Phrasen und Köpfe Phrasale syntaktische Kategorien Wörter mit gemeinsamen syntaktisch relevanten Eigenschaften werden zu lexikalischen Kategorien (Wortarten) zusammenfasst. Genauso lässt sich die syntaktische Kategorie von komplexen Konstituenten (Wortgruppen) bestimmen: ihre phrasale Kategorie (Phrasen mit gemeinsamen syntaktisch relevanten Eigenschaften gehören zum selben Phrasentyp). Alle Phrasen sind gleich aufgebaut. Jede Phrase enthält: (a) einen obligatorischen Kopf / Kern (b) ggf. eine oder mehrere Ergänzungen / Komplementen (c) ggf. frei hinzugefügte (optionale) Elemente (Angaben / Modifikatoren) Kopfprinzip: Jede Phrase hat genau einen Kopf. Phrasen werden nach ihrem Kopf benannt (bzw. seiner lexikalischen Kategorie), z. B.: • Nomen (N) → Nominalphrase (NP): [das neue AutoN], [KinderN der Sonne], [KölnN] • Adjektiv (Adj) → Adjektivphrase (AdjP):[sehr altA], [grünereA], [von Syntax gelangweilteA] • Verb (V) → Verbalphrase (VP): [schläftV], [ihm heute den Kuchen gebenV], [regnenV] • Präposition (P)→ Präpositionalphrase (PP): [den Fluss entlangP], [anP ihn], [inP die Pampa] Kategoriendetermination: Der Kopf einer Phrase bestimmt die Kategorie seiner Phrase. Eigenschaften des Kopfes einer Phrase Alle Ko-Konstituenten eines Kopfes in einer Phrase hängen vom Kopf der Phrase ab (syntaktische Dependenz, vgl. syntaktische Funktionen). Damit hängt zusammen: • der Kopf ist obligatorisch • nur Köpfe sind Valenzträger • nur Köpfe regieren Morphosyntaktische Merkmale: Distribution: Peripherität: Die syntaktische Funktion einer Phrase wird an ihrem Kopf angezeigt. Der Kopf trägt also bevorzugt die für die Phrase relevanten Flexionsmerkmale. Der Kopf gehört zur selben Kategorie wie die Phrase (vgl. Kategoriendetermination). Wenn er keine obligatorischen Argumente fordert, hat er also dieselbe Distribution wie sie. Der Kopf steht bevorzugt am Rand der Phrase. Die Köpfe aller Phrasen gleichen Typs stehen bevorzugt am selben Rand (linksperipher / rechtsperipher). Köpfe und Komplemente (Ergänzungen) Die bevorzugte Stellung der Köpfe am Rand der Phrase (Peripherität) hängt damit zusammen, dass Köpfe die Position (und ggf. Reihenfolge) ihrer Komplemente festlegen. Komplemente stehen S. Bank Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen 1/5 normalerweise direkt neben dem Kopf (adjazent): Bei kopfinitialer bzw. linksperipherer Stellung folgen die Komplemente dem Kopf. Bei kopffinaler bzw. rechtsperipherer Stellung gehen die Komplemente dem Kopf voraus. kopfinitial (linksköpfig) Kopf Komplement auf dem Tisch *dem Tisch auf kopffinal (rechtsköpfig) Komplement Kopf den Berg hinauf *hinauf den Berg Während in Sprachen wie dem Türkischen oder Japanischen einheitlich rechtsperipher auftreten, hängt die Stellung der Köpfe im Deutschen von der jeweiligen Phrasenkategorie ab (in der PP vom jeweiligen Kopf). Kontrollaufgabe: Zeigen Sie, dass im Deutschen NPs kopfinitial sind, während AdjPs kopffinal sind. Bestimmung von Phrasen anhand der PP und der NP ?? 3 aufP [dem Tisch]NP Kasusrektion Leitfragen: 1. Welche Teilkonstituente bestimmt die Kategorie der zu ermittelnden Phrase? 2. Welche Teilkonstituente ist syntaktisch abhängig und welche ist Kopf ? Welche Teilkonstituente ist Valenzträger, welche valenzgebunden? Welche Teilkonstituente regiert (z. B. den Kasus einer anderen Teilkonstituente)? 3. Welche syntaktische Distribution hat die zu ermittelnde Phrase? Antworten: 1. Die Präposition bestimmt die Kategorie der Präpositionalphrase. 2. Die Präposition ist die einzige obligatorische Konstituente und somit Kopf. Nicht jede PP enthält eine NP (vgl. davor, bis gestern). Ob in der PP eine NP oder eine andere Kategorie vorkommt, bestimmt die Präposition. Außerdem bestimmt (regiert) sie den Kasus der NP. 3. Die zu ermittelnde Phrase hat die Distribution einer Präpositionalphrase (und nicht die einer Nominalphrase). NPGenus, Kasus Kasus durch Rektion von außen zugewiesen 3 Artikel NGenus, Kasus 3 Adjektiv NGenus, Kasus Genus aus dem Lexikon (N ist ‚genusfest‘) Kasus- und Genusverteilung durch Kongruenz S. Bank Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen 2/5 Exkurs: Zur Stellung des Verbs in der deutschen VP Sind keine anderen Kriterien vorhanden, sollte die Grundabfolge so gewählt werden, dass sich damit alle tatsächlich vorkommenden Abfolgen möglichst einfach (durch wenige Umstellungen) beschreiben lassen. Grundabfolge kopfinitial (VO) Sie [hat] gestern eine Geschichte [erzählt]. Grundabfolge kopffinal (OV) Sie [hat] gestern eine Geschichte erzählt. finites Verb nach links, Partizip nach rechts dass sie gestern eine Geschichte [erzählte] finites Verb nach links dass sie gestern eine Geschichte erzählte Partizip nach rechts [keine Umstellung] Bei der Grundabfolge [Komplement Verb]VP wird nur eine Regel benötigt: Linksbewegung des finiten Verbs. Die Abfolge macht also weniger Zusatzannahmen nötig und ist daher gegenüber der Abfolge [Verb Komplement]VP als Grundabfolge vorzuziehen. Phrasenstrukturgrammatik Die Phrasenstrukturgrammatik (PS-Grammatik) ist eine Syntaxtheorie aus den Anfängen der generativen Grammatik. Eine PS-Grammatik soll alle möglichen Phrasenstrukturen einer Sprache durch Regeln erzeugen, bzw. generieren. Dafür setzt sie zwei Typen von Regeln sowie ein Startsymbol (hier „S“ für „Satz“) ein: • Phrasenstrukturregeln: (Bsp: Der Vater schaukelt das Kind) (1) S → NP VP (2) NP → Det N (3) VP → V NP Erzeugte Struktur: (2) Allgemeines Regelschema: S 3 (1) NP VP 2 2 (3) Det N V NP 2 Det N (2) X → (W) Y (Z) Links vom Pfeil steht jeweils als Eingabe genau ein Kategoriensymbol (X), rechts als Ausgabe ein obligatorisches Element (Y) und daneben (in Klammern) fakultative Elemente (W und Z). Weder Eingabe noch Ausgabe darf leer sein. Die Regeln sind kontextfrei, applizieren also unabhängig von irgendwelchen Kontextbedingungen. Der Pfeil kann gelesen werden als „expandiert zu“, „ersetze durch“, „dominiert unmittelbar“ oder „schreibe um“ (eng. rewriting rule). Beachte: Durch solch ein PS-Regelsystem können die Strukturen beliebig langer Sätze erzeugt werden (kreativer Aspekt der sprachlichen Kompetenz), wenn es möglich ist, durch die Regeln Schleifen zu bilden: Die Ausgabe einer Regel dient (a) als Eingabe derselben Regel (Rekursion), oder (b) als Eingabe von anderen Regeln, welche wieder zur Eingabe der Ursprungsregel zurückführen. S. Bank Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen 3/5 (a) (b) • NP S VP → → → Det NP V N VP S NP Bsp: der Name der Stadt der Kinder der Sonne... Bsp: Die Mutter glaubt, die Tochter sagt, der Vater hofft lexikalische Einsetzungsregeln (Insertionsregeln, Lexikoneinträge): (4) Det → der (5) N → Vater (6) V → schaukelt (7) Det → das (8) N → Kind Ergebnis: S 3 NP VP 2 3 Det N V NP g g g 1 der Vater schaukelt Det N (4) (5) (6) g g das Kind (7) (8) Beachte: Bei Einsetzungsregeln steht rechts vom Pfeil immer nur genau ein Element, außerdem sind sie nie rekursiv (sie setzen die terminalen Knoten auch oder ‚Blätter‘ des Strukturbaums ein). Der Pfeil ist hierbei daher nicht zu verstehen als „dominiert unmittelbar“ oder „ist eine Konstituente von“, sondern als „wird ersetzt durch ein Exemplar der Klasse“. Ein weiterentwickelter Mechanismus, die lexikalischen Elemente in die Struktur einzusetzen, ist, ein von den PS-Regeln (=Grammatik) getrenntes Lexikon anzunehmen, welches die Wörter (Lexeme) mit ihren idiosynkratischen [nicht-vorhersagbaren] Eigenschaften enthält (phonologische Form, Bedeutung, syntaktisch relevante Eigenschaften wie die Kategorie [=Wortart]). Die lexikalische Einsetzung sorgt dann dafür, dass nur Wörter der richtigen Kategorie eingesetzt werden (Checking-Mechanismus). Probleme der Phrasenstrukturgrammatik Aus für das Deutsche benötigten PS-Regeln wie VP → V PP VP → V NP VP → V NP NP generiert die Grammatik offensichtlich ungrammatische Sätze wie *Der Löwe schläft aus dem Käfig. *Der Gast schenkt der Gastgeberin. *Der Computer hilft den Studenten die Arbeit. Wie man sieht, gibt es z. B. Verben, welche die Einsetzung in bestimmte syntaktische und semantische Umgebungen verbieten. Um dies zu berücksichtigen, hat man die Subkategorisierung bzw. den Subkategorisierungsrahmen als Angabe der syntaktischen Umgebung für ein Verb eingeführt. Er ist wie die Kategorie im Lexikon festgelegt: schlafen V, [__] schenken V, [__ NP NP] helfen V, [__ NP] Dadurch werden die möglichen VP-Strukturen aber wenigstens teilweise doppelt gespeichert (im S. Bank Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen 4/5 Lexikon als Teil des Subkategorisierungsrahmens und in der Grammatik als PS-Regeln). Um auch (valenz-)freie Angaben zu berücksichtigen wie in Der Löwe schläft den ganzen Tag. benötigt man zusätzlich fakultative Elemente in der VP-Regel, z. B.: VP → V (NP) Um den Unterschied zwischen Ergänzungen und Angaben zu erfassen, eignet sich besser (geschweifte Klammern stehen für Alternativen): VP → V __ (NP) NP Will man dann noch verschiedene Abfolgemöglichkeiten, Kongruenz (S → NPsg VPsg, S → NPpl VPpl), Kasus (VP → NPdat V) etc. modellieren, gelangt man zu einer sehr großen Regelmenge, bzw. sehr komplexen Regeln, deren Lernbarkeit fragwürdig erscheint. Außerdem ist das allgemeine Regelformat nicht restriktiv genug, da es Regeln (und damit Strukturen) erlaubt wie: VP → P (V) NP NP → Det (N) A AP → V (Adv) AP Das Regelformat erfasst also nicht, dass alle Phrasen einen obligatorischen Kern haben, der die gleiche Kategorie hat, wie die Gesamtphrase (s. o.). S. Bank Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen 5/5