Programmtext - Camerata Bern

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Auch von einigen Werken Ludwig van Beethovens gibt es Bearbeitungen,
zeitgenössische, aber auch einige neueren Datums. Von ihm selbst stammen etwa die
Bearbeitung der 2. Sinfonie für Klaviertrio (1806) oder die Transkription der Grossen Fuge
op. 133 für Klavier zu vier Händen. Ferdinand Ries, ein Schüler und Freund des
Komponisten, bearbeitete die 3. Sinfonie (Sinfonia Eroica) für Klavierquartett, Johann
Nepomuk Hummel arrangierte die Sinfonien Nr. 4, 5 und 6 für Klavierquartett mit Flöte.
Michael Gotthard Fischer, ebenfalls ein Zeitgenosse Beethovens, war mit seiner
Bearbeitung der 6. Sinfonie (Pastorale) für Streichsextett noch wagemutiger.
Das Interesse an der Bearbeitung von Werken Beethovens blieb bis in die Gegenwart
hinein bestehen. Die heutige Aufführung der Violinsonate Nr. 9 A-Dur (Kreutzersonate)
macht geradezu exemplarisch deutlich, wie der Blick auf ein Meisterwerk durch eine
Bearbeitung verändert und geweitet werden kann, vergleichbar mit einem Diamanten, der,
anders ins Licht gehalten, überraschend ganz neue Facetten zu erkennen gibt. Die
Streichorchesterversion ist keine Verlegenheitslösung oder gar ein Versuch Beethoven
„verbessern“ zu wollen. Die klangliche Verbreiterung ist hier der Schlüssel zu einem
vertieften Verständnis des Werkes. „Die Kreutzersonate ist sehr symphonisch gedacht“
erklärt Antje Weithaas. „Deshalb ist sie für mich die einzige Violinsonate Beethovens, die
für eine solche Bearbeitung in Frage kommt. Weil es diesen orchestralen Ansatzpunkt in
der Komposition gibt, macht es Sinn, die orchestrale Denkweise durch eine erweiterte
Besetzung zu unterstreichen, ihn durch Überhöhung hervorzuheben“.
In seiner Bearbeitung der Kreutzersonate hat Richard Tognetti den Klavierpart sehr virtuos
auf die Orchesterstimmen verteilt, besonders die Celli werden sehr gefordert. Er hat dabei
nicht einfach den Diskant in die hohen Streicher und die linke Hand in die Bassgruppe
verlegt, sehr häufig sind Klavierläufe auf die Stimmgruppen aufgeteilt. Deshalb sind die
technischen Anforderungen an die Spieler sehr hoch, denn Klavierfiguren „liegen“ auf dem
Streichinstrument eher unangenehm. Die Solovioline blieb bis auf eine Ausnahme im
ersten Satz, wo sie eine kleine Kadenz aus dem Klavier übernimmt, unverändert. „Was
verloren geht ist natürlich die klangliche Unterschiedlichkeit zwischen Klavier und Geige“,
ZUM HEUTIGEN PROGRAMM – APOLL UND DIE MUSEN
STRAWINSKI UND DER NEOKLASSIZISMUS
Ist es Zufall, dass Igor Strawinski Apollon, den Gott der Musik, als Thema eines seiner
Ballette gewählt hat? Apollon musagète, ein Ballett in zwei Bildern, entstand 1927/28. Was
das Publikum bei der Pariser Erstaufführung am 12. Juni 1928 wohl besonders
überraschte, waren die Ruhe und Einfachheit der Partitur – im Gegensatz zur Aggressivität
und Schärfe von Strawinskis früherem Werk Le sacre du printemps.
Das Streben nach Einfachheit stellt eines der Merkmale des Neoklassizismus dar, eine
Strömung, die vor allem zwischen den zwei Weltkriegen eine Gruppe von antiromantischen Komponisten vereinte. Der Neoklassizismus entstand aus dem Impuls,
einen früheren Stil wiederzubeleben. Aus dieser Perspektive erklärt sich auch Strawinskis
Themenwahl. Apollon, der Gott des Lichts, der Heilung, der Weissagung und der Künste,
war gleichzeitig der Gott der sittlichen Reinheit und Mässigung. Ihm wird das Ideal der
‚Einfachheit in allen Dingen’ zugeschrieben. Auf ihn wurden so berühmte Weisheiten
gemünzt wie „Erkenne dich selbst!“ und „Nichts im Übermass“.
Die zwei Motive, die sich Strawinski als Vorbild für seine Komposition nahm, waren die
Geburt Apollons als Sohn von Zeus und Leto sowie dessen Beziehung zu den Musen.
Über die Zähmung der Musen durch Apollon wird gesagt, er habe ihren taumelnden
Wahnsinn unter Kontrolle gebracht und sie in einen geordneten Tanz geleitet. Apollon
verkörpert hier also das neoklassizistische Ideal der Klarheit – wie es scheint, eine
naheliegende Themenwahl für Strawinski!
fügt Antje Weithaas hinzu. „Daraus geworden ist eine Sinfonie mit obligater Solovioline,
die aber trotzdem äusserst spannende Kammermusik in einem konzertanten Gewand ist.
Die Dialoge sind jetzt Dialoge zwischen Streichern. Insofern klingt das Stück noch einmal
neu mit denselben Noten und musikalischen Abläufen. Es erscheint in einem ganz anderen
Klanggewand, und das ist gerade bei diesem Stück schon sehr spannend. Vor allem der
erste und der dritte Satz werden sehr orchestral und erhalten wirklich sinfonischen
Charakter, hier werden neue Energien freigesetzt. Und der zweite Satz ist ein wirkliches
kammermusikalisches Kleinod für Streicher“.
Norbert Hornig
Tanz Apollons mit den Musen; Fresko von Giulio Romano (um 1540)
Strawinski thematisiert drei der neun Musen: Kalliope (die Poesie), Polyhymnia (die Musik) und
Terpsichore (der Tanz).
Nicht genau belegt werden kann, an welchem Punkt innerhalb des Kompositionsprozesses sich Strawinski für dieses Sujet entschieden hat. Denn es ist wahrscheinlich,
dass er einen grossen Teil der Musik bereits komponiert hatte, bevor er sich thematisch
festlegte. Ungeachtet dessen entführt uns Strawinski mit Dur-Harmonien, frei
pulsierendem rhythmischem Fluss und einem oft mystischen Tonfall in die Welt der antiken
griechischen Götter.
Sarah Fankhauser
BÉLA BARTÓK – LICHT IN DÜSTEREN ZEITEN
An einem IGNM-Konzert in Basel, dass seinem Schaffen gewidmet war, lernte Béla Bartók
1929 seinen späteren Freund und Förderer Paul Sacher persönlich kennen, und im
Frühsommer 1936 erteilte Sacher ihm
während eines Ferienaufenthaltes in
Braunwald den Auftrag zur Komposition
eines Werks zum 10jährigen Bestehen des
Basler Kammerorchesters. Bartók erfüllte
den Auftrag mit dem „Konzert für
Saiteninstrumente,
Schlagzeug
und
Celesta“,
einem
der
bedeutendsten
Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts.
Nach der erfolgreichen Uraufführung (1937)
bestellte Sacher bei Bartók zwei weitere
Kompositionen – als drittes ein Stück für
Streichorchester. Zugleich stellte er ihm sein
Chalet Ällen in Saanen zur Verfügung. Dort
komponierte Bartók in der Zeit vom 2. bis
zum 17. August 1939 das „Divertimento für
Streichorchester“. An seinen Sohn Béla
schrieb er damals: „Herr und Frau Sacher
Paul Sacher und Béla Bartók
sorgen aus der Ferne vollständig für mich.
Sogar ein Klavier haben sie aus Bern
hierher geschafft. […] Glücklicherweise ging es gut mit der Arbeit, ich wurde damit in 15
Tagen fertig (ein Werk für Streichorchester von ungefähr 25 Minuten Spieldauer). Gerade
gestern habe ich es beendet.“
Die Uraufführung des „Divertimento für Streichorchester“ in Basel musste wegen des
Kriegsausbruchs vom ursprünglich geplanten Datum Anfang Mai auf den 11. Juni 1940
verschoben werden. Ungeachtet der düsteren Zeit seiner Entstehung und Uraufführung
wirkt das Werk leicht, in den Ecksätzen geradezu munter. Bartók stellte sich „eine Art
Concerto grosso mit Concertino“ vor, wie er seinem Sohn mitteilte. Etwas von dieser
barocken Gattung haben die beiden Aussensätze: den ständigen Wechsel zwischen dem
Tutti (Ripieno) und solistischen Partien (Concertino). Im Allegro non troppo finden sich
barocke Elemente wie Imitationen und kontrapunktische Satztechniken, dazu verwendet
Bartok rhythmische und melodische Elemente der ungarischen Volksmusik. Die Harmonik
ist geprägt von modalen Farben wie Dorisch und Lydisch und hat ebenfalls
volksmusikalische Wurzeln. Insgesamt wirkt dieser Satz heiter und spielerisch, trotz
gelegentlich abrupt einbrechender Dissonanzen.
Der Mittelsatz Molto adagio breitet dagegen ein Klagelied von abgrundtiefer Trauer aus.
Die Instrumente spielen con sordino, die dumpfe depressive Stimmung des Beginns wird
unterbrochen durch grelle Einwürfe der Violinen, wie Angstschreie aus dem Dunkel. Das
Finale Allegro assai kehrt wieder zu Licht und Leben zurück, es ist ein schwungvoller,
ausgelassener Tanzsatz mit ungarischen und sogar – leicht ironisch eingesetzten –
zigeunerischen Farben. Das Concerto-grosso-Modell mit barocken Satztechniken wie
Imitationen und Fugato-Passagen geht darin eine Synthese ein mit folkloristischen
Traditionen seiner Heimat. Der Musikwissenschafter und Bartók-Kenner Bence Szabolcsi
bemerkt zu diesem unbeschwerten Finale: „Es ist, als hätte er gerade in diesen dunklen
Jahren seinen Glauben, seinen Optimismus gefunden. Nie schrieb er so melodisch und
‚allgemeinverständlich’, nie wusste er die Ergebnisse seines ganzen Lebens in einer
Synthese so herrlich zusammenzufassen wie gerade hier.“
Walter Kläy
INS ORCHESTRALE GEWACHSEN
Bearbeitungen und Transkriptionen haben Tradition, aber nicht immer den besten Ruf. Es
stellt sich unweigerlich die Frage, welchen Sinn es macht, ein Meisterwerk neu zu
instrumentieren, eine ganze Orchesterpartitur in einen Klavierauszug zu zwängen oder ein
Streichquartett auf Orchesterformat zu bringen. Und wer ist überhaupt dazu befugt?
Tradition und Aufführungspraxis geben mehr oder weniger plausible Antworten. So war es
im 19.Jahrhundert gängige Praxis, grösser besetzte Werke für kleinere Ensembles oder
Klavier zu bearbeiten. Damit konnten, lange vor dem Aufkommen der Schallplatte, auch
grosse sinfonische Werke im Rahmen des
häuslichen Musizierens studiert und
verbreitet werden, was natürlich auch den
kommerziellen Interessen der Verleger
und Komponisten sehr entgegen kam. Es
bleibt festzuhalten, dass eine Bearbeitung
keineswegs ein Sakrileg sein muss, der
historische Kontext relativiert hier manche
spätere
geringschätzige
Bewertung.
Komponisten gaben zu Lebzeiten oft
sogar ihre Einwilligung zu einer
Bearbeitung. Etwa Brahms, der seinem
Freund Theodor Kirchner erlaubte, von
den beiden Streichsextetten op. 18 und
op. 36 Fassungen für Klaviertrio zu
erstellen. Und wer möchte auf Maurice
Ravels meisterhafte Orchestrierung von
Mussorgskys Klavierzyklus Bilder einer
Ausstellung verzichten? Hier übertrifft die
Popularität der Orchesterbearbeitung
Ludwig van Beethoven, Portrait von Joseph
Willibrord Mähler (ca. 1804)
heute sogar die des Originals.
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