93.134 Beiheft-Text als

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Sinfonie Nr. 1 c-moll op. 68
Der von Beethoven begründete sinfonische Anspruch, der Schubert bereits zur Last
geworden war, ihn freilich auch zu sich selber finden ließ, bedrückte Brahms
wahrlich nicht weniger. Die Umstände sind bekannt: Der erste Plan zu einer Sinfonie
wurde 1854 gefasst, als eine Sonate für zwei Klaviere vorlag, mit deren Gestalt
Brahms nicht zufrieden war; die Umwandlung zur Sinfonie misslang; beim dritten
Versuch prägte sich das Material zum d-moll-Klavierkonzert aus. Kein Wunder, dass
der zweite Anlauf dann erst recht Zeit in Anspruch nahm: Der 1855 begonnene
erste Sinfonie- Satz war, noch ohne den Sostenuto- Anfang, nicht vor 1862
vollendet; zur endgültigen Ausarbeitung des ganzen Werkes aber kam es erst in den
Jahren 1874 bis 76. Die Uraufführung der 1. Sinfonie fand am 4. November 1876 in
Karlsruhe statt, Dirigent war Otto Dessoff.
Nun war Brahms, wie der Dirigent Carl Schuricht es formulierte, »trotz der Fülle des
Geschaffenen weder Viel- noch Schnellschreiber – kein Werk ging in den Druck, das
er zuvor nicht hätte lange ausreifen lassen«. Die so erreichte Genauigkeit und
Konzentration konnte schließlich der Neuen Musik (neben anderem) beispielhaft
werden. Arnold Schönberg (1931): »Von Brahms habe ich gelernt: 1. Vieles von
dem, was mir durch Mozart unbewusst zugeflogen war, insbesondere
Ungradtaktigkeit, Erweiterung und Verkürzung der Phrasen. 2. Plastik der
Gestaltung: nicht sparen, nicht knausern, wenn die Deutlichkeit größeren Raum
verlangt; jede Gestalt zu Ende ausführen. 3. Systematik des Satzbildes. 4.
Ökonomie und dennoch: Reichtum.«
Das lang umsorgte erste Ergebnis der Brahmschen Beschäftigung mit der Sinfonie
jedenfalls hat, wie Eduard Hanslick in seiner Besprechung rühmte, zu einem »so
ernsten, komplizierten, von gewöhnlichen Effekten so weit absehenden Werk«
geführt, dass ein »schnelles Verständnis nicht gleich« zu erwarten war. »Grillparzers
Bekenntnis: ›Ich wollte allerdings Effekt machen, aber nicht auf das Publikum,
sondern auf mich selbst‹ könnte als Wahlspruch auf der [1.] Sinfonie von Brahms
stehen. Sie gehört, das leuchtet sofort auch dem Laien ein, zu den eigentümlichsten
und großartigsten Werken der Sinfonieliteratur.« Brahms habe sich, schreibt
Hanslick weiter, »in den ihm von Haus aus verwandten Vorstellungskreis des
späteren Beethoven ganz hineingelebt; er ahmt nicht nach, aber was er aus seinem
Innern schöpft, ist ähnlich empfunden. So erinnert denn Brahms in dem
eigentümlich geistigen oder übersinnlichen Ausdruck und durch die schöne Länge
seiner Melodien, durch die Kühnheit und Originalität der Modulation, durch die
polyphone Gestaltungskraft, vor allem durch den männlichen hohen Ernst des
Ganzen an Beethovens sinfonischen Stil. Man hat als einen Hauptcharakterzug das
ethische Element in Beethovens Musik hervorgehoben, welche stets überzeugen,
nicht erfreuen will. Dies sondert sie so auffallend von aller ›Unterhaltungsmusik‹,
womit wir noch keineswegs etwas künstlerisch Wertloses bezeichnen wollen. Diesen
strengen, ethischen Charakter von Beethovens Musik, welche selbst im Frohsinn
und Mutwillen einen ernsten Geist, eine dem Ewigen zugewandte Seele verrät,
finden wir sehr entscheidend auch in Brahms.« Nachdem das Werk bald zum
Gegenstand der Konzertführer geworden war, wurde besonders gern und ausgiebig
auf das ins Ohr fallende Hornthema in der Final-Einleitung verwiesen. Der BrahmsBiograph Max Kalbeck apostrophierte es als »eine starke Stimme, eine ›Stimme des
Herrn‹« und führte aus: »und man wüsste nicht, von wannen sie käme, wenn nicht
aus der Tiefe einer heiligen Kraft des Herzens, das sich selbst überwunden und
seinen verlorenen Gott in dich wiedergefunden hat. Fromme Gemüter mögen ihr
immerhin die Worte unterlegen: ›Fürchte dich nicht, spricht der Herr, sei getrost,
ich bin bei dir!‹« Einst aber, am 12. September 1868, hatte das Thema zum
Geburtstagsgruß an Clara Schumann gedient: »Also blus das Alphorn heut«, hatte
Brahms per Postkarte mitgeteilt, die Tempoangabe Adagio darüber gesetzt und die
Worte unterlegt: »Hoch aufm Berg, tief im Thal grüß ich dich viel tausendmal!«
Tragische Ouvertüre d-moll op. 81
Im Jahre 1879 wurde Brahms, dem Hamburger in Wien, von der Universität Breslau
die Ehrendoktor-Würde verliehen. Für die Promotionsfeier komponierte der
Ausgezeichnete ein Vorspiel, das er bald, ohne mit dem Titel zufrieden zu sein,
Akademische Festouvertüre nannte. Kaum fertig mit dem Stück, konnte er am 28.
August 1880 aus Ischl, seinem oberösterreichischen Sommerquartier, Theodor
Billroth melden: »Die Akademische hat mich noch zu einer zweiten Ouvertüre
verführt, die ich nur eine ›Dramatische‹ zu nennen weiß – was mir wieder nicht
gefällt. Früher gefiel mir bloß meine Musik nicht, jetzt auch der Titel nicht, das ist
am Ende Eitelkeit – ?« In mehreren Briefen dann finden sich Umschreibungen der
beiden Ouvertüren (eine »recht lustige« und eine »recht tragische«; »die eine
weint, die andre lacht«), an die sich, ohne dass damit die Entscheidung aus der
Hand gegeben wäre, die Mitteilung samt Frage knüpft: »für beide suche ich
übrigens eigentlich noch hübschere Titel, fällt Ihnen was ein?« Jedenfalls: beide,
»die zueinander in einer ähnlichen Beziehung stehen wie die erste und zweite
Sinfonie«, so Florence May, die englische Clara Schumann-Schülerin und BrahmsBiographin (1905), »bieten wieder ein Beispiel für des Komponisten Gewohnheit,
von Zeit zu Zeit schnell nacheinander oder selbst gleichzeitig zwei Werke in
derselben Form zu schreiben, die von entgegen gesetzten subjektiven Eigenschaften
beseelt werden.« Nachdem die Tragische Ouvertüre am 26. Dezember 1880 in
einem Wiener Philharmoniker- Konzert von Hans Richter und danach wiederholt
vom Komponisten selbst dirigiert worden war, schrieb Hermann Deiters: »In diesem
Werk sehen wir den kraftvollen Helden mit einem ehernen, unerbittlichen Schicksal
ringen und kämpfend erliegen; vorübergehende Siegeshoffnung kann das verhängte
Geschick nicht aufhalten. Wir haben nicht das Bedürfnis, ob und welche Tragödie
der Komponist vielleicht im Sinne hatte, zu erfahren; wen das unübertrefflich
gewaltige Thema nicht überzeugt, dem wird auch weiteres Grübeln nichts helfen. «
Wiewohl es nicht schwer wäre, sich den folgenden Sachverhalt zu
vergegenwärtigen: Brahms hat, so heißt es, bei der Komposition Skizzen
verwendet, die mehr als zehn Jahre zuvor in Zusammenhang mit einer Inszenierung
des Goethe’schen »Faust« zu Papier gebracht worden waren.
Paul Fiebig
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