Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier

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Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier')
Von
W. FREI
Mit 6 Abbildungen im Text
I. Die Virusarten
Als Erreger von sehr zahlreichen und wichtigen Krankheiten der Pflanzen
und der Tiere beanspruchen die Virusarten (einschliesslich die Bakteriophagen) ein hohes praktisches, als Gebilde, welche im Grenzgebiet zwischen
belebt und unbelebt, zwischen zellig und nicht-zellig stehen und die Diskussion über das Wesen des Lebens und über die Frage nach der letzten
Lebenseinheit wieder angefacht und scheinbar Feststehendes glücklicherweise ins Wanken gebracht haben, ein nicht geringes biologisch-wissenschaftliches Interesse.
Grösse der Virusteilchen
Die Virusarten liegen in dem Grössenbereich von den kleinsten Bakterien, den Kokken, mit einem Durchmesser von etwa 0,5 μ (= 500 m,μ)
an abwärts bis zu dem etwa 4 m,u grossen Albuminmolekül. Die Bestimmung
der Grösse geschieht teilweise durch Filtration bzw. Unterfiltration durch
Kolloidfilter, durch Ultraviolett-Photographie, durch die Ultrazentrifuge und
neuerdings durch das Elektronenmikroskop. Die grössten, bakteriendichte
Filter passierenden, aber noch sichtbaren Virusarten sind wahrscheinlich
noch als Zellen zu betrachten, wie etwa die Rickettsien, die Erreger der
Lungenseuche (Pleuropneumonie) und der Agalaktie des Rindes, während
die kleinsten Viren, z. B. der Erreger der Maul- und Klauenseuche, infolge
ihrer Kleinheit keine Zellen mehr sein können. Das Elektronenmikroskop,
welches Teilchen von etwa 5 mµ Durchmesser noch erfasst, wird uns über
genaue Grösse und insbesondere über die Gestalt auch der kleinsten Virusarten noch Auskunft geben können (vgl. Abb. 1). Mit den Untersuchungen
von STANLEY, welcher 1935 mit Hilfe der Ultrazentrifuge nachwies, dass
das Virus der Tabakmosaikkrankheit ein Einzelmolekül mit dem Molekulargewicht 30 Millionen ist (am Anfang wurde 17 Millionen angenommen),
hat eine neue Aera in der Virusforschung begonnen.
Seither sind verschiedene virusartige Erreger durch die Ultrazentrifuge
und andere Methoden chemisch rein dargestellt worden, nämlich ausser
demjenigen der Tabakmosaikkrankheit das Virus der latenten Tabakmosaik1) Vortrag in der N.G.Z. am 25. Januar 1943.
VierteIjahrsschrift d. Naturf. Ges. Zürich. Jahrg. 88. 1943.
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Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric.
1943
krankheit, der Tabaknekrose, der Luzernemosaikkrankheit, von Gurkenund Kartoffelkrankheiten, die Viren der amerikanischen Pferdeencephalomyelitis, des Gelbfiebers des Menschen, des Shopeschen Kaninchenpapilloms, des Hühnertumors I, der Hühnerleukose und der Gelbsucht der Seidenraupen. Alle diese Virusarten, soweit sie chemisch untersucht wurden, haben
sich als Nukleoproteide erwiesen, also aus demselben Material bestehend,
wie die Chromatinkörper des Zellkerns und die darin enthaltenen Gene.
Diese Tatsache deutet schon, phylogenetisch gesprochen, , auf ein gewisses
Entwicklungsniveau hin, verglichen mit einfacheren Eiweisskörpern, besonders mit dem Albuminmolekül vom Molekulargewicht 36,000 (Svedbergeinheit). Die tierpathogenen Viren scheinen mit Lipoiden vergesellschaftet,
deren Bindungsart und unbedingt notwendige Zugehörigkeit zum Virusnukleoproteid aber anscheinend noch nicht sicher steht.
Abb. 1
Molluscum contagiosum
Elektronenoptisch 13000:1
(Ruska)
Über die nach verschiedenen Methoden bestimmten Grössenverhältnisse
einiger Virusarten orientiert die folgende Zusammenstellung:2)
Tabelle 1 Grdsse der Virusteilchen
Virus:
Coccus
Psittakose (Papagei, Mensch)
Vaccine
Rickettslen, verschied. Tierarten
Agalaktie, Ziege
Lungenseuche des Rindes
Menschenpocken
Schafpocken
Kaninchenfibrom
2)
Meist nach W. M.
STANLEY.
Grösse my
GestaIt
Kugel
500
250-300
Kugel
236
300
200
150-200 vielgestaltig
Kugel
150-180
170
150
MoIekuIargewicht
Jahrg. 88.
W. FREI. Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier. Virus:
Lymphogranuloma ing., Mensch
Ektromelie, Maus
Herpes, Mensch
Tollwut, verschied. Tierarten
Pseudolyssa (Aujeszky), versch. Tierarten
Borna'sche Kr., Pferd
Grippe, Mensch
Geflügelpest
Rous-Sarkom, Huhn
Hü hnertumor I
Bakteriophagen, Typhus (105)
Bakteriophagen, Coli, Staphylokokken
Choriomeningitis, Maus
Kaninchenpapillom
Encephalomyeltis, Pferd
Rifttalfieber, Rind
Bushystunt, Tomate
Hämocyanin (Helix).
Gelbfieber, Mensch
Louping ill, Schaf
Tabakringfleckenkr.,
Maul- und Klauenseuche, Rind u. a.
Poliomyelitis, Mensch
Tabakmosaikkrankheit
Latentmosaikkrankheit, Tabak
Gene
Hämocanynin (Busycon)
Hämoglobin (Pferd)
Eieralbumin
Grösse mµ
150
125-135
125-160
125
125
100-125
90-100
75-88
65-75
70
65-75
60-70
37-60
30-4
30-35
30
27,4
23-24
22
17-23
19
10-20
10-12
15X330
10X400
20X120
13X59
0,8X26
0,6Xl,8
Gestalt
115
MoIekuIargewicht
Kugel
Kugel
139 Mill.
„
„
5)
26
Mill.
„
Kugel
8,3 Mill.
Kugel
3,4 Mill.
Stäbchen
I)
30 Mill.
Mill.
n
„
„
„
6,7 Mill.
69000
36000
Grössere Virusarten (bis etwa 0,2 μ) sind mikroskopisch sichtbar, z. T.
auch färbbar (Pocken, Herpes, Zoster, Molluscum contagiosum, Ektromelie,
Lungenseuche, Rickettsien, Kaninchenmyxom u. a.). Man findet sie im Plasma der Wirtszellen. Darüber hinaus findet man teils im Cytoplasma, teils
im Zellkern bei einer Anzahl von Viruskrankheiten sog. E i n s c h 1 u s sk ö r p e r c h e n , deren Natur noch nicht ganz klar ist. Teils sind sie aus
Erregern (Elementarkörperchen) und Zellmaterial zusammengesetzt, teils
mögen sie auch Reaktionsprodukte der Zelle, also pathologisch-morphologische Veränderungen sein.
Die Vermehrung der Virusarten
Die grösseren Virusarten, welche wir noch als Zellen betrachten können,
vermehren sich wohl — wie andere Zellen, z. B. Bakterien — durch Teilung.
Mit dieser «Erklärung» ist dieses Problem einfach auf ein anderes Feld
verschoben. Bei den kleineren Virusarten wird autokatalytische Vermeh-
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Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric.
1943
rung angenommen, ein im Anorganischen, wie Organischen vorkommender
Prozess, darin bestehend, dass eine Spur einer Substanz A eine grosse
Menge einer andern Substanz B (Vorstufe) katalytisch in A umwandelt
(z. B. verwandelt ein Spur Trypsin eine Menge Protrypsin in Trypsin
(NORTHROP). Die Vorstufen oder Bausteine der Virusarten sind unbekannt.
(Bei der Tabakpflanze nimmt nach der Infektion mit dem Virus der Mosaikkrankheit der Eiweissgehalt der Blätter im selben Masse ab, wie die Menge
des Viruseiweisses ansteigt.) Es müssen normale oder aber abnorme Bestandteile oder Produkte lebender Gewebe sein, Eiweissmoleküle oder tief ere Stufen, welche durch das in den Organismus eingedrungene (infizierende) kleine Virusquantum in eine grössere Virusmenge umgewandelt
werden, welche durch Veränderungen (Schädigungen) der Gewebe die
Krankheit erzeugt. Das <Provirus> oder das irgendwie geartete Virusbaumaterial findet sich teils nur in einem oder einzelnen, teils in mehreren
oder allen Organen gewisser Tierarten und ist die Ursache der Empfänglichkeit und z. T. des Organotropismus der Viren. Fehlen der Bausteine oder
der Vorstufen bedeutet Unempfänglichkeit der Tierart.
Züchtung im Glas. Die allgemeine Erfahrung ist bis jetzt die,
dass die Virusarten sich auch nicht in den raffiniertesten Bakteriennährböden der Laboratorien züchten lassen, sondern nur in Gesellschaft mit
lebenden oder bis vor kurzem lebend gewesenen Zellen, die Bakteriophagen, (welche man als pathogene Virusarten für die Bakterien betrachten
kann), nur in Gesellschaft gewisser Bakterienarten, die tierpathogenen
Virusarten in Gewebsexplantaten oder auf lebendem Embryonalgewebe und
im infizierten Körper. Damit ist nicht gesagt, dass die Virusvermehrung nur
intrazellulär stattfinden könne, noch dass die pathologischen Gewebsveränderungen immer und nur am Vermehrungsort entstehen müssten. Merkwürdigerweise kann man im Embryo oder im Explantat Virusarten auf
einem Gewebe züchten, in welchem sie in natura, d. h. im infizierten, lebenden Organismus nicht gedeihen. Im besonderen ist aber interessant die Möglichkeit der Vermehrung von verschiedenen Virusarten, welche für Hühner
nicht pathogen sind, auf der Chorioallantois des bebrüteten Hühnereies,
nämlich der Erreger der Menschen- und Schafpocken, der Masern, des Herpes, Lymphogranuloma inguinale, des Gelbfiebers, des Rifttalfiebers, der
Encephalomyelitis des Pferdes, der Springkrankheit (Louping ill) der Schafe
und der Ektromelie der Mäuse, während die ebenfalls auf derselben Unterlage zuchtbaren Viren der Geflügelpocken, der Hühnerpest, der Laryngotracheitis der Hühner und der seuchenhaften Bronchitis der Kücken, der
Psittakose und des Roussarkoms des Huhnes sowie der Lyssa Hühner krank
machen. Der Hühnerembryo besitzt somit noch nicht alle für die Species
Huhn im ausgewachsenen Zustand charakteristischen Arteigentümlichkeiten. Möglicherweise handelt es sich hier um einen etwas anderen Atmungschemismus, indem nämlich der sich entwickelnde Hühnerembryo erst in
späteren Entwicklungsstadien Cytochrom bekommt und überhaupt bis zum
Ausschlüpf en wahrscheinlich mit sehr wenig Sauerstoff auskommen muss,
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also quasi anaerob lebt, seine Oxydationsprozesse also zum Typus der Gärungsoxydoreduktionen gehören.
Natur des Virus
Die allgemeine Auffassung von der Natur der Virusarten geht dahin, dass
sie autokatalytisch sich vermehrende, teilweise in Kristallform herstellbare
(z. B. Tabakmosaikvirus und die Erreger ähnlicher Pflanzenkrankheiten
u. a.) Moleküle oder Molekülaggregate sind. Entstehe das Virusmolekül aus
einfachen Bausteinen oder grösseren Molekülen, so ist doch sicher, dass
die Eiweissynthese der Energiezufuhr bedarf. In der Zelle wird die für
diesen Prozess und die allfällig damit verbundene Zellteilung erforderliche
Energie geliefert durch Oxydationen mit (aerob) oder ohne (anaerob) Sauerstoff als H2-Acceptor, d. h. durch Atmung oder Gärung. Die zur Mobilisierung
des Wassertoffs notwendigen Enzyme, die D e h y d r a s en, sind infolgedessen die primären und allerwichtigsten Oxydationsenzyme aller Zellen, gleichgültig ob der Transport des Wasserstoffes zu einem geeigneten
Schlussacceptor direkt oder durch Vermittlung von Cytochrom, von Flavoproteinen oder von anderen Überträgersubstanzen geschieht. Eine Zelle kann
demnach definiert werden als ein nach bestimmten Regeln aus Eiweiss(Wasser- und Salz-, evtl. Lipoid- und Polysaccharid-)Molekülen bestimmter
Natur aufgebautes, zufolge Besitzes von Dehydrasen energetisch autonomes
Gebilde von ziemlich (art-) konstanter Grösse. Wir können uns aber Gebilde denken, welche aus einer kleineren und nicht immer gleichen Anzahl
von Eiweissmolekülen bestehende und mit Dehydrasen ausgestattete Gemische sind («Präprotoplasma»). Wenn das Virus ein Einzelmolekül ist
oder ein Konglomerat gleicher Einzelmoleküle mit Lipoiden oder Polysacchariden, kann es keine Dehydrasen enthalten (wenn die Virusmoleküle
nicht selber Dehydrasenbau besitzen). Hiermit übereinstimmend ist die
Tatsache, dass die Virusarten nur in Gesellschaft lebender Zellen sich vermehren. Die autokatalytische Proliferation bezieht also die für die Eiweisssynthese erforderliche Energie aus den Donatoren und der Funktion von
Dehydrasen der Ammenzellen. Das Virus ist also ein richtiger Parasit.
Nach diesen Auseinandersetzungen würde der U n t er s c h i e d z w is c h en Virus und Z e 11 e in folgendem bestehen:
Das Virus ist in Nukleoproteid oder eine Verbindung von Nukleoproteiden mit Lipoiden, möglicherweise auch mit Polysacchariden. Es ist ein
einzelnes Molekül. Die grösseren Virusarten sind Agglomerate von mehreren
oder einer grösseren Zahl solcher Moleküle. Diese Moleküle und Agglomerate besitzen eine für jede Virusart charakteristische chemische Struktur
und Grösse. Durch Verschiebungen der pH-Zahl. und andere Eingriffe können gewisse Änderungen des chemischen Baues und der Molekülgrösse
entstehen, wobei Pathogenität oder Antigenität oder nur die erstere reversibel oder irreversibel zum Verschwinden gebracht werden. Die grösseren
Agglomerate kommen bis in den Bereich der mikroskopischen Sichtbarkeit,
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wie z. B. die Rickettsien, die Erreger der Agalaktie und der Lungenseuche,
sowie die Elementarkörperchen der Pocken, und sind vermutlich als Zellen
(s. u.) zu betrachten. Der Erreger der Lungenseuche des Rindes erscheint
sehr verschieden gross und verschieden gestaltet als allerkleinste Pünktchen oder grössere, kugelige, birnförmige oder fädige Gebilde. Ähnlich sind
die von K. v. NEERGAARD im Menschenblut gefundenen Körperchen. Die Zahl
und Anordnung der Einzeleiweissmoleküle wäre hier also wechselnd, während Bakterienzellen, Rickettsien, Tabakmosaikvirus und die elektronenmikroskopisch dargestellten Bakteriophagen punkto Grösse und Form eine
bemerkenswerte Konstanz aufweisen.
Eine Zelle ist ein Gebilde von artmässig ziemlich gleicher Grösse, nicht
immer aber von derselben Form (Amöben, Leukozyten, Bindegewebszellen
in der Kultur), wobei das Chromatinmaterial, wie das in manchen Bakterienarten der Fall ist, noch nicht in Gestalt eines Zellkernes angeordnet sein
muss. Hingegen können wir als morphologisches Kriterium das Vorhandensein einer besonderen Eiweissaussenschicht (Membran) mit selektiver Permeabilität annehmen. Insbesondere aber ist die Zelle autonom hinsichtlich
ihrer Dehydrasen. Mit Bezug auf Wasserstoffacceptoren muss sie nicht unbedingt auf Sauerstoff angewiesen sein, denn es gibt bekanntlich anaerobe
Einzeller (Bakterien) und Vielzeller (z. B. Spulwürmer). Die für die Oxydation notwendigen Donatoren bezieht die Zelle aus der Umgebung oder
bildet sie in ihrem Innern (z. B. Aminosäuren durch Abbau von Eiweiss).
Oxydationsprozesse irgendwelcher Art scheinen bei den Virusarten bis jetzt
nicht nachgewiesen, ebensowenig Kohlensäureproduktion. (Hingegen können Viren wohl in die Oxydationen und andere Stoffwechselvorgänge von
Zellen und Geweben eingreifen.) Bezüglich der Eiweissynthese unterscheiden
sich Virus und Zelle vielleicht nicht voneinander: es entsteht autokatalytisch.
Das Studium der Virusarten führt uns also in das G r e n z g e b i e t zwischen 1 e b e nd i g und nicht lebendig, zwischen zellig und nicht zellig und lässt die Frage
nach der Zelle als l e t z t er Lebenseinheit wieder erstehen. Wenn wir einen
Menschen mit einem Kieselstein vergleichen, scheint der Unterschied zwischen lebendig
und tot ganz klar. Vergleichen wir aber eine Bakterienzelle mit einem Virusmolekül, so
ist der Unterschied offenbar sehr gering. Von den Bakterienzellen ohne Zellkern, aber
mit Chromatinsubstanzen, also Nukleoproteiden, bilden die grösseren (noch zelligen) und
kleineren (nicht mehr zelligen) Virusarten allmählige irbergänge zu den kleinsten Virusarten (von 10-20 my Durchmesser). Wenn auch die bis heute chemisch erforschten Virusarten Nukleoproteide sind, so lassen sie sich doch wohl kaum, zumal sie sich auch autokatalytisch vermehren, scharf abgrenzen gegen das Albuminmolekül (Atomgewicht
36,000, Durchmesser etwa 4mµ), welches nach SVEDBERG in einfachen Vielfachen (Svedbergeinheit) der Baustein vieler komplizierter Eiweisskörper ist. Autokatalytische Vermehrungen gibt es auch bei ganz einfachen organischen Verbindungen (Kondensation
von Formaldehyd), sowie im Anorganischen. Einen Stoffwechsel hat auch das Enzym
allein, indem es eine Substanz, das Substrat annimmt, dasselbe chemisch umwandelt und
die Produkte wieder loslässt. Und wenn schliesslich als Kriterium des Lebenden die
«Ganzheit» hervorgehoben wird, das Ganze sei etwas Neues und mehr als die Summe
der Komponenten, so gilt das in höchstem Masse für das Molekül H2 0, das sicher viel
mehr und etwas ganz anderes ist als seine Bestandteile erwarten lassen. Mit einer gewissen Berechtigung, aber auch mit einer gewissen Willkür lässt sich die Zelle morpho-
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logisch und physikalisch-chemisch (ein Gebilde mit besonderer Eiweissaussenschicht,
Membran), und chemisch-energetisch (insofern sie eigene Dehydrasen besitzt, welche
durch Oxydation die für die Eiweissynthese nötige Energie beschaffen), als eine in sich
abgeschlossene Lebenseinheit betrachten. Lebensprozesse zeigen aber auch die Virusarten, welche morphologisch und chemisch Abstufungen bilden von den Zellen zu den
Einzeleiweissmolekülen. Das wesentliche des Lebens aber ist die enzymatische Fähigkeit,
welche sich auch beim nicht organisierten Organischen und beim Anorganischen findet.
II. Viruskrankheiten
Die Virusarten sind pathogen und antigen, d. h. sie erzeugen Krankheiten
und Immunität. Zwischen der Krankheitsentstehung durch Viren und der
durch Bakterien oder Protozoen besteht kein prinzipieller Unterschied. Das
Virus ist ein pathogenes, d. h. gewisse Gewebszellen schädigendes Molekül
oder Molekülaggregat. In den Bakterien und Protozoen sind es wiederum
ganz bestimmte, giftige Moleküle (Toxine), anscheinend Eiweisskörper
oder Eiweiss-Polysaccharid- oder Eiweiss-Lipoidverbindungen, welche entweder von der lebenden Parasitenzelle abgegeben werden oder aus derselben erst nach ihrem Tod und nach ihrer Auflösung frei werden (Endotoxine im weiteren Sinne). Ob die die pathologischen Veränderungen
hervorrufenden Moleküle bei allen Viruskrankheiten mit dem Originalvirusteilchen identisch sind, ist wohl kaum anzunehmen. Wahrscheinlich
sind die kleineren Viren zugleich die toxisch wirksamen Moleküle, während
bei einigen grösseren (z. B. Pocken) Derivate, Umwandlungsprodukte oder
Bruchstücke das letztlich wirksame Agens sein mögen.
Infektionsmodus und Pathogenese
Die Viren verlassen den Organismus mit Krankheitsprodukten, Sekreten
und Exkreten. Als Infektionspforten dienen die natürlichen Körperöffnungen oder Verletzungen.
Per os werden aufgenommen: die Erreger des Katarrhalfiebers, der Maul- und Klauenseuche, Rinderpest, Pferdeanämie, Rotlaufseuche des Pferdes, Agalaktie, Pseudolyssa,
Schweinepest, Techener Schweinelähmung, Stomatitis vesicularis, Menschengrippe; durch
Nase und Rachenraum, d. h. z. T. als Staub oder als Spritztröpfchen: Rinderpest, Lungenseuche, Borna'sche Krankheit, Teschener Schweinelähmung, seuchenhafter Husten von
Pferd und Rind, Schweinepest, Psittakose, Schweineinfluenza und Ferkelgrippe, Menschengrippe, Encephalitis epidemica des Menschen, Poliomyelitis, Pocken, Masern; durch
Hautwunden: Lyssa, Pseudolyssa, Pocken; durch Hautstiche von Arthropoden: amerikanische Encephalomyelitis des Pferdes, Pferdesterbe, Herzwasser von Rind und Schaf,
Nairobikrankheit, Springkrankheit der Schafe, Schweinepocken (Schweinelaus), Geflügelpocken, heim Menschen Flecktyphus, Denguefieber, Pappataci (diese Viren müssen
sich natürlich im Blut finden, gelangen durch den Stich bzw. Biss wieder ins Blut) ; durch
den Coitus: Exanthema coitale, Geflügelpest.
Nach dem Eintritt in den Organismus gibt es für das Virus (wie für Bakterien) folgende Möglichkeiten: Es vermehrt sich an Ort und Stelle und ver-
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ursacht Lokalveränderungen, z. B. Pocken, Pockendiphtherie und Laryngotracheitis des Geflügels. Oder das Virus geht ins Blut (Virämie), bleibt dort
für einige Zeit, geht aber alsdann in gewisse Organe, wo es Veränderungen
verursacht, während das Blut frei bleibt: Pocken, Maul- und Klauenseuche,
wahrscheinlich auch infektiöse Bronchitis von Rind und Pferd. Oder das
Virus bleibt im Blut und erzeugt hier Veränderungen, wie bei der Virusanämie des Pferdes, oder es bleibt im Blut, ohne dass dasselbe sich wesentlich änderte, oder es geht von hier in verschiedene Organe, in welchen Krankheitserscheinungen auftreten. Andere Viren gehen von der Eintrittspforte
auf dem Nervenwege in das Zentralnervensystem, das Tollwutvirus von der
Bißstelle aus, das Virus der Borna'schen Krankheit des Pferdes von der
Nasenschleimhaut aus durch den Riechnerven, dieses u. a. neurotrope Virusarten auch von der Mundhöhle aus via Trigeminus oder Glossopharyngeus.
Die empfänglichen Tierarten
sind dadurch ausgezeichnet, dass sie dem Virus die für seine Vermehrung
notwendigen Bedingungen punkto chemischer Zusammensetzung und physikalisch-chemischen Eigenschaften (pH, Redoxpotential) bieten, also für
Zellen die erforderlichen Nährstoffe (wie bei bakteriellen Infektionen), für
Moleküle und Molekülaggregate die für die autokatalytische Vermehrung
notwendigen Bausteine bzw. Vorstufen. Die natürliche Immunität einer
Tierart gegenüber einem Virus ist somit in erster Linie eine Folge der chemischen Zusammensetzung ihrer Gewebe, genauer der Gewebe, in welche
das Virus unter gewöhnlichen Ansteckungsbedingungen gelangen kann.
Daher kann die Zahl der infizierbaren Tierarten (das Infektiositätsspektrum, DOERR) durch künstliche Virusapplikation, z. B. Injektion ins Gehirn,
gelegentlich vergrössert werden. Das Verhältnis der natürlich erkrankenden
zu den künstlich infizierbaren Tierarten ist nach Virusarten verschieden,
wie die Tabelle 2 zeigt:
Tabelle 2 Zahl der natürlich und künstlich infizierbaren Tierarten
Viruskrankheit
Poliomyelitis (Mensch)
Epidem. Encephalitis (Mensch)
Lyssa (Tollwut)
Borna'sche Krankh. (Pferd)
Louping ill (Springkr. Schaf)
Meerschweinchenlähme
Teschener Schweinelähme
Pseudolyssa (Aujeszkysche Kr.)
Herpes (Mensch)
Maul- und Klauenseuche
Masern
infizierbare Tierarten
natürIich
künstIich
totaI
1 (2,3?)
1
ca. 20
3
2
1
1
5
1
16
1
2
6
2
6
8
1
5
13
12
5
3
3-4
7
ca. 22
9
10
2
6
18
13
21
4
Jahrg. 88.
W. FREI. Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier.
Viruskrankheit
Epid. Influenza (Mensch)
Schweineinfluenza
Lungenseuche (Rind)
Brustseuche (Pferd)
Gelbfieber (Mensch)
Rinderpest
Katarrhalfieber (Rind)
Hundestaupe
Hühnerpest
natürlich
1 (2)
2
5
1(2?)
1
10
6
3
6
infizierhare Tierarten
künstlich
9
3
2
9
1
6 (8)
7
121
totaI
10-11
5
7
1-2
10
10
7
9-11
13
Die Zahl der Viruskrankheiten ist ungefähr: Mensch 32, Rind 17, Schaf 19,
Ziege 7, Schwein 12, Equiden 19 (wenn die verschiedenen Encephalomyelitiden als eine einzige Krankheit gerechnet werden, 12), Hund 6, Katze
4, Kaninchen 7, Huhn 10-13. (Vgl. Tab. 3.) Einige Viruskrankheiten befallen natürlicherweise mehrere oder eine grössere Zahl von Tierarten, wie
z. B. Lyssa, Pseudolyssa, Pocken, andere sind auf einige oder sehr wenige
Tierarten beschränkt, wie z. B. Schweinepest, Teschener Schweinelähmung,
Pferdesterbe, Brustseuche und Virusanämie des Pferdes. Teilweise geht die
zoologische Verwandtschaft einher mit Empfänglichkeit für dieselben Viren.
So sind Rinderpest, Katarrhalfieber, Herzwasser, Agalaktie und Lungenseuche Wiederkäuerkrankheiten. Die Aphthenseuche ist eine Krankheit der
Klauentiere. Die Equiden haben Pferdesterbe, Rotlaufseuche, Brustseuche,
Borna, Anämie, das Schwein Schweinepest und Teschener Lähmung, der
Hund die Staupe, der Mensch Encephalitis epidemica, Herpes, Poliomyelitis.
Übertragung von Viruskrankheiten vom Tier auf
den M e n s c h e n. Wie gewisse tierpathogene Bakterien, so können auch
Tierkrankheiten verursachende Virusarten den Menschen anstecken, biologisch ausgedrückt: Der Mensch gehört in den Kreis der empfänglichen
Tierarten, denen eine bestimmte, die autokatalytische Vermehrung eines
gewissen Virus ermöglichende chemische Zusammensetzung eines, einiger
oder aller Gewebe gemeinsam ist. Diese Gemeinsamkeit, d. h. Empfänglichkeit, besteht beim Menschen für Schaf-, Rind- und Schweinepocken, Louping
ill der Schafe, nordamerikanische Pferdeencephalitis (durch Mücken übertragen), Tollwut, Hirnhautentzündung des Schweines, Rifttalfieber der
Wiederkäuer, Maul- und Klauenseuche, vesiculäre Mundschleimhautentzündung des Pferdes, Schweineinfluenza (die nach Ansicht mancher Forscher
vom Menschen herstammt), Psittakose. Andererseits können einige gewöhnlich beim Menschen vorkommende Viruskrankheiten auf Tiere übergehen, z. B. die Grippe auf das Schwein (s. o.), die (durch Zecken übertragene) russische Wald- oder Zeckenencephalitis auf Schaf und Ziege,
Flecktyphus auf Hund und Katze, die Pocken auf Rind, Pferd und Schwein.
Die Übertragung der Kinderlähmung auf das Rind steht noch zur Diskussion.
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Tabelle 3 Tierart- und Organ-Vorkommen von Virusarten
Organotropie
Mensch
Rind
Polytrop
(auch hämotrop und
angiotrop)
(S)
(S)=Septikämie
Gelbfieber (S)
Denguefieber (S)
Fleckfieber (S)
Fünftagefieber
Bartonellenkr.
Pappataci
Pneumotrop
Influenza
(Grippe)
Erkält. Krh.
Psittakose
Rinderpest (S)
Katarrhalf (S)
Afr. Katarrhalf
Rifttalfieber (S)
Schwitzkrankh.
d. Kälber
Herzwasser (S)
Dreitagekr.
(Leukose?)
Bartonella bovis
Rickettsia bovis
Seuchenhafte
Bronchitis
Lungenseuche
Schaf S
Ziege Z
Rifttalfieber (S)
Agalaktie S, Z
Nairobikr.S,Z(S)
Herzwasser
S, Z (S)
Katarrhalf. S
Afr.Katarrhalf. S
Rickettsia ovis
Anämie S
Pferdesterbe (S)
Ephemeres
Fieber
Rotlaufseuche
=Influenza (S)
Virusanämie (S)
Pleuropneumovle Z
Seuchenh.
Bronchit.
Brustseuche
Virusaborlus
Enterotrop
Viseerotrop
Neurotrop
Equiden
Encephalitis
'Enz. Encephala.
epid.
St. LouisEnceph.
Poliomyelitis
Wald-, Zecken
eucephal.
Schweiuehirtenkrankh.
Tollwut
(Herpes)
(Zoster)
Virus B
Looping ill. S
= Springkrh.
Traberkrankh. S
Enz. Paraplegie
d. Lämmer
Bornasche Kr. S
(Trachom=
Rickettsiose)
Lymphogranul.
ing.
Parotitis epid.
(=Mumps)
(Rickettsia conj.)
(Rickettsia conj.)
Pocken,Alastrim
Windpocken
Herpes, Zoster
Masern, Röteln
Aphthenseuche
Stomatit. vesic.
Trachom
Mollusc. cont.
Warzen
Pocken
Aphthenseuche
Stomalit. pust.
Stomat. papul.
Rickettsia conj.
Exanthem. coit.
Pocken S, Z
Ekthyma
contag. S
Rickettsia conj.
S, Z
Aphthenseuche
S, Z
30
19(20)
17S, 7Z
Enceph.-myel.:
Borna
Frankreich
Deutschland
Nordamerika
(Ost u. West)
Südamerika
Russland
Japan
Fibrotrop
Lympadenound
Myelotrop
Adenotrop
Dermotrop
(inkl. kutane
Schleimhaut)
Pocken
Stomatit. pust
(vesicul.)
Exanth. coit.
13 (18)
Jahrg. 88.
Schwein
Schweinepest(S)
Afrikanische
Schweinepest
(S)
(Meningitis inf.
suis ES])
Pseudolyssa
(=Aujeszkysche
Kr.)
Influenza
Ferkelgrippe
W. FREI. Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier.
Mehrere bzw.
Fleischfresser Kanin chen =K
Vögel
andere
K =Katze
Meerschw.=M
Tierarlen
H =Hund
Geflügel -Pest(S) Bartonellamuris
Virus HI K
Staupe (S) H
Ratten
(Meerschw. Rickettsiaavium
Enc.-myel. d.
Dompfaff,
Pseudolyssa
Füchse
pest)
37(41)
Papagei
(S)
Laryngoenteritis
K
(Anämle H)
(Rickettsia canis
H)
Bartonella Canis
Katzenstaupe
Corryza cont.
Viruspneumonie
Huhn
d. weissen
TracheobronMaus
chit. d. Kücken
Laryngotrac.
Huhn
Psittakose
Zelleinschlusslrr. d. Hühner
Eitr. Gastroenteritis Huhn
Viruspneumonie
beim Frettchen
Gastroenteritis
K
Teschener Kr.
Meningitis inf.
suis
(= Schweinehirtenkrankh.
b. Menschen)
(Rickettsia conj.)
Tollwut H K u. a. Meerschwein- Marek'sche
chenlähme
gefl.-Lähme
Pseudolyssa H
Encephalit. K Enc.-myel.
d. Hühnchen
(Virus HI. K)
(Speicheldrüsenvirus
der Nager)
Agranulocytose
K
12
Pocken exp.
5 (6) H, 5 K,
3 andere
Inf. Papillom K PockenMundpapilDiphtherie
lomatosis K Kanarienpocken
Herpes K
Pocken K
7K
12 Huhn
14
5
Tollwut
Pseudolyssa (S)
Choriomeningitis d. Mäuse
Enceph.-myel
22(26)
d. Mäuse
Inf. Myxom und Rous-Sarkom
Ektromelie
u. a.
d. Mäuse (S)
Fibrom K
Lymphomatose Lymphomatose
d. Mäuse
u. Erythroleukose Huhn
u. Ratten
Speicheldrüsenvirus M
Aphthenseuche
Pocken
Stomatitis.
vesicul.
Vesiculös.
Exanthem.
Rickettsia conj.
123
Speicheldrüsenvirus d. Mäuse
u. Ratten
Aphthenseuche
3
4
2
26(30)
124
Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich.
1943
Die grosse praktische Bedeutung erfordert weitere Erforschung dieser Verhältnisse, insbesondere die Frage nach Reservoiren menschlicher Viruskrankheiten bei Tieren (s. Virusträger).
Organotropismus
Die Viren vermehren sich im empfänglichen Organismus teils nur in einem
oder in einigen, teils in mehreren Organen: (Mono- oder Oligotropie, Polytropie). Das Schweinepestvirus, natürlicherweise auf das Schwein und seine
Verwandten beschränkt, findet offenbar im Blut und in vielen, vielleicht in
sämtlichen Organen des Schweines zusagende Vermehrungsbedingungen.
Demgegenüber ist das Virus der Tollwut wohl auf mehr als 20 Tierarten
übertragbar, kann sich aber in allen nur im Nervensystem vermehren. Das
bedeutet, dass die für die autokatalytische Vermehrung des Pestvirus notwendigen Moleküle in allen Organen, aber nur des Schweines und seiner
Verwandten, vorhanden sind, die für die Proliferation des Tollwutvirus
erforderlichen Substanzen zwar nur im Nervensystem, aber einer sehr grossen Zahl von Tierarten. Einige, überraschenderweise wenige, Virusarten
permeieren die Plazenta und infizieren den Fetus (Pferdeanämie, Agalaktie, Pocken, Choriomeningitis der Mäuse, amerikanische Encephalomyelitis
des Pferdes). Die Tabelle 3 gibt eine Übersicht über das Vorkommen ungefähr aller heute bekannter Viruskrankheiten bei den einzelnen Tierarten
und ihre Organlokalisation (Organotropie). Die grosse Zahl der Menschenkrankheiten ist wohl zur Hauptsache darauf zurückzuführen, dass sich mit
dieser interessantesten Tierart mehr als zwanzigmal mehr Forscher befassen als mit allen andern Tierarten zusammen. Hingegen sind einige
andere Auffälligkeiten wohl naturgesetzlich: Die geringe Zahl der Viruskrankheiten bei Fleischfresser, Ziege (verglichen mit dem Schaf), Kaninchen, die grosse Zahl der polytropen, neurotropen und dermotropen und die
geringe Zahl der nur pneumotropen, viscerotropen und adenotropen Viruskrankheiten. Mit dem Fortgang der Forschungen mögen sich diese Verhältnisse verschieben.
Bei der Entstehung von Krankheiten durch Virusarten ist die P e r m e a b i l i t ä t von Körpermembranen von besonderer Wichtigkeit. Gelangen Virusmoleküle auf die Schleimhaut des Atmungs-, Verdauungs- oder
Geschlechtsapparates, so müssen sie mindestens durch die Epithelschicht
und alsdann allenfalls durch die Kapillarwand ins Blut permeieren (Masern,
Pocken, Grippe u. a, pneumotrope Virusarten). Werden sie durch die Spritze
oder durch eine sonstige Hautverletzung oder durch den Stich oder Biss von
Arthropoden in die Haut gebracht (Pferdesterbe, Encephalomyelitis der
Pferde, Zeckenbisskrankheit der Schafe), so müssen diejenigen, welche
nicht nur lokal wirken, wiederum ins Blut gelangen. Einige Virusarten vermehren sich im Blut, bleiben darin und breiten sich nicht weiter aus. Andere
aber diffundieren aus den Blutkapillaren in gewisse Organe hinaus und vermehren sich dort (Organotropie).
Jahrg. 88.
W. FREI. Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier. 125
Man sieht, dass die Permeabilität der Schleimhaut bzw. des Schleimhautepithels und alsdann der Kapillarendothelien in erster Linie für das Eindringen und Durchdringen von Virusarten in den Organismus bzw. im Organismus von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dies wird besonders eindrücklich demonstriert durch die Experimente von SAB1N und OLITSKY,
welchen es gelang, durch Bespülung der Nasenschleimhaut mit Alaun- oder
Zinksulfatlösungen Affen gegen die nasale Infektion mit dem Virus der
Kinderlähmung für eine ganze Anzahl von Tagen zu schützen. Offenbar ist
durch diese adstringierenden, d. h. gerbenden leichten Eiweissfällungsmittel
die Permeabilität der Schleimhaut herabgesetzt worden.
Für das Durchdringen von Teilchen durch eine Membran ist für unsere
Betrachtungen besonders die chemische Natur der Teilchen und der Membran von Bedeutung. Nicht jedes Virus dringt durch die Schleimhaut des
Respirationsapparates, des Verdauungs- oder Genitalapparates hindurch,
und nicht jedes ins Blut gebrachte Virus kann aus den Kapillaren hinaus
diffundieren. Ein Vergleich der Grösse der Virusteilchen mit ihrem Permeierungsvermögen zeigt, dass an ein und derselben Stelle kleine oder
grosse Viren durchgehen, bzw. nicht passieren. Massgebend ist somit nicht
die Virusgrösse, sondern die Virusnatur.
Die Permeabilität der Kapillargebiete zeigt Organverschiedenheiten, bzw. Organspezifität. Die sogenannten Septikämien mit ihren subendo- und subepikardialen Blutungen
beweisen, dass für Erythrozyten die Kapillaren des Endocards bzw. Epicards am leichtesten durch Giftschädigung permeabel gemacht werden können. Wenn die Empfindlichkeit der Kapillaren überall gleich wäre, so müssten rote Blutkörperchen im Fall von
Sepsis in allen Geweben austreten. Auch diese Blutungen (Hämorrhagien) zeigen, wie
wenig massgebend Teilchengrösse und Porengrösse sein können. Wenn das Verhältnis
dieser beiden Ausmasse entscheidend wäre, so müsste bei fortschreitender Permeabilisierung die Reihenfolge: Albumin — Globulin — Erythrozyt eingehalten werden und
jeder Hämorrhagie ein Oedem, d. h. massiger Austritt von Blutflüssigkeit vorausgehen.
Das ist aber keineswegs bei allen, sogar den wenigsten hämorrhagischen virusbedingten
Entzündungen der Fall. Wohl gibt es Oedeme ohne Hämorrhagien, Oedeme mit Hämorrhagien, aber auch zahlreiche Fälle von Hämorrhagien ohne Oedem (Abb. 2). Hier sind rote
Blutkörperchen, also sehr grobe Partikel, durch .die Kapillarwand durchgetreten, während die Blulflüssigkeit mit den viel kleineren Albumin- und Globulinmolekülen nicht
oder jedenfalls nicht in entsprechender Menge permeierte.
Virulenzänderungen und Variabilität der Virusarten
Schon innerhalb ein und derselben Tierart beobachtet man Virulenzverschiebung, z. B. maligne Fälle von Maul- und Klauenseuche mit hochgradigen Herzmuskelnekrosen. Die Bösartigkeit hängt hier mit einem
neuen Organotropismus, nämlich mit der Affinität des Virus zum Herzmuskel zusammen. Das Hühnerpestvirus kann bei häufigen Übertragungen
von Ente zu Ente an Virulenz für dieses Tier zu-, für die Hühner aber
abnehmen. Im Verlauf eines natürlichen Seuchenganges kann die Maulund Klauenseuche an Virulenz derart einbüssen, dass sie nur noch in Form
126
Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric.
1943
einer blasenlosen Mundschleimhautentzündung in Erscheinung tritt. Bekannt sind die experimentellen Virulenzverschiebungen durch Passagen
auf anderen Tierarten. Das Virus der Lyssa wird durch cerebrale Kaninchenpassage für dieses Tier sehr virulent, büsst aber an Virulenz für
Mensch und Hund ein. Dasselbe ist der Fall bei der intracerebralen Passage
des Pferdesterbe- und des Pf erdeencephalomyelitisvirus bei Meerschweinchen oder Tauben. Die Virulenz für das Passagetier nimmt zu, für den
natürlichen Wirt ab.
Die Virulenzsteigerung kann beruhen auf einer schnelleren Vermehrung
des Virus unter Entstehung einer grösseren Zahl von Giftmolekülen oder
durch eine Toxizitätszunahme des einzelnen Virusmoleküls durch gewisse
chemische Änderungen, möglicherweise besondere Seitenketten.
Bei einigen der oben genannten Passagen handelt es sich auch um direkte
Impfung in ein Organ, das bei der natürlichen Krankheit des natürlichen
Wirtes nicht oder selten befallen wird, also um einen neuen Organotropismus auf einer neuen Wirtsart. So erweisen sich die Viren der Pferdesterbe,
der Pocken, der Aphthenseuche, des Gelbfiebers, des Herpes, der Psittakose und der Schweinepest bei intracranialer Impfung als neurotrop. Das
Psittakosevirus, bei den Vögeln viscerotrop, d. h. Erkrankungen des Darmes
und der Leber erzeugend, ist beim Menschen pneumotrop.
Misch und Sekundärinfektionen
mit Bakterien sind für einige Virusarten von besonderer praktischer Bedeutung, indem die Krankheit verstärkt oder klinisch und pathologisch-anato-
Abb. 2
Blutungen im Drüsenmagen des Huhnes bei Hühnerpest.
(MANNINGNR).
Jahrg. 88.
W. FREI. Virus und Virusinfektionen bei Menscb und Tier.
127
Abb. 3
Hyaline Degeneration und Anschwellung der Gefâsswand mit Verschluss der
Lichtung in einem Lymphknoten bei Schweinepest (MANNINGER).
misch abgeändert wird, in bestimmten Fällen derart, dass die reine Viruskrankheit sich wesentlich von der Mischkrankheit unterscheidet. Der Mischinfektion sind besonders die Viruskrankheiten des Atmungs- und Verdauungsapparates, kaum aber diejenigen des Blutes und des Nervensystems
ausgesetzt. Seuchenhafter Husten von Rind und Pferd, Schweineinfluenza
und Ferkelgrippe, als reine Viruskrankheiten in leichter Bronchitis bestehend, werden nach Misch- oder Sekundärinfektion mit Bakterien zu
schweren Bronchopneumonien. Die Menschengrippe verhält sich ähnlich.
Folgende Möglichkeiten sind realisiert:
1. Virus und Bakterien gelangen gleichzeitig in den Körper: Menschengrippe,
Schweineinfluenza und Ferkelgrippe mit dem B. haemophilus influenzae hominis bzw.
suis, seuchenbafter Husten des Pferdes (Skalma, Hoppegartener Husten) mit Streptokokken,
2. die Bakterien sind als normale Bewohner einer Körperhöhle schon vorhanden, so
dass das Virus als Sekundärinfizient auftritt: Schweinepest zu B. suipestifer im Darm,
3. das Virus kommt zuerst, die Bakterien sind sekundär: bei Schweineinfluenza (u. Ü.
zeitlich nacheinander) Haemophilus, Bipolare, Streptokokken, bei Schweinepest B. suipestifer und Bipolare (sog. chronische Schweineseuche), bei Maul- und Klauenseuche
B. pyogenes und Nekrosebazillen, in den Staupehautbläschen Streptokokken.
Die pathologischen Veränderungen,
welche die V irusarten im Tierkörper verursachen, sind grundsätzlich dieselben wie die durch die toxischen Moleküle der zelligen Mikroparasiten
erzeugten, nämlich Verquellung und Strukturänderung des Zellprotoplasmas
und des Zellkernes (D e g e n e r a t i o n, Abb. 3), Vergrösserungen und
Schrumpfungen, Absterben, Auflösung der Zellen, Änderungen der
Gefässpermeabilität (Abb. 2 und 3), Störungen des Wassergehaltes der Ge-
128
Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1943
webe (Ö d e m), E n,t z ü n d u n g en verschiedenster Art (seröse, hämorrhagische, meist alme' und subakute, seltener chronische), ohne und mit
Emigration weisser Blutzellen aus den Blutkapillaren. Die Infiltratzellen
sind fast immer Lymphozyten und grössere Monozyten (Abb. 4), sehr selten
polynukleäre neutrophile Leukozyten. Die meisten Virusarten wirken destruktiv auf die Gewebe, einige Arten aber regen die Teilung gewisser Z e 11 a r t en (Gefässwände, Bindegewebe, Epithelien, blutbildende Gewebe) a n und erzeugen so eventuell Tumoren (Papillom, Sar-
Abb. 4
Vasculäres Infiltrat im Gehirn von Hund mit Staupe.
kom). Der Pockenbildungsprozess in der Epidermis beginnt mit Zellproliferation (Abb. 5, vielleicht auch die «Infiltratzellen» in Abb. 4) und setzt
sich fort als Zellzerstörung.
Wir haben hier wiederum einen Fall, wo ein und dieselbe Noxe sowohl positiv wie
negativ, fördernd und zerstörend auf ein Gewebe einwirkt, möglicherweise derart, dass
am Anfang die noch geringe Viruskonzentration die Zellteilung anregt, während die
spâtere grössere Virusmenge die Zellen schädigt. (Vgl. das Gesetz von ARNDT-SCHULTZ.)
Mit ganz wenigen Ausnahmen (Anämie, Rotlaufseuche, Schweinepest,
Leukose u. a. Zellwucherungen) ist der V erlauf der Viruskrankheiten
akut oder subakut, sehr selten chronisch. Die Schwer e zeigt, wenn wir
alle Viruskrankheiten überblicken, alle Variationen von ganz leichter, bei-
Jahrg. 88.
W. FREI. Virus und Virusinfektionen bei Mensch und Tier.
129
Abb. 5
Zapfenförmige Epidermiswucherungeu bei Geflügelpocken (Epitheliosls contagiosa)
Links: Übergang zur normalen Haut, rechts: Höhe der Pocke.
Die Zelleinschlüsse sind als dunkle Punkte sichtbar. (JoEsT).
nahe nicht merklicher Krankheit bis zu heftigsten funktionellen Störungen
und tiefgreifendsten anatomischen Veränderungen. Die Mortalität
schwankt zwischen ungefähr 0 (Pappataci, Dengue, Trachom, Rinderpocken
etc.) und 90-100 % (Pferdesterbe, afrikanische Schweinepest, evtl. Rinderpest u. a.). Irgendwelche Zusammenhänge, etwa zwischen Virusteilchengrösse einerseits und infizierbarer Tierart, Qualität der krankhaften Veränderungen, Gewebslokalisation und Krankheitsschwere andererseits lassen sich nicht finden. Massgebend ist — wie zu erwarten — die chemische
Natur der beiden Beteiligten: Virus, Tierart und Organ.
Wie bei bakteriellen und Protozoeninfektionen entsteht bei fast allen
Viruskrankheiten Fieber (Ausnahmen: vesikuläre Mundschleimhautentzündung von Rind und Pferd, Bläschenausschlag des Rindes, gewisse Formen der Gehirnrückenmarksentzündung des Pferdes), ein Zeichen der Einwirkung des Virus oder seiner Abbauprodukte auf das Wärmezentrum, sowie andere auf Beeinflussung des vegetativen Nervensystems hindeutende Erscheinungen (Beschleunigung von Herz und
Atmung u. a.). Im übrigen verursachen die Virusarten Erkrankungen in den
Organen, in denen sie sich vermehren oder durch Affinitäten gebunden werden (Organotropismus). Sicher setzen Gewebsveränderungen Bindungen
von Virus an das Gewebe voraus, aber nicht jede Bindung muss notwendigerweise zu Veränderungen führen. Das Vorkommen der verschiedenen
Viruskrankheiten in den einzelnen Organen ist durch die Ausdrücke dermotrop, neurotrop usw. zur Hauptsache gekennzeichnet (Tab. 3), wenn auch
nicht scharf abgegrenzt; denn genau monoorganotrope Viren gibt es wohl
nicht. Die Tabelle 4 gibt eine Übersicht über die mannigfaltigen durch polytrope Virusarten gesetzten anatomischen Organveränderungen, die zugleich
auch die Vielfarbigkeit der klinischen Krankheitsbilder ahnen lassen.
Vierteljahrsschrift cl. Naturf. Ges. Zürich. Jahrg. 88. 1943. 9
Tabelle 4 Durch polytrope Virusarten verursachte Organveränderungen
Pleura
Atmungsapparat
Gefässe
Lymp
(u. a.
Obere
Milz
Herz (Blutung
Krankheiten:
Lunge
knoten Luftwege
Serosen)
u. a.)
Pleurit.
Pneum.
Schw.4) Rhinitis
—
±
Rinderpest
S') Bltg. 2)
Periton.
Crup.
Deg. 3)
Laryng.
Pneum.
Rhinitis
Schw.
Subcut.
Deg.
Katarrhalfieber,Rind,
Bronch.
Subser.
S
Schaf
Nairobi Krank., Rind S
Bltg.
Ephemeres Fieber,
Rind
(S)
Rifttalfieber, Rind S
Herzwasser, Schaf,
Rind
S
+
Schw.
+
Pericardit.
Serosen
Schw.
Schw.
Rhinitis
Pleurit.
Peritonit.
Schw.
Rhinitls
Bronch.
Pleurit.
Polyserositis
Schw.
Rhinitis
Laryng.
Bronch.
Bltg.
Schw.
Schw.
Perivasc.
Infiltr.
Agalaktie, Ziege,
Schaf
-{-
Schafpocken
s
Deg.
+
Rotlaufseuche, Pferd S
Deg.
Serosen
subcut.
Brustseuche, Pferd
Deg.
Pferdesterbe
Encephalomyelitis, (S)
Pferd Deutschld.
Encephalomyelitis, (S)
Pferd Argentinien
Encephalomyelitis (S)
Pferd Frankreich
S
Schweinepest
Afrikanische
Schweinepest
Aujeszkysche
Krankheit
Hundestaupe
Schw.
-f-
Schw.
Schw.
+
Deg.ef.
Wd.
f
(S)
S
S
Hühnerpest
S
Psittakose, Papagei
SPntikämi A_ 2 1—
Wuch. d.
Gef. Wd.
Bi g •
tg.
Bltg.
Deg.
Bltg.
Deg.
±
Schw.
Oedem
Schw.
Oedem
Poyserositis
Hydrops
Necrot.
Pleuritis
Schw.
Pneum.
Bltg.
Schw.
Schw.
Bronch.
Kongest.
Infarkte
Schw.
Bltg.
Bronch.
Pneum.
Schw.
Schw.
serös
—
Oedem
S
Ektromelie, Maus
=
±
Deg.
Encephalomyelitis S
Fuchs
Gelbfieber, Mensch S
Fleckfieber, Mensch S
1i
—
Bltg.
Laryngit.
—
Bronch.
Bltg.
Pneum.
Schw.
Schw.
Schw.
Schw.
(Nekrose)
Bltg.
Nekr.
Wuch.
+
Pleuritis
Bltg.
Wuch. d.
Gef. Wd.
+
+
Transsud.
—
Angina,
Bronc.
Br. pneum.
Bltg.
Bltg.
(Pneum.
Mensch)
Polyserosit.
Eierstock
Eileiter
Schw.
Rl n tun g en. 3 1= De g eneration,
4 ) ==
5
)= Conjunctivitis
Verdauungsapparat
VIundhtihle Magen u.
u. Rachen
Darm
Erosionen
Necrot.
Entent.
Gastroenteritis
Leber
Nieren
Haut
Augen
Nervensystem
Cholecystit.
Deg.
Pusteln
Bltg.
Conj.S)
Enceph.
Vaginitis
erosiv.
Deg.
Deg.
Pyelit.
Cystit.
Exanth.
Conj.
Kerat.
Mening.
Enceph.
Vaginitis
Enterit.
Abomasit.
Synovitis
Hâmorrh.
Deg.
Enterit. Nekrose
GastroDeg.
enteritis Perivasc.
Infiltr.
Stomat.
Gastroenterit.
Deg.
Erosive
Enteritis
Deg.
Enteritis
Enterit.
Nekrot.
Enteilt.
Bltgn. im
Drüsenmagen
Enterit.
Entent.
Kong.
Deg.
Deg.
+
Event.
Exanth.
Pustul.
vesic.
Exanthem
Pocken
Deg. Entz.
Deg.
Conj.
Conj.
Oedem am
Kopf
Keratit.
Urticaria
Iritis
subcut. Bltg.
Conj.
Deg.
Blutige
Schorfe
Conj.
—
—
—
Conj.
Kerat.
Enceph.
myel.
Enceph.
Wuch. der
Gef. wd.
Meningo.enneph.
Bltg.
Deg.
Deg.
Ikterus
Bltg.
Deg.Nekr.
Deg.
Deg.
Ikterus
Nekrosen
Cholang.
Pusteln
Conj.
Kerat.
Exanthem
Bltg.
Oedem
Nekrose
Oedem am
Kopf
Deg.
Nekrose
Entz.
Periphere
Lähmgn.
Mening.
Enceph.
Schw.d.Kap.
Endoth.
Hämorrh.
Enceph.
Mening.
Enceph.
Enceph.
Deg.
Deg.
Bltg.
Cystit.
Mastitis,
Tendovaginitis,
Polyarthritis
Kerat.
Entz.
Cystit.
Deg.
Nekrose
Pharyng.
Deg. d. Ganglienzellen
Deg.
Bltg.
Deg.
Deg.
Bltg.
Häm.-dipht.
Gastroenterit.
Gastroentent.
Pharyng.
Gastroentellt.
Enteritis
Bemerkungen
Tendovaginitis
Arthritis
Tendovaginitis
Arthritis
Enceph.
Muskelnekrose
Encephmyel.
(Enceph.)
132
Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich.
1943
Immunität
Die Immunität gegen Virusarten unterscheidet sich grundsätzlich keineswegs von derjenigen gegen Bakterien. Wie bei diesen gewisse Moleküle,
so regen auch die Virusmoleküle als solche oder (bei grösseren Viren)
Virusbestandteile den Immunitätsapparat des Organismus an. Es kann nicht
überraschen, dass bei den beiden Erregergruppen durch gewisse Eingriffe
die Pathogenität, d. h. die Gewebsgiftigkeit genommen werden kann unter
Erhaltung der Antigenität, der Fähigkeit der Anreizung der Immunität (Formaldehyd, kolloides Aluminiumhydroxyd). Hiervon wird bei Bakterien,
Toxinen und Viren zur Herstellung immunisierender Präparate (Anatoxin,
Vaccinen) praktisch Gebrauch gemacht.
Man kann sich vorstellen, dass das Virusmolekül, ähnlich gewissem Enzymen, eine mit
spezifischen Affinitäten zum Gewebe ausgestattete, dem Apoenzym entsprechende haptophore, und die pathogene, dem Coenzym zu vergleichende prosthetische oder toxophore
Gruppe besitzt. Nachdem diese letztere zerstört, das Virus also apathogen geworden ist,
bleibt noch der gewebsaffine, immunisierende, d. h. die Entstehung von spezifisch virusaffinen Gewebs- und Bluteiweisskörpern (Antikörpern) anregende (antigene) Virusanteil.
Die meisten Viruskrankheiten hinterlassen Immunität, ausgenommen
Pferdeanämie, Katarrhalfieber des Rindes, Bläschenausschlag des Rindes,
Ektromelie der Maus, Hühnerleukose, Trachom des Menschen. Fraglich ist
die Immunität bei Borna und Schweineinfluenza. Gelegentlich ist nicht zu
entscheiden, ob das Wiederauftreten der Krankheit auf Rezidiv oder Neuinfektion beruht.
An Antikörpern sind gefunden worden: virulizide Antikörper bei Aphthenseuche, Stomatitis vesiculosa, Rinderpest, Schweineinfluenza, Encephalomyelitis des
Pferdes, Borna, Lyssa, Pseudolyssa, Grippe; Präzipitine und Agglutinine bei Lungenseuche, Schweinepest, Pocken, Kaninchenfibrom; komplementbindende Antikörper bei
Lungenseuche, Aphthenseuche, Borna, nordamerikanischer Ecephalomyelitis des Pferdes
u. a.; virulizide Antikörper + Immunität bei Schweineinfluenza, Aphthenseuche, Rinderpest, Rifttalfieber, Kuhpocken, Springkrankheit der Schafe, Pseudolyssa, Geflügelpest,
ohne dass aber Antikörpertiter und Immunität parallel gehen müssten; Immunität ohne
virulizide Antikörper bei Agalaktie, Schweinepocken; virulizide Antikörper ohne Immunität: ev. bei Borna.
Virusträger. Immunitas non sterilisans. Bei manchen
Viruskrankheiten besteht nach der Ausheilung die Möglichkeit des Fortbestehens von Virus im Körper. In den Hoden vakzineimmuner Kaninchen
war Virus nach 114 Tagen, in den inneren Organen nach Geflügelpocken
bis zu 13 Monaten, bei Maul- und Klauenseuche in Blut und Harn bis zu
246 Tagen post infectionem noch nachweisbar. In Brasilien gibt es Vampire,
welche Tollwutvirus monatelang ohne Krankheit beherbergen. Latente
Infektionen kennt man auch bei Hühnerpest und Marek'scher Geflügellähme. Nach der Rotlaufseuche des Pferdes hat man das Blut bis 3 Monate,
Speicheldrüsen bis 8 Monate und das Sperma jahrelang nach der Infektion
durch Infektion von Stuten feststellen können. Das Schaf kann Virusreservoir für das Katarrhalfieber des Rindes sein; Fasanen können das Virus
Jahrg. 88.
H. HADWIGER. Über eine Klassifikation der Streckenkomplexe. 133
der amerikanischen Pferdeencephalomyelitis beherbergen und so eine Gefahr auch für den Menschen darstellen (Übertragung durch Mücken).
Mit bakterienfrei filtriertem Darminhalt von Mäusen konnte man durch
Injektion ins Gehirn bei Mäusen Encephalitis erzeugen und intracerebral
passageweise von Maus zu Maus fortzüchten (M. THEILER). Möglicherweise
gibt es noch andere durch das Experiment zu entdeckende Virusträger und
Infektionskrankheiten, die sich in ihnen stumm erhalten und plötzlich,
durch ein disponierendes Moment, als scheinbar neue auftreten.
Die ausserordentlich ausgedehnte Liter a t u r über Virus und Viruskrankheiten ist mit ziemlicher Vollständigkeit in den folgenden neueren
Sammelarbeiten zu finden:
R. BIELING, Die Viruskrankheiten des Menschen, Leipzig 1941.
K. BELLER und R. BIELING, Die Viruskrankheiten der Haus- und Laboratoriumstiere,
Leipzig, 1942.
R. DOERR und C. HALLAUER, Handbuch der Virusforschung, Wien 1938/39.
W. FREI. Neuere Ergebnisse der physikalisch-chemischen Erforschung filtrabler Viren,
Zeitschr. f. Infektionskr. d. Haustiere, 50, 253, 1938.
E. GILDEMEISTER, E. HAAGEN und 0. WALDMANN. Handbuch der Viruskrankheiten, Jena
1939.
Vgl. auch: S. EDLRACHER. Chemische Grundprinzipien des Lebens, Verh. d. Naturf. Gesellsch. Basel, 53, 285, 1942.
Über eine Klassifikation der Streckenkomplexe')
Von
H. HADWIGER (Bern)
(Mit 4 Abbildungen im Text)
Unter einem Streckenkomplex der Ordnung n verstehen wir ein System
von n Punkten, von denen je zwei entweder durch eine (genau eine)
Strecke verbunden sind oder nicht. Das so definierte Gebilde soll abstrakt
aufgefasst und nach rein kombinatorisch-topologischen Gesichtspunkten
studiert werden. Obschon grundsätzlich an dieser Auffassung festgehalten
werden muss, kann doch empfohlen werden, mit dem Begriff Streckenkomplex die Vorstellung der naheliegenden geometrischen Realisierung
in einem geeigneten Raum zu verbinden.
Punkte, die durch eine Strecke verbunden sind, heissen b e n a c h b a r t.
Einen Komplex der Ordnung k, bei welchem je zwei Punkte benachbart
1) Vortrag, gehalten am 15. Dezember 1942 im mathematischen Kolloquium der E.T. H.
und der Universität Zürich.
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