Grundlagen - MediClin Bliestal Kliniken

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1. Teil
Grundlagen und Denkmodelle der Verhaltensmedizin
1 Grundlagen
2 Das diagnostische Vorgehen
3 Salutogenese und Prävention
4 Gesprächsführung in der Verhaltensmedizin
5 Arzt-Patient-Kommunikation und die Verbesserung
der Selbst-Effizienz der
Patienten
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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Grundlagen
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V. Köllner
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Mit Hilfe der Lerntheorie lassen sich menschliche
11
Verhaltensweisen erklären und verstehen. Auf
12
dieser Grundlage können rationale Strategien zur
13
Veränderung ungünstiger Verhaltensmuster ent14
wickelt werden. Dies gilt sowohl für die Verhal15
tenstherapie als auch für die Kommunikation mit
16
Patienten im Rahmen der allgemein- oder fach17
ärztlichen Behandlung. Deshalb sollen die Grund18
lagen der Lerntheorie zunächst mit Hilfe eines
19
Fallbeispiels kurz dargestellt werden. Anschlie20
ßend folgt eine kurze Übersicht über Prinzipien
21
und Methoden der Verhaltenstherapie.
22
23
24
1.1
Krankheitsmodell der
25
Verhaltensmedizin
26
27
Ätiologiemodell. Grundlage des Ätiologiemodells
28
der Verhaltensmedizin ist keine einfache Kausal29
kette „Ursache  Wirkung“, sondern ein Zusam30
menspiel von prädisponierenden Faktoren mit
31
auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingun32
gen (Abb. 1.1).
33
34
35
prädisponierende Faktoren
genetische Veranlagung,
36
Lebensgeschichte, Vorerfahrungen,
37
soziale Faktoren etc.
38
39
auslösende Bedingungen
40
psychische, soziale oder somatische
41
Bedingungen lösen die Symptomatik aus
42
43
aufrechterhaltende Bedingungen
44 ungünstige kognitive oder Verhaltensmuster oder
45 soziale Bedingungen verhindern ein Abklingen der
46 Symptome und erhalten die Problematik aufrecht
47
Abb.
48 1.1 Das Ätiologieverständnis in Verhaltenstherapie
und
49 Verhaltensmedizin.
50
51
52
Während in der Psychoanalyse die häufig weit
in der Vergangenheit liegenden auslösenden Bedingungen einer Störung besondere Beachtung
finden, spielen in der Verhaltensmedizin die aufrechterhaltenden Faktoren eine größere Rolle.
Diese liegen eher in der Gegenwart und sind einer
therapeutischen Beeinflussung leichter zugängig.
Verhaltensanalyse. Grundlage einer verhaltensmedizinischen Intervention ist eine individuell
durchgeführte Verhaltensanalyse, die sich mit der
in Abb. 1.2 dargestellten Formel beschreiben lässt.
Erfasst werden hierbei Auslösesituationen (S) eines Problemverhaltens (R), seine kurz- und langfristigen Konsequenzen (C) und das Kontingenzverhältnis, in dem diese auftreten (KV). Mit O sind
die Organismusvariablen des Individuums gemeint, die es in die Problemsituation mitbringt.
Dies können ebenso physiologische, psychologische und soziale Faktoren sein, wie die Vorerfahrungen, Werte und Normen eines Menschen. Die
Durchführung einer Verhaltensanalyse wird ausführlich in Kap. 2 beschrieben.
Teufelskreise. Ein wesentlicher aufrechterhaltender Faktor von Störungen sind Teufelskreise, die
aus
Fehlinterpretation von Körpersignalen
hierdurch ausgelösten Ängsten oder ungünstigen Verhaltensmustern
und einer hieraus folgenden Verstärkung der
Symptomatik
bestehen.
S
O
R
KV
C
Abb. 1.2 Formel zur Verhaltensanalyse (Erklärungen im Text).
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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1 Grundlagen
Beispiele finden sich u.a. in den Kapiteln zu Angst,
1
Schmerz und Depression. Teufelskreismodelle, die
2
das ungünstige Zusammenwirken von körperli3
chen und psychischen Prozessen beschreiben,
4
werden von Patienten in der Regel wesentlich bes5
ser akzeptiert als rein psychologische Konzepte.
6
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1.2
Psychologische Grundlagen
9
der Verhaltensmedizin
10
11
12
1.2.1
Klassisches Konditionieren
13
14
Der Mechanismus des klassischen Konditionierens
15
wurde erstmals von dem Physiologen I.P. Pawlow
16
(1927) beschrieben. Bei seinem grundlegenden
17
Experiment lernten Hunde, auf einen bisher neu18
tralen Reiz (Licht) mit einer physiologischen Reak19
tion (Speichelfluss) zu reagieren, die bis dahin nur
20
beim Anblick von Nahrung auftrat.
21
Mit dem in Abb. 1.3 dargestellten Schema lässt
22
sich beschreiben, wie Organismen im Laufe ihrer
23
Lebensgeschichte physiologische Reaktionen er24
lernen können. Eine aus dem Alltag vertraute CR
25
ist der Speichelfluss beim Anblick einer Zitrone.
26
Sie tritt nur auf, wenn zuvor die Erfahrung ge27
macht wurde, dass Zitronen sauer schmecken. An
28
diesem Beispiel lässt sich im Selbstversuch leicht
29
nachvollziehen, dass ein psychologischer Vorgang
30
in der Lage ist, eine physiologische Reaktion aus31
zulösen.
32
In Situationen, die als akute Bedrohung erlebt
33
werden, genügt bereits eine einmalige gemeinsa34
me Darbietung von UCS und CS, um eine Konditio35
36
37
UCR
UCS
(unkonditionierte Reak38 (unkonditionierter
tion, hier Speichelfluss)
39 Stimulus, hier Futter)
40
41 wiederholte gemein42 same Darbietung
43
44
CR
CS
45 (konditionierter
(konditionierte
Reaktion, Speichelfluss)
46 Stimulus, hier Licht)
47
Abb. 1.3 Modell der klassischen Konditionierung (Erklärun48
gen im Text).
49
50
51
52
nierung herzustellen. Dies war in der Evolution
sinnvoll, da unsere Vorfahren nur wenige Gelegenheiten hatten, in solchen Situationen zu lernen. Insbesondere Angstreaktionen mit der dazugehörigen
Sympathikusaktivierung (Kampf/Flucht-Reaktion)
können auf diese Weise schnell gelernt werden.
Habituation. Damit das Gehirn nicht mit irrelevanten Informationen belastet wird und physiologische Reaktionen nicht ständig zur Unzeit erfolgen, wird die Konditionierung wieder verlernt,
wenn der UCS mehrmals hintereinander ohne den
CS auftritt. Diesen Vorgang nennt man Habituation.
Fallbeispiel
Frau R., eine bis dahin gesunde, privat und beruflich
erfolgreiche MTA, erkrankte mit 24 Jahren an einer
schweren Kardiomyopathie. Wegen lebensbedrohlicher
Herzrhythmusstörungen musste ein AICD (Automatic
implantable Cardioverter Defibrillator) implantiert werden. Als sie alleine vom Einkaufen aus dem Supermarkt
nach Hause kam, spürte sie Herzrasen und erhielt danach einen Schock vom AICD. Dieser konnte die Kammertachykardie nicht durchbrechen und es erfolgte
bald darauf ein zweiter Schock. Beide Schocks erlebte
Frau R. als extrem unangenehm und schmerzhaft,
gleichzeitig hatte sie Angst, dass auch weitere Schocks
nicht greifen würden und sie nun sterben müsse.
In der Folge erlebte die Patientin Angst, die sich bis zur
Panik steigern konnten, wenn sie
Herzklopfen spürte,
alleine außerhalb ihrer Wohnung war oder
in einem Supermarkt war.
Die Angst war intensiver, wenn mehrere dieser Bedingungen zusammenkamen. In der lebensbedrohlichen
Situation war es zu einer klassischen Konditionierung
auf deren Begleitumstände gekommen. Eine Habituation trat nicht ein, da die Patientin immer, wenn diese
Umstände auftraten, intensive Furcht und damit wiederum ein stark aversives Ereignis erlebte. Während
die Ängste anfangs nur im Zusammenhang mit diesem Supermarkt auftraten, kam es nach kurzer Zeit zu
einer Ausweitung auf andere Situationen, in denen die
Patientin alleine unterwegs war. Dieser Vorgang wird
Reizgeneralisierung genannt. Die Symptome traten
auch dann noch auf, als die Patientin herztransplantiert und der AICD entfernt worden war.
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
1.2 Psychologische Grundlagen der Verhaltensmedizin
Konditionierung einer Immunsuppression. Auch
1
andere physiologische Reaktionen, wie z.B. Blut2
druckanstiege oder Immunreaktionen lassen sich
3
klassisch konditionieren. So gaben Ader und Cohen
4
(1982) Mäusen den Süßstoff Saccharin (als CS) wie5
derholt gemeinsam mit dem Medikament Cyclo6
phosphamid (als UCS), das eine Immunsuppression
7
(UCR) verursacht. Später löste dann Saccharin allei8
ne eine Immunsuppression (jetzt CR) aus. Nach die9
ser Konditionierung hatte die Süßstoffinjektion al10
leine eine positive Auswirkung auf den Verlauf einer
11
angeborenen Autoimmunerkrankung der Mäuse.
12
Derzeit wird erforscht, wie sich diese Befunde für
13
die Behandlung von Autoimmunerkrankungen,
14
HIV-Infektion und Krebs nutzen lassen.
15
16
Chronifizierung von Schmerzen. Bei der Chroni17
fizierung von Schmerzen spielt die klassische Kon18
ditionierung ebenfalls eine Rolle: Schmerz löst als
19
Schutzreflex eine Muskelverspannung aus. Diese
20
führt bei längerem Anhalten ihrerseits zu einer
21
Verstärkung der Schmerzen. Wenn nun bei einem
22
Patienten bei körperlicher Anstrengung in der Ver23
gangenheit Schmerzen aufgetreten sind, kann es
24
in der Folge nach kurzer Belastung oder schon
25
beim Gedanken daran zu einer Spannungserhö26
hung als CR und zu Schmerzen kommen. Durch
27
das Erlernen eines Entspannungsverfahrens kann
28
der Patient gegensteuern.
29
30
31
32
1.2.2 Operantes Konditionieren
33
34
Skinner (1953) zeigte, dass die Auftretenswahr35
scheinlichkeit eines Verhaltens von seinen Konse36
quenzen beeinflusst wird. Abb. 1.4 zeigt diesen Zu37
sammenhang, wobei R für das zu beeinflussende
38
Verhalten, C für dessen Konsequenz und K für ein
39
bestimmtes Kontingenzverhältnis steht. Als Ver40
stärker wird in diesem Zusammenhang eine Konse41
quenz bezeichnet, die zu einem häufigeren Auftre42
ten von R führt. Die kann sowohl eine positive
43
Konsequenz sein (positive Verstärkung) als auch
44
das Ausbleiben eines erwarteten negativen Ereig45
nisses (negative Verstärkung). So kann z.B. Alko46
holkonsum sowohl positiv (Gefühl der Entspan47
nung, angenehmer Geschmack) als auch negativ
48
(Antrinken gegen Entzugssymptome) verstärkt
49
werden. Negative Verstärkung ist also nicht mit Be50
strafung zu verwechseln. Wenn nach einer operan51
ten Konditionierung K über längere Zeit ausbleibt,
52
R
5
C
K
Abb. 1.4 Modell des operanten Konditionierens (Erklärungen im Text).
tritt R zunehmend seltener auf und verschwindet
schließlich. Es kommt zur Löschung.
Das Kontingenzverhältnis beschreibt die Häufigkeit, mit der C auf R folgt. Eine kontingente
Verstärkung wirkt zwar schneller, im Falle ihres
Ausbleibens wird das gelernte Verhalten aber
schneller wieder verlernt (Löschung). Im Falle einer inkontingenten Verstärkung wird hingegen
Frustrationstoleranz gleich mitgelernt und das
Verhaltensmuster ist sehr löschungsresistent. Ein
Beispiel hierfür ist das pathologische Spielen, da
der Spielsüchtige die Erfahrung macht, dass er nur
lange genug durchhalten muss, bis wieder ein Gewinn kommt. Das ist auch ein Grund, warum bei
der Kindererziehung Konsequenz so bedeutsam
ist.
Meist sind kurzfristige Konsequenzen stärker
verhaltenssteuernd als langfristige. Dies ist eine
der Erklärungen dafür, warum viele Menschen
rauchen, obwohl sie um die gesundheitlichen Gefahren wissen. Gleichzeitig wird deutlich, warum
Nichtraucherkampagnen, die lediglich vor den
langfristigen Konsequenzen des Rauchens warnen,
so wenig Erfolg haben. Heute wird deshalb mehr
auf kurzfristige negative Konsequenzen des Rauchens (Mundgeruch, Potenzstörungen) und positive Folgen des Nichtrauchens (Fitness, schönere
Haut) hingewiesen.
Operantes Lernen spielt eine wesentliche Rolle
in der Medizin:
Für die Angststörungen wird dies im Fallbeispiel dargestellt.
Depressive neigen dazu, sich zurückzuziehen
und wenig aktiv zu sein. So fehlen ihnen Erfolgserlebnisse als positive Verstärker. Dieser
Verstärkerverlust verschlechtert wiederum die
Stimmung und vermindert den Antrieb. Therapieziel ist es deshalb, durch langsamen Aktivitätsaufbau (wobei Überforderung vermieden
werden muss) dem Patienten wieder Erfolgserlebnisse zu vermitteln, die dann Verstärker für
weitere Aktivitäten sind.
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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1 Grundlagen
Seligmans Depressionsmodell der „erlernten
1
Hilflosigkeit“, ist ebenfalls ein operantes Modell.
2
Sowohl in Tierexperimenten als auch klinisch
3
zeigte sich, dass eine Depression ausgelöst wird,
4
wenn das eigene Verhalten keine Auswirkung auf
5
die Konsequenzen hat. Dies ist der Fall, wenn ent6
weder immer Bestrafung oder Belohnung oder
7
Nichtbeachtung erfolgt oder wenn diese Konse8
quenzen nach dem Zufallsprinzip zugeteilt wer9
den. Die Konsequenzen können dann nicht mehr
10
als Verstärker wirksam werden; aktives, zielge11
richtetes Verhalten wird gelöscht. Wenn ein Kind
12
also unter Bedingungen von Misshandlung, Ver13
wöhnung, Vernachlässigung oder Willkür auf14
wächst, hat es ein höheres Risiko, in seinem spä15
teren Leben an einer Depression zu erkranken.
16
Die Aufrechterhaltung chronisch unspezifischer
17
Rückenschmerzen lässt sich als operant gelernte
18
„Bewegungsphobie“ beschreiben. Wenn ein Pa19
tient bei einer körperlichen Aktivität Schmerz er20
lebt und diese künftig meidet, wird das Vermei21
dungsverhalten negativ verstärkt („Ein Glück,
22
dass ich mich geschont habe, sonst wären die
23
Schmerzen bestimmt noch schlimmer gewor24
den!“) und eine korrigierende Erfahrung verhin25
dert. Gleichzeitig führt dieses Schonverhalten zu
26
einer Atrophie von Muskulatur, was langfristig
27
die Schmerzsymptomatik verschlimmert.
28
Schmerzverhalten wird positiv verstärkt, wenn
29
Angehörige nur bei direkter Schmerzäußerung
30
mit Zuwendung und Unterstützung reagieren. In
31
diesem Zusammenhang ist der Befund interes32
sant, dass Schmerzpatienten, die eine sehr hohe
33
Zufriedenheit mit ihrer Partnerschaft angeben,
34
ein größeres Chronifizierungsrisiko haben.
35
Auch für eine erfolgreiche Gestaltung der Arzt36
Patient-Kommunikation ist es hilfreich, die
37
Prinzipien des operanten Lernens zu kennen.
38
Wenn ein Arzt einem übergewichtigen Patien39
ten mit Bluthochdruck empfiehlt, körperlich
40
aktiv zu sein, so ist es wichtig, dass er bei den
41
nächsten Konsultationen nachfragt und inzwi42
schen umgesetzte Verhaltensänderungen posi43
tiv kommentiert. Andernfalls praktiziert er Lö44
schung, die Auftretenswahrscheinlichkeit des
45
gesunden Verhaltens verringert sich.
46
47
48
Fallbeispiel
49
50
Immer, wenn Frau R. sich vornahm, alleine einkaufen
51
zu gehen oder eine längere Autofahrt zu machen, tra52
ten Angstsymptome auf. Wenn sie sich daraufhin
dazu entschloss, in ihrer Wohnung zu bleiben, besserten sich die Symptome schnell. Ihr Vermeidungsverhalten wurde so negativ verstärkt (durch Wegfall der
quälenden Angstsymptome). Dieser Mechanismus
spielt bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des
Vermeidungsverhaltens bei Angststörungen (siehe
Kap. 16) eine bedeutende Rolle. Bei Frau R entwickelte
sich eine Agoraphobie, die ihre Bewegungsfreiheit
zunehmend einschränkte.
Da sich nach der Transplantation ihr Mann von ihr getrennt hatte, war Frau R zunehmend einsam. Wenn sie
Einkäufe oder Behördengänge wegen ihrer Angst nicht
durchführen konnte, rief sie ihre Eltern an, die dann kamen, um die Dinge mit ihr gemeinsam zu erledigen. Ihr
Vermeidungsverhalten wurde so durch die vermehrte
Zuwendung zusätzlich positiv verstärkt. Den Eltern
musste in einem Familiengespräch klar gemacht werden, dass sie ihre Tochter besser unterstützen konnten, wenn sie ihre Besuche unabhängig von Angstäußerungen der Tochter durchführen.
1.2.3
Modellernen
Ein weiterer wichtiger Lerntyp ist das Lernen
durch Beobachtung (Imitationslernen, Lernen am
Modell). Dabei ist festzustellen, dass sich auch sehr
komplexe Verhaltensweisen, wie z.B. das Verhalten in einem vornehmen Restaurant, durch diese
Art des Lernens aneignen lassen. Eine der häufigsten Formen dieser Lernart stellt die Nachahmung
eines beobachteten Verhaltens dar. Dabei beobachten wir andere Personen (Modelle) und deren Verhalten (Modellverhalten), was zu einer
Veränderung unseres Verhaltens führt. Die Verhaltensmodifikation kann in drei Richtungen erfolgen:
Lernen eines neuen Verhaltens,
Auslösen eines bereits gelernten Verhaltens
oder
Lockerung bestehender Hemmungen.
Modellernen ist ein wichtiger Wirkfaktor in verhaltensmedizinischen Gruppen, in denen Patienten Lösungsstrategien voneinander häufig leichter
lernen als durch Interventionen der Therapeuten.
Um ein ungünstiges Modellernen zu verhindern,
gehen inzwischen immer mehr Kliniken dazu
über, auch für Mitarbeiter ein Rauchverbot auszusprechen.
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1.2 Psychologische Grundlagen der Verhaltensmedizin
Fallbeispiel
1
2
Frau R. tat sich in der Therapie zunächst schwer damit,
3
ihr Vermeidungsverhalten aufzugeben. Erst als sie in
4
einer Rehabilitationsklinik erlebte wie aktiv andere
5
herzoperierte Patienten ihr Leben gestalteten und sie
6
über das Internet Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe
7
junger Organtransplantierter aufnahm, wurde sie
8
selbst zunehmend aktiver.
9
10
11
1.2.4
Kognitive Faktoren
12
13
Unter kognitiven Prozessen versteht man gedank14
liche Leistungen wie Wahrnehmen, Erkennen,
15
Denken, Schlussfolgern, Erinnern usw. Ob Angst16
symptome auftreten, hängt u.a. davon ab, ob ein
17
bestimmter Stimulus zunächst wahrgenommen
18
und dann als bedrohlich interpretiert wird. Kogni19
tive Vorgänge spielen eine bedeutende Rolle bei
20
der Entstehung und Aufrechterhaltung ungünsti21
gen Gesundheitsverhaltens und psychischer Stö22
rungen:
23
24
Selektive Wahrnehmung. Patienten mit gesund25
heitsbezogenen Ängsten (Panikstörung, Hypochon26
drie) lenken ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf Rei27
ze, die für ihre Angstinhalte spezifisch sind. Diese
28
werden dann häufiger und intensiver wahrgenom29
men. Nachgewiesen wurde dies z.B. im Farbtest
30
nach Stroop. Hierbei werden Probanden in ver31
schiedenen Farben geschriebene Wörter präsen32
tiert mit der Aufforderung, so schnell wie möglich
33
die Farbe zu benennen. Dies geht schneller bei emo34
tional neutralen Wörtern; die Latenzzeit wird län35
ger, wenn die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung
36
des Wortes gelenkt wird. Patienten mit sozialer
37
Phobie zeigten deutlich längere Latenzen bei Wör38
tern, die soziale Gefahren beschreiben (z.B. Blama39
ge, peinlich, auslachen), während Patienten mit Pa40
nikstörung auf Begriffe aus dem Bereich Gesundheit
41
(z.B. Herzinfarkt, ersticken, Ohnmacht) ansprachen.
42
43
Verstärkte Selbstbeobachtung. Weiter konnte
44
nachgewiesen werden, dass Patienten mit gesund45
heitsbezogenen Ängsten ihren Körper verstärkt
46
beobachten und Körpersignale häufiger angstbe47
setzt bewerten. Die verstärkte Selbstbeobachtung
48
führt dazu, dass mehr Körpersymptome wahrge49
nommen werden. Dies wird dann als Verschlech50
terung des Gesundheitszustandes, also wiederum
51
als Gefahrensignal, interpretiert.
52
7
Automatische Gedanken. Automatisierte kognitive Prozesse sind an sich nicht pathologisch, sondern sie ermöglichen ein schnelles Funktionieren
im Alltag. So laufen z.B. eine Reihe automatisierter
Entscheidungsprozesse ab, bevor man mit dem
Auto vor einer roten Ampel hält. Wie schwierig es
ist, automatisierte Prozesse zu verändern, erfährt
man, wenn man im Urlaub in einem Land mit
Linksverkehr Auto fährt. Wenn nun Bewertungen
automatisiert werden, die zu problematischen
Verhalten führen, sind diese Gedanken dem Patienten nicht mehr bewusst und deshalb von ihm
selbst nur schwer zu modifizieren.
Kognitive Verzerrungen und logische Fehler.
Häufig tragen kognitive Verzerrungen und logische Fehler dazu bei, problematische Verhaltensmuster aufrecht zu erhalten. Einige Beispiele hierfür sind:
Alles-oder-Nichts-Denken („Jetzt, wo ich das
Stückchen Schokolade gegessen habe, ist die
ganze Diät im Eimer.“)
Katastrophisieren („Wenn mein Partner mich
verlässt, kann ich mir gleich einen Strick nehmen.“)
Interpretationen mit Tatsachen verwechseln
(„Dass X mich so mürrisch angeschaut hat bedeutet, dass er mich nicht leiden kann.“)
Übergeneralisieren („Wenn ich beim Tennis
eine schlechte Figur gemacht habe, bedeutet
dies, dass ich für Sport zu ungeschickt bin.“)
Wenn im Gespräch mit dem Patienten solche
kognitiven Verzerrungen deutlich werden, ist es
wenig Erfolg versprechend, einfach zu widersprechen. Besser ist es, durch Hinterfragen eine Veränderung solcher Denkstrukturen anzuregen: „Wie
viel haben Sie tatsächlich durch dieses eine Stück
Schokolade zugenommen? Rechnen Sie einmal
nach!“, „Wenn es mit dem Tennis nicht so geklappt hat – woran könnte das noch liegen? Kennen Sie sportliche Menschen, die auch nicht gut
Tennisspielen? Welche Art von Bewegung könnte
Ihnen mehr liegen?“
Dysfunktionale kognitive Schemata. Kognitive
Schemata können als neuronale Netzwerke beschrieben werden, in denen Erinnerungen, Gedanken und Gefühle gespeichert sind und die gemeinsam abgerufen werden, wenn ein Teil des Schemas
aktiviert wird. Der von Aaron Beck (1967) entwickelte Erklärungsansatz der Depression nimmt als
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8
1 Grundlagen
Ursache eine als Folge früherer ungünstiger Erfah1
rungen und Lernprozesse entstandene kognitive
2
Störung an. Hauptmerkmal ist eine verzerrte In3
terpretation, die zu einer negativen Sicht von sich
4
selbst, der Welt und der Zukunft führt. Gedächt5
nispsychologische Untersuchungen zeigen, dass
6
Gedächtnisinhalte stimmungskongruent gespei7
chert und abgerufen werden. In einer depressiven
8
Phase werden also selektiv negative Erinnerungen
9
bewusst.
10
11
Fallbeispiel
12
13
Die phobische Symptomatik bildet sich bei Frau R. auch
14
nicht zurück, nachdem während der Herztransplanta15
tion der AICD entfernt worden war und nun weder die
16
Gefahr lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen
17
noch von schmerzhaften AICD-Entladungen bestand.
18
Der postoperative Verlauf war komplikationslos und
19
ein Jahr danach hätte die Patientin eigentlich wieder ih20
rem Beruf nachgehen können, wenn sie nicht weiter
21
durch ihre Ängste eingeschränkt gewesen wäre.
22
Nach der Transplantation war es zu einer harmlosen
23
und erfolgreich behandelbaren Abstoßungsreaktion
24
gekommen. Diese war für die Patientin durch Rhyth25
musstörungen spürbar gewesen. Wenn Frau R. nun
26
Herzklopfen spürte, kam es zunehmend häufiger zu
27
dem automatischen Gedanken: „Das ist eine Absto28
ßung!“. Dieser wurde katastrophisierend verstärkt:
29
„Ich werde sterben, wenn ich nicht schnell Hilfe be30
komme!“. Gleichzeitig spürte sie als Folge von Auf31
merksamkeitslenkung und selektiver Wahrnehmung
32
immer häufiger kardiale Sensationen. Frau R. wurde
33
zunehmend öfter im betreuenden Transplantations34
zentrum aufgenommen, ohne dass ein organpatholo35
gischer Befund nachweisbar war.
36
Dies war der Grund, warum sie einem Psychotherapeu37
ten vorgestellt wurde. Die bereits zuvor bestehende
38
depressive Symptomatik war nicht beachtet worden.
39
Dies entspricht der Erfahrung, dass Angstsymptome
40
im klinischen Kontext auffallen, während eine Depres41
sion häufig unerkannt bleibt, wenn deren Symptome
42
nicht im Gespräch oder mit einem Screening-Frage43
bogen erfasst werden.
44
45
46
1.2.5
Die Rolle der Emotionen
47
48
In den letzten Jahren wurde u.a. durch die Re49
zeption neurowissenschaftlicher Erkenntnisse (Le
50
Doux 2003) die Bedeutung der Emotionen für die
51
52
Verhaltensmedizin stärker betont. Drei Aspekte
sind von besonderer Relevanz:
Die Hemmung des Ausdrucks insbesondere von
negativen Emotionen in belastenden Situationen
kann pathogene Wirkung haben, während sich
das Training eines adäquaten Ausdrucks von
Emotionen gesundheitsfördernd auswirkt. Pennebaker (1993) empfiehlt als einfach durchzuführende Basisintervention das Aufschreiben der
eigenen Gefühle und des Erlebens in traumatischen oder belastenden Situationen.
Die Unfähigkeit, Affekte zu kontrollieren, kann
ebenso problematisch sein und für die Betroffenen zu bedrohlichen Situationen führen. Techniken zum Erlernen einer effektiveren Emotionswahrnehmung und -kontrolle wurden von
Linehan (1996) zunächst für Patienten mit Borderline-Störung entwickelt und dann auf andere Störungsbilder übertragen.
Gefühle können auch unangepasst an Stelle primärer Emotionen auftreten (z.B. Trauer und
Selbstvorwürfe an Stelle von Wut) und so ihrer
Signalfunktion verlustig gehen. In diesem Fall
muss in einem längeren therapeutischen Prozess zunächst das sekundäre Gefühl verbalisiert
und zu seinem biographischen Ursprung verfolgt werden, um schließlich das primäre Gefühl erlebbar zu machen und zu verbalisieren
(Greenberg 2000).
In der Psychotherapieforschung zeigte sich, dass
eine Therapie, bei der abstrakt und ohne emotionale Beteiligung über Probleme gesprochen wird,
eher geringe Wirkung hat. Grawe (1998) formulierte Problemaktualisierung und emotionale Aktivierung als wesentliche Wirkfaktoren von Psychotherapie. In der Verhaltenstherapie hat die
Aktivierung von Emotionen durch die Konfrontationsbehandlung eine lange Tradition. Klinisch ist
hierbei zu beobachten, dass es Patienten nach intensivem Erleben und Bewältigung von Angstaffekten nach der Konfrontation häufig leichter fällt,
auch andere Gefühle zuzulassen und auszudrücken. Inzwischen werden auch in der kognitiven
Therapie zunehmend emotionsaktivierende Techniken, wie z.B. Imaginationsübungen eingesetzt.
Mittels Biofeedback können die hierbei ausgelösten physiologischen Veränderungen ggf. auch dem
Patienten rückgemeldet werden. Häufig ist die
Schulung der Körperwahrnehmung der Schlüssel
zu einem besseren Zugang zu den eigenen Gefüh-
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
1.3 Subjektive Krankheitstheorie und Krankheitsverarbeitung
len, so dass hierfür eine Vielzahl spezifischer
1
Übungen entwickelt wurde (Görlitz 1998).
2
3
Fallbeispiel
4
5
Zeitweise gelang es Frau R. nicht, die in der Therapie
6
gelernten Möglichkeiten zur Angstbewältigung einzu7
setzen und sie führte nur selten das verabredete Fit8
nessprogramm durch. Immer wieder kam es zu Panik9
anfällen und ihre Bewegungsfreiheit war weiterhin
10
deutlich eingeschränkt. In dieser Phase wurde in der
11
Therapie eine emotionsaktivierende Übung durchge12
führt: Nach Induktion von Entspannung sollte Frau R
13
die Augen schließen und sich ganz genau vorstellen,
14
wie ihr Leben in 5 Jahren aussehen würde, wenn sich
15
weiterhin nichts ändern würde. Die Übung löste bei der
16
Patientin heftige Trauer aus, nicht nur über die aktuel17
le Situation, sondern auch darüber, dass ihre bisherige
18
Lebensplanung durch die Krankheit aus den Fugen ge19
raten war. Ihr Mann hatte sie verlassen als sie dringend
20
seine Unterstützung gebraucht hätte und ihre Schön21
heit, die für sie einen hohen Stellenwert hatte, war
22
durch die Nebenwirkungen der Kortisontherapie be23
einträchtigt. In den nächsten Stunden nahm die Trau24
er über diese Verluste großen Raum ein. Danach war
25
Frau R. freier, sich der Planung neuer Lebensperspekti26
ven zuzuwenden und sich mit der Angst auseinander
27
zu setzen. Es wurde klar, dass die Angst ihr die Mög28
lichkeit gab, aktiv zu sein (Klinik aufsuchen, Eltern
29
alarmieren, Notarzt rufen) und deshalb leichter auszu30
halten war als die Trauer, der sie sich hilflos ausgelie31
fert fühlte.
32
33
34
35
36
1.3
Subjektive
37
Krankheitstheorie
und
38
Krankheitsverarbeitung
39
40
41
Unter „subjektiver Krankheitstheorie“ versteht man
42
die Überzeugungen und Vorstellungen, die ein
43
Patient bezüglich
44
Art seiner Erkrankung,
45
Krankheitsursachen,
46
Zeitverlauf und Prognose sowie
47
Behandlungs- und Kontrollmöglichkeiten hat.
48
49
Kontrollüberzeugungen. Bei den Annahmen zu
50
Krankheitsursachen und Kontrollmöglichkeiten
51
kann unterschieden werden zwischen
52
9
internaler Kontrollüberzeugung („Ich kann mit
meinem Verhalten den Verlauf der Erkrankung
beeinflussen.“),
sozial-externaler Kontrollüberzeugung („Ein
guter Arzt wird mich wieder gesund machen
können.“ Oder auch: „Wenn meine Frau weiter
so an mir rumnörgelt, kann mein Blutdruck
nicht runtergehen!“),
fatalistischer Kontrollüberzeugung („Der Krankheitsverlauf wird durch Zufall/Schicksal/gesellschaftliche Verhältnisse/Gene bestimmt.“).
Diese Überzeugungen bestimmen in wesentlichem Maße das Verhalten des Patienten. So
reduzieren Herzinfarktpatienten mit internaler
Kontrollüberzeugung signifikant häufiger ihre Risikofaktoren als solche mit externalem Attributionsstil. Umgekehrt kann bei einer schicksalhaft
verlaufenden Erkrankung eine fatalistische Kontrollüberzeugung helfen, die Situation zu akzeptieren und nicht zusätzlich durch Schuldgefühle
belastet zu sein, nicht genügend vorgebeugt oder
gegen die Krankheit gekämpft zu haben.
Wenn die Krankheitstheorien von Arzt und
Patient weit auseinander liegen, so sind Noncompliance und mangelnder Therapieerfolg wahrscheinlich. Wenn ein Patient z.B. Müdigkeit und
Abgeschlagenheit auf Elektrosmog durch eine in
der Nachbarschaft errichtete Sendestation zurückführt, wird er wenig motiviert sein, die Hinweise
des Arztes zur Einstellung des neu entdeckten
Diabetes zu befolgen.
In der Anamnese sollte unbedingt die subjektive
Krankheitstheorie des Patienten erfragt werden.
Wenn diese einer verhaltensmedizinischen Intervention entgegensteht, muss zunächst die Krankheitstheorie mittels Information oder kognitivem
Umstrukturieren modifiziert werden.
Fallbeispiel
Frau R. war der Überzeugung, dass ihre Kardiomyopathie entstanden sei, weil sie eine Grippe nicht genügend auskuriert und sich zu wenig geschont habe. Als
automatischer Gedanke fungierte die Überzeugung:
„Wenn man es am Herz hat, muss man sich schonen.“
Dies brachte sie beim Auftreten von Angstsymptomen
(Herzklopfen, Hyperventilation) dazu, körperliche Aktivität abzubrechen, was die selbstständige Durchfüh-
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
10
1 Grundlagen
rung ihres Trainingsprogramms verhinderte. Erst als
1
diese Überzeugung modifiziert wurde, und Frau R. ver2
innerlichte, dass regelmäßiges Ausdauertraining ihr
3
Herz kräftigt und Schonung die Problematik ver4
schlechtert, konnte sie sich gegen die aufkommenden
5
Ängste wehren.
6
7
Weitere Informationen zu den Themen Krank8
heitsverarbeitung und Krankheitsverhalten finden
9
sich in den Kapiteln 3 und 15.
10
11
12
13
1.4
Theorien zur Veränderung
14
menschlichen Verhaltens
15
16
Banduras Konstrukt der Selbstwirksamkeit. In
17
den 70er-Jahren erwies sich ein auf Fremdkontrol18
le basierendes therapeutisches Konzept, wie es
19
von Skinner vertreten wurde, als nicht mehr zeit20
gemäß. Neue Konzepte setzen sich deshalb mit
21
kognitiven Prozessen ebenso wie mit der Möglich22
keit der Selbstregulation und Selbststeuerung aus23
einander. Im Rahmen seiner Theorie des Modeller24
nens entwickelte Bandura (1977) das Konstrukt
25
der Selbstwirksamkeit (Self Efficacy), welches be26
inhaltet, dass eine Person ihr Verhaltensmuster
27
nur dann ändert, wenn sie zuvor davon überzeugt
28
ist, das neue Verhalten auch tatsächlich ausüben
29
zu können. Die empirische Fundierung der Arbei30
ten Banduras erleichterte es auch ursprünglich be31
havioristisch ausgerichteten Forschern und Prakti32
kern, kognitive Konstrukte zu akzeptieren.
33
34
Selbstmanagement-Ansatz nach Kanfer. Einen
35
Schritt weiter ging Kanfer (1991), als er die kogni36
tionspsychologische Unterscheidung zwischen au37
tomatisierter und kontrollierter Informationsver38
arbeitung in die Verhaltensanalyse integrierte.
39
Aufgabe der von ihm formulierten Selbstmanage40
ment-Therapie ist es, dem Klienten über eine
41
Rückkehr in den Modus der bewussten Informa42
tionsverarbeitung zu helfen, dysfunktionale Mus43
ter zu erkennen und zu modifizieren. Dies kann
44
z.B. dadurch geschehen, dass der Klient aufgefor45
dert wird, Gefühle, Gedanken und Verhalten in
46
häufig wiederkehrenden Problemsituationen zu
47
beobachten und möglichst zeitnah zu protokollie48
ren. Solche Problemsequenzen werden dann in der
49
Therapiestunde in Zeitlupe betrachtet und auf dys50
funktionale Muster untersucht. Durch diesen the51
rapeutischen Prozess werden automatische Ge52
danken der bewussten Reflexion und Steuerung
des Individuums wieder zugänglich gemacht.
7-Stufen-Modell der therapeutischen Veränderung. Der Selbstmanagement-Ansatz wurde dann
von Kanfer und Mitarbeitern (1996) zu einem
7-Stufen-Modell der therapeutischen Veränderung ausgearbeitet (Abb. 1.5). Entscheidend ist
hierbei, dass die eigentliche verhaltenstherapeutische Intervention (Phase 5) nur einen Teil der Therapie einnimmt und zunächst durch den Aufbau
der therapeutischen Beziehung, eine individuelle
Problemanalyse sowie ein gemeinsames Erarbeiten der Therapieziele vorbereitet wird. An die Intervention schließt sich eine Phase an, in der die
Auswirkungen der erzielten Veränderung auf den
Lebenskontext des Patienten betrachtet werden
und in der der Umgang mit dem möglichen erneuten Auftreten von Symptomen und das Therapieende vorbereitet werden.
Bei ausbleibenden therapeutischen Fortschritten sieht das Modell eine „Störfallanalyse“ vor, bei
der überprüft wird, ob es notwendig ist, zu früheren Phasen des Prozesses zurückzukehren, also
z.B. die Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung zu thematisieren oder Änderungsbereiche
neu zu definieren. Dieses Modell bezieht so die
therapeutische Beziehung mit in die Betrachtung
ein und weist ihr einen zentralen Stellenwert zu.
Stages of Change. Prochaska und DiClemente
(1983) fanden bei der Untersuchung von Personen,
die versuchten, mit dem Rauchen aufzuhören, ein
bestimmtes Muster, nach dem der Veränderungsprozess ablief, unabhängig davon, ob professionelle Hilfe in Anspruch genommen wurde, oder nicht.
Sie beschrieben in ihrem „transtheoretischen Modell“ der Verhaltensänderung einen sechsstufigen
Ablauf (Tab. 1.1).
Die immense praktische Bedeutung dieses Ansatzes liegt darin, dass innerhalb der verschiedenen
Stadien die Anwendung unterschiedlicher therapeutischer Strategien sinnvoll ist, während andere
mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben
werden. Ein verhaltenstherapeutisches Nichtrauchertraining wäre z.B. in der Phase Preparation
oder Action ein Angebot, das der Patient sinnvoll
nutzen könnte, in der Precontemplation-Phase hingegen würde er den Sinn eines solchen Programms
für sich nicht sehen können und allenfalls aus äußerem Zwang teilnehmen. In diesen frühen Phasen
geht es vielmehr darum, Veränderungsmotivation
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
1.4 Theorien zur Veränderung menschlichen Verhaltens
11
1
Bezeichnung der Phasen
wichtige Ziele
2
3
– Rollenstrukturierung
1. Eingangsphase:
– Bildung einer kooperativen Arbeitsbeziehung (= „therapeutische Allianz“)
4
Schaffung günstiger
– Beginn der problembezogenen Informationssammlung („Screening“ von Eingangsbe5
Ausgangsbedingungen
schwerden und -erwartungen: erste Überlegungen zu therapeutischen Ansatzpunkten)
6
– optimale Gestaltung der „äußeren“ Therapiesituation
7
– Nutzung „inhärenter“ Motivationsbedingungen des Selbstmanagementkonzepts
8
2. Aufbau von
– Reduktion von Demoralisierung und Resignation
„Änderungsmotivation“
9
– Einsatz spezieller Motivierungsstrategien
und vorläufige Auswahl
10
– erste Ansätze einer „Ziel- und Wertklärung“ (ZWK)
von Änderungsbereichen
– (vorläufige) sachliche und motivationsabhängige Auswahl von Änderungsbereichen
11
12
– situative Verhaltensanalyse (von der Makro- zur Mikroebene)
13 3. Verhaltensanalyse
– kontextuelle Verhaltensanalyse (von Mikro- zur Makroebene)
und funktionales
14
– Erstellen eines (vorläufigen) funktionalen Bedingungsmodells
Bedingungsmodell
15
16
– Klären von Therapiezielen
17 4. Vereinbaren
– gemeinsame Zielanalyse
therapeutischer Ziele
18
– Konsens über therapeutische Zielperspektiven
19
– Planung spezieller Maßnahmen (auf der Basis der Informationen aus den Phasen
20 5. Planung, Auswahl
1 bis 4)
21
und Durchführung
– Entscheidung über spezielle Interventionen
spezieller Methoden
22
– Durchführung der Maßnahmen
23
– kontinuierliche therapiebegleitende Diagnostik
24 6. Evaluation
– Prä/Post-Evaluation
25
therapeutischer
– „zielabhängige“ Evaluation des Einzelfalls
Fortschritte
26
27
– Stabilisierung und Transfer therapeutischer Fortschritte
28 7. Endphase:
– Arbeit an restlichen therapeutischen Ansatzpunkten bzw. Bearbeiten neuer therapeu29
Erfolgsoptimierung und
tischer Ziele
Abschluss der Therapie
30
– Erlernen von „Selbstmanagement“ als Prozess
– Beendigen/Ausblenden der Kontakte
31
– Abschluss-„Feedback“
32
– Vorbereitung von „Follow-up“ bzw. von Katamnesen
33
34
„Follow-up“/Katamnese
35
36
Abb. 1.5 7-Phasen-Modell des therapeutischen Prozesses (Reinecker 2005).
37
38
39
40
Tabelle 1.1 Veränderungs-Prozess-Modell
Stufe 1
Precontemplation
Vorstadium des Nachdenkens
41
von Prochaska und DiClemente (1983)
Stufe 2
Contemplation
Stadium des Nachdenkens
42
Stufe 3
43
44
Stufe 4
45
Stufe 5
46
Stufe 6
47
Preparation
Vorbereitungsstadium
Action
Handlung
Maintenance
Aufrechterhaltung
Relaps
Rückfall
48
49
50
51
52
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
12
1 Grundlagen
aufzubauen, als konkrete Strategien zur Verände1
rung zu planen. Das transtheoretische Modell kann
2
also helfen, Patienten individuell therapeutische
3
Strategien zuzuordnen, die bei ihnen besonders Er4
folg versprechend sind.
5
6
7
1.5
Grundprinzipien der
8
kognitiven
9
Verhaltenstherapie
10
11
12
Die kognitive Verhaltenstherapie ist aus heteroge13
nen Denkrichtungen und Behandlungsansätzen
14
entstanden. Verbindendes Element ist die Orien15
tierung an der Lerntheorie und der empirischen
16
Psychologie. Deshalb ist es sinnvoll, nicht von ei17
ner Therapieschule, sondern von einer psychothe18
rapeutischen Grundorientierung zu sprechen.
19
20
Definition. Margraf (2000) formulierte folgende
21
Definition: „Die Verhaltenstherapie ist eine auf der
22
empirischen Psychologie basierende psychothe23
rapeutische Grundorientierung. Sie umfasst stö24
rungsspezifische und -unspezifische Therapiever25
fahren, die aufgrund von möglichst hinreichend
26
überprüftem Störungswissen und psychologi27
schem Änderungswissen eine systematische Bes28
serung der zu behandelnden Probleme anstreben.
29
Die Maßnahmen verfolgen konkrete und operatio30
nalisierte Ziele auf den verschiedenen Ebenen des
31
Verhaltens und Erlebens, leiten sich aus einer Stö32
rungsdiagnostik und individuellen Problemanalyse
33
ab und setzen an prädisponierenden, auslösenden
34
und/oder aufrechterhaltenden Problemänderun35
gen an. Die in ständiger Entwicklung befindliche
36
Verhaltenstherapie hat den Anspruch, ihre Effekti37
vität empirisch abzusichern.“
38
Im Folgenden sollen einige Prinzipien darge39
stellt werden, die der verhaltenstherapeutischen
40
Arbeit zugrunde liegen.
41
42
Wissenschaftliche Fundierung. Die Verhaltens43
therapie geht davon aus, dass menschliches Ver44
halten hinreichend erklärt werden kann durch An45
wendung allgemeiner Prinzipien, die empirisch
46
ermittelt werden können. Dies bedeutet nicht,
47
dass sämtliche Prinzipien bereits bekannt sind, die
48
ein individuelles Verhalten ausreichend erklären.
49
Es ist jedoch keine vom sonst üblichen wissen50
schaftlichen Vorgehen abweichende Denkmetho51
52
dik notwendig, um zu erklären, warum jemand zu
einem Zeitpunkt etwas Bestimmtes getan hat oder
nicht.
Mit Recht kann gefragt werden, wie die Anwendung allgemeiner Prinzipien der Individualität des
Menschen gerecht werden soll. Hier ist zu beachten, dass die Prinzipien des Lernens einen formalen und weniger einen inhaltlichen Charakter haben. Sie beziehen sich darauf, wie und unter
welchen Bedingungen gelernt wird, aber weniger
darauf, was gelernt wird. Die Lerntheorie liefert
also nur den formalen Rahmen, um zu verstehen,
wie Lernvorgänge ablaufen und wie menschliches
Verhalten erklärt werden kann. Dieser Rahmen
muss dann in jedem Einzelfall anhand der individuellen Lern- und Lebensgeschichte eines Individuums mit Inhalt gefüllt werden.
Experimentelle Methode. Experimentelles Vorgehen bedeutet, dass man die aus der Lerntheorie
abgeleiteten Hypothesen und die Wirksamkeit der
eingesetzten Therapiemethoden ständig am Therapieverlauf überprüft. Wenn aus der Verhaltensanalyse eines Symptoms eine bestimmte therapeutische Intervention abgeleitet wird, so ist deren
Anwendung zugleich eine Überprüfung der vorausgegangenen Hypothesen. Wenn z.B. eine Angstsymptomatik nach einer korrekt durchgeführten
Expositionstherapie bestehen bleibt, ist davon auszugehen, dass eine der Hypothesen, die über die
Aufrechterhaltung des Symptoms gemacht wurden, falsch oder nicht hinreichend war. Möglicherweise wurden z.B. soziale Verstärker der Angst zu
wenig berücksichtigt. Das experimentelle Vorgehen verbietet daher, das Scheitern einer Intervention vorschnell mit Non-Compliance oder Widerstand des Patienten zu erklären.
Orientierung am Einzelfall. Ausgangspunkt einer
therapeutischen Intervention ist nicht die Zuordnung zu einer diagnostischen Kategorie, sondern
die individuell durchgeführte Verhaltens- und
Problemanalyse. Das für die jeweiligen Problembereiche vorhandene Störungswissen (z.B. Therapiemanuale) wird auf den Einzelfall zugeschnitten.
Orientierung am Problem und an möglichen Lösungen. Die Behandlung setzt in der Regel an der
vom Patienten geschilderten und aktuell bestehenden Problematik an. Dies schließt nicht aus,
dass im Rahmen des Änderungsprozesses neue
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
1.6 Methoden der Verhaltenstherapie
Problembereiche aktualisiert und in Absprache
1
mit dem Patienten ebenfalls Inhalte der Therapie
2
werden können. Hierbei soll nach Möglichkeit
3
nicht nur das aktuell bestehende Problem gelöst,
4
sondern auch die Problemlösekompetenz des Pa5
tienten allgemein erhöht werden. Dies kann durch
6
das Transparentmachen des therapeutischen Vor7
gehens und dessen Übertragung auf andere Prob8
lembereiche erfolgen. So kann z.B. ein erfolgrei9
ches Expositionstraining bei einem Agoraphobiker
10
dazu genutzt werden, das Prinzip der Angstbewäl11
tigung durch Habituation zu verdeutlichen. Dies
12
kann er dann später auch in anderen Angstsitua13
tionen anwenden. Ebenso kann der Patient daraus
14
die Erfahrung ziehen, dass er schwierige Situa15
tionen offensichtlich besser bewältigen kann, als
16
er es sich selbst zunächst zutraut.
17
18
Transparenz und Hilfe zur Selbsthilfe. Das Erar19
beiten eines gemeinsamen Problemverständnisses
20
ist Grundlage der Verhaltenstherapie. Therapeuti21
sche Strategien werden offen gelegt und dem Pa22
tienten transparent gemacht, sowohl um seine Be23
reitschaft zur Mitarbeit zu erhöhen als auch, um
24
ihm dieses Wissen zur Erarbeitung eigener Prob25
lemlösestrategien zur Verfügung zu stellen. Im
26
Sinne des Selbstmanagement-Ansatzes soll der Pa27
tient zum Experten für die Lösung seiner Probleme
28
gemacht werden. Mit der Erreichung der verein29
barten Therapieziele endet der Behandlungsauf30
trag. Verhaltenstherapie soll Hilfe zur Selbsthilfe
31
und nicht dauerhafte Lebensbegleitung sein.
32
33
34
1.6
Methoden der
35
Verhaltenstherapie
36
37
Bereits eine kurz gefasste Darstellung der einzel38
nen verhaltenstherapeutischen Methoden und
39
Techniken würde den Rahmen dieses Buches
40
sprengen. Deshalb werden nur einige wenige Me41
thoden dargestellt, die als paradigmatisch für das
42
Verfahren insgesamt gelten können. Darüber hi43
naus sei auf die Darstellung von Behandlungs44
methoden in den folgenden Kapiteln und auf die
45
weiterführende Literatur (z.B. Margraf 2000;
46
Reinecker 2005; Linden u. Hautzinger 2004) ver47
wiesen.
48
49
50
51
52
1.6.1
13
Systematische
Desensibilisierung
Wenn eine Angstreaktion auf harmlose Reize eine
klassisch konditionierte Reaktion ist, so kann diese
durch Löschung wieder beseitigt werden. Eine
konditionierte Reaktion auf einen konditionierten
Reiz wird dadurch gelöscht, dass dieser Reiz häufig
ohne den unkonditionierten Reiz dargeboten wird.
Da eine wesentliche Bedingung für die Aufrechterhaltung der Angst in einer Angst verstärkenden
physiologischen Reaktion besteht, müssen die
Reize in einer niedrigen Intensität dargeboten
werden, die diese Komponente nicht auslöst.
Gleichzeitig wird durch Einsatz eines Entspannungsverfahrens ein angstinkompatibler Zustand
erzeugt. Diesem Prinzip entspricht das abgestufte
Vorgehen bei der Systematischen Desensibilisierung. Dieses Verfahren steht am Ursprung der Verhaltenstherapie und führte die Progressive Muskelentspannung in die Verhaltenstherapie ein
(Wolpe u. Lazarus 1966).
Es wird eine Hierarchie Angst auslösender Reize
erstellt und dargeboten, wobei sichergestellt wird,
dass es zu keiner ausgeprägten physiologischen
und erlebnismäßigen Aktivierung kommt. Erst
wenn eine Stufe der Hierarchie sicher toleriert
wird (bei einem Spinnenphobiker z.B. das Betrachten der Abbildung einer Spinne), kommt der
nächste Schwierigkeitsgrad zum Einsatz. (z.B.
Spinne hinter einer Glasscheibe). Dieses Verfahren
ist sehr zeitaufwendig, außerdem lernt der Patient
hierbei keine Strategien zur Angstbewältigung.
Deshalb hat die systematische Desensibilisierung
inzwischen eher historische Bedeutung und wird
nur noch eingesetzt, wenn eine Kontraindikation
gegen Konfrontationsverfahren besteht.
1.6.2
Konfrontationsverfahren
Die Reizkonfrontation gehört zu den wirksamsten
und am besten evaluierten Psychotherapieverfahren überhaupt. Grundprinzip ist die Konfrontation
mit einem Angst auslösenden Reiz, die solange
aufrechterhalten wird, bis der Patient einen deutlichen Rückgang der Angst verspürt (Habituation).
Flooding. Die Methode der massierten Konfrontation (Flooding) beinhaltet die Konfrontation mit
einem Angst auslösenden Reiz in seiner stärksten
Ausprägung. Der Patient wird dann daran gehin-
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
14
1 Grundlagen
dert, den Reiz zu vermeiden, was dazu führt, dass
1
die physiologischen Reaktionskomponenten ab2
klingen und der Patient die Erfahrung macht, dass
3
er in Anwesenheit der Angst auslösenden Reize ru4
higer wird. Hierbei muss unbedingt darauf geach5
tet werden, dass der Patient so lange in der Angst
6
auslösenden Situation verbleibt, bis er einen deut7
lichen Angstabfall verspürt. Deshalb kann eine Ex8
positionssitzung auch mehrere Stunden dauern.
9
Andernfalls wird das Vermeidungslernen verfes10
tigt und die Störung chronifiziert.
11
In diese Falle geraten viele Patienten, die sich
12
ohne therapeutische Begleitung Angstsituationen
13
aussetzen oder die von nicht qualifizierten Hilfs14
kräften begleitet werden, die nicht auf verdecktes
15
Vermeidungsverhalten achten oder die Übung zu
16
früh abbrechen. Am Beispiel Spinnenphobie be17
deutet dies, dass bereits in der ersten Expositions18
übung Körperkontakt mit Spinnen ausgehalten
19
werden muss. Voraussetzung hierfür ist eine ent20
sprechende Vorbereitung, in der dem Patienten
21
das Rational der Methode erklärt und das thera22
peutische Vorgehen abgesprochen wird.
23
Vorteile dieser Methode sind, dass die Erfah24
rung gemacht wird, dass die Angst überwunden
25
werden kann und dass allgemein wirksame Angst26
bewältigungsstrategien erlernt werden. Gegen27
über der systematischen Desensibilisierung be28
deutet dies:
29
schnelleren Wirkungseintritt,
30
bei Widerauftreten von Angst weiß der Patient,
31
wie er damit umgehen kann,
32
bei unterschiedlichen Angstauslösern müssen
33
nicht mehrere Hierarchien durchlaufen wer34
den, sondern es reichen auch hier einige wenige
35
Expositionssitzungen mit Instruktion zum ei36
genständigen Training.
37
38
Bei der abgestuften Exposition wird mit einem
39
Reiz begonnen, der zwar starke, aber nicht maxi40
male Angst auslöst. Diese Variante kann eingesetzt
41
werden, wenn sich für die massierte Konfrontation
42
keine Motivation aufbauen lässt. Die besten Er43
gebnisse mit der Konfrontation in vivo werden
44
bei allen Phobien sowie bei Zwangshandlungen er45
zielt. Bei der Therapie von Zwängen werden die
46
Patienten ebenfalls einem starken Angstauslöser
47
ausgesetzt (z.B. Berühren „kontaminierter“ Ge48
genstände oder Verlassen der Wohnung ohne Kon49
trollritual), anschließend wird die bisherige Stra50
tegie zur Spannungsreduktion (z.B. Waschritual
51
oder nach Hause fahren und Kontrollritual durch52
führen) verhindert, bis die sich dabei aufbauende
Spannung nachlässt (also wiederum Habituation
eintritt).
Eine Alternative stellt die Konfrontation in sensu, also mit Hilfe imaginativer Techniken, dar. Sie
hat sich als effektive Behandlungsmethode bei der
posttraumatischen Belastungsstörung (Traumakonfrontation), bei der generalisierten Angststörung (Sorgenkonfrontation) oder bei Zwangsgedanken erwiesen.
1.6.3
Stimuluskontrolle
Ansatzpunkt der Stimuluskontrolle ist das S, also
der Beginn der S-O-R-C-Kette. Die Patienten lernen hierbei, die Auslösesituation für ein bestimmtes Problemverhalten zu identifizieren, um sie
dann modifizieren oder kontrollieren zu können.
Für einen Patienten mit Essanfällen könnte dies
bedeuten, generell nicht mehr in der Küche, sondern nur noch am Esstisch zuvor portionierte
Mahlzeiten zu essen.
Fallbeispiel
Frau R. neigte zeitweise dazu, morgens bereits vor
dem Fernseher „kleben“ zu bleiben, wodurch sie ihr
vorgenommenes Tagespensum nicht schaffte und zunehmend depressiv wurde. Sie wandte erfolgreich Stimuluskontrolle an, indem sie nicht mehr auf dem Sofa
vor dem Fernseher, sondern in der Küche frühstückte
und anschließend mit ihrem Trainingsprogramm begann.
1.6.4
Kognitive Verfahren
Kognitives Umstrukturieren. Ein zentrales Element der Aufrechterhaltung psychischer Störungen sind nach der kognitiven Theorie von Beck die
bereits oben beschriebenen automatischen Gedanken. Entscheidend ist hierbei, dem Patienten nicht
einfach zu widersprechen oder ihn zu belehren,
sondern mit ihm gemeinsam seine dysfunktionalen
Gedanken zu hinterfragen, hierbei logische Fehler
aufzuspüren und alternative Erklärungen für die
Symptomatik zu finden. Ein Fallbeispiel hierzu findet sich in Kap. 16.
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
1.6 Methoden der Verhaltenstherapie
Fallbeispiel
1
2
Frau R. hatten schon viele Ärzte erklärt, dass ihre Sym3
ptome kein Hinweis auf eine akute Abstoßung sind
4
und meist war sie sich auch selbst darüber klar. Bei ei5
nem Panikanfall konnte sie dieses Wissen aber nicht
6
anwenden. Erst das wiederholte Hinterfragen ihrer
7
Angst auslösenden Überzeugungen in der Therapie
8
half ihr, auch beim Auftreten von Panik davon abzu9
rücken.
10
11
12
Eine weitere Hilfe bei der Entscheidung zwischen
13
zwei Erklärungen kann die Durchführung von Ver14
haltensexperimenten sein.
15
Die Technik des Entkatastrophisierens zeigt
16
eine kurze Fallsequenz: Eine Patientin hatte we17
gen chronischer Rückenschmerzen seit Jahren alle
18
geselligen Anlässe vermieden, worunter sie sehr
19
litt. Als Befürchtung nannte sie: „Dann könnten
20
meine Schmerzen schlimmer werden.“ Weiter als
21
zu diesem Punkt hatte sie bisher nicht gedacht, da
22
ihr selbstverständlich war, alles zu vermeiden, was
23
zu einer Schmerzverstärkung führen könnte. Auf
24
die Frage, was geschehen würde, wenn die Be25
fürchtung tatsächlich einträfe, antwortete sie:
26
„Dann müsste ich schlimmstenfalls früher gehen.“
27
Ihr war klar, dass das Eintreten der Befürchtung
28
weniger belastend war als ihr freiwilliger Rückzug
29
und sie begann, wieder auszugehen.
30
31
Stress-Bewältigung. Auch die in Kapitel 13 aus32
führlich beschriebene Stressbewältigung ist den
33
kognitiven Verfahren zuzurechnen.
34
35
Selbstkontrolltraining. Insbesondere in der Prä36
vention und Rehabilitation haben Selbstkontroll37
techniken für den Abbau von Risikoverhalten bzw.
38
den Aufbau von gesundheitsförderndem Verhalten
39
eine erhebliche Bedeutung. Kanfer hat drei Kompo40
nenten des Selbstkontrolltrainings genannt:
41
Selbstbeobachtung (Self Monitoring): Es er42
folgt eine genaue Analyse des Verhaltens und
43
seiner kontrollierenden Bedingungen sowie
44
eine Aufzeichnung seines Auftretens.
45
Bewertung und Zielanalyse: Es werden Ziel46
vorstellungen erarbeitet und das tatsächliche
47
Verhalten anhand der Aufzeichnungen des Ver48
haltens bewertet. Dabei muss darauf geachtet
49
werden, dass beim schrittweisen Verändern
50
des Verhaltens die Bewertung an Zwischenzie51
len erfolgt und nicht am endgültig anzustre52
15
benden Ziel, um Misserfolgserlebnisse zu vermeiden.
Selbstverstärkung: Der Patient wird angehalten, sich nach einer erbrachten Leistung selbst
zu loben, oder es werden äußere Verstärker
eingeführt.
Euthyme Therapie. Dieser Behandlungsansatz
wird in Kap. 9 beschrieben.
Multimodale Therapie. Es hat sich gegenüber den
Anfängen der Verhaltenstherapie gezeigt, dass die
Anwendung isolierter Techniken zwar durchaus
einen Effekt hat, dass dieser Erfolg jedoch größer
ist, wenn Verhalten auf mehreren Ebenen betrachtet und beeinflusst wird. Für zahlreiche Krankheitsbilder wurden daher spezifische, multimodale Therapiemanuale entwickelt und erprobt, die
Module mit unterschiedlichen therapeutischen
Zielsetzungen und Strategien miteinander kombinieren.
Verhaltenstherapeutische Gruppen. Störungsspezifische Programme standen auch in den 60er- und
70er-Jahre am Anfang der Entwicklung verhaltenstherapeutischer Gruppentherapie, wobei zunächst
Konzepte der Einzeltherapie auf das Gruppensetting übertragen wurden. In einem nächsten Schritt
wurden störungsspezifische, multimodale Gruppenprogramme entwickelt und evaluiert. Um auch
Patienten mit komplexen Störungsbildern und
Behandlungssettings, die keine Störungshomogenität ermöglichen können, gerecht zu werden, kamen zieloffene, kognitiv-verhaltenstherapeutische
Gruppen hinzu (Fiedler 1996).
Allen diesen Konzepten ist gemeinsam, dass der
therapeutische Fokus nicht auf gruppendynamischen Prozessen und den Beziehungen der Gruppenteilnehmer untereinander liegt, sondern dass
Lösungsansätze für psychische Probleme eines
oder mehrerer Gruppenteilnehmer erarbeitet
werden. Somit bilden Themen aus dem Lebensalltag der Teilnehmer und nicht das Geschehen in der
Gruppe den Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit. Im Sinne einer „Einzeltherapie in der Gruppe“
kann hierbei der Aufmerksamkeitsfokus von Teilnehmer zu Teilnehmer wechseln. Die Gruppentherapie bietet gegenüber der Einzelarbeit neben dem
ökonomischen Aspekt spezifische zusätzliche therapeutische Möglichkeiten, wie:
Feedback von anderen Gruppenteilnehmern
empfangen und diesen geben können.
Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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1 Grundlagen
Rollenspiele und andere gruppenspezifische
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Techniken
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Die Problemlöseressourcen der übrigen Teil3
nehmer werden für den einzelnen nutzbar
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Modellernen, Selbstverpflichtung
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Erfahrung von Solidarität und wechselseitiger
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Unterstützung
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Nahezu unverzichtbar ist Gruppenarbeit in Berei9
chen wie dem Training sozialer Kompetenz oder
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dem Selbstsicherheitstraining. Problematisch ist,
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dass trotz dieser Vorteile das Gruppensetting sel12
tener eingesetzt wird, als es nach den Befunden
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der Psychotherapieforschung wünschenswert wä14
re. Eine Ursache hierfür ist in einem Honorierungs15
system zu sehen, das insbesondere Kurzzeit-Grup16
pentherapie zunehmend unattraktiv macht.
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Köllner/Broda,Praktische Verhaltsmedizin (ISBN3131321512)©2005 Georg Thieme Verlag KG
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