Einführung in die Physik I Kinematik der Massenpunkte O. von der Lühe und U. Landgraf Ort und Geschwindigkeit • Wir betrachten den Ort eines als punktförmig angenommenen Körpers im Raum als Funktion der Zeit 0 x Ort • Eindimensionale Position x Ort • Verändert der Körper seinen Ort im Laufe der Zeit t, so wird x eine Funktion der Zeit: x = x(t) x Δx • Die Geschwindigkeit v ist die Änderung des Ortes mit der Zeit. Δt 0 Kinematik t Zeit 2 1 Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung • Ein ruhendes Objekt verändert den Ort nicht mit der Zeit Steigung = 0 Ort 0 Zeit t • Ein gleichförmig bewegtes Objekt hat eine konstante Geschwindigkeit v. Die Ableitung von x(t) nach der Zeit t ist überall gleich groß Steigung < 0 Steigung > 0 Ort 0 Zeit • Ein nicht gleichförmig bewegtes Objekt unterliegt einer Beschleunigung a . Die Geschwindigkeit ist eine Funktion der Zeit v = v(t) Ort Steigung ist variabel 0 Zeit Kinematik 3 Mathematische Formulierung • Die Geschwindigkeit v wird mathematisch ausgedrückt durch die Ableitung des Orts x(t) nach der Zeit v= • • Für ein nicht gleichförmig bewegten Körper ist die Geschwindigkeit ebenfalls eine Funktion der Zeit: v = v(t) Die Beschleunigung a wird mathematisch ausgedrückt durch die Ableitung der Geschwindigkeit v(t) nach der Zeit. Sie entspricht der zweiten Ableitung des Orts nach der Zeit a= • d x(t ) dt d v(t ) d 2 x(t ) = dt dt 2 Ist die Beschleunigung a konstant, so wird der Körper gleichförmig beschleunigt Kinematik 4 2 Einheiten von Geschwindigkeit und Beschleunigung • Die Einheit der Geschwindigkeit ist „Änderung einer Länge“ (gemessen in [m]) dividiert durch „Änderung der Zeit“ (gemessen in [s]) • Einheit von v ist [m s-1] • Die Einheit der Beschleunigung ist „Änderung einer Geschwindigkeit “ (gemessen in [m s-1]) dividiert durch „Änderung der Zeit“ (gemessen in [s]) • Einheit von a ist [m s-2] • Merkregel: bei jeder Ableitung ergibt sich die Einheit des Ergebnisses aus der Einheit der abgeleiteten Funktion dividiert durch die Einheit der Größe, nach welcher abgeleitet wird Kinematik 5 Beispiel: freier Fall • Als „freien Fall“ bezeichnet man die Bewegung eines Körpers unter dem Einfluss einer konstanten Beschleunigung, d.h. die Bewegung eines gleichförmig beschleunigten Körpers. • Bekanntestes Beispiel ist ein im Gravitationsfeld der Erde fallen gelassener Körper • In der Nähe des Erdbodens ist die vom Gravitationsfeld bewirkte Beschleunigung konstant: [ g = 9.80665 m s −1 ] • Konventionell wird der Ort als „Höhe“ z, mit positiver Richtung nach oben gemessen; daher muss g ein negatives Vorzeichen haben Kinematik 6 3 Berechnung der Höhe beim freien Fall • Zu einem Zeitpunkt t = 0 wird der Körper losgelassen. Für diesen Zeitpunkt gilt: z (0) = z0 v(0) = 0 • Nach einer Zeit Δt beträgt die Geschwindigkeit v(Δt ) = -g·Δt, nach der doppelten Zeit ist v(2Δt ) = -2g·Δt, usw. • Allgemein kann v(t) durch Integration der Beschleunigung über die Zeit für einen beliebigen Zeitpunkt t > 0 ermittelt werden: v(t ) = t t 0 0 t ∫ (− g ) dt ′ = − g ∫ 1 dt ′ = − g 0 [t ′] = − g ⋅ t + g ⋅ 0 = − gt Kinematik 7 Berechnung der Höhe beim freien Fall • Die Höhe z(t) zum Zeitpunkt t kann durch Integration der Geschwindigkeit v(t) ermittelt werden: Freier Fall aus 100 m Höhe 100 t z (t ) = z0 + ∫ v(t ′) dt ′ 80 0 t 0 0 = z0 + ∫ (− gt ′) dt ′ = z0 − g ∫ t ′ dt ′ t 1 1 ⎡1 ⎤ = z0 − g ⎢ t ′2 ⎥ = z0 − g ⋅ t 2 + g ⋅ 0 2 2 ⎦ 0⎣2 1 = z0 − gt 2 2 60 Höhe [m] t 40 20 0 0 1 2 3 4 Zeit [s] Kinematik 8 4 Freier Fall mit Anfangsgeschwindigkeit • Hat der Körper zu Beginn des Falls eine Anfangsgeschwindigkeit v(0) = v0, so gilt für die Geschwindigkeit t v(t ) = v0 + ∫ (− g ) dt ′ = v0 − gt 0 • Dann ergibt sich die Höhe z als Funktion der Zeit t t z (t ) = z0 + ∫ v(t ′) dt ′ = z0 + ∫ (v0 − gt ′) dt ′ 0 0 t t 0 0 = z0 + ∫ v0 dt ′ − g ∫ t ′ dt ′ = z0 + v0t − 1 2 gt 2 Kinematik 9 Bewegungen in mehreren Dimensionen • In der Welt unserer Erfahrung werden Orte und Strecken im Raum durch die Angabe von drei Längen festgelegt – Länge, Breite, Höhe • Zur Angabe von Orten benötigt man ein Koordinatensystem • Viele physikalische Probleme lassen sich bequem im Cartesischen Koordinaten (nach René Descartes, 1596 – 1650) darstellen • Darstellung des Ortes durch einen Vektor Kinematik z x y ⎛ x ⎞ ⎛ x(t ) ⎞ r ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ X = ⎜ y ⎟ = ⎜ y (t )⎟ ⎜ z ⎟ ⎜ z (t ) ⎟ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ 10 5 Berechnungen mit Koordinatenvektoren • Addition und Subtraktion ⎛ x1 ⎞ ⎛ x2 ⎞ ⎛ x1 + x2 ⎞ r r ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ X 1 + X 2 = ⎜ y1 ⎟ + ⎜ y2 ⎟ = ⎜ y1 + y2 ⎟ ⎜z ⎟ ⎜z ⎟ ⎜z +z ⎟ ⎝ 1⎠ ⎝ 2⎠ ⎝ 1 2 ⎠ ⎛ x1 ⎞ ⎛ x2 ⎞ ⎛ x1 − x2 ⎞ r r ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ X 1 − X 2 = ⎜ y1 ⎟ − ⎜ y2 ⎟ = ⎜ y1 − y2 ⎟ ⎜z ⎟ ⎜z ⎟ ⎜z −z ⎟ ⎝ 1⎠ ⎝ 2⎠ ⎝ 1 2 ⎠ ⎛a⋅x⎞ r ⎜ ⎟ a⋅ X = ⎜a⋅ y⎟ ⎜a⋅z⎟ ⎠ ⎝ • skalares Produkt ⎛ x1 ⎞ ⎛ x2 ⎞ r r ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ X 1 ⋅ X 2 = ⎜ y1 ⎟ ⋅ ⎜ y2 ⎟ = x1 x2 + y1 y2 + z1 z 2 ⎜z ⎟ ⎜z ⎟ ⎝ 1⎠ ⎝ 2⎠ • Skalarprodukt r X = • Betrag r r X ⋅X = x2 + y 2 + z 2 Kinematik 11 Geschwindigkeit und Beschleunigung in mehreren Dimensionen • Die Geschwindigkeit gibt die Änderung des Ortes mit der Zeit für jede Richtung im Koordinatensystem unabhängig an, und kann daher auch als Vektor mit drei Komponenten dargestellt werden • Dasselbe gilt für die Beschleunigung. Sie gibt die Änderung der Geschwindigkeit mit der Zeit für jede Richtung unabhängig an. Kinematik ⎛v ⎞ r ⎜ x⎟ V = ⎜ vy ⎟ ⎜v ⎟ ⎝ z⎠ ⎛ dx(t ) ⎞ ⎜ ⎟ ⎜ dt ⎟ dy (t ) ⎟ =⎜ ⎜ dt ⎟ ⎜ dz (t ) ⎟ ⎜ ⎟ ⎝ dt ⎠ ⎛a ⎞ r ⎜ x⎟ A = ⎜ ay ⎟ ⎜a ⎟ ⎝ z⎠ 2 ⎛ dv x ⎞ ⎛ d x(t ) ⎞ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ 2 ⎟ ⎜ dt ⎟ ⎜ dt dv y ⎟ ⎜ d 2 y (t ) ⎟ ⎜ =⎜ = dt ⎟ ⎜ dt 2 ⎟ ⎜ dv ⎟ ⎜ d 2 z (t ) ⎟ ⎟ ⎜⎜ z ⎟⎟ ⎜⎜ 2 ⎟ ⎝ dt ⎠ ⎝ dt ⎠ 12 6 Beispiel: der schiefe Wurf • In diesem Beispiel ist der zeitliche Verlauf des Ortes eines im Schwerefeld der Erde geworfenen Körpers für jede der drei Raumrichtungen anders • Wir nehmen an, dass der Körper zum Zeitpunkt t = 0 vom Ursprung des Koordinatensystems schräg in die Richtung der x-Achse und nach oben (Richtung der z-Achse) geworfen wird • Die Anfangsbedingungen lauten somit • Die Beschleunigung wirkt nur in Richtung der z-Achse ⎛0⎞ r ⎜ ⎟ X (0) = ⎜ 0 ⎟, ⎜0⎟ ⎝ ⎠ ⎛ vx 0 ⎞ r ⎜ ⎟ V (0) = ⎜ 0 ⎟ ⎜v ⎟ ⎝ z0 ⎠ ⎛ 0 ⎞ r ⎜ ⎟ A=⎜ 0 ⎟ ⎜− g⎟ ⎠ ⎝ Kinematik 13 Beispiel: der schiefe Wurf r • Gesucht ist das Zeitgesetz für den Ort in den drei Raumrichtungen X (t ) • Für jede Richtung müssen Beschleunigung und Geschwindigkeit integriert werden • In Richtung der y-Achse sind die Anfangsgeschwindigkeit und die Beschleunigung gleich Null. Die Lage des Körpers erfährt in dieser Richtung keine Änderung mit der Zeit. Damit ist die Position des Körpers in der y-Richtung gleich der Position für t = 0, d.h., y(t) = 0 • In der Richtung der x-Achse hat der Körper die Anfangsgeschwindigkeit vx0. Da die Beschleunigung in diese Richtung ebenfalls Null ist, gilt x(t) = vx0·t • Das Problem in der Richtung der z-Achse wurde schon für den freien Fall gelöst vx 0 ⋅ t ⎛ x(t ) ⎞ ⎛ ⎞ r ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ X (t ) = ⎜ y (t )⎟ = ⎜ 0 ⎟ ⎜ z (t ) ⎟ ⎜ v ⋅ t − 1 2 g ⋅ t 2 ⎟ 0 z ⎝ ⎠ ⎝ ⎠ Kinematik 14 7 Darstellung Schiefer Wurf vx0 = 10 [m s-1] vz0 = 30 [m s-1] Kinematik 15 Die Kreisbewegung • Kreisbewegung: – Bewegung eines Körpers mit konstantem Abstand r zum Mittelpunkt M des Kreises – Veränderlicher Winkel ϑ(t) mit einer Referenzrichtung (z.B. X-Achse) • Die Winkelgeschwindigkeit ist die Änderung des Winkels ϑ mit der Zeit ω= Y ϑ X d ϑ (t ) dt • Die Einheit der Winkelgeschwindigkeit ist [Umdrehung pro Sekunde] oder [s-1] Kinematik 16 8 Die Kreisbewegung • Die momentane Geschwindigkeit v des Körpers Y – ist tangential zum Kreis – steht senkrecht auf der Verbindungslinie vom Kreismittelpunkt zum Körper r v ● • Ortsvektor – verbindet Kreismittelpunkt mit dem momentanen Ort des sich bewegenden Körpers – hat konstante Länge r X • Betrag der momentanen Geschwindigkeit r r dϑ r v = ω⋅ r = ⋅r dt Kinematik 17 Mathematischer Umweg: das Vektorprodukt r X3 • Mithilfe des Vektorprodukts (Kreuzprodukt) wird aus zwei Vektoren ein dritter Vektor gebildet, der zu beiden anderen senkrecht steht r r r X1 × X 2 = X 3 r X2 r r r X 3 = X 1 ⋅ X 2 ⋅ sin (α ) • Rechte-Hand-Regel bestimmt die Richtung des Ergebnisvektors • Das Vektorprodukt ist nicht kommutativ • Sind zwei Vektoren parallel zueinander, verschwindet ihr Vektorprodukt Kinematik α r X1 r r r r X1 × X 2 = − X 2 × X1 ⎛ x3 ⎞ ⎛ y1 z 2 − z1 y2 ⎞ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ y3 ⎟ = ⎜ x1 z 2 − z1 x2 ⎟ ⎜z ⎟ ⎜x y − y x ⎟ ⎝ 3⎠ ⎝ 1 2 1 2⎠ 18 9 Die Kreisbewegung • Darstellung der Winkelgeschwindigkeit als Vektor: – Steht senkrecht auf Ortsvektor und Geschwindigkeitsvektor – Liegt in Richtung der Drehachse r ω r v r r r r r v = ω×r ⎛ x⎞ ⎛ vx ⎞ ⎛0⎞ r ⎜ ⎟ r ⎜ ⎟ r ⎜ ⎟ r = ⎜ y ⎟, v = ⎜ v y ⎟, ω = ⎜ 0 ⎟ ⎜0⎟ ⎜0⎟ ⎜ω ⎟ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎛ r ⋅ cos(ϑ (t ))⎞ ⎜ ⎟ r r (t ) = ⎜ r ⋅ sin (ϑ (t )) ⎟ ⎜ ⎟ 0 ⎝ ⎠ Kinematik 19 Die gleichförmige Kreisbewegung • Ist die Winkelgeschwindigkeit konstant, dann ist die Kreisbewegung gleichförmig ϑ (t ) = ω ⋅ t r ω r v ⎛ r ⋅ cos(ωt )⎞ ⎟ r ⎜ r = ⎜ r ⋅ sin (ωt ) ⎟ ⎜ ⎟ 0 ⎝ ⎠ ( r cos t )⎞ ⎛ − rω sin (ωt )⎞ ⋅ ω ⎛ ⎟ ⎜ ⎟ r d ⎜ v = ⎜ r ⋅ sin (ωt ) ⎟ = ⎜ rω cos(ωt ) ⎟ dt ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ 0 0 ⎝ ⎠ ⎝ ⎠ Kinematik r r 20 10 Beschleunigung auf der Kreisbahn • Da die Richtung des Geschwindigkeitsvektors zeitabhängig ist, gibt es eine Beschleunigung ⎛ − rω sin (ωt )⎞ r ⎟ r dv d ⎜ a= = ⎜ rω cos(ωt ) ⎟ dt dt ⎜ ⎟ 0 ⎠ ⎝ r ω r v r r r a ⎛ − r ⋅ ω 2 ⋅ cos(ωt )⎞ ⎟ ⎜ r = ⎜ − r ⋅ ω 2 ⋅ sin (ωt ) ⎟ = − ω 2 ⋅ r ⎟ ⎜ 0 ⎠ ⎝ • Die Beschleunigung ist dem Radiusvektor entgegengesetzt parallel Zentripetalbeschleunigung Kinematik 21 Harmonische Schwingung • Viele Bewegungen lassen sich als Schwingungen darstellen – Gebundene Bewegung um eine Ruhelage – „Harmonische Bewegung“ – Darstellung durch eine Sinusoder Kosinusfunktion der Zeit t – Begrenzte Amplitude r • Eine harmonische Schwingung ist eine Kreisbewegung „von der Seite betrachtet“ • Ort und Beschleunigung sind proportional zueinander – Differentialgleichung für harmonische Schwingungen (zwei Schreibweisen) Kinematik x(t ) = r ⋅ sin (ωt ) dx(t ) dt d 2 x(t ) a(t ) = − r ⋅ ω 2 ⋅ sin (ωt ) = dt 2 v(t ) = r ⋅ ω ⋅ cos(ωt ) = d 2 x(t ) + ω 2 ⋅ x(t ) = 0 dt 2 &x&(t ) + ω 2 x(t ) = 0 22 11 Harmonische Schwingung – Frequenz und Kreisfrequenz • Kreisfrequenz ω: – Winkel ϑ im Bogenmaß – Eine Umdrehung entspricht 2π – Einheit [s-1] • Frequenz ν: – Inverse Länge der Periode der Schwingung in [s] – Eine Umdrehung entspricht einer Periode – Einheit [s-1] oder Hertz [Hz] x(t ) = r ⋅ sin (ω ⋅ t ) = r ⋅ sin (2π ⋅ν ⋅ t ) ω = 2π ⋅ν Kinematik 23 Harmonische Schwingung Harmonische Schwingung 1.5 10 1 Ort [m] 0 0 0.5 Geschwindigkeit [m s^-1] 5 0.5 5 1 1.5 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 10 Zeit [s] Ort Geschwindigkeit Kinematik 24 12 Harmonische Schwingung Harmonische Schwingung 1.5 40 1 Ort [m] 0 0 0.5 Beschleunigung [m s^-2] 20 0.5 20 1 1.5 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 1.6 1.8 40 Zeit [s] Ort Beschleunigung Kinematik 25 13