Aus: Hubert Truckenbrodt und Kathrin Eichler: Einführung in die moderne Sprachwissenschaft. Ms., ZAS Berlin und DFKI Saarbrücken, 2010. Syntax 2: Konstituenten Zentrale Lerninhalte dieses Kapitels: • Ein Satz besteht aus kleineren linguistische Einheiten, so genannten Konstituenten. • Sie lernen Tests zum Identifizieren dieser Konstituenten • Konstituenten sind relevant für die Syntax und Bedeutungseinheiten in der Semantik. • Größere Konstituenten können aus kleineren Konstituenten bestehen. 1. Einleitung In diesem Kapitel beginnen wir damit, die syntaktische Analyse von deutschen und englischen Sätzen einzuführen. Die Analyse, auf die wir uns dabei beziehen, ist die Generative Grammatik. Dies ist ein Rahmen der linguistischen Analyse und eine Forschungsrichtung, die ihren Anfang 1957 mit dem Buch 'Syntactic Structures' des amerkanischen (USA) Linguisten Noam Chomsky nahm. Inzwischen hat sich diese Forschungsrichtung flächendeckend in den USA etabliert, und ist auch in vielen anderen Ländern, einschließlich Deutschland, stark vertreten. Noam Chomsky, *1928, Linguist aus den USA, unterrichtet heute (2008) noch gelegentlich am Massachusetts Institute of Technology, wo er die letzten 50 Jahre wirkte. Besonders wichtige Beiträge hat er in der Syntaxforschung geleistet, die er Mitte der 1950er Jahre revolutionierte und zu der er seither richtungsweisend beigetragen hat. Aber auch in der Phonologie, in der Computerlinguistik und in angrenzenden Bereichen wie der Informatik und Psychologie hatten seine Arbeiten nachhaltige Wirkung. Noam Chomsky ist auch ein scharfer öffentlicher Kritiker der Außen- und Wirtschaftspolitik der USA. ("Everyone's worried about stopping terrorism. Well, there's a really easy way: Stop participating in it.") Noam Chomsky ist der meist-zitierte lebende Mensch. In diesem Einführungsbuch werden allgemeine Grundannahmen der generativen Syntaxanalyse eingeführt. Die Vergleiche des deutschen Satzbaus mit dem englischen Satzbau sollen, vor allem in späteren Kapiteln, einen Eindruck von der sprachübergreifenden Syntaxforschung vermitteln: Sätze in unterschiedliche Sprachen sind aus ähnlichen Strukturbausteinen aufgebaut und zeigen dabei ähnliche Gesetzmäßigkeiten; gleichzeitig unterscheidet sich die Kombinatorik der Elemente dann auch von Sprache zu Sprache in einigen spezifischen abstrakten Hinsichten. In diesem Kapitel motivieren wir die Annahme, dass Sätze überhaupt aus kleineren Teilen, Konstituenten genannt, aufgebaut sind. Im folgenden Kapitel werden wir diskutieren, welche unterschiedliche Arten solcher Bausteine es gibt und wie einige davon genauer aufgebaut sind. Spätere Kapitel zur Syntax führen dann zu einem Verständnis der Satzbaupläne des Deutschen und des Englischen im Vergleich. Im vorangegangenen Kapitel haben wir gesehen, dass einzelne Morpheme sich zu größeren Einheiten kombinieren, etwa dem Stamm oder dem Wort. Diese größeren Einheiten sind morphologische Konstituenten. Allgemeiner ist eine Konstituente eine grammatische Einheit, die sich aus mehreren kleineren Elementen zusammensetzen kann. In diesem Kapitel geht es um syntaktische S. 1 von 23, Syntax 2, Konstituenten Konstituenten. In der Syntax spielen Konstituenten eine Schlüsselrolle. Sie sind die Bausteine der Sätze. Wie wir später sehen werden, ist die gesamte Theorie des Satzbaus (Syntax), wie auch die Theorie der Kombination der Bedeutungen (Semantik), auf Konstituenten aufgebaut. Für den Anfang kann man sich eine syntaktische Konstituente als eine Abfolge von Wörtern innerhalb eines Satzes vorstellen, die auf eine Art zusammengehören. Auf welche Art sie zusammengehören wird im Verlauf des Kapitels klarer werden. DEFINITION Syntaktische Konstituente [Englisch: syntactic constituent]: aufeinander folgende Worte, die eine syntaktische Einheit bilden; in einem Baumdiagramm wird eine Konstituente als Knoten des Baumdiagramms dargestellt. Als Grenzfall werden einzelne Wörter auch als syntaktische Konstituenten begriffen. Wir führen in diesem Kapitel zunächst an relativ offensichtlichen Beispielen einige Tests für syntaktische Konstituenten ein. Später in dem Kapitel werden die Tests auf Fälle angewandt, die weniger offensichtlich sind. 2. Ein erster Eindruck von einfachen Konstituenten Betrachten wir zunächst den Beispielsatz (1).1 (1) Mein Freund isst in Boston jeden Tag eine Suppe mit Venusmuscheln. In diesem Satz werden Sie eine Reihe von Bedeutungseinheiten ausmachen können, die in (2) mit Hilfe von eckigen Klammern dargestellt sind. (2) wer? [Mein Freund] isst wo? [in Boston] wann? [jeden Tag] was? [eine Suppe mit Venusmuscheln] Die erste Bedeutungseinheit [mein Freund] sagt uns, wer ein die Suppe mit Venusmuscheln isst. Die Bedeutungseinheit am Satzende, [eine Suppe mit Venusmuscheln] gibt uns Information darüber, was gegessen wird. Die beiden übrigen Bedeutungseinheiten [in Boston] und [jeden Tag] sagen uns, wo und wann das Essen der Suppe stattfindet. Diese vier Bedeutungseinheiten, die jeweils aus einer mit eckigen Klammern zusammengefassten Abfolge von Wörtern bestehen, sind unsere ersten Konstituenten in dieser Lektion. 3. Konstituenten als Bedeutungseinheiten Syntaktische Konstituenten sind in der Semantik Bedeutungseinheiten. In diesem Abschnitt werden wir drei verschiedene Tests kennen lernen, die sich diesen Aspekt von Konstituenten zu nutze machen. Die Tests funktionieren sowohl im Deutschen als auch im Englischen. In (3) ist der erste dieser Konstituententests formuliert. 1 Sollte es Sie einmal nach Boston/Cambridge verschlagen, sollten Sie auf jeden Fall zwei Dinge tun: Erstens, schauen Sie sich das Gebäude an, in dem die Linguisten, unter anderem Chomsky, seit 2004 arbeiten. Es ist ein wildes und sehr beeindruckendes Gebäude des berühmten Architekten Frank Gehry. Zweitens sollten Sie in eins der guten Restaurants, zum Beispiel Legal Seafood, gehen und dort einen Teller “clam chowder” essen. Diese Spezialität der Region ist eine gehaltvolle Suppe aus Venusmuscheln [E. clams], Kartoffeln und Sahne. S. 2 von 23, Syntax 2, Konstituenten (3) KONSTITUENTENTEST 1: Eine Konstituente kann manchmal mit Hilfe eines Pronomens ersetzt werden, das dieselbe Bedeutung transportiert (denselben Bezug zur Welt hat) wie die Konstituente. Sehen wir uns in (4) erneut unseren Beispielsatz an, so kann hier zum Beispiel das Subjekt mein Freund durch das Pronomen er ersetzt werden und das Pronomen kann dabei die Bedeutung von mein Freund annehmen. Entsprechend können wir auch das Objekt mit einem Pronomen ersetzen, nämlich eine in (6), was sich auf eine Suppe mit Venusmuscheln beziehen kann. (4) [Mein Freund] isst [in Boston] [jeden Tag] [eine Suppe mit Venusmuscheln] (5) Er isst [in Boston] [jeden Tag] [eine Suppe mit Venusmuscheln] (6) [Mein Freund] isst [in Boston] [jeden Tag] eine Hier ersetzen wir also Konstituenten durch Pronomen. Die Konstituente ist eine Bedeutungseinheit und wenn wir das richtige Pronomen finden, kann es die Bedeutung der Konstituente übernehmen. Für diesen Test ist es wichtig, dass das Pronomen denselben Bezug hat wie die Wörter, die es ersetzt. In (7) könnten wir das Pronomen eine zum Beispiel auch wie in (8) für die Wortabfolge jeden Tag eine Suppe mit Venusmuscheln einfügen. (7) [Mein Freund] isst [in Boston] (8) [Mein Freund] isst [in Boston] [jeden Tag] [eine Suppe mit Venusmuscheln] eine Allerdings kann sich eine in (8) in keinem Fall auf jeden Tag eine Suppe mit Venusmuscheln beziehen. Mit Hilfe des Konstituententests können wir also in diesem Fall nicht feststellen, ob jeden Tag eine Suppe mit Venusmuscheln eine Konstituente ist oder nicht (es ist keine). In (6) dagegen kann sich eine durchaus auf [eine Suppe mit Venusmuscheln] beziehen, woran man sieht, dass [eine Suppe mit Venusmuscheln] eine Konstituente ist. Ebenso kann das Pronomen er in (5) für mein Freund stehen, was zeigt, dass mein Freund eine Konstituente ist. Zusammenfassend können wir also sagen, dass es bei einer Wortabfolge, die eine Konstituente bildet, ein Pronomen geben kann, das die Konstituente ersetzen und seine Bedeutung übernehmen kann. Gibt es ein solches Pronomen, so ist das ein Beleg dafür, dass die ersetzte Wortabfolge eine Konstituente ist. Dieser auf Pronomen basierende Konstituententest ist auch im Englischen möglich. In (9) kann zum Beispiel our neighbor durch das Pronomen she in (10) ersetzt werden, ohne dass sich der Bezug ändern muss. (11) zeigt, dass das auch bei a boiled egg möglich ist, a boiled egg also ebenfalls eine Konstituente bildet. (9) (10) (11) [Our neighbor] [often] eats [a boiled egg] [in the morning] She [often] eats [a boiled egg] [in the morning] [Our neighbor] [often] eats one [in the morning] Ein zweiter Konstituententest, der darauf basiert, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten sind, ist in (12) formuliert. Wir haben bereits im ersten Test gesehen, dass ein Pronomen manchmal die Bedeutung einer Konstituente übernehmen kann. Im zweiten Test ist das ähnlich, mit dem S. 3 von 23, Syntax 2, Konstituenten Unterschied, dass hier das Pronomen die Konstituente nicht ersetzt, sondern in einem Folgesatz auftritt und sich auf die Konstituente bezieht. (12) KONSTITUENTENTEST 2: Pronomen beziehen sich auf Bedeutungseinheiten, also auf Konstituenten. In (13) können wir mit Hilfe dieses Tests drei Konstituenten ausmachen. (13) [Mein Bruder] hat [seiner Mitbewohnerin] [sein altes Radio] verkauft Er (= mein Bruder) brauchte es nicht mehr. Sie (= seine Mitbewohnerin) hat ihm 10 € dafür angeboten. Es (= sein altes Radio) ist noch ganz gut in Schuss. Satz (13a) kann mit Satz (13b) fortgeführt werden, in dem das Pronomen er die Bedeutung von mein Bruder übernimmt. Mein Bruder ist also eine Bedeutungseinheit und somit eine Konstituente. Entsprechend übernimmt in (13c) das Pronomen sie die Bedeutung von seiner Mitbewohnerin, so dass auch seiner Mitbewohnerin eine Konstituente sein muss. Ebenso sein altes Radio, was in (13d) mit dem Pronomen es wieder aufgegriffen wird. Beispiel (14) zeigt, dass dieser Test auch im Englischen funktioniert. (14) a. [My brother] sold [his neighbor] [his old radio] b. He (= my brother) didn't need it any more. c. She (= his neighbor) offered him $10 for it. d. It (= his old radio) is in reasonably good shape. Der dritte Test, der ebenfalls darauf aufbaut, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten sind, macht sich W-Fragen zunutze, also Fragen, die mit einem Fragewort beginnen, zum Beispiel Wen hat Hans getroffen? Die semantische Theorie sagt, dass eine Antwort auf eine einfache W-Frage folgende Bedingung erfüllt: (15) KONSTITUENTENTEST 3 Die Antwort auf eine W-Frage präsentiert die erfragte Information in Form einer einzigen Bedeutungseinheit, also einer Konstituente. (Dies gilt für W-Fragen mit einfachen Frageausdrücken wie wer, wen, was, wo, wann etc., aber nur eingeschränkt für komplexe Frageausdrücke der Art welche Studenten oder was für Dozenten. Wir beschränken uns hier auf Fragen mit diesen einfachen Frageausdrücken.) Die Antwort auf eine Frage kann die Information entweder wie in (16) in einem Teilsatz präsentieren oder aber in einem kompletten Satz wie in (17). Beide Fälle zeigen, dass unsere Mitbewohnerin eine Bedeutungseinheit und somit eine Konstituente ist, weil es diese Einheit ist, die die Information enthält, die die gestellte Frage beantwortet. (16) Wen hat Hans getroffen? (17) Wen hat Hans getroffen? [unsere Nachbarin] Er hat [unsere Nachbarin] getroffen. S. 4 von 23, Syntax 2, Konstituenten Wir haben also einen weiteren Konstituententest: Stellen Sie sich vor, Sie möchten für eine bestimmte Wortabfolge in einem Satz herausfinden, ob sie eine Konstituente ist oder nicht. Finden Sie nun eine Frage mit einem einfachen Fragewort, auf die genau diese Wortabfolge die Antwort liefert, so haben Sie ein Argument, dass die Wortabfolge eine Konstituente ist. In (17) ist so unsere Nachbarin eine Konstituente, weil sie die Antwort auf eine W-Frage, nämlich die Frage Wen hat Hans getroffen?, liefert. Wenden wir diesen Test nun auf ein etwas komplexeres Beispiel an. Die KonstituentenStruktur in (18) ergibt sich aus den Frage-Antwort-Paaren in (19). (18) Hans hat [unsere Nachbarin] [am Dienstag] [im Park] getroffen. (19) Wen hat Hans getroffen? Hans hat [unsere Nachbarin] am Dienstag im Park getroffen Wann hat Hans unseren Nachbarn im Park getroffen? Hans hat unsere Nachbarin [am Dienstag] im Park getroffen Wo hat Hans unseren Nachbarn am Dienstag getroffen? Hans hat unsere Nachbarin am Dienstag [im Park] getroffen Für Beispielsatz (20) ist in (22) gezeigt, dass dieser Konstituententest auf dieselbe Weise im Englischen angewendet werden kann. (20) John met [our neighbor] [in the park] [on Tuesday] Who did John meet in the park on Tuesday? John met [our neighbor] in the park on Tuesday When did John meet our neighbor in the park? John met our neighbor in the park [on Tuesday] Where did John meet our neighbor on Tuesday? John met our neighbor [in the park] on Tuesday Dieser Test funktioniert auch für den deutschen Satz in (4) und für den englischen in (9). Hören Sie nun kurz auf zu lesen und probieren Sie die Konstituententests anhand von eigenen Beispielen aus. 4. Konstituenten und Argumentstruktur In diesem und den folgenden Abschnitten werden wir Konstituententests kennen lernen, die über die Intuition, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten sind, hinausgehen. Hier werden wir sehen, dass Konstituenten auch relevant für den Satzbau, also die Syntax, sind. Sie werden vermutlich die Begriffe Subjekt und (direktes oder indirektes) Objekt kennen. In dem Satz Hans gab Maria das Buch zum Beispiel, ist Hans das Subjekt, Maria das indirekte Objekt und das Buch das direkte Objekt.2 Deutsche Sätze haben im Allgemeinen ein Subjekt. Ob sie außerdem ein direktes und/oder indirektes Objekt haben, hängt allerdings vom Verb des Satzes ab. 2 Das Subjekt steht im Nominativ ('wer oder was?'), das direkte Objekt steht im Akkusativ ('wen oder was?') und das indirekte Objekt steht im Deutschen im Dativ ('wem?'). S. 5 von 23, Syntax 2, Konstituenten Die Frage, wie ein Verb sich mit Subjekt und eventuellen Objekten verbindet ist Teil der übergeordneten Frage, wie Sätze aufgebaut sind und wird daher in der Syntax behandelt. In der Theorie der Syntax werden Subjekt und Objekt(e) auch Argumente des Verbs genannt. Die Information darüber, welche Argumente ein Verb haben kann, heißt Argumentstruktur. Im folgenden werden die Abkürzungen SU für Subjekt, DO für direktes Objekt und IO für indirektes Objekt verwendet. In (21) sind die Argumentstrukturen verschiedener deutscher und englischer Verben aufgelistet. Das Verb geben beispielsweise nimmt, wie wir gerade gesehen haben, außer dem Subjekt ein direktes und ein indirektes Objekt. Anders das Verb mögen, welches ein Subjekt und ein direktes Objekt nimmt, wie in Maria mag Peter, aber kein indirektes Objekt. (21) Argumentstruktur Deutsch geben: SU, DO, IO erklären: SU, IO, DO mögen: SU, DO schlafen: SU Englisch give: SU, DO, IO explain: SU, DO, IO like: SU, DO sleep: SU In (22) und der englischen Übersetzung in (23) ist α das Subjekt, β das indirekte Objekt und γ das direkte Objekt. (22) α β Meine Schwester hat (23) α ihren Kollegen γ My sister γ die neue Maschine erklärt β explained the new machine to her colleagues. Konstituenten spielen eine wichtige Rolle in Bezug auf Verben und ihre Argumente. Nur Konstituenten können Subjekt oder Objekt eines Verbs sein. (24) GENERALISIERUNG ZU ARGUMENTEN Jedes Argument eines Verbs wird durch eine einzige Konstituente realisiert. In (25b) sehen wir, dass das Subjekt nicht mit zwei Konstituenten gebildet werden kann, sondern es aus einer einzigen Konstituente bestehen muss. Auch das direkte Objekt kann nicht aus mehr als einer Konstituente bestehen, wie (25c) zeigt. (Ausdrücke wie Mein Bruder und meine Schwester werden wir weiter unten behandeln.) (25) a. b. c. [Meine Schwester] schläft. * [Meine Schwester] [mein Bruder] schläft/schlafen. * Ich habe [meinen Bruder] [meine Schwester] getroffen. S. 6 von 23, Syntax 2, Konstituenten GRAMMATISCHE UND UNGRAMMATISCHE SÄTZE Linguisten unterscheiden zwischen grammatischen und ungrammatischen Sätzen. Ungrammatische Sätze werden mit einem Stern * gekennzeichnet. Ungrammatische Sätze sind solche, die ein Muttersprachler einer Sprache ablehnen würde: Sie klingen nicht richtig, zum Beispiel weil die Wörter nicht in der richtig angeordnet sind. Grammatische Sätze sind Sätze, die in der jeweiligen Sprache möglich sind und von einem Muttersprachler als richtig eingestuft würden. Linguisten versuchen herauszufinden, wie die Prinzipien der Grammatik funktionieren, die einerseits grammatische Sätze ermöglichen und andererseits ungrammatische Sätze ausschließen. Die Beispiele (25b) und (25c) sind ungrammatisch und deshalb mit einem * gekennzeichnet. Der Grund hierfür ist, dass sie nicht der Generalisierung zu Argumenten in (24) entsprechen. Im Englischen gilt dieselbe Einschränkung, wie Beispiel (26) zeigt. (26) a. b. c. [My sister] is sleeping. * [My sister] [my brother] is/are sleeping. * I met [my brother] [my sister]. Mit Hilfe der Generalisierung zu Konstituenten können wir einige unserer vorherigen Ergebnisse bestätigen. In dem Beispiel in (13), das in (27) nochmal wiedergegeben ist, hatten wir drei Konstituenten bestimmt: [mein Bruder], [seiner Nachbarin] und [sein altes Radio]. (27) [Mein Bruder] hat [seiner Nachbarin] [sein altes Radio] verkauft Das Prinzip in (24) stützt dieses Ergebnis: [mein Bruder] ist das Subjekt und [seiner Nachbarin] und [sein altes Radio] die beiden Objekte des Verbs verkaufen. 5. Bewegung von Konstituenten Einige Elemente des Satzes können in unterschiedlichen Positionen im Satz auftreten. Zum Beispiel könnte das Objekt [eine Suppe mit Venusmuscheln], das in (28a) relativ weit hinten im Satz steht, auch wie in (28b) vor der Ortsangabe [in Boston] stehen. (28) a. Ich habe [in Boston] [eine Suppe mit Venusmuscheln] bestellt. b. Ich habe [eine Suppe mit Venusmuscheln] [in Boston] bestellt. Ebenso könnte das Objekt [eine Suppe mit Venusmuscheln] am Satzanfang stehen, wie in (29). (29) [Eine Suppe mit Venusmuscheln] habe ich [in Boston] bestellt. Diese Positionsänderungen sind nur für Konstituenten möglich, nicht aber für Wortabfolgen, die keine Konstituenten bilden. Wir illustrieren das hier mit einem besonders klaren Beispiel. Der Satz (28a) ist in (30a) wiederholt. Wir wissen schon, dass [in Boston] eine Konstituente ist (also eine Gruppe von Worten, die zusammengehören), und dass [eine Suppe mit Venusmuscheln] eine Konstituente ist. Damit kann man sich schon denken, dass die in (30a) unterstrichene Wortfolge Boston eine keine Konstituente ist: diese beide Worte gehören in diesem Satz nicht enger zusammen. Entsprechend kann man diese Wortfolge auch nicht verschieben. Versucht man es dennoch, so kommt ein ungrammatischer Satz dabei heraus, wie man in (30b) sieht. S. 7 von 23, Syntax 2, Konstituenten (30) a. Ich habe [in Boston] [eine Suppe mit Venusmuscheln] bestellt. b. * Boston eine habe ich in Suppe mit Venusmuscheln bestellt. Syntaktiker sind daran interessiert mögliche und unmögliche Wortstellungen innerhalb eines Satzes zu erklären. So stellen sie sich zum Beispiel die Frage, warum (28a), (28b) und (29) grammatisch sind, (30b) aber ungrammatisch, obwohl alle diese Sätze dieselben Wörter enthalten. Syntaktiker haben dazu Theorien entwickelt, die von der folgenden Perspektive in Bezug auf Variationen in der Wortstellung ausgehen: (a) eine Satzstellung ist die zugrunde liegende; (b) andere Satzstellungen sind von dieser zugrunde liegenden Wortstellung abgeleitet, indem sich eine (oder manchmal mehr als eine) Konstituente an eine andere Stelle im Satz bewegt hat. In dieser Theorie steht [eine Suppe mit Venusmuscheln] in (28a) in seiner zugrunde liegenden Position. In (28b) ist diese Konstituente ein wenig nach links bewegt, vor die Ortsangabe [in Boston]. In (29) ist die Konstituente [eine Suppe mit Venusmuscheln] an den Satzanfang bewegt. Allgemeiner geht man in dieser Konzeption davon aus, dass sich nur Konstituenten bewegen können: (31) GENERALISIERUNG ZUR SYNTAKTISCHEN BEWEGUNG (KONSTITUENTENTEST 4) Nur Konstituenten lassen sich im Satz verschieben. Mit (31) haben wir ein Prinzip, welches die grammatischen Sätze (28b) und (29) von dem ungrammatischen Satz (30b) unterscheidet. Ausgehend von der zugrunde liegenden Reihenfolge in (28a) wurde in (28b) und in (29) jeweils eine Konstituente bewegt, nämlich [eine Suppe mit Venusmuscheln]. Das ist gemäß (31) erlaubt. In (30b) andererseits wurde eine Wortfolge, die keine Konstituente ist (nämlich Boston eine), verschoben. Das wird von (31) ausgeschlossen. Diesen Konstituententest können wir nun auch auf andere Fälle anwenden, zum Beispiel auf die in (32a) unterstrichene Wortabfolge Venusmuscheln bestellt. Auch hier können wir uns bereits denken, dass dies keine Konstituente ist, weil das Wort Venusmuscheln ja statt dessen zu der Konstituente [eine Suppe mit Venusmuscheln] gehört. Dies können wir mit unserem Konstituententest bestätigen. Bewegen wir diese Wortabfolge vor die Ortsangabe [in Boston], wie in (32b), so erhalten wir einen ungrammatischen Satz. (32) a. Ich habe [in Boston] [eine Suppe mit Venusmuscheln] bestellt. b. * Ich habe Venusmuscheln bestellt [in Boston] eine Suppe mit. Es lassen sich also nur Wortabfolgen, die Konstituenten sind, geschlossen bewegen. Diese Beschränkung kann, wie wir gesehen haben, als Konstituententest eingesetzt werden. 6. Konstituenten und die Initialstellung im Deutschen In diesem Abschnitt behandeln wir einen wichtigen Konstituententest des Deutschen: Die erste Position in einem regulären Hauptsatz enthält genau eine Konstituente. Für ein genaueres Verständnis dessen, was diese erste Position ist, braucht man den Begriff des finiten Verbs. Wir beginnen mit einer Definition, die wir dann erklären. S. 8 von 23, Syntax 2, Konstituenten DEFINITION Finites Verb [E. finite verb]: ein Verb, das mit dem Subjekt des Satzes in Person und Numerus übereinstimmt, und außerdem für Tempus, und/oder Modus flektiert sein kann. Finite Verben können in Hauptsätzen eigenständig auftreten. Im Gegensatz dazu werden nicht-finite Verben, also Infinitive und Partizipien, nicht flektiert und treten in einem Hauptsatz nicht eigenständig auf. Das Subjekt eines Satzes kann ein Pronomen in der ersten Person (ich/wir) oder in der zweiten Person (du/ihr) sein, oder es kann in der dritten Person stehen (er/sie/es, sie im Plural oder andere Ausdrücke wie der Mann, Maria, etc.). Das finite Verb, und nur dieses, passt sich der Person des Subjekts an, wie das finite Verb in den Beispielen ich spiel-e, du spiel-st, er spiel-t. Subjekte könne im Singular (Einzahl) oder im Plural (Mehrzahl) stehen – diese Unterscheidung wird Numerus genannt. Das finite Verb passt sich auch in Bezug auf Numerus dem Subjekt an: ich spiel-e (Singular), wir spiel-en (Plural); er spiel-t (Singular), sie spiel-en (Plural). An der Übereinstimmung des finiten Verbs mit Person Numerus des Subjekts kann man das finite Verb meist leicht erkennen. In der Definition oben betrifft Tempus die Unterscheidung zwischen Präsens und Präteritum. Zum Beispiel unterscheidet sich das finite Verb in Maria spiel-t und Maria spiel-te und ist so in der Lage unterschiedliche Zeiten auszudrücken. Modus unterscheidet zwischen Indikativ (Er spiel-t.), Konjunktiv (Sie sagte, dass er spiel-e.) und Imperativ (Spiel!). All diese Unterscheidungen werden nur am finiten Verb markiert. Wenn in einem vollständigen Satz nur ein einziges Verb vorkommt, dann ist das Verb im Allgemeinen das finite Verb. Dies trifft auf die Beispiele in den vorigen beiden Absätzen zu (ich spiel-e, du spiel-st, etc.). Weitere Sätze mit nur einem Verb, welches finit ist, sind für das Deutsche und für das Englische in (33) angegeben. In (34) sehen Sie einfache Sätze mit zwei Verben. In solchen Fällen ist nur eines der Verben finit, das andere nicht-finit. Die finiten Verben sind auch hier fettgedruckt dargestellt. Die nicht-finiten Verben sind unterstrichen gekennzeichnet. In den Kommentaren rechts in (34) finden Sie die grammatischen Bezeichnungen der unterschiedlichen nicht-finiten Verben. Allgemeiner handelt es sich bei nicht-finiten Verben um Partizipien oder um Infinitive. (33) (34) a. Sätze mit nur einem Verb, dem finiten Verb Deutsch Englisch Maria spiel-t Fußball. Mary play-s soccer. Maria spiel-te Fußball. Mary play-ed soccer. Kommentar (sichtbare Numerus-Flexion) (sichtbare Tempus-Flexion) Sätze mit je einem finiten und einem nicht-finiten Verb Deutsch Englisch Maria ha-t Fußball gespielt Mary ha-s played soccer. Du ha-st Fußball gespielt. You have played soccer. b. Kommentar gespielt bzw. play-ed ist ein Partizip II [E. past participle] Mary is playing soccer. You are playing soccer. playing ist ein progressive oder present participle Mary do-es not play soccer. You do not play soccer. spielen bzw. play ist hier ein reiner Infinitiv [E. bare infinitive] c. Maria kann Fußball spielen. Du kann-st Fußball spielen. d. Maria plan-t Fußball zu spielen. Mary plan-s to play soccer. Du plan-st Fußball zu spielen. You plan to play soccer. S. 9 von 23, Syntax 2, Konstituenten zu spielen bzw. to play ist ein Infinitiv mit zu [E. to-infinitive] Diese Infinitive und Partizipien sind nicht für Person, Numerus, Tempus oder Modus gekennzeichnet. Beispielsweise bleibt in (34a) die Form gespielt konstant, egal ob sie sich mit Maria oder mit du kombiniert.3 Das finite Verb aber ändert sich jeweils, wie man dort sieht. Was hat nun das finite Verb mit Konstituenten zu tun? Im Folgenden betrachten wir diese Frage für Hauptsätze im Deutschen (und im Englischen). Damit meinen wir Sätze, die selbständig stehen und nicht Teil eines größeren Satzes sind. Wir beschränken uns auch auf Sätze, mit denen eine Aussage gemacht wird (im Gegensatz zu Fragen und Aufforderungen). In (35) betrachten wir zunächst ein Beispiel aus dem Englischen, in dem das Subjekt (und nur das Subjekt) vor dem finiten Verb steht. Wie (35b) zeigt, muss das Subjekt in „normalen“ englischen Hauptsätzen vor dem finiten Verb stehen. Die Satzstellung [… – Verb – Subjekt] führt zu einem ungrammatischen Satz. Die deutschen Beispielsätze in (36) sind den Englischen sehr ähnlich: Auch hier folgt in (36a) das finite Verb dem Subjekt. Allerdings ist das im Deutschen nicht zwingend erforderlich. Wie (36b) zeigt, kann das Subjekt auch nach dem finiten Verb stehen, sofern ein anderes Element dem finiten Verb vorangeht. (35) (36) a. b. a. b. * Mary play-ed soccer yesterday. Yesterday play-ed Mary soccer. Maria spiel-te gestern Fußball Gestern spiel-te Maria Fußball. Betrachten wir das für das Deutsche bei einem weiteren Satz etwas genauer. In (37) steht zunächst das Subjekt vor dem finiten Verb, in den Beispielsätzen (38), (39) und (40) jeweils ein anderes Element des Satzes. All diese Elemente sind Konstituenten: das Subjekt in (37), die Zeitangabe [am Morgen] in (38), die Häufigkeitsangabe [oft] in (39)4, und das direkte Objekt in (40). (37) [Unser Nachbar] isst am Morgen oft (38) [Am Morgen] (39) [Oft] isst unser Nachbar am (40) [Ein gekochtes Ei] isst ein gekochtes Ei isst unser Nachbar oft ein gekochtes Ei Morgen ein gekochtes Ei unser Nachbar oft am Morgen In diesem Zusammenhang gibt es eine weitere wichtige Unterscheidung zwischen dem Deutschen und dem Englischen: Wir wissen bereits, dass im Englischen das Subjekt vor dem finiten Verb stehen muss. Ist dies der Fall, können allerdings auch noch weitere Konstituenten vor dem finiten Verb stehen, zum Beispiel in the morning in (41). (41) Zeitangabe Subjekt Häufigkeit Verb [In the morning] [our neighbor] [often] eats Objekt [a boiled egg] 3 Man kann sich fragen, ob das Partizips II, wie in ge-spiel-t, nicht doch eine Art Tempusmarkierung für Vergangenheit ist. Das Partizip II wird allerdings auch im Passiv verwendet (es wird Fußball gespielt), wo keine Vergangenheit vorliegt. Es ist also eine nicht-finite Verbform mit spezifischen Verwendungsmöglichkeiten, aber ohne wirkliche Tempusmarkierung. 4 Auch einzelne Worte sind Konstituenten. Sie sind Bedeutungseinheiten, können manchmal durch Pronomen ersetzt werden, etc. Wir kommen unten darauf zurück. S. 10 von 23, Syntax 2, Konstituenten Im Deutschen ist das anders: Im Deutschen kann nur eine einzige Konstituente vor dem finiten Verb stehen. Die Wortstellung aus dem englischen Satz in (41) ins Deutsche zu übertragen ist also, wie in (42) gezeigt, nicht möglich. (42) Zeitangabe Subjekt Häufigkeit Verb Objekt * [Am Morgen] [unser Nachbar] [oft] isst [ein gekochtes Ei] (In the morning our neighbor often eats a boiled egg) Auch wenn statt drei nur zwei Konstituenten vor dem finiten Verb stehen, sind die Sätze im Deutschen ungrammatisch, wie (43) und (44) zeigen. (43) * [Unser Nachbar] [am Morgen] isst [oft] [ein gekochtes Ei] (44) * [Unser Nachbar] [ein gekochtes Ei] isst [am Morgen] [oft] Für das Deutsche gilt also, dass nur eine einzige Konstituente vor dem finiten Verb stehen darf, wie in (37) - (40). Diese Feststellung führt zu einem nützlichen Konstituententest. Steht im Deutschen ein Element vor dem finiten Verb, können wir sicher sein, dass es eine Konstituente ist. In der linguistischen Theorie wird das Füllen der Position vor dem finiten Verb mit Hilfe von Bewegung dargestellt. Gehen wir davon aus, dass die Initialposition zunächst nicht gefüllt ist, wie in (45) angedeutet. (45) Subjekt Zeitangabe Häufigkeit Objekt ___ isst [unser Nachbar] [am Morgen] [oft] [ein gekochtes Ei] Eine der Konstituenten des Satzes bewegt sich nun in diese leere Position, um einen Satz zu bilden. Bewegt sich das Subjekt in die Initialstellung, erhalten wir Satz (37), bewegt sich einer der beiden temporalen Ausdrücke, erhalten wir Satz (38) bzw. (39), und wenn das sich bewegende Element das Objekt ist, Satz (40). Wir wissen bereits aus Konstituententest 4, dass sich nur Konstituenten bewegen können. Zusätzlich können wir nun sagen, dass es im Deutschen eine einzige Position am Satzanfang gibt, die dem finiten Verb vorangeht und in die sich eine Konstituente hineinbewegt. (46) KONSTITUENTENTEST 5 Im Deutschen gibt es eine Position am Anfang des Hauptsatzes, vor dem finiten Verb, die genau eine Konstituente umfasst. In der syntaktischen Theorie wird diese Position durch Bewegung einer Konstituente gefüllt. Mit Hilfe dieses Konstituententests können wir zum Beispiel zeigen, dass die Wortgruppe ein gekochtes Ei in (40) zusammen eine Konstituente bildet. Auch können wir ihn nutzen, um Konstituentenstrukturen aus vorangegangen Beispielen zu überprüfen. Die Konstituentenstruktur in Beispielsatz (18), die wir in (19) mit Konstituententest 3 belegt hatten, ist in (47) erneut dargestellt. (47) Hans hat [unsere Nachbarin] [am Dienstag] [im Park] getroffen. Wie (48) zeigt, kann jeder der Konstituenten in (47) an die Stelle vor dem finiten Verb rücken. S. 11 von 23, Syntax 2, Konstituenten (48) a. b. c. [unsere Nachbarin] hat Hans [am Dienstag] [im Park] getroffen [am Dienstag] hat Hans [unsere Nachbarin] [im Park] getroffen [im Park] hat Hans [unsere Nachbarin] [am Dienstag] getroffen Die Wortabfolge am Dienstag im ist in (47) jedoch keine Konstituente und kann daher nicht geschlossen vor das finite Verb bewegt werden: (49) * am Dienstag im hat Hans [unseren Nachbarn] ___ Park getroffen Zum Ende dieses Abschnittes lernen Sie noch einen wichtigen Begriff der deutschen Grammatik: Die Position am Satzanfang, vor dem finiten Verb, wird Vorfeld genannt. DEFINITION Vorfeld [E. (selten) prefield]: Die Position am Anfang eines Hauptsatzes, vor dem finiten Verb. Die wesentlichen Zusammenhänge dieses Abschnittes nochmal kurz im Abriss: Das finite Verb ist dasjenige Verb, das für Übereinstimmung mit dem Subjekt (Person, Numerus), für Tempus, und für Modus (Indikativ/Konjunktiv/Imperativ) gekennzeichnet ist. In einem deutschen Hauptsatz gibt es vor dem finiten Verb nur eine Position, das Vorfeld. Das Vorfeld kann durch eine Konstituente gefüllt werden. Man geht davon aus, dass die Konstituente, die das Vorfeld füllt, sich dorthin bewegt hat. Wir haben auch bereits zwei Unterschiede zum Satzbau im Englischen gesehen: Zum einen muss das Subjekt im Englischen in einem normalen Hauptsatz vor dem finiten Verb stehen. Zum anderen können im Englischen außer dem Subjekt auch andere Konstituenten vor dem finiten Verb stehen. Hier wird der Begriff des Vorfelds nicht verwendet. Wir sind damit am Ende der Konstituententests angelangt. Wir haben gesehen, dass Konstituenten sowohl für den Satzbau (Syntax) als auch für die Bedeutung eines Satzes (Semantik) eine wichtige Rolle spielen. Beim Satzbau haben wir gesehen, dass das Subjekt eine Konstituente ist und jedes Objekt eine Konstituente ist. Wir haben gesehen, dass man Konstituenten bewegen kann, andere Wortfolgen aber nicht. Wir haben auch gesehen, dass es im Deutschen das Vorfeld gibt, eine Position vor dem finiten Verb, in dem nur eine Konstituente stehen kann. Konstituenten sind aber auch Bedeutungseinheiten. Man kann sie also auch mit Verfahren ermitteln, die Bedeutungseinheiten bestimmen: Nur Konstituenten lassen sich durch Pronomen bedeutungserhaltend ersetzen, lassen sich durch spätere Pronomen wieder aufgreifen, und lassen sich durch W-Fragen erfragen. Im Folgenden werden die Konstituententests auf Fälle angewandt, bei denen man nicht von vorneherein sieht, ob es sich um Konstituenten handelt. 7. Koordination Betrachten wir die unterstrichene Aufzählung von drei Personen in (50). Ist diese Aufzählung insgesamt eine Konstituente? (50) Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen. Diese Frage können wir nun mit unseren Konstituententests beantworten. In (51) liefert die Aufzählung als Ganzes die Antwort auf die Wen-Frage. Die Aufzählung scheint also eine Bedeutungseinheit zu sein, und wäre nach Konstituententest 3 eine Konstituente. S. 12 von 23, Syntax 2, Konstituenten (51) Wen hat die Maria getroffen? Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen. Die Tests mit Pronomen unterstützen die Schlussfolgerung, dass die Aufzählung eine Bedeutungseinheit ist. In (52) kann der Bezug der gesamten Aufzählung durch das Pluralpronomen sie übernommen werden (Konstituententest 1). In (53) kann das Pronomen sie sich ähnlich auf die aufgezählten Personen im ersten Satz beziehen (Konstituententest 2). (52) Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen. Die Maria hat sie getroffen. (sie = [den Peter, seine Freundin und deren Freundin]) (53) Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen. Sie waren auf dem Weg ins Kino. Auch die syntaktischen Tests weisen die Aufzählung als Konstituente aus. Betrachten wir zunächst den Satz in (54a), in dem noch das Element [in einem Café] eingefügt ist. (54b) legt nun nahe, dass die Aufzählung sich als Ganzes bewegen kann, und sich hier in eine Position links von [in einem Café] bewegt hat. Gemäß dem Konstituententest 4 zeigt das auch, dass die Aufzählung eine Konstituente ist. (54) a. Die Maria hat [in einem Café] den Peter, seine Freundin und deren Freundin getroffen. b. Die Maria hat den Peter, seine Freundin und deren Freundin [in einem Café] getroffen. Schließlich kann die Aufzählung als Ganzes auch ins Vorfeld bewegt werden, wie in (55). Da im Vorfeld nur eine Konstituente stehen kann, sieht man hier besonders deutlich, dass die Aufzählung eine Konstituente sein muss. Man vergleiche dazu auch den grammatischen Satz (55) mit den ungrammatischen Abfolgen in (42) – (44), bei denen mehrere Konstituenten vor dem finiten Verb stehen. (55) [den Peter, seine Freundin und deren Freundin] hat Hans [in einem Café] getroffen. Zum Ende können wir dieses Ergebnis auch noch dadurch bestätigen, dass die Aufzählung als Ganzes in all diesen Beispielen (etwa auch (54a)) das direkte Objekt ist. Auch das zeigt, dass die Aufzählung eine Konstituente sein muss (Generalisierung zu Argumenten, siehe (24)). Solche Aufzählungen sind allgemeiner stets Konstituenten. In (56) ist ein Beispiel angegeben, bei dem die Aufzählung das Subjekt des Satzes ist. Wie man sieht kann die Aufzählung auch hier im Vorfeld stehen. (56) [Maria, Peter und unser Nachbar] gingen die Straße runter. Aufzählungen dieser Art sind auch in anderen Sprachen Konstituenten. Im Englischen können wir die Tests für eine entsprechende Aufzählung [Mary, Peter and our neighbor] ebenfalls anwenden: (57) Who did John meet? John met Mary, Peter and our neighbor (58) John met Mary, Peter and our neighbor. John met them. (wobei them = [Mary, Peter and our neighbor]) S. 13 von 23, Syntax 2, Konstituenten (59) John met Mary, Peter and our neighbor. They were on their way to the cinema. In (57) liefert die Aufzählung die Information, die in der vorherigen Frage erfragt wird (Konstituententest 3), in (58) bezieht sich ein Pronomen auf die Personen der Aufzählung (Konstituententest 1) und (59) zeigt, dass ein Pronomen im folgenden Satz auf [Mary, Peter and our neighbor] verweisen kann (Konstituententest 2). Des weiteren ist die Aufzählung in diesen Beispielen das direkte Objekt des Verbs met. Auch das bestätigt, dass die Liste eine Konstituente bildet (Generalisierung 30). Zum Ende dieses Abschnitts führen wir noch linguistische Terminologie für solche Aufzählungen ein. Der linguistische Fachausdruck für solche Aufzählungen ist koordinierte Struktur. Das Verbinden mehrerer Elemente zu einer solchen koordinierten Struktur heißt Koordination. Die Elemente, die mit Hilfe dieser Konjunktionen verbunden werden, zum Beispiel seine Freundin und deren Freundin, nennt man Konjunkte. DEFINITION Koordination [E. coordination]: Das Verbinden von zwei oder mehr Elementen, Konjunkte [E. conjuncts] genannt, zu einer koordinierten Struktur [E. coordinate structure], normalerweise mit Hilfe von und und oder. In (60) werden diese Begriffe veranschaulicht: (60) Illustration der Koordination koordinierte Struktur ('Aufzählung') Peter, seine Freundin und deren Freundin drei Konjunkte Insgesamt haben wir also in diesem Abschnitt gesehen, dass eine koordiniert Struktur (als Ganzes) eine Konstituente bildet. Dabei haben wir auch gesehen, dass es nützlich ist, nicht nur einen Eindruck von Konstituenten zu haben, sondern spezifische Konstituententests verwenden zu können. Intuitiv war es anfangs nicht klar, ob die unterstrichene Aufzählung in (50) eine Konstituente ist. Die Konstituententests haben uns erlaubt, zu zeigen, dass es sich um eine Konstituente handelt. 8. Konstituenten in Konstituenten Betrachten wir nun die einzelnen Konjunkte der koordinierten Struktur in (61). Jedes dieser Konjunkte ist ebenfalls eine Konstituente! (61) der Peter, seine Freundin und deren Freundin Der Peter kann durch er ersetzt werden, seine Freundin durch sie und deren Freundin ebenfalls durch sie. Laut Konstituententest 1 zeigt dies, dass jedes dieser Konjunkte ebenfalls Konstituente ist. Wichtig ist hier, dass Konstituenten in größere Konstituenten eingebettet sein können. Diese Einbettung von Konstituenten kann mit Hilfe von eckigen Klammern dargestellt werden, wie in [[der S. 14 von 23, Syntax 2, Konstituenten Peter] [seine Freundin] und [deren Freundin]]. Noch deutlicher wird die Einbettung in der Form eines Baumes, wie in (62), wo Konstituenten als Knoten des Baumes dargestellt werden: α ist die Konstituente der gesamten koordinierten Struktur; β, γ, und δ sind die Konstituenten der Konjunkte. Wichtig ist hier, dass β, γ, und δ Konstituenten sind, die Teile der größeren Konstituente α sind. (62) α β γ δ der Peter, seine Freundin und deren Freundin Weitere Beispiele für Koordination mit Konstituenten, die sich innerhalb von größeren Konstituenten befinden, sehen Sie in (63). (63) a. α β γ ein gelbes Auto und ein rotes Motorrad b. α β γ meine Schwester und mein Bruder Konstituenten, die in andere Konstituenten eingebettet sind, treten auch unabhängig von Koordination auf. In Satz (64a) beispielsweise können wir mit Hilfe von Konstituententest 1 bestimmen, dass meiner Nachbarin eine Konstituente ist, weil, wie in (64b), das Pronomen ihr den Referenten von meiner Nachbarin übernehmen kann. Gleichzeitig ist aber auch den Bruder von meiner Nachbarin eine Konstituente. Es ist das Objekt des Verbs, und kann, wie in (64c) auch durch ein Pronomen ersetzt werden (Konstituententest 1). (64) a. b. c. Ich habe [den Bruder von [meiner Nachbarin]] getroffen. Ich habe den Bruder von ––––– ihr ––––––– getroffen. Ich habe ––––––––––– ihn –––––––––––––– getroffen. Hier haben wir also Evidenz für eine Struktur wie in (65). (65) Ich habe getroffen α den Bruder von β meiner Nachbarin wobei β = [meiner Nachbarin] und α = [den Bruder von meiner Nachbarin] (= ihr in (64b)) (= ihn in (64c)) S. 15 von 23, Syntax 2, Konstituenten Auch hier haben wir also Belege dafür, dass Konstituenten innerhalb von anderen Konstituenten auftreten können. Auch im Englischen finden sich eingebettete Konstituenten außerhalb von koordinierten Strukturen, wie (66) und (67) zeigen. In (66) wird auf den Beispielsatz Mary likes the windows of the new house zunächst Konstituententest 1 angewendet, in (67) dann die entsprechende Baumstruktur dargestellt. (66) (67) a. b. c. Mary likes the windows of the new house. Mary likes the windows of it. Mary likes them. Mary likes it = the new house them = the windows of the new house α the windows of β the new house wobei β = [the new house] und α = [the windows of the new house] (= it in (64b)) (= them in (64c)) Zum Ende dieses Abschnitts noch eine allgemeine Frage: Sind denn einzelne Wörter auch Konstituenten? Die Antwort ist: ja. Linguisten verwenden ein Verständnis von Konstituenten, bei dem auch ein jedes einzelnes Wort eine Konstituente ist. In vielen Fällen lässt sich dies auch sinnvoll darauf beziehen, was oben zu Konstituenten gesagt wurde. In dem Beispiel (68a) etwa besteht das Subjekt Peter nur aus einem Wort, und das Objekt Linguistik ist ebenfalls nur ein Wort. Gemäß der Generalisierung zu Argumenten (siehe (24)) sind dies auch Konstituenten. Bei einem einzelnen Wort ist eigentlich von vorneherein klar, dass es eine Bedeutungseinheit ist. Wir können das aber auch mit den Konstituententests bestätigen, etwa mit der Ersetzung durch Pronomen in (68b) oder mit dem Konstituententest 2 der Frage in (68c). Außerdem steht das Subjekt aus einem Wort in (68a) im Vorfeld (will ist hier das finite Verb). Auch das Objekt aus einem Wort lässt sich ins Vorfeld stellen, wie in (68d). (68) a. b. c. d. [Peter] will [Linguistik] studieren. Er will das studieren. Was will Peter studieren? Peter will [Linguistik] studieren. [Linguistik] will Peter studieren. Linguisten gehen allgemein davon aus, dass jedes Wort eine Konstituente ist. 9. Objekt und Verb zusammen als Konstituente Betrachten wir, bevor wir zum Ende des Kapitels kommen, noch einen weiteren Fall. Die Frage ist, ob in Sätzen wie (69) das Objekt und das Verb zusammen eine Konstituente bilden. (69) a. b. Der Peter hat einen Apfel gegessen. Die Maria hat ein Buch gelesen. S. 16 von 23, Syntax 2, Konstituenten Man könnte zunächst denken: wahrscheinlich nicht, weil ja das Objekt alleine schon eine Konstituente ist. Aber wir haben im vorherigen Abschnitt auch gesehen, dass kleinere Konstituenten in größeren Konstituenten enthalten sein können. Denkbar wäre es von daher schon, dass das Verb zusammen mit dem Objekt eine größere Konstituente bildet. Was sagen unsere Konstituententests dazu? Immerhin drei unserer Konstituententests legen nahe, dass es sich hier um eine Konstituente handelt! So können wir in der Tat das Objekt mit dem Verb zusammen ins Vorfeld bewegen, wie in (70) gezeigt. (70) a. b. [Einen Apfel gegessen] hat der Peter. [Ein Buch gelesen] hat die Maria. Gemäß dem Konstituententest 5 ist dies Evidenz, dass Verb und Objekt zusammen eine Konstituente bilden. Auch der Konstituententest 3 legt nahe, dass Verb und Objekt eine Konstituente bilden, denn wir können nach dieser Information fragen, wie in (71). (71) a. b. Was hat der Peter gemacht? Der Peter hat [einen Apfel gegessen]. Was hat die Maria gemacht? Die Maria hat [ein Buch gelesen]. Es scheint auch möglich zu sein, die Information aus Objekt und Verb durch ein späteres Pronomen wieder aufzugreifen, wie in (72). (72) a. b. Der Peter hat einen Apfel gegessen. Der Hans hätte das auch gerne getan. das ≈ [einen Apfel gegessen] Die Maria hat ein Buch gelesen. Die Claudia hat das letzte Woche gemacht. das ≈ [ein Buch gelesen] Somit weist auch der Konstituententest 2 darauf hin, dass Objekt und Verb zusammen eine Konstituente bilden. Nun gibt es andererseits im Deutschen kein Pronomen, das die Folge aus Objekt und Verb bedeutungserhaltend ersetzen könnte, sodass der Konstituententest 1 hier kein positives Ergebnis liefert. (Auch haben wir gesagt, dass Subjekt und Objekt(e) jeweils Konstitenten sind, aber die Zusammensetzung von Objekt und Verb ist natürlich nicht als Ganzes ein Objekt, oder ein Subjekt.) Wie gehen wir damit um? Es ist allgemein oft möglich, dass ein Konstituententest in einem bestimmten Fall keine Evidenz für eine Konstituente liefert. Dafür gibt es oft unabhängige Gründe. In unserem Fall etwa gibt es eine spezielle Beziehung zwischen den beiden Verben hat ... gegessen (bzw. hat ... gelesen), die zusammen die Zeitform des Perfekts bilden. Diese spezielle Beziehung macht es schwierig, dass das zweite Verb zusammen mit dem Objekt durch ein Pronomen ersetzt werden könnte. Wir werden in einem späteren Kapitel auf diese speziellen Beziehungen zwischen Verben zurückkommen. Linguisten wägen im Allgemeinen die Evidenz ab, wenn nicht alle Konstituententests in die gleiche Richtung zeigen. Weist ein Test auf eine Konstituent hin, so ist dies schon ein klarer Hinweis auf das Vorliegen einer Konstituente. Wenn mehrere Tests in diese Richtung zeigen, so hat man schon ernsthafte Evidenz für die Konstituente. Wenn man sich gut vorstellen kann, dass es bei den verbleibenden Tests unabhängige Gründe dafür gibt, dass sie 'nicht ausschlagen', dann nimmt man insgesamt an, dass eine entsprechende Konstituente vorliegt. Im Falle der Kombination von Objekt und Verb geht man davon aus, dass dies eine Konstituente ist. S. 17 von 23, Syntax 2, Konstituenten Es ist allerdings auch klar, dass diese Konstituente aus Objekt und Verb irgendwie von einer anderen Art ist, als die Konstituenten, die wir bisher gesehen haben. Beispielsweise haben wir gesehen, dass diese Konstituente kein Subjekt oder Objekt ist und sich nicht durch ein Pronomen ersetzen lässt. Was hier ins Blickfeld rückt, ist, dass wir unterschiedliche Arten von Konstituenten unterscheiden müssen. Unterschiedliche Arten von Konstituenten sind das Thema des nächsten Kapitels und werden dort ausführlich behandelt und motiviert. Als eine Art Vorschau zeigen wir Ihnen in (73) eine vereinfachte Konstituentenstruktur von (69a). Jeder Knoten in dem Strukturbaum ist eine Konstituente. Dies ist in der Definition der Konstituenten auf S. 2 bereits vorweggenommen. Die Knoten in (73) haben Namen, oder Labels, über die Sie im nächsten Kapitel vieles lernen werden. Sie können hier zunächst sehen, dass Subjekt (der Peter) und Objekt (einen Apfel) jeweils Konstituenten mit dem Label DP sind. Subjekt und Objekt sind also Konstituenten einer ähnlichen Art. Viele der Konstituenten, die wir in diesem Kapitel diskutiert haben, sind von dieser Art der DP. Solche Konstituenten lassen sich besonders gut durch Pronomen ersetzen weil (wie Sie sehen werden) typische Pronomen selbst auch das Label DP haben. Sie sehen in (73) auch, dass die Kombination aus Objekt und Verb (einen Apfel gegessen) eine Konstituente mit einem anderen Label ist, VP. (73) CP DP der Peter C' C/V hat VP DP einen Apfel V gegessen Schließlich sehen Sie, dass auch der gesamte Satz als ein Knoten im Baum dargestellt ist, also auch eine Konstituente ist. Diese Konstituente hat wieder ein anderes Label, CP. Dies ist das allgemeine Label für Sätze, zu dem wir erst in späteren Kapiteln kommen werden. 10. Zusammenfassung Konstituenten sind Abfolgen von Worten, die enger zusammengehören, und in einem Strukturbaum als Knoten des Baums dargestellt werden. Unterschiedliche Konstituententests können angewandt werden, um Konstituenten zu bestimmen. Einige dieser Konstituententests nutzen die Tatsache, dass Konstituenten Bedeutungseinheiten sind: Konstituententest 1: Ersetzen der Wortabfolge durch ein Pronomen mit demselben Referenten Konstituententest 2: Verwendung eines Pronomens im Folgesatz, das sich auf die Wortabfolge bezieht. Konstituententest 3: Formulierung einer W-Frage, auf die die Wortabfolge die Antwort liefert Andere Konstituententests beziehen sich auf die Syntax, also auf die Art, wie Sätze aufgebaut sind: Generalisierung: Argumente von Verben (also Subjekt und Objekte) sind Konstituenten. Konstituententest 4: Nur Konstituenten bewegen sich geschlossen. Konstituententest 5: Im Deutschen steht nur eine Konstituente in der Initialstellung vor dem finiten Verb (also im Vorfeld). S. 18 von 23, Syntax 2, Konstituenten Wir haben diese Konstituententests an einfachen Beispielen eingeführt, und dann auf komplexere Fälle angewandt. Dabei haben Sie gesehen, dass Aufzählungen der Art [Hans, Maria und ihr Bruder] als Ganzes komplexe Konstituenten sind. Sie haben gesehen, dass kleinere Konstituenten in größeren Konstituenten enthalten sein können. Schließlich haben Sie gesehen, dass die Konstituententests auch bei der Abfolge von Objekt und Verb Evidenz liefern, dass es sich hier um eine Konstituente handelt, wenn auch irgendwie eine andere Art von Konstituente. Im Laufe des Kapitels haben Sie auch eine Reihe andere wichtiger Grundlagen der sprachwissenschaftlichen Analyse gelernt. Das Subjekt und die Objekte eines Verbs werden Argumente des Verbs genannt. Die Argumentstruktur eines Verbs verzeichnet, was für Argumente ein Verb nimmt. Linguisten markieren ungrammatische Sätze mit einem Stern. Sie nehmen als Anhaltspunkt bei der Erstellung von linguistischen Analysen, dass die Analyse erklären können soll, wieso bestimmte Wortfolgen grammatische Sätze bilden, während andere Wortfolgen ungrammatisch sind. Das finite Verb stimmt mit dem Subjekt (in Bezug auf Person und Numerus) überein und kann außerdem für Tempus (Präsens/Präteritum) und Modus (Indikativ/Konjunktiv/Imperativ) flektiert sein. Im einem deutschen Hauptsatz das finite Verb an zweiter Stelle, nach dem Vorfeld, welches eine Konstituente enthält. Aufzählungen wie [Hans und Maria] werden in der Linguistik koordinierte Strukturen genannt. Die aufgezählten Bestandteile heißen Konjunkte und das Phänomen solcher Aufzählungen heißt Koordination. Detailansicht in dem Gebäude 32 in der Vassar Street, Cambridge, Massachusetts, in dem die Linguisten, einschließlich N. Chomsky, seit 2004 arbeiten. Terminologie Syntaktische Konstituente [Englisch: syntactic constituent]: aufeinander folgende Worte, die eine syntaktische Einheit bilden; in einem Baumdiagramm wird eine Konstituente als Knoten des Baumdiagramms dargestellt. Als Grenzfall werden einzelne Wörter auch als syntaktische Konstituenten begriffen. Finites Verb [E. finite verb]: ein Verb, das mit dem Subjekt des Satzes in Person und Numerus übereinstimmt, und außerdem für Tempus, und/oder Modus flektiert sein kann. Finite Verben können in Hauptsätzen eigenständig auftreten. Im Gegensatz dazu werden nicht-finite Verben, also Infinitive und Partizipien, nicht flektiert und treten in einem Hauptsatz nie eigenständig auf. Vorfeld [E. (selten) prefield]: Die Position am Anfang eines Hauptsatzes, vor dem finiten Verb. Koordination [E. coordination]: Das Verbinden von zwei oder mehr Elementen, Konjunkte [E. conjuncts] genannt, zu einer koordinierten Struktur [E. coordinate structure], normalerweise mit Hilfe von und und oder. S. 19 von 23, Syntax 2, Konstituenten Literaturhinweise Weiterführende Literatur. Konstituententests finden sich in vielen Einführungen in die Sprachwissenschaft, die sich an der generativen Grammatik orientieren. Zum Englischen etwa können wir auch O'Grady et al. 2004 empfehlen. Einführendes zu den topologischen Feldern des Deutschen wie dem Vorfeld und der Position des finiten Verbs findet man bei Höhle 1986. Eine neue und gründliche Abhandlung zur deutschen Syntax ist Sternefeld 2006. Unter den vielen Einführungen in die Syntax des Englischen erwähnen wir hier Carnie 2006, 2008 als zugänglich und hilfreich. Zu Noam Chomsky. Noam Chomskys Buch 'Syntactic Structures' (Chomsky 1957), mit dem er die Syntaxforschung revolutionierte, ist zugänglich geschrieben. Wenn man die Syntaxkapitel der vorliegenden Einführung durchgearbeitet hat, wird man es wahrscheinlich schon zum Teil verstehen können. (Genau genommen hat Chomskys Revolution zwei Jahre vorher mit seiner Dissertation an der University of Pennsylvania begonnen, die später in editierter Form mit anderem Titel erschienen ist (Chomsky 1975).) Spätere Arbeiten von Chomsky, etwa der Klassiker Chomsky 1981, waren zumeist auch richtungsweisend für die Syntaxforschung, sind in vielen Fällen aber schwerer zu verstehen; wir empfehlen deren Lektüre erst nach einer ausführlicheren Einführung in die Syntax. Zum Literaturhintergrund dieses Kapitels. Die hier gewählte Darstellung, dass einige dieser Tests eigentlich deswegen funktionieren, weil Konstituenten semantische Bedeutungseinheiten sind, wird sonst nicht verwendet. Unser Bezugspunkt ist dabei das Kompositionalitätsprinzip in der formalsemantischen Interpretation (s. Heim und Kratzer 1998, Partee 2004). Gemäß diesem Prinzip tragen syntaktische Konstituenten Bedeutungen, die aus den Bedeutungen ihrer Teile zusammengesetzt sind. Der Konstituententest 3 zu Frage-Antwort-Sequenzen folgt aus Standard-Analysen zur Fragebedeutung als Menge möglicher Antworten (seit Hamblin 1973) für einfache W-Ausdrücke, die in der Antwort durch eine Bedeutungseinheit ersetzt werden. Er folgt nicht für komplexe WAusdrücke. '[Was für Studenten] hast du getroffen?' kann beantwortet werden mit 'Ich habe ältere fortgeschrittene Studenten getroffen.' oder 'Ich habe junge Studenten aus Spanien getroffen'; die hier hervorgehobenen Teile sind keine komplexen Konstituenten. Literaturangaben Carnie, Andrew. 2006. Syntax. A generative introduction. Zweite Auflage. Oxford: Blackwell. Carnie, Andrew. 2008. Constituent structure. Oxford: Oxford University Press. Chomsky, Noam. 1957. Syntactic structures. Mouton: Den Haag. Chomsky, Noam. 1975. The logical structure of linguistic theory. New York: Plenum Press. Chomsky, Noam. 1981. Lectures on Government and Binding. Dordrecht: Foris. Hamblin, C.L. 1973. Questions in Montague English. Foundations of Language 10:41-53. Heim, Irene, und Angelika Kratzer. 1998. Semantics in generative grammar. Malden, Mass.: Blackwell. Höhle, Tilman N. 1986. Der Begriff "Mittelfeld". Anmerkungen über die Theorie der topologischen Felder. In Akten des 7. Internatinoalen Germanisten-Kongresses. Göttingen 1985, Hg. W. Weiss, Herbert Ernst Wiegand and Marga Reise, 329-340. Tübingen: Niemeyer. O'Grady, William, Archibald, John, Aronoff, Mark, and Rees-Miller, Janie. 2004. Contemporary linguistics: an introduction. Fünfte Auflage. Boston und New York: Bedford/St. Martin's. Partee, Barbara. 2004. Compositionality in formal semantics. Malden, Mass., Oxford und Victoria, Australien: Blackwell. Sternefeld, Wolfgang. 2006. Syntax. Eine morphologisch motivierte generative Beschreibung des Deutschen (zwei Bände). Tübingen: Stauffenburg Verlag. S. 20 von 23, Syntax 2, Konstituenten Links (Stand: 2008) Video von Chomsky 1971, auf youtube (politische Diskussion): http://www.youtube.com/watch?v=hbUYsQR3Mes Video von Chomsky 2003, auf youtube (Interview zur Politik): http://www.youtube.com/watch?v=10rTPSSmOFw&feature=related Eine Webseite mit ausführlichen Informationen zu Noam Chomsky finden Sie hier: http://www.chomsky.info/ Das Department of Linguistics am MIT (mit weiteren Bildern des Gebäudes sowie Informationen zu diesem Institut heute): http://web.mit.edu/linguistics/index.html Übungsaufgaben 1. Bestimmen Sie für den englischen oder den deutschen Satz in (i), welche der folgenden englischen bzw. deutschen Wortabfolgen Konstituenten sind. Argumentieren Sie jeweils mit Hilfe von zwei Konstituententests. Wenn der Satz Ihnen zweideutig erscheint, verwenden Sie die sinnvollere Satzbedeutung für Ihre Analyse. a. b. c. d. e. This man / Dieser Mann the thief / den Dieb the thief of the car / den Dieb von dem Auto the thief of the car and the accomplice / den Dieb von dem Auto und den Komplizen the car and the accomplice / dem Auto und den Komplizen (i) This man has seen the thief of the car and the accomplice. Dieser Mann hat den Dieb von dem Auto und den Komplizen gesehen. Zeichnen Sie einen Strukturbaum für die koordinierte Struktur in diesem Satz. 2. Betrachten Sie den Satz in (ii). (ii) Gestern hat der Freund von meiner Schwester die Tante und den Onkel abgeholt. a. Isolieren Sie drei Konstituenten (mit je mehr als einem Wort) durch bedeutungserhaltende Ersetzung mit Pronomen. b. Was ist das Subjekt (in seiner Gänze) und was ist das Objekt (in seiner Gänze) in diesem Satz? Zeigen Sie das auch mit dem Fragetest. Welche der Ergebnisse aus a. werden dadurch bestätigt? c. Welches Wort ist in diesem Satz das finite Verb? Was steht in diesem Satz im Vorfeld? d. Zeigen Sie für Subjekt und Objekt jeweils auch durch Verschiebung ins Vorfeld, dass es sich um eine Konstituente handelt. e. Zeichnen Sie einen Strukturbaum für das Subjekt des Satzes, an dem man sieht, inwiefern hier eine Konstituente in einer anderen Konstituente steht. f. Bildet das Objekt zusammen mit dem Verb abgeholt eine Konstituente? Argumentieren Sie mit Hilfe der Vorfeldbesetzung und einem weiteren Konstituententest. g. Zeichnen Sie einen Strukturbaum für die Sequenz aus Objekt und Verb. S. 21 von 23, Syntax 2, Konstituenten 3. a. Das folgende Gedicht ist insgesamt ein komplexer Satz, den man in drei Teilsätze zerlegen könnte: die erste Zeile, die zweite Zeile, und der Rest. Die Analyse für Hauptsätze aus dem Text besagt, dass ein Hauptsatz das finite Verb an zweiter Stelle stehen hat, und dass davor eine Konstituente (im Vorfeld) steht. Auf welche der Teilsätze trifft diese Analyse zu (Information dazu: das Wort und steht nie alleine im Vorfeld)? Begründen Sie Ihre Antwort. b. Weisen Sie in dem folgenden Gedicht fünf Konstituenten nach. Verwenden Sie dabei jeden der Konstituententests mindestens ein mal. Ein Auto fuhr durch Gossensass und kam in eine Soßengass sodass die ganze Gassensoß sich über die Insassen goss. Von Wendelin Überzwerch 4. Es kommt ja meinem Wohlbefinden nicht so sehr entgegen mich des Regens wegen ständig aufzuregen. weswegen ich in diesem letzten Jahr beschloß, ’nen entspannten Urlaub einzulegen am Ostseestrand. Von Bodo Wartke a. Bestimmen Sie im obigen Text alle Verben. b. Welche dieser Verben sind finit? Argumentieren Sie mit Bezug auf Übereinstimmung des finiten Verbs mit dem Subjekt. c. Was lässt sich in Bezug auf die finiten Verben im folgenden Text sagen? Was die Sprache verrät (von Robert Gernhardt) Vier Silben – hämmernd, unmenschlich, kalt: Großstadtasphalt Drei schwebende, lebende Silben nur: Waldesflur Zwei Silben – forschend, bedeutungsvoll, froh: Hallo Einsilbig, hochfahrend, jählings und knapp: Schrapp S. 22 von 23, Syntax 2, Konstituenten 5. a. Denken Sie sich einen deutschen oder englischen Satz aus, der eine koordinierte Struktur, ein finites und ein nicht-finites Verb enthält. b. Bestimmen Sie für diesen Satz drei Konstituenten und weisen Sie jede dieser Konstituenten mit Hilfe eines Konstituententests nach. c. Erklären Sie, welches Verb in Ihrem Satz finit ist und welches nicht-finit, indem Sie sich auf die Definition des finiten Verbs in diesem Kapitel beziehen. 6. Ausdrücke wie eine Schauspielerin in (i) bilden eine Konstituente. Diskutieren Sie anhand der Konstituententests und der Generalisierung (24) ob die Wortfolge eine Schauspielerin aus München in (ii) auch eine Konstituente ist, und ob die Wortfolge eine Schauspielerin aus Versehen in (iii) ebenfalls eine Konstituente ist. (i) (ii) (iii) Maria hat [eine Schauspielerin] kennengelernt. Maria hat eine Schauspielerin aus München angesprochen. Maria hat eine Schauspielerin aus Versehen angerempelt. 7. Die deutsche Umganggsprache erlaubt Ausdrücke wie dem Peter sein Auto in (i), statt des standardsprachlichen Ausdrucks Peters Auto. Diskutieren Sie anhand der Konstituententests und der Generalisierung (24) ob dem Peter sein Auto hier eine Konstituente ist. (i) Dem Peter sein Auto ist kaputt. [Umganggsprache] S. 23 von 23, Syntax 2, Konstituenten