Konstituenten

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Aus: Hubert Truckenbrodt und Kathrin Eichler: Einführung in die moderne Sprachwissenschaft. Ms.,
ZAS Berlin und DFKI Saarbrücken, 2010.
Syntax 2:
Konstituenten
Zentrale Lerninhalte dieses Kapitels:
• Ein Satz besteht aus kleineren linguistische Einheiten, so genannten Konstituenten.
• Sie lernen Tests zum Identifizieren dieser Konstituenten
• Konstituenten sind relevant für die Syntax und Bedeutungseinheiten in der Semantik.
• Größere Konstituenten können aus kleineren Konstituenten bestehen.
1. Einleitung
In diesem Kapitel beginnen wir damit, die syntaktische Analyse von deutschen und englischen Sätzen
einzuführen. Die Analyse, auf die wir uns dabei beziehen, ist die Generative Grammatik. Dies ist ein
Rahmen der linguistischen Analyse und eine Forschungsrichtung, die ihren Anfang 1957 mit dem
Buch 'Syntactic Structures' des amerkanischen (USA) Linguisten Noam Chomsky nahm. Inzwischen
hat sich diese Forschungsrichtung flächendeckend in den USA etabliert, und ist auch in vielen
anderen Ländern, einschließlich Deutschland, stark vertreten.
Noam Chomsky, *1928, Linguist aus den USA, unterrichtet heute (2008)
noch gelegentlich am Massachusetts Institute of Technology, wo er die
letzten 50 Jahre wirkte. Besonders wichtige Beiträge hat er in der
Syntaxforschung geleistet, die er Mitte der 1950er Jahre revolutionierte und
zu der er seither richtungsweisend beigetragen hat. Aber auch in der
Phonologie, in der Computerlinguistik und in angrenzenden Bereichen wie
der Informatik und Psychologie hatten seine Arbeiten nachhaltige Wirkung.
Noam Chomsky ist auch ein scharfer öffentlicher Kritiker der Außen- und
Wirtschaftspolitik der USA. ("Everyone's worried about stopping terrorism.
Well, there's a really easy way: Stop participating in it.") Noam Chomsky ist
der meist-zitierte lebende Mensch.
In diesem Einführungsbuch werden allgemeine Grundannahmen der generativen
Syntaxanalyse eingeführt. Die Vergleiche des deutschen Satzbaus mit dem englischen Satzbau sollen,
vor allem in späteren Kapiteln, einen Eindruck von der sprachübergreifenden Syntaxforschung
vermitteln: Sätze in unterschiedliche Sprachen sind aus ähnlichen Strukturbausteinen aufgebaut und
zeigen dabei ähnliche Gesetzmäßigkeiten; gleichzeitig unterscheidet sich die Kombinatorik der
Elemente dann auch von Sprache zu Sprache in einigen spezifischen abstrakten Hinsichten.
In diesem Kapitel motivieren wir die Annahme, dass Sätze überhaupt aus kleineren Teilen,
Konstituenten genannt, aufgebaut sind. Im folgenden Kapitel werden wir diskutieren, welche
unterschiedliche Arten solcher Bausteine es gibt und wie einige davon genauer aufgebaut sind.
Spätere Kapitel zur Syntax führen dann zu einem Verständnis der Satzbaupläne des Deutschen und
des Englischen im Vergleich.
Im vorangegangenen Kapitel haben wir gesehen, dass einzelne Morpheme sich zu größeren
Einheiten kombinieren, etwa dem Stamm oder dem Wort. Diese größeren Einheiten sind
morphologische Konstituenten. Allgemeiner ist eine Konstituente eine grammatische Einheit, die sich
aus mehreren kleineren Elementen zusammensetzen kann. In diesem Kapitel geht es um syntaktische
S. 1 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Konstituenten. In der Syntax spielen Konstituenten eine Schlüsselrolle. Sie sind die Bausteine der
Sätze. Wie wir später sehen werden, ist die gesamte Theorie des Satzbaus (Syntax), wie auch die
Theorie der Kombination der Bedeutungen (Semantik), auf Konstituenten aufgebaut. Für den Anfang
kann man sich eine syntaktische Konstituente als eine Abfolge von Wörtern innerhalb eines Satzes
vorstellen, die auf eine Art zusammengehören. Auf welche Art sie zusammengehören wird im Verlauf
des Kapitels klarer werden.
DEFINITION
Syntaktische Konstituente [Englisch: syntactic constituent]: aufeinander folgende Worte, die eine
syntaktische Einheit bilden; in einem Baumdiagramm wird eine Konstituente als Knoten des
Baumdiagramms dargestellt. Als Grenzfall werden einzelne Wörter auch als syntaktische
Konstituenten begriffen.
Wir führen in diesem Kapitel zunächst an relativ offensichtlichen Beispielen einige Tests für
syntaktische Konstituenten ein. Später in dem Kapitel werden die Tests auf Fälle angewandt, die
weniger offensichtlich sind.
2. Ein erster Eindruck von einfachen Konstituenten
Betrachten wir zunächst den Beispielsatz (1).1
(1)
Mein Freund isst in Boston jeden Tag eine Suppe mit Venusmuscheln.
In diesem Satz werden Sie eine Reihe von Bedeutungseinheiten ausmachen können, die in (2) mit
Hilfe von eckigen Klammern dargestellt sind.
(2)
wer?
[Mein Freund] isst
wo?
[in Boston]
wann?
[jeden Tag]
was?
[eine Suppe mit Venusmuscheln]
Die erste Bedeutungseinheit [mein Freund] sagt uns, wer ein die Suppe mit Venusmuscheln isst. Die
Bedeutungseinheit am Satzende, [eine Suppe mit Venusmuscheln] gibt uns Information darüber, was
gegessen wird. Die beiden übrigen Bedeutungseinheiten [in Boston] und [jeden Tag] sagen uns, wo
und wann das Essen der Suppe stattfindet.
Diese vier Bedeutungseinheiten, die jeweils aus einer mit eckigen Klammern
zusammengefassten Abfolge von Wörtern bestehen, sind unsere ersten Konstituenten in dieser
Lektion.
3. Konstituenten als Bedeutungseinheiten
Syntaktische Konstituenten sind in der Semantik Bedeutungseinheiten. In diesem Abschnitt werden
wir drei verschiedene Tests kennen lernen, die sich diesen Aspekt von Konstituenten zu nutze
machen. Die Tests funktionieren sowohl im Deutschen als auch im Englischen. In (3) ist der erste
dieser Konstituententests formuliert.
1
Sollte es Sie einmal nach Boston/Cambridge verschlagen, sollten Sie auf jeden Fall zwei Dinge tun: Erstens,
schauen Sie sich das Gebäude an, in dem die Linguisten, unter anderem Chomsky, seit 2004 arbeiten. Es ist ein
wildes und sehr beeindruckendes Gebäude des berühmten Architekten Frank Gehry. Zweitens sollten Sie in eins
der guten Restaurants, zum Beispiel Legal Seafood, gehen und dort einen Teller “clam chowder” essen. Diese
Spezialität der Region ist eine gehaltvolle Suppe aus Venusmuscheln [E. clams], Kartoffeln und Sahne.
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(3)
KONSTITUENTENTEST 1:
Eine Konstituente kann manchmal mit Hilfe eines Pronomens ersetzt werden, das dieselbe
Bedeutung transportiert (denselben Bezug zur Welt hat) wie die Konstituente.
Sehen wir uns in (4) erneut unseren Beispielsatz an, so kann hier zum Beispiel das Subjekt mein
Freund durch das Pronomen er ersetzt werden und das Pronomen kann dabei die Bedeutung von mein
Freund annehmen. Entsprechend können wir auch das Objekt mit einem Pronomen ersetzen, nämlich
eine in (6), was sich auf eine Suppe mit Venusmuscheln beziehen kann.
(4)
[Mein Freund] isst
[in Boston]
[jeden Tag]
[eine Suppe mit Venusmuscheln]
(5)
Er
isst
[in Boston]
[jeden Tag]
[eine Suppe mit Venusmuscheln]
(6)
[Mein Freund] isst
[in Boston]
[jeden Tag]
eine
Hier ersetzen wir also Konstituenten durch Pronomen. Die Konstituente ist eine Bedeutungseinheit
und wenn wir das richtige Pronomen finden, kann es die Bedeutung der Konstituente übernehmen.
Für diesen Test ist es wichtig, dass das Pronomen denselben Bezug hat wie die Wörter, die es
ersetzt. In (7) könnten wir das Pronomen eine zum Beispiel auch wie in (8) für die Wortabfolge jeden
Tag eine Suppe mit Venusmuscheln einfügen.
(7)
[Mein Freund] isst
[in Boston]
(8)
[Mein Freund] isst
[in Boston]
[jeden Tag]
[eine Suppe mit Venusmuscheln]
eine
Allerdings kann sich eine in (8) in keinem Fall auf jeden Tag eine Suppe mit Venusmuscheln
beziehen. Mit Hilfe des Konstituententests können wir also in diesem Fall nicht feststellen, ob jeden
Tag eine Suppe mit Venusmuscheln eine Konstituente ist oder nicht (es ist keine). In (6) dagegen kann
sich eine durchaus auf [eine Suppe mit Venusmuscheln] beziehen, woran man sieht, dass [eine Suppe
mit Venusmuscheln] eine Konstituente ist. Ebenso kann das Pronomen er in (5) für mein Freund
stehen, was zeigt, dass mein Freund eine Konstituente ist.
Zusammenfassend können wir also sagen, dass es bei einer Wortabfolge, die eine
Konstituente bildet, ein Pronomen geben kann, das die Konstituente ersetzen und seine Bedeutung
übernehmen kann. Gibt es ein solches Pronomen, so ist das ein Beleg dafür, dass die ersetzte
Wortabfolge eine Konstituente ist. Dieser auf Pronomen basierende Konstituententest ist auch im
Englischen möglich. In (9) kann zum Beispiel our neighbor durch das Pronomen she in (10) ersetzt
werden, ohne dass sich der Bezug ändern muss. (11) zeigt, dass das auch bei a boiled egg möglich ist,
a boiled egg also ebenfalls eine Konstituente bildet.
(9)
(10)
(11)
[Our neighbor] [often] eats [a boiled egg] [in the morning]
She
[often] eats [a boiled egg] [in the morning]
[Our neighbor] [often] eats
one
[in the morning]
Ein zweiter Konstituententest, der darauf basiert, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten
sind, ist in (12) formuliert. Wir haben bereits im ersten Test gesehen, dass ein Pronomen manchmal
die Bedeutung einer Konstituente übernehmen kann. Im zweiten Test ist das ähnlich, mit dem
S. 3 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Unterschied, dass hier das Pronomen die Konstituente nicht ersetzt, sondern in einem Folgesatz
auftritt und sich auf die Konstituente bezieht.
(12)
KONSTITUENTENTEST 2:
Pronomen beziehen sich auf Bedeutungseinheiten, also auf Konstituenten.
In (13) können wir mit Hilfe dieses Tests drei Konstituenten ausmachen.
(13)
[Mein Bruder] hat [seiner Mitbewohnerin] [sein altes Radio] verkauft
Er (= mein Bruder) brauchte es nicht mehr.
Sie (= seine Mitbewohnerin) hat ihm 10 € dafür angeboten.
Es (= sein altes Radio) ist noch ganz gut in Schuss.
Satz (13a) kann mit Satz (13b) fortgeführt werden, in dem das Pronomen er die Bedeutung von mein
Bruder übernimmt. Mein Bruder ist also eine Bedeutungseinheit und somit eine Konstituente.
Entsprechend übernimmt in (13c) das Pronomen sie die Bedeutung von seiner Mitbewohnerin, so dass
auch seiner Mitbewohnerin eine Konstituente sein muss. Ebenso sein altes Radio, was in (13d) mit
dem Pronomen es wieder aufgegriffen wird. Beispiel (14) zeigt, dass dieser Test auch im Englischen
funktioniert.
(14)
a. [My brother] sold [his neighbor] [his old radio]
b. He (= my brother) didn't need it any more.
c. She (= his neighbor) offered him $10 for it.
d. It (= his old radio) is in reasonably good shape.
Der dritte Test, der ebenfalls darauf aufbaut, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten sind,
macht sich W-Fragen zunutze, also Fragen, die mit einem Fragewort beginnen, zum Beispiel Wen hat
Hans getroffen? Die semantische Theorie sagt, dass eine Antwort auf eine einfache W-Frage folgende
Bedingung erfüllt:
(15)
KONSTITUENTENTEST 3
Die Antwort auf eine W-Frage präsentiert die erfragte Information in Form einer einzigen
Bedeutungseinheit, also einer Konstituente.
(Dies gilt für W-Fragen mit einfachen Frageausdrücken wie wer, wen, was, wo, wann etc.,
aber nur eingeschränkt für komplexe Frageausdrücke der Art welche Studenten oder was für
Dozenten. Wir beschränken uns hier auf Fragen mit diesen einfachen Frageausdrücken.)
Die Antwort auf eine Frage kann die Information entweder wie in (16) in einem Teilsatz präsentieren
oder aber in einem kompletten Satz wie in (17). Beide Fälle zeigen, dass unsere Mitbewohnerin eine
Bedeutungseinheit und somit eine Konstituente ist, weil es diese Einheit ist, die die Information
enthält, die die gestellte Frage beantwortet.
(16)
Wen hat Hans getroffen?
(17)
Wen hat Hans getroffen?
[unsere Nachbarin]
Er hat [unsere Nachbarin] getroffen.
S. 4 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Wir haben also einen weiteren Konstituententest: Stellen Sie sich vor, Sie möchten für eine bestimmte
Wortabfolge in einem Satz herausfinden, ob sie eine Konstituente ist oder nicht. Finden Sie nun eine
Frage mit einem einfachen Fragewort, auf die genau diese Wortabfolge die Antwort liefert, so haben
Sie ein Argument, dass die Wortabfolge eine Konstituente ist. In (17) ist so unsere Nachbarin eine
Konstituente, weil sie die Antwort auf eine W-Frage, nämlich die Frage Wen hat Hans getroffen?,
liefert.
Wenden wir diesen Test nun auf ein etwas komplexeres Beispiel an. Die KonstituentenStruktur in (18) ergibt sich aus den Frage-Antwort-Paaren in (19).
(18)
Hans hat [unsere Nachbarin] [am Dienstag] [im Park] getroffen.
(19)
Wen hat Hans getroffen?
Hans hat [unsere Nachbarin] am Dienstag im Park getroffen
Wann hat Hans unseren Nachbarn im Park getroffen?
Hans hat unsere Nachbarin [am Dienstag] im Park getroffen
Wo hat Hans unseren Nachbarn am Dienstag getroffen?
Hans hat unsere Nachbarin am Dienstag [im Park] getroffen
Für Beispielsatz (20) ist in (22) gezeigt, dass dieser Konstituententest auf dieselbe Weise im
Englischen angewendet werden kann.
(20)
John met [our neighbor] [in the park] [on Tuesday]
Who did John meet in the park on Tuesday?
John met [our neighbor] in the park on Tuesday
When did John meet our neighbor in the park?
John met our neighbor in the park [on Tuesday]
Where did John meet our neighbor on Tuesday?
John met our neighbor [in the park] on Tuesday
Dieser Test funktioniert auch für den deutschen Satz in (4) und für den englischen in (9). Hören Sie
nun kurz auf zu lesen und probieren Sie die Konstituententests anhand von eigenen Beispielen aus.
4. Konstituenten und Argumentstruktur
In diesem und den folgenden Abschnitten werden wir Konstituententests kennen lernen, die über die
Intuition, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten sind, hinausgehen. Hier werden wir sehen, dass
Konstituenten auch relevant für den Satzbau, also die Syntax, sind.
Sie werden vermutlich die Begriffe Subjekt und (direktes oder indirektes) Objekt kennen. In
dem Satz Hans gab Maria das Buch zum Beispiel, ist Hans das Subjekt, Maria das indirekte Objekt
und das Buch das direkte Objekt.2 Deutsche Sätze haben im Allgemeinen ein Subjekt. Ob sie
außerdem ein direktes und/oder indirektes Objekt haben, hängt allerdings vom Verb des Satzes ab.
2
Das Subjekt steht im Nominativ ('wer oder was?'), das direkte Objekt steht im Akkusativ ('wen oder
was?') und das indirekte Objekt steht im Deutschen im Dativ ('wem?').
S. 5 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Die Frage, wie ein Verb sich mit Subjekt und eventuellen Objekten verbindet ist Teil der
übergeordneten Frage, wie Sätze aufgebaut sind und wird daher in der Syntax behandelt. In der
Theorie der Syntax werden Subjekt und Objekt(e) auch Argumente des Verbs genannt. Die
Information darüber, welche Argumente ein Verb haben kann, heißt Argumentstruktur. Im folgenden
werden die Abkürzungen SU für Subjekt, DO für direktes Objekt und IO für indirektes Objekt
verwendet. In (21) sind die Argumentstrukturen verschiedener deutscher und englischer Verben
aufgelistet. Das Verb geben beispielsweise nimmt, wie wir gerade gesehen haben, außer dem Subjekt
ein direktes und ein indirektes Objekt. Anders das Verb mögen, welches ein Subjekt und ein direktes
Objekt nimmt, wie in Maria mag Peter, aber kein indirektes Objekt.
(21)
Argumentstruktur
Deutsch
geben: SU, DO, IO
erklären: SU, IO, DO
mögen: SU, DO
schlafen: SU
Englisch
give: SU, DO, IO
explain: SU, DO, IO
like: SU, DO
sleep: SU
In (22) und der englischen Übersetzung in (23) ist α das Subjekt, β das indirekte Objekt und γ das
direkte Objekt.
(22)
α
β
Meine Schwester hat
(23)
α
ihren Kollegen
γ
My sister
γ
die neue Maschine
erklärt
β
explained the new machine to her colleagues.
Konstituenten spielen eine wichtige Rolle in Bezug auf Verben und ihre Argumente. Nur
Konstituenten können Subjekt oder Objekt eines Verbs sein.
(24)
GENERALISIERUNG ZU ARGUMENTEN
Jedes Argument eines Verbs wird durch eine einzige Konstituente realisiert.
In (25b) sehen wir, dass das Subjekt nicht mit zwei Konstituenten gebildet werden kann, sondern es
aus einer einzigen Konstituente bestehen muss. Auch das direkte Objekt kann nicht aus mehr als einer
Konstituente bestehen, wie (25c) zeigt. (Ausdrücke wie Mein Bruder und meine Schwester werden
wir weiter unten behandeln.)
(25)
a.
b.
c.
[Meine Schwester] schläft.
* [Meine Schwester] [mein Bruder] schläft/schlafen.
* Ich habe [meinen Bruder] [meine Schwester] getroffen.
S. 6 von 23, Syntax 2, Konstituenten
GRAMMATISCHE UND UNGRAMMATISCHE SÄTZE
Linguisten unterscheiden zwischen grammatischen und ungrammatischen Sätzen. Ungrammatische
Sätze werden mit einem Stern * gekennzeichnet. Ungrammatische Sätze sind solche, die ein
Muttersprachler einer Sprache ablehnen würde: Sie klingen nicht richtig, zum Beispiel weil die
Wörter nicht in der richtig angeordnet sind. Grammatische Sätze sind Sätze, die in der jeweiligen
Sprache möglich sind und von einem Muttersprachler als richtig eingestuft würden.
Linguisten versuchen herauszufinden, wie die Prinzipien der Grammatik funktionieren, die
einerseits grammatische Sätze ermöglichen und andererseits ungrammatische Sätze ausschließen.
Die Beispiele (25b) und (25c) sind ungrammatisch und deshalb mit einem * gekennzeichnet.
Der Grund hierfür ist, dass sie nicht der Generalisierung zu Argumenten in (24) entsprechen.
Im Englischen gilt dieselbe Einschränkung, wie Beispiel (26) zeigt.
(26)
a.
b.
c.
[My sister] is sleeping.
* [My sister] [my brother] is/are sleeping.
* I met [my brother] [my sister].
Mit Hilfe der Generalisierung zu Konstituenten können wir einige unserer vorherigen Ergebnisse
bestätigen. In dem Beispiel in (13), das in (27) nochmal wiedergegeben ist, hatten wir drei
Konstituenten bestimmt: [mein Bruder], [seiner Nachbarin] und [sein altes Radio].
(27)
[Mein Bruder] hat [seiner Nachbarin] [sein altes Radio] verkauft
Das Prinzip in (24) stützt dieses Ergebnis: [mein Bruder] ist das Subjekt und [seiner Nachbarin] und
[sein altes Radio] die beiden Objekte des Verbs verkaufen.
5. Bewegung von Konstituenten
Einige Elemente des Satzes können in unterschiedlichen Positionen im Satz auftreten. Zum Beispiel
könnte das Objekt [eine Suppe mit Venusmuscheln], das in (28a) relativ weit hinten im Satz steht,
auch wie in (28b) vor der Ortsangabe [in Boston] stehen.
(28)
a. Ich habe [in Boston] [eine Suppe mit Venusmuscheln] bestellt.
b. Ich habe [eine Suppe mit Venusmuscheln] [in Boston] bestellt.
Ebenso könnte das Objekt [eine Suppe mit Venusmuscheln] am Satzanfang stehen, wie in
(29).
(29)
[Eine Suppe mit Venusmuscheln] habe ich [in Boston] bestellt.
Diese Positionsänderungen sind nur für Konstituenten möglich, nicht aber für Wortabfolgen, die keine
Konstituenten bilden. Wir illustrieren das hier mit einem besonders klaren Beispiel. Der Satz (28a) ist
in (30a) wiederholt. Wir wissen schon, dass [in Boston] eine Konstituente ist (also eine Gruppe von
Worten, die zusammengehören), und dass [eine Suppe mit Venusmuscheln] eine Konstituente ist.
Damit kann man sich schon denken, dass die in (30a) unterstrichene Wortfolge Boston eine keine
Konstituente ist: diese beide Worte gehören in diesem Satz nicht enger zusammen. Entsprechend kann
man diese Wortfolge auch nicht verschieben. Versucht man es dennoch, so kommt ein
ungrammatischer Satz dabei heraus, wie man in (30b) sieht.
S. 7 von 23, Syntax 2, Konstituenten
(30)
a.
Ich habe [in Boston] [eine Suppe mit Venusmuscheln] bestellt.
b. * Boston eine habe ich in
Suppe mit Venusmuscheln bestellt.
Syntaktiker sind daran interessiert mögliche und unmögliche Wortstellungen innerhalb eines
Satzes zu erklären. So stellen sie sich zum Beispiel die Frage, warum (28a), (28b) und (29)
grammatisch sind, (30b) aber ungrammatisch, obwohl alle diese Sätze dieselben Wörter enthalten.
Syntaktiker haben dazu Theorien entwickelt, die von der folgenden Perspektive in Bezug auf
Variationen in der Wortstellung ausgehen: (a) eine Satzstellung ist die zugrunde liegende; (b) andere
Satzstellungen sind von dieser zugrunde liegenden Wortstellung abgeleitet, indem sich eine (oder
manchmal mehr als eine) Konstituente an eine andere Stelle im Satz bewegt hat. In dieser Theorie
steht [eine Suppe mit Venusmuscheln] in (28a) in seiner zugrunde liegenden Position. In (28b) ist
diese Konstituente ein wenig nach links bewegt, vor die Ortsangabe [in Boston]. In (29) ist die
Konstituente [eine Suppe mit Venusmuscheln] an den Satzanfang bewegt. Allgemeiner geht man in
dieser Konzeption davon aus, dass sich nur Konstituenten bewegen können:
(31)
GENERALISIERUNG ZUR SYNTAKTISCHEN BEWEGUNG (KONSTITUENTENTEST 4)
Nur Konstituenten lassen sich im Satz verschieben.
Mit (31) haben wir ein Prinzip, welches die grammatischen Sätze (28b) und (29) von dem
ungrammatischen Satz (30b) unterscheidet. Ausgehend von der zugrunde liegenden Reihenfolge in
(28a) wurde in (28b) und in (29) jeweils eine Konstituente bewegt, nämlich [eine Suppe mit
Venusmuscheln]. Das ist gemäß (31) erlaubt. In (30b) andererseits wurde eine Wortfolge, die keine
Konstituente ist (nämlich Boston eine), verschoben. Das wird von (31) ausgeschlossen.
Diesen Konstituententest können wir nun auch auf andere Fälle anwenden, zum Beispiel auf
die in (32a) unterstrichene Wortabfolge Venusmuscheln bestellt. Auch hier können wir uns bereits
denken, dass dies keine Konstituente ist, weil das Wort Venusmuscheln ja statt dessen zu der
Konstituente [eine Suppe mit Venusmuscheln] gehört. Dies können wir mit unserem Konstituententest
bestätigen. Bewegen wir diese Wortabfolge vor die Ortsangabe [in Boston], wie in (32b), so erhalten
wir einen ungrammatischen Satz.
(32)
a. Ich habe
[in Boston] [eine Suppe mit Venusmuscheln] bestellt.
b. * Ich habe Venusmuscheln bestellt [in Boston] eine Suppe mit.
Es lassen sich also nur Wortabfolgen, die Konstituenten sind, geschlossen bewegen. Diese
Beschränkung kann, wie wir gesehen haben, als Konstituententest eingesetzt werden.
6. Konstituenten und die Initialstellung im Deutschen
In diesem Abschnitt behandeln wir einen wichtigen Konstituententest des Deutschen: Die erste
Position in einem regulären Hauptsatz enthält genau eine Konstituente. Für ein genaueres Verständnis
dessen, was diese erste Position ist, braucht man den Begriff des finiten Verbs. Wir beginnen mit
einer Definition, die wir dann erklären.
S. 8 von 23, Syntax 2, Konstituenten
DEFINITION
Finites Verb [E. finite verb]: ein Verb, das mit dem Subjekt des Satzes in Person und Numerus
übereinstimmt, und außerdem für Tempus, und/oder Modus flektiert sein kann. Finite Verben
können in Hauptsätzen eigenständig auftreten. Im Gegensatz dazu werden nicht-finite
Verben, also Infinitive und Partizipien, nicht flektiert und treten in einem Hauptsatz nicht
eigenständig auf.
Das Subjekt eines Satzes kann ein Pronomen in der ersten Person (ich/wir) oder in der
zweiten Person (du/ihr) sein, oder es kann in der dritten Person stehen (er/sie/es, sie im Plural oder
andere Ausdrücke wie der Mann, Maria, etc.). Das finite Verb, und nur dieses, passt sich der Person
des Subjekts an, wie das finite Verb in den Beispielen ich spiel-e, du spiel-st, er spiel-t. Subjekte
könne im Singular (Einzahl) oder im Plural (Mehrzahl) stehen – diese Unterscheidung wird Numerus
genannt. Das finite Verb passt sich auch in Bezug auf Numerus dem Subjekt an: ich spiel-e
(Singular), wir spiel-en (Plural); er spiel-t (Singular), sie spiel-en (Plural). An der Übereinstimmung
des finiten Verbs mit Person Numerus des Subjekts kann man das finite Verb meist leicht erkennen.
In der Definition oben betrifft Tempus die Unterscheidung zwischen Präsens und Präteritum.
Zum Beispiel unterscheidet sich das finite Verb in Maria spiel-t und Maria spiel-te und ist so in der
Lage unterschiedliche Zeiten auszudrücken. Modus unterscheidet zwischen Indikativ (Er spiel-t.),
Konjunktiv (Sie sagte, dass er spiel-e.) und Imperativ (Spiel!). All diese Unterscheidungen werden
nur am finiten Verb markiert.
Wenn in einem vollständigen Satz nur ein einziges Verb vorkommt, dann ist das Verb im
Allgemeinen das finite Verb. Dies trifft auf die Beispiele in den vorigen beiden Absätzen zu (ich
spiel-e, du spiel-st, etc.). Weitere Sätze mit nur einem Verb, welches finit ist, sind für das Deutsche
und für das Englische in (33) angegeben. In (34) sehen Sie einfache Sätze mit zwei Verben. In
solchen Fällen ist nur eines der Verben finit, das andere nicht-finit. Die finiten Verben sind auch hier
fettgedruckt dargestellt. Die nicht-finiten Verben sind unterstrichen gekennzeichnet. In den
Kommentaren rechts in (34) finden Sie die grammatischen Bezeichnungen der unterschiedlichen
nicht-finiten Verben. Allgemeiner handelt es sich bei nicht-finiten Verben um Partizipien oder um
Infinitive.
(33)
(34)
a.
Sätze mit nur einem Verb, dem finiten Verb
Deutsch
Englisch
Maria spiel-t Fußball.
Mary play-s soccer.
Maria spiel-te Fußball.
Mary play-ed soccer.
Kommentar
(sichtbare Numerus-Flexion)
(sichtbare Tempus-Flexion)
Sätze mit je einem finiten und einem nicht-finiten Verb
Deutsch
Englisch
Maria ha-t Fußball gespielt
Mary ha-s played soccer.
Du ha-st Fußball gespielt.
You have played soccer.
b.
Kommentar
gespielt bzw. play-ed ist ein
Partizip II [E. past participle]
Mary is playing soccer.
You are playing soccer.
playing ist ein progressive
oder present participle
Mary do-es not play soccer.
You do not play soccer.
spielen bzw. play ist hier ein
reiner Infinitiv [E. bare infinitive]
c.
Maria kann Fußball spielen.
Du kann-st Fußball spielen.
d.
Maria plan-t Fußball zu spielen. Mary plan-s to play soccer.
Du plan-st Fußball zu spielen. You plan to play soccer.
S. 9 von 23, Syntax 2, Konstituenten
zu spielen bzw. to play ist ein
Infinitiv mit zu [E. to-infinitive]
Diese Infinitive und Partizipien sind nicht für Person, Numerus, Tempus oder Modus
gekennzeichnet. Beispielsweise bleibt in (34a) die Form gespielt konstant, egal ob sie sich mit Maria
oder mit du kombiniert.3 Das finite Verb aber ändert sich jeweils, wie man dort sieht.
Was hat nun das finite Verb mit Konstituenten zu tun? Im Folgenden betrachten wir diese
Frage für Hauptsätze im Deutschen (und im Englischen). Damit meinen wir Sätze, die selbständig
stehen und nicht Teil eines größeren Satzes sind. Wir beschränken uns auch auf Sätze, mit denen eine
Aussage gemacht wird (im Gegensatz zu Fragen und Aufforderungen).
In (35) betrachten wir zunächst ein Beispiel aus dem Englischen, in dem das Subjekt (und nur
das Subjekt) vor dem finiten Verb steht. Wie (35b) zeigt, muss das Subjekt in „normalen“ englischen
Hauptsätzen vor dem finiten Verb stehen. Die Satzstellung [… – Verb – Subjekt] führt zu einem
ungrammatischen Satz. Die deutschen Beispielsätze in (36) sind den Englischen sehr ähnlich: Auch
hier folgt in (36a) das finite Verb dem Subjekt. Allerdings ist das im Deutschen nicht zwingend
erforderlich. Wie (36b) zeigt, kann das Subjekt auch nach dem finiten Verb stehen, sofern ein anderes
Element dem finiten Verb vorangeht.
(35)
(36)
a.
b.
a.
b.
*
Mary play-ed soccer yesterday.
Yesterday play-ed Mary soccer.
Maria spiel-te gestern Fußball
Gestern spiel-te Maria Fußball.
Betrachten wir das für das Deutsche bei einem weiteren Satz etwas genauer. In (37) steht zunächst das
Subjekt vor dem finiten Verb, in den Beispielsätzen (38), (39) und (40) jeweils ein anderes Element
des Satzes. All diese Elemente sind Konstituenten: das Subjekt in (37), die Zeitangabe [am Morgen]
in (38), die Häufigkeitsangabe [oft] in (39)4, und das direkte Objekt in (40).
(37)
[Unser Nachbar] isst am
Morgen oft
(38)
[Am Morgen]
(39)
[Oft] isst unser Nachbar am
(40)
[Ein gekochtes Ei] isst
ein gekochtes Ei
isst unser Nachbar oft ein gekochtes Ei
Morgen ein gekochtes Ei
unser Nachbar oft am
Morgen
In diesem Zusammenhang gibt es eine weitere wichtige Unterscheidung zwischen dem
Deutschen und dem Englischen: Wir wissen bereits, dass im Englischen das Subjekt vor dem finiten
Verb stehen muss. Ist dies der Fall, können allerdings auch noch weitere Konstituenten vor dem
finiten Verb stehen, zum Beispiel in the morning in (41).
(41)
Zeitangabe
Subjekt
Häufigkeit Verb
[In the morning] [our neighbor] [often]
eats
Objekt
[a boiled egg]
3
Man kann sich fragen, ob das Partizips II, wie in ge-spiel-t, nicht doch eine Art Tempusmarkierung
für Vergangenheit ist. Das Partizip II wird allerdings auch im Passiv verwendet (es wird Fußball
gespielt), wo keine Vergangenheit vorliegt. Es ist also eine nicht-finite Verbform mit spezifischen
Verwendungsmöglichkeiten, aber ohne wirkliche Tempusmarkierung.
4
Auch einzelne Worte sind Konstituenten. Sie sind Bedeutungseinheiten, können manchmal durch
Pronomen ersetzt werden, etc. Wir kommen unten darauf zurück.
S. 10 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Im Deutschen ist das anders: Im Deutschen kann nur eine einzige Konstituente vor dem finiten Verb
stehen. Die Wortstellung aus dem englischen Satz in (41) ins Deutsche zu übertragen ist also, wie in
(42) gezeigt, nicht möglich.
(42)
Zeitangabe
Subjekt
Häufigkeit Verb Objekt
* [Am Morgen] [unser Nachbar] [oft]
isst [ein gekochtes Ei]
(In the morning our neighbor often
eats a boiled egg)
Auch wenn statt drei nur zwei Konstituenten vor dem finiten Verb stehen, sind die Sätze im
Deutschen ungrammatisch, wie (43) und (44) zeigen.
(43) * [Unser Nachbar] [am
Morgen] isst
[oft] [ein gekochtes Ei]
(44) * [Unser Nachbar] [ein gekochtes Ei] isst [am
Morgen] [oft]
Für das Deutsche gilt also, dass nur eine einzige Konstituente vor dem finiten Verb stehen
darf, wie in (37) - (40). Diese Feststellung führt zu einem nützlichen Konstituententest. Steht im
Deutschen ein Element vor dem finiten Verb, können wir sicher sein, dass es eine Konstituente ist. In
der linguistischen Theorie wird das Füllen der Position vor dem finiten Verb mit Hilfe von Bewegung
dargestellt. Gehen wir davon aus, dass die Initialposition zunächst nicht gefüllt ist, wie in (45)
angedeutet.
(45)
Subjekt
Zeitangabe
Häufigkeit Objekt
___ isst [unser Nachbar] [am Morgen] [oft]
[ein gekochtes Ei]
Eine der Konstituenten des Satzes bewegt sich nun in diese leere Position, um einen Satz zu
bilden. Bewegt sich das Subjekt in die Initialstellung, erhalten wir Satz (37), bewegt sich einer der
beiden temporalen Ausdrücke, erhalten wir Satz (38) bzw. (39), und wenn das sich bewegende
Element das Objekt ist, Satz (40).
Wir wissen bereits aus Konstituententest 4, dass sich nur Konstituenten bewegen können.
Zusätzlich können wir nun sagen, dass es im Deutschen eine einzige Position am Satzanfang gibt, die
dem finiten Verb vorangeht und in die sich eine Konstituente hineinbewegt.
(46)
KONSTITUENTENTEST 5
Im Deutschen gibt es eine Position am Anfang des Hauptsatzes, vor dem finiten Verb, die
genau eine Konstituente umfasst. In der syntaktischen Theorie wird diese Position durch
Bewegung einer Konstituente gefüllt.
Mit Hilfe dieses Konstituententests können wir zum Beispiel zeigen, dass die Wortgruppe ein
gekochtes Ei in (40) zusammen eine Konstituente bildet. Auch können wir ihn nutzen, um
Konstituentenstrukturen aus vorangegangen Beispielen zu überprüfen. Die Konstituentenstruktur in
Beispielsatz (18), die wir in (19) mit Konstituententest 3 belegt hatten, ist in (47) erneut dargestellt.
(47)
Hans hat [unsere Nachbarin] [am Dienstag] [im Park] getroffen.
Wie (48) zeigt, kann jeder der Konstituenten in (47) an die Stelle vor dem finiten Verb rücken.
S. 11 von 23, Syntax 2, Konstituenten
(48)
a.
b.
c.
[unsere Nachbarin] hat Hans [am Dienstag] [im Park] getroffen
[am Dienstag] hat Hans [unsere Nachbarin] [im Park] getroffen
[im Park] hat Hans [unsere Nachbarin] [am Dienstag] getroffen
Die Wortabfolge am Dienstag im ist in (47) jedoch keine Konstituente und kann daher nicht
geschlossen vor das finite Verb bewegt werden:
(49)
*
am Dienstag im hat Hans [unseren Nachbarn] ___ Park getroffen
Zum Ende dieses Abschnittes lernen Sie noch einen wichtigen Begriff der deutschen Grammatik: Die
Position am Satzanfang, vor dem finiten Verb, wird Vorfeld genannt.
DEFINITION
Vorfeld [E. (selten) prefield]: Die Position am Anfang eines Hauptsatzes, vor dem finiten Verb.
Die wesentlichen Zusammenhänge dieses Abschnittes nochmal kurz im Abriss: Das finite
Verb ist dasjenige Verb, das für Übereinstimmung mit dem Subjekt (Person, Numerus), für Tempus,
und für Modus (Indikativ/Konjunktiv/Imperativ) gekennzeichnet ist. In einem deutschen Hauptsatz
gibt es vor dem finiten Verb nur eine Position, das Vorfeld. Das Vorfeld kann durch eine Konstituente
gefüllt werden. Man geht davon aus, dass die Konstituente, die das Vorfeld füllt, sich dorthin bewegt
hat.
Wir haben auch bereits zwei Unterschiede zum Satzbau im Englischen gesehen: Zum einen
muss das Subjekt im Englischen in einem normalen Hauptsatz vor dem finiten Verb stehen. Zum
anderen können im Englischen außer dem Subjekt auch andere Konstituenten vor dem finiten Verb
stehen. Hier wird der Begriff des Vorfelds nicht verwendet.
Wir sind damit am Ende der Konstituententests angelangt. Wir haben gesehen, dass
Konstituenten sowohl für den Satzbau (Syntax) als auch für die Bedeutung eines Satzes (Semantik)
eine wichtige Rolle spielen. Beim Satzbau haben wir gesehen, dass das Subjekt eine Konstituente ist
und jedes Objekt eine Konstituente ist. Wir haben gesehen, dass man Konstituenten bewegen kann,
andere Wortfolgen aber nicht. Wir haben auch gesehen, dass es im Deutschen das Vorfeld gibt, eine
Position vor dem finiten Verb, in dem nur eine Konstituente stehen kann. Konstituenten sind aber
auch Bedeutungseinheiten. Man kann sie also auch mit Verfahren ermitteln, die Bedeutungseinheiten
bestimmen: Nur Konstituenten lassen sich durch Pronomen bedeutungserhaltend ersetzen, lassen sich
durch spätere Pronomen wieder aufgreifen, und lassen sich durch W-Fragen erfragen.
Im Folgenden werden die Konstituententests auf Fälle angewandt, bei denen man nicht von
vorneherein sieht, ob es sich um Konstituenten handelt.
7. Koordination
Betrachten wir die unterstrichene Aufzählung von drei Personen in (50). Ist diese Aufzählung
insgesamt eine Konstituente?
(50)
Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen.
Diese Frage können wir nun mit unseren Konstituententests beantworten.
In (51) liefert die Aufzählung als Ganzes die Antwort auf die Wen-Frage. Die Aufzählung
scheint also eine Bedeutungseinheit zu sein, und wäre nach Konstituententest 3 eine Konstituente.
S. 12 von 23, Syntax 2, Konstituenten
(51)
Wen hat die Maria getroffen?
Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen.
Die Tests mit Pronomen unterstützen die Schlussfolgerung, dass die Aufzählung eine
Bedeutungseinheit ist. In (52) kann der Bezug der gesamten Aufzählung durch das Pluralpronomen
sie übernommen werden (Konstituententest 1). In (53) kann das Pronomen sie sich ähnlich auf die
aufgezählten Personen im ersten Satz beziehen (Konstituententest 2).
(52)
Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen.
Die Maria hat sie getroffen. (sie = [den Peter, seine Freundin und deren Freundin])
(53)
Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen. Sie waren auf dem
Weg ins Kino.
Auch die syntaktischen Tests weisen die Aufzählung als Konstituente aus. Betrachten wir zunächst
den Satz in (54a), in dem noch das Element [in einem Café] eingefügt ist. (54b) legt nun nahe, dass
die Aufzählung sich als Ganzes bewegen kann, und sich hier in eine Position links von [in einem
Café] bewegt hat. Gemäß dem Konstituententest 4 zeigt das auch, dass die Aufzählung eine
Konstituente ist.
(54)
a. Die Maria hat [in einem Café] den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen.
b. Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin [in einem Café] getroffen.
Schließlich kann die Aufzählung als Ganzes auch ins Vorfeld bewegt werden, wie in (55). Da im
Vorfeld nur eine Konstituente stehen kann, sieht man hier besonders deutlich, dass die Aufzählung
eine Konstituente sein muss. Man vergleiche dazu auch den grammatischen Satz (55) mit den
ungrammatischen Abfolgen in (42) – (44), bei denen mehrere Konstituenten vor dem finiten Verb
stehen.
(55)
[den Peter, seine Freundin und deren Freundin] hat Hans [in einem Café] getroffen.
Zum Ende können wir dieses Ergebnis auch noch dadurch bestätigen, dass die Aufzählung als Ganzes
in all diesen Beispielen (etwa auch (54a)) das direkte Objekt ist. Auch das zeigt, dass die Aufzählung
eine Konstituente sein muss (Generalisierung zu Argumenten, siehe (24)).
Solche Aufzählungen sind allgemeiner stets Konstituenten. In (56) ist ein Beispiel angegeben,
bei dem die Aufzählung das Subjekt des Satzes ist. Wie man sieht kann die Aufzählung auch hier im
Vorfeld stehen.
(56)
[Maria, Peter und unser Nachbar] gingen die Straße runter.
Aufzählungen dieser Art sind auch in anderen Sprachen Konstituenten. Im Englischen können
wir die Tests für eine entsprechende Aufzählung [Mary, Peter and our neighbor] ebenfalls anwenden:
(57)
Who did John meet?
John met Mary, Peter and our neighbor
(58)
John met Mary, Peter and our neighbor.
John met them.
(wobei them = [Mary, Peter and our neighbor])
S. 13 von 23, Syntax 2, Konstituenten
(59)
John met Mary, Peter and our neighbor. They were on their way to the cinema.
In (57) liefert die Aufzählung die Information, die in der vorherigen Frage erfragt wird
(Konstituententest 3), in (58) bezieht sich ein Pronomen auf die Personen der Aufzählung
(Konstituententest 1) und (59) zeigt, dass ein Pronomen im folgenden Satz auf [Mary, Peter and our
neighbor] verweisen kann (Konstituententest 2). Des weiteren ist die Aufzählung in diesen Beispielen
das direkte Objekt des Verbs met. Auch das bestätigt, dass die Liste eine Konstituente bildet
(Generalisierung 30).
Zum Ende dieses Abschnitts führen wir noch linguistische Terminologie für solche
Aufzählungen ein. Der linguistische Fachausdruck für solche Aufzählungen ist koordinierte
Struktur. Das Verbinden mehrerer Elemente zu einer solchen koordinierten Struktur heißt
Koordination. Die Elemente, die mit Hilfe dieser Konjunktionen verbunden werden, zum Beispiel
seine Freundin und deren Freundin, nennt man Konjunkte.
DEFINITION
Koordination [E. coordination]: Das Verbinden von zwei oder mehr Elementen, Konjunkte [E.
conjuncts] genannt, zu einer koordinierten Struktur [E. coordinate structure],
normalerweise mit Hilfe von und und oder.
In (60) werden diese Begriffe veranschaulicht:
(60)
Illustration der Koordination
koordinierte Struktur ('Aufzählung')
Peter, seine Freundin und deren Freundin
drei Konjunkte
Insgesamt haben wir also in diesem Abschnitt gesehen, dass eine koordiniert Struktur (als
Ganzes) eine Konstituente bildet. Dabei haben wir auch gesehen, dass es nützlich ist, nicht nur einen
Eindruck von Konstituenten zu haben, sondern spezifische Konstituententests verwenden zu können.
Intuitiv war es anfangs nicht klar, ob die unterstrichene Aufzählung in (50) eine Konstituente ist. Die
Konstituententests haben uns erlaubt, zu zeigen, dass es sich um eine Konstituente handelt.
8. Konstituenten in Konstituenten
Betrachten wir nun die einzelnen Konjunkte der koordinierten Struktur in (61). Jedes dieser
Konjunkte ist ebenfalls eine Konstituente!
(61)
der Peter, seine Freundin und deren Freundin
Der Peter kann durch er ersetzt werden, seine Freundin durch sie und deren Freundin ebenfalls durch
sie. Laut Konstituententest 1 zeigt dies, dass jedes dieser Konjunkte ebenfalls Konstituente ist.
Wichtig ist hier, dass Konstituenten in größere Konstituenten eingebettet sein können. Diese
Einbettung von Konstituenten kann mit Hilfe von eckigen Klammern dargestellt werden, wie in [[der
S. 14 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Peter] [seine Freundin] und [deren Freundin]]. Noch deutlicher wird die Einbettung in der Form
eines Baumes, wie in (62), wo Konstituenten als Knoten des Baumes dargestellt werden: α ist die
Konstituente der gesamten koordinierten Struktur; β, γ, und δ sind die Konstituenten der Konjunkte.
Wichtig ist hier, dass β, γ, und δ Konstituenten sind, die Teile der größeren Konstituente α sind.
(62)
α
β
γ
δ
der Peter, seine Freundin und deren Freundin
Weitere Beispiele für Koordination mit Konstituenten, die sich innerhalb von größeren Konstituenten
befinden, sehen Sie in (63).
(63)
a.
α
β
γ
ein gelbes Auto und ein rotes Motorrad
b.
α
β
γ
meine Schwester und mein Bruder
Konstituenten, die in andere Konstituenten eingebettet sind, treten auch unabhängig von
Koordination auf. In Satz (64a) beispielsweise können wir mit Hilfe von Konstituententest 1
bestimmen, dass meiner Nachbarin eine Konstituente ist, weil, wie in (64b), das Pronomen ihr den
Referenten von meiner Nachbarin übernehmen kann. Gleichzeitig ist aber auch den Bruder von
meiner Nachbarin eine Konstituente. Es ist das Objekt des Verbs, und kann, wie in (64c) auch durch
ein Pronomen ersetzt werden (Konstituententest 1).
(64)
a.
b.
c.
Ich habe [den Bruder von [meiner Nachbarin]] getroffen.
Ich habe den Bruder von ––––– ihr ––––––– getroffen.
Ich habe ––––––––––– ihn –––––––––––––– getroffen.
Hier haben wir also Evidenz für eine Struktur wie in (65).
(65)
Ich habe
getroffen
α
den Bruder von
β
meiner Nachbarin
wobei β = [meiner Nachbarin]
und α = [den Bruder von meiner Nachbarin]
(= ihr in (64b))
(= ihn in (64c))
S. 15 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Auch hier haben wir also Belege dafür, dass Konstituenten innerhalb von anderen Konstituenten
auftreten können.
Auch im Englischen finden sich eingebettete Konstituenten außerhalb von koordinierten
Strukturen, wie (66) und (67) zeigen. In (66) wird auf den Beispielsatz Mary likes the windows of the
new house zunächst Konstituententest 1 angewendet, in (67) dann die entsprechende Baumstruktur
dargestellt.
(66)
(67)
a.
b.
c.
Mary likes the windows of the new house.
Mary likes the windows of
it.
Mary likes
them.
Mary likes
it = the new house
them = the windows of the new house
α
the windows of
β
the new house
wobei β = [the new house]
und α = [the windows of the new house]
(= it in (64b))
(= them in (64c))
Zum Ende dieses Abschnitts noch eine allgemeine Frage: Sind denn einzelne Wörter auch
Konstituenten? Die Antwort ist: ja. Linguisten verwenden ein Verständnis von Konstituenten, bei dem
auch ein jedes einzelnes Wort eine Konstituente ist. In vielen Fällen lässt sich dies auch sinnvoll
darauf beziehen, was oben zu Konstituenten gesagt wurde. In dem Beispiel (68a) etwa besteht das
Subjekt Peter nur aus einem Wort, und das Objekt Linguistik ist ebenfalls nur ein Wort. Gemäß der
Generalisierung zu Argumenten (siehe (24)) sind dies auch Konstituenten. Bei einem einzelnen Wort
ist eigentlich von vorneherein klar, dass es eine Bedeutungseinheit ist. Wir können das aber auch mit
den Konstituententests bestätigen, etwa mit der Ersetzung durch Pronomen in (68b) oder mit dem
Konstituententest 2 der Frage in (68c). Außerdem steht das Subjekt aus einem Wort in (68a) im
Vorfeld (will ist hier das finite Verb). Auch das Objekt aus einem Wort lässt sich ins Vorfeld stellen,
wie in (68d).
(68)
a.
b.
c.
d.
[Peter] will [Linguistik] studieren.
Er will das studieren.
Was will Peter studieren?
Peter will [Linguistik] studieren.
[Linguistik] will Peter studieren.
Linguisten gehen allgemein davon aus, dass jedes Wort eine Konstituente ist.
9. Objekt und Verb zusammen als Konstituente
Betrachten wir, bevor wir zum Ende des Kapitels kommen, noch einen weiteren Fall. Die Frage ist, ob
in Sätzen wie (69) das Objekt und das Verb zusammen eine Konstituente bilden.
(69)
a.
b.
Der Peter hat einen Apfel gegessen.
Die Maria hat ein Buch gelesen.
S. 16 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Man könnte zunächst denken: wahrscheinlich nicht, weil ja das Objekt alleine schon eine
Konstituente ist. Aber wir haben im vorherigen Abschnitt auch gesehen, dass kleinere Konstituenten
in größeren Konstituenten enthalten sein können. Denkbar wäre es von daher schon, dass das Verb
zusammen mit dem Objekt eine größere Konstituente bildet. Was sagen unsere Konstituententests
dazu?
Immerhin drei unserer Konstituententests legen nahe, dass es sich hier um eine Konstituente
handelt! So können wir in der Tat das Objekt mit dem Verb zusammen ins Vorfeld bewegen, wie in
(70) gezeigt.
(70)
a.
b.
[Einen Apfel gegessen] hat der Peter.
[Ein Buch gelesen] hat die Maria.
Gemäß dem Konstituententest 5 ist dies Evidenz, dass Verb und Objekt zusammen eine Konstituente
bilden.
Auch der Konstituententest 3 legt nahe, dass Verb und Objekt eine Konstituente bilden, denn
wir können nach dieser Information fragen, wie in (71).
(71)
a.
b.
Was hat der Peter gemacht?
Der Peter hat [einen Apfel gegessen].
Was hat die Maria gemacht?
Die Maria hat [ein Buch gelesen].
Es scheint auch möglich zu sein, die Information aus Objekt und Verb durch ein späteres
Pronomen wieder aufzugreifen, wie in (72).
(72)
a.
b.
Der Peter hat einen Apfel gegessen. Der Hans hätte das auch gerne getan.
das ≈ [einen Apfel gegessen]
Die Maria hat ein Buch gelesen. Die Claudia hat das letzte Woche gemacht.
das ≈ [ein Buch gelesen]
Somit weist auch der Konstituententest 2 darauf hin, dass Objekt und Verb zusammen eine
Konstituente bilden.
Nun gibt es andererseits im Deutschen kein Pronomen, das die Folge aus Objekt und Verb
bedeutungserhaltend ersetzen könnte, sodass der Konstituententest 1 hier kein positives Ergebnis
liefert. (Auch haben wir gesagt, dass Subjekt und Objekt(e) jeweils Konstitenten sind, aber die
Zusammensetzung von Objekt und Verb ist natürlich nicht als Ganzes ein Objekt, oder ein Subjekt.)
Wie gehen wir damit um? Es ist allgemein oft möglich, dass ein Konstituententest in einem
bestimmten Fall keine Evidenz für eine Konstituente liefert. Dafür gibt es oft unabhängige Gründe. In
unserem Fall etwa gibt es eine spezielle Beziehung zwischen den beiden Verben hat ... gegessen
(bzw. hat ... gelesen), die zusammen die Zeitform des Perfekts bilden. Diese spezielle Beziehung
macht es schwierig, dass das zweite Verb zusammen mit dem Objekt durch ein Pronomen ersetzt
werden könnte. Wir werden in einem späteren Kapitel auf diese speziellen Beziehungen zwischen
Verben zurückkommen. Linguisten wägen im Allgemeinen die Evidenz ab, wenn nicht alle
Konstituententests in die gleiche Richtung zeigen. Weist ein Test auf eine Konstituent hin, so ist dies
schon ein klarer Hinweis auf das Vorliegen einer Konstituente. Wenn mehrere Tests in diese Richtung
zeigen, so hat man schon ernsthafte Evidenz für die Konstituente. Wenn man sich gut vorstellen kann,
dass es bei den verbleibenden Tests unabhängige Gründe dafür gibt, dass sie 'nicht ausschlagen', dann
nimmt man insgesamt an, dass eine entsprechende Konstituente vorliegt. Im Falle der Kombination
von Objekt und Verb geht man davon aus, dass dies eine Konstituente ist.
S. 17 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Es ist allerdings auch klar, dass diese Konstituente aus Objekt und Verb irgendwie von einer
anderen Art ist, als die Konstituenten, die wir bisher gesehen haben. Beispielsweise haben wir
gesehen, dass diese Konstituente kein Subjekt oder Objekt ist und sich nicht durch ein Pronomen
ersetzen lässt. Was hier ins Blickfeld rückt, ist, dass wir unterschiedliche Arten von Konstituenten
unterscheiden müssen. Unterschiedliche Arten von Konstituenten sind das Thema des nächsten
Kapitels und werden dort ausführlich behandelt und motiviert.
Als eine Art Vorschau zeigen wir Ihnen in (73) eine vereinfachte Konstituentenstruktur von
(69a). Jeder Knoten in dem Strukturbaum ist eine Konstituente. Dies ist in der Definition der
Konstituenten auf S. 2 bereits vorweggenommen. Die Knoten in (73) haben Namen, oder Labels, über
die Sie im nächsten Kapitel vieles lernen werden. Sie können hier zunächst sehen, dass Subjekt (der
Peter) und Objekt (einen Apfel) jeweils Konstituenten mit dem Label DP sind. Subjekt und Objekt
sind also Konstituenten einer ähnlichen Art. Viele der Konstituenten, die wir in diesem Kapitel
diskutiert haben, sind von dieser Art der DP. Solche Konstituenten lassen sich besonders gut durch
Pronomen ersetzen weil (wie Sie sehen werden) typische Pronomen selbst auch das Label DP haben.
Sie sehen in (73) auch, dass die Kombination aus Objekt und Verb (einen Apfel gegessen) eine
Konstituente mit einem anderen Label ist, VP.
(73)
CP
DP
der
Peter
C'
C/V
hat
VP
DP
einen Apfel
V
gegessen
Schließlich sehen Sie, dass auch der gesamte Satz als ein Knoten im Baum dargestellt ist, also auch
eine Konstituente ist. Diese Konstituente hat wieder ein anderes Label, CP. Dies ist das allgemeine
Label für Sätze, zu dem wir erst in späteren Kapiteln kommen werden.
10. Zusammenfassung
Konstituenten sind Abfolgen von Worten, die enger zusammengehören, und in einem Strukturbaum
als Knoten des Baums dargestellt werden. Unterschiedliche Konstituententests können angewandt
werden, um Konstituenten zu bestimmen. Einige dieser Konstituententests nutzen die Tatsache, dass
Konstituenten Bedeutungseinheiten sind:
Konstituententest 1: Ersetzen der Wortabfolge durch ein Pronomen mit demselben Referenten
Konstituententest 2: Verwendung eines Pronomens im Folgesatz, das sich auf die
Wortabfolge bezieht.
Konstituententest 3: Formulierung einer W-Frage, auf die die Wortabfolge die Antwort liefert
Andere Konstituententests beziehen sich auf die Syntax, also auf die Art, wie Sätze aufgebaut sind:
Generalisierung: Argumente von Verben (also Subjekt und Objekte) sind Konstituenten.
Konstituententest 4: Nur Konstituenten bewegen sich geschlossen.
Konstituententest 5: Im Deutschen steht nur eine Konstituente in der Initialstellung vor dem
finiten Verb (also im Vorfeld).
S. 18 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Wir haben diese Konstituententests an einfachen Beispielen eingeführt, und dann auf komplexere
Fälle angewandt. Dabei haben Sie gesehen, dass Aufzählungen der Art [Hans, Maria und ihr Bruder]
als Ganzes komplexe Konstituenten sind. Sie haben gesehen, dass kleinere Konstituenten in größeren
Konstituenten enthalten sein können. Schließlich haben Sie gesehen, dass die Konstituententests auch
bei der Abfolge von Objekt und Verb Evidenz liefern, dass es sich hier um eine Konstituente handelt,
wenn auch irgendwie eine andere Art von Konstituente.
Im Laufe des Kapitels haben Sie auch eine Reihe andere wichtiger Grundlagen der
sprachwissenschaftlichen Analyse gelernt. Das Subjekt und die Objekte eines Verbs werden
Argumente des Verbs genannt. Die Argumentstruktur eines Verbs verzeichnet, was für Argumente ein
Verb nimmt.
Linguisten markieren ungrammatische Sätze mit einem Stern. Sie nehmen als Anhaltspunkt
bei der Erstellung von linguistischen Analysen, dass die Analyse erklären können soll, wieso
bestimmte Wortfolgen grammatische Sätze bilden, während andere Wortfolgen ungrammatisch sind.
Das finite Verb stimmt mit dem Subjekt (in Bezug auf Person und Numerus) überein und
kann außerdem für Tempus (Präsens/Präteritum) und Modus (Indikativ/Konjunktiv/Imperativ)
flektiert sein. Im einem deutschen Hauptsatz das finite Verb an zweiter Stelle, nach dem Vorfeld,
welches eine Konstituente enthält.
Aufzählungen wie [Hans und Maria] werden in der Linguistik koordinierte Strukturen
genannt. Die aufgezählten Bestandteile heißen Konjunkte und das Phänomen solcher Aufzählungen
heißt Koordination.
Detailansicht in dem
Gebäude 32 in der Vassar
Street, Cambridge,
Massachusetts, in dem die
Linguisten, einschließlich N.
Chomsky, seit 2004 arbeiten.
Terminologie
Syntaktische Konstituente [Englisch: syntactic constituent]: aufeinander folgende Worte, die eine
syntaktische Einheit bilden; in einem Baumdiagramm wird eine Konstituente als Knoten des
Baumdiagramms dargestellt. Als Grenzfall werden einzelne Wörter auch als syntaktische
Konstituenten begriffen.
Finites Verb [E. finite verb]: ein Verb, das mit dem Subjekt des Satzes in Person und Numerus
übereinstimmt, und außerdem für Tempus, und/oder Modus flektiert sein kann. Finite Verben
können in Hauptsätzen eigenständig auftreten. Im Gegensatz dazu werden nicht-finite Verben,
also Infinitive und Partizipien, nicht flektiert und treten in einem Hauptsatz nie eigenständig
auf.
Vorfeld [E. (selten) prefield]: Die Position am Anfang eines Hauptsatzes, vor dem finiten Verb.
Koordination [E. coordination]: Das Verbinden von zwei oder mehr Elementen, Konjunkte [E.
conjuncts] genannt, zu einer koordinierten Struktur [E. coordinate structure],
normalerweise mit Hilfe von und und oder.
S. 19 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Literaturhinweise
Weiterführende Literatur. Konstituententests finden sich in vielen Einführungen in die
Sprachwissenschaft, die sich an der generativen Grammatik orientieren. Zum Englischen etwa können
wir auch O'Grady et al. 2004 empfehlen. Einführendes zu den topologischen Feldern des Deutschen
wie dem Vorfeld und der Position des finiten Verbs findet man bei Höhle 1986. Eine neue und
gründliche Abhandlung zur deutschen Syntax ist Sternefeld 2006. Unter den vielen Einführungen in
die Syntax des Englischen erwähnen wir hier Carnie 2006, 2008 als zugänglich und hilfreich.
Zu Noam Chomsky. Noam Chomskys Buch 'Syntactic Structures' (Chomsky 1957), mit dem er die
Syntaxforschung revolutionierte, ist zugänglich geschrieben. Wenn man die Syntaxkapitel der
vorliegenden Einführung durchgearbeitet hat, wird man es wahrscheinlich schon zum Teil verstehen
können. (Genau genommen hat Chomskys Revolution zwei Jahre vorher mit seiner Dissertation an
der University of Pennsylvania begonnen, die später in editierter Form mit anderem Titel erschienen
ist (Chomsky 1975).) Spätere Arbeiten von Chomsky, etwa der Klassiker Chomsky 1981, waren
zumeist auch richtungsweisend für die Syntaxforschung, sind in vielen Fällen aber schwerer zu
verstehen; wir empfehlen deren Lektüre erst nach einer ausführlicheren Einführung in die Syntax.
Zum Literaturhintergrund dieses Kapitels. Die hier gewählte Darstellung, dass einige dieser Tests
eigentlich deswegen funktionieren, weil Konstituenten semantische Bedeutungseinheiten sind, wird
sonst nicht verwendet. Unser Bezugspunkt ist dabei das Kompositionalitätsprinzip in der formalsemantischen Interpretation (s. Heim und Kratzer 1998, Partee 2004). Gemäß diesem Prinzip tragen
syntaktische Konstituenten Bedeutungen, die aus den Bedeutungen ihrer Teile zusammengesetzt sind.
Der Konstituententest 3 zu Frage-Antwort-Sequenzen folgt aus Standard-Analysen zur
Fragebedeutung als Menge möglicher Antworten (seit Hamblin 1973) für einfache W-Ausdrücke, die
in der Antwort durch eine Bedeutungseinheit ersetzt werden. Er folgt nicht für komplexe WAusdrücke. '[Was für Studenten] hast du getroffen?' kann beantwortet werden mit 'Ich habe ältere
fortgeschrittene Studenten getroffen.' oder 'Ich habe junge Studenten aus Spanien getroffen'; die hier
hervorgehobenen Teile sind keine komplexen Konstituenten.
Literaturangaben
Carnie, Andrew. 2006. Syntax. A generative introduction. Zweite Auflage. Oxford: Blackwell.
Carnie, Andrew. 2008. Constituent structure. Oxford: Oxford University Press.
Chomsky, Noam. 1957. Syntactic structures. Mouton: Den Haag.
Chomsky, Noam. 1975. The logical structure of linguistic theory. New York: Plenum Press.
Chomsky, Noam. 1981. Lectures on Government and Binding. Dordrecht: Foris.
Hamblin, C.L. 1973. Questions in Montague English. Foundations of Language 10:41-53.
Heim, Irene, und Angelika Kratzer. 1998. Semantics in generative grammar. Malden, Mass.:
Blackwell.
Höhle, Tilman N. 1986. Der Begriff "Mittelfeld". Anmerkungen über die Theorie der topologischen
Felder. In Akten des 7. Internatinoalen Germanisten-Kongresses. Göttingen 1985, Hg. W.
Weiss, Herbert Ernst Wiegand and Marga Reise, 329-340. Tübingen: Niemeyer.
O'Grady, William, Archibald, John, Aronoff, Mark, and Rees-Miller, Janie. 2004. Contemporary
linguistics: an introduction. Fünfte Auflage. Boston und New York: Bedford/St. Martin's.
Partee, Barbara. 2004. Compositionality in formal semantics. Malden, Mass., Oxford und Victoria,
Australien: Blackwell.
Sternefeld, Wolfgang. 2006. Syntax. Eine morphologisch motivierte generative Beschreibung des
Deutschen (zwei Bände). Tübingen: Stauffenburg Verlag.
S. 20 von 23, Syntax 2, Konstituenten
Links
(Stand: 2008)
Video von Chomsky 1971, auf youtube (politische Diskussion):
http://www.youtube.com/watch?v=hbUYsQR3Mes
Video von Chomsky 2003, auf youtube (Interview zur Politik):
http://www.youtube.com/watch?v=10rTPSSmOFw&feature=related
Eine Webseite mit ausführlichen Informationen zu Noam Chomsky finden Sie hier:
http://www.chomsky.info/
Das Department of Linguistics am MIT (mit weiteren Bildern des Gebäudes sowie Informationen zu
diesem Institut heute):
http://web.mit.edu/linguistics/index.html
Übungsaufgaben
1. Bestimmen Sie für den englischen oder den deutschen Satz in (i), welche der folgenden englischen
bzw. deutschen Wortabfolgen Konstituenten sind. Argumentieren Sie jeweils mit Hilfe von zwei
Konstituententests. Wenn der Satz Ihnen zweideutig erscheint, verwenden Sie die sinnvollere
Satzbedeutung für Ihre Analyse.
a.
b.
c.
d.
e.
This man / Dieser Mann
the thief / den Dieb
the thief of the car / den Dieb von dem Auto
the thief of the car and the accomplice / den Dieb von dem Auto und den Komplizen
the car and the accomplice / dem Auto und den Komplizen
(i)
This man has seen the thief of the car and the accomplice.
Dieser Mann hat den Dieb von dem Auto und den Komplizen gesehen.
Zeichnen Sie einen Strukturbaum für die koordinierte Struktur in diesem Satz.
2. Betrachten Sie den Satz in (ii).
(ii)
Gestern hat der Freund von meiner Schwester die Tante und den Onkel abgeholt.
a. Isolieren Sie drei Konstituenten (mit je mehr als einem Wort) durch bedeutungserhaltende
Ersetzung mit Pronomen.
b. Was ist das Subjekt (in seiner Gänze) und was ist das Objekt (in seiner Gänze) in diesem Satz?
Zeigen Sie das auch mit dem Fragetest. Welche der Ergebnisse aus a. werden dadurch bestätigt?
c. Welches Wort ist in diesem Satz das finite Verb? Was steht in diesem Satz im Vorfeld?
d. Zeigen Sie für Subjekt und Objekt jeweils auch durch Verschiebung ins Vorfeld, dass es sich um
eine Konstituente handelt.
e. Zeichnen Sie einen Strukturbaum für das Subjekt des Satzes, an dem man sieht, inwiefern hier eine
Konstituente in einer anderen Konstituente steht.
f. Bildet das Objekt zusammen mit dem Verb abgeholt eine Konstituente? Argumentieren Sie mit
Hilfe der Vorfeldbesetzung und einem weiteren Konstituententest.
g. Zeichnen Sie einen Strukturbaum für die Sequenz aus Objekt und Verb.
S. 21 von 23, Syntax 2, Konstituenten
3.
a. Das folgende Gedicht ist insgesamt ein komplexer Satz, den man in drei Teilsätze zerlegen könnte:
die erste Zeile, die zweite Zeile, und der Rest. Die Analyse für Hauptsätze aus dem Text besagt, dass
ein Hauptsatz das finite Verb an zweiter Stelle stehen hat, und dass davor eine Konstituente (im
Vorfeld) steht. Auf welche der Teilsätze trifft diese Analyse zu (Information dazu: das Wort und steht
nie alleine im Vorfeld)? Begründen Sie Ihre Antwort.
b. Weisen Sie in dem folgenden Gedicht fünf Konstituenten nach. Verwenden Sie dabei jeden der
Konstituententests mindestens ein mal.
Ein Auto fuhr durch Gossensass
und kam in eine Soßengass
sodass die ganze Gassensoß
sich über die Insassen goss.
Von Wendelin Überzwerch
4.
Es kommt ja meinem Wohlbefinden nicht so sehr entgegen
mich des Regens wegen ständig aufzuregen.
weswegen ich in diesem letzten Jahr beschloß, ’nen entspannten
Urlaub einzulegen am Ostseestrand.
Von Bodo Wartke
a. Bestimmen Sie im obigen Text alle Verben.
b. Welche dieser Verben sind finit? Argumentieren Sie mit Bezug auf Übereinstimmung des
finiten Verbs mit dem Subjekt.
c. Was lässt sich in Bezug auf die finiten Verben im folgenden Text sagen?
Was die Sprache verrät (von Robert Gernhardt)
Vier Silben – hämmernd, unmenschlich, kalt:
Großstadtasphalt
Drei schwebende, lebende Silben nur:
Waldesflur
Zwei Silben – forschend, bedeutungsvoll, froh:
Hallo
Einsilbig, hochfahrend, jählings und knapp:
Schrapp
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5.
a. Denken Sie sich einen deutschen oder englischen Satz aus, der eine koordinierte Struktur, ein
finites und ein nicht-finites Verb enthält.
b. Bestimmen Sie für diesen Satz drei Konstituenten und weisen Sie jede dieser Konstituenten
mit Hilfe eines Konstituententests nach.
c. Erklären Sie, welches Verb in Ihrem Satz finit ist und welches nicht-finit, indem Sie sich auf
die Definition des finiten Verbs in diesem Kapitel beziehen.
6. Ausdrücke wie eine Schauspielerin in (i) bilden eine Konstituente. Diskutieren Sie anhand der
Konstituententests und der Generalisierung (24) ob die Wortfolge eine Schauspielerin aus München
in (ii) auch eine Konstituente ist, und ob die Wortfolge eine Schauspielerin aus Versehen in (iii)
ebenfalls eine Konstituente ist.
(i)
(ii)
(iii)
Maria hat [eine Schauspielerin] kennengelernt.
Maria hat eine Schauspielerin aus München angesprochen.
Maria hat eine Schauspielerin aus Versehen angerempelt.
7. Die deutsche Umganggsprache erlaubt Ausdrücke wie dem Peter sein Auto in (i), statt des
standardsprachlichen Ausdrucks Peters Auto. Diskutieren Sie anhand der Konstituententests und der
Generalisierung (24) ob dem Peter sein Auto hier eine Konstituente ist.
(i)
Dem Peter sein Auto ist kaputt.
[Umganggsprache]
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