenz sich nicht stimmig ausdrückt
Aufbau von Grammatiken
-
ausgehend vom Text zu Syntax zu Morphologie = zu immer kleineren Einheiten (Engel) oder
genau umgekehrt (Wahrig)
LERNERGRAMMATIKEN
-
Aufbau folgt ganz anderen Kriterien
1. Auswahl: was wird behandelt was nicht (nach welchen Kriterien wird ausgewählt?
2. Anordnung / Reihenfolge / Wiederholungen?
 vgl. wissenschaftliche Grammatiken: keine Wiederholungen eingeplant
3. Präsentation (z.B.: Visualisierung / einsprachig oder kontrastiv L1/L2?)
1 Auswahlkriterien für Lernergrammatik
-
abhängig von der Zielgruppe (Lehrende = Vermittlergrammatik oder Lernende, Sprachniveau,
etc.)
o z.B. „Grammatik kreativ“: Vermittlergrammatik, Vorschläge, wie Grammatik didaktisiert
werden kann
- lehrwerkbegleitend / lehrwerksunabhängig
- Grammatik zum Nachschlagen oder Übungsgrammatik
- lernpsychologische Überlegungen, z.B. in Darstellung: wie kann etwas gut aufgenommen
werden, welche Art von Wiederholung wird gebraucht etc.
- pragmatische Überlegungen (z.B. Seitenzahl und Kostenfrage, Aufnahme von authentischen
Texten)
Empfehlungen von Helbig (1993) für Grammatik im Unterricht:
1. …nicht auf formale Morphosyntax beschränken (auch mit Texten arbeiten, etc.)
2. nicht nur grammatische, sondern auch kommunikative Regeln
3. Textsorten und Kontexte berücksichtigen (Situationen und Handlungsweisen, etc.)
4. Vermittlung nicht in linguistischer Weise: Umsetzung in didaktische Grammatik
2 Progression in Übungsgrammatiken
-
vom Einfachen zum Schwierigen (z.B. erst Hauptsätze, dann Satzgefüge)
pragmatische Überlegungen:
o was wird oft/selten verwendet? – von häufigen zu seltenen Strukturen
8
-
ggf. Progression in gängigen Lehrwerken berücksichtigen
Wortschatz anpassen
3 Präsentation
-
Übersichtlichkeit
Anschaulichkeit
eingängige Beispiele
Merksätze
evtl. Mehrkanaligkeit: visuelle, akustische Informationen, mit den Informationen etwas tun
können, etc. – erhöht die Merkfähigkeit
Lernergrammatiken in Auswahl – konkrete Beispiele unterschiedlicher
Kategorien
Beispiel 1 – Lernergrammatik zum Nachschlagen
-
Griesbach, Heinz: Kleines Lexikon zur deutschen Grammatik, Deutsch als Fremdsprache.
München
Kürschner, Wilfried (1989/2005): Grammatisches Kompendium. Francke UTB, Tübingen
Helbig/Buscha: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht
Helbig/Buscha: Leitfaden der deutschen Grammatik
z.B. Duden, PONS, Wahrig
Für den Einsatz im Unterricht und das Üben zu Hause: Übungsgrammatiken und
Vermittlergrammatiken
-
Übungsgrammatiken:
o Dreyer/Schmitt: Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik
 ab A2
 „Klassiker“ wird gern zum Wiederholen verwendet
o Hall/Scheiner: Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache für Fortgeschrittene
 ab B2/C1
 viele Übungen ausgehend von Texten
o Buscha et.al.: Grammatik in Feldern. Ein Lehr- und Übungsbuch für Fortgeschrittene
 geht von semantischen Feldern aus (z.B. Feld der Person, der Begründung, der
Bedingung, etc.)
 z.B. Feld der „potentiellen Bedingung“
 z.B. Feld der „Begründung“: Konjunktionen, Substantive ,
Präpositionen/Postpositionen, Kohärenz als inhaltlicher Zusammenhang
in einer Hauptsatzreihe (kein explizites sprachliches Mittel zur
Begründung), Verben, Suffixe
o Beispiele: daher, da, weil, aufgrund, wegen, denn, daher, infolge,
folglich, insofern als, kraft, notwendigerweise, ergeben,
resultieren, verursachen, Ursache, dank, aus diesem Grund, halber, -bedingt, zwecks, wodurch
o Ursache und Wirkung hängen sprachlich zusammen, hier sehr
schön zu sehen
9
o
 Vielfalt in der Ausdrucksweise kann dadurch erreicht werden, da alle in
einem semantischen Feld miteinander verknüpft sind
Gerngroß/Krenn/Puchta: Grammatik kreativ. Berlin und München 1999
 Verbindung von Grammatik und kreativem Schreiben
 Vermittlergrammatik, Übungen für unterschiedliche Niveaustufen (1-5)
 Buch ist eine Spur älter als der europ. Referenzrahmen, daher
Niveaustufen
 Beispiel einer Mustereinheit:
 Grundstruktur (KL werden angeregt, die Einheiten nach ihren
Bedürfnissen und Ideen zu adaptieren)
o Phase 1 (A): thematisch Einstimmung
 z.B. Schreiben Sie 2 Dinge auf, die Sie gerne einmal tun
möchten!
 didaktische Funktion: Herstellung eines emotionalen
Bezugs zum Thema, TeilnehmerInnen bringen sich selbst
ein, positive Assoziationen, Kommunikationsanlass und
Ideensammlung für eventuelle spätere Textproduktion,
Vorwissen wird aktiviert (sprachliche Strukturen,
Wortschatz), Vorbereitung auf Sprechintention,
Möglichkeit persönliche Erfahrungen einzubringen,
o Phase 2 (B): Modelltext
 Exkurs: Dictogloss (vgl. Schifko 2008)
 ein Text wird in normalem Sprechtempo
vorgelesen + TN sollen Notizen machen
 TN sollen den Text annähernd rekonstruieren
 Ziele: erinnerte Inhalte mit eigenen Worten
wiedergeben (es geht mehr als um
Hörverstehen), Formfokussierung, eignet sich
auch zum Erarbeiten von
Textsortenkonventionen (z.B. Glosse)
o Phase 3 ( C): Kreatives Schreiben
 auf Bassi des Modelltextes in Einzel- oder Partnerarbeit
eigene Texte schreiben
 evtl. als Hilfestellung eine Struktur vorgeben, z.B. A ich
würde gerne, B ich hätte so gerne, C ich hätte sollen…
Mustertext: Thema „Ausreden“
Ich würde sie gerne ansprechen
Ich würde gerne mit ihr tanzen
Ich würde ihr gern ein Eis kaufen
Ich würde ihr gerne Freundschaftsarmband schenken
Aber heute habe ich so viel zu tun
vielleicht mache ich es morgen
oder übermorgen
10
 wie könnte man den Mustertext variieren, um andere grammatische Strukturen zu üben?
o z.B. Futur-Konstruktionen (Ende könnte bestehen bleiben)
o Passiv-Konstruktionen (keine so problemlosen Änderungen als mit Futur-Übung)
o Imperative
o Modalverb im Präteritum (ich wollte sie ja ansprechen)
o Konjunktiv II der Vergangenheit (ich hätte sie so gerne angesprochen; veränderter
Schluss nötig)
o Konjunktiv II der Vergangenheit mit Modalverb
o
Rug/Tomaszewski: „Grammatik mit unSinn und Verstand“
 authentische (teils literarische) Beispieltexte
 Merksätze mit starken Bildern
 separates Lösungsheft
 Übungsgrammatik für Mittel- und Oberstufe (will offen sein für mehrere
Niveaus)
 BEISPIELE:
 Passiv
o „vom Fressen und gefressen werden. Aktiv, Passiv und andere
Möglichkeiten, sich unpersönlich auszudrückenn
o aus Jennys Mahagonny-Song (Bert Brecht)
o aus Donna Leon
 „waren übersehen worden“
o weitere Beispiele ohne konkretes Subjekt:
 wissenschaftliche Arbeiten (ich oder auch andere Namen
werden nicht genannt, z.B. „500 Menschen sind befragt
worden“) – hängt oft vom Fach ab, auch von der
Hierarchie in der „scientific community“ ab
 PR (im Falle, dass man nicht weiß, wer die handelnde
Person ist)
 Ein Katalog von Möglichkeiten, sich unpersönlich auszudrücken
o Passiv: mit Passivsätzen kann ausgedrückt werden, was
geschieht.
o man: mit Passivsätzen kann man ausdrücken, was geschieht.
o du/wir/Sie: Wenn wird das Passiv können, können wir Deutsch.
o –bar/-lich: Diese Sätze sind gut verständlich und gut lesbar.
o lässt sich: Mit Passivsätzen lässt sich gut ausdrücken, was
geschieht.
o ist…zu: Das ist ja alles leicht zu verstehen. (doppeldeutig: kann in
unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich verstanden
werden, z.B. als Möglichkeit oder auch aus Vorschrift)
o N-V-Verbindungen: Dass Passiv wichtig ist, steht außer Frage.
o Verben mit „sich“: Es versteht sich von selbst, dass man das
Passiv üben muss.
 Was sagen die Begriffe Aktiv und Passiv?
o Löwen fressen besonders gerne Gazellen.
11
-
-
o Keine Gazelle möchte gern gefressen werden.
 Differenzierung
o aber Vorsicht: Aktiv bedeutet nicht immer, dass jemand „aktiv“
ist: „Im Unterricht schlafe ich immer besonders gut.“
o nicht alle Passivsätze bedeuten Passivität: „Bis vier Uhr morgens
wurde auf dem Marktplatz getrommelt.“ (Aktion, Lärm von der
Bedeutung her, Passiv als Funktion)
 Aufbau und Zielsetzungen:
 Gliederung der Kapitel
o authentische Impulstexte
o Grammatik im Kasten (Regeln dargestellt)
o Übungen und Regeln (erst mit Sätzen, dann mit Texten;
Reflexion zu Stil)
 Zielsetzungen
o klare Regelformulierungen; „funktionale Grammatik“ (im
Kontext)
o Stil, Klang, Schönheit der Sprache; Witz und Unsinn
Lehrwerkabhängige Übungsgrammatiken
o Schritte Übungsgrammatik (A1-B1)
o em Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache. Wiederholung der Grundstufe
Mittelstufe
weitere Quellen:
o Helbig, G: Wieviel Grammatik braucht der Mensch?
o Königs, F.G: Grammatik – Begriff und Konzept aus der Lernerperspektive
o Schifko, M: „…oder muss ich expliziter werden?“ Formfokussierung als
fremdsprachendidaktisches Konzept: Grundlagen und exemplarische
Unterrichtstechniken
o Schlobinski, P: Grammatikmodelle. Positionen und Perspektiven
12
1.4.2014
Sprachvergleich und Kontrastivität
-
Kontext der Fremd- und Zweitsprache sind immer auch andere Sprachen vorhanden, die Einfluss
nehmen und aus denen Konzepte übernommen werden können (mehr oder weniger erfolgreich)
Zugänge zum Sprachvergleich
linguistische Zugänge


historisch-vergleichende Sprachwissenschaft
 Sprachentwicklung und Sprachveränderung
 genetische Sprachverwandtschaft von Sprachen (s. Stammbaum)
 v.a. 19. Jhdt.
Sprachtypologie
 synchrone Perspektive
 typologische Verwandtschaft meint nicht die genetische Verwandtschaft
o strukturelle Ähnlichkeiten wollen gefunden werden
o z.B. Ungarisch und Türkisch
 sind genetisch nicht verwandt
 beide sind agglutinierende Sprachen und strukturelle relativ ähnlich
 Klassifikation nach morphologischen Eigenschaften / strukturellen Ähnlichkeiten
 Begründer: August Wilhelm Schlegel, Wilhelm von Humboldt
 holistische Typologie (19. Jhdt.)
o vier Typen bei Humboldt:
 isolierend: Wörter unveränderlich, grammat. Beziehungen durch
Wortstellung ausgedrückt (Vietnamesisch, Chinesisch)
 z.B. You stay here. (überall Grundformen)
 agglutinierend: Wortstamm bleibt gleich, Abfolge mehrerer Einheiten,
Suffixe (Türkisch, Finno-ugr. Sprachen)
 z.B. adj. Komparation/Deklination: das schön-e-re Haus;
schwache Verben: ich lach-t-e
 flektierend: grammat. Beziehungen durch Veränderung der inneren
Struktur ausgedrückt
 z.B. starke Verben: dsie schliefen
 Deutsch wird oft hier zugeordnet, allerdings ist es ein Mischtyp
(= Kritikpunkt für die holistische Typologie)
 einverleibend: (Inkorporierend bzw. polysynthetisch) „Einverleibung“
anderer Satzteile, (nordam. Indianersprachen)
 Polysynthese: morpholog. komplexe Einheiten, z.B.
Finanzlandesdirektion)
 Inkorporation: grammat. Prozess, der nominal. Komplement
eines Verbs dem Verbalkomplex einverleibt (lobhudeln,
bauchpinseln)
13

hier wird es komplexer, Elemente aus agglutinierend und
flektierend werden kombiniert
 20. Jhdt.: Multidimensionale Typologie, Quantitative Typologie, Universalienforschung
 Multidimensionale Typologie:
o mehr als 1 Dimension wird einbezogen (war bei der holistischen Typologie noch
nicht so, weil hier erst die Typologien kombiniert werden)
o Edward Louis Sapir:
 begrifflich-semantische Dimension
 Wurzelbegriffe: Haus, Hund
 Beziehungsbegriffe: Kopf ein-es Hund-es Hund-s-kopf
 Ableitungsbegriffe: köpf-en
 formale Seite der grammatischen Signifikation
 Isolation: Er kommt. Kommt er?; to drink, a drink
 Agglutination: schnell-er
 Fusion: es gäbe
 Symbolismus: innere Veränderung der Wurzel: Vater – Väter
 Wortstruktur
 analytisch-synthetisch
 als Skala zu verstehen: klein … Zer-klein-er-ung …
Kunststoffzerkleinerungsanlage (analytische Mittel zur Trennung
nötig ab einem gewissen Punkt, Stilfrage)
o Möglichkeit der sehr genauen Beschreibung der Sprache
o Probleme:
 bei vollkommener Ausschöpfung aller Kombinationsmöglichkeiten der
verwendeten Kriterien 2870 Sprachtypen
 genau genommen keine Typologie
 Sapir fasste Sprachen wieder zu Blöcken zusammen
 Quantitative Typologie:
o wenn etwas qualitativ nicht ausdrückbar ist, dann vielleicht errechenbar
o Anwendung der Statistik auf die Sprachtypologie:
 Syntheseindex
 Zahl der Morpheme dividiert durch die Zahl der Wörter
o z.B. Hand-Schuh = 2 Morpheme und Wörter = Index 2
o z.B. Vor-les-ung-s-mit-schrif-t (Index = 7,0)
o Problematik:
 Agglutinationsindex
 Kompositionsindex
 Derivationsindex
 Flexionsindex
 Präfixationsindex
 Suffixationsindex
o wirkt auf den ersten Blick sehr exakt und wissenschaftlich, die Definition von
Wort und Morphem kann aber variieren
 in verschiedenen Sprachen
 bei verschiedenen LinguistInnen
14







durch die Rechtschreibung
Textsortenproblematik (vgl. Roman von Thomas Bernhardvs.
Gebrauchsanweisung; SMS)
Universalienforschung
o Joseph H. Greenberg: Sprachtypologie (empirisch, induktiv)
o Noam Chomsky: Generative Grammatik (theoretisch, deduktiv)
o Arbeit mit Kategorien
Problem der Sprachtypologie: zu starr und zu stark vereinfachend für die komplexe
Realität
o „realistischere Typologien“:
 ein Versuch: multidimensionale Typologie (Sapir)
syntagmatische Typologisierung
o Verbfinale, verbmediale, verbinitiale Sprachen: SOV, SVO, VSO, OSV, OVS, VOS
o Deutsch?
 unmarkierte HS-Wortstellung: SVO
 Nebensatz: SOV
 Wortstellung variiert, Kategorisierung auch…
 Beispiele im Deutschen?
o Beispiele:
 SVO: Ich sehe das Haus. (normale HS-Wortstellung)
 VSO: Siehst du das Haus? (typischer Fragesatz)
 OVS: Dieses Haus siehst du?/! (Abweichung von typischer Wortstellung;
hier wird etwas herausgehoben und markiert)
 SOV: …, weil ich das Haus sehe. (typische Nebensatz-Wortstellung)
 OSV: Welches Haus du siehst, … weiß ich nicht.
 VOS: Siehst dieses Haus du – oder sehe dieses Haus ich? (durch den
Zusatz ist die Wortstellung nicht mehr so falsch, auch hier wird etwas
hervorgehoben)
o Bei manchen Möglichkeiten muss man Kontext dazu finden, damit es
funktioniert => umstritten, welche die für das Deutsche typische Wortstellung
ist, weil immer der Kontext mitgedacht werden muss
Fazit:
o holistische Typologie ist überholt
o Typologisierung von einzelnen grammatischen Phänomenen ist aber sehr
sinnvoll
 z.B. synthetische vs. analytische Bildung
o synthetisches Verb: Präteritum
o analytisches Verb: Perfekt
 ist aber nicht auf ganze Sprachen umzulegen
o im Unterricht: (typologischer) Sprachvergleich kann als Erklärungsfolie
herangezogen werden
Sprachkontaktforschung
 Wie verändern sich Sprachen durch den Kontakt mit anderen Sprachen?
 im Laufe der Zeit / diachrone Betrachtung
 z.B. Substrat vs. Superstrat
15
o
o
o
Superstrat: herrschende Minderheit integriert die Sprache in die
Mehrheitssprache, Teile bleiben übrig
Bsp. Englisch
 beef vs. cow (frz. boeuf)
 französischer Ausdruck von Herrscherschicht, mit dem Tier wird
hier nicht mehr gearbeitet
Sprachbund (z.B. Donausprachbund, Balkansprachbund)
16
8.4.2014
didaktische Zugänge
-
Beispiele:
o
o
o
o
o
GÜM
Kontrastive Linguistik
Sprachbewusstheit / Sprachvergleich als Lernerstrategie
Tertiärsprachendidaktik
Mehrsprachigkeitskonzepte
- Exkurs: Was macht eine Sprache schwierig – Otto Back (1972)
o
o
Unterscheidung:
 inhärente Schwierigkeiten
 z.B. im Deutschen die Groß-/Kleinschreibung
 abstandsbedingte Schwierigkeiten
 mit welchen Sprachen (L1) geht man an die L2 heran?
 was kann man aus der L1 mitnehmen?
Schwierigkeiten in 5 verschiedenen Bereichen:
 Lautung
 Aussprache
 Verhältnis verschiedener Laute hintereinander
 z.B. Folge von Konsonanten aufeinander, z.B. „ernst“
 Einprägung (qualitativer Begriff)
 z.B. ähnliche Vokabel, die durcheinander gebracht werden, wie
„verleugnen / verleumden“
o v.a. bei abstrakten Wörtern
 Datenspeicherung (quantitativer Begriff)
 man muss sich viel merken, wenn man Sprachen lernt
 z.B. Genus der Substantive (muss man dazu lernen)
 algorithmische Schaltungsoperationen
 wenn-dann-Beziehungen
 z.B. Wortstellung (im HS steht Verb an 1. Stelle, im GS steht Verb an
letzter Stelle; 2-teiliges Prädikat)
 Weltsicht
 vgl. Sapir-Whorf-Hyothese
o Zusammenhang von Sprache und Wahrnehmung von Welt
o überholt, dass man nur in Sprache denkt (mittlerweile bewiesen,
dass wir auch in anderen Kategorien denken als nur in Sprache)
o Sprache beeinflusst aber tatsächlich unser Denken und den
Umgang mit Menschen
 nicht kulturalistisch gemeint
 wie vermittelt Sprache einen bestimmten Blick auf die Welt, z.B. durch
die Verwendung bestimmter Modalverben
 problematisch, z.B. unbedacht / unwissend NS-Ausdrücke verwenden
17
o
Beispiele für diese Bereiche: Deutsch als ZS und … Englisch… … (Sprache wählen)
Lautung
Einprägung
(qualitativer Begriff)
verleugnen/verleumden
einfallen/auffallen =
Verbalpräfixe
Datenspeicherung
(quantitativer Begriff)
Artikel/Genus zu Nomen
unregelmäßige Verben
Reflexivpronomen zusammen
mit Verbsemantik
Groß-/Kleinschreibung
Rechtschreibregeln
Verben und Präpositionen
(Rektion)
Wortschatz
Wortstellung, Syntax
Wechselpräpositionen, Rektion
(Präp. + Kasus => richtige
Endung)
trennbare/untrennbare Verben
Dt. als plurizentrische Sprache
(Standardvarietäten)
Höflichkeitsformen (Titel;
Du/Sie)
Modalverben
algorithmische
Schaltungsoperationen
Weltsicht
-
-
inhärent
Zischlaute
r
Konsonantenhäufung
abstandsbedingt
ö, eu, etc. = Laute, die man aus
AS nicht kennt
AS, die K.-h. nicht kennt =>
„Sproßvokal“ (wird
eingeschoben): z.B. Kalib statt
Kalb = Wahrnehmung der Wörter
in der Struktur der AS (Laute und
Verschriftlichung unterscheidet
sich in den Sprachen)
Kasus (AS Englisch, evtl. Frz.)
ähnliche Präfixe mit anderer
Bedeutung
falsche Freunde, z.B.
become/bekommen,
pregnant/pregnant
Pluralbildung
Bereich der Flexion
keine Verwandtschaft
anderes grammatisches
Geschlecht in der AS
Wortstellung wenn AS vom Dt.
abweicht (z.B. Inversion)
andere Mechanismen in der AS
Textsortenkonventionen, Register
im Text, Stilmittel, etc.
AS kennt andere Modalverben
Die Wahrnehmung
o diese Schwierigkeiten können subjektiv unterschiedlich sein und hängen ab von einer
Reihe von Faktoren
 bisherige Spachlernerfahrungen
 Ausgangssprache(n)
 Motivation
 Unterrichtsmethoden
 etc.
Wie schwierig ist Deutsch? – Umfrage aus der Dissertation
o Mittelwert ist deutlich niedriger als die Gesamteinschätzung, wie schwer Deutsch ist (A:
ungarische Deutschlernergruppe, B: heterogene Gruppe) => sagt einiges über den Ruf
der deutschen Sprache als schwere Sprache
18
o
v.a. Artikel als schwierig empfunden, außerdem: Konjugation, Deklination, Präpositionen,
Wortstellung, Wortschatz
29.4.2014
GÜM
-
Grammatik-Übersetzungsmethode
Texte werden analysiert und übersetzt
ausgehend von Regelgrammatik
Sprachvergleich
o als Regelvergleich
 Vergleich der Grammatik von Ausgangs- und Zielsprache
o durch Übersetzung
Kontrastive Linguistik
-
-
Robert Lado: Linguistics Across Cultures. Applied linguistics for language teachers
o angewandte Sprachwissenschaft: wissenschaftliche Erkenntnisse didaktisch umsetzen
ausgehend von Amerika
Wunsch nach effektiverem Fremdsprachenunterricht
Suche nach „typischen Fehlern“
Sprachvergleich als Aufspüren von Unterschieden (negativer Transfer: Interferenz)
o negative Interferenz: Struktur aus Muttersprache oder anderer beherrschter Sprache
übernehmen und dadurch in Zielsprache Fehler produzieren
Kritik:
o „Fehlervorhersage“ (von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, Sprachenhintergrund
ist nur ein Faktor unter vielen, jedoch gibt es Trends zu bestimmten Fehlern, von denen
1/3 auf Interferenzen zurückzuführen ist)
o Fokus auf Probleme
o Ausblendung der Lernerleichterung von Interferenzen
Sprachbewusstheit
-
Sprachbewusstheit, Sprachaufmerksamkeit, language awareness
wurde in den 70er Jahren zum Thema, Zusammenhang mit sekundärem Analphabetismus
Vergleich zwischen Sprachen fördert die Sprachbewusstheit: Wie können ähnliche Inhalte in
unterschiedlichen Sprachen ausgedrückt werden?
Strukturen nicht selbstverständlich nehmen (Bsp. Gute Fliege)
19
Sprachvergleich als Lernerstrategie
-
-
-
kurzer Trend, Sprachvergleich zurückzudrängen und im Fremdsprachenunterricht die
Ausgangssprache nicht mit einzubeziehen – danach Sprachvergleich wieder mehr in den
Vordergrund getreten
als Lernerleichterung (z.B. im Bereich Datenspeicherung)
positiver Transfer soll ermöglicht werden
Studie Wildenauer-Józsa 2005:
o Lernende vergleichen bei Grammatik und Wortschatz
o knapp ¾ d. ProbandInnen erkennen Ähnlichkeiten im Sprachsystem
o knapp 2/3 sehen Unterschiede
spezielle Form: Interkomprehension („EuroCom“ ist die Methode dazu; Bücher)
o Texte in fremder Sprache erschließen
 z.B. man hat Französisch gelernt, versucht dann einen spanischen Text zu lesen
=> Grundverständnis des Textes ist möglich, v.a. bei Sprachen aus einer
Sprachfamilie
o slawische, germanische und romanische Sprachen (dazu Bücher erschienen)
 Ähnlichkeiten von Sprachfamilien werden beschrieben, strukturelle
Ähnlichkeiten können festgemacht werden
Tertiärsprachendidaktik
-
-
aufbauen auf L1 und auf L2 etc.
Erlernen einer 2. Fremdsprache
o B. Hufeisen: zweite Fremdsprache wird qualitativ anders gelernt als die erste, Situation,
eine Fremdsprache zu lernen, ist keine neue mehr + man hat mehr Sprachen, auf die
man zu rückgreifen kann (linguistischer Aspekt)
sehr häufig: Deutsch nach Englisch
Transfer von Sprachwissen
Strategietransfer
Faktorenmodell (Hufeisen) => Faktoren, die das Tertiärsprachenlernen beeinflussen können:
o neurophysiologische Faktoren
 Lernen im Gehirn (gesundes/geschädigtes?)
o lernerexterne Faktoren
 Rahmenbedingungen
 Kontext des Lernens (Pflichtfach, freiwillig, etc.)
 intrinsische und extrinsische Motivation
o emotionale Faktoren
 Beziehung zur Sprache
 Ruf der Sprache in der jeweiligen Institution?
o kognitive Faktoren
 Umgang mit Sprache
 Lerntypen
 Regeln fürs Sprachenlernen
o fremdsprachenspezifische Faktoren
20
o
 Lernen von Fremdsprachen, lernerspezifisch
 Strategien des Lernens
linguistische Faktoren
 Vergleich der einzelnen Sprachen
 sprachinterne Aspekte
Mehrsprachigkeitskonzepte
-
-
-
-
alle Sprachkenntnisse als wertvoll anerkennen, müssen nicht bereits ein bestimmtes Niveau
haben
im Bereich DaZ: Aufwertung der Erstsprachen
Sprachkompetenzen in mehreren Sprachen verbessern
Sprachenrepertoires statt „Sprachsäulen“
o Sprachkompetenzen werden nicht alle gleichzeitig und kontinuierlich besser
o DMM: Dynamic Model of Multilingualism (dynamische Entwicklung von
Sprachrepertoires)
 Energie und Aufwand, eine Sprache zu lernen und auch für das Erhalten einer
Sprache
dynamische Entwicklung des Sprachenrepertoires
Rollen und Funktionen von Sprachen: Recency & Proficiency, Sprachverwandtschaft
o Proficiency: Sprachkenntnisse
o Recency: wie aktuell ist die Sprache für mich?; wirkt sich auf Proficiency aus
s. Spracheportraits:
o in verschieden Regionen des Körpers werden Sprachen eingezeichnet und der Ort dann
begründet
Beispiele:
o Wandruszka (1979): Mehrsprachigkeit des Menschen, innere Mehrsprachigkeit
o !! B. Busch (2013): Mehrsprachigkeit
Anwendungsbeispiele
A) Ungarisch
-
-
agglutinierende Sprache
 grammatikalische Informationen werden an den Wortstamm „angehängt“
 man sagt also nicht „mein Haus“ oder „im Haus“, sondern a házam (das Hausmein) oder a házban (das Haus-in)
o „endlos lange“ Wortketten“
 man kann auch mehrere Suffixe aneinanderhängen, so entstehen sehr lange
Wortketten
 z.B. der Ein-Wort-Satz, oder auch „ich liebe dich“ in einem Wort: „szeretlek“
 auch das Deutsche ist bekannt für lange Wortketten
Besitzkonstruktion
o Ungarisch hat kein Verb für „haben“
21
o
kennen Sie andere Sprachen, die auch kein Verb für „haben“ kennen? – z.B. Russisch,
Arabisch
o Welches Verb wird stattdessen verwendet, um Besitz auszudrücken?
 mit sein: „mir ist“
o ung. „nekem van“ = mir ist (Tabelle auf Folie!)
Übung:
Platte: lemez
Nekem van egy lemezem.
Kind: gyerek
Nekem van egy gyerekem.
Messer: kés
Nekem van egy késem.
Kleiderkasten: szekrény
Nekem van egy szekrényem.
Eselsbrücken: Dialekt
o manche ungarischen Konstruktionen entsprechen Dialektwendungen aus dem
Deutschen, so kann man sie sich leicht merken
o Beispiel: Können Sie die Wendung übersetzen?
 „A gyereknek az útlevele“ = wörtlich: dem Kind sein Reisepass
 „a szomszédnak a gyereke“ = dem Nachbarn sein Kind
B) Polnisch
-
LV: Schlagzeilen – Was können Sie verstehen?
22
Valenz und Dependenz
-
Grammatiktheorie und Grammatikmodelle
o Dependenz-, Verbgrammatik
o Generative Grammatik
Wortarten und Satzglieder
-
Unterschied zwischen Wortart und Satzglied?
o Wortart (z.B. Substantiv, Verb, Adjektiv, etc.): Klassifikation von Wörtern nach
gemeinsamen grammatischen (u.a. morphologischen) Kriterien
o Satzglied (z.B. Subjekt, Prädikat, Objekt, etc.): Klassifikation von Wörtern und
Wortgruppen nach ihrer Funktion im Satz
Beispiel:
Emil steht neben der Frau im Sessel.
Wortarten: Substantiv, Verb, Präposition, Artikel, Substantiv, Präposition + Artikel, Substantiv
Satzglieder: Subjekt, Prädikat, Adverbialbestimmung
Ambiguität: Mehrdeutigkeit
Dependenz- und Valenzgrammatik
-
begründet vom frz. Strukturalisten Lucien Tesnière
sein zentrales Werk „Eléments de syntaxe struturale“ 1959 posthum veröffentlicht
von Ulrich Engel ins Deutsche übersetzt (1980)
zentrale Idee: regierende und regierte Elemente => Dependenzordnung, lässt sich mit Hilfe einer
Baumstruktur (Stemma) darstellen
6.5.2014
Terminologie
-
Dependenzen: Abhängigkeiten im Satz
Nukleus/Nuklei: Kern(e), einzelne Elemente des Satzes, die durch Abhängigkeitsbeziehungen mit
anderen Elementen verbunden sind
Konnexion: Verbindung zwischen zwei Kernen
Aktanten: die vom Verb regierten Kerne
Rektion: eine Konstituente wird durch eine andere festgelegt (regiert); z.B. regieren Verben
bestimmte Fälle oder Präpositionen
Dependenzrelationen werden durch Knoten und Kanten dargestellt
Dependenzordnung
-
Verb: oberster Knoten, regiert den Satz, ist „régissant“ (I)
Substantiv: dem Verb untergeordnet („subordonné“); „régissant“ von Adjektiven (O)
Adjektiv: dem Substantiv untergeordnet, kann Adverbien regieren (A)
Adverbien: einem Adjektiv oder auch direkt einem Verb untergeordnet (E)
23
Beispielsatz: Emil schreibt manchmal (sehr) gute
Aufsätze.
Verb (I) = schreibt
Substantiv (O) = Emil, Aufsätze
Adjektiv (A) = gute
Adverb (E) = manchmal
Verb regiert den Satz
direkte Abhängigkeit vom Verb: Emil und
Aufsätze, manchmal
„gute“ vom Substantiv „Aufsätze“ abhängig
Adverb „sehr“ würde vom Adjektiv abhängen
Kürzel bei Tesnière
-
Verb: I
Substantiv: O
Adjektiv: A
Adverb: E
 Die Abkürzungen kommen aus den Endungen der Wortarten in Esperanto:
z.B. domo (Haus), doma (häuslich), tre (sehr), skribi (schreiben)
Abhängigkeiten darstellen
-
Darstellung von Abhängigkeitsbeziehungen durch Baumstruktur (Stemma) dargestellt (Folien!!)
Bsp.: Mein kleiner Bruder singt dieses sehr alte Lied wunderschön. (Lösung auf der Folie)
o Probleme:
 „wunderschön“ ist ein Adjektiv, hier adverbial gebraucht (s. System kommt aus
dem Französischen, hier wäre es ein Adverb) – Satzgliedebene:
Adverbialbestimmung (das Problem bzgl. Wortarten wäre hier ausgeklammert)
 Artikel finden in Kürzel-Setzung keine Beachtung
Grenzen und Probleme
-
„semantisch leere Wörter“ können so nicht (gut) dargestellt werden
Tesnière beschreibt sie als Junktion (z.B. Konjunktionen) und Translation (z.B. Präpositionen)
Translative können z.B. ein Wort der Klasse „Substantiv“ in der Klasse Adverb überführen
o Bsp.: Emil steht neben der Frau im Sessel.
alle vom Verb abhängigen Elemente werden mit den gleichen „Strichen“ dargestellt – alles sieht
gleichrangiger aus, als es tatsächlich ist
Subjekte stehen gleichberechtigt neben Objekten
es wird oft nicht sauber zwischen Syntax und Semantik unterschieden
und auch nicht immer sauber zwischen Wortarten / Satzgliedern
Valenztheorie
-
Teiltheorie der Dependenzgrammatik
vgl. Chemie: „Wertigkeit“ der Elemente (ein Atom hat verschiedene Wertigkeiten und kann
unterschiedlich viele andere Atome an sich binden)
o Verb: kann unterschiedlich viele Aktanten an sich binden; Anzahl der Aktanten = Valenz
des Verbs
o aber: die Valenz muss nicht immer ausgeschöpft werden (z.B. bei „lesen“)
24
Wie viele Aktanten kann ein Verb binden?
-
Valenz gibt die Anzahl der Argumente an:
o
o
o
o
-
-
-
-
-
0-stellig
1-stellig: intransitiv (Subjekt + Prädikat)
2-stellig: transitiv (Subjekt + Objekt + Prädikat)
3-stellig: bitransitiv (Subjekt + Prädikat + 2 Objekte)
0-stellig:
o es gibt kein semantisches, handelndes Subjekt
o die syntaktische Stelle des Subjekts wird vom unpersönlichen „es“ eingenommen
o z.B. regnen, schneien, donnern, blitzen
1-stellig:
o intransitiv
o handelndes Subjekt, aber kein Objekt (können nur hinzu gegeben werden, wenn Verben
eine Stelle dafür bieten, Adverbialergänzungen kann man in jeden Satz problemlos
einfügen, ist dann aber kein Objekt)
o z.B. schlafen, wiehern, gehen, schnarchen, sitzen, telefonieren
2-stellig:
o transitiv
o Subjekt und Objekt
o Verb regiert auch einen bestimmten Fall:
 Akk.: schlagen, nehmen, heben, betrachten, streicheln, lieben, essen trinken, …
 Dat.: helfen, gehören, ähneln, verzeihen, …
 Gen.: gedenken, bedürfen, ermangeln, … (werden allgemein im Gebrauch immer
weniger, seltene Verwendung von Lernenden, in bestimmten Registern, z.B.
Wissenschaft, noch häufiger verwendet – Niveau C1/C2)
3-stellig:
o bitransitiv
o Subjekt und 2 Objekte
 Akk. & Dat.: geben, schulden, schenken, widmen, … (sehr häufig)
 Akk. & Gen.: beschuldigen, zeihen, …
 Funktionsverbgefüge:
 Akk. & Präp.: beglückwünschen, verraten (an), hindern, bitten
 Dat. & Präp.: trachten, danken (für), …
weitere Argumente von Verben:
o Präpositionalobjekt: achten, warten, …
o reflexiv: abmühen, auskennen, beeilen, verlieben, weigern, …
o finiter Satz: glauben, meinen, fragen, behaupten, wissen, …
o infiniter Satz: versuchen, versprechen, befehlen, scheinen, …
in Didaktik gebraucht:
Valenzwörterbücher (hier ist es dann wichtig, alle Varianten anzugeben)
25
Relevanz für den Unterricht
-
Valenzbegriff wurde sofort für den Unterricht adaptiert, noch bevor es eine
fundierte/einheitliche Theorie gab
Anwendbarkeit war auch der Motor der Valenztheorie
schon Tesnière hat eng mit LehrerInnen zusammengearbeitet
Didaktisierungsversuche seit den 70er Jahren, allerdings keine Methoden an sich vorhanden,
aber man kann damit Inhalte gut veranschaulichen
Vorteile im Unterricht
-
Hilfe bei der Veranschaulichung
Nachvollziehbarkeit
analytische Fähigkeiten können trainiert werden; das hilft schließlich auch bei der Produktion
und der Beurteilung eigener Äußerungen
verfeinerte Einträge in Wörterbüchern
Erstellung spezieller Valenzlexika (können für Wissenschaft herangezogen werden: kontrastive
Analysen)
diese können als Grundlage für kontrastive Analysen dienen
Nachteile/Probleme
-
Abgrenzung zwischen obligatorischen Angaben, Ergänzungen und freien Angaben
Einsicht in die Nützlichkeit ist noch keine Didaktisierung (Valenzwörterbücher sind kein direkt
einsetzbares Unterrichtsmaterial)
kritische Stimmen von Anhängern der „kommunikativen Kompetenz“: situative Zusammenhänge
werden nicht erfasst
Wertigkeit muss nicht immer ausgeschöpft werden (es läuft; sie liest, ich helfe) und ist nicht
immer ganz eindeutig zu bestimmen
Kritik: im kommunikativ orientierten Fremdsprachenunterricht stehen Mitteilungsinhalte und
Sprechintentionen im Mittelpunkt
o daher: fraglich, ob Grammatikmodell sinnvoll ist, das auf morphosyntaktische Ebene
konzentriert
 also sind Verwendungskontexte nötig, um sinnvoll damit arbeiten zu können
Beispiele:
Lexikalische Variation
-
Valenz ist nicht immer ganz eindeutig zu bestimmen
Bsp.:
o Peter glaubt ans Glück.
o Peter glaubt, dass er gewinnt. (finiter Satz)
o Peter glaubt jede Geschichte.
o Peter glaubt ihn zu kennen. (infiniter Satz)
o Peter glaubt. (situativ: religiöse Konnotation)
26
Abhängig von Verwendungskontexten
-
Bsp.:
o
o
o
Wir haben dieser Einrichtung schon genug Geld gespendet. (bitransitive Valenz ist voll
ausgeschöpft)
Wir haben schon Geld gespendet. (kommunikativer Kontext: es ist schon klar, wem
gespendet wurde)
Wir haben schon gespendet. (im kommunikativen Kontext ist klar, was gespendet wurde;
Aktanten werden aus dem Kontext mitgedacht => Semantik, funktioniert mit Syntax
alleine nicht)
Trotz der Einwände…
- herrscht Einigkeit darüber, dass das Modell zumindest ansatzweise brauchbar ist
- Didaktisierungsversuche seit den 70er Jahren
(FOLIE)
Konzept der Tiefenkasus (Fillmore)
-
-
Einfach nur Nominativ?
 Der Junge warf den Ball.
 Der Junge erhielt einen Schlag.
 Der Junge erhielt ein Geschenk.
o Vorstellung vom Nominativ als handelnder Instanz, jedoch ist das semantisch nur im
ersten Fall gegeben, auf tieferer Ebene sind die beiden anderen Beispiele etwas Anderes
Kasusgrammatik (1968)
o Beispiele:
 Der Junge warf den Ball. (Agens)
 Der Junge erhielt einen Schlag. (Patiens)
 Der Junge erhielt ein Geschenk. (Benefaktiv)
o semantische Rolle eines Aktanten ist oft durch die grammatische Rolle unterdeterminiert
( = nicht ausreichend bestimmt)
o Tiefenkasus / semantische Rollen: Agens, Instrumental, Objektiv, Dativ (Rezipient,
Benefaktiv, Experiencer), Lokativ (Ort der Handlung)
27
Generative Grammatik
-
-
baut auf vorhergehenden Theorien auf
o Kasustheorie
o Dependenzgrammatik
o Strukturalismus
o Valenzgrammatik
es geht darum, dass Sprache mit Strukturkonzepten beschrieben wird, ähnlich der Mathematik =
Versuch der Entwicklung von Formeln für sprachliche Strukturen
es soll Verfahren angegeben werden, das gestattet, die Menge der möglichen Objekte in den
beiden Bereichen Mathematik und Sprache mit endlichen Mitteln zu konstruieren = generieren
Unterscheidung:
o mögliche Wortfolgen
o sinnvolle Sätze (Semantik spielt hier eine Rolle, nur auf dieser Ebene zu entscheiden)
Bsp.: Über allen Gipfeln ist Ruh. /*Gipfeln Ruh allen über ist. = mögliche Wortfolge, aber kein
sinnvoller Satz mehr
Konstituentenstruktur
-
grundlegendes Konzept der Generativen Grammatik
Sätze und Phrasen sind intern strukturiert
sie bestehen aus mehreren Konstituenten.
o Bsp.: Die Katze frisst einen Vogel.
Konstituenten können durch die Anwendung mehrerer Tests ermittelt werden: IC-Analyse
(immediate constituent analysis)
o Substitutionstest: K. können durch andere Wortfolgen ersetzt werden. (Die Katze/Der
Tiger)
o Pronominalisierungstest: K. können durch Proformen ersetzt werden. (Die Katze/Sie)
o Fragetest: K. können als ganzes erfragt werden (Wer?)
o Topikalisierungstest: K. können an die Satzspitze verschoben werden (Betonung kann
sich ändern)
o Parenthesentest: Einschübe nur zwischen zwei K. möglich (z.B. Die Katze frisst – glaube
ich – einen Vogel.)
o Koordinationstest: K. lassen sich durch Konjunktionen verbinden
28
13.5.2014
Phrasenstrukturregeln
-
-
als Baumstruktur:
 S  NP VP
 VP  V NP
 NP  Det. N
o Anhängigkeiten werden anders dargestellt als in der Dependenzgrammatik (nicht vom
Verb ausgehend, sondern vom ganzen Satz, starke Abstrahierung)
Darstellung mit Klammern:
o [S [NP [ Det. Die] [N Katze]] [VP [V frisst] [NP [Det. einen] [N Vogel]]]]
Generative Grammatik: Anwendung im Unterricht?
-
Transformationstests, um die Struktur von Sätzen zu verstehen
Einsichten in das Funktionieren von Sprache
Veranschaulichung von Strukturen in Sätzen
nützlich für Textrezeption und Textproduktion
Grenzen der (direkten) Anwendung:
o GG ist sehr komplex weiterentwickelt, interessante deskriptive Erklärungen tw. auch
sprachlicher Details
o „kontextfreie“ Sprachbeschreibung: Pragmatik fehlt!
o als Hintergrundwissen für Lehrende sehr brauchbar: hilfreich um Antworten auf die
Frage „Warum ist das so?“ zu finden
Beispiel für Koreferenz: Er = Fritz?
= Bezüge, 1 oder 2 Personen
Fritz wollte ins Bett gehen, nachdem er gegessen hatte.
 möglich, dass „er“ Fritz ist, allerdings nicht sicher, da das vom Kontext (umliegende Sätze)
abhängig ist
Nachdem er gegessen hatte, wollte Fritz ins Bett gehen.
 hier ist es wahrscheinlicher, weil der Nebensatz vorne steht, aber sicher ist es hier auch nicht
Nachdem Fritz gegessen hatte, wollte er ins Bett gehen.
 auch hier nicht zweifelsfrei festzustellen
Er wollte ins Bett gehen, nachdem Fritz gegessen hatte.
 hier ist es eindeutig, dass es zwei verschiedene Personen sind.
-
keine lineare, sondern eine hierarchische Beziehung – sind aber nicht immer so leicht zu
erkennen
- Pronomen im vorangestellten Nebensatz: Anapher
- Pronomen im vorangestellten Hauptsatz: Verweis auf andere Person
wichtig für Textkohärenz!
29
Mitteilungsgrammatik
Ausgangsfragen
-
Progression in Lehrwerken und Unterricht
Was soll wann und wie gelernt werden?
Wonach wird der Stoff gegliedert?
o nach formalgrammatischen Kriterien
o nach kommunikativen Bedürfnissen (z.B. Grammatik in Feldern)
didaktisch-methodischer Kontext
-
-
Spannungsfeld zwischen zwei Polen: zwischen grammatikzentriertem und „grammatikfreiem“
Unterricht
o grammatikzentriert
 kommunikative Inhalte und kommunikative Kompetenz kommen zu kurz
o grammatikfrei (Folie!)
hier: Verbindung beider
o Kommunikation und Grammatik nicht als Gegenpole sehen
o Entwicklung in den 80ern: „Kommunikative Grammatik und Deutschlernen mit
ausländischen Arbeitern“ – Titel ist Kind seiner Zeit
Hans Barkowskis Ansatz zu einer Mitteilungsgrammatik
-
-
-
-
Kontext/Ausgangslage:
o (türkische) „Gastarbeiter“ in Berlin
o 70er und frühe 80er Jahre (merkt man auch an der Terminologie)
hat festgestellt:
o haben tw. ungesteuert Grundkenntnisse und (eingeschränkte) kommunikative
Kompetenz erworben, sind keine Anfänger mehr (wichtig: Strukturen nachliefern, wird
nicht automatisch erworben)
o sprechen „Gastarbeiterdeutsch“ (GAD)
o haben ganz spezielle Lern- und Kursbedürfnisse
o die angebotenen Kurse gehen großteils an der Zielgruppe vorbei
Spracherwerbssituation der „Gastarbeiter“
o Kontaktgrad: eingeschränkt: Entstehung von „Ausländervierteln“ mit entsprechender
Infrastruktur
o Missverständnisse und Nichtverstehen werden oft mit höflichem Nicken abgetan
o Input: varietätenreich (v.a. bei germanischen Sprachen der Fall); stimmt nicht mit
Kursmaterialien überein
Sprachlernsituation: DaZ ist nicht DaF!
o Unterricht geht oft an den Bedürfnissen vorbei:
 einerseits Unterforderung und Desinteresse in Anfängerkursen (einfache
alltagssprachliche Situationen können auch ohne Kurs bewältigt werden)
 andererseits Frustration durch Fehlerkorrektur
 außerdem: oft unrealistische Erwartungen der Lernenden (Kurs als
„Wundermittel“)
30
GAD
-
-
-
-
„die einer diskriminierten und benachteiligten ethnischen Minderheit – mehr oder weniger –
aufgezwungene Sprache, mit der sich ihre Benutzer in einer eigentümlichen Mischung aus
Ablehnung, Resignation und Trotz möglicherweise allmählich zu identifizieren begonnen haben.“
Pidginisierung und Fossilisierung
o Fossilisierung: man lernt sich Fehler ein, werden einzementiert, kein Lernprozess mehr
o Pidginisierung: es entsteht eine Sprache, die mit Zielsprache etwas zu tun hat, aber ihr
nicht entspricht – häufig stigmatisiert, gesellschaftlich nicht gut anerkannt
„die beschädigten oder defizitären Resultate der individuellen Versuche unserer ausländischen
Mitbürger, nahezu ohne jede staatliche, institutionelle und weitgehend auch ohne individuell
menschliche Unterstützung durch die deutsche Gesellschaft, durch Zuhören und ein bisschen
Unterricht in ihrer eigenen Freizeit die Sprache des Landes zu lernen ,was sie ausschließlich zur
Mehrung von Wohlstand und Wohlleben der eigenen Bevölkerung ins Land geholt hat.“
Charakteristika:
o formelhafte, ritualisierte Versatzstücke von Kommunikation (diese Chunks verleiten
leicht dazu, die dt. sprachliche Kompetenz zu überschätzen)
o Defizite, Fehler und Unsicherheiten im formalen Bereich (Lexik, Syntax, Morphologie)
o Missverhältnis zwischen Mitteilungsbedürfnissen und deutschsprachlicher Kompetenz
Studie GAD
-
-
Forschergruppe mit und um Barkowski untersuchte ein Korpus von 2000 Seiten tanskribierter
Äußerungen von „GastarbeiterInnen“
Ergebnisse:
o typische Fehler:
 Abweichungen in Phonetik und Intonation (auch sozial wichtig!, s. Akzente)
 semantisch unscharfe bis falsche Verwendung von Vokabular und Phrasen
 (regelhafte) Abweichungen im morphosyntaktischen Bereich (z.B. Verwendung
von Endungen)
o nahezu nicht vertreten: (v.a. solche Konstruktionen, die höheren Sprachregistern
zuzuordnen sind)
 Passiv
 Konjunktiv
 Infinitivkonstruktionen
o Nebensätze:
 beinahe ausschließlich „dass“ oder „wenn“; so gut wie keine anderen Typen
(Begründungen damit sehr schwer auszudrücken)
Konsequenzen für die kommunikative Kompetenz?
o Alltagskommunikation im Sinne von Smalltalk oder einfacherem Informationsaustausch
meist gesichert
o differenzierte Kommunikation aber erschwert
o Anliegen, Bedürfnisse oder Beschwerden können schwerer argumentiert werden
o daraus folgen Missverständnisse und schwierigere Stellung in der Gesellschaft
31
Desiderate an ein Sprachvermittlungsmodell (DfaA)
-
Kluft zwischen Mitteilungsbedürfnissen und sprachlichen Mitteln schnell, ökonomisch und
effektiv abbauen
Zusammenhang zwischen kommunikativer Kompetenz und sprachlichen Mitteln reflektieren:
o Anleitungen für die Herstellung sprachlicher Äußerungen transparent und produktiv
nutzbar machen
o Binnendifferenzierung möglich machen
Zielsetzung
-
ein „funktionalistisches Modell der Zuordnung von Mitteilungsintentionen und
formalsprachlichen Mitteln zu deren Realisierung“
ge3gliedert in „Mitteilungsbereiche“ (Großklasse von Sprachhandlungen)
„flexibel nutzbare, Lehrbuch-unabhängige didaktische Orientierungsgrundlage“
Exkurs: Sprachakttheorie (Austin, Searle)
- sprachliches Handeln
- Verknüpfung von formalsprachlichen und Kommunikativen Aspekten
- Unterscheidung zwischen Teilakten des Sprachakts:
o Lokution: Äußerungsakt, Realisierung der Muster eins Sprachsystems
o Proposition: Inhaltsaspekt, Aussage über die Welt
o Illokution: sprachliches Handeln, Absichten der/des Sprechenden
o Perlokution: beabsichtigte Reaktion des/der Hörenden
Bsp.: „Der Hund ist bissig.“
Lokution: korrekt / nicht korrekt (Sprachrichtigkeit)
Proposition: wahr / falsch
Illokution: je nach Kontext; geglückt / nicht geglückt (Botschaft angekommen oder nicht)
Peroluktion: Reaktion, erfolgreich / nicht erfolgreich
Klassifikation von Sprechakten:
- Austin verfolgte dieses Ziel nur ansatzweise
- erste Klassifikation nach der Illokution: Warnung, Vermächtnis, Wette, Versprechen, Taufe, etc.
- Nachteil: kaum möglich, zu überschaubarer Liste zu kommen
- Searle versucht Klassifikation durch Verbindung von Lokution und Proposition
o repräsentative Sprechakte: Darstellung von Welt, Aussage, Erzählung, Behauptung
(informativ)
o direktive S.: Forderungen (appellativ)
o kommissive S.: Verpflichtung wird von Sprecher/in eingegangen
o expressive S.: soziale Kontakte werden etabliert und aufrecht erhalten: danken , grüßen
o deklarative S.: institutionell eingebunden, offiziell, ritualisiert (taufen, verurteilen)
Relevanz für den Sprachunterricht?
- brauchbare Analysekategorien von Äußerungen
- aber wenig hilfreich bei ihrer Produktion
- Grundtypen sehr allgemein
32
o
Zuordnung formalsprachlicher Erscheinungen nicht systematisch möglich
Sprechakttypen bei Barkowski
-
-
Beispiel: „Wo kann man sich hier die Hände waschen?“
o Frage
o Bitte
o eine Information einholen
o eine zur Durchführung einer bestimmten Handlung notwendige Information einholen
o eine Lagebezeichnung erfragen
o unter Verwendung einer Tabu-Periphrase nach der Lage einer Toilette Fragen
Sprechaktdefinitionen sind so beliebig und heterogen, wie es jeweiligen
Untersuchungsinteressen begründen + Vielzahl von Kommunikation möglich
Sprache: unendliche Ausdrucksmöglichkeiten mit endlichen (begrenzten) Mitteln
Mitteilungsgrammatik
-
-
in zyklischer Progression auf wiederkehrenden Sprachhandlungen aufbauen
Mitteilungsbereiche definieren
 Suche nach allgemeinen Funktionen menschlicher Sprechtätigkeit
 Zuordnung zu Sprachmitteln muss möglich sein
 Modell soll als Progressionsmodell fungieren können
 für unterschiedliche Eingangsniveaus brauchbar sein (zyklische Progression: an
jedem Punkt einsteigen können)
o kommunikatives Gliederungsprinzip:
 kommunikative Teillernziele
 integrativ mit formalem Sprachbau verbinden
o System-Merkmale:
 müssen der Menge nach übersichtlich sein
 inhaltliche Abgrenzung
 möglichst vollständiges Repertoire an sprachlichen Handlungen /
kommunikativen Funktionen
 Zuordnung von Sprachmitteln zugänglich
o Schwierigkeiten:
 z.B. Situation, Thema, Inhalt: als Gliederungsschema zu weitmaschig und zu
wenig zu Strukturmerkmalen zuordenbar
 System muss sprachliche Mittel weitgehend vollständig erfassen
 nachvollziehbar sein
 nicht zu kompliziert
 nicht zu abstrakt
Suche nach Antworten in der Philosophie
o Grundkategorien der Wirklichkeit
 Aristoteles, Kant, Hegel, marxistisch-leninistische Philosophie
o keines der Systeme war 1:1 übertragbar, aber alle haben die Überlegungen beeinflusst
33
Grundkategorien bei Barkowski
-
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-
-
-
Existenz: wahrnehmbares Dasein
o Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein
o „Da hinten ist doch was!“
o ist / es gibt
Qualität: Identifizierbarkeit
o Identität: „Das bin ich.“ „Das ist das Buch.“
o Merkmale und Eigenschaften, z.B. Adjektive, Attribute
o Bewertungen: v.a. Adjektive
Quantität: messbar, zählbar
o Zahlen, Maße und Gewichte: doppelt so viel wie, zehn Kilo, drei Kilometer, etc.
o das subjektive Maß: sehr kalt, ziemlich leise, etc.
Raum: räumliche und örtliche Beziehungen
o Wo? Woher? Wohin?
o wichtige Kategorie: Präpositionen
o Distanzen: entfernt, weiter, zurück, nach, …
Zeit: dem Zeitfluss unterworfen
o Zeitpunkt, Zeiträume, Zeittakt
o übergreifend: Zeitstufen und Zeitverhältnisse
Bewegung: Prozesse, Veränderung, Stoffwechsel, Reaktionen, Lebensäußerungen
o Eingriffe: impfen, sägen
o Zugriffe: streicheln, schlagen
o Aneignung: einstecken, lesen, lernen
o Tausch: einkaufen, kassieren
o Konsumtion: essen, trinken,
o Fortbewegung: hüpfen, gehen (intransitive Verben)
o Transport: tragen, liefern, holen, bringen (transitive Verben)
o Erkundung: suchen, beobachten
o Emotionen/psychisches Erleben: Liebe, Traurigkeit
o Interaktionen: Spiel, Zusammenstoß
o Denken: überlegen, grübeln
o Sprachhandeln: drucken, schreiben
o akustische und optische Erscheinungen: tönen
o Naturphänomene: es regnet, die Erde bebt
o Restkategorie: was sonst nicht passt: helfen, schenken, täuschen
Beziehung: Zusammenhänge, Zuordnungen, Abhängigkeiten
o Identitätsbeziehung: dasselbe wie immer
o Qualitätsbeziehung: mir ist warm genug
o räumliche B.: Abstände
o Zeit-B.: Sei bitte pünktlich!
o weitere: nebeneinander, gegenüber, Mittel, Zugehörigkeit, Projektionen, Kausalität,
Folge, Ziel/Zweck, Konditionalbeziehung, Möglichkeit/Unmöglichkeit
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Aussichten
-
Barkowski versteht die Ausführungen als Skizzen und Ausblicke
Zuordnung von Sprachmitteln und Sprachstrukturen müsste noch getroffen werden
Progressionen müssten definiert werden
Didaktisierung…
Leistungen
-
grundsätzlicher neuer Ansatz
ganzheitliche Betrachtungsweise: Anspruch, Grammatik und kommunikative Kompetenz zu
verbinden
Bewusste Überwindung der Trennung zwischen Lexik und Grammatik
eingehen auf Kommunikationsbedürfnisse der Lernenden
Forderung, von authentischem Sprachmaterial auszugehen
Beschäftigung mit der „Versprachlichung von Wirklichkeit“
Grenzen und Probleme
-
Zuordnung der Sprachmittel zu den Mitteilungsbereichen oft nicht eindeutig
Progression schwierig zu definieren
praktische Umsetzung aufwändig
Lehrmaterialien mit völlig neuer „Tiefenstruktur“, völlig neuem Aufbau wären nötig
hohe Anforderungen an Lehrende in der Umsetzung
…in Ehren gescheitert? (Rösler 2007)
-
-
„grammatische Progression“ relativ leicht überschaubar
„kommunikative Progression bezogen auf Sprechakte, Intentionen usw. ist hingegen nicht viel
mehr als eine Aufforderung, beim Design von Lehrmaterial die Vielfalt der
Kommunikationsweisen zu beobachten.“
„kommunikativ“ in der Praxis oft nur Oberflächenetikett
aber: Lehrmaterial-Datenbanken im Internet könnten neue Möglichkeiten eröffnen
Umsetzung und Kompromisse
-
o Ulrich Engel: Kommunikative Grammatik
o Buscha/Freudenberg-Findeisen u.a.: Grammatik in Feldern
Vollständigkeitsanspruch aufgegeben (alle sprachliche Mittel und für alle Zielgruppen brauchbar)
=> ausgewählte Zielgruppen und ausgewählte sprachliche Mittel
nehmen Einteilung nach kommunikativen Bedürfnissen vor
richten sich an Fortgeschrittene
Übungsgrammatiken
Engel: Kommunikative Grammatik
- allerdings: Kapitel 16 „Valenz“ = keine kommunikative Handlung / Bedürfnis!
o starker Bezug zur Valenz- und Dependenzgrammatik
o andere Einteilungen als bei der Mitteilungsgrammatik von Barkowski => unterschiedliche
Möglichkeiten der Einteilung von sprachlichen Mitteln
35
Grammatik in Feldern
- Person, Begründung, Bedingung, Absicht, Folge, Widerspruch, Vergleich, Aufforderung, Wunsch,
Vermutung
- es geht um komplexere Zusammenhänge (wieder andere Einteilung als bei Barkowski + engere
Einteilung)
Zusammenfassung
- integriertes Lernen von Lexik und Sprachstruktur
- mehrere Äußerungsmöglichkeiten bei ähnlichen Kommunikationsabsichten
- aber: kein Anspruch auf vollständige Erfassung der Wirklichkeit (Aufgabe der Vollständigkeit:
Funktionieren ist gegeben: von Äußerungsabsicht zu sprachlichen Mitteln)
- Mitteilungsbereiche werden dort definiert, wo sich sprachliche Mittel und
Kommunikationsabsichten offensichtlich treffen (wo keine offensichtliche Verbindung besteht,
ist die Sinnhaftigkeit einer Einteilung in Frage zu stellen)
20.5.2014
Kommunikative Grammatik als Unterrichtsmethode
Abgrenzung zu Mitteilungsgrammatik
-
-
-
Mitteilungsgrammatik:
o beschäftigt sich nicht mit didaktischer Umsetzung
o Progression nach Mitteilungsbereichen
o Versuch, sprachliche Strukturen bestimmten kommunikativen Inhalten zuzuordnen
Kommunikative Grammatik
o Unterrichtsmethodik (ganz konkrete Umsetzung)
o Progression kann sich nach Grammatik richten (muss aber nicht)
o zeigt Formen der Didaktisierung
o kein kommunikativer Fremdsprachenunterricht – nicht zu verwechseln! (sprachliche
Strukturen werden nicht ausgelassen)
Gemeinsamkeiten:
o Aufbau von kommunikativer Kompetenz
o Verknüpfung von Grammatik und kommunikativen Inhalten
o Sprachrichtigkeit und Anwendungsgebiete sind wichtig
Kommunikation
-
Mittel und Zweck sprachlicher Handlungen
Austausch von Infos durch sprachliche oder außersprachliche Interaktion
mind. 2 Akteure treten miteinander in Kontakt und beziehen ihr Handeln aufeinander
Zeichen:
- deiktische Zeichen: Zeigegesten
- ikonische Zeichen: Bilder
- Symbole: stark konventionalisierte Zeichen wie unsere (Schrift-)sprache (man weiß von
vornherein, was gemeint ist, muss nichts Bildhaftes mehr darstellen)
36
-
ein Zeichen ist nicht von vornherein ein Zeichen, sondern muss erst als solches interpretiert
werde (gilt für alle Arten von Zeichen: reines Zeigen ist noch kein Zeichen, Interpretation ist
notwendig, auch bei ikonischen Zeichen)
Wiener Methode der Bildstatistik (Otto Neurath/Gerd Arntz)
-
Zeichen entwickelt, um Statistiken zu visualisieren und zu vereindeutigen
ikonische Zeichen, die meist Symbolfunktion erhalten
Bilder auf Folie!
Beispiel: Verkehrszeichen
-
-
bunt bemalte Tafeln werden als Zeichen interpretiert und durch Konventionen verstanden:
o ikonische Zeichen
o Symbole
Vorrangstraße: rein symbolisch
Radweg, Achtung Kinder: Kombination, z.B. rotes Dreieck ist symbolisch, Fahrrad und Männchen
sind ikonische Elemente
Zeichen in der Kommunikation
-
-
Ferdinand de Saussure
o Vorstellung (Inhaltsaspekt), das Bezeichnete (Signifié)
o Lautbild (Ausdrucksaspekt), das Bezeichnende (Signifiant)
Karl Bühler
o Organonmodell:
 Sender (mit Vorstellungen) - Ausdruck
 Gegenstände und Sachverhalte (Außersprachliche Wirklichkeit, wie sie ist –
konstruktivistische Vorstellung) - Darstellung
 Empfänger - Appell (hier wird interpretiert)
 Schnittstelle: Zeichen
Kommunikation: Faktoren
-
Sender (Weltwissen, Einstellungen, Erfahrungen etc.) => Interpretation
Empfänger (ebenso) => Interpretation (Weltwissen, etc. hat Einfluss darauf)
Nachricht
Code (Sprache/n, nonverbale Signale, Visualisierung/Bilder etc.)
Situation, Kontext… (mehrschichtig: engerer Kontext, größerer Kontext (z.B. wissenschaftliche
Gemeinschaft), noch größerer (z.B. Europa) usw.)
Bsp.: Bedeutungsänderung durch Betonung
„Der Baum dort hinten stört mich.“
- DER Baum (nicht der andere)
- Der BAUM (nicht der Strauch)
- Der Baum DORT hinten (nicht da hinten)
- Der Baum dort HINTEN stört mich (nicht dort vorne)
- Der Baum dort hinten STÖRT mich (auch wenn er dir gefällt)
- Der Baum dort hinten stört MICH (nicht jemand anderen)
37
Kommunikation im Unterricht
-
-
sprachbezogene Kommunikation
o z.B. Übungssätze zu Übungszwecken
o Pattern drill (bestimmte Muster werden immer wieder wiederholt)
o Handeln an Sprache
o Kommunikation bleibt auf der Strecke => muss aber grundsätzlich nicht als Gegensatz
gesehen werden: auch bei Kommunikation auf Sprachrichtigkeit achten, etc.
mitteilungsbezogene Kommunikation (auch: inhaltsbezogene Kommunikation)
o Sprachanwendung in realen bzw. der Realität angenäherten Situationen (Ziele: Inhalte
transportieren, Meinung ausdrücken, Reaktionen hervorrufen)
o Handeln mit Sprache
Formale Strukturübung
-
Handeln AN Sprache:
Bsp. Lückentext: „Ich suche ein_ Campingplatz. Hier gibt es kein_ Campingplatz. Ich suche ein_
Tasche. Hier gibt es kein_ Tasche.“
o nötig zu wissen: Artikel kennen, Fälle, Endungen bilden
o einfach zu korrigieren (muss man auch nicht immer selbst), einfach zu programmieren
(auch online zu erstellen mit Selbstkorrektur), wenig Aufwand für Lehrende, wenig auf
Aufwand für Lernende (man muss nicht sehr viel denken dabei)
o man lernt nicht viel von der Sprache
o Was machen die Lernenden hier? Sie …
 analysieren (Formen werden angesehen und analysiert, dann richtig eingesetzt;
förderlich: Tabelle – durch immer wieder nachsehen wird gelernt)
 manipulieren vorgegebene Formen (kein Platz für Kreativität)
 können Aufmerksamkeit ausschließlich auf die vorgegebene Form konzentrieren
(vollständiges Verstehen ist nicht zwingen nötig, sehr selektiv)
 brauchen nicht auf den Inhalten achten
 brauchen keine kommunikativen Zwecke produzieren
Reale Kommunikation
-
Handeln MIT Sprache
viel komplexere Anforderungen, berücksichtig werden müssen:
o Inhalt (Bedeutung muss klar sein)
o Kommunikationssituation
o Wortschatz und Grammatik müssen selbständig kombiniert werden
o Aussprache, Intonation können die Kommunikation beeinflussen (Stigmatisierung,
Missverständnisse o.Ä.)
Wissen und Können
-
Wissen
o deklarativ
o „Wissen, dass…“
o Regelwissen
o kontrollierter Abruf
38
-
-
o wird durch Handeln AN Sprache geübt
o Sprachbewusstheit (wissen, warum man in welcher Situation was verwendet)
Können
o prozedural (Handlungswissen)
o „Wissen, wie…“ (Know how)
o Anwendung
o automatisierter Abruf
o wird durch Handeln MIT Sprache geübt
o braucht man hauptsächlich, wenn man eine Sprache lernt
beides ist wichtig!
Wissen automatisiert => Können
Grammatik und Kommunikation
Grammatik und Kommunikation sind keine Gegensätze!
Awareness/ Grammatik 
 wird geübt durch Kommunikation 
 selbständiges Sprachhandeln (durch die Kombination von Grammatik und Kommunikation)
Grammatik auch mit Texten zu üben, Schlagzeilen aus Zeitungen, etc. … nicht nur immer mit
unzusammenhängenden Übungssätzen)
-
Handeln an Sprache führt nicht automatisch zur Beherrschung der Formen im kommunikativen
Sprachgebrauch
und Kommunikation führt nicht automatisch zu Sprachbewusstheit
 im Unterricht haben sowohl Handeln AN Sprache (Formfokussierung; kognitives
Regelverstehen) als auch Handeln MIT Sprache (Aufbau kommunikativer Kompetenz) Platz
Sprachbewusstheit
-
von „Noticing“ zu „Awareness“: immer differenzierter
1. Regularität in der Zielsprache wird wahrgenommen
2. „Regel“ wird gelernt
3. Diskrepanz zwischen „Regel“ und Zielsprache wird bemerkt (Ausnahmen, etc.)
4. Unsicherheit, Variation
5. Regel wird ergänzt, differenziert, umformuliert
Inhalt vor Form!
„Grundregel: Lerner suchen nach Sinn und Bedeutung des Inputs, bevor sie sich mit der sprachlichen
Form beschäftigen.“
- Verstehen des Inputs sichern, dann erst an der Grammatik arbeiten (z.B. erst Text lesen und
inhaltlich damit arbeiten, dann am bekannten Text grammatische Strukturen zeigen; oder auch
einen bereits zuvor gelesenen Text hernehmen)
39
Grammatik lernen und üben
-
Rezeption vor Produktion
o inhaltliches Verstehen des Inputs sichern
o formbezogene Betrachtung (Noticing, Regularitäten feststellen, ev. Regeln besprechen)
o Anwendung
o Üben
o Wiederholen
BEISPIELE:
Kommunikative Grammatik
-
Vorschlag: schrittweise Integration von Grammatik-Aufgaben in kommunikative
Handlungsrahmen (Bolte)
Brücke schlagen zwischen formbezogenen und funktionsbezogenen Übungen
Teilkomponenten schrittweise integrieren
 kommunikative Übungen mit abgestuften Komplexitäts- und Schwierigkeitsgraden
Akkusativformen / Akkusativergänzungen
Handeln AN Sprache:
Ich habe ein… blau… T-Shirt liegengelassen und ich kann … nicht mehr finden.
Ich suche mein… kariert… Bluse. Hast du … gesehen?
Handeln MIT Sprache:
- Fundamt spielen (erraten, was gesucht wird; Einschränkung/Hilfestellung ev. durch
Tabelle/Satzschalttafel)
- durch „geheime Wahl“ entsteht Informationslücke, die durch „echte“ Kommunikation
geschlossen werden muss
Forderungen an einen kommunikativen Deutschunterreicht (Krumm 1988)
-
Überschreiten der Satzgrenzen (schafft kommunikative Zusammenhänge)
Einbeziehung soziolinguistischer Interpretation
genauere Untersuchung geschriebener und gesprochener Sprache
Diskussion der Zusammenhänge zwischen Diskursorganisation und sprachlichen Mitteln (z.B. bei
Höflichkeitsmarkierungen, Abtönungen, etc.)
Grammatikarbeit mit authentischen Texten
-
(Er)kennen Sie den folgenden Text? Einsatz im Unterricht? (Christine Nöstlinger: Armer Kurt)
o Möglichkeiten:
 Präpositionen (auch: Jandl – „Wanderung“)
 Konjunktiv 2
 weitere Perspektive auf Inhalt des Textes, der noch weiter geht zur
Interpretation
 Irreales ausdrücken
40

 Wünschen träumen
 Übergang zum Indikativ: die Wirklichkeit drängt sich in die Träume
 am Schluss ist ausgeträumt
Merkmale des Gedichts (auch Vgl. geschriebene und gesprochene Sprache: Konj.
„schaute“ vs. Konj. „würde schauen“)
Grammatik mit Sinn und Verstand
-
-
Rug/Tomaszewski plädieren für ein funktionales Verstehen von Grammatik:
o Konj. 2 bedeutet nichts, vielmehr kann man mit K2 Vielfältiges ausdrücken: Höflichkeit,
Abwägung, Hypothese, Wunsch, Traum, Irrealität, Redewiedergabe
wichtig ist deshalb der Kontext- und Situationsbezug
Kommunikativer Situationsbezug
- Aktiv / Passiv
Beispiel: Kain zu Gott.
- Tut mir leid, Gott, ich habe heute den Abel erschlagen.
- Tut mir leid, Gott, Abel ist heute von mir erschlagen worden.
o Passiv und doch wird Akteur genannt
- Tut mir leid, Gott, Abel ist heute erschlagen worden.
o Passiv gibt die Möglichkeit, einen Umstand zu berichten, ohne den Akteur zu nennen
- Abel ist heute Morgen gestorben.
Bsp.: Das allzeit nützliche Passiv (vgl. Einheit 3) – Donna Leon
Bsp.: Der Hausbesitzer
- Ich muss Ihnen leider die Miete erhöhen, Herr Müller.
- Ich kriege eine höhere Miete, Herr Müller.
- Die Miete muss von mir leider erhöht werden, Herr Müller.
o passiv und dennoch „von mir“
- Herr Müller, die Miete wird erhöht.
o Akteur wird absichtlich (?) draußen gelassen
41
27.5.2014
Textarbeit im Grammatikunterricht
Grammatik im textuellen Kontext
-
Warum ist Textarbeit im Grammatikunterricht wichtig?
o
o
o
o
o
o
o
zusätzliche grammatische Zusammenhänge (satzübergreifende Verknüpfungen), z.B.
Konntektoren lassen sich nicht ohne Textarbeit erschließen
z.B. Zeitungsartikel, wissenschaftliche Texte:
 höhere Register-/Stilebene
 Verwendung von Sprache in bestimmtem Kontext
 authentische Texte, die nicht nur für Unterrichtssituationen geschrieben werden
(hier kann man nicht so gut mit verschiedenen Registerebenen gearbeitet
werden)
unterschiedliche Textsorten kennen lernen
handeln mit und an Sprache (kann in Textarbeit verknüpft werden)
 über Texte sprechen
 eigene Texte erstellen
Filme als Texte
 kommt auf Definition des Textbegriffs an
Motivation: authentisch, eigene Produktion
realitätsnahe, wenn einzelne Sätze nicht völlig losgelöst vom Kontext stehen (jeder Text
steht in einem Kontext)
Was ist ein Text?
-
Alltagsdefinitionen (z.B. besteht aus Wörtern und Sätzen, hat Einleitung, Hauptteil, Schluss)
o Grenzen/Nachteil: es ist sehr leicht, Gegenbeispiele zu finden
wissenschaftliche Ansätze:
o berücksichtigen z.B. auch Kontextmerkmale, zeigen den Text „in seinem Umfeld“
aber: bis heute keine allgemein gültige Textdefinition
existieren nicht nur in geschriebener Form
Beispiele:
Ernst Jandl: markierung einer wende
- Alltagsdefinition ist hier aufgehoben, wird aber dennoch als Text bezeichnet
- Kontext: Ende des 2. Weltkriegs
konkrete Poesie
- Richtung, die mit Sprache spielt und bewusst Grenzen auslotet
- Text: Sprache zuzuordnen? – /ö/ muss vorkommen bzw. mit /oe/ umschrieben werden, ist im
Ungarischen z.B. nicht so, obwohl es /ö/ gibt
o mathematische „Gleichung“: wo sich /o/ und /e/ überschneiden, entsteht /ö/
o begrenzte Folge sprachlicher Zeichen, kohärent, kommunikative Funktion (wird in
literarischen Texten immer unterschiedlich interpretiert, es wird aber dennoch
kommuniziert)
42
Textdefinition nach Brinker
-
versucht Text integrativ als sprachliche und kommunikative Einheit zu Beschreibung
o der Terminus „Text“ bezeichnet eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in
sich kohärenz ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert
(= 4 Merkmale)
Textualitätshinweise (nach Hausendorf/Kesselheim, 2008)
-
-
-
-
Begrenzbarkeit: Abgrenzungs- und Gliederungshinweise (auch vgl. Brinker)
intratextuelle Verknüpfbarkeit: Verknüpfungshinweise
o Text = Gewebe, Geflecht
o Wiederholungen (z.B. einen Schwamm, der Schwamm)
o Verkettungshinweise, z.B. Pronomen, Vor- und Rückverweise
o Strukturhinweise: textsortenabhängig, z.B. narrativ vs. argumentativ, anweisend
o Relationshinweise (notwendig, um sich differenziert auszudrücken)
 additive: und, ebenfalls
 alternative: entweder .. oder
 explikative: also, beispielsweise
 restriktive (Einschränkung): allerdings, doch
 adversative (Gegensatz): aber, dagegen
 Mittel-Zweck-Relation: dadurch, dafür, damit
 Ursache-Wirkung/Grund-Folge: weil, da
 temporal: dann, anschließend, nachher
 komparativ (Ähnlichkeit oder Identität): ebenso, je…desto
thematische Zusammengehörigkeit: Themahinweise
o nicht nur sprachliche Ebene weist Zusammenhänge auf, sondern auch auf Inhaltsebene
(roter Faden)
pragmatische Nützlichkeit: Funktionshinweise
o Hinweise, die zeigen, wie Texte zu interpretieren sind
o bei Gebrauchstexten liegt das auf der Hand
o Belletristik: Unterhaltung, ästhetische Funktion
Musterhaftigkeit: Textsortenhinweise (s. unten mit Beispiel)
intertextuelle Beziehbarkeit: Intertextualitätshinweise
o Bandbreite unterschiedlicher Definitionen
o z.B. in einem Text wird ein anderer Text erwähnt, Anspielungen auf andere Texte,
Gesamtbezüge aller Texte und AutorInnen (auch wenn Einflüsse nicht direkt aus
bestimmten Texten ersichtlich sind)
Die 7 textkonstitutiven Prinzipien (nach Dressler/Beaugrande, 1981)
1. Textkohäsion
o bei Hausendorf/Kesselheim: intratextuelle Verknüpfbarkeit
o meint grammatische, sprachstrukturelle Zusammenhänge
2. Textkohärenz
o inhaltliche Zusammenhänge
o bei Hausendorf/Kesselheim: thematische Zusammengehörigkeit
43
3. Intentionalität
o was will man bei einem Text erreichen? (vgl. Illokution)
4. Akzeptabilität
o kulturell-gesellschaftliche Zusammenhänge
o Sprachgemeinschaft: Bedingungen für glückende Kommunikation
5. Informativität
o propositionaler Gehalt, inhaltliche Aussagen
6. Situationalität
o Verwendungssituation des Textes
7. Intertextualität
o hier anders als bei Hausendorf/Kesselheim
o Zusammenhang mit anderen Texten
 Bezüge auch zwischen den einzelnen Kategorien
Beispiel 1:
Grammatik im textuellen Kontext I
-
-
-
Kohäsion, Kohärenz und Deixis verstehen (vgl. Beitrag aus Fremdsprache Deutsch)
o Kohäsion: grammatischer Textzusammenhalt
o Kohärenz: Textaufbau, Textlogik
o Deixis: zeigende Elemente
Kohärenz durch Verknüpfung
o grammatische Verknüpfungsstruktur als „Trägerstruktur für die thematischen
Zusammenhänge des Textes“
o „In der Wiederaufnahmestruktur…drückt sich die thematische Progression des Textes
aus“
 nahe Thema-Rhema
o Thema-Rhema-Konzept der Prager Schule, auch „funktionale Satzperspektive“ genannt
 Thema: das Bekannte
 Rhema: das jeweils Neue (kann im nächsten Satz/Abschnitt zum Thema werden)
Beispiele für thematische Progression: (Folie!)
o Einfachere lineare Progression: Treppenmodell
 Rhema des 1. Satzes ist das Thema des 2., das Rhema des 2. Satzes das Thema
des 3., …
 definite und indefinite Artikel! (allerdings nicht immer der Fall, z.B. Beginn eines
literarischen Textes in medias res)
 Rhema: unbestimmt
 Thema: bestimmt
 einfache lineare Progression: Thema zieht Rhema nach sich
o Progression mit einem durchlaufenden Thema: Kammmodell
 Progression mit einem durchlaufenden Thema: in jeder Zeile wird ein neues
Rhema gebracht. das Thema bleibt aber immer gleich (z.B. bei
Personenbeschreibung)
 ideal für Textsorten: sehr einfache Personenbeschreibung (nur Aufzählung),
Lebenslauf (Thema muss schon gar nicht mehr dazu geschrieben werden, weil es
schon klar ist)
44

o
s. stilistisch: wenn etwas schon Thema ist, muss es nicht wie ein Rhema explizit
benannt werden (z.B. mehrmals hintereinander den Namen nennen)
Progression eines gespaltenen Rhemas, Progression mit abgeleiteten Themen:
Gabelmodell
 Spaltung eines Rhemas, abgeleitete Themen:
 Differenzierung, Teilaspekte, neue Detailinformationen
 z.B.:
 Der Besucher war ein kleiner, dürrer Kerl. Sein Leib steckte in einem
offenen Regenmantel. Seine Augen funkelten unter buschigen Brauen.
Die starke Hakennase schien zu groß für das Männchen. (aus:
Dürrenmatt: Der Verdacht, 1978)
 Hauptast (der Gabel): die Person
o es wird immer wieder zu Einzelaspekte etwas Neues gesagt
o man kann als bekannt voraussetzen, dass er Nase und Augen
hat, etc. aber das Neue ist, dass es eine Hakennase ist oder die
Augen unter den Brauen hervorfunkeln
 Gabel kann auch wieder zusammengehen, wenn man alle Aspekte in
Gesamtbeschreibung überführt
Textbezüge darstellen
Beispiel auf der Folie bzw. aus dem Text!
Es waren einmal zwei Freunde
Der erste war dick und faul.
der zweite war dünn und fleißig
 Kammmodell
und eines Tages kamen sie in eine große Stadt.
---…hier in dieser fremden Stadt?
 definiter/indefiniter Artikel bei Thema und Rhema
und, da, bis  Relationen werden dargestellt (additiv, temporal)
im Unterricht: mit sehr einfachem Text beginnen, langsam steigern, besonders wichtige Aspekte
herausheben
45
Musterhaftigkeit: Textsortenhinweise
Beispiele auf Moodle!
-
Zuordnung zu Textsorten
Beispiel 2: Textsortenspezifika
Bastelanleitung
- anweisender (instruktiver) Texttyp
- durch welche grammatischen Besonderheiten zeichnen sich die Texte aus? Wie werden die
Anweisungen verpackt?
o Infinitiv
o Vorgangspassiv
o Imperativ
o veraltet: Konjunktiv 1 (man nehme 3 Eier und …) – aber starke Verknüpfung mit
Kochrezepten (wird in Werbung, journalistischen Texten/Kritik
- weitere Charakteristika:
o Imperativ und Infinitiv verwendet, Ellipsen
o chronologischer Aufbau
o Variation: am Ende kommen auch (Modal-)Verben vor, z.B. „Nun können Sie die Ravioli
servieren“
o Passivkonstruktionen
Beispiel 3: Textualität ironisiert?
Loriot: Bundestagsrede
Textualtitätskriterien nach Dressler/Beaugrande erfüllt?
o Textkohäsion: schwer beschädigt, es fehlt immer wieder etwas
o Textkohärenz: bleibt auf der Strecke, kein thematisches Folgen
o Intentionalität:
 inhärente Ebene: Politiker, der überzeugen will
 Metaebene (Kabarettist): macht sich darüber lustig
o Akzeptabilität:
 im Film ist sie gegeben (s. Applaus)
 Zuhörer: nicht gegeben
o Informativität: keine gegeben
o Situationalität: stark gegebene Kontextualisierung
o Intertextualität: gegeben in Form einer Beleidigung der PolitikerInnen
- die Information fehlt
- grammatikalisch fehlt: keine vollständigen Sätze, Satzende (v.a. wenn der Schluss der
bedeutungstragende Teil des Verbes ist, bei Verbklammern)
- keine sinnvollen Zusammenhänge
- wenn man nicht genau hinhört, wirkt der Text sehr authentisch
46
3.6.2014
Fortsetzung Textarbeit
Beispiel: Texte zu Tempora
Zeitenfolge im Deutschen
-
-
Regelwissen verfeinern, differenzieren, relativieren
Grundregeln zum Ausdrücken der Vorzeitigkeit:
o Präsens – Perfekt
o Präteritum – Plusquamperfekt
authentische Texte „halten“ sich aber nicht immer daran
-
Beispiel Doderer: „Die Einschüchterung“
o
-
-
-
von Präteritum zu Präsens: weg von der Ebene der Erzählung hin zu Aussagen
allgemeiner Gültigkeit
o Partizip Präsens „Posto fassend“: drückt Gleichzeitigkeit aus, daher in jeder Zeitform
möglich
o Perfekt „ist gewesen“:
 Hinaustreten aus der Erzählung, Bemerkung auf Meta-Ebene, Schritt auf die
LeserInnen hin (wirkt näher)
 Abgeschlossenheit – Beispiel:
 blühen (längerer Zeitraum) – blühten (längerer Zeitraum, kein Abschluss
betont) – haben geblüht (eindeutige Abgeschlossenheit)
 erblühen (Abgeschlossenheit in sich)
 verblühen (oft mit Perfekt kombiniert, Abgeschlossenheit markiert)
historisches Präsens: Erzählfluss im Präteritum hin zum historischen Präsens (lassen Ereignisse
präsenter, unmittelbarer erscheinen)
Regelwissen differenzieren:
o von „noticing“ zu „awareness“: immer differenzierter
 Regularität in der Zielsprache wird wahrgenommen
 „Regel“ wird gelernt
 Diskrepanz zwischen Regel und Zielsprache wird bemerkt
 Unsicherheit, Variation
 Regel wird ergänzt/differenziert/umformuliert (z.B. bei Abweichungen in
einfacher Regel der Zeitenfolge; unregelmäßige Verben)
Beispiel Textsorte „Nachricht“:
o wenn etwas Vergangenes erzählt wird: erster Satz steht oft im Perfekt
 Abgeschlossenheit wird markiert
o hin zum Präteritum: Hintergrundinformationen
Beispiel Wolf Haas:
o
o
schreibt im Perfekt:
 angelehnt ans mündliche Erzählen, dennoch eher Kunstsprache
Vorzeitigkeit markiert durch doppeltes Perfekt (existiert nicht in der Standardgrammatik)
 Unterschied präskriptiv (6 Zeitformen im Deutschen)/ deskriptiv (mehr
Zeitformen, s. Dialekte – doppeltes Perfekt oder auch Plusquamperfekt für die
Vorzeitigkeit der Vorzeitigkeit)
 doppeltes Perfekt: „Sie hat es schon gesagt gehabt“
47
-
 doppeltes Plusquamperfekt: „Sie hatte es schon gesagt gehabt“
Möglichkeiten der Regeldifferenzierung:
o begründetes Abweichen von den Grundregeln
 Präteritum als Zeitform distanzierten Erzählens vergangener Inhalte
 Perfekt wirkt unmittelbarer („einen Schritt auf den Leser zu“ machen)
 noch näher: historisches Präsens
 besondere Situation: wenn im Perfekt erzählt wird (wie z.B. bei Wolf Haas),
übernimmt das „doppelte Perfekt“ die Funktion, Vorzeitigkeit ausdrücklich zu
markieren, z.B. „Sie haben schon gegessen gehabt, bevor wir gekommen sind.“
Norm und Fehler
Zum Einstieg
-
-
Was verbinden Sie mit den folgenden beiden Zitaten?
o „Ein Glück, dass Schüler Fehler machen!“
 wir erfahren etwas über den Lernprozess
 wir erfahren, wie unser Unterricht ankommt
 Fehler, die Lernfortschritte zeigen (z.B. unregelmäßige Formen werden
unregelmäßig gebildet: zeigt, dass das regelmäßige System schon verstanden
worden ist)
 zeigt, wo noch mehr Fokus im Unterricht gelegt werden muss
 Unterricht und Klima nötig, die den SchülerInnen erlauben, Fehler zu machen
o „Der gefasste Täter darf die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Für
Schüler aber heißt es: du darfst die Aussage nicht verweigern, doch alles was du sagt,
wird gegen dich verwendet.“ (aus: H.J. Krumm: Ein Glück, dass Schüler Fehler machen,
1990)
 seither hat sich in wissenschaftlicher Didaktik viel getan
 Bewusstsein dafür da, dass Fehler wichtige sind für den Lernprozess (inwiefern
diese Haltung umgesetzt wird, ist eine andere Frage)
 testen und lernen sind zwei verschiedene Dinge! – lernen im geschützten
Rahmen, prüfen erst am Ende
Zitat: Hans-Jürgen Krumm
o Fehler verweisen auf wichtige Lern- und Lehrprobleme: wir „suchen“ Fehler, um besser
unterrichten zu können
o Fehler zeigen Lernfortschritt
Umgang mit Fehlern
-
Korrektur ist nicht persönliche Kritik
aus Fehlern lernen (z.B. durch das Überarbeiten von Texten)
mündliche Korrektur: Wann sollte korrigiert werden, wann lieber nicht?
Korrekturverhalten ist individuell (hängt von Zielgruppe, Situation und Lehrperson ab
Farbwahl? – gut zu sehen? Signalfarben bei Betonung?
o verschiedene Empfehlungen, auch unterschiedliche Farben
48
Korrektur und Sprachbewusstheit
-
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analytisches Vorgehen
o verstehen, warum etwas anders gehört
eigene Fehler analysieren und daraus lernen
Fehler als Reflexionsanlass: sprachliche Strukturen begreifen…
Fehlersuche in Partnerarbeit
o man muss nicht alles als Lehrperson korrigieren
o Peer-Feedback, gegenseitige Hilfe
gemeinsame Texte überarbeiten
o kontinuierliches Verbessern von mehreren Seiten
o zeigen, dass Texte nicht auf anhieb sehr gut sind – Überarbeitungsprozesse dabei (geht
im schulischen Kontext oftmals unter)
o Arbeit am Text im Ganzen, nicht nur Einzelsatzverbesserungen:
 vgl. Handeln an Sprache (man muss nicht viel nachdenken), Nachteil: man lernt
nicht viel dabei
 Überarbeiten ganzer Texte: motivierender, hat mehr mit Textarbeit zu tun
Welches Deutsch lehren wir?
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welche Normen legt der Unterricht fest?
o Geschriebene vs. gesprochene Sprache
 konzeptionell mündlich: inkonventionelle Gespräche, Halbsätze,
Jugendsprachenslang, etc.
 konzeptionell schriftlich/medial mündlich: geschriebene Rede, die vorgetragen
werden soll
 medial schriftlich/konzeptionell mündlich: SMS
 medial = gesprochen oder geschrieben?
 konzeptionell = Übergänge (dargestellt auf Skala), Sprachregister
o Varietäten
 Plurizentrik: was wird anerkannt?
 lexikalische Fragen des Zusammenpassens
o soziale Kontexte
regio- und sozio-neutrales „Standard-Deutsch“?
o meist am bundesdeutschen Deutsch angelehnt
o vielen Lehrwerken wird nachgesagt, dass sie dieses vermitteln
oder: authentische Texte aus realen Diskursen
o aus verschiedenen Teilen des deutschen Raums (zuordenbar zu bestimmter Situation
und Verwendungskontext), kein neutrales „Standard-Deutsch“
Besonderheiten des österreichischen Deutsch:
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Aussprache: z.B. Plosive tendenziell unbehaucht; Endung –ig, Chemie/China; Betonung (Kaffee,
Mathematik); s meist stimmlos
o oft Gesprächsanlass
o Zuordnungen innerhalb des deutschsprachigen Raums
im Wortschatz (z.B. Amts- und Verwaltungssprache; Bezeichnungen für Lebensmittel; Zeit- und
Ort: heuer, da/dort; etc.)
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o Identitätskonstruktionen!
o Umgang mit Plurizentrik: neue Regelungen 2014
Phraseologie: zu Weihnachten (nicht „an“), in die Schule (nicht „zur“); etwas geht sich aus, zahlt
sich aus etc.
in der Grammatik:
o Perfektbildung von sitzen, liegen, stehen (mit sein) – im bundesdeutschen Deutsch
Bildung mit „haben“; bei stehen: Bildung mit „haben“ in Österreich kommt vom Verb
„gestehen“
o Artikelverwendung: z.B. das E-Mail (statt „die), das Cola (statt „die“), das Joghurt
o reflexiv: sich etwas erwarten (s. Peter Handke „Die Publikumsbeschimpfung“)
Vielfalt durch authentische Texte …
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aus unterschiedlichen:
o Regionen
o Diskursen
o Textsortenmerkmalen
o Medien
o Zielgruppen
 komplexes Sprachkönnen und –wissen umfasst viele Register!
Norm – was ist das?
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Bertelsmann Taschenlexikon:
o allg.: Durchschnittsmaß, Richtschnur, Forderung; als Regel für das Durchschnittliche
(normal, mit der N. übereinstimmend; Gegensatz: abnorm, anormal) oder als Gesetz für
den Willen und das Handeln. –> auch Rechtsnormen
o Buchdruck: die Kurzangabe von Buchtitel u. Verfasser unter links auf der ersten Seite
jedes Druckbogens (Bodensignatur)
o Technik: eine einheitliche (genormte) Ausführung
Normative Grammatik:
o lat. norma (Regel), engl. prescriptive grammar – auch: Präskriptive Grammatik
o auf Belehrung über den richtigen Sprachgebrauch ausgerichtete form grammatischer
Beschreibung, die sich an historischen und logischen und ästhetischen Kriterien
orientiert. In Anlehnung an das Vorbild andere Sprachen .. .versuchen einzelne
Sprachwissenschaftler und oder Institutionen verbindliche Vorgaben zu kodifizieren, was
im Sinne sprachpflegerischer Absicht als „guter Stil“, als „richtig“ oder „falsch“ zu gelten
hat
Normen und Textqualität
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überlegen Sie:
o wie wichtig ist es, dass in einem Text sprachliche Normen eingehalten wen?
o inwieweit ist das abhängig von Situationen / Textsorten etc.?
- Was macht einen Text zu einem guten Text?
Beispiel: Ernst Jandl – „Wien Heldenplatz“
- ironischer Eingang auf die Rede
- Sprache und Normen:
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o
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eingehalten?
 Syntax
 Morphologie
 eindeutig erkennbar, dass es sich um die deutsche Sprache handelt – kein Eingriff
auf grammatikalischer Ebene (Substantive, Verben, Adjektive etc. als solche
erkennbar, auch wenn Wortneuschöpfungen dabei sind)
o „beschädigte“ Aspekte?
 Eingriff nur auf lexikalischer Ebene (vgl. mit Nazis: ebenso Neologismen
geschaffen)
 bewusstes Eingreifen in Sprachnormen in Lexik
Beispiel: Rosa Pock – „Monolog braucht Bühne“
o Veränderungen:
 Ebene der Grammatik
 syntaktische Ebene: Wortstellung verändert, Artikel oft weggelassen
o unangetastet:
 lexikalische Ebene
o Grenzfall zwischen poetischer Sprache (Abweichungen, wenn für Reime nötig, etc.) und
echten Abweichungen von der Sprachnorm
Normverstöße
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bewusst und funktionell (wie bei Ernst Jandl und Rosa Pock)
o bestimmte Effekte erzielen
ODER
ungewollt (bei Lernenden)
… und störend?
o s. Gedichtsammlungen von Dichtern mit L2 Deutsch
o Graubereich v.a. im künstlerischen Bereich
o anders: bei Gebrauchstexten (hier sind Sprachnormen besonders wichtig)
trotzdem kreativ?*
*Kinder als Sprachkünstler?
aus: BLUME ist Kind von Wiese
- „BUCH muß man viele Rätsel denken, so wie wir jetzt tun. Aber kannst ja nicht Buch schreiben.
Ist ja alles falsch, was wir sagen. Sind die Falschheiten schön? Schreibst du Dummheitsbuch.“
- „FEHLER Ist, wenn die Hand ist falsch gegangen. Wenn man etwas sagt, was man nicht sagen will.
Du bist verliebt in Fehler.“
- „KATZE In der Nacht ist sie den ganzen Tag wach.“
Identifizierung von Fehlern: Kriterien
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sprachliche Korrektheit (Verstöße gegen Sprachnorm/Sprachsystem; vgl. sprachmöglich,
sprachüblich: z.B. Wortkreationen, die in bestimmten Kontexten funktionieren, man aber evtl.
nicht im WB findet)
Verständlichkeit (wird die Kommunikation behindert oder nicht?
o v.a. auf Gebrauchstexte und Alltagskommunikation anzuwenden (bei künstlerischen
Texten weniger relevant)
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(kulturelle) Situationsangemessenheit (pragmatische Norm)
Unterrichtsabhängige Kriterien (im Fremdsprachenunterricht (FU) kommt meist eine
präskriptive Norm zur Geltung, Lehrwerk, benutzte Grammatik)
flexible (lernerbezogene) Kriterien: Situation (z.B. Dauer des L2-Lernens), Lernerpersönlichkeit,
Lernfortschritte, etc. beeinflussen die Fehlergewichtung
Fehlerkategorien (Performanz-/Produkt-orientiert)
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Nominalendungen
o falsches Genus mit Folgefehler (z.B. in Adjektivdeklination): „Ich sehe ein kleines Maus.“
o Kasusfehler: „Ich gebe den Mann mein Geld.“
o Fehler bei der Präpositionsalrektion: „Von das Konzert habe ich schon gehört. Ohne dir
gehe ich aber nicht hin.“
o Wechselpräpositionen mit falschem Kasus: „In meinen Keller gibt es Marmelade. Er legt
das Buch auf dem Tisch.“
Verbkonjugation
o häufige Übergeneralisierungen
 Stammformen der starken Verben z.B.: „sie schreite, er rufte, laufte“
 falsche Partizipienbildung: „ich habe das nicht genehmt; sie hat den Text
übergesetzt“
Syntax
o Wortstellung: „Deshalb unser Angebot sollte für Sie das Richtige sein.“
o Verb und Nomen passen nicht zusammen (Kongruenzfehler): „Das Publikum hatten
Angst.“
o es fehlt ein Wort: „Als ich Tür aufmachte, ging das Licht aus. Er winkte zu, bis wir ihn
nicht mehr sahen.“ ( im Bereich der Valenz des Verbs; „winken“ ist intransitiv,
„zuwinken“ nicht!)
o oder es gibt ein Wort zu viel: „Auf dem Tisch war es ein Schädel.“ (Subjekt ist schon
gegeben, „es“ wird also nicht gebraucht – Subjekt am Ende wird oft nicht gleich erkannt;
grammatikalisches Subjekt „es“ würde gebraucht, wenn man den Satz mit „geben“
bildet)
Lexik
o Verbalrektion: „ich entschuldigte mich zum Briefträger.“
o „Ein Wort wird unpassend gebraucht: „wir haben uns sehr umarmt.“
o unbeabsichtigte Neologismen: „eine graurige Stimme“
o relevant v.a. für fortgeschrittene LernerInnen:
 Funktionsverbgefügte: „etwas auf die Sprache bringen“, „in Ordnung machen“
(Ordnung machen und „in Ordnung bringen“ => beide Ausdrücke werden
kombiniert und ein dritter gebildet; wichtig: als Lehrperson beide Alternativen
präsentieren, nicht einfach beliebig ausbessern)
 Kollokationen: „die Zähne waschen“, „eine Ehe knüpfen“, „schmutzige Haare“
 mehrere Möglichkeiten, mehr als eine zufällige Verbindung von zwei
Wörtern
 Ungarisch: „Zähne waschen“ statt „Zähne putzen“
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Pragmatik
o kreativ gebildete, grammatikalisch richtige, aber im Deutschen unübliche Wendungen:
„ER las ihm die Angst aus den Augen“
o Spiegelübersetzungen von Sprichwörtern oder Redewendungen aus anderen Kulturen
und Sprachen: „Die Zeit geht noch in Kinderschuhen einher.“ (alte ung. Redewendung: Es
ist noch nicht spät). „Es regnet Katzen und Hunde.“ (engl. Redewendung)
 literarisch: Spiel mit fremdsprachigen Sprichwörtern möglich, jedoch bei
LernerInnen eventuell /oft kein absichtlich verwendetes Stilmittel
+ jeweils Unterkategorien und Beispiele
Was hinter Fehlern stecken kann
(Weitere) Möglichkeiten der Einteilung von Fehlern
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Performanzorientiert (z.B. sprachlich Fehlerkategorien)
o am einfachsten, sieht man dem Text sofort an
nach Fehlertiefe (Performanz vs. Kompetenz)
o schwieriger zu bestimmen
o Unterscheidung zwischen P und K geht auf Noam Chomsky zurück
o Unterscheidung (bei Fehlern) geht auf Pit Corder zurück
 Kompetenzfehler: error
 Performanzfehler: mistake
 Flüchtigkeitsfehler (slips of the tongue)
 lapse (mangelnde Automatisierung)
o Kritik: klare Abgrenzung nicht möglich: sichtbar ist nur die Performanzebene! (keine
Rückschlüsse darauf möglich, was sich in den Köpfen abspielt)
o sichtbarer vs. unsichtbarer Fehler
 Unterrepräsentationen; z.B. von Strukturen mit geringer semantischer
Transparenz)
o produktiver vs. rezeptiver Fehler
 Aufgabe/Ausgangstext wurde falsch verstanden
 Unterscheidung lässt sich oft erst nach Gespräch mit Lernendem stellen
Funktions- und situationsbezogen
nach Fehlerursachen
Mögliche Ursachen von Fehlern
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Einfluss der Muttersprache (Interferenz)
o aus L1 werden Strukturen übernommen und erzeugen in L2 Fehler
Einflüsse durch Teile der Fremdsprache (Übergeneralisierung, Regularisierung, Simplifizierung) =
intralingualer Transfer
o z.B. unregelmäßige Verben werden wie regelmäßig gebildet
Einfluss durch Kommunikationsstrategien (ein Fehler wird bewusst in Kauf genommen ,um die
Kommunikation aufrecht zu erhalten)
o man sagt z.B. ein anderes ähnliches Wort, in der Hoffnung, dass der Gesprächspartner
weiß, was gemeint ist
Einfluss durch Lernstrategien: try and error; Hypothesentesten
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o
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man versucht eine „Form“ und wartet auf die Reaktion (wird man verstanden?
ausgebessert?)
Einfluss durch Elemente des Unterrichts (Übungstransfer)
o z.B. neues Grammatikkapitel wird gelernt wie Konj. 2 und danach erscheint der Konj. 2
auch an Stellen, wo er nicht hingehört (häufig am Beginn, vergeht wieder)
Einfluss durch persönliche Störfaktoren (Müdigkeit, Stress)
Einfluss durch soziokulturelle Faktoren : Pragmatik
o unterschiedliche Kontexte
o Gruppenzugehörigkeit (z.B. Weglassen von Artikeln und Präpositionen, was nicht mehr
viel mit Unwissenheit zu tun hat)
Einfluss durch neurologische Faktoren (Reizüberflutung; Nachverarbeitungsphase vorherigen
Inputs)
Überlappungen
o wenn Fehler in Performanzgruppe gehört, dann sagt das noch nichts über die Ursache
des Fehlers aus
o auch: Müdigkeit und Muttersprache (Verstärkung des Akzents bei Müdigkeit)
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17.6.2014
Lehren ist nicht Lernen: Empirische Ergebnisse aus der DiGS-Studie
Deutsch in Genfer Schulen
Input ist nicht automatisch Intake
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kein „Nürnberger Trichter“
Teachability und Processability
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Teachability-Hypothese (Pienemann, 1989)
o Lernende müssen bereit sein, den Input einordnen können, sonst findet kein Intake statt
Processability Theory:
o feste Erwerbsreihenfolgen, Bsp.:
 SVO: De mann will essen wurst jez.
 Adverb-SVO: Jez de mann will essen wurst.
 Satzklammer: Jez de mann will wurst essen.
 Inverison: Jez will de mann wurst essen.
DiGS – Deutsch in Genfer Schulen (Diehl 2000 und 2002)
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Groß angelegte Studie zum Verhältnis vom Grammatikunterricht und Grammatikerwerb
Teachability-Hypothese (M. Pienemann): Lernende müssen für das entsprechende grammatische
Phänomen „bereit“ sein
o wenn ja, dann beschleunigt Unterricht den Erwerb
o wenn nicht, so kann die Überforderung zu negativen Auswirkungen auf den Lernprozess
führen
 Überforderungssignale: Vermeidungsstrategien, Fossilisierung, Fehlerhäufungen
über lange Zeiträume: „typische Fehler“)
 Wirksamkeit und Grenzen des Unterrichts
Erwerbsphasen grammatischer Phänomene
U-förmiger Verlauf:
- Frühphasen: Einzelelemente aus dem sprachlichen Input werden isoliert und als Chunks
wiedergegeben: weitgehend fehlerlose Produktion grammatischer Formen
- „turbulente Phase“: Überlastung des Gedächtnisspeichers => Regeln werden gebraucht und
„ausprobiert“ => viele „Fehler“
- Phase der Ausdifferenzierung: führt zu kompetentem Gebrauch des sprachlichen Phänomens
Grundfragen DiGS-Studie
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Gibt es feste Erwerbsreihenfolgen sprachlicher Phänomene?
wie sehen sie aus?
wie werden sie durch Unterricht beeinflusst?
 wie beeinflusst der Unterricht den Spracherwerb?
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Untersuchungsdesign DiGS:
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220 Schüler, L1 Franz., L2 Deutsch
30 Klassen, 10-19 Jahre
Schuljahre 1995-7
pro Proband 8 Texte
ings. Korpus von 1800 Texten
Team: 35 DeutschlehrerInnen und 5 LinguistInnen
Untersuchung erfasst:
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Aufbau der grammatischen Kompetenz in schriftlichen Produktionen
„prozedurales“ (angewandtes) Grammatikwissen, nicht deklaratives Regelwissen
in spezifischer Lernsituation:
o L1 Französisch
o Deutsch Pflichtfach („ungeliebtes Selektionsfach“)
 Ergebnisse u.U. nicht übertragbar auf jede Lernkultur und Lernsituation (Sprachen,
Motivation, etc.)
Ergebnisse DiGS: Auswahl
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unterschiedliches Erwerbstempo in den drei Bereichen A (Verbalbereich: 6 Stufen), B
(Satzmodelle: 6 Stufen) und C (Nominalbereich: 4 Stufen)( Darstellung der Stufen auf der
Folie)
o Verbalflexion wird relativ rasch erlernt – Verbalbereich:
 Präkonjungale Phase (Infinitv, Perosnalformen als chunks), Konjugation der
regelmäßigen Verben im Präsens, Konjugation der unregelmäßigen Verben im
Präsens Modalverb + Infinitiv, Auxiliar und Partizip, Präteritum, übrige Formen
o am längsten dauert der Erwerb des Kasussystems (ohne Präpositionen)
 lange Ein-Kasus-System (zuerst nur N-Formen, dann beliebig verteilt ohne
funktionale Unterscheidung), dann Zwei-Kasus (N- + Objektkasus), dann DreiKasus-System (N, D und A)
 Genitiv wird freiwillig von den Lernenden nicht verwendet (kommt selten vor,
lässt sich aber auch vermeiden, z.B. durch Präposition „von“)
Verbal- und Nominalflexion sehr ähnlich dem muttersprachlichen Erwerb
bei den Satzmodellen (Wortstellung) treten Interferenzen am stärksten auf
Anwendung am Textbeispiel (Auszug)
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„Kann-Stufe“, nicht danach gesucht, was noch nicht gekonnt wird, sondern das Können steht im
Fokus
„…Sie sind verliebt seit drei Jahre. Er ist einen lustigen mutigen Mann und sie ist wirklich schön. Ein
Tag, Luca hat gesagt, dass er will in die Disco gehen. Aber Anna hat gesagt: „nein“. …
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Verbformen: Präsens und Perfekt ohne Normabweichungen: Ende von Phase IV
Satzmodelle: Nebensatzwortstellung teilweise erworben: Anfang von Phase IV
Kasus: klare Unterscheidung von Nominativ und Akkusativ, aber noch keine richtige Distribution:
Anfang von Phase III
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Konsequenzen
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Grammatikunterricht sollte natürliche Erwerbssequenzen begleiten und unterstützen
o Grammatikprogression sollte sich an den natürlichen Erwerbssequenzen orientieren
Abweichungen der Lerner sollten als Diagnoseinstrument gesehen werden
schulische Ansprüche an Grammatikkompetenz sollten realistisch sein
o welche Ansprüche sind realistisch? wie wird damit umgegangen? – nicht so leicht zu
beantworten
individuellen Erwerbsrhythmen Rechnung tragen: Binnendifferenzierung
Didaktische Prinzipien (DiGS)
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Erwerb von schriftlicher Sprachkompetenz kann nur in inhaltsorientiertem (schriftlichen) Output
festgestellt werden
Umgang mit Fehlern:
o ev. zweierlei Korrekturfarben: rot zeigt, was auf der jeweiligen Lernstufe erwartet wird
(Fehler gerechnet), Grün, was SchülerInnen noch nicht können müssen
qualitativ hochwertiger authentischer Input
Binnendifferenzierung (ergibt sich z.B. auch beim freien Schreiben)
o Lernende schreiben nur das, was sie können / sich beschaffen könne und sich auf dem
eigenen Sprachniveau bewegen, auf dem sie sind (man braucht nicht unterschiedliche
Aufgabenstellungen!)
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Zusammenfassung und Wiederholung
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überlegen Sie:
o Wie sieht guter Grammatikunterricht aus?
 Motivation entfachen / nicht verlieren
 Unterricht an Lernervoraussetzungen angepasst (DaF oder DaZ, Sprachniveaus,
Interessen, Lernziele etc.) – Lernerorientierung
 Grammatik im Kontext vermitteln: Beispiele, Texte, nicht abgehoben in der
Terminologie, etc.
 Grammatik sollte integrativ vermittelt werden, verknüpft mit anderen
Lerninhalten, u.a. induktiv vom Text ausgehend auf grammatische Strukturen
schließen
 Fehlerkorrektur sollte an die Lernenden angepasst sein und dem Lernfortschritt
dienen und das den Lernenden auch vermitteln
 authentische Texte verwenden
o Wie sollte Grammatik in den Unterricht integriert werden?
 was ist günstig?
 was ist ungünstig?
 „heute machen wir Modalverben“
 Grammatik als Strafe, als Disziplinierungsinstrument
 Angst vor Fehlern schüren
 Lernende ständig unterbrechen und korrigieren
 typische „Lehrerfragen“, die keine echten Fragen sind, sondern nur eine
richtige Form als Antwort zulassen
 was ist sonst noch zu beachten?
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