Leseprobe

Werbung
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Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
1.1
Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches
Paradox?
Im Sommer 2006 ließ die Geschäftsleitung der Frankfurter Schirn Kunsthalle
einen Werbebrief an seine Mitglieder verschicken. Der Brief wurde per Post
in einem transparenten Briefumschlag mit Adressaufdruck zugestellt. Er
enthielt, von außen bereits sichtbar, einen gefalteten Bogen weißen Papiers.
Dieser, so stellte sich beim Öffnen des Briefs heraus, schien auf den ersten
Blick auf beiden Seiten unbedruckt zu sein. Erst bei genauerer Betrachtung
stellte sich heraus, dass er mit weißer Schrift bedruckt war, die nur sichtbar
wurde, wenn das Papier gegen Licht gehalten wurde. Der weiß gedruckte
Text auf weißem Papier gab die Eröffnung der Ausstellung „Nichts“
bekannt.1 Solange der Brief den Eindruck eines unbedruckten weißen Papierbogens hinterließ, zugleich aber die Erwartung einer Werbebotschaft weckte,
stellte er für seine Empfänger ein Paradox dar, denn er verwies auf nichts
außer auf das Fehlen einer Mitteilung. Ein Werbebrief ohne Inhalt steht im
Widerspruch zur Aufgabe einer Werbesendung. Das leere Blatt Papier verweist auf nichts außer auf sich selbst; es übermittelt eine selbstreferenzielle
Botschaft.
Jene Adressaten, denen das Veranstaltungsprogramm der Schirn im
Sommer 2006 aus zuvor verschickten Mitteilungen und Prospekten bekannt
war, konnten dem leeren Brief dennoch eine Botschaft entnehmen. Er
verwies gerade durch das Fehlen einer Nachricht auf die Ausstellung mit dem
Titel „Nichts“, in der es um Leere, Stille und entleerte Bilder als Antwort auf
die zunehmende Komplexität und das Übermaß visueller Informationen in
der Gegenwartskultur ging. Ein expliziter, sofort sichtbarer Hinweis auf die
Ausstellung war jedoch auf dem weißen Blatt nicht zu erkennen. Die
Bekanntheit jener Ausstellung wurde bei den Empfängern des enigmatischen
Schreibens vorausgesetzt. Nur der informierte Empfänger konnte eine
Verbindung zwischen dem Nichts des weißen Blattes Papier und der durch
1
„Nichts“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 21. Juli bis 1. Oktober 2006 mit Werken der
Avantgardekünstler der 60er- und 70er-Jahre und Postminimalisten und Neokonzeptualisten wie
Joëlle Tuerlinckx, Tom Friedman oder Martin Creed.
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Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1 Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
dieses Blatt angekündigten Ausstellung „Nichts“ herstellen. Für jene
Empfänger, die bereits von der Ausstellung wussten, wäre deren explizite
Nennung und Beschreibung im Brief tautologisch und somit
selbstreferenziell gewesen. Die Voraussetzung, dass die Leser bereits wissen,
worüber sie informiert werden sollen, führt allerdings zu einer weiteren
selbstreferenziellen Paradoxie: Warum wird der Brief überhaupt verschickt,
wenn der Inhalt seiner Mitteilung bereits als bekannt vorausgesetzt wird?
Noch in einer weiteren Hinsicht erwies sich der Brief der Schirn als
selbstreferenziell, denn mit der Visualisierung von Nichts teilte er Eigenschaften des Objekts, auf das er verwies. Mit seiner leeren Seite hat der Brief
eine Qualität mit dem gemeinsam, über das er berichten will. Der Brief will
ebenso bedeutungsleer sein, wie es die Objekte der Ausstellung sind, auf
welche er verweist.
Selbstreferenz ist die Referenz auf sich selbst im Gegensatz zur Fremdreferenz, dem Verweis eines Zeichens auf etwas anderes. Die Frage nach der
Referenz als dem Bezug der Zeichen auf die bezeichnete Welt zählt zu den
Grundproblemen der Semiotik, der Wissenschaft von den Zeichen und
Zeichenprozessen. Vor diesem Hintergrund muss Selbstreferenz – für einige
Forscher ein besonderes Kennzeichen der Postmoderne (vgl. Lawson 1985;
Bartlett & Suber 1987; Frieske 1998: 125-131; Nöth 2000a: 166f.; 2003), für
andere eine Eigenschaft der Zeichen, Texte und Medien schlechthin2 – gleich
zweifach als Widerspruch in sich erscheinen. Zum einen gibt es den
allgemeinen Widerspruch im Hinblick auf das Wesen der Zeichen, deren
eigentliche Funktion Fremdreferenz, also der Verweis auf Anderes, ist, wie es
bereits die scholastische Zeichendefinition aliquid stat pro aliquo definierte:
Ein Zeichen steht für etwas anderes. Zum anderen gibt es einen besonderen
Widerspruch im Hinblick auf die Werbung, denn Werbebotschaften vermitteln Zeichen, die etwas über Produkte und Dienstleistungen mitteilen wollen
mit dem Ziel, Aufmerksamkeit, Interesse und Bedürfnisse zu wecken, die zu
Kauf und Konsum führen sollen. Werbung ist mithin fremdreferenzielle
Kommunikation: Kommunikation, die auf etwas anderes ausgerichtet ist.
Selbstreferenz in der Werbung, das zeigte das einführende Beispiel,
scheint auf den ersten Blick ein Paradox zu sein, denn eine auf sich selbst
verweisende Nachricht ist keine Nachricht, die Konsumwünsche, Waren oder
Dienstleistungen betrifft. Wer eine Werbebotschaft in Auftrag gibt, tut das
nicht um der Botschaft selbst willen, sondern mit dem Ziel, Produkte bekannt
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So meint Wolf (2001: 52), dass Selbstreferenz in der Literatur keine Besonderheit individueller
Werke, spezifischer Gattungen oder Epochen sei, sondern ein Phänomen, das sich in der
Literatur allgemein nachweisen lässt. Siehe dazu auch Scheffel (1997: 2f.) und Wolf (2001: 56,
FN 23). Reineke (1996) weist nach, dass der Film von Anfang in selbstreferenzieller Weise das
eigene Medium vorführte.
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Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
zu machen, um dadurch potenzielle Verbraucher zum Kauf und Konsum
anzuregen. Es soll eine semiotische Handlung in eine ökonomische
umgesetzt werden, denn die Vermittlung und Rezeption einer Werbebotschaft
soll den Umsatz und den Konsum von Gütern des Marktes steigern. Fremdreferenz, der Verweis auf Anderes, nämlich auf die Welt der Waren, Konsumgüter und Dienstleistungen, ist folglich stets das primäre Ziel der Werbung.
Selbstreferenz, das heißt, der Verweis der Werbung nur auf sich selbst, ist
demnach ein Widerspruch in sich selbst, der mit den eigentlichen Zielen des
Zeichensystems Werbung in Konflikt steht.
Dennoch ist zu beobachten, dass Werbung immer weniger reine Produktund Informationswerbung ist und sich immer mehr auf das Gebiet der
Massenunterhaltung verlagert hat. Zwar will die Werbung nach wie vor
bleibende positive Eindrücke hinterlassen, doch diese müssen nicht
unbedingt die beworbenen Produkte und Dienstleistungen betreffen.
Werbung will selbst zum Erlebnis werden, indem sie den Unterhaltungswert
dem Mitteilungswert vorzieht und für sich eine ästhetische Anmutungsqualität beansprucht (vgl. Schmidt & Spieß 1994). Damit wird sie
zunehmend selbstreferenziell. Werbung hat sich schon immer Kommunikationsformen aus allen Bereichen der Alltagskultur bedient, nunmehr
wendet sie sich den Zeichen und der Kommunikation selbst zu. In
vielfältigen Variationen bezieht sie sich auf sich selbst und folgt dabei einem
allgemeinen selbstreferenziellen und selbstreflexiven Trend der Medien: „Die
Bilder und die Texte repräsentieren nicht mehr eine reale, sondern eine
virtuelle Realität, die Zeichen werden zu Instrumenten der Simulation statt
der Repräsentation“, bemerkt zum Beispiel Nöth (im Druck a) mit Verweis
auf Filme über Filme, Metaromane, Metamalerei und Metaarchitektur. Die
Medien berichten zunehmend über sich selbst (Blöbaum 1999; Malik 2002;
Nöth 2005; Siegert 2001b), sie „recyceln“ ihre medialen Erzeugnisse
(Bleicher 1992; 1999; Frieske 1998: 58-61) und erzeugen in der
Wiederholung des immer Gleichen Nostalgie und déjà-vu-Effekte (Böhn
2007).
Die Frage nach der Selbstreferenzialität und Fremdreferenzialität der
Zeichen im Allgemeinen und in der Werbung im Besonderen steht im
Mittelpunkt der theoretischen Überlegungen der vorliegenden Arbeit: Kann
ein Zeichen nur für sich selbst stehen, und wie – wenn überhaupt – kann
Selbstreferenz in einer scheinbar eminent fremdreferenziellen Textsorte wie
der Werbung realisiert werden? Es wird der Versuch unternommen, das
Phänomen der Selbstreferenz zunächst semiotisch zu bestimmen und in
einem zweiten Teil am Beispiel von Werbeanalysen zu belegen. Dazu werden
verschiedene Formen der Selbstreferenz am Beispiel aktueller Werbekommunikation identifiziert, diskutiert und an einzelnen Fallstudien erläutert.
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Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1 Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
Abschließend wird nach der Wirkung selbstreferenzieller Werbung gefragt.
Ziel dieser Arbeit ist es, selbstreferenzielle Werbung zu beschreiben. Die
Arbeit versteht sich als qualitative, deskriptive semiotische Analyse selbstreferenzieller Zeichenprozesse in der Werbung.
1.1.1 Selbstreferenzielle und fremdreferenzielle Kommunikation
Fremdreferenz – in der Forschungsliteratur bisweilen auch Alloreferenz oder
Heteroreferenz genannt – scheint auf den ersten Blick die primäre Funktion
der sprachlichen Kommunikation, insbesondere der Werbekommunikation,
zu sein. Laut Wolf (2001: 53) gilt „die Referenz auf außerhalb von Sprache,
Text, Kunst und Medien Angesiedeltes, also auf eine Welt, die als etwas
anderes als das Universum menschlicher Zeichensysteme angesehen wird“,
generell als die „natürliche“ Funktion von Sprache und Texten. Die
scheinbare Paradoxie der selbstreferenziellen Zeichen und der selbstreferenziellen Kommunikation verliert jedoch an Widersprüchlichkeit,
betrachtet man etwa Jakobsons (1979) sechs Sprachfunktionen. Diese
verdeutlichen, dass in ein und der gleichen Botschaft sowohl selbst- als auch
fremdreferenzielle Aspekte vorherrschen können und dass dies nicht
notwendigerweise ein Widerspruch sein muss (vgl. Nöth 2000b; im Druck a).
In Erweiterung des Organonmodells von Karl Bühler (vgl. 1.2.2.1 und
Abb. 1.8) umfasst Jakobsons Kommunikationsmodell einen Sender, einen
Empfänger sowie die Gegenstände und Sachverhalte (bzw. die Referenten
oder den Kontext) der Kommunikation und bestimmt darüber hinaus drei
weitere Faktoren im Kommunikationsprozess: die Nachricht, den Kanal und
den Kode (Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Jakobsons sechs Faktoren der sprachlichen Kommunikation (Jakobson 1979: 88)
Den aus diesen Faktoren resultierenden Kommunikationsprozess erklärt
Jakobson wie folgt:
Der SENDER macht dem EMPFÄNGER eine MITTEILUNG. Um wirksam zu
sein, bedarf die Mitteilung eines KONTEXTS, auf den sie sich bezieht (Referenz
in einer anderen, etwas mehrdeutigen Nomenklatur), erfassbar für den Empfänger
und verbal oder verbalisierbar; erforderlich ist ferner ein KODE, der ganz oder
zumindest teilweise dem Sender und dem Empfänger (oder m. a. W. dem Kodierer
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
und dem Dekodierer der Mitteilung) gemeinsam ist; schließlich bedarf es auch
noch eines KONTAKTS, eines physischen Kanals oder einer psychologischen
Verbindung zwischen Sender und Empfänger, der es den beiden ermöglicht, in
Kommunikation zu treten und zu bleiben. (Jakobson 1979: 88)
Diesen sechs Faktoren ordnet Jakobson (1979: 88-94) je eine Funktion zu
(Abb. 1.2). Die Ausrichtung des Kommunikationsprozesses bestimmt,
welche Funktion im Mittelpunkt der Äußerung steht. Eine Botschaft kann
zwar mehrere Funktionen haben, oft dominiert aber nur eine.
Abb. 1.2: Jakobsons sechs Funktionen der sprachlichen Kommunikation (Jakobson 1979: 94)
Die von Jakobson definierten Sprachfunktionen sind, wie Nöth (2000b; im
Druck a) beschreibt, teils fremdreferenziell und teils selbstreferenziell. Liegt
der Fokus der Botschaft auf dem Referenten, so ist die referenzielle Funktion
dominant (die bei Bühler Darstellungsfunktion heißt, vgl. 1.2.2.1). Die
Funktion einer solchen Botschaft ist fremdreferenziell, denn sie bezieht sich
auf die Tatsachen und Dinge in der Welt, auf den Kontext, also auf anderes.
Die Orientierung auf den Empfänger bezeichnet Jakobson als konative
Funktion. Sie ist zu vergleichen mit Bühlers Appellfunktion und drückt sich
in der Form des Imperativs und Vokativs aus. Diese Funktion ist
fremdreferenziell insofern, als sich der Sender explizit an den Empfänger,
also an jemand anderes, richtet.
Im Gegensatz zu diesen beiden vorwiegend fremdreferenziellen
Funktionen weisen alle vier weiteren Funktionen Jakobsons ein gewisses
Maß an Selbstreferenzialität auf (vgl. Nöth im Druck a): Die emotive
Funktion, die etwa bei Ausrufen dominiert, bezieht sich beispielsweise auf
die Einstellung des Senders zur Botschaft. Selbstreferenziell ist diese
Funktion insofern, als der Inhalt der Botschaft, also die referenzielle
Funktion, in den Hintergrund tritt und der Sender und seine Einstellungen im
Mittelpunkt stehen. Auch die phatische Sprachfunktion zeigt Aspekte der
Selbstreferenz, denn sie dient der Aufrechterhaltung der Kommunikation. Sie
bezieht sich auf den Kanal der Kommunikation, z. B. indem der Sprecher
durch Rückfragen die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners sicherstellt
(„Hörst du noch zu?“) oder der Empfänger seine andauernde
Aufmerksamkeit signalisiert („Mhm“).
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1 Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
Am offensichtlichsten sind Aspekte der Selbstreferenz in der metalinguistischen und poetischen Sprachfunktion. Die metalinguistische
Funktion dominiert, wenn sich Sprache auf Sprache und Kommunikation auf
Kommunikation bezieht (z. B. „Schreibt man Schifffahrt mit drei ‚f’?“ oder
„Was meinst du damit?“). Zu unterscheiden sind dabei zwei Ebenen des
Sprachgebrauchs: die Objektsprache, die sich auf die Objekte der Welt
bezieht, und die Metasprache, die sich auf Sprache selbst bezieht. Die
poetische oder ästhetische Funktion der Sprache hat etwa Eco (1972: 145) als
selbstreferenziell bzw. „autoreflexiv“ bezeichnet, denn hier ist die Botschaft
zuallererst auf sich selbst gerichtet. Das bedeutet, dass die Botschaft „die
Aufmerksamkeit des Empfängers vor allem auf ihre eigene Form lenken
will“ (1972: 145f.). Es handelt sich nach Eco um eine Botschaft,
die mich in der Schwebe zwischen Information und Redundanz hält, die mich zu
der Frage treibt, was das denn heißen soll, während ich im Nebel der Ambiguität
etwas erblicke, was auf dem Grunde meine Decodierung leitet, eine solche
Botschaft beginne ich zu beobachten, um zu sehen, wie sie gemacht ist. (Eco
1972: 147)
In der Terminologie Hjelmslevs: Die Aufmerksamkeit des Rezipienten ist
primär auf die Materie und auf die Ausdruckssubstanz der Botschaft
gerichtet. Als Beispiele nennt Jakobson (1979) u. a. die Paronomasie, den
Reim, die Alliteration und die Symmetrie in der Sprache.
Diese Ausführungen zeigen, dass den Zeichen und der Kommunikation
sowohl Fremdreferenzielles als auch Selbstreferenzielles inhärent ist und dass
verschiedene Grade der Selbstreferenz unterschieden werden können (vgl.
Nöth im Druck a sowie Kap. 2.2.6). Zeichen und Kommunikation sind
folglich nie in jeder Hinsicht selbstreferenziell. Sie beinhalten immer auch
fremdreferenzielle Merkmale, wie die sechs Sprachfunktionen nach Jakobson
verdeutlichen. Diese Annahme bildet die Basis für die nun folgenden
Hypothesen und Forschungsziele der vorliegenden Arbeit.
1.1.2 Forschungsziele und Ausgangsthesen
Die Selbstreferenzialität der Zeichen wird in verschiedenen Forschungsdisziplinen thematisiert. Einen Überblick darüber geben die Abschnitte 1.1.3
und 2.1. Beide Abschnitte verdeutlichen die Notwendigkeit einer theoretischen Fundierung und Verortung des Konzepts der Selbstreferenz. Selbstreferenzialität, Autoreferenz, Selbstorganisation, Selbstthematisierung, Autopoiesis, Selbstbezüglichkeit, Selbstreflexion, Selbststeuerung, Metakommunikation, Reflexivität – dies sind nur einige Begriffe, die im Zusammenhang mit Selbstreferenz zu finden sind und teils synonymisch, teils
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
differenzierend und häufig inflationär verwendet werden. Vor diesem
Hintergrund ist es das erste Forschungsziel (FZ1) der vorliegenden Arbeit,
Selbstreferenz unter semiotischen Prämissen näher zu untersuchen und den
Begriff von anderen Themengebieten abzugrenzen:
FZ1: Semiotische Verortung der Selbstreferenz.
Der semiotische Rahmen, der in dieser Arbeit abgesteckt wird, wird zeigen,
dass Selbstreferenz nicht notwendigerweise ein semiotisches Paradox
impliziert. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist das triadische Zeichenmodell von Charles S. Peirce.
Zur Analyse der Selbstbezüglichkeit der Medien hat Nöth (2005; 2007a;
im Druck b) vor dem Hintergrund des Peirceschen Zeichenmodells eine erste
Unterscheidung verschiedener Grade und Ebenen der medialen Selbstreferenz vorgenommen und für diese unterschiedliche Formen der Selbstreferenz bestimmt. Auf diesem Modell basiert das zweite Forschungsziel
(FZ2) des vorliegenden Projekts: Die Ebenen und Formen der Selbstreferenz
sollen auf den Untersuchungsgegenstand Werbung übertragen werden. Dies
macht die Sammlung und Analyse von Beispielen für Selbstreferenz aus der
aktuellen Werbekommunikation erforderlich.
FZ2: Datensammlung und Anwendung der Typologie selbstreferenzieller
Formen auf den Untersuchungsgegenstand Werbung.
Das Ergebnis der Datensammlung, nämlich ein Korpus von Werbetexten mit
Elementen und Aspekten der Selbstreferenz verschiedener Art und dessen zu
Grunde gelegten Analysen nach Maßgabe des Modells der Formen der
Selbstreferenz, soll ferner in einem dritten Analyseschritt (FZ3) überprüft,
erweitert und gegebenenfalls korrigiert werden:
FZ3: Überprüfung, Erweiterung und gegebenenfalls Korrektur der Typologie im Lichte der gesammelten Daten.
Im Anschluss an die Erfassung, Typologisierung und Analyse der Formenvielfalt von Selbstreferenz in der Werbung soll in Kapitel 4 ein theoretischer
Erklärungsansatz für die möglichen Wirkungsdimensionen des Selbstreferenziellen in der Werbung geleistet werden (FZ4).
FZ4: Erklärungsansatz: Wirkungsdimensionen der selbstreferenziellen
Werbung.
Damit stützt sich die vorliegende Arbeit im Wesentlichen auf zwei Ausgangsthesen (T): Es gibt Selbstreferenz in der Werbung (T1), die unterschiedlich zu kategorisieren ist (T2).
T1: Selbstreferenz in der Werbung ist eines von vielen Mitteln der
Werbekommunikation.
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T2:
Bei der Analyse verschiedener Formen und Mittel der Selbstreferenz
in der Werbung sind unterschiedliche Ebenen der Selbstreferenz zu
differenzieren.
Es ist davon auszugehen, dass im Zeitalter der Omnipräsenz der Medien, des
Produkt- und Werbeüberflusses und des zunehmenden Konsum- und Medienmisstrauens seitens der Konsumenten die Selbstreferenz in der Werbung ein
intentionales strategisches Mittel im Kampf um Aufmerksamkeit und
Akzeptanz darstellt. Selbstreferenz dient jedoch ferner nicht nur dem
ökonomischen Selbsterhalt des Werbesystems, sondern auch seiner
Identitätsbildung durch die Abgrenzung von anderen Systemen. Auch die
Ästhetisierung der Werbung kann ein mögliches Ziel der Selbstreferenz sein.
Sie schafft seitens der Rezipienten eine höhere Akzeptanz für die
Werbebotschaften. Zuletzt stellt sich die Frage, ob Werbung durch die
Selbstthematisierung ihre eigene Glaubwürdigkeit steigern will. In diesem
Zusammenhang soll eine dritte These (T3) der Arbeit überprüft werden:
T3: Selbstreferenz in der Werbung hat Wirkungen, die auf verschiedene
Weisen auf die Emotionen, die Handlungen und die Gewohnheiten
der Konsumenten Einfluss nehmen.
Die systematische Erforschung selbstreferenzieller Werbung stellte bislang
ein Desiderat der Forschung dar, zumal es auch für das Phänomen der
Selbstreferenz divergierende Begriffsverwendungen und Konzeptionen gibt.
Es bedarf hier vor allem einer semiotischen Fundierung. Die vorliegende
Studie möchte diese Lücke schließen und einen Beitrag zur Konzeptualisierung der Selbstreferenz sowie zur semiotischen Erschließung der Formen
und Mittel selbstreferenzieller Zeichen in der Werbung leisten.
1.1.3 Stand der Forschung
In vielen Arbeiten, die sich mit Stilistik, Semiotik und Sprache in der
Werbung befassen, sind Erörterungen zu finden, die sich implizit oder
explizit dem Thema der Selbstreferenz in der Werbung widmen. Manchmal
geschieht dies unter Verwendung von Begriffen wie „Metakommunikation“,
„Selbstthematisierung“ oder gar „Selbstreferenz“, teils wird das Phänomen
aber überhaupt nicht benannt oder aber unter anderen Themen, etwa dem der
Intertextualität oder Intermedialität, subsumiert. „Kaum ein anderes
Phänomen ist so intermedial wie die Selbstreferenzialität“ bemerkt zum
Beispiel Bleicher (1999: 115) und bezeichnet gleichzeitig Selbstreferenzialität als Form der Intertextualität (1999: 117). Oft werden in der einschlägigen
Literatur Beispiele von Selbstreferenz in der Werbung aufgegriffen, jedoch
nicht weiter vertieft. Insgesamt fehlt bisher eine theoretische Fundierung,
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
Verortung und Kategorisierung des Phänomens der Selbstreferenz in der
Werbung, wie sie zum Beispiel für die literarische Selbstreferenzialität von
Scheffel (1997) und Wolf (2001) entwickelt wurde. Selbstreferenz wird
größtenteils als ein sehr allgemeiner, aber nicht weiter differenzierter Begriff
eingeführt (z. B. bei Dunne 1992). Es gibt des Weiteren erhebliche Divergenzen in den Begriffsverwendungen. Dies wird im Folgenden verdeutlicht.
Implizit findet sich der Gedanke, dass Werbesprache selbstreferenziell
(„autotelisch“) sein kann, zum Beispiel bei Roman Jakobson, dessen Beispiel
für die These von der Selbstbezüglichkeit der poetischen Sprache der
Wahlslogan “I like Ike” der 1950er-Jahre ist.3 In seiner Analyse beschreibt er
den politischen Slogan wie folgt:
Der Bau des bündigen Wahlslogans I like Ike /ay layk ayk/ besteht aus drei
Einsilbern und weist dreimal den Diphthong /ay/ auf, der symmetrisch von einem
Konsonanten gefolgt wird /..l..k..k/. Die Komposition der drei Wörter richtet sich
nach dem Prinzip der Variation: keine konsonantischen Phoneme im ersten Wort,
zwei umschließen das zweite und ein Konsonant steht am Ende des dritten. […]
Beide Kola der dreisilbigen Formel I like/Ike reimen sich, und das zweite der
beiden Reimwörter ist im ersten vollständig enthalten (Echoreim), /layk/ -- /ayk/,
ein paronomastisches Bild eines Gefühls, das sein Objekt vollständig umschließt.
Beide Kola alliterieren und das erste der beiden Alliterationswörter ist im zweiten
enthalten: /ay/ -- /ayk/, ein paronomastisches Bild des liebenden Subjekts,
umfangen vom geliebten Objekt. Die sekundäre poetische Funktion verstärkt die
Eindrücklichkeit und Wirksamkeit dieses Wahlslogans. (Jakobson 1979: 93)
Im Slogan “I like Ike” dominiert die poetische Sprachfunktion, weil die
einprägsame metrische Form die Aufmerksamkeit der Hörer zuallererst auf
die Sprache und weniger auf den Inhalt der Botschaft lenkt, das heißt:
Insofern, als der Slogan mehr als sprachliche Form denn als eine Werbebotschaft wahrgenommen wird, sagt Jakobson, liegt ihr Ziel (gr. telos) in ihr
selbst. Er ist eine autotelische Botschaft. Statt etwas anderes mitzuteilen ist
sie nur auf sich selbst bezogen. „Eine solche Botschaft wird zum
Selbstzweck. Statt Referenz weist sie Selbstreferenz auf“ (Nöth 2000a: 453).
Die selbstreferenzielle poetische Funktion ist demnach die dominierende
Funktion dieser Botschaft, auch wenn derselbe Slogan in fremdreferenzieller
Weise zugleich die Einstellung eines Sprechers zum Präsidentschaftskandidaten Dwight D. Eisenhower zum Ausdruck bringt.
Erste explizite Überlegungen zur Selbstreferenz in der Werbung finden
sich bei Williamson ([1978] 1984) im letzten Kapitel von Decoding
Advertisements, einem Werk, das zu den Klassikern semiotischer Werbeanalysen gezählt werden kann. Williamson zeigt hier, wie Werbung Bezugs3
Auch Eco (1972: 149) bespricht dieses Beispiel in einem Abschnitt über zweideutige und
autoreflexive Botschaften.
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Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1 Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
system für Werbung selbst sein kann, denn ebenso wie Werbung
verschiedenste soziale Mythen thematisiere, so habe auch sie ihre eigene
mythische Struktur, auf die sie selbst gerne verweise. Ohne eine Theorie oder
Definition von Selbstreferenz vorzustellen, bespricht die Autorin das Phänomen exemplarisch am Beispiel einiger Printanzeigen und Werbespots. Dabei
trifft sie einige Unterscheidungen, die auf verschiedene Formen der selbstreferenziellen Werbung sowohl auf verbaler als auch auf visueller Ebene
verweisen, etwa der Bezug einer Werbung auf bekannte Werbegenres oder
Einzelwerbungen, der Spiegel-Effekt durch das Abbilden einer Werbung in
einer Werbung, die Selbstthematisierung der Werbung als Werbetext, die
Werbung für Werbung sowie der Rückbezug einer Werbekampagne auf
frühere Kampagnen für dasselbe Produkt. In der gleichen Arbeit finden sich
auch Ansätze zur Bestimmung der Funktionen selbstreferenzieller Werbung.
Selbstreferenz an Beispielen amerikanischer Populärkultur ist das Thema
von Dunnes Buch Metapop aus dem Jahr 1992. Dunne widmet jeweils ein
Kapitel der Selbstreferenz im Fernsehen, im Film, in der Rock- und CountryMusik, in Musikvideos sowie in Comics. Nur am Rande werden einzelne
Beispiele für selbstreferenzielle Werbung erwähnt (1992: 4-6). Metapop
verliert sich allerdings in der Erörterung zahlreicher Beispiele, welche für
Leser, die mit der amerikanischen Popkultur nicht vertraut sind, nicht immer
ganz einsichtig sind, und es fehlt an einer Fundierung des Konzepts der
Selbstreferenz. Dunnes Auffassung von der Selbstreferenz bleibt sehr
allgemein, und der Autor behandelt viele Beispiele als gleichrangige, nicht
weiter differenzierbare Formen der Selbstreferenz. So subsumiert Dunne
etwa Formen unter den Begriff der Selbstreferenz, die in der Text- und
Literaturwissenschaft unter Stichworten wie Metaliteratur, Metafiktion,
Metatexte und Metadramen wohl bekannt und seit langem erforscht sind (vgl.
Nünning 1998: 362-66).
Aus systemtheoretischer Perspektive stellt S. J. Schmidt (2007) in einem
neueren Aufsatz verschiedene Realisierungen von Selbstreferenz in der
Werbung vor, z. B. die Wiederverwertung bereits existierender Medientexte
in der Werbung, die reflexive Stabilisierung der Werbekommunikation in der
Form der Tautologie, die Werbung für Werbung sowie die Selbstthematisierung der Werbung als Werbung in den Werbebotschaften. Doch
auch das Werbesystem als solches beschreibt Schmidt als selbstreferenziell.
Dieser Gedanke ist bereits in Schmidt & Spieß (1994) erörtert. Die Autoren
greifen in ihrer Untersuchung von Fernsehwerbung aus der Sicht der
„Kreativen“ die Hypothese auf, dass Kultur zur Medienkultur geworden sei.
Um eine ästhetische Aura zu schaffen, müsse Werbung auf ein kollektives
Kulturwissen zurückgreifen, welches hauptsächlich durch die Medien selbst
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Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
geprägt sei. Die Werbe- und Medienlandschaft sei somit ein selbstreferenzielles System.
In Anlehnung an die Systemtheorie Luhmanns begreifen die
konstruktivistischen Medienwissenschaftler Schmidt & Spieß das Konzept
der Selbstreferenz in der Werbung systemtheoretisch und in Kategorien der
Ökonomie: Werbung sei ein Teilsystem des kapitalistischen Wirtschaftssystems, welches selbständig, selbstorganisierend und selbstbezüglich sei, da
es sich in ihm um Operationen durch Geldzahlungen handele:
Durch die Konzentration auf Zahlungen erreicht das Wirtschaftssystem
Selbständigkeit und Selbstbezüglichkeit, denn Zahlungen und Nichtzahlungen
beziehen sich auf andere Zahlungen und Nichtzahlungen, also auf Geld, das
besessen, erworben und ausgegeben werden muss. (Schmidt & Spieß 1994: 13)
Auch die Werbewirtschaft sei in diesem Sinne selbstreferenziell, da es auch
hier um Zahlungen für Leistungen aufgrund von Bedürfnissen gehe, die
wesentlich durch die Wirtschaft mitbestimmt seien (vgl. auch Zurstiege 2002:
154f.). Die Aufgabe der Kommunikation dieser Bedürfnisse wird durch die
Massenmedien erfüllt. Während Schmidt Werbung als Teil des Wirtschaftssystems begreift, stellt sie für Luhmann (1996) dasjenige Subsystem der
Massenmedien dar, das am engsten mit dem Wirtschaftssystem verbunden
ist.4 Grundlegend für Luhmann (1996: 36) ist dabei die Unterscheidung von
Information und Nicht-Information (vgl. auch Zurstiege 2002: 152-154).
Schmidt & Spieß (1994) stellen ferner eine zunehmende Ästhetisierung
der Werbung fest, die sie als ein Symptom der Selbstreferenzialität
betrachten. Der Werbung gehe es immer mehr darum, dem umworbenen
Produkt eine emotionale Aura zu verleihen, damit es sich im Kampf um
Aufmerksamkeit im Kontext der Produkt- und Medienvielfalt gegenüber
anderen Produkten abheben kann. Bei der neueren Fernsehwerbung liege der
Fokus daher primär auf der (unter Umständen ästhetischen) Rezeption des
Spots selbst und nicht mehr in erster Linie darauf, die Konsumenten nach der
Rezeption der Werbebotschaft zum Kauf der Produkte zu veranlassen. Durch
die Ästhetisierung in der Werbung entstehen allerdings neue Widersprüchlichkeiten, so Schmidt & Spieß (1994: 31, 133). Im Gegensatz zu
Kunstwerken, die rein selbstbezüglich sein können, müssten sich Werbespots
erkennbar auf die beworbenen Produkte und Leistungen beziehen lassen,
sonst entstehe ein Paradox:
Da bemühen sich die Werbespots zunehmend um höhere ästhetische
Anmutungsqualität, um durch Innovation aufzufallen, und zugleich nivellieren sie
4
Die anderen zwei Programmbereiche des Systems der Massenmedien sind nach Luhmann
(1996) die Nachrichten und Berichte, die strukturell mit dem politischen System verbunden sind,
sowie die Unterhaltung, die an das Kunstsystem gekoppelt ist.
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1 Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
das Beworbene zur Belanglosigkeit, das bestenfalls noch mit-assoziiert wird.
(Schmidt & Spieß 1994: 133)
Den Trend zur Ästhetisierung der Werbung haben auch Kloepfer &
Landbeck (1991) beschrieben. Die Autoren sprechen von einem engen
Zusammenhang zwischen der Polyvalenz und Polyfunktionalität der Zeichen
in der Werbung und ihrer Ästhetisierung. Die ästhetische Dimension des
Zeichens sei einerseits Voraussetzung einer verstärkten Selbstbezüglichkeit
(eines „ästhetischen Selbstverweises“; ibid.: 82) und andererseits eine Form
der Beteiligung der Rezipienten an der Werbekommunikation. Den
ästhetischen Selbstverweis definieren die Autoren wie folgt:
Der ästhetische Selbstverweis kann entsprechend dazu gebraucht werden, dass dem
Empfänger nicht nur mehr an der Botschaft auffällt […], sondern dass ihn dies
Mehr gleichzeitig in seinen verschiedenen Vermögen anspricht, z. B. in seinem
Wahrnehmungs- oder seinem Vorstellungsvermögen bzw. in seiner Fähigkeit,
mehr von dieser Botschaft wissen zu wollen. (Kloepfer & Landbeck 1991: 82)
Die Eigenbeteiligung der Werbeadressaten führe zu „einer besonderen Form
von Nützlichkeit“ des Werbetextes, der sich in einer Art „Genuss“ oder
„Wohlgefallen“ äußere (ibid.: 85). In diesem Zusammenhang plädiert
Kloepfer (1986; 1990; 1991) dafür, die Beschreibung von semiotischen
Prozessen in der Werbung insbesondere um die zeichengesteuerte Beteiligung der Rezipienten zu erweitern. Als analytisches Konzept führt er hierzu
den Begriff der Sympraxis ein.
Auch bei Stöckl (1997), der in seinen Analysen englischsprachiger
Anzeigenwerbung unter anderem eine zunehmende Ästhetisierung und
Poetisierung der Werbetexte beschreibt, ist die Beteiligung der Rezipienten
bei der Dekodierung von Werbebotschaften Resultat einer erhöhten Selbstbezüglichkeit der Werbung. Die aktive Beteiligung der Rezipienten werde
hervorgerufen, „wenn Werbetexte die poetische Kommunikationsform der
Sprache verstärkt nutzen oder gar thematisieren“, so Stöckl (1997: 86f.).
Durch diesen Ästhetisierungsprozess würden die einzelnen Zeichen eines
Werbetextes polyfunktional und in verstärktem Maße selbstbezüglich. Im
Zusammenhang mit dem daraus resultierenden „sympraktischen“ Element
der modernen Werbekommunikate (im Sinne Kloepfers) sei, so Stöckl, auch
die These von der Manipulation durch Werbung zu bedenken, „denn wer
aktiv an der Semiose beteiligt ist und dabei ein gewisses Lust- und Spaßempfinden hat, ist sich darüber bewusst, was mit ihm ‚gespielt’ wird, ist
daher also nur begrenzt manipulierbar“ (1997: 87).5
5
Luhmann (1996: 86) meint, die Werbung leiste allenfalls „Beihilfe zur Selbsttäuschung des
Adressaten“.
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Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
Die erörterten Untersuchungen liefern interessante Anknüpfungspunkte
und Vorarbeiten zur Untersuchung verschiedener Aspekte der Selbstreferenz
in der Werbung, zumeist wird das eigentliche Thema der Selbstreferenz
jedoch eher am Rande behandelt. Eine theoretische Verortung fehlt. Bislang
existiert kein kohärentes Gesamtmodell zur Analyse der vielen Formen der
Selbstreferenz in der Werbung. Insbesondere fehlt es an der semiotischen
Fundierung des eminent semiotischen Begriffes der Selbstreferenz. Dies zeigt
sich schon ganz allgemein in einer teils divergierenden, teils synonymen
Begriffsverwendung, von der alle Forschungsdisziplinen betroffen sind:
Selbstreferenz, Selbstthematisierung, Autoreferenzialität, Reflexivität oder
Rückbezüglichkeit sind nur einige Begriffe, die in den einschlägigen
Arbeiten zu finden sind. Scheutz hält generell fest:
Gegenwärtig [kursiert] in der scientific community eine derartige Vielzahl an
unterschiedlichen ‚Bedeutungen’ von ‚Selbstreferenz’, dass sogar der Insider
immer häufiger ob der einen oder anderen Interpretation ins Grübeln gerät.
(Scheutz 1995: vii)
Auch Wolf (2001: 50) meint, dass „ein zum Teil unüberschaubar wirkendes
Dickicht zur Benennung von unsystematisch neben- und durcheinander
erforschten Phänomenen“ entstanden sei.
Selbstreferenz im weiteren Sinn wird darüber hinaus auch unter ganz
anderen Bezeichnungen thematisiert, etwa als Intertextualität oder Intermedialität. Dies ist zum Beispiel bei Janich (1997; 2003: 174) der Fall. Die
Autorin greift in diesen Kontexten Beispiele auf, in denen sich Werbung auf
Werbung bezieht. Ihren Beitrag zur „Werbung, die mit Werbung Werbung
macht“ (1997) erörtert sie unter dem Begriff der Intertextualität, welche als
eine Form von Selbstreferenz in der Werbung angesehen werden kann (vgl.
2.2.6), denn schließlich handelt es sich beim Bezug von Werbung auf
vorausgehende Werbung um Referenzen auf Gleiches. Einen Beitrag zur
Intertextualitätsforschung in der Printwerbung hat auch Opiáowski (2006) mit
seiner Dissertation vorgelegt. Aus linguistisch-semiotischer Forschungsperspektive entwickelt der Autor eine umfangreiche Taxonomie intertextueller
Strategien in der Werbung, die sich auf intendierte und markierte
Beziehungen zwischen Werbung und anderen Textsorten (z. B. literarische
Texte, Gemälde, Landkarten, Geldscheine usw.) beschränkt. Er identifiziert
zwei Hauptkategorien der Intertextualität, nämlich die typologische und die
thematische Intertextualität (2006: 145-196 bzw. 197-274). Im ersten Typ
sind die Beziehungen zwischen dem Folgetext Werbung und anderen
Textsorten erfasst. Formen der Intertextualität in dieser Kategorie sind zum
Beispiel Textmustermontagen und Textmustermischungen. Die thematische
Intertextualität umfasst hingegen inhaltliche Bezüge eines Textes auf einen
anderen Text, etwa in der Form von Zitaten und Anspielungen oder Meta23
Nina Bishara, Selbstreferenzielle Werbung
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1 Werbung zwischen Selbst- und Fremdreferenz
kommentaren. Eine Subkategorie ist nach Opiáowski die typologischthematische Intertextualität als Verbindung der beiden Haupttypen (2006:
275-342). Des Weiteren betrachtet Opiáowski die Perspektive auf den
referierten Text, die entweder synchron oder diachron gestaltet sein kann,
sowie die Perspektive auf den Ort des referierten Textes, etwa extern beim
Zitat oder intern bei der metakommunikativen Intertextualität (2006: 35f.).
Die Kategorisierung intertextueller Strategien in der Werbung durch
Opiáowski stellt die Formenvielfalt intertextueller Bezüge in der Werbekommunikation dar. Die Erörterungen umfassen jedoch nicht den Aspekt der
Selbstreferenzialität dieser Bezüge. Implizit scheint der Autor sogar von
primär fremdreferenziellen Bezügen auszugehen, wenn er feststellt, dass
jeder Typ und jede Form von Intertextualität per se „referenziell“ sei
(2006: 35).
Im Kontext von Themen wie Intertextualität, Textmustermischungen und
Ästhetisierung von Werbetexten befassen sich unter anderem auch Fix (1997;
2001) und Schwarz-Friesel (2003) mit Formen der Werbung, die als selbstreferenziell bezeichnet werden können. Schwarz-Friesel geht dabei auch auf
die kommunikativen und kognitiven Funktionen der intertextuellen Verweise
in der Werbung ein.
Mit Formen, die in der vorliegenden Arbeit als Selbstreferenz definiert
sind, befassen sich Böhn & Vogel (1999) unter der Überschrift „Formzitate
in der Werbung“. Hier geht es um diverse intertextuelle und intermediale
Bezüge zwischen Werbung, anderen Textarten und Medien sowie um deren
Gestaltungs- und Rezeptionsweisen. Die Autoren unterscheiden fünf
Varianten des Formzitats in der Werbung: (1.) die einfache Imitation
bekannter Formate mit dem Ziel, vertraute Welten und Emotionen zu
wecken, (2.) Verstellung und Mimikry (z. B. Werbung getarnt als
Unterhaltungsprogramm) zur Begegnung von Reaktanz, (3.) Parodien des
medialen Umfelds, um eine konspirative Nähe zum Zuschauer zu schaffen,
(4.) reflexive Demontagen in der Form kritischer oder lächerlicher
Kommentare in der Werbung über Werbung, um die Sympathie der
Rezipienten zu gewinnen, sowie schließlich (5.) das freie Spiel mit abstrakten
kulturellen Mustern, die insbesondere der intellektuellen Stimulation dienen.
Im Kontext der Intertextualitäts- und Intermedialitätsforschung haben auch
die Beziehungen zwischen Werbung und Film in der Forschung besondere
Aufmerksamkeit gefunden. So untersucht beispielsweise Keitz (1992)
Formen der Adaption und Funktionalisierung von Spielfilmcodes in neueren
Werbefilmen, die sie als intertextuelle Verweise kategorisiert. In zahlreichen
Arbeiten hat sich Withalm (2002; 2003a; 2003b; 2004) teils unter Bezugnahme zur Intertextualitätsforschung und teils in Anlehnung an die Selbstreferenz ebenfalls mit der Tatsache beschäftigt, dass sich Werbung der
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1.1 Selbstreferenz in der Werbung: ein semiotisches Paradox?
gesamten Filmgeschichte bedient und Szenen und Figuren etwa aus aktuellen
Kinofilmen durch die Werbung immer häufiger wiederverwertet werden.
Diesen Trend führt sie unter anderem auf die Entwicklung der digitalen Filmtechnik zurück, die es ermögliche, beispielsweise mittels Montage alte Filmszenen in den Werbespots neu zu integrieren. Zudem, so Withalm (2002:
233), weisen Werbefilme weitere Elemente des Selbstreferenziellen auf, denn
sie zeigten in ihren dreißig bis sechzig Sekunden der Mini-Narration sowohl
Aspekte der Produktion als auch solche der Rezeption, und sie thematisierten
Mittel der Ästhetik und der Erzählweisen des Films.
Viel Beachtung hat auch die intermediale Bezugnahme von Werbung auf
Werke der bildenden Künste gefunden. Der Aspekt der Selbstreferenz dieser
intermedialen Bezüge wurde allerdings in diesen Zusammenhängen noch
nicht erörtert. Kunstzitate in der Werbung sind zum Beispiel das Thema einer
Begleitpublikation von Geese & Kimpel (1982) zur Ausstellung „Kunst im
Rahmen der Werbung“, die 1982 in Kassel gezeigt wurde. Auch Nöth
(1987b) beschreibt den Einsatz von Kunstwerken als Mittel der Werbung.
Dabei kann die Relation zwischen Kunstwerk und Produkt ikonischer Natur
sein, nämlich dann, wenn durch verbale oder visuelle Hinweise im Werbetext
eine Ähnlichkeit zwischen Kunstwerk und Produkt behauptet wird. Ferner
kann das zitierte Kunstwerk als Index zwecks positiver Merkmalsübertragung
fungieren (1987b: 59f.). Von Interesse ist auch die Dissertation von
Bickelhaupt (2005), dessen Arbeit eine qualitative Inhaltsanalyse ist, in der
ein komplexes Kategoriensystem für die Bezüge zwischen Werbung und
Kunst entwickelt und anhand zahlreicher Beispiele belegt wird.
Nur am Rande befassen sich schließlich auch Willems & Kautt (2003) mit
selbstreferenzieller Werbung. Obgleich sie selbstreferenzielle Werbung nicht
weiter differenzieren und nur von „Selbstreferenzen auf den eigenen
Rahmen“ (2003: 114) im Sinne einer kommunikativen oder enunziativen
Selbstreferenz (vgl. 2.2.6) ausgehen, identifizieren sie diese Form als eine
von insgesamt achtzehn Strategien der Glaubwürdigkeitssteigerung in der
Werbung (2003: 106-115). Die Selbstthematisierung der Werbung sei die
Reaktion auf ihre eigene Unglaubwürdigkeit, so die Autoren. Sie sei „eine
Art Stigmamanagement durch direkt oder indirekt demonstrative Offenlegung ihres Rahmens“ (2003: 114).
Dieser Überblick zum Stand der Forschung zum Thema der Selbstreferenz
in der Werbung verdeutlicht, dass Selbstreferenz in der Werbung zum Teil
bislang vielfach unter anderen Themen und Begrifflichkeiten von einer Vielzahl an Einzeldisziplinen isoliert voneinander behandelt worden ist.
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