Integrierte Vertriebssteuerung im Mehrkanalvertrieb von Banken - Entwicklung einer idealtypischen Konzeption eines Kennzahlensystems DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von Manuel Paul Thomet von Neuenegg (Bern) Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Marcus Schögel und Prof. Dr. Torsten Tomczak Dissertation Nr. 3317 Studentendruckerei, Zürich, 2007 Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts, und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 22. Januar 2007 Der Rektor: Prof. Ernst Mohr, PhD Meinen Eltern und Saba Vorwort Für das Gelingen der vorliegenden Dissertation haben zahlreiche Personen in unterschiedlicher Art und Weise beigetragen. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Schögel, danke ich sehr für die äusserst angenehme Zusammenarbeit, die konstruktive Reflexion meiner Konzepte und die akademische Freiheit, welche er mir bei der Abfassung der Arbeit zugestanden hat. Seine Fähigkeit, an den entscheidenden Punkten die jeweils richtigen Fragen aufzuwerfen und wertvolle Hinweise zu geben, hat massgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Herrn Prof. Dr. Tomczak danke ich besonders für die spontane und unkomplizierte Übernahme des Korreferats. Als externer Doktorand ermöglichte er mir zu Beginn meines Dissertationsprojektes einen erfolgreichen Start und half mir bei der Suche des Referenten. Die Erstellung der vorliegenden Arbeit erfolgte parallel zu meiner Tätigkeit bei der Credit Suisse. Meiner Arbeitgeberin bin ich zu grossem Dank verpflichtet, da sie mein Dissertationsprojekt im Rahmen des Academic Research Programs finanziell unterstützte. Insbesondere möchte ich den zahlreichen Experten aus der Credit Suisse bedanken, welche durch Ihre Zeit, Auskunftsbereitschaft, kritischen Fragen, Erfahrung und Ideen zur Verbesserung der ausgearbeiteten Konzepte wesentlich beigetragen haben. Besonders hevorzuheben sind an dieser Stelle die Herren Daniel Koller, Heinz Brägger, Stefan Affolter, Markus Beeler und Thomas Langenegger, welche mir im Rahmen von persönlichen Gesprächen immer wieder kompetent mit Rat und Tat zur Seite standen. Für die Erstellung der Fallstudie möchte ich insbesondere den Herren Bengt Dietrich, Gabriele Samaritani, Davies Quinton, Michael Rütti, Dirk Kleinalstede, Andreas Melcher, Roger Mollemann, Rolf Flory und Frau Antonietta Peritore danken. Ohne deren Mithilfe wäre die Erstellung des Konzeptvorschlags für ein Kennzahlensystem für den Bereich Private Clients Switzerland nicht möglich gewesen. Meinen Eltern möchte ich ganz herzlich für die unermüdliche und immerwährende Unterstützung in allen Belangen danken. Für die stetige Gesprächsbereitschaft und die motivierenden Worte möche ich zudem meinem Bruder Christoph danken. Für die konstruktiven Hinweise und für die exzellenten Korrekturarbeiten in der Schlussphase meiner Dissertation bedanke ich mich ganz herzlich bei Aliki Adamantidis und Linda Thöny. Mein absolut grösster Dank gilt jedoch meiner Partnerin Saba Kamouneh, welche während meines Dissertationsprojekts viel auf mich verzichten musste. Für ihre tolle Unterstützung und das entgegengebrachte Verständnis möchte ich ihr an dieser Stelle nochmals von ganzem Herzen danken! Zürich, Februar 2007 Manuel Paul Thomet INHALTSVERZEICHNIS I INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS.......................................................................................................................................................... I ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.............................................................................................................................................VI ABBILDUNGSVERZEICHNIS .............................................................................................................................................VII ZUSAMMENFASSUNG ..........................................................................................................................................................X SUMMARY................................................................................................................................................................................XI TEIL 1: EINFÜHRUNG ............................................................................................................................................................ 1 1. Problemstellung und Handlungsbedarf............................................................................................................................ 1 1.1 Problemstellung .......................................................................................................................................................... 2 1.1.1 Vertriebswegeorganisation................................................................................................................................................3 1.1.2 Vertriebssteuerungssystem i.w.S. ....................................................................................................................................5 1.1.3 Vertriebssteuerungssystem i.e.S......................................................................................................................................9 1.1.4 Fazit und Implikationen ................................................................................................................................................... 12 1.2 Ergebnisse aus der Forschung ..............................................................................................................................14 1.2.1 Vertriebswegeorganisation............................................................................................................................................. 14 1.2.2 Vertriebssteuerungssystem i.w.S. ................................................................................................................................. 17 1.2.3 Vertriebssteuerungssystem i.e.S................................................................................................................................... 20 1.2.4 Fazit und Implikationen ................................................................................................................................................... 21 1.3 Ableitung des Forschungsbedarfs .........................................................................................................................22 2. Zielsetzung der Arbeit.......................................................................................................................................................22 2.1 Zielsetzung und Nutzen...........................................................................................................................................22 2.2 Herleitung der Forschungsfragen ..........................................................................................................................22 2.3 Forschungsobjekt und Erkenntnisobjekt...............................................................................................................23 2.4 Abhängige und unabhängige Variable..................................................................................................................23 2.5 Adressaten der Arbeit ..............................................................................................................................................24 3. Aufbau der Arbeit...............................................................................................................................................................25 4. Theoretischer Bezugsrahmen .........................................................................................................................................26 5. Wissenschaftstheoretische Positionierung und Forschungsmethodik......................................................................28 5.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung...........................................................................................................28 5.1.1 Entdeckungszusammenhang ........................................................................................................................................ 29 5.1.2 Begründungszusammenhang........................................................................................................................................ 30 5.1.3 Verwendungszusammenhang....................................................................................................................................... 31 5.2 Forschungsmethodik ...............................................................................................................................................31 5.2.1 Der Forschungsprozess im Überblick........................................................................................................................... 32 5.2.2 Der Mehrkanalvertrieb der Credit Suisse als Forschungsobjekt der Einzelfallstudie ............................................ 33 INHALTSVERZEICHNIS 5.2.3 II Die Einzelfallstudie als geeignete Forschungsmethode ............................................................................................ 37 5.3 Forschungsansatz: Zielsetzung der Einzelfallstudie, realisierter Forschungsprozess und Qualitätssicherung....................................................................................................................................................42 5.3.1 Forschungskonzeption.................................................................................................................................................... 42 5.3.2 Realisierter Forschungsprozess .................................................................................................................................... 44 5.3.3 Qualitätssicherung für den qualitativen Forschungsprozess..................................................................................... 47 5.3.4 Zusammenfassung und Fazit ........................................................................................................................................ 52 TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN ..................................................................................................................54 1. Überblick und Einführung.................................................................................................................................................54 2. Begriffsdefinitionen............................................................................................................................................................54 2.1 Integrierte Kennzahlensteuerungssysteme..........................................................................................................54 2.2 Filialzentrierte Mehrkanalbank................................................................................................................................55 2.3 Retail Bank ................................................................................................................................................................56 2.4 Mehrkanalvertriebsstrategie ...................................................................................................................................57 2.5 Vertriebserfolg...........................................................................................................................................................57 3. Distribution..........................................................................................................................................................................57 3.1 Einleitung und Überblick..........................................................................................................................................57 3.2 Grundlagen der Distribution ....................................................................................................................................58 3.2.1 Aufgaben und Ziele der Distribution.............................................................................................................................. 58 3.2.2 Zum Wesen der Mehrkanalsysteme............................................................................................................................. 60 3.3 Management des Mehrkanalsystems ...................................................................................................................65 3.3.1 Grundlagen für ein erfolgreiches Management von Mehrkanalsystemen............................................................... 65 3.3.2 Konfiguration und Koordination als zentrale Aufgaben .............................................................................................. 66 3.4 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems.........................................................67 4. Zielplanung und Strategieimplementierung...................................................................................................................68 4.1 Einleitung und Überblick..........................................................................................................................................68 4.2 Prozessmodelle des strategischen Managements .............................................................................................68 4.2.1 Präskriptive Prozessmodelle.......................................................................................................................................... 69 4.2.2 Deskriptive Prozessmodelle........................................................................................................................................... 71 4.3 Strategische Zielplanung.........................................................................................................................................75 4.3.1 Ziele im Management Prozess ...................................................................................................................................... 75 4.3.2 Dimensionen betrieblicher Ziele .................................................................................................................................... 79 4.4 Strategieimplementierung und Kontrolle...............................................................................................................84 4.4.1 Voraussetzungen und Massnahmen für die Strategieimplementierung.................................................................. 84 4.4.2 Abstimmung von Strategie und Organisation.............................................................................................................. 86 4.4.3 Strategische Kontrolle ..................................................................................................................................................... 89 4.5 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems.........................................................91 INHALTSVERZEICHNIS III 5. Prozessmanagement........................................................................................................................................................92 5.1 Einleitung und Überblick..........................................................................................................................................92 5.2 Business-Process-Management............................................................................................................................93 5.2.1 Begriffe und Definitionen................................................................................................................................................. 93 5.2.2 Ziele und Aufgaben des Business-Process-Managements ...................................................................................... 94 5.2.3 Phasen des Business-Process-Managements ........................................................................................................... 94 5.3 Identifikation von Kerngeschäftsprozessen..........................................................................................................96 5.3.1 Ableitung der kritischen Erfolgsfaktoren ....................................................................................................................... 97 5.3.2 Verknüpfung von Geschäftsprozessen und Erfolgsfaktoren ..................................................................................... 99 5.4 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems.......................................................100 6. Kennzahlensysteme .......................................................................................................................................................100 6.1 Einleitung und Überblick........................................................................................................................................100 6.2 Betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme ......................................................................................................101 6.2.1 Betriebswirtschaftliche Kennzahlen ............................................................................................................................ 101 6.2.2 Dimensionsanalyse von Kennzahlensystemen......................................................................................................... 102 6.3 Allgemeine Gütekriterien für Kennzahlensysteme ............................................................................................105 6.4 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems.......................................................106 7. Zusammenfassung und Fazit........................................................................................................................................107 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM........................................................110 1. Überblick und Einführung...............................................................................................................................................110 2. Konzeptionelle Anforderungen......................................................................................................................................111 2.1 Ableitung von Anforderungsdimensionen...........................................................................................................111 2.2 Notwendige Anforderungen ..................................................................................................................................112 2.2.1 Dimension Prozess........................................................................................................................................................ 113 2.2.2 Dimension Kontext ........................................................................................................................................................ 116 2.2.3 Dimension Messkonzeption ......................................................................................................................................... 119 2.3 Hinreichende Anforderungen................................................................................................................................120 2.3.1 Dimension Prozess........................................................................................................................................................ 121 2.3.2 Dimension Kontext ........................................................................................................................................................ 123 2.3.3 Dimension Messkonzeption ......................................................................................................................................... 125 2.4 Der Umgang mit den Anforderungen ..................................................................................................................129 3. Beurteilung ausgewählter betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme................................................................129 3.1 Einleitung und Überblick........................................................................................................................................129 3.2 Finanzwirtschaftlich orientierte Kennzahlensysteme ........................................................................................130 3.2.1 DuPont-System of Financial Control........................................................................................................................... 130 3.2.2 Vertriebscontrolling-Kennzahlensystem nach Reichmann/Palloks ........................................................................ 132 3.2.3 Shareholder Value-Ansätze ......................................................................................................................................... 135 INHALTSVERZEICHNIS IV 3.3 Integrierte Kennzahlensysteme............................................................................................................................141 3.3.1 Balanced Scorecard ...................................................................................................................................................... 141 3.3.2 Intellectual Capital-Ansätze .......................................................................................................................................... 146 3.3.3 Performance-Messung im St.Galler General Management Navigator .................................................................. 151 3.3.4 Marketing Performance-Management nach Reinecke ............................................................................................ 154 3.3.5 ibi-Vertriebscockpit......................................................................................................................................................... 157 3.4 Implikationen bestehender Kennzahlensysteme für ein Kennzahlensteuerungssystem............................161 4. Konzeptionelle Rahmenbedingungen für ein Kennzahlensteuerungssystem .......................................................162 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS.................................167 1. Überblick und Einführung...............................................................................................................................................167 2. Idealtypische Struktur eines Kennzahlensteuerungssystems ..................................................................................167 2.1 Grundkonzept und Aufbau des Kennzahlensteuerungssystems....................................................................167 2.1.1 Der Bezug zu Potentialen, Prozessen und Ergebnissen......................................................................................... 167 2.1.2 Grundstruktur des Kennzahlensteuerungssystems.................................................................................................. 169 2.2 Ebene 1: Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen .......................................................................................171 2.2.1 Die Vertriebssteuerung als Teil der Gesamtbanksteuerung.................................................................................... 172 2.2.2 Operationalisierung der Kennzahlendimensionen .................................................................................................... 176 2.2.3 Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung................................................................................................ 180 2.3 Ebene 2: Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen.................................................................187 2.3.1 Sub-Ebene Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs ........................................................... 188 2.3.2 Sub-Ebene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie ................................................. 196 2.3.3 Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung................................................................................................ 201 2.4 Ebene 3: Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen ...........................................................................203 2.4.1 Sub-Ebene Unternehmungsressourcen..................................................................................................................... 204 2.4.2 Sub-Ebene Marktpotentiale.......................................................................................................................................... 208 2.4.3 Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung................................................................................................ 210 3. Einsatz des Kennzahlensteuerungssystems im Rahmen einer integrierten Vertriebssteuerung .......................212 3.1 Anforderungen an die Selektion geeigneter Kennzahlen.................................................................................212 3.1.1 Strukturierung ................................................................................................................................................................. 212 3.1.2 Priorisierung.................................................................................................................................................................... 213 3.1.3 Operationalisierung........................................................................................................................................................ 214 3.2 Sicherstellen der Wirksamkeit im Führungszyklus............................................................................................215 3.2.1 Anbindung des Kennzahlensystems an die Vertriebsplanung und -budgetierung .............................................. 216 3.2.2 Verwendung des Kennzahlensystems als Kontroll- und Reportinginstrument..................................................... 217 3.2.3 Kopplung mit den Anreizsystemen.............................................................................................................................. 218 3.3 Vorgehen zur Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems ...................................................................220 4. Zusammenfassung und Fazit........................................................................................................................................223 INHALTSVERZEICHNIS V TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK...................................................................................................226 1. Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit ..........................................................................................................................226 1.1 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse ...................................................................................................226 1.2 Integration und Erweiterung bestehender Forschungsarbeiten ......................................................................230 2. Kritische Würdigung der entwickelten Konzeption und zukünftiger Forschungsbedarf .......................................232 2.1 Restriktionen und Gefahren von Kennzahlensystemen im Mehrkanalvertrieb.............................................233 2.2 Würdigung der Konzeption hinsichtlich der entwickelten Anforderungen .....................................................236 2.3 Weiterer Forschungsbedarf ..................................................................................................................................238 3. Fazit und Ausblick ...........................................................................................................................................................240 ANHANG................................................................................................................................................................................242 Anhang 1: Verwendete Datenquellen ................................................................................................................................242 Anhang 2: Interviewverzeichnis (standardisierte Expertengespräche).........................................................................243 Anhang 3: Interview-Leitfäden (standardisierte Expertengespräche) ...........................................................................246 Anhang 4: Konferenzen und Vorträge ...............................................................................................................................248 LITERATURVERZEICHNIS ...............................................................................................................................................249 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS VI ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AWD Allgemeiner Wirtschaftsdienst BMG Bemessungsgrundlage BPM Business-Process-Management BSC Balanced Scorecard bzw. beziehungsweise CEO Chief Executive Officer d.h. das heisst EVA Economic Value Added GMN General Management Navigator i.d.R. in der Regel i.e.S. im engeren Sinn i.w.S. im weiteren Sinn IMH Institut für Marketing und Handel KPI Key Performance Indicator MLP Marscholek, Lautenschläger und Partner MVA Market Value Added NOPAT Net Operating Profit After Tax ROI Return on Investment S. Seite u.a. unter anderem v.a. vor allem VZ Vermögenszentrum z.B. zum Beispiel ABBILDUNGSVERZEICHNIS VII ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Übersicht über die Problemstellungen bei der Strategieimplementierung...........................3 Abbildung 2: Vertriebsstrategische Positionierung und Organisationstyp.................................................4 Abbildung 3: Vertriebsprozesse im Mehrkanalsystem...............................................................................9 Abbildung 4: Problemstellungen und Lösungsanforderungen im Überblick ...........................................13 Abbildung 5: Relevante Forschungsergebnisse zur Vertriebswegeorganisation....................................16 Abbildung 6: Relevante Forschungsergebnisse zum Vertriebssteuerungssystem i.w.S........................19 Abbildung 7: Relevante Forschungsergebnisse zum Vertriebssteuerungssystem i.e.S. .......................21 Abbildung 8: Forschungsobjekt und Erkenntnisobjekt.............................................................................23 Abbildung 9: Abhängige und unabhängige Variablen des Dissertationsprojektes .................................24 Abbildung 10: Aufbau der Arbeit ..............................................................................................................25 Abbildung 11: Theoretischer Bezugsrahmen – Übersicht der Forschungsdisziplinen............................26 Abbildung 12: Theoretischer Bezugsrahmen – Zentrale Aspekte und Ansätze .....................................27 Abbildung 13: Operationalisierung von Nützlichkeit.................................................................................31 Abbildung 14: Schematische Darstellung des Forschungsprozesses ....................................................32 Abbildung 15: Vertriebskanäle im Bereich Private Clients.......................................................................35 Abbildung 16: Übersicht der Forschungsmethoden.................................................................................44 Abbildung 17: Forschungsprozess der Arbeit ..........................................................................................47 Abbildung 18: Evaluationskriterien für die Beurteilung der Qualität von Fallstudien...............................49 Abbildung 19: Theoretischer Bezugsrahmen – Detail .............................................................................54 Abbildung 20: Filialzentrierte Mehrkanalbank ..........................................................................................56 Abbildung 21: Zielkatalog des Mehrkanalvertriebs ..................................................................................60 Abbildung 22: Aufgaben eines Vertriebskanals in der Finanzdienstleistungsbranche ...........................61 Abbildung 23: Das Mehrkanalvertriebssystem einer Bank ......................................................................61 Abbildung 24: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem........................................................68 Abbildung 25: Prozess des strategischen Managements........................................................................71 Abbildung 26: Deskriptive Prozessmodelle..............................................................................................72 Abbildung 27: Die Formierung von Strategien .........................................................................................73 Abbildung 28: Zielhierarchie im strategischen Management...................................................................78 Abbildung 29: Dimensionen betrieblicher Ziele........................................................................................79 Abbildung 30: Übersicht Zielkategorien....................................................................................................80 Abbildung 31: Überblick über die verschiedenen Channel-Typen ..........................................................87 Abbildung 32: Abstimmung von Vertriebsstrategie und Organisationstyp ..............................................88 Abbildung 33: Zuordnungsaufgaben im Wettbewerb der Vertriebskanäle..............................................88 Abbildung 34: Formen der strategischen Kontrolle..................................................................................89 Abbildung 35: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem........................................................92 Abbildung 36: Phasen des Business-Process-Managements ................................................................95 Abbildung 37: Ermittlung wettbewerbskritischer Kerngeschäftsprozesse...............................................97 Abbildung 38: Bezugsrahmen für die Identifikation von Kerngeschäftsprozessen .................................98 ABBILDUNGSVERZEICHNIS VIII Abbildung 39: Prozesswürfel ....................................................................................................................99 Abbildung 40: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem......................................................100 Abbildung 41: Dimensionsanalyse von Kennzahlensystemen..............................................................103 Abbildung 42: Allgemeine Anforderungen an Kennzahlensysteme ......................................................106 Abbildung 43: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem......................................................107 Abbildung 44: Vorgehensweise zur Ableitung von Anforderungen .......................................................110 Abbildung 45: Ableitung der Anforderungsdimensionen .......................................................................111 Abbildung 46: Übersicht über die notwendigen Anforderungen ............................................................113 Abbildung 47: Einbindung in den gesamten Managementprozess .......................................................115 Abbildung 48: Die Komponenten einer Informationssituation................................................................118 Abbildung 49: Übersicht über die hinreichenden Anforderungen..........................................................120 Abbildung 50: Stakeholder bei der Koordination von Mehrkanalsystemen bei Banken .......................122 Abbildung 51: Organisation des Mehrkanalvertriebs .............................................................................123 Abbildung 52: Kanalübergreifende Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse ....................................125 Abbildung 53: Formen der strategischen Kontrolle................................................................................126 Abbildung 54: Entwicklung der Management-Paradigmen bei Banken ................................................126 Abbildung 55: Wertorientierung im Vertrieb ...........................................................................................127 Abbildung 56: Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign.....................................................................128 Abbildung 57: DuPont-System of Financial Control...............................................................................131 Abbildung 58: Struktur eines Vertriebs-Controlling-Kennzahlensystems ..............................................133 Abbildung 59: Shareholder Value-Ansatz nach Rappaport ...................................................................135 Abbildung 60: Merkmale eines unternehmenswertorientierten Controllings .........................................137 Abbildung 61: Perspektiven der Balanced Scorecard ...........................................................................142 Abbildung 62: Arbeitslogik der Balanced Scorecard..............................................................................143 Abbildung 63: Strategiebaum eines Unternehmens aus der Telekommunikationsindustrie ................143 Abbildung 64: Strukturierung von Wissenskapital..................................................................................148 Abbildung 65: Beurteilung der Führungsarbeit ......................................................................................151 Abbildung 66: Performance-Messung im GMN .....................................................................................152 Abbildung 67: Idealtypische Struktur des aufgabenorientierten Marketingkennzahlensystems...........154 Abbildung 68: ibi-Wertdreieck.................................................................................................................158 Abbildung 69: Struktur des ibi-Vertriebscockpits....................................................................................159 Abbildung 70: Übersicht der Anforderungen..........................................................................................164 Abbildung 71: Evolutionsmodell des Wissens .......................................................................................168 Abbildung 72: Argumentationskette der resource-based View .............................................................168 Abbildung 73: Idealtypische Struktur des Kennzahlensteuerungssystems...........................................170 Abbildung 74: Dimensionen des dualen Steuerungsmodells im Bankcontrolling .................................175 Abbildung 75: Triade des ertragsorientierten Bankmanagements ........................................................176 Abbildung 76: Abgrenzung verschiedener wertorientierter Steuerungskonzepte .................................177 Abbildung 77: Operationalisierung ausgewählter periodenorientierter Kennzahlen .............................179 Abbildung 78: Operationalisierung mehrperiodischer Kennzahlen .......................................................180 Abbildung 79: Periodische vs. barwertorientierte (mehrperiodische) Vertriebssteuerung ....................182 ABBILDUNGSVERZEICHNIS IX Abbildung 80: Vor- und Nachteile der volumenorientierten Schlüsselung ............................................183 Abbildung 81: Vor- und Nachteile der ertragsorientierten Schlüsselung...............................................183 Abbildung 82: Vor- und Nachteile der kostenorientierten Schlüsselung ...............................................184 Abbildung 83: Vor- und Nachteile der Alternative 1 ...............................................................................186 Abbildung 84: Vor- und Nachteile der Alternative 2 ...............................................................................186 Abbildung 85: Vergleich alternativer Gestaltungsformen für Wertebäume ...........................................187 Abbildung 86: Erfolgsdimensionen des klassischen Bankcontrollings..................................................189 Abbildung 87: Ziele der Distribution........................................................................................................190 Abbildung 88: Kundenwert als zentrale Orientierungsgrösse im Mehrkanalvertrieb ............................191 Abbildung 89: Effizienz und Effektivität der Kundenbetreuung..............................................................191 Abbildung 90: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Kundenwert.....................................................193 Abbildung 91: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Produkt-/Serviceerfolg ....................................195 Abbildung 92: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Vertriebssystemeffizienz .................................196 Abbildung 93: Kanalspezifische Aufgabenprofile im Mehrkanalvertriebssystem..................................198 Abbildung 94: Kennzahlenbeispiele für Internet (Information)...............................................................199 Abbildung 95: Kennzahlenbeispiele für Kundenberater (Information/Beratung)...................................199 Abbildung 96: Kanalübergreifende Vertriebsprozesse im Mehrkanalvertriebssystem..........................200 Abbildung 97: Kennzahlenbeispiele für kanalübergreifende Prozesse (Information/Beratung) ...........201 Abbildung 98: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Finanzkapital ...................................................205 Abbildung 99: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Strukturkapital .................................................206 Abbildung 100: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Humankapital ................................................207 Abbildung 101: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Kundenpotentiale..........................................209 Abbildung 102: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Produkt-/Servicepotentiale............................210 Abbildung 103: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Vertriebssystempotentiale ............................210 Abbildung 104: Merkmale des Berichtswesens .....................................................................................218 Abbildung 105: Elemente erfolgsorientierter Vergütungssysteme ........................................................219 Abbildung 106: Idealtypische Phasen zur Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems .............222 Abbildung 107: Idealtypische Struktur eines Kennzahlensteuerungssystems......................................223 Abbildung 108: Notwendige und hinreichende Anforderungen .............................................................228 Abbildung 109: Idealtypische Struktur eines Kennzahlensteuerungssystems......................................229 ZUSAMMENFASSUNG X ZUSAMMENFASSUNG Beim Management von Mehrkanalvertriebssystemen in Banken gilt es, nicht nur strategische Entscheidungen über die Konfiguration und Koordination solcher Systeme zu treffen, sondern auch, diese konzeptionellen Überlegungen erfolgreich umzusetzen. Für die Implementierung von Mehrkanalstrategien und die zielorientierte Steuerung der Vertriebskanäle werden in der Bankpraxis Kennzahlensysteme eingesetzt. Bei den gegenwärtig verwendeten Systemen handelt es sich um Controlling-Ansätze aus dem traditionellen Filialvertrieb, welche durch verschiedene konzeptionelle Defizite gekennzeichnet sind: Sie konzentrieren sich auf den Filialkanal, vernachlässigen aber alternative Kanäle und ignorieren Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Vertriebskanälen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war, eine Konzeption für ein integriertes Kennzahlensteuerungssystem zu entwickeln, welches für die strategieorientierte Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer Bank geeignet ist und zu einer Steigerung des Vertriebserfolgs beiträgt. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung sollte aufgezeigt werden, welches die relevanten Ziel- und Steuerungsdimensionen eines solchen Systems sind und wie Messgrössen systematisch identifiziert werden können. Im Rahmen der qualitativen Forschungsmethodik wurde der entwickelte Ansatz anhand einer Einzelfallstudie über den Bereich Private Clients der Credit Suisse erläutert. Die in der Dissertation präsentierte Konzeption orientiert sich in den Grundzügen an bestehenden Ansätzen des Qualitätsmanagements, an ressourcenorientierten Konzepten und an den unterschiedlichen Formen der strategischen Kontrolle (Input, Throughput, Output, Outcome). Das entwickelte Kennzahlensteuerungssystem basiert auf einer prozessorientierten Grundstruktur (Potentiale, Prozesse, Ergebnisse) und ist in drei Ebenen gegliedert: Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen, Vertriebsaufgaben und -prozessorientierte Kennzahlen sowie Finanzwirtschaftliche Ergebnisskennzahlen. Mit der entwickelten Konzeption ist es gelungen, einen umsetzungsorientierten Beitrag zur Lösung der aktuellen wissenschaftlichen und praktischen Problemstellungen im Zusammenhang mit der integrierten Vertriebssteuerung von Mehrkanalsystemen in Banken zu leisten. SUMMARY XI SUMMARY Managing multi-channel distribution systems in banks requires taking strategic decisions about the configuration and coordination of such systems as well as successfully implementing such concepts. For the implementation of a multi-channel distribution strategy and the objective-driven controlling of distribution channels, performance measurement systems are usually applied. The systems currently in place are conceptionally based upon traditional branch-focused distribution systems. As a consequence, these concepts have several disadvantages: First, they focus on the branch but neglect alternative channels. Second, they ignore specific characteristics of multi-channel distribution systems including for example channel interdependencies or interactions. The objective of this thesis was to develop a framework for an integrated performance measurement system suitable to control a bank’s multi-channel distribution system on a strategic level with the objective of improving sales performance. Considering the objective of this thesis, the aim was to identify the key dimensions of such a system and to describe a systematic approach on how to derive performance indicators. Based upon the qualitative research methodology defined, the developed framework was applied in an explanatory single case study about the business area of the ”Private Clients” in Credit Suisse. The cornerstones of the developed framework were derived from existing quality control systems, resource-based concepts as well as different forms of strategic control (input, throughput, output, outcome). From a structural point of view, the framework is based on a processorientied logic (potentials, processes, results) and is divided into three layers: resource- and potential-oriented indicators, distribution task- and process-oriented indicators as well as financial indicators. The developed framework is a pragmatic contribution that helps solving actual scientific and practical problems related to an integrated performance management of multi-channel distribution systems in banks. TEIL 1: EINFÜHRUNG 1 TEIL 1: EINFÜHRUNG „Der bestausgerüstete Ozeandampfer treibt hilflos auf hoher See, wenn die Steuerungsinstrumente auf der Kommandobrücke keinen klaren Kurs vorgeben.“ H. Harnbücher, CEO Sparkasse Heilbronn 1. Problemstellung und Handlungsbedarf Traditionelle Retail-Banken mit einem Filialnetz befinden sich in einem strategischen Spannungsfeld. Sie drohen, im Wettbewerb mit Direktbanken und Finanzvertrieben an Boden zu verlieren. Im Bereich einfacher und standardisierter Produkte werben Direktanbieter RetailBanken zunehmend Kunden ab. Direktanbieter setzen vorteilhaftere Kostenstrukturen durch den Verzicht auf Filialen direkt in Preisvorteile gegenüber den Kunden um. Ferner werden Retail-Banken durch vertriebsstarke Allfinanzanbieter wie den Allgemeinen Wirtschaftdienst (AWD), das Vermögenszentrum (VZ) oder Marschollek, Lautenschläger und Partner (MLP) besonders einkommens- oder vermögensstarke Kunden bzw. margenstarke Produkte entzogen. Diese Konkurrenten setzen auf die intensive persönliche Betreuung.1 Viele Retail-Banken reagieren in diesem Spannungsfeld mit einer strategischen Gegensteuerung, um nicht im Sinne eines „Stuck-in-the-Middle“2 gegenüber fokussierten Konkurrenten ins Hintertreffen zu gelangen. Die meisten setzen dabei auf die Positionierung als filialzentrierte Mehrkanalbank.3 Ziel dieses Ansatzes ist, elektronische Vertriebskanäle für standardisierte Produkte und Transaktionen zu nutzen und die Filiale als Beratungszentrum neu zu positionieren.4 Der Weg zu einer filialzentrierten Mehrkanalbank führt von einer isolierten Betrachtung vieler nebeneinander stehender Kanäle hin zu einer integrierten Sichtweise der Kanäle und somit zu einer integrierten Mehrkanalbank. Diese Integration beschränkt sich nicht nur auf die technische Ebene, sondern muss auch auf der Ebene der Prozesse, Produkte und Organisationseinheiten erfolgen.5 Schliesslich ist auch aus Führungssicht das Management der Mehrkanalbank bzw. des Mehrkanalvertriebssystems von grosser Bedeutung. Das Management von Mehrkanalsystemen, d.h. die bewusste und aktive Gestaltung eines solchen Distributionssystems, wird meist als Multichannel-Management oder Multichannel-Marketing6 bezeichnet. Ein erfolgreiches Multichannel-Management7 muss sich dabei v.a. mit der Integration neuer Vertriebskanäle, der Konfiguration des Vertriebskanal-Mixes und der Koordination des Mehr- 1 2 3 4 5 6 7 Vgl. Wild/Wimmer 2004, S. 35-38. Porter/Brandt/Schwoerer 1999. Eine filialzentrierte Mehrkanalbank ist ein Finanzinstitut, bei welchem die einzelnen Absatzkanäle zu einem Mehrkanalvertriebssystem integriert wurden. Filialzentriert wird eine Mehrkanalbank bezeichnet, wenn die Filiale von der Bedeutung und Grösse her der zentrale Absatzkanal ist. Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004, S. 403. Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004, S. 404. Yulinsky 2000. In dieser Arbeit werden die Begriffe Multichannel, Mehrkanal und Multikanal als Synonyme verwendet. TEIL 1: EINFÜHRUNG 2 kanalsystems auseinander setzen.8 Zu den Aufgaben des Multichannel-Managements gehört es nicht nur, Entscheidungen9 über die Gestaltung und Koordination des Vertriebskanal-Mixes zu treffen, sondern auch, diese konzeptionellen Überlegungen erfolgreich umzusetzen.10 Für die erfolgreiche Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalstrategie ist ein intelligentes Instrumentarium in Form einer Multichannel-Vertriebssteuerung von zentraler Bedeutung. Es geht darum, die Strategie der filialzentrierten Mehrkanalbank in der Vertriebssteuerung abzubilden und damit ein Mehrkanal-Controlling aufzubauen. Nur so werden Vertriebserfolge kanalübergreifend messbar und Misserfolge transparent.11 1.1 Problemstellung Betrachtet man gegenwärtige Vertriebssteuerungssysteme12 von Banken, erkennt man erhebliche Probleme, welche v.a. auf den Entwicklungsprozess, die Inhaltsdefinition und die angewandte Messmethode zurückzuführen sind. Die nicht zweckmässigen Systeme erschweren eine effektive Umsetzung der Strategie „filialzentrierte Mehrkanalbank“. Das liegt daran, dass es sich bei den etablierten Steuerungsinstrumenten um gewachsene ControllingSysteme aus dem Filialvertrieb handelt.13 Die gegenwärtig eingesetzten Vertriebssteuerungssysteme konzentrieren sich auf den Vertriebsweg Filiale und sind für den Mehrkanalvertrieb nicht geeignet. Diese Systeme gilt es zu mehrkanalfähigen Ansätzen zu erweitern. Dabei genügt es nicht, durch einzelne innovative Ansätze die Steuerungssysteme in den einzelnen Vertriebskanälen weiter zu entwickeln. Die Positionierung als filialzentrierte Mehrkanalbank bringt weit reichende Veränderungen in den Bereichen der Vertriebswegeorganisation und der Vertriebssteuerung mit sich.14 Die Konzeption eines integrierten Vertriebssteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb ist dabei besonders anspruchsvoll. Zahlreiche komplexe Problemstellungen und Sachzusammenhänge, welche in Abbildung 1 schematisch aufgeführt sind, gilt es zu berücksichtigen. 8 9 10 11 12 13 14 Vgl. Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 13 ff. Schögel 1997, S. 108 ff. Schögel beschreibt im Rahmen des Multichannel-Managements die grundlegenden Fragen bzw. Entscheidungsebenen. Grundsätzlich unterscheidet er die folgenden drei Ebenen: Variation (Veränderungsbedarf festlegen), Konfiguration (Absatzkanal-Mix bestimmen) und Koordination (Mehrkanalsystem abstimmen). Vgl. Schögel 1997, S. 180. Vgl. Bernhardt/Hofferbert-Junge 2002, S. 2. Unter einem Vertriebssteuerungssystem i.w.S. wird in dieser Arbeit das Zusammenspiel der Preispolitik, von Anreizsystemen sowie der Vertriebskalkulation und -kennzahlensysteme verstanden. Unter einem Vertriebssteuerungssystem i.e.S. wird ein Kennzahlensystem verstanden, welches dazu dient, die Vertriebsstrategie zu operationalisieren und umzusetzen. Vgl. dazu Abbildung 1. Vgl. Wild/Wimmer 2004, S. 35. Vgl. Wild/Wimmer 2004, S. 35. TEIL 1: EINFÜHRUNG 3 Problemstellungen Vertriebswegeorganisation Organisatorische a Gestaltung der Vertiebswege Klärung des b Wettbewerbs a Vertriebssteuerungssystem i.w.S Vertriebssteuerungssystem i.e.S Lösungsanforderungen Profit Center Konkurrenz ? Kooperation Offene Fragen der Preispolitik $$ MehrkanalVertriebsorganisation Organisation des Wettbewerbs Fehlende Differenzierung Zielkomplementäre Anreizsysteme c Kosten- und Erlösrechnung Mangelnde Prozess- und Mehrkanalorientierung Mehrkanalfähige KostenrechungsSysteme K1...Kn Service Center Cost Center Konkurrenz Kooperation Kostenrechnisch fundierte Preisentscheidungen b Anreizsysteme Traditionelle Vertriebskennzahlensysteme Profit Center x $$ y $$ Kanalspezifische Gestaltung Integriertes Kennzahlensteuerungssystem Abbildung 1: Übersicht über die Problemstellungen bei der Strategieimplementierung Quelle: In Anlehnung an Wild/Wimmer 2004. In den nachfolgenden Abschnitten werden diese Problemstellungen erörtert sowie Lösungsanforderungen formuliert, welche bei der Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalstrategie zu berücksichtigen sind. Die Problemstellungen werden in drei Themenbereiche unterteilt: Vertriebswegeorganisation, Vertriebssteuerungssystem i.w.S. und Vertriebssteuerungssystem i.e.S. 1.1.1 Vertriebswegeorganisation In der Vertriebswegeorganisation werden in den Themenbereichen organisatorische Gestaltung und Wettbewerb zwischen den Kanälen die zentralen Problemstellungen und die jeweiligen Lösungsanforderungen aufgezeigt. Fehlende Konformität zwischen Vertriebsstrategie und Organisationsform Problemstellung: Retail-Banken haben in den vergangenen Jahren alternative Vertriebswege15 aufgebaut. Der Organisationstyp (Profit-Center16, Service-Center17, Cost-Center18) der Vertriebswege wurde dabei oft losgelöst von deren vertriebsstrategischen Positionierung fest- 15 16 17 18 Unter alternativen Vertriebswegen versteht man u.a. das Internet, Contact- oder Call-Centers. http://www.manalex.de/d/profit-center/profit-center.php: Unter einem Profit-Center versteht man eine Organisationseinheit (meistens im Rahmen einer Spartenorganisation) die selbständig und selbstverantwortlich nach Gewinn strebt. http://www.manalex.de/d/service-center/service-center.php: Ein Service-Center ist eine unternehmensinterne Organisationseinheit, die gegen Verrechnung Leistungen an andere Kostenstellen abgibt. Damit will man den Unternehmergedanken innerhalb des Betriebes verankern. Ein Service-Center soll sein Angebot nach der innerbetrieblichen Nachfrage ausrichten und seine Preise mit denjenigen äquivalenter Marktleistungen vergleichen. Dabei ist sein Ziel, seine gesamten Kosten an die internen Abnehmer belasten zu können. http://www.manalex.de/d/cost-center/cost-center.php: Ein Cost-Center ist ein in sich abgeschlossener, organisatorischer Teilbereich eines Unternehmens, welcher keinen Zugang zum Markt hat. Da keine Erlöse aus Markttätigkeit anfallen, werden auch keine Gewinnziele festgelegt. Vielmehr werden Kosteneinhaltungsziele gemäss dem Wirtschaftlichkeitsprinzip definiert. TEIL 1: EINFÜHRUNG 4 gelegt. Diese unmittelbare Wahl des Organisationstyps führt zu Unklarheiten sowie Doppelspurigkeiten hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen den Kanälen. Lösungsanforderung: Die Konformität zwischen der Vertriebsstrategie und der organisatorischen Gestaltung der Vertriebswege ist für die erfolgreiche Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalstrategie von grosser Bedeutung. Bankschalter Ist-Zustand Soll-Zustand Vertriebswege Vertriebswege Bankomat Mobiler Berater CallCenter Internet Bankschalter Mobiler Berater Bankomat CallCenter Internet Vertriebsstrategische Positionierung des Kanals? CustomerChannel ProfitCenter ServiceCenter Unmittelbare Wahl des Organisationstyps CostCenter ProfitCenter ProductChannel SalesChannel ServiceCenter SupportChannel CostCenter Vertriebsstrategiekonforme bzw. mittelbare Wahl des Organisationstyps Abbildung 2: Vertriebsstrategische Positionierung und Organisationstyp Quelle: In Anlehnung an Wild/Wimmer 2004. Die neuen Vertriebskanäle müssen organisatorisch in das Center-Konzept integriert werden. In Abhängigkeit von der vertriebsstrategischen Ausrichtung der Kanäle sind sie dabei entweder als selbstständige Profit-Center oder lediglich als Service- bzw. Cost-Center ohne eigene Erfolgsverantwortung einzurichten. Die Wahl der geeigneten Organisationsform richtet sich nach der Positionierung der einzelnen Vertriebswege innerhalb des strategischen Vertriebsansatzes der Bank.19 In diesem Zusammenhang spricht man von einer mittelbaren oder vertriebsstrategiekonformen Wahl des Organisationstyps der Vertriebswege. In Bezug auf die vertriebsstrategische Positionierung lassen sich vier Typen von einander abgrenzen: Customer-, Product-, Sales- und Support-Channels. Während es sich bei CustomerChannels um Vertriebswege handelt, die sich speziell auf bestimmte Kundensegmente konzentrieren, sind Product-Channels auf den Vertrieb bestimmter Produkte ausgerichtet. Die Aufgabe von Sales-Channels liegt – ohne eine spezielle produkt- oder kundenbezogene Fokussierung – auf dem Vertrieb eines breiten Angebotes an Finanzdienstleistungen. Dies trifft im Regelfall auf die traditionelle Filiale zu, kann aber auch für das Internet oder das Customer Care-Center gelten. Der Schwerpunkt bei Support-Channels liegt demgegenüber nicht auf dem Vertrieb von Finanzdienstleistungen. Diese Kanäle bieten Service und Transaktionsleistungen an. 19 Vgl. Wild/Wimmer 2004, S. 36. TEIL 1: EINFÜHRUNG 5 Aufgrund ihrer intensiven Vertriebsorientierung sind Customer-, Product- und Sales-Channels bei den meisten Banken als Profit-Center organisiert. Support-Channels im Falle einer bewertungstechnisch durchführbaren und wirtschaftlich sinnvollen Möglichkeit der Weiterverrechnung von Leistungen an andere Vertriebswege als Service-, im anderen Fall als CostCenter.20 Unklarheiten bezüglich des Wettbewerbs zwischen den Kanälen Problemstellung: Im Bereich der Vertriebswegeorganisation ergibt sich im Zusammenhang mit der Klärung des Wettbewerbs zwischen den Kanälen eine weitere Herausforderung: RetailBanken müssen bei der Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalstrategie entscheiden, ob und wie viel Wettbewerb zwischen den einzelnen Kanälen herrschen soll. Oft wird diese Fragestellung nicht explizit durchdacht und beantwortet. Vielmehr wird durch die unmittelbare Wahl des Organisationstyps bzw. der Center-Typen die Intensität und Struktur des Wettbewerbs implizit bestimmt. Diese Vorgehensweise führt meistens zu ungewollten und v.a. kostspieligen Kanalkonflikten, welche schliesslich eine ineffiziente Ressourcenallokation zur Folge haben. Lösungsanforderung: Schögel21 betrachtet die Koordination bzw. die Klärung des Wettbewerbs zwischen den Kanälen als eine der beiden Kernaufgaben des Mehrkanalvertriebs. Die Aktivitäten der Kanäle gilt es, in einem Mehrkanalsystem abzustimmen, damit ein interner Fit zwischen den Vertriebskanälen hergestellt wird. Holmsen22 unterscheidet in Bezug auf die Wettbewerbsintensität zwischen zentralistischen, föderalistischen oder darwinistischen Ansätzen. Der Entscheid, welcher Ansatz sinnvoll ist, hängt von der Strategie der Bank, deren Positionierung im Markt sowie der Marktentwicklung ab. Hersteller müssen sich im Mehrkanalvertrieb damit auseinander setzen, welche Stellung die Vertriebskanäle im Wettbewerb besitzen, welche Leistungen in den Kanälen zu erbringen und wie die Kanäle untereinander verbunden sind.23 Wie eingangs aufgezeigt wurde, dient die vertriebsstrategische Einteilung in erster Linie der klaren internen und externen Positionierung und Aufgabenverteilung der Kanäle. Sie ist die Basis für die Wahl des passenden Organisations- bzw. Center-Typs. Durch eine geeignete Zuordnung kann sichergestellt werden, dass die organisatorischen Vorgaben mit der vertriebsstrategischen Ausrichtung einer Mehrkanalbank in Einklang gebracht werden. 1.1.2 Vertriebssteuerungssystem i.w.S. Durch den Aufbau alternativer Vertriebskanäle werden die Vertriebsprozesse von Banken zunehmend komplex. Retail-Banken stehen vor der Herausforderung, ihre Kanäle derart zu koordinieren bzw. zu steuern, dass die Gesamtbankziele erreicht werden können. Diese Koordinationsfunktion muss durch ein geeignetes Steuerungsinstrumentarium wahrgenommen werden. Einem kanalübergreifenden, integrierten Vertriebssteuerungssystem wird für die er- 20 21 22 23 Vgl. Wild/Wimmer 2004, S. 37. Schögel 1997. Holmsen et al. 1998. Vgl. Moriarty/Moran 1991, S. 98. TEIL 1: EINFÜHRUNG 6 folgreiche Umsetzung einer Mehrkanalstrategie daher eine besonders hohe Bedeutung zugesprochen.24 Die gegenwärtigen Vertriebssteuerungssysteme stellen oft keine integrierten Ansätze dar, weil sie i.d.R. einseitig auf den Vertriebsweg Filiale oder auf einen alternativen Kanal wie Internet oder Call-Center ausgelegt sind. Die drei anschliessend beschriebenen Aspekte zeigen die Defizite solcher Systeme i.w.S. auf. Anschliessend wird im Abschnitt 1.1.3 spezifisch auf die Probleme von Vertriebssteuerungssystemen i.e.S. bzw. Vertriebskennzahlensystemen eingegangen. Offene Fragen in der Preispolitik Problemstellung: Die Herausforderungen im Bereich der Preispolitik müssen im Zusammenhang mit denen der Leistungspolitik einer Mehrkanalbank betrachtet werden. In einer Situation, in der sowohl die Vielfalt der angebotenen Leistungen als auch die Anzahl der Vertriebskanäle steigen, stellt sich die Frage, welche Leistungen über welche Kanäle und zu welchen Preisen angeboten werden sollen. Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten, da davon ausgegangen werden kann, dass das Angebot einer Leistung über einen Kanal Einfluss auf die Nachfrage nach Leistungen auf anderen Kanälen hat.25 Solche Wechselwirkungen können durch Substitutions- oder Komplementäreffekte induziert werden. So kann beispielsweise eine Überweisung über das Internet eine Überweisung in der Filiale substituieren. Ebenso kann einem Kauf von Fondsanteilen im Call-Center einer Bank die Informationseinholung über das Internet und bei einer Filiale vorausgehen. Dieses Beispiel zeigt das Problem einer rein isolierten, kanalspezifischen Betrachtung. Man rechnet dem Call-Center hier den vollen Verkaufserfolg zu, während dem Internet und der Filiale nur Auszahlungen zugerechnet würden.26 Solche kanalübergreifenden Effekte sind in der Praxis wohl bekannt, werden aber aus Gründen der Komplexitäts- und Aufwandsreduktion sowie der Einfachheit der lokalen bzw. kanalspezifischen Incentivierung vernachlässigt.27 Aus dieser Vorgehensweise können eine falsche Preissetzung und Erfolgszurechnung für die Leistungen der Kanäle resultieren. Dies wiederum kann zu Über- und Unterinvestitionen führen.28 Es wird daher vermutet, dass das Fehlen einer kanalübergreifenden und kostenrechnerisch fundierten Preispolitik einer der Gründe ist, weshalb Kunden für die Abwicklung einfacher Transaktionen weiterhin die kostenintensiven Filialen anstelle der günstigeren alternativen Kanäle aufsuchen.29 Lösungsanforderung: Für ein erfolgreiches Multi-Channel-Management ist es von zentraler Bedeutung, die verschiedenen Kanäle in eine gemeinsame Strategie einzubinden. Soll für den Kunden ein Mehrwert geschaffen werden, dürfen die Kanäle nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern sollten als interdependentes System verstanden und gemanagt werden. Dies muss sich auch in der Preispolitik niederschlagen. Dabei bedarf es der Berück- 24 25 26 27 28 29 Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004. Vgl. Faisst et al. 2003, S. 4. Vgl. Faisst et al. 2003, S. 6. Vgl. Grimm/Röhricht 2003. Vgl. Ossadnik 2003, S. 892. Vgl. Wübker/Petra 2002. TEIL 1: EINFÜHRUNG 7 sichtigung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Vertriebswegen und einer kanalübergreifenden Betrachtung bei der Festlegung des Preisniveaus. Im Hinblick auf eine Cash-Flow-Maximierung und eine Vertriebskostensenkung müssen Banken evaluieren, inwieweit sie eine kanalspezifische Preissetzung implementieren. Die Praxis zeigt, dass unter Cash-Flow-Maximierungsaspekten Einheitspreise der kanalspezifischen Preissetzung zumeist unterlegen sind. Dies liegt v.a. darin begründet, dass beim Einheitspreis unterschiedliche Zahlungsbereitschaften und Preiselastizitäten keine Berücksichtigung finden und damit der Preisspielraum in den Kanälen nicht ausgenutzt wird. Dadurch verzichtet man auf die Abschöpfung der Konsumentenrente, d.h. des Differenzbetrags zwischen der Zahlungsbereitschaft der Kunden für ein Angebot und dem tatsächlich verlangten Preis. Diese Problematik wird noch verschärft durch Unterschiede zwischen den Kanälen in Bezug auf Vertriebs- und Servicekosten, die durch einen Einheitspreis nicht verursachergerecht abgebildet werden.30 Um das vorhandene Kostensenkungspotenzial im Vertrieb zu realisieren, müssen die Kunden dazu veranlasst werden, für standardisierte Transaktionen nicht länger die kostenintensive Filiale aufzusuchen, sondern den kostengünstigen Online-Zugang zu bevorzugen. Neben der damit erzielbaren Einsparung (quantitativer Effekt) können sich Filialmitarbeiter so auch auf die Finanzberatung konzentrieren (qualitativer Effekt).31 Nur durch ein über alle Kanäle hinweg optimiertes Preissystem lassen sich Kundenströme profitabel lenken und die Cash-Flows kanalübergreifend maximieren.32 Fehlende Zielkomplementarität der internen Anreizsysteme Problemstellung: Eine weitere Herausforderung liegt in der richtigen Gestaltung der Anreizsysteme33. Sie dienen als Führungsinstrumente zur Generierung wie auch Umsetzung betrieblicher Ziele. Im Zusammenhang mit der Vertriebssteuerung werden darunter Systeme verstanden, welche Anreize für die einzelnen Kanäle und deren Mitarbeiter setzen. Mit Anreizsystemen wird versucht, eine für die Bank vorteilhafte Verhaltensweise zu erwirken. Solche Systeme sind in der Praxis jedoch oft nicht für den Mehrkanalvertrieb konzipiert. Kern der Problematik ist die fehlende Zielkomplementarität zwischen den Vertriebseinheiten und der Gesamtbank.34 Die Effektivität und die Effizienz des Vertriebssystems werden dadurch beeinträchtigt. 30 31 32 33 34 Vgl. Wübker/Petra 2002, S. 377. Vgl. Wübker/Petra 2002, S. 376. Vgl. Faisst et al. 2003. Faisst zeigte, dass die kanalübergreifende Steuerung bzw. Preispolitik zwar höhere Anforderungen an die Informationsgewinnung, -verarbeitung und -aufbereitung stellen, aber generell zumindest gleich hohe Cash-Flows wie bei kanalspezifischer lokaler Optimierung generiert werden. Es gilt daher zu beachten, dass die Preise der über verschiedene Kanäle im Mehrkanalsystem vertriebenen Produkte aufeinander abgestimmt werden. Becker 2003, S. 233. Unter Anreizsystemen versteht man die Summe aller im Wirkungsverbund bewusst gestalteten und aufeinander abgestimmten Stimuli (Arbeitsbedingungen i.w.S.), die bestimmte Verhaltensweisen (durch positive Anreize, Belohnungen) auslösen bzw. verstärken, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens unerwünschter Verhaltensweisen dagegen mindern (durch negative Anreize, Sanktionen) sowie die damit verbundene Administration. Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004, S. 407. TEIL 1: EINFÜHRUNG 8 Lösungsanforderung: Im Hinblick auf eine erfolgreiche Umsetzung der filialzentrierten Mehrkanalstrategie gilt es bei bankinternen Anreizsystemen grundsätzlich, zwei Fragen zu beantworten. Einerseits muss geklärt werden, welche Systeme in welchen Vertriebseinheiten sinnvoll sind. Andererseits muss darauf geachtet werden, dass durch die Wahl der Erfolgsmassstäbe und entsprechender Kennzahlen für die dezentralen Organisationstypen und ihre Anreizsysteme eine Zielkomplementarität zwischen den Vertriebseinheiten und der Gesamtbank erreicht wird.35 Mangelnde Prozess- und Mehrkanalorientierung in der Vertriebskalkulation Problemstellung: Die Wahlfreiheit des Kunden, Teilleistungen in den verschiedenen Kanälen in Anspruch zu nehmen, führt bereits heute zu tausenden vorstellbarer Kombinationen – und damit tausende multikanaler Geschäftsprozesse.36 Abbildung 3 stellt den ursprünglichen Vertriebsprozess vom Filialbetrieb zwei kanalübergreifenden Prozessen gegenüber. Kanalübergreifende Vertriebsprozesse führen zu einer Aufspaltung von Kostenverursachung und Erlösanfall. Zusätzlich beeinflusst die Wahl der Vertriebswege durch die Kunden auch die Kostenentstehung in den Back-Office-Bereichen. Die Wahl elektronischer Vertriebskanäle (z.B. Internet) verursacht i.d.R. weniger Grenzkosten als die personalintensiven Vertriebswege (z.B. Filiale). Neben dem damit verbundenen Komplexitätszuwachs im Vertrieb ergeben sich – bedingt durch die Wettbewerbssituation – erhöhte Anforderungen an Wirtschaftlichkeits- und Erfolgsmessung.37 Der zunehmenden Komplexität der Vertriebsprozesse stehen jedoch vergleichsweise einfache Vertriebskalkulations- bzw. Kostenrechungssysteme gegenüber. Diese Systeme basieren bei den meisten Retail-Banken auf wenigen standardisierten Geschäftsprozessen aus dem traditionellen Filialbetrieb. In den Kostenrechnungssystemen der Banken werden dabei überwiegend standardisierte Filialprozesse und Stückkostensätze als Grundlage für ihre Kalkulationsrechnungen verwendet. Mit diesen Methoden ist im Mehrkanalvertrieb weder eine verursachungsgerechte Kosten- und Leistungsrechnung noch eine multikanalorientierte Vertriebssteuerung möglich. Eine effektive und effiziente Unternehmenssteuerung ist kaum mehr gewährleistet.38 35 36 37 38 Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004, S. 407. Vgl. Schwanitz 2002, S. 31. Vgl. Bartmann et al. 2003, S. 17. Vgl. Levermann/Rathsmann/Schwanitz 2002, S. 331. TEIL 1: EINFÜHRUNG 9 Abbildung 3: Vertriebsprozesse im Mehrkanalsystem Quelle: In Anlehnung an Schwanitz/Ahr 2002. Lösungsanforderung: Zentrale Anforderung an die Controlling-Verantwortlichen in den Banken muss es deshalb sein, Struktur und Strategie des Mehrkanalvertriebs insbesondere die Tatsache einer kanalübergreifenden Kundenbedienung in die Vertriebssteuerung zu integrieren und ein multikanalorientiertes Kostenrechnungssystem zu entwickeln.39 Aufgabe der Kotenrechnung ist es, die differenzierten Kostenstrukturen im Mehrkanalvertrieb zu erfassen und Vertriebsprozesse auf den einzelnen Kanälen mit Standardkosten zu bewerten, um auf diese Weise eine kanalspezifische Erfolgskalkulation zu ermöglichen sowie eine kanalspezifische Preisdifferenzierung zu fundieren. Voraussetzung dafür ist ein prozessorientiertes Kostenrechnungssystem, das auf einer kanalübergreifenden Produkt- und Leistungsanalyse aufsetzt. Auf diese Weise können kanalspezifische Standardkosten nicht nur für einzelne Produkte, sondern für Teilprozesse ermittelt werden.40 In diesem Abschnitt wurden die Problemstellungen im Zusammenhang mit der Vertriebssteuerung i.w.S. aufgezeigt, welche die Themenbereiche Preispolitik, Anreiz- und Vertriebskalkulation umfasst. Wie in Abbildung 1 aufgezeigt, schliesst die Vertriebssteuerung auch Vertriebskennzahlensysteme mit ein. Diese stellen in der vorliegenden Arbeit die Vertriebssteuerung i.e.S. dar. Die zugehörigen Problemstellungen werden im nachfolgenden Abschnitt 1.1.3 erörtert. 1.1.3 Vertriebssteuerungssystem i.e.S. Abschliessend wird hier auf die Vertriebssteuerung i.e.S. eingegangen, unter welcher die Kennzahlensteuerungssysteme verstanden werden. Analog zum vorherigen Abschnitt werden die in Bezug auf den Mehrkanalvertrieb relevanten Problemstellungen erörtert und Lösungs- 39 40 Bartmann et al. 2003, S. 17. Wild/Wimmer 2004, S. 37. TEIL 1: EINFÜHRUNG 10 anforderungen formuliert. Die Probleme werden in die folgenden Kategorien eingeteilt: Entwicklungsprozess41, Inhaltsdefinition42 und Messmethode43. Entwicklungsprozess/Inhaltsdefinition: Unzureichender Bezug zu strategischen Zielsetzungen (vertikale Integration) Problemstellung: Im Zusammenhang mit Kennzahlensteuerungssystemen ist für Unternehmen eine der grössten Schwierigkeiten zu bestimmen, welche der unzähligen Kennzahlen beobachtet werden sollen. Viele Manager glauben, sie hätten dieses Problem durch die Einführung eines Kennzahlensystems wie der Balanced Scorecard gelöst. Mit diesem Ansatz werden solche Systeme als Standardchecklisten oder -verfahren missverstanden, die universell anwendbar und allumfassend sind.44 Die Anwendung eines derartigen Systems allein ermöglicht es den Firmen jedoch nicht herauszufinden, welche Leistungsbereiche – und welche Treiber – die finanziellen Ergebnisse des Unternehmens am stärksten beeinflussen. Unternehmen definieren Leistungsindikatoren meist losgelöst von den strategischen Zielsetzungen. Kausalmodelle (auch Werttreibermodelle genannt), welche plausible Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den gewählten Treibern des strategischen Erfolgs und den Ergebnissen darstellen, werden oft nicht berücksichtigt.45 In diesem Zusammenhang wird oft von einer „Implementierungslücke“46 gesprochen. Lösungsanforderung: Wichtige strategische Inhalte müssen in die operative Planung eingehen, um die effektive Umsetzung sicher zu stellen. Die strategischen Zielsetzungen müssen auf die einzelnen Vertriebskanäle heruntergebrochen und in die Zielvorgaben der Mitarbeiter eingebunden werden. Aussagen aus der Praxis wie „You get what you inspect not what you expect“47 oder „Tell me how you measure me and I’ll tell you how I’ll behave“48 unterstreichen, dass Zielsysteme – insbesondere im Verkauf – die Umsetzung der Strategie massgeblich beeinflussen. Fehlt eine solche vertikale Abstimmung, so besteht die Gefahr einer mangelhaften Umsetzung der konzeptionellen Überlegungen.49 41 42 43 44 45 46 47 48 49 Unter Problemen in Bezug auf den Entwicklungsprozess werden in dieser Arbeit Mängel verstanden, welche vor dem Hintergrund des strategischen Managementprozesses betrachtet werden. Es handelt sich somit um Probleme, deren Ursachen auf den mangelhaften Entwicklungprozess des Kennzahlensystems zurückzuführen sind. Unter Problemen in Bezug auf die Inhaltsdefinition werden in dieser Arbeit Mängel verstanden, welche sich im Inhalt bzw. in den Zieldimensionen und Messgrössen manifestieren. Die Dimensionen des Kennzahlensystems sind dabei u.a. durch eine unzureichende Problemadäquanz, mangelhafte Zweckorientierung und Unvollständigkeit gekennzeichnet. Unter Problemen in Bezug auf die Messmethode werden in dieser Arbeit Mängel verstanden, welche mit einer unzweckmässigen Wahl des Kennzahlensystemdesigns oder anderen konzeptionellen Schwächen zusammenhängen und einen Einfluss auf die Validität und Reliabilität von Kennzahlensystemen haben. Vgl. Larcker/Ittner 2004, S. 71. Vgl. Larcker/Ittner 2004, S. 72. Horvath P. 1998, S. 11. Neely 1998, S. 85. Neely 1998, S. 85. Vgl. Horvath P. 1998, S. 11. TEIL 1: EINFÜHRUNG 11 Entwicklungsprozess/Inhaltsdefinition: Unzureichende Integration der Kennzahlensysteme (horizontale Integration) Problemstellung: Das Marketingcontrolling hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt und differenziert. Allerdings kann man bisher keinesfalls von einem geschlossenen System sprechen. Vielmehr ist insbesondere das operative Marketingcontrolling geprägt von Suboptimierungen auf der Ebene einzelner Instrumente, Produkte und/oder Kunden.50 Die unzureichende Integration manifestiert sich auch bei Kennzahlensystemen im Mehrkanalvertrieb von Retail-Banken. Ohne eine zentrale Koordination entwickeln die einzelnen Vertriebskanäle differenzierte Führungssysteme mit spezifischen Steuerungsdimensionen und Kennzahlen. Auf der Geschäftsfeldebene erschwert diese Vorgehensweise die zielgerichtete Steuerung des gesamten Mehrkanalvertriebs, da die Aggregation der kanalspezifischen Kennzahlen beinahe unmöglich ist. Lösungsanforderung: Um den Mehrkanalvertrieb dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit steuern zu können, ist ein geeignetes Kennzahlensteuerungssystem zu entwerfen. In erster Linie ist es dessen Aufgabe, die zentrale Vertriebsstrategie der Bank über die einzelnen Geschäfts- und Produktbereiche auf die Vertriebseinheiten bzw. Kanäle herunterzubrechen.51 Die Strategieaussagen zu Produkten, Marktsegmenten, Positionierung und Vertriebszielen müssen dabei aufeinander abgestimmt sein (vertikale Integration). Somit ist es in zweiter Linie notwendig, eine horizontale Integrität des Kennzahlensystems sicher zu stellen. Dies bedeutet, dass die Erfolgsmassstäbe bzw. die Kennzahlen für die dezentralen Organisationstypen und ihre Anreizsysteme so gewählt werden, dass eine Zielkomplementarität zwischen den einzelnen Vertriebskanälen und der Gesamtbank erreicht wird.52 Entwicklungsprozess/Inhaltsdefinition: Unzureichende Geschäftsprozessorientierung Problemstellung: Seit mehreren Jahren ist unstrittig, dass Unternehmen den Herausforderungen eines dynamischen Wettbewerbs leichter begegnen können, wenn sie geschäftsprozessorientiert arbeiten und über geeignete Controllinginstrumente bzw. Kennzahlensteuerungssysteme verfügen. Zur Überprüfung der konsequenten Ausrichtung an Geschäftsprozessen liegt die Ermittlung und Verwendung von Prozesskennzahlen nahe.53 Aktuelle Kennzahlensysteme orientieren sich jedoch primär an der organisatorischen Struktur des Vertriebs und nicht an kanalübergreifenden Geschäftsprozessen. Lösungsanforderung: Um die zwischen Prozesskennzahlen bestehenden Interdependenzen dennoch darstellen und bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigen zu können, muss ein Werkzeug zur Verfügung stehen, mit dem einerseits ein aktuelles Bild der Position und der Leistungsfähigkeit der Gesamtorganisation oder einzelner Teile gewonnen werden kann. Andererseits sollen Fehlentwicklungen dadurch rechtzeitig erkannt oder – im Idealfall – ganz vermieden werden können.54 50 51 52 53 54 Vgl. Reinecke 2004, S. 5. Vgl. Bartmann et al. 2003, S. 233. Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004, S. 407. Vgl. Knoll 2001, S. 217. Vgl. Knoll 2001, S. 79. TEIL 1: EINFÜHRUNG 12 Inhaltsdefinition/Messmethode: Einseitige Wahl der Kennzahlendimensionen Problemstellung: Die meisten der in der Praxis eingesetzten betriebswirtschaftlichen Kennzahlensysteme überbetonen finanzielle und operative Kennzahlen, die häufig vergangenheitsorientiert sind.55 Sie missachten dabei nichtfinanzielle Leistungsbereiche, die entscheidend für die Umsetzung der gewählten Strategie sind.56 Lösungsanforderung: Eine der berechtigten Forderungen lautet daher, den ausschliesslichen Blick auf die finanziellen Ergebnisse abgeschlossener Perioden um zusätzliche, in die Zukunft gerichtete Perspektiven zu ergänzen.57 Im Zentrum der betriebswirtschaftlichen Diskussion steht bereits seit einiger Zeit die Erweiterung der finanzwirtschaftlich geprägten Unternehmenssteuerungssysteme um „weiche“ Faktoren.58 Diese Perspektiven beinhalten v.a. Kundenzufriedenheit, die Effizienz interner und die Anbindung externer Prozesse sowie insbesondere die Leistung und Entwicklung der Vertriebsmitarbeiter. Inhaltsdefinition/Messmethode: Mangelnde Aussagekraft durch ungenaue Messungen Problemstellung: Die Aussagekraft von Kennzahlenmessungen ist oft beschränkt. Der Grund ist die Art und Weise, wie Faktoren gemessen werden. Eine Untersuchung59 zeigte auf, dass die Mehrheit von Unternehmen Massstäbe anwendet, die jeglicher statistischen Gültigkeit (Validität) und Zuverlässigkeit (Reliabilität) entbehren. Mit Gültigkeit ist hierbei das Ausmass gemeint, in dem ein Massstab erfolgreich das erfasst, was er erfassen soll. Die Zuverlässigkeit drückt den Grad aus, in dem Messmethoden tatsächliche Leistungsveränderungen widerspiegeln und nicht selbst Fehler verursachen.60 Lösungsanforderung: Firmen müssen herausfinden, welche Leistungsbereiche und welche Treiber die finanziellen Ergebnisse des Unternehmens am stärksten beeinflussen. Dabei sollen Leistungsindikatoren in Bezug auf die strategischen Zielsetzungen identifiziert und in Kausalmodellen (Validität) mit plausiblen Ursache-Wirkungs-Beziehungen dargestellt werden.61 Ferner müssen Firmen methodisch und instrumental sicherstellen, dass die relevanten Faktoren genau gemessen werden (Reliabilität). 1.1.4 Fazit und Implikationen In den vorangehenden Abschnitten wurden für die drei Themenbereiche Vertriebsorganisation, Vertriebssteuerung i.w.S. und Vertriebssteuerung i.e.S. die zentralen Problemstellungen und Lösungsanforderungen aus Sicht der Bankpraxis beschrieben. In Abbildung 4 werden diese Erkenntnisse zusammengefasst. 55 56 57 58 59 60 61 Vgl. Reinecke 2004, S. 6. Vgl. Larcker/Ittner 2004, S. 72. Vgl. Brunold/Sievi/Wegner 2004, S. 403. Vgl. Brunold/Sievi/Wegner 2004, S. 404. Larcker/Ittner 2004, S. 74. Vgl. Larcker/Ittner 2004, S. 72. Vgl. Larcker/Ittner 2004, S. 74. TEIL 1: EINFÜHRUNG 13 Themenbereich Problemstellung Lösungsanforderung Vertriebsorganisation ! Fehlende Konformität zwischen Vertriebsstrategie und Organisationsform ! Integration der neuen Vertriebskanäle in das Center-Konzept ! Vertriebsstrategiekonforme Wahl des Organisationstyps pro Vertriebskanal ! Unklarheiten bezüglich des ! Herstellung eines internen Fits: Wettbewerbs zwischen den Koordination der Aufgaben der Kanälen Vertriebskanäle Vertriebssteuerung i.w.S. Vertriebssteuerung i.e.S. ! Offene Fragen in der Preispolitik ! Implementierung einer kanalübergreifenden Preispolitik ! Fehlende Zielkomplementarität der internen Anreizsysteme ! Einführung von kanalübergreifenden und zielkomplementären Anreizsystemen ! Mangelnde Prozess- und Mehrkanalorientierung in der Vertriebskalkulation ! Einführung einer prozessorientierten und kanalübergreifenden Sicht des Vertriebs ! Ermittlung der Standardkosten pro Vertriebskanal ! Unzureichender Bezug zu strategischen Zielsetzungen (vertikale Integration) ! Herunterbrechen von strategischen Zielsetzungen auf einzelne Vertriebskanäle ! Unzureichende Integration der Kennzahlensysteme (horizontale Integration) ! Sicherstellung einer kanalübergreifenden Zielkomplementarität ! Unzureichende Geschäftsprozessorientierung ! Einführung einer geschäftsprozessorientierten Sicht bzw. Kennzahlen ! Einseitige Wahl der Kennzahlendimensionen ! Berücksichtigung von zukunftsorientierten Kennzahlendimensionen ! Berücksichtigung von nichtfinanziellen Kennzahlen ! Mangelnde Aussagekraft durch ungenaue Messungen ! Verständnis von UrsacheWirkungs-Beziehungen ! Ermittlung von zentralen Treibergrössen Abbildung 4: Problemstellungen und Lösungsanforderungen im Überblick Quelle: Eigene Darstellung. Die in Abbildung 4 aufgeführten Problemstellungen und Lösungsanforderungen werden in Abschnitt 1.2 den aktuellen Ergebnissen der Forschung gegenübergestellt, um daraus den Forschungsbedarf ableiten zu können. TEIL 1: EINFÜHRUNG 14 1.2 Ergebnisse aus der Forschung Das Distributionsmanagement ist seit vielen Jahren ein zentrales Thema in Praxis und Forschung. Schögel62 stellte 1997 fest, dass das Management von Mehrkanalsystemen in der Marketingforschung bisher nur eine geringe Bedeutung findet. Multichannel-Management ist kein kurzlebiges Modethema, sondern eine anspruchsvolle Langzeitherausforderung sowohl für die Fachabteilungen als auch für das Topmanagement von Unternehmen aller Branchen.63 Trotz der hohen Praxisrelevanz sind derzeit v.a. Beiträge aus Fachzeitschriften zu finden. Im Bereich der Marketingforschung konnte die Forschungslücke in den letzten Jahren noch nicht geschlossen werden. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation in der Forschung nicht markant geändert. Gegenüber der Forschung finden sich in der Fachpresse jedoch zahlreiche Beiträge, welche sich unterschiedlichen Themenbereichen des Multichannel-Managements widmen. Inhaltlich werden dabei hauptsächlich folgende Problemstellungen diskutiert: die Gestaltung von Mehrkanalvertriebssystemen64, die Integration traditioneller und alternativer Vertriebskanäle65, der Umgang mit Kanalkonflikten66, die Entwicklung von Mehrkanalvertriebsstrategien67 und innovativer Geschäftsmodelle68, Kundenverhalten und Kundenorientierung69 sowie Vertriebssteuerung70. In Abschnitt 1.1 wurden die Problemstellungen aus der Bankpraxis im Zusammenhang mit der Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalstrategie anhand der drei Themenbereiche Vertriebswegeorganisation, Vertriebssteuerung i.w.S. und Vertriebssteuerung i.e.S. erörtert. Die Analyse der Problemstellungen und Lösungsanforderungen wurde dabei bewusst breit und tief gestaltet, um ein eingehendes Verständnis der zahlreichen Abhängigkeiten zu gewährleisten. Bevor im Abschnitt 1.3 der Forschungsbedarf abgeleitet wird, zeigen die Abschnitte 1.2.1 bis 1.2.3 die bisherigen Forschungsergebnisse zu den Themen Vertriebswegeorganisation, Vertriebssteuerung i.e.S. und Vertriebssteuerung i.w.S. auf. 1.2.1 Vertriebswegeorganisation Im Bereich Vertriebswegeorganisation existieren Publikationen aus den siebziger Jahren, welche hauptsächlich auf die Existenz von Mehrkanalsystemen hinweisen71 und ihre wachsende Bedeutung für den Vertrieb hervorheben72. Ende der achtziger Jahre untersucht Co- 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 Schögel 1997. Vgl. Merx/Bachem 2004, S. 8. CambrigdeTechnologyPartners 2001; Schramm 2003. Bullinger 2001; Sexauer 2001; Passenheim 2003; Homburg/Schäfer/Scholl 2002. Holmsen et al. 1998. Yulinsky 2000; Engstler 2002; Wittkamp 2002; Grimm/Röhricht 2003; Schimmer/Wild/Wimmer 2004; Wimmer/Schimmer 2004; Nirschl/Schimmer/Wild 2004. Fischer 2000; Bachem 2003. Jacob/Klenk 2001; Risch/Lintner 2001; Diebold 2002; Gronover/Senger/Riempp 2002; Schwanitz/Ahr 2002. Levermann/Rathsmann/Schwanitz 2002; Schwanitz 2001; Schwanitz/Ahr 2002; Bernhardt/Hofferbert-Junge 2004; Wild/Wimmer 2004; Bartmann et al. 2003; Keser/Pankrath/Marker 2004. Vgl. z.B. Mallen 1977. Vgl. z.B. Weigand 1977. TEIL 1: EINFÜHRUNG 15 rey73 das Problem Multichannel Marketing. Er betrachtet insbesondere die Frage, wie sich in einem Mehrkanalsystem die Aufgaben der einzelnen Kanäle bündeln oder trennen lassen. Etwas später erarbeitet Corey mit Cespedes74 situativ ausgerichtete Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen und weist dabei auf die spezifischen Herausforderungen für das Distributionsmanagement hin. Anfangs der neunziger Jahre befassen sich Moriarty und Moran75 mit dem MultichannelManagement und diskutieren dabei v.a. Ansätze zur effizienten und effektiven Gestaltung des Vertriebssystems unter Berücksichtigung organisatorischer Aspekte. Ihre Ergebnisse beinhalten wichtige Anhaltspunkte für das Management von Mehrkanalsystemen. Schögel76 setzt sich etwas später im Rahmen seiner Dissertation eingehend mit Mehrkanalsystemen in der Distribution auseinander. Er erarbeitet ein branchenunabhängiges Entscheidungsmodell mit Handlungsalternativen für das Management von Mehrkanalsystemen. Die Forschungsergebnisse enthalten wichtige Ansätze für die Gestaltung und Führung einer Mehrkanalvertriebsorganisation. Gronover77 verfasst eine Dissertation zum Thema Multichannel-Management und nimmt Bezug auf den Retailbereich der Finanzdienstleistungsbranche. Ziel ihrer Forschungsarbeit ist, Gestaltungsempfehlungen zu entwickeln, welche die Rentabilität der Kundenbeziehungsprozesse über verschiedene Kanäle steigern. In ihrer Arbeit untersucht sie auch vertriebsorganisatorische Aspekte und erarbeitet diverse Gestaltungsansätze. In ihrer Dissertation befasst sich Schmidt78 mit dem Verhalten von Kunden in Mehrkanalvertriebssystemen. Das Ergebnis ihrer Forschungsarbeit sind ein Erklärungsmodell für das Kanalwahlverhalten von Kunden in der Reisebranche sowie Gestaltungsempfehlungen für die Vertriebskanäle bzw. deren Organisation. Dahmen79 setzt sich in seiner Dissertation mit Mehrkanalvertriebsstrategien auseinander. Er analysiert die internen und externen Dimensionen einer solchen Strategie. Das zentrale Resultat ist ein Entscheidungsmodell für das Design und die Umsetzung von Mehrkanalvertriebstrategien. Bei diesem Entscheidungsmodell werden am Rande auch Aspekte der Vertriebswegeorganisation berücksichtigt. Abbildung 5 zeigt die Erkenntnisse der dargestellten wissenschaftlichen Arbeiten mit ihren zentralen Ergebnissen im Überblick. 73 74 75 76 77 78 79 Corey/Cespedes/Rangan 1989. Cespedes/Corey 1990. Moriarty/Moran 1991. Schögel 1997. Gronover 2003. Schmidt 2004. Dahmen 2004. TEIL 1: EINFÜHRUNG 16 Autoren Untersuchungsart / Publikationstyp Branche/ Sektor Mallen 1977 Modellrechnungen zu Allgemein Kosten unterschiedlicher Funktionsverteilungen Mehrkanalsysteme als Chance zur Senkung der Distributionskosten Weigand 1977 Erfahrungsbericht, Fallbeispiele Allgemein Ausrichtung der Vertriebskanäle an die Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen Weinhold 1988 Konzeptionelle Allgemein Grundlagen auf Basis von Erfahrungswerten Ansatz der differenzierten Distribution Corey/Cespedes/Rangan Umfangreiche FallIndustrie 1989 forschung zum Distributionsmanagement Thema / Ergebnisse Organisation der Kanäle Cespedes/Corey 1990 Vergleichende Fallstudien Allgemein Aufgabenverteilung in Mehrkanalsystemen Moriarty/Moran 1991 Erfahrungsberichte, Fallstudie Allgemein Ansätze zur effektiven und effizienten Gestaltung der Distributionskanäle Schögel 1997 Dissertation Allgemein Entscheidungsmodell mit Handlungsalternativen für das Management von Mehrkanalsystemen Gronover 2003 Dissertation Bank Gestaltungsempfehlungen zur Steigerung der Rentabilität der Kundenbeziehungsprozesse Schmidt 2004 Dissertation Reisebranche Erklärungsmodell für das Kanalwahlverhalten und Gestaltungsempfehlungen für Vertriebskanäle Dahmen 2004 Dissertation Bank Entscheidungsmodell für das Design und die Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien Abbildung 5: Relevante Forschungsergebnisse zur Vertriebswegeorganisation Quelle: Eigene Darstellung. TEIL 1: EINFÜHRUNG 17 Fazit: Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Vertriebswegeorganisation im Kontext von Mehrkanalsystemen in wissenschaftlichen Arbeiten thematisiert wurde. Die meisten Erkenntnisse sind branchenunabhängig und leisten daher nur bedingt einen Lösungsbeitrag für die in Abschnitt 1.1 erörterten Problemstellungen aus der Bankpraxis. Es kann daher festgestellt werden, dass in Bezug auf spezifische Problemstellungen im Bereich der Vertriebswegeorganisation Forschungsbedarf besteht. 1.2.2 Vertriebssteuerungssystem i.w.S. Die Anforderungen an die Vertriebssteuerung haben in den letzten Jahren durch die Etablierung von Mehrkanalvertriebssystemen zugenommen. In diesem Zusammenhang finden sich zahlreiche Arbeiten, welche direkt oder indirekt einen Beitrag zu den unterschiedlichen Problemstellungen leisten: Sandbiller80 entwarf für die Unternehmenssteuerung von Universalbanken einen Ansatz, welcher zur unternehmungsinternen Koordination dezentraler Aktivitäten beitragen soll. Ziel des Koordinationsmodells ist, über einen internen Markt die knappe Ressource Eigenkapital in die Geschäftsbereiche zu lenken, die den höchsten Erfolgsbeitrag versprechen. Das von Buhl/Klein/Sandbiller81 entwickelte Konzept zeigt einen Ansatz auf, wie zusätzliche, bisher nicht berücksichtigte, marktliche Knappheitsinformationen in die bestehenden Steuerungskonzepte zu integrieren sind. Dies soll zu einer verbesserten Allokation knapper Ressourcen im Bankbetrieb führen und damit eine marktorientierte(re) Unternehmensführung unterstützen. Schögel82 erarbeitet in seiner Dissertation ein branchenunabhängiges Entscheidungsmodell mit Handlungsalternativen für das Management von Mehrkanalsystemen. In seinem Modell werden auch unterschiedliche Konditionensysteme zur kanalübergreifenden Koordination vorgestellt. Schögel macht dabei die Wahl des Konditionensystems von der angestrebten Konfiguration des Mehrkanalsystems abhängig. Skiera83 zeigt in seiner Habilitation auf, wie für Dienstleistungen eine optimale mengenbezogene Preisdifferenzierung vorgenommen werden kann. Die Anwendbarkeit der vorgeschlagenen Analyseverfahren auf konkrete Probleme in der Unternehmenspraxis wird durch drei empirische Studien verdeutlicht. Zudem untersucht er, wie die mengenbezogene Preisdifferenzierung mit anderen Formen derselben – z.B. der zeit- oder leistungsbezogenen Differenzierung – kombiniert werden kann. Voegelin84 entwickelt ein konzernweites Konzept, mittels welchem die verschiedenen Kostenund Erlösquellen im Betriebs- und Wertbereich adäquat erfasst und gesteuert werden können. Die erarbeitete Verrechnungskonzeption berücksichtigt neoinstitutionelle Aspekte und leistet einen Beitrag zur effektiven Umsetzung einer wertorientierten Banksteuerung. 80 81 82 83 84 Sandbiller 1995. Buhl/Klein/Sandbiller 1996. Schögel 1997. Skiera 1999. Voegelin 1999. TEIL 1: EINFÜHRUNG 18 Im Zusammenhang mit einer wertorientierten Unternehmenssteuerung entwickeln Dzienziol/Schroeder/Wolf85 einen Ansatz, welcher auf dem Kundenwert basiert. Im Fokus des Beitrags steht der Wert von Kundenbeziehungen. Gerade für Unternehmen, deren Geschäftsgrundlage vorrangig auf immateriellen Wirtschaftsgütern basiert, ermöglicht die Berücksichtigung und aktive Steuerung des Kundenbeziehungswerts eine Einflussnahme auf den Unternehmenswert. Dzienziol86 erarbeitet in einem Diskussionspapier für Finanzdienstleister ein mikroökonomisches Modell für Preisstrategien in Mehrkanalvertriebssystemen. Die gewinnmaximierenden Preisstrategien berücksichtigen die kanal- bzw. produktspezifischen Zahlungsbereitschaften, Cross-Selling-Abhängigkeiten zwischen den Kanälen sowie deren Grenzkosten. In ihrer Dissertation erarbeitet Rudolf-Sipötz87 ein Modell, welches die zahlreichen Facetten des Konstruktes Kundenwert beinhaltet. Eine der zentralen Aussagen ihrer Arbeit ist, dass Kunden als Unternehmensasset zu betrachten sind und die neue Zielgrösse im wertorientierten Marketingmanagement darstellten. In ihrem Diskussionspapier befassen sich Faisst et al.88 mit der Leistungssteuerung bei Mehrkanal-Retailbanken. Im Beitrag wird ein Modell entwickelt, welches die Entscheidung über die Hinzunahme einer Leistung über einen zusätzlichen Kanal unterstützen soll und den dabei optimalen Preis für diese Leistung bestimmt. Das Modell bietet einen Vergleich über die Effekte zentraler und dezentraler Steuerungsansätze und präsentiert Anforderungen für deren Umsetzung. Der Beitrag von Buhl/Kreyer/Schroeder89 zielt darauf ab, optimale Regeln für Investitionsentscheidungen in Mehrkanalunternehmen aufzuzeigen. Neben Methoden zur Optimierung der Gesamtinvestitionssumme werden auch Ansätze zur Entscheidung über die optimale Aufteilung eines gegebenen Budgets vorgestellt, welche auf Ideen aus der Marketing-Literatur aufbauen. In seiner Dissertation entwickelt Dahmen90 ein Entscheidungsmodell für das Design und die Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien. Der Fokus des Modells liegt v.a. bei der konzeptionellen Erarbeitung von Strategien unter Berücksichtigung interner und externer Dimensionen. Abbildung 6 zeigt die Erkenntnisse der dargestellten wissenschaftlichen Arbeiten mit ihren zentralen Ergebnissen im Überblick. 85 86 87 88 89 90 Dzienziol/Schroeder/Wolf 2001. Dzienziol et al. 2001. Rudolf-Sipötz 2001. Faisst et al. 2003. Buhl/Kreyer/Schroeder 2004. Dahmen 2004. TEIL 1: EINFÜHRUNG 19 Autoren UntersuchungsBranche / art/Publikationstyp Sektor Thema / Ergebnisse Sandbiller 1995 Diskussionpapier Bank Ansatz zur unternehmungsinternen Koordination dezentraler Aktivitäten Buhl/Klein/Sandbiller 1996 Diskussionpapier Bank Betriebswirtschaftliches Steuerungskonzept zur marktorientierten Bankgeschäftssteuerung Schögel 1997 Dissertation Allgemein Entscheidungsmodell mit Handlungsalternativen für das Management von Mehrkanalsystemen Skiera 1999 Habilitation Dienstleistungen Ansatz zur mengenbezogenen Preisdifferenzierung bei Dienstleistungen Voegelin 1999 Dissertation Bank Verrechnungskonzeption zur wertorientierten Banksteuerung Dzienziol/Schroeder/Wolf 2001 Diskussionspapier Allgemein Ansatz zur kundenwertorientierten Unternehmungssteuerung Dzienziol et al. 2001 Diskussionspapier Bank Mikroökonomisches Modell für Preisstrategien in Mehrkanalvertriebssystemen Rudolf-Sipötz 2001 Dissertation Allgemein Lösungsansatz zur Integration der zahlreichen Facetten eines ganzheitlichen Kundenwertes in einem Modell Faisst et al. 2003 Diskussionspapier Bank Modell zur Leistungssteuerung und optimalen Preissetzung in Mehrkanalvertriebssystemen Buhl/Kreyer/Schroed er 2004 Diskussionspapier Allgemein / Bank Modell zur kanalübergreifenden Optimierung von Vertriebsinvestitionen Dahmen 2004 Dissertation Versicherung Entscheidungsmodell für das Design und die Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien Abbildung 6: Relevante Forschungsergebnisse zum Vertriebssteuerungssystem i.w.S. Quelle: Eigene Darstellung. Fazit: Im Themenbereich Vertriebssteuerung i.w.S. finden sich verschiedene wissenschaftliche Arbeiten, welche – direkt oder indirekt – wertvolle Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Problemstellungen in Abschnitt 1.1 liefern. Viele der Beiträge sind auf die Bankbranche ausgerichtet und fokussieren auf ganz spezifische Problemstellungen der Vertriebssteuerung. Hinsichtlich der Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalvertriebsstrategie vermögen die meisten Beiträge jedoch übergreifende Zusammenhänge zwischen Preispolitik, Anreizsystemen und Kostenrechnung nicht genügend zu berücksichtigen. TEIL 1: EINFÜHRUNG 20 Es kann daher festgestellt werden, dass in Bezug auf die Problemstellungen im Bereich Vertriebssteuerung i.w.S. ebenfalls Forschungsbedarf besteht. 1.2.3 Vertriebssteuerungssystem i.e.S. Im Gegensatz zu den vorangehenden Themenbereichen gibt es zu Vertriebskennzahlensystemen bzw. Vertriebssteuerungssystemen i.e.S. weniger wissenschaftliche Beiträge, welche Bezug zu den in Abschnitt 1.1.1 aufgeführten Problemstellungen nehmen. Reinecke91 überprüft in seiner Habilitation zahlreiche betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme anhand klar definierter Gütekriterien hinsichtlich ihrer Eignung für Marketing und Verkauf. Er analysiert den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Marketingkennzahlen und betriebswirtschaftlichem Erfolg und präsentiert Handlungsanweisungen zur Entwicklung eines theoretisch fundierten, empirisch abgestützten Marketing Performance-ManagementSystems. Dabei werden die Kenngrössen in den Prozess der strategischen Marketingplanung sowie in das Reporting eingebunden. Ein wesentliches Fundament bildet der aufgabenorientierte Ansatz, der vier zentrale Aufgaben einer marktorientierten Unternehmensführung unterscheidet: Kundenakquisition, Kundenbindung, Leistungsinnovation und Leistungspflege. Im Rahmen der Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien erörtert Dahmen92 Grundsätze der finanziellen Steuerung. Er geht dabei kurz auf den Zusammenhang zwischen dem Organisationstyp93 und der Vertriebsstrategie ein. Schliesslich leitet er fünf generische Key Performance Indicators (KPIs) ab und weist darauf hin, dass Kennzahlen von Vertriebsstrategie und -zielen abgeleitet werden müssen. Djukanov et al.94 untersuchen in ihrem Artikel die Einsatzmöglichkeiten der Balanced Scorecard für eine wertorientierte und kennzahlengestützte Vertriebssteuerung im Privatkundengeschäft. Dieser Beitrag liefert wertvolle Anhaltspunkte für die kennzahlengestützte Steuerung des Mehrkanalvertriebs. Wild und Wimmer95 diskutieren in ihrem Artikel die notwendigen Anpassungen der gewachsenen Controlling-Systeme an den Mehrkanalvertrieb. Sie vertreten die Ansicht, dass diese Systeme nicht ohne organisatorische Änderungen bei der Vertriebsorganisation und steuerung auskommen. In diesem Beitrag werden wichtige Sachzusammenhänge zwischen Vertriebsorganisation und -steuerung aufgezeigt. Nirschl, Schimmer und Wild96 erörtern in ihrem Forschungsbericht unterschiedliche Vertriebsstrategien im Retailbanking und die Anforderungen an eine erfolgreiche Umsetzung. Als zentrale Handlungsfelder identifizieren sie den Aufbau eines kennzahlenbasierten Monitoringsystems für den Mehrkanalvertrieb, eine wissensbasierte Beratung und ein kanalübergreifendes Kundenmanagement. 91 92 93 94 95 96 Reinecke 2004. Dahmen 2004. Vgl. Abschnitt 1.1. Djukanov et al. 2004. Wild/Wimmer 2004. Nirschl/Schimmer/Wild 2004. TEIL 1: EINFÜHRUNG 21 Abbildung 7 zeigt die Erkenntnisse der dargestellten wissenschaftlichen Arbeiten mit ihren zentralen Ergebnissen im Überblick. Autoren Untersuchungsart / Branche/Sektor Publikationstyp Thema / Ergebnisse Reinecke 2004 Habilitation Allgemein Handlungsanweisungen für die Entwicklung eines Marketingkennzahlensystems Dahmen 2004 Dissertation Versicherung Entscheidungsmodell für das Design und die Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien Djukanov et al. 2004 Journal Artikel Bank Einsatz der Balanced Scorecard zur wertorientierten und kennzahlengestützten Vertriebssteuerung im Privatkundengeschäft Wild/Wimmer 2004 Journal-Artikel Bank Ansatz für ein MehrkanalVertriebscontrolling für Filialbanken Nirschl/Schimmer/Wild 2004 Forschungsbericht Bank Vertriebsstrategien im Retailbanking und Konzepte für deren erfolgreiche Umsetzung Abbildung 7: Relevante Forschungsergebnisse zum Vertriebssteuerungssystem i.e.S. Quelle: Eigene Darstellung. Fazit: Im Themenbereich Vertriebssteuerung i.e.S. wurden bisher nur wenige wissenschaftliche Arbeiten geschrieben, deren Erkenntnisse zur Lösung der Problemstellungen von Abschnitt 1.1 ausreichen. Die inhaltlich wertvollen Beiträge von Djukanov et al.97, Wild/Wimmer98 und Nirschl/Schimmer/Wild99 liefern erste Ansätze für ein Vertriebssteuerungssystem i.e.S. bzw. für ein Vertriebskennzahlensystem für den Mehrkanalvertrieb. Die Beiträge sind jedoch relativ kurz und vermögen nicht, konkrete Gestaltungsanweisungen für die Bankpraxis abzugeben. Die meisten Beiträge heben jedoch klar hervor, dass der Handlungsbedarf in diesem Bereich gross ist. Es kann daher festgestellt werden, dass im Zusammenhang mit Kennzahlensteuerungssystemen im Mehrkanalvertrieb weiterer Forschungsbedarf besteht. 1.2.4 Fazit und Implikationen In den Abschnitten 1.1.1 bis 1.1.3 wurden unterschiedliche Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Mehrkanalvertrieb von Retail-Banken erörtert. Die Problemstellungen wurden dabei in die Themenbereiche Vertriebswegeorganisation, Vertriebssteuerungssystem i.w.S. 97 98 99 Djukanov et al. 2004. Wild/Wimmer 2004. Nirschl/Schimmer/Wild 2004. TEIL 1: EINFÜHRUNG 22 und Vertriebssteuerungssystem i.e.S. (Kennzahlensteuerungssystem) eingeteilt. Der Stand der Forschung ist in den drei Problembereichen recht unterschiedlich. Während für die beiden ersten verschiedene wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vorhanden sind, gibt es im Bereich der Kennzahlensteuerungssysteme nur wenige Forschungsergebnisse. 1.3 Ableitung des Forschungsbedarfs Aus der Gegenüberstellung der Probleme aus der Bankpraxis und der Erkenntnisse aus der Forschung lässt sich folgender Forschungsbedarf ableiten: In jedem der genannten Themenbereiche gibt es diverse Forschungsergebnisse, welche die Problemstellungen aus der Bankpraxis thematisieren. Viele der diskutierten Lösungsansätze sind innerhalb des jeweiligen Themenbereichs wertvoll, vernachlässigen aber oft übergreifende Sachzusammenhänge. Zudem vermögen die Beiträge im Kontext von Mehrkanalvertriebssystemen keine konkreten Gestaltungsempfehlungen zu liefern. Dieser Umstand manifestiert sich v.a. im Bereich Vertriebssteuerung i.e.S. Die Entwicklung eines mehrkanalfähigen und kennzahlenbasierten Steuerungssystems ist aufgrund der verschiedenen Abhängigkeiten zur Vertriebswegeorganisation und Vertriebssteuerung i.w.S. relativ komplex. Die bisherigen Forschungsarbeiten haben sich mit diesen Abhängigkeiten noch zu wenig auseinander gesetzt. Hier setzt die vorliegende Arbeit an. 2. Zielsetzung der Arbeit 2.1 Zielsetzung und Nutzen Ziel des Dissertationsprojektes ist die Erarbeitung einer Konzeption für ein integriertes Kennzahlensteuerungssystem. Dieses soll für die effiziente und effektive Steuerung des Mehrkanalvertriebs einer filialbasierten Retail-Bank geeignet sein und zu einer systematischen Steigerung des Vertriebserfolgs100 beitragen. Abschnitt 1.1 zeigte die unterschiedlichen Problemstellungen und Abhängigkeiten im Zusammenhang mit der Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalvertriebsstrategie auf. Die Umsetzung dieser Strategie bzw. die zielgerichtete Steuerung des Mehrkanalvertriebs bedarf eines geeigneten Instrumentariums in Form eines Kennzahlensystems, welches die dargelegten Sachzusammenhänge und Abhängigkeiten berücksichtigt. 2.2 Herleitung der Forschungsfragen Basierend auf der Zielsetzung der Arbeit werden in diesem Abschnitt die Forschungsfragen definiert. Es wird dabei zwischen einer zentralen und zwei subsidiären Fragen unterschieden. Zentrale Forschungsfrage Wie muss ein integriertes Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb einer filialbasierten Retail-Bank konzeptionell erarbeitet und inhaltlich ausgestaltet werden, damit durch 100 Hesse/Huckemann 2002 definieren Erfolg generisch als den Grad der Zielerreichung. Eine genauere Definition von Vertriebserfolg erfolgt in Teil 2 dieser Arbeit. TEIL 1: EINFÜHRUNG 23 eine effiziente und effektive Steuerung des Vertriebssystems der Vertriebserfolg gesteigert werden kann? Subsidiäre Forschungsfragen ! Wie können die relevanten Ziel- und Steuerungsdimensionen eines integrierten Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb systematisch identifiziert werden (methodischer Aspekt)? ! Welches sind die relevanten Ziel- und Steuerungsdimensionen bzw. die zugehörigen Messgrössen, welche für die integrierte Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer filialbasierten Retail-Bank geeignet sind (inhaltlicher und struktureller Aspekt)? 2.3 Forschungsobjekt und Erkenntnisobjekt Nachdem die Zielsetzung und die Forschungsfragen definiert sind, wird in diesem Abschnitt kurz auf das Forschungs- und auf das Erkenntnisobjekt der Arbeit eingegangen. Abbildung 8 zeigt das Forschungsobjekt und Erkenntnisobjekt der vorliegenden Arbeit auf. Forschungsobjekt: = Mehrkanalvertrieb von Retail-Banken Erkenntnisobjekt: = Kennzahlensteuerungssystem Abbildung 8: Forschungsobjekt und Erkenntnisobjekt Quelle: Eigene Darstellung. Ziel der Forschung ist die Erarbeitung eines integrierten Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb von Retail-Banken. Basierend auf dieser Zielsetzung ist das Forschungsobjekt der Mehrkanalvertrieb und das Erkenntnisobjekt ein Kennzahlensteuerungssystem. 2.4 Abhängige und unabhängige Variable Die abhängige Variable einer wissenschaftlichen Arbeit ist jene Variable, an der die Wirkung der Variation der unabhängigen Variable untersucht wird. Die unabhängige Variable ist jene Variable, die variiert wird. Abbildung 9 zeigt die beiden Variablen im grösseren Kontext auf. TEIL 1: EINFÜHRUNG 24 Strategieaussagen zur Forcierung von Produkten und Dienstleistungen Erfolgsfaktor 1: Einheitliche Aussagen zur Vertriebsstrategie Aussagen zur Vertriebsstrategie Strategieaussagen zu bearbeiteten Marktsegmenten Strategieaussagen über Positionierungsziele Strategieaussagen zur Zielerreichung von Vertriebsaktivitäten Vertriebserfolg Definition von Verkaufsprozessen Auf Erfolgsziffern aufbauendes, detailliertes Vertriebscontrolling Definition von Erfolgskennziffern innerhalb der Verkaufsprozesse Erfolgsfaktor 2: Vertriebssteuerung/ -controlling Erfassung von Erfolgskennziffern Unabhängige Variable Nutzung von Erfolgskennziffern Definition von Gütemassstäben zur Erreichung von Erfolgskennziffern Planung und Erfassung von Kapazitätsbelastungen der Prozesse Abhängige Variable Auf Erfolgsziffern aufbauendes, detailliertes Vertriebscontrolling Ableitung mitarbeiterindividueller Anforderungsprofile aus den Erfolgskennziffern Abbildung 9: Abhängige und unabhängige Variablen des Dissertationsprojektes Quelle: In Anlehnung an Hesse/Huckemann 2002, S. 86. Ausgehend von der in Abschnitt 2.1 formulierten Zielsetzung ist der Vertriebserfolg die abhängige Variable der Forschungsarbeit. Die empirischen Untersuchungen von Hesse und Huckemann101 zeigen auf, dass der Vertriebserfolg massgebend von zwei Erfolgsfaktoren abhängig ist. Einerseits sind dies einheitliche Aussagen zur Vertriebsstrategie102 und andererseits zur Vertriebssteuerung/-controlling (Kennzahlensteuerungssystem). Letzteres stellt die unabhängige Variable in dieser Arbeit dar. 2.5 Adressaten der Arbeit Aufgrund der aktuellen Problemstellung richtet sich die vorliegende Dissertation sowohl an die Wissenschaft wie auch an die Praxis. Die Hauptzielgruppe im Bereich der Wissenschaft sind Forscher im Bereich der Marketingwissenschaft, welche sich mit dem Management von Mehrkanalsystemen beschäftigen. Ferner sind die Forschungsergebnisse für Wissenschaftler in den Bereichen Marketingplanung und –controlling sowie Performance-Management relevant. Zur unmittelbaren Zielgruppe in der Praxis gehören die Verantwortlichen des Retail-Banking Geschäftsbereichs innerhalb einer Bank, die Kanalverantwortlichen, Prozess-Management Einheiten und zentrale Marketingeinheiten, die sich mit der Steuerung von Mehrkanalsystemen beschäftigen. In der Arbeit wird daher auf einen hohen Praxisbezug und die Realisierbarkeit der Konzepte grossen Wert gelegt. 101 102 Hesse/Huckemann 2002. Eine genaue Definition von „einheitliche Aussagen zur Vertriebsstrategie“ erfolgt im Teil 2 dieser Arbeit. TEIL 1: EINFÜHRUNG 25 3. Aufbau der Arbeit Anknüpfend an die bisherigen Überlegungen ist die Arbeit nach der Einführung in vier weitere Teile gegliedert. Abbildung 10 stellt den Aufbau schematisch dar. Dieser Abschnitt beschreibt das Ziel sowie den Inhalt jedes Teiles. Teil 1: Einführung Teil 2: Konzeptionelle Grundlagen Teil 3: Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem Teil 4: Idealtypische Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems Teil 5: Kritische Würdigung und Ausblick Abbildung 10: Aufbau der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung. Teil 2: Konzeptionelle Grundlagen Im Teil 2 werden die konzeptionellen Grundlagen dieser Arbeit beschrieben. Ausgangspunkt ist der theoretische Bezugsrahmen, welcher in Kapitel 1 beschrieben wird. Ziel dieses Teils ist, die für die Entwicklung einer Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem relevanten Ansätze vorzustellen und Implikationen herauszuarbeiten. Teil 3: Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem Nach der Erarbeitung der konzeptionellen Grundlagen werden in Teil 3 die Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem herausgearbeitet. Dazu werden die in Teil 2 definierten Implikationen konzeptionell verdichtet und strukturiert. Die Verdichtung und Strukturierung erfolgt in Anlehnung an die in Teil 1 aufgeführten Problemstellungen. Teil 4: Idealtypische Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems Im Hauptteil dieser Arbeit wird eine idealtypische Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems entwickelt. Dies geschieht vor dem Hintergrund der in Teil 3 herausgearbeiteten Anforderungen und einer separaten103 Einzelfallstudie anhand des Segments Private Clients der Credit Suisse. Teil 5: Kritische Würdigung und Ausblick Zum Abschluss der Arbeit werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und kritisch gewürdigt. Dabei werden die Grenzen des Einsatzes von Kennzahlen und Kennzahlensystemen aufgezeigt sowie der weitere Forschungsbedarf konkretisiert. 103 Die Einzelfallstudie ist unter Verschluss und nur den Referenten und der Credit Suisse zugänglich. TEIL 1: EINFÜHRUNG 26 4. Theoretischer Bezugsrahmen Anhand des theoretischen Bezugsrahmens wird in diesem Kapitel veranschaulicht, mit welchen wissenschaftlichen Disziplinen das Forschungsproblem gelöst und die Forschungsfragen beantwortet werden. Der Bezugsrahmen dient während des Forschungsprozesses als Steuerungs- und Orientierungshilfe und bestimmt die theoretische Perspektive, mit welcher die Realität betrachtet und sowohl gedanklich als auch sprachlich strukturiert wird. Thema und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit weisen einen interdisziplinären Charakter auf, da verschiedene betriebswirtschaftliche Forschungsgebiete, insbesondere der Marketingwissenschaft, der strategischen Managementforschung, der Organisationslehre sowie der Controllingwissenschaft vereint werden. In Abbildung 11 wird der theoretische Bezugsrahmen skizziert. Marketing Strategisches Management Dienstleistungsmarketing Prozess des strategischen Managements Fachbereich Teildisziplin Betriebswirtschaftliche Forschungsdisziplin Distribution Zielplanung und Strategieimplementierung Integrierte Kennzahlensteuerungssysteme für den Mehrkanalvertrieb Kennzahlensysteme Betriebswirtschaftliche Kennzahlen Controlling Prozessmanagement Ablauforganisation Organisation Abbildung 11: Theoretischer Bezugsrahmen – Übersicht der Forschungsdisziplinen Quelle: Eigene Darstellung. Der Bezugsrahmen wird in zwei Schritten dargelegt. Im ersten Schritt werden im Sinne eines Überblicks die betriebswirtschaftlichen Forschungsdisziplinen sowie die relevanten Teildisziplinen und Fachbereiche durchleuchtet. Daraufhin werden die zentralen Aspekte und die konzeptionellen Ansätze innerhalb der jeweiligen Fachbereiche präsentiert. 1. Schritt: In der Disziplin Marketing wird aufgrund des Bankenfokus der Arbeit auf bestehende Konzepte der Teildisziplin Dienstleistungsmarketing zurückgegriffen. Innerhalb dieser Teildisziplin werden Ansätze aus dem Bereich Distribution im Hinblick auf ihren Lösungsbeitrag zur vorliegenden Problemstellung analysiert. Innerhalb der Disziplin strategisches Management ist die Teildisziplin Prozess des strategischen Managements relevant. Der Fokus liegt auf der Zielplanung und der Strategieimplementierung. TEIL 1: EINFÜHRUNG 27 Bei der Forschungsdisziplin Organisation sind zur Beantwortung der Forschungsfragen v.a. Aspekte der Ablauforganisation relevant. Der Schwerpunkt liegt auf dem GeschäftsprozessManagement, welches vor dem Hintergrund der kanalübergreifenden Vertriebsprozesse ein wichtiger Bezugspunkt ist. In der Controllingwissenschaft stellt die Teildisziplin der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen den theoretischen Bezug zum Forschungsproblem her. Eine einzelne, isoliert betrachtete Kennzahl hat in komplexen Situationen nur eine sehr begrenzte Aussagefähigkeit. Im Hinblick auf die vielschichtige Problemstellung dieser Arbeit liegt der Fokus daher auf Kennzahlensystemen. 2. Schritt: Schritt zwei erläutert pro Fachbereich die zentralen Aspekte und Ansätze, welche in Abbildung 12 aufgeführt sind. Innerhalb der Distribution sind im Hinblick auf das Forschungsthema und –ziel zwei Aspekte relevant: die Konfiguration104 und die Koordination105 von Mehrkanalsystemen im Vertrieb. Beide Aspekte wurden von Schögel106 in seinem Ansatz bzw. Vorgehensmodell zum Management von Mehrkanalsystemen ausführlich erörtert und werden in dieser Arbeit weiter vertieft. Zielplanung und Strategieimplementierung Fachbereich Distribution Zentrale Aspekte: Zentrale Aspekte: ! Konfiguration des Mehrkanalvertriebs ! Koordination des Mehrkanalvertriebs ! Zielplanung ! Implementierung von Strategien Zentraler Ansatz: Zentrale Ansätze: ! Management des Mehrkanalsystems ! Prozess des strategischen Managements ! Betriebswirtschaftliche Zielforschung Zentrale Aspekte: Zentrale Aspekte: ! Funktion, Zweck und Verwendung von ! Geschäftsprozessorientierung ! Effizienz und Effektivität von Prozessen ! Kennzahlensystemen Gütekriterien von Kennzahlensystemen Zentraler Ansatz: Zentraler Ansatz: ! Betriebswirtschaftliche Kennzahlenforschung ! Business-Process-Management Kennzahlensysteme Prozessmanagement Abbildung 12: Theoretischer Bezugsrahmen – Zentrale Aspekte und Ansätze Quelle: Eigene Darstellung. Im Bereich Zielplanung und Strategieimplementierung bilden die Aspekte ManagementProzesse mit Fokus auf die Zielbildung und die Implementierung von Strategien Bezugspunkt zum Forschungsproblem. Konzeptionelle Ansätze, welche für die Lösung des Forschungs- 104 105 106 Bei der Konfiguration des Absatzkanal-Mix steht die Kontingenz des Mehrkanalsystems mit der spezifischen Markt- und Wettbewerbssituation des Herstellers im Mittelpunkt. Im einzelnen muss ein Unternehmen Entscheidungen über die Segmentierung im Distributionssystem, über das angestrebte Wettbewerbsverhalten, die Form des Mehrkanalsystems und die Aufgabenverteilungen zwischen den Kanälen treffen. Vgl. Schögel 1997, S. 123 ff. Vgl. Schögel 1997, S. 159 ff. Bei der Koordination steht die Frage im Vordergrund, wie das Mehrkanalsystem erfolgreich gesteuert und die Kanäle aufeinander abgestimmt werden können. Schögel 1997, S. 123-178. TEIL 1: EINFÜHRUNG 28 problems angewendet werden, sind der Prozess des strategischen Managements107 und die betriebswirtschaftliche Zielforschung108 . Die Geschäftsprozessorientierung sowie die Effizienz und die Effektivität von Prozessen sind im Bereich Prozessmanagement zentrale Aspekte. Business-Process-Managements109 ist der zentrale Ansatz, welcher diese Aspekte theoretisch fundiert. Im Bereich Kennzahlensysteme sind die zentralen Aspekte die Funktion, der Zweck und die Verwendung von solchen Systemen. Eine Dimensionsanalyse dient dazu, diese Aspekte zu erläutern. Ferner gilt es, Gütekriterien für Kennzahlensysteme zu identifizieren. In diesem Bereich wird auf die Erkenntnisse der traditionellen und modernen betriebswirtschaftlichen Kennzahlenforschung verwiesen. 5. Wissenschaftstheoretische Positionierung und Forschungsmethodik Die Forschung in den im theoretischen Bezugsrahmen aufgeführten betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen erfolgt unterschiedlich. Dies ist v.a. auf die verschiedenen theoretischen und anwendungsorientierten Ziele sowie auf die Basis verschiedener Forschungstraditionen zurückzuführen. Die Marketingwissenschaft ist beispielsweise durch eine starke Zersplitterung in Teildisziplinen, durch eine unzureichende Verknüpfung mit Erkenntnissen des strategischen Managements und z.T. durch eine äusserst starke (empirische) Methodenorientierung gekennzeichnet. Die strategische Managementforschung hingegen ist stärker theoriegeleitet als die eher anwendungsorientierte Controllingwissenschaft, in der z.T. sogar eine unnötige „Theoretisierung des Controllings“ kritisiert wird.110 Aufgrund dieser Unterschiede ist es unerlässlich, die wissenschaftstheoretische Grundkonzeption der vorliegenden Arbeit genauer darzulegen. Dies ist Ziel und Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts. 5.1 Wissenschaftstheoretische Positionierung Das Wissenschaftsverständnis in der Betriebswirtschaftslehre wurde wesentlich von Ulrich geprägt. Nach Ulrich handelt es sich bei ihr um eine anwendungsorientierte Sozialwissenschaft. Die betrachteten Probleme entstehen in der Praxis. Ihr Forschungsziel ist die Gestaltung der betrieblichen Wirklichkeit und ihr Fortschrittskriterium ist die praktische Problemlösungskraft ihrer Modelle und Handlungsempfehlungen.111 Die Betriebswirtschaftslehre als Realwissenschaft steht vor der Herausforderung, einerseits in geeigneter Weise mit dem Subjektivitätsproblem112 und den damit verbundenen interessenbezogenen Werturteilen umzugehen. Andererseits soll sie das Kommunikationsproblem durch präzise Sprache und Regeln für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Aussagen lösen.113 Dies 107 108 109 110 111 112 113 Vgl. z.B. Diesch 1986; Johnson 1987; Hill/Jones 1992; Mockler 1993. Vgl. z.B. Kirsch 1981; Kaluza 1979; Lerchner 1975. Vgl. z.B. Aalst 2000; Hoch 1996; Hess/Brecht 1996; Born 1994; Harrington 1991. Vgl. Reinecke 2004, S. 13. Vgl. Ulrich/Dyllick/Probst 1984, S. 192. Ulrich/Hill 1979, S. 164. Das Subjektivitätsproblem ergibt sich daraus, dass subjektiv wahrgenommene Wirklichkeitsausschnitte in der Betriebswirtschaftslehre expliziert und anschliessend generalisiert werden. Vgl. Ulrich/Hill 1979, S. 164 f. TEIL 1: EINFÜHRUNG 29 sollte unter Berücksichtigung von drei Aspekten der Forschung erfolgen: dem Entdeckungs-, dem Begründungs- und dem Verwendungszusammenhang. In den nachfolgenden Abschnitten wird kurz auf diese drei Zusammenhänge vor dem Hintergrund der verschiedenen konkurrierenden Forschungspositionen innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung eingegangen.114 Dadurch wird es möglich, das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Forschungskonzept einzuordnen. Dieses bildet die Grundlage für die in Abschnitt 4.2 beschriebene Forschungsmethodik. 5.1.1 Entdeckungszusammenhang Unter dem Entdeckungszusammenhang versteht man den Anlass, der zu einem Forschungsprojekt geführt hat.115 Relativ unumstritten ist, dass die Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Sozialwissenschaft bei einem in der Praxis bestehenden, relevanten Problem ansetzen sollte. Strittig ist jedoch die Frage, aus welchem Bezugsrahmen solche Forschungsgegenstände stammen sollen. In diesem Zusammenhang wird zwischen Fragen aus der betriebswirtschaftlichen Praxis und solchen auf einer theoretischen Ebene unterschieden. Ulrich116 fordert, dass der Bezugsrahmen primär wahrgenommene Probleme der betriebswirtschaftlichen Praxis sind. Demgegenüber verneint Gutenberg117 eine Rolle der Praxis im Entdeckungszusammenhang eindeutig. Seiner Ansicht nach hängt der wissenschaftliche Wert oder Unwert einer betriebswirtschaftlichen Untersuchung nicht von der praktischen Bedeutung des zu untersuchenden Gegenstands ab. Die Entscheidung über den jeweils gewählten Bezugsrahmen kann als vorwissenschaftlich bezeichnet werden. Zentral ist jedoch die Anforderung, dass er zweckmässig sein muss. Die Zweckmässigkeit ist dann gegeben, wenn der Bezugsrahmen für die jeweilige Forschungsaufgabe geeignet ist. Bisher hat sich in der Betriebswirtschaft jedoch kein Bezugsrahmen in einer Form durchgesetzt, dass er die Anforderungen an ein allgemeines Paradigma erfüllt.118 Es ist allerdings möglich, vier jeweils unterschiedlich gewichtete Forschungsziele in der Betriebswirtschaftslehre zu erkennen: zu systematisieren, zu erklären, zu gestalten und gegebenenfalls zu werten.119 Systematisieren dient der Deskription. Im Vordergrund stehen phänomenale Erkenntnisinteressen und –theorien, d.h. Hypothesen und Thesen über das Erscheinungsbild des Erkenntnisobjektes. Beim Erklären geht es primär um kausale Erkenntnisinteressen und -theorien, d.h. Hypothesen und Thesen über Ursachen des Erkenntnisobjektes. Bei der Gestaltung stehen aktionale Erkenntnisinteressen und –theorien im Vordergrund, d.h. Hypothesen und Thesen über Einwirkungsmöglichkeiten auf das Erkenntnisobjekt.120 114 115 116 117 118 119 120 Die nachfolgende Darstellung lehnt sich insbesondere an Ulrich/Hill 1976a, Ulrich/Hill 1976b und Ulrich/Hill 1979 an. Vgl. Friedrichs 1990, S. 50. Ulrich 1981, S. 5f. Gutenberg 1953, S. 340. Nach Kuhn 1973 zählen dazu die hohe Problemlösungskraft bzw. die heuristische Funktion, die Allgemeinheit, die Präzision und die Integrationskraft. Vgl. Hill 1995, S. 128. Vgl. Eberhard 1999, S. 16. TEIL 1: EINFÜHRUNG 30 Ziele der vorliegenden Arbeit sind, die interdisziplinäre Problemstellung anhand des theoretischen Bezugsrahmens zu systematisieren und die relevanten Sachzusammenhänge zu erklären, um anschliessend Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs einer Retail-Bank entwickeln zu können. Der Fokus liegt klar bei der Gestaltungsaufgabe. 5.1.2 Begründungszusammenhang In welchem Zusammenhang werden Hypothesen, Thesen, Regeln, Modelle, Theorien und Verfahren zur Beantwortung der leitenden Fragestellungen begründet? Diese zentrale Frage unterstreicht die Relevanz der empirischen Fundierung gedanklicher Bezugsrahmen, welche Ziel und Inhalt des Begründungszusammenhangs darstellt. Der kritische Rationalismus121 ist der dominierende Ansatz, welcher die Auffassung ablehnt, dass empirische Aussagen verifizierbar seien. Dabei wird das Verifikationsprinzip durch ein Falsifikationsprinzip und ein deduktiv-nomologisches Vorgehen ersetzt.122 Erkenntnisfortschritt wird durch eine zunehmende Annäherung theoretischer Aussagen an die Wirklichkeit angestrebt. Hierzu sind sowohl die logische Wahrheit von Aussagen (Widerspruchslosigkeit) als auch die faktische Wahrheit (empirischer Gehalt) einer intersubjektiv nachvollziehbaren Prüfung zu unterwerfen.123 In der Betriebswirtschaftslehre wird die Bedeutung des Begründungszusammenhangs grundsätzlich in Frage gestellt. Dies hängt primär von der Zielsetzung der Forschungsarbeit ab. Nach Ulrich124 kommt dem Begründungszusammenhang nicht die Funktion zu, Hypothesen an der Realität zu überprüfen, um darauf aufbauend allgemeingültige Theorien aufzustellen. Vielmehr soll festgestellt werden, ob die konzipierten Handlungsanweisungen und Gestaltungsempfehlungen dazu geeignet sind, nützliches und somit problemlösendes Wissen bereitzustellen.125 Da nicht die Wahrheit bestimmter Ist-Zustandsanalysen, sondern vielmehr die Realisierbarkeit von Sollvorstellungen interessiert,126 bedarf es keines künstlichen Begründungszusammenhangs. Die Prüfung der Ergebnisse muss vielmehr im Verwendungszusammenhang erfolgen. Die vorliegende Arbeit lehnt sich an Ulrichs anwendungsorientiertem Forschungsverständnis der Betriebswirtschaftslehre an. Die praktische Erprobung der Gestaltungsempfehlungen und der Handlungsanweisungen erfolgt in weniger rigoroser Weise als die experimentelle Überprüfung von Gesetzmässigkeiten. Im Mittelpunkt steht die Überprüfung der praktischen Nützlichkeit im Alltag, nicht die konsequente Falsifizierung von Hypothesen unter kontrollierten ceteris-paribus-Bedingungen. 121 122 123 124 125 126 Vgl. z.B. Popper 1984; Kromrey 2000. Vgl. Popper 1984, S. 4. Vgl. Ulrich/Hill 1979, S. 175 f. Ulrich 1981, S. 6 f. Vgl. Ulrich/Krieg/Malik 1976, S. 136 f. Vgl. Ulrich/Hill 1979, S. 179. TEIL 1: EINFÜHRUNG 31 5.1.3 Verwendungszusammenhang Beim Verwendungszusammenhang stehen das Nutzenkriterium bzw. das Relevanzproblem im Vordergrund. Hierbei stellt sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Zweck oder der Verwendung wissenschaftlicher Aussagen. Es geht hier somit um die praktische und ideologische Funktion von Wissenschaft.127 Bei anwendungsorientierten Wissenschaften sind sowohl die Entstehung der Forschungsfrage als auch die Beurteilung der Forschungsergebnisse in der Praxis angesiedelt. Entsprechend muss die Anwendung jederzeit Mittelpunkt und Hauptinteresse der anwendungsorientierten Forschung sein. Nach Ulrich128 ist das Forschungsregulativ der Betriebswirtschaft die Nützlichkeit. Ziel der Betriebswirtschaftslehre ist es, der Praxis relevantes bzw. nützliches Wissen zur Verfügung zu stellen, das sie für die Lösung von Gestaltungs- und Lenkungsproblemen benötigt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie Nützlichkeit so operationalisiert werden kann, dass sie als Regulativ des Forschungsprozesses dienen kann. Thomas und Tymon129 haben dazu fünf Anforderungen herausgearbeitet: Gütekriterium Beschreibung der Anforderung Beschreibende Relevanz Beziehen sich die Forschungsergebnisse auf Phänomene, welche Praktiker in ihrem Umfeld erfahren bzw. auffinden? Zielrelevanz Sind die abhängigen Variablen der Theorie jene, welche der Praktiker beinflussen will? Operationale Validität Kann der Praktiker auch die unabhängigen Variablen durch sein Handeln bzw. durch die Umsetzung von Handlungsanweisungen beeinflussen? Nicht-Offensichtlichkeit In welchem Ausmass übertrifft die Theorie das Alltagswissen, das der Praktiker schon einsetzt? Rechtzeitigkeit Ist die Theorie zu jenem Zeitpunkt verfügbar, zu dem der Praktiker sie benötigt? Abbildung 13: Operationalisierung von Nützlichkeit Quelle: Thomas/Tymon 1982. Die Kriterien in Abbildung 13 werden am Schluss der Arbeit zur Überprüfung der Nützlichkeit der erarbeiteten Erkenntnisse verwendet. 5.2 Forschungsmethodik Nach der Ausarbeitung der wissenschaftstheoretischen Positionierung dieser Arbeit geht es im nächsten Schritt darum, ein geeignetes Forschungsdesign zu definieren. Dazu wird im Abschnitt 5.2.1 zunächst der Forschungsprozess im Überblick aufgezeigt. Anschliessend wird im 127 128 129 Vgl. Ulrich/Hill 1979, S. 167 f. Ulrich/Krieg/Malik 1976, S. 136. Thomas/Tymon 1982. TEIL 1: EINFÜHRUNG 32 Abschnitt 5.2.2 die Credit Suisse charakterisiert und beschrieben. Darauf aufbauend wird in Abschnitt 5.2.3 die eingesetzte Forschungsmethodik eingehend erläutert und kritisch reflektiert. 5.2.1 Der Forschungsprozess im Überblick In der wissenschaftstheoretischen Positionierung in Abschnitt 5.1 wurde dargelegt, dass der vorliegenden Dissertation ein realitäts- und anwendungsorientiertes Forschungsverständnis130 zugrunde liegt. Es wurde gezeigt, dass das Ziel der Arbeit zu systematisieren, zu erklären und zu gestalten ist. In Abbildung 14 werden diese Ziele schematisch im Forschungsprozess abgebildet und der theoretische und praktische Themen-Zugang gezeigt. Phase 1: Beschreiben ! Erfassung und Strukturierung der Problemstellungen ! Erarbeitung der inhaltlichen Zugänge und der theoretischen Grundlagen ! Definition der Forschungsziele Phase 2: Verstehen und Erklären ! Entwicklung und laufende Überprüfung des theoretischen Bezugsrahmens ! Erarbeitung von Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken Theoretischer Zugang: ! Desk-Research ! Wissenschaftlicher Diskurs ! Analogien Phase 3: Gestalten ! Erarbeitung der Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken ! Validierung der Konzeption im Rahmen einer Fallstudie Praktischer Zugang: Erkenntnisobjekt: ! Einzelfallstudie Credit Suisse Kennzahlensteuerungssysteme Abbildung 14: Schematische Darstellung des Forschungsprozesses Quelle: Eigene Darstellung. Die drei Hauptphasen des Forschungsprozesses sind an die zentralen theoretischen Konstrukte der anwendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre nach Ulrich131 – den Entdeckungszusammenhang (Beschreiben), den Begründungszusammenhang (Verstehen und Erklären) und den Verwendungszusammenhang (Gestalten) – angelehnt. Aus Abbildung 14 geht hervor, dass es durch das konzipierte Forschungsdesign gelingt, das Erkenntnisobjekt sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht zu durchdringen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass der Erkenntnisfortschritt in Bezug auf Kennzahlensteuerungssysteme für den Mehrkanalvertrieb von Banken aus diesen beiden Perspektiven kontinuierlich kritisch reflektiert wurde. Diese Vorgehensweise trägt dazu bei, dass die gewonnenen Erkenntnisse weder einseitig theoretisch noch einseitig pragmatisch verzerrt werden. Die Nutz- bzw. Verwertbarkeit der Ergebnisse kann dadurch sowohl für die Wissenschaft als auch für die Bankpraxis sichergestellt werden. 130 131 Ulrich 1981; Tomczak 1992b. Ulrich 1981. TEIL 1: EINFÜHRUNG 33 In den folgenden zwei Abschnitten 5.2.2 und 5.2.3 werden das zentrale Forschungsobjekt und die gewählte Forschungsmethodik detailliert beschrieben. Dies ermöglicht dem Leser, die Gründe für die Auswahl des Forschungsdesigns hinsichtlich ihrer Eignung zu beurteilen. 5.2.2 Der Mehrkanalvertrieb der Credit Suisse als Forschungsobjekt der Einzelfallstudie Die Informationen in diesem Abschnitt über das Forschungsobjekt Credit Suisse dienen dazu, dem Leser die Hintergründe und Rahmenbedingungen dieser Dissertation aufzuzeigen. Die Angaben sind v.a. für das Verständnis der Ausführungen von Teil 4 hilfreich und schlagen zudem die Brücke zwischen der wissenschaftstheoretischen Positionierung und dem forschungsmethodischen Vorgehen dieser Arbeit. Mit diesem Abschnitt wird zudem das Ziel verfolgt, die Eignung des Untersuchungsobjekts Credit Suisse für die Erforschung der Themenstellung dieser Arbeit zu erörtern. Charakterisierung des Forschungsobjekts Die Beschreibung und Charakterisierung der Credit Suisse erfolgt in zwei Schritten. Zu Beginn wird die Credit Suisse Group vorgestellt. Anschliessend wird das Segment Private Clients (Retail Kunden) des Geschäftsbereichs Private-Banking porträtiert, welches Gegenstand der Einzelfallstudie ist. Unternehmensporträt der Credit Suisse Group132 Das Ziel des Porträts ist, Informationen über die Geschichte der Credit Suisse, die neue Struktur sowie aktuelle strategische Stossrichtungen aufzuzeigen. Die Geschichte: Die Geschichte der Credit Suisse Group geht auf die Schweizerische Kreditanstalt zurück, die im Jahr 1856 gegründet wurde. Die erste Geschäftsstelle wurde 1905 in Basel eröffnet, die erste Niederlassung im Ausland 1940, in New York. 1978 begann die Zusammenarbeit mit der First Boston Inc., die 1990 in eine Mehrheitsbeteiligung mündete. 1990 wurde eine Mehrheitsbeteiligung an der Bank Leu, 1993 die Schweizerische Volksbank und 1994 die Neue Aargauer Bank erworben. 1997 fand die Übernahme der Winterthur statt. Eine weitere Akquisition war der Kauf von Donaldson, Lufkin & Jenrette Inc. (DLJ) im Jahr 2000. Am 13. Mai 2005 fusionierten die beiden Bank-Rechtseinheiten in der Schweiz, die Credit Suisse und die Credit Suisse First Boston. Auf der Basis der daraus entstandenen Bank der – Credit Suisse – wurden die Bankgeschäfte der Gruppe zusammengeführt. Die integrierte Bank hat am 1. Januar 2006 unter der neuen Marke Credit Suisse ihre Tätigkeit aufgenommen. Die Credit Suisse heute: Die Credit Suisse bietet ihren Kunden Dienstleistungen in den Bereichen Investment Banking, Private-Banking und Asset Management an. Sie offeriert Unternehmen, institutionellen Kunden und vermögenden Privatkunden weltweit sowie Retailkunden in der Schweiz Beratung, umfassende Lösungen und innovative Produkte. 132 Alle Informationen für das Porträt stammen von der Internet Seite der Credit Suisse (www.credit-suisse.com). Für das Porträt wurden folgende Dokumente benutzt: Geschäfts- und Jahresbericht 2005, Unternehmungsporträt. TEIL 1: EINFÜHRUNG 34 Die Credit Suisse ist in über 50 Ländern tätig und beschäftigt mehr als 44’000 Mitarbeitende aus über 100 Nationen. Die Credit Suisse Group – die Muttergesellschaft der Credit Suisse – ist ein führendes, global tätiges Finanzdienstleistungsunternehmen mit Hauptsitz in Zürich. Die Namenaktien der Credit Suisse Group (CSGN) sind in der Schweiz – sowie in Form von American Depositary Shares (CSR) – in New York kotiert. Die Strategie: Mit der Ausrichtung auf ihre Kernkompetenz – das Bankgeschäft – will die Credit Suisse Group für ihre Aktionäre Mehrwert schaffen. Die Konzentration auf das Bankgeschäft und die Schaffung einer integrierten, globalen Bank erlaubt es der Gruppe, ihre Bankkunden in den Bereichen Investment Banking, Private-Banking und Asset Management besser zu betreuen. Als integrierte Bank kann die Credit Suisse das Fachwissen und die bewährte Innovationskraft aus allen Geschäftsbereichen und Regionen nutzen und ihren Kunden sämtliche Ressourcen zur Verfügung stellen. Sie hat die Vision, eine der weltweit führenden Banken zu werden. Der Name Credit Suisse soll für ihr unverwechselbares Know-How im Investment Banking, im Private-Banking und im Asset Management stehen. Die Credit Suisse will sich als Bank etablieren, die sich mit ihrer Beratung, ihrer Innovationskraft und den erzielten Ergebnissen allerhöchste Wertschätzung verdient. Porträt des Segments Private Clients133 Das Bankengeschäft der Credit Suisse ist in die drei Geschäftsbereiche aufgeteilt. Im Geschäftsbereich Private-Banking werden vermögende Privatkunden (Bereich WealthManagement), Firmen und Retailkunden (Bereich Private Clients) betreut. Der Fokus der folgenden Ausführungen liegt auf dem Bereich Private Clients, in welchem die Credit Suisse Retailkunden anspricht. Kundensegmentierung und Produkte: Der Bereich Private Clients betreut ca. 1,6 Mio. Retailkunden in der Schweiz, welche über ein Vermögen von bis zu CHF 250'000 verfügen. Innerhalb dieses Segments wird wiederum zwischen Retail- (bis CHF 50'000) und Individualkunden (CHF 50'000 – 250'000) unterschieden. Retailkunden steht eine breite Palette von Bankprodukten in den Kategorien Zahlen, Sparen, Vorsorgen, Finanzieren und Anlegen zur Verfügung. Zudem können Kunden unterschiedliche Beratungsdienstleistungen in Anspruch nehmen. Die Credit Suisse verfügt über ein umfassendes Leistungsangebot im Internet-Bereich. Neben der zentralen Online-BankingApplikation Direct Net stehen den Kunden zahlreiche weitere Online-Tools zur Verfügung.134 Organisation und Vertrieb: Im Bereich Private Clients arbeiten rund 2'200 Mitarbeiter. Die Schweiz ist in acht Regionen bzw. 40 Marktgebiete aufgeteilt. Die Credit Suisse vertreibt ihre Produkte und Dienstleistungen über die Vertriebskanäle, welche in Abbildung 15 schematisch dargestellt werden. 133 134 Die Informationen für das Porträt stammen sowohl von der Internet Seite der Credit Suisse (www.creditsuisse.com) als auch von einem internen Dokument. Für das Porträt wurden vom Internet folgende Dokumente benutzt: Geschäfts- und Jahresbericht 2005, Unternehmungsporträt. Die interne Dokumentation ist eine Präsentation, welche Berater bei Gesprächen mit Neukunden verwenden. Vgl. https://entry.credit-suisse.ch/csfs/p/rb/de/online/index.jsp. TEIL 1: EINFÜHRUNG Credit Suisse 35 Geschäftsstelle Retailkunden Cash Service ! ! ! ! ! ! Marktanteil ca. 10% 8 Regionen Kundenberater ! ! 40 Marktgebiete Ca. 1,6 Mio. Kunden Vermögen bis zu CHF 250‘000 181 Geschäftstellen 5 Contact-Center Contact-Center 2‘200 Mitarbeiter Internet ATMs Abbildung 15: Vertriebskanäle im Bereich Private Clients Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an www.credit-suisse.com. Retailkunden können ihre Bankgeschäfte über eine der 181 Geschäftsstellen, eines der fünf Contact-Centers, via das Internet oder die ATMs135 abwickeln. Die einzelne Geschäftsstelle wird dabei nicht als Vertriebskanal sondern als Hotel für die Kanäle Cash-Service und Kundenberater verstanden. Cash-Service steht für den Bankschalter. Die Anzahl der Vertriebskanäle sowie das breite Produktangebot zeigen auf, dass die Credit Suisse im Retailkundengeschäft über ein relativ komplexes Vertriebssystem verfügt. Bei der Erarbeitung einer Mehrkanalvertriebsstrategie gilt es, zahlreiche Dimensionen zu berücksichtigen. Im Vordergrund steht v.a. die Frage, welchen Kunden welche Produkte über welche Kanäle zu welchen Preisen angeboten werden sollen. Ist diese zentrale Fragestellung beantwortet, gilt es, mit Hilfe eines integrierten Kennzahlensystems den Mehrkanalvertrieb zu steuern. Strategie136 : Das Retailkundengeschäft hat das Ziel, seine Marktstellung in der Schweiz weiter zu verbessern und die Rentabilität zu erhöhen. Die Credit Suisse will sich im RetailBanking als bevorzugte Bank für das obere Segment und für Hypotheken positionieren und im Privatkreditbereich in der Schweiz bezüglich Kundenorientierung, Rentabilität und Wachstum führend sein. Im Privatkundengeschäft will die Credit Suisse das Potenzial aus der Integration der Bankgeschäfte voll ausschöpfen. Schwerpunkt ist die flexiblere Betreuung des Kundenstamms und die Intensivierung des Cross-Sellings zur Steigerung der Effizienz und des Wachstums in allen Segmenten. Die Credit Suisse will ihre Strategie im Retailkundengeschäft wie folgt umsetzen: ! Akquisition neuer Privatkunden mittels attraktiver Schlüsselprodukte; ! Bessere Verbreitung der Produkte durch Datenbankmarketing und Produktbündelung; ! Höhere Effizienz im Verkauf mittels gezielter Ausbildungs- und Anreizprogramme; ! Kontinuierliche Optimierung des Geschäftsstellennetzes und Ausbau der Vertriebskanäle über Dritte; 135 136 Unter Automated Teller Machine wird ein Bancomat verstanden. Vgl. Geschäftsbericht Credit Suisse Group 2005. TEIL 1: EINFÜHRUNG 36 ! Verbesserung des Kundenservice durch Optimierung der internen Abläufe; ! Weitere Verschiebung von Ressourcen aus den Mid- und Back-Office-Funktionen hin zu den Kundenteams (Rekrutierung von verkaufsorientierten Kundenberatern); ! Weitere Investitionen in Arbeitsinstrumente, Einsatz neuester Technologien und vermehrte Nutzung von Fachkompetenz aus dem Wealth-Management: ! Systematische Nutzung von Cross-Selling-Möglichkeiten mit anderen Geschäftsbereichen der Credit Suisse. Die strategischen Stossrichtungen im Bereich Private Clients zeigen auf, dass viele der geplanten Massnahmen in Zusammenhang mit der weiteren Optimierung des Vertriebssystems stehen. Diese Massnahmen unterstreichen die Notwendigkeit eines effektiven und effizienten Vertriebssystems gerade im Volumengeschäft Retailbanking, in dem die Profitabilität der Kunden eine zentrale Herausforderung darstellt. Ein schlagfertiges und integriertes System von Vertriebskanälen hat daher einen massgeblichen Einfluss auf das Geschäftsergebnis. In Teil 4 und v.a. in der separaten Einzelfallstudie137 werden die hier gemachten Angaben weiter vertieft und ausführlich dargestellt. Dabei werden detaillierte Angaben zur Vertriebsstrategie, zur strategischen Positionierung der einzelnen Kanäle sowie zu den zentralen Vertriebsprozessen gemacht. Eignung des Forschungsobjekts der Einzelfallstudie im Hinblick auf das Dissertationsprojekt Vor der Beurteilung der Eignung des Forschungsobjekts der Einzelfallstudie für das Dissertationsprojekt wird an dieser Stelle kurz auf die Rolle des Forschers bzw. dessen Beziehung zum Untersuchungsgegenstand hingewiesen. Der Autor arbeitet seit über sechs Jahren bei der Credit Suisse und hatte die Möglichkeit, unterschiedliche Bereiche der Bank kennen zu lernen.138 Derzeit arbeitet er mit einem Pensum von 60% im Bereich Channel-Management, welcher sich mit der Integration und dem Management der segmentspezifischen Mehrkanalvertriebssysteme beschäftigt. Aufgrund seiner Aufgaben war es dem Forscher möglich, zahlreiche Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen kennen zu lernen. Ferner hatte er Zugang zu umfangreichen internen Dokumentationen. Die restlichen 40% konnte der Forscher seiner Dissertation widmen, welche die Credit Suisse im Rahmen des Academic ResearchPrograms unterstützte. Basierend auf den bisherigen Ausführungen kommt man zum Schluss, dass sich das ausgewählte Untersuchungsobjekt – der Bereich Private Clients der Credit Suisse Group – aus unterschiedlichen Gründen zur Erforschung der Problemstellung dieser Arbeit eignet: ! Der Bereich Private Clients verfügt über ein relativ komplexes Mehrkanalsystem mit unterschiedlichen Vertriebskanälen, welche dem Endkunden für die Interaktion mit der Bank zur Verfügung stehen. Das Erarbeiten von ausgeklügelten Mehrkanalvertriebsstrategien und deren erfolgreiche Umsetzung haben einen massgeblichen Einfluss auf das Geschäftsergebnis. V.a. bei der Implementierung von Strategien sind integrierte bzw. alle Kanäle um137 138 Die Einzelfallstudie stellt aufgrund der Vertraulichkeit der gemachten Angaben einen eigenständigen Teil der Dissertation dar. Dieser Teil der Arbeit ist unter Verschluss und ist nur dem Referenten, dem Ko-Referenten sowie der Credit Suisse zugänglich. Vgl. Lebenslauf im Anhang. TEIL 1: EINFÜHRUNG 37 fassende Kennzahlensysteme für eine ganzheitliche Vertriebssteuerung von grosser Bedeutung. ! Durch die Rolle des Forschers konnte der notwendige intensive und v.a. direkte Zugang zum Forschungsobjekt sichergestellt werden. Die Nähe und Vertrautheit zwischen Forscher und Forschungsobjekt ermöglichte massgeblich das Erlangen der gewonnenen Erkenntnisse der separaten Fallstudie und schliesslich der Dissertation. ! Es war dem Forscher durch die Unterstützung zahlreicher Experten der Credit Suisse möglich, die durch die Arbeit gewonnen Erkenntnisse in einem praktischen Kontext zu validieren und zu objektivieren. Mit Hilfe der kontinuierlichen, kritischen Reflektion der erarbeiteten Konzepte durch Experten konnte eine einseitige, subjektive Verzerrung der Ergebnisse durch den Forscher vermieden werden. Dieser Umstand trägt schliesslich zur Erhöhung der Validität und der Objektivität der in dieser Arbeit präsentierten Forschungsergebnisse bei. 5.2.3 Die Einzelfallstudie als geeignete Forschungsmethode In diesem Abschnitt soll beurteilt werden, ob sich die Einzelfallstudie zur Herleitung einer Konzeption für ein integriertes Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb einer Bank eignet. Dazu wird zunächst auf die allgemeinen Möglichkeiten und Grenzen der Einzelfallstudienforschung eingegangen. Anschliessend werden spezifische Restriktionen in Bezug auf die Credit Suisse erörtert. Potential und Leistungsfähigkeit der Einzelfallstudienforschung Dieser Arbeit liegt eine qualitative Forschungsmethodik zugrunde. Die zentralen Gründe für die Eignung des gewählten Vorgehens basieren auf der Argumentation von Bonoma139 und Yin140 an: Komplexität des Untersuchungsgegenstandes: Durch das Hinzutreten alternativer Vertriebskanäle hat die Komplexität der Vertriebssysteme bei Banken in den letzten Jahren massiv zugenommen. Anfänglich wurden alternative Kanäle wie das Internet als relativ autonome Einheiten mit Ergebnisverantwortung geführt. In den letzten Jahren zeichnet sich bei Universalbanken der Trend in Richtung Mehrkanalsysteme ab. Dies bedeutet, dass die einzelnen Vertriebskanäle als integrierte Systeme gegenüber dem Kunden auftreten. Die Integration bezieht sich dabei v.a. auf eine differenzierte Aufgabenaufteilung zwischen den Vertriebseinheiten und dem Management von kanalübergreifenden Geschäftsprozessen. Analyse eines konkreten Praxisproblems in seinem realen Kontext: Während die Integration alternativer Vertriebskanäle schon relativ weit vorangetrieben ist, zeichnen sich Defizite in der integrierten Vertriebssteuerung anhand von Kennzahlensystemen ab. In der Bankpraxis sind solche Systeme, welche die Komplexität eines Mehrkanalvertriebssystems abbilden, erst in der Entwicklungsphase. 139 140 Bonoma 1985a. Yin 2003. TEIL 1: EINFÜHRUNG 38 Geringer theoretischer Kenntnisstand und Notwendigkeit nach Exploration der Problemstellung: Eine mögliche Ursache für den aktuellen Entwicklungsstand von integrierten Kennzahlensteuerungssystemen in der Praxis könnte der geringe theoretische Kenntnisstand141 sein. Individuelles, unternehmensspezifisches Gestaltungsproblem: Mehrkanalvertriebssysteme sind je nach Bank(typ) unterschiedlich konfiguriert. Die Anzahl und die Positionierung der einzelnen Vertriebskanäle können stark variieren. Die Vielfalt von möglichen Vertriebskonfigurationen hat einen Einfluss auf das Design und auf die inhaltliche Gestaltung eines Kennzahlensteuerungssystems. Massgebliche Beeinflussung des Erkenntnisobjekts durch menschliches Verhalten: Kennzahlensteuerungssysteme für den Mehrkanalvertrieb werden in der Praxis von spezifischen Fachstellen in Banken erarbeitet. Die Systeme werden aufgrund ihrer Funktion der strategischen Steuerung inhaltlich von der definierten Mehrkanalvertriebsstrategie abgeleitet. Das Entwicklungsvorgehen solcher Systeme ist in der Praxis nicht immer ein vollständig objektiv nachvollziehbarer Prozess. Diese Erläuterungen legen nahe, dass das Erkenntnisobjekt dieser Arbeit – integrierte Kennzahlensteuerungssysteme – durch typische quantitative Erhebungsmethoden (z.B. standardisierte Fragebögen, Experimente im Labor etc.) kaum zugänglich gewesen wäre. Der Einsatz einer qualitativen Forschungsmethodik schien somit als ergiebiger und effektiver. Der Entscheid für dieses Vorgehen wird durch eine Aussage von Henry Mintzberg142 gestützt, welcher für derartige Problemstellungen das Folgende empfiehlt: „Measuring in real organizations terms means first of all getting out into the field, into real organizations. Questionnaires won’t do...“ Nach dem Entscheid für eine qualitative Forschungsstrategie galt es, in einem zweiten Schritt zu definieren, wie eine solche Strategie in Bezug auf die geschilderte Problemstellung konkret ausgestaltet werden sollte. Dem Forscher stand hierbei eine Vielzahl von möglichen Methoden zur Auswahl. In Bezug auf das vorliegende Forschungsprojekt nahm die so-genannte Fallstudienforschung eine zentrale Rolle im Rahmen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ein. Die Fallstudienforschung ist ein zentraler Ansatz der qualitativen Sozialforschung und zeichnet sich durch ihre Flexibilität aus. Im Rahmen der Fallstudienforschung wird stehts versucht, während des gesamten Analyseprozesses die notwendige Offenheit zu gewährleisten, die für die Suche nach relevanten Einflussfaktoren und zur Interpretation von Zusammenhängen erforderlich ist.143 Im Mittelpunkt stehen somit primär Forschungsfragen, die sich mit dem „Wie?“ und dem „Warum?“ eines wissenschaftlichen Problems auseinandersetzen. 144 Nach Yin145 ist die Fallstudie eine wissenschaftliche Untersuchung, welche ein zeitgemässes Phänomen in seinem normalen Umfeld – d.h. unter nicht-experimentellen Bedingungen – un- 141 142 143 144 145 Vgl. Abschnitt 1.1.3. Mintzberg 1979, S. 586. Vgl. z.B. Stake 1995; Mayring 2002, S. 41ff.; Yin 2003, S. 1ff. Yin 2003, S. 1ff. Vgl. Yin 2003, S. 13. TEIL 1: EINFÜHRUNG 39 tersucht. Fallstudien befassen sich mit Situationen, in denen mehr Variablen als Datenelemente zur Verfügung stehen. Die wissenschaftliche Vorgehensweise zeichnet sich dadurch aus, dass ein Phänomen aus möglichst verschiedenen Perspektiven – mittels unterschiedlicher Methoden und Datenquellen – betrachtet wird, die dann in einer Form der Triangulation zusammengeführt werden.146 Die Stärken von Fallstudien begründen sich in ihrer Untersuchungstiefe und in einer unmittelbaren Verbindung von Theorie und Empirie, wodurch sie sich für praxisorientierte Studien in Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie sehr gut eignen.147 Sie ermöglichen ein Verständnis der Dynamiken einzelner Situationen und können zu neuen Ansätzen führen, die durch die Nähe zur Empirie i.d.R. empirisch valide Hypothesen/Theorien bieten. Die Schwächen der Fallstudienforschung liegen v.a. bei der Spezifität der Erkenntnisse. Da die Ergebnisse meist sehr spezifisch sind, besteht trotz analytischer Tiefe die Gefahr einer zu geringen synthetischen Höhe. Damit führt Fallstudienforschung leicht zu einem „atheoretischen, istanalytischen Empirismus“.148 Auch besteht die Gefahr, dass Hypothesen an dem Material getestet werden, aus dem sie gewonnen wurden. In der Einzelfallstudie – einem speziellen Anwendungsfall der Fallstudie – wird die Zielsetzung verfolgt, ein ganzheitliches und damit realistisches Bild der sozialen Welt zu schaffen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie während des ganzen Analyseprozesses den Rückgriff auf den Fall in seiner Ganzheit und Komplexität behält. Dadurch ist es möglich, zu tiefgreifenderen und genaueren Ergebnissen zu gelangen. Vor diesem Hintergrund stellt die Einzelfallstudie eine entscheidende Hilfe bei der Suche nach relevanten Einflussfaktoren und bei der Interpretation von Zusammenhängen dar.149 Ein so induktives, auf einem Einzelfall basierendes Vorgehen birgt allerdings auch Gefahren in Bezug auf die Validität und Generalisierbarkeit seiner Ergebnisse. Yin150 definiert daher verschiedene Voraussetzungen, welche gegeben sein müssen, um die Wahl der Einzelfallstudie im Rahmen eines Forschungsprojekts zu rechtfertigen. Er unterscheidet zwischen fünf möglichen Fällen: ! „Kritischer Fall“ (the critical case): Beim kritischen Fall sollen klar ausformulierte theoretische Aussagen in einem ausdrücklich bestimmten Umfeld auf ihren praktischen Gehalt hin überprüft werden. ! „Extremfall“ (the case represents an extreme or an unique case): In einigen Situationen ist es nur möglich, auf einen Fall zurückzugreifen, da die äusseren Umstände relativ selten sind und nur eine einzelne Fallstudie zulassen. ! „Typischer Fall“ (the representative or typical case): In diesem wird das Ziel verfolgt, die Gegebenheiten und Bedingungen einer alltäglichen Situation zu erfassen. 146 147 148 149 150 Vgl. Yin 2003, S. 13. Vgl. Gassmann 1999, S. 55f. Backhaus/Plinke 1977, S. 89. Vgl. Mayring 2002, S. 41ff. Vgl. Yin 2003, S. 38ff. TEIL 1: EINFÜHRUNG 40 ! „Enthüllungfall“ (the revelatory case): Diese Form der Einzelfallstudie wird so bezeichnet, da wissenschaftliche Einblicke in die zu erforschende Situation bisher nicht möglich waren und nur für eine einzige Fallstudie genutzt werden können. ! „Langzeitfall“ (the longitudinal case): Hierbei wird derselbe Fall zu zwei oder mehreren verschiedenen Zeitpunkten untersucht, um Veränderungen im Zeitablauf bzw. Entwicklungen des Untersuchungsobjekts erfassen zu können. In Bezug auf die oben aufgeführte Differenzierung der Einzelfallstudien handelt es sich nach Ansicht des Autors im vorliegenden Fall um den typischen Fall. Die grundlegenden Problemstellungen und Herausforderungen in Bezug auf eine integrierte Vertriebssteuerung sind zwar bei allen Banken im Privatkundengeschäft nahezu identisch. Somit sind auch die Anforderungen bzw. die in dieser Arbeit entwickelte Konzeption generell für alle Banken im Privatkundengeschäft gültig. Die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen Systems in Bezug auf die jeweiligen Kennzahlen ist aber unterschiedlich. Es bleibt demnach festzuhalten, dass die notwendigen Voraussetzungen für einen sinnvollen Einsatz der Einzelfallstudie im Rahmen dieses Forschungsprojekts gegeben sind. Das Ziel der Dissertation – die Konzeption eines Kennzahlensystems für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer Bank zu erarbeiten – kann somit auf diesem Wege der Erkenntnisgewinnung grundsätzlich erreicht werden. Grenzen der Einzelfallstudienforschung Nach der Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der Eignung der Einzelfallstudienforschung in Bezug auf die vorliegende Arbeit sollen auch die Grenzen dieser Forschungsmethodik erörtert werden. Dadurch ist es dem Leser möglich, die Qualität der Forschungsergebnisse der Dissertation besser einschätzen und beurteilen zu können. Die nachfolgenden Ausführungen unterscheiden dabei zwischen allgemeinen Grenzen und solchen, welche sich auf das vorliegende Forschungsprojekt beziehen. Allgemeine Grenzen der Fallstudienforschung In der Charakterisierung der Fallstudienforschung wurde in den Grundzügen auf Schwächen der Fallstudienforschung hingewiesen. Dieser Abschnitt soll die drei zentralen Grenzen der Fallstudienforschung etwas detaillierter aufzeigen. Komplexität der aus einer Fallstudie abgeleiteten Modelle oder Theorien: In Fallstudien werden i.d.R. grosse Datenmengen erhoben und ausgewertet. Die daraus abgeleiteten Modelle und Theorien neigen teilweise zu einer erheblichen Komplexität, da der Forscher bemüht ist, möglichst alle von ihm entdeckten Beziehungen und Wirkungszusammenhänge zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass der erarbeitete Theorievorschlag einerseits sehr detailliert ist, andererseits jedoch nur über eine eingeschränkte allgemein gültige Aussagekraft verfügt.151 Die wissenschaftliche Literatur schlägt daher vor, die Fallstudienforschung v.a. in frühen Forschungsphasen innerhalb eines neuen Forschungsgebietes einzusetzen. Auf diese Weise können erste, grundsätzliche Erkenntnisse generiert werden.152 151 152 Vgl. Eisenhardt 1991, S. 547. Vgl. Eisenhardt 1991, S. 548. TEIL 1: EINFÜHRUNG 41 Geringere externe Validität (Generalisierbarkeit) der Erkenntnisse: An der Fallstudienforschung wird tendenziell die geringe externe Validität (Generalisierbarkeit, Repräsentativität) ihrer Ergebnisse bemängelt. Dieses Argument ist v.a. darauf zurückzuführen, dass einzelne Fälle – zumindest auf den ersten Blick – weniger repräsentativ als Stichproben grösseren Umfangs erscheinen. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass auf Fallstudien und vergleichbare qualitative Untersuchungen sinnvollerweise nicht das Kriterium replikativer Repräsentativität angewendet werden sollte, um solchen Forschungsbemühungen adäquat Rechnung zu tragen.153 Subjektive Verzerrung bzw. Beschönigung der gewonnenen Erkenntnisse: Bei der Erhebung und Analyse von Daten können durch den interpretativen Spielraum Verzerrungen und Beschönigungen resultieren.154 Diesem Bias- bzw. Reaktivitätsproblem kann aber grundsätzlich dadurch begegnet werden, dass die jeweiligen Aussagen und Erkenntnisse in ihrem spezifischen Interessens- und Motivkontext betrachtet werden.155 Zusätzlich können potentielle subjektive Verzerrungen auch identifiziert werden, indem darauf geachtet wird, inwieweit die Schlussfolgerungen und Interpretationen des Forschers aufgrund von Sympathien mit den Akteuren aus der Praxis („Go(ing) Native-Problematik)156 möglicherweise gefärbt wurden. Zur Minderung der Gefahr der subjektiven Verzerrung empfiehlt Pettigrew, so genannte Reflexionsgespräche mit anderen Wissenschaftlern zu führen. Auf diese Weise können die Generalisierbarkeit und die Repräsentativität der Erkenntnisse von Fallstudien verbessert werden. Fazit: Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass die Fallstudienforschung grundsätzlich mit drei generellen Beschränkungen zu kämpfen hat, welche in gewissen Fällen die Aussagekraft ihrer Forschungsergebnisse verringern können. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass diese Restriktionen nicht für jeden Forschungskontext gelten müssen. Durch gezielte Massnahmen kann die hohe Qualität der Erkenntnisse der Fallstudienforschung gewährleistet werden. Spezifische Restriktionen der Fallstudienforschung in Bezug auf die Credit Suisse Die spezifischen Restriktionen der Fallstudienforschung beziehen sich im vorliegenden Fall auf die konkreten Gegebenheiten des untersuchten Forschungsobjekts sowie auf die vom Forscher vorgenommenen Annahmen und Abgrenzungen, kurz, auf den so genannten Forschungskontext der Dissertation. Die Beschreibung der Beschränkungen soll dem Leser dazu dienen, die Güte der Forschungserkenntnisse besser einschätzen zu können. Eine zentrale Restriktion ist das (theoretische) Vorverständnis des Forschers. Durch die getroffenen Annahmen und Abgrenzungen wurde der untersuchte Realitätsausschnitt begrenzt. Die Erkenntnisse entspringen somit einer spezifischen Perspektive, weshalb eine gewisse Subjektivität der Forschungsresultate nicht ausgeschlossen werden kann. Während des Forschungsprozesses wurde jedoch stets versucht, die jeweiligen Zwischenergebnisse mit unterschiedlichen Experten aus verschiedenen Fachbereichen der Credit Suisse zu diskutieren, kritisch zu reflektieren und zu validieren. Somit konnte die grösstmögliche Objektivität der Erkenntnisse sichergestellt werden. 153 154 155 156 Vgl. Trillitzsch 2004, S. 128. Vgl. Trillitzsch 2004, S. 128. Van de Ven 1992. Vgl. Pettigrew 1990, S. 278. TEIL 1: EINFÜHRUNG 42 Durch die Einzelfallstudie konnte der Forscher die erarbeitete Konzeption für ein Kennzahlensystem zur Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems anhand eines real existierenden Finanzinstituts anwenden und auf seine Praxistauglichkeit überprüfen. Die Fallstudie diente somit gewissermassen der Überprüfung und der Verfeinerung der vorab erarbeiteten Konzeption.157 In Verbindung mit den in Teil 2 geschilderten theoretisch-konzeptionellen Grundlagen und mit der Analyse bestehender Kennzahlensystemkonzeptionen in Teil 3 entstanden die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit. Aus den gewonnenen Erkenntnissen ist jedoch noch keine endgültige und allgemeingültige Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem entstanden. Das erarbeitete Modell sollte in der wissenschaftlichen Gemeinschaft weiter diskutiert und reflektiert werden. Zudem bedarf es weiterer Anwendungsfälle in der Praxis, um dessen Generalisierbarkeit zu verbessern.158 Trotz dieser Einschränkungen tragen die Ergebnisse zum besseren Verständnis der Thematik bei. 5.3 Forschungsansatz: Zielsetzung der Einzelfallstudie, realisierter Forschungsprozess und Qualitätssicherung Basierend auf den zuvor geschilderten grundsätzlichen forschungsmethodischen Entscheidungen und Gegebenheiten sollen in den folgenden Abschnitten zunächst die konkrete Forschungskonzeption sowie der realisierte Forschungsprozess dieses Dissertationsprojektes betrachtet werden. Anschliessend werden die vom Forscher eingesetzten Methoden zur Qualitätssicherung im qualitativen Forschungsprozess dargelegt. 5.3.1 Forschungskonzeption In der Forschungskonzeption wird zunächst auf die Zielsetzung der Einzelfallstudie eingegangen. Anschliessend werden die angewandten Forschungsmethoden für die Erhebung der Daten betrachtet. Zielsetzung der Einzelfallstudie Nachfolgend soll kurz auf die verschiedenen Typen von Fallstudien eingegangen werden. Die Unterscheidung resultiert v.a. aus den unterschiedlichen Zielsetzungen. Die drei zentralen Typen lassen sich in Anlehnung an Yin und Eisenhardt159 folgendermassen charakterisieren und voneinander abgrenzen: Beschreibende Fallstudie: Das Ziel einer solchen Fallstudie besteht darin, die realen Gegebenheiten und Besonderheiten eines spezifischen Forschungskontextes detailliert zu beschreiben. Dabei stehen i.d.R. Faktenfragen im Vordergrund. Die Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse wird typischerweise dem Leser überlassen, so dass beschreibende Fallstudien meist zu didaktischen Zwecken in der Universitätslehre eingesetzt werden.160 Explorierende Fallstudie: Im Gegensatz zur beschreibenden Fallstudie wird in explorierenden Fallstudien der in der Realität vorgefundene Kontext problematisiert, um dominierende Handlungsströme zu suchen. In explorierenden Studien werden ausserdem zumeist auch Hand- 157 158 159 160 Vgl. Eisenhardt 1991, S. 549 Osterloh/Grand 1994. Vgl. Eisenhardt 1991; Yin 2003, S. 1ff. Vgl. Bonoma 1985a. TEIL 1: EINFÜHRUNG 43 lungsmöglichkeiten mit aufgedeckt. Jedoch werden die Ursachen für den von Praxis-Akteuren gewählten Weg meist nicht untersucht. Erläuternde bzw. erklärende Fallstudien: Solche Fallstudien streben danach, auch die tiefer liegenden Zusammenhänge und Besonderheiten des erforschten Falls zu durchdringen. Sie verfolgen das Ziel, die individuellen Strukturen und Abhängigkeiten des jeweiligen Falles mit aufzudecken, zu erschliessen und nachvollziehbar zu machen. Diese Fallstudien stellen typischerweise Motivations- und Begründungsfragen wie z.B. „Wie?“, „Warum?“ oder Wann?“. Um dem Leser eine aktive Verfolgung des Weges der Erkenntnisgewinnung zu ermöglichen, setzen sie eine klare Beschreibung des Falls voraus.161 Erläuternde bzw. erklärende Fallstudien beziehen auch alternative Erklärungsversuche mit ein, um eine Plausibilisierung der vom Forscher gemachten Interpretationen zu ermöglichen. Die Diskussion und Verdichtung alternativer Erklärungsansätze ergibt somit eine FallInterpretation, die aufgrund des vorhandenen Datenmaterials am plausibelsten erscheint.162 Schliesslich werden die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse systematisiert und als (vorläufige) Erklärungsversuche – auch anhand zusätzlicher Fälle und anderer bereits existierender wissenschaftlicher Forschungsergebnisse – überprüft.163 Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Einzelfallstudie verfolgt das Ziel, einen wissenschaftlichen Beitrag zum Thema integrierte Kennzahlensysteme zur strategischen Steuerung von Mehrkanalvertriebssystemen von Banken zu leisten. Der hauptsächliche Zweck dieser Einzelfallstudie besteht einerseits im Beschreiben, andererseits aber auch im Systematisieren und Erläutern des Erkenntnisobjekts. Zusammengefasst kann die hier vorgelegte Untersuchung daher insgesamt als eine erläuternde bzw. erklärende Fallstudie charakterisiert werden. Die Kombination verschiedener Forschungsmethoden Die konkrete Vorgehensweise bei der Datenerhebung hat bei einer qualitativen Forschungsmethodik einen wesentlichen Einfluss auf das Potential und auf die Grenzen der Aussagekraft der Forschungsergebnisse. Aufgrund dessen sollte die Datengenerierung mit den Forschungszielen und mit der Forschungsstrategie der Dissertation in Einklang stehen. Dem Forscher stand für die vorliegende Arbeit eine Vielzahl verschiedener bewährter qualitativer Forschungsmethoden zur Verfügung (z.B. unterschiedliche Formen von Interviews, direkte und teilnehmende Beobachtungen, Dokumentenanalyse etc.). Bei der Auswahl der Methoden galt es darauf zu achten, dass sie für den spezifischen Forschungskontext geeignet und angemessen sind. Dies deshalb, weil sich nur in den seltensten Fällen alle verschiedenen Formen qualitativer Forschungsmethoden gleich gut eignen.164 Das Potential einer Einzelfallstudie kann am besten ausgeschöpft werden, wenn ein kombinierter Ansatz von Methoden zum Einsatz kommt. Dies ist besonders bei einer Einzelfallstudie von grosser Bedeutung, da typischerweise keine direkten Vergleiche mit anderen Fällen so- 161 162 163 164 Vgl. Trillitzsch 2004, S. 139. Vgl. Yin 1981, S. 61. Vgl. Yin 2003, S. 1ff. Mayring 2002; Yin 2003. TEIL 1: EINFÜHRUNG 44 wie keine statistischen Validierungstechniken durchgeführt werden (können).165 Der Einsatz eines Forschungsmethoden-Mixes und die damit verbundene Möglichkeit der Triangulation beheben jedoch diesen Nachteil, da das Erkenntnisobjekt auf diese Weise aus ganz verschiedenen Perspektiven durchdrungen werden kann.166 Aus diesem Grund wird die Untersuchung des Forschungsobjekts aus unterschiedlichen Perspektiven, unter Verwendung verschiedener Forschungsmethoden als ein wichtiges Merkmal zur Qualitätssicherung im qualitativen Forschungsprozess betrachtet.167 Der Autor versuchte, diesen Empfehlungen weitmöglichst zu folgen, um die Qualität und Validität seiner Forschungsergebnisse nicht zu gefährden. 5.3.2 Realisierter Forschungsprozess In diesem Abschnitt werden zu Beginn der angewandte Methoden-Mix sowie anschliessend der effektiv realisierte Forschungsprozess des Dissertationsprojekts beschrieben. Überblick der angewandten Methoden Abbildung 16 zeigt die einzelnen Forschungsmethoden auf, welche für die vorliegende Arbeit im Rahmen der Einzelfallstudie verwendet wurden. Die Methoden und die jeweils damit verbundene Zielsetzung werden im Anschluss kurz erläutert. Forschungsmethoden ! Desk-Research ! Expertengespräche ! Workshops mit Praktikern ! Informelle Gespräche ! Auswertung von Dokumenten ! Analogien Abbildung 16: Übersicht der Forschungsmethoden Quelle: Eigene Darstellung. Desk-Research: Die Sekundärforschung bzw. der Desk-Research eignet sich grundsätzlich zur Feststellung des Primärforschungsbedarfs, zur Erweiterung des Problemhorizonts, zur Hypothesenbildung oder –festigung sowie zur Beurteilung der Relevanz einer Problemstellung. Er gilt als kostengünstig, da die Daten bereits erhoben wurden und er daher weniger zeitaufwendig als die Primärforschung ist. In der vorliegenden Arbeit wurde Desk-Research v.a. zur Erweiterung des Problemhorizonts und zur Beurteilung der Praxis– und der Forschungsrelevanz der dieser Arbeit zugrunde liegenden Problemstellung eingesetzt. Er beinhaltete dabei das Studium zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen sowie populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen aus Fach- und Managementzeitschriften. Zudem wurden diverse Studien, Praxisberichte und Informationen aus dem Internet analysiert. Der Desk-Research wurde analog zu den Expertengesprächen zur Erfassung, Strukturierung und Beurteilung von Problemen aus der Bankpraxis verwendet. 165 Vgl. Leonard-Barton 1990. Vgl. Jick 1979. 167 Vgl. Yin 2003, S. 83ff. 166 TEIL 1: EINFÜHRUNG 45 Expertengespräche: Der Verfasser führte in den unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses zahlreiche Gespräche mit Experten.168 Diese wurden insbesondere in den Phasen 2 (Verstehen und Erklären) und 3 (Gestalten)169 eingesetzt. Die Gespräche wurden mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen der Credit Suisse geführt. Der theoretische Bezugsrahmen der Arbeit zeigte auf, dass die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Problemstellung zahlreiche Facetten hat bzw. dass unterschiedliche Fachbereiche der Betriebswirtschaft zur Problemlösung herangezogen werden müssen. Der Forscher war daher auch bei der Auswahl der Experten bemüht, einen geeigneten „Mix“ an Gesprächspartnern zu erreichen, um alle relevanten Perspektiven des theoretischen Bezugsrahmens abdecken zu können. Die Experten wurden jeweils auf die Gespräche vorbereitet, indem sie vorab einen situativ erstellten Diskussionsleitfaden erhielten. Die Gespräche erfolgten i.d.R. offen und halbstandardisiert, teilweise fokussiert auf spezifische Problemstellungen.170 Die Gesprächsdauer war meist zwischen ein bis zwei Stunden. Die Ergebnisse der Gespräche wurden i.d.R. in einem Kurzprotokoll zusammengefasst und von den Experten korrigiert. Workshops mit Praktikern: Die vom Forscher erarbeitete Konzeption eines Kennzahlensystems für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs wurde in Workshops mit unterschiedlichen Experten der Credit Suisse überarbeitet und validiert. Es wurden bewusst keine Gruppenworkshops veranstaltet, sondern es wurde vielmehr Wert darauf gelegt, anhand der spezifischen Fachkenntnisse der einzelnen Experten die erarbeiteten Konzepte kritisch reflektieren zu können. Auf diese Weise konnte der Forscher die Ergebnisse graduell verbessern und präzisieren. Informelle Gespräche: Zusätzlich zu den strukturierten Expertengesprächen und Workshops fanden während des ganzen Forschungsprozesses zahlreiche persönliche Gespräche mit Experten von der Credit Suisse sowie mit weiteren Fachvertretern statt. Diese eher kurzen und informellen Gespräche dienten jeweils dazu, spezifische Zusammenhänge zu erschliessen oder die gewonnenen Erkenntnisse kommunikativ zu validieren. Auswertung von Dokumenten: Grundlage für die Einzelfallstudie waren umfangreiche, Credit Suisse-interne Dokumentationen und Informationsquellen. Zu den analysierten Quellen gehörten aktuelle Kennzahlensysteme, Strategie-Präsentationen, Protokolle und Informationen aus dem Intranet. Diese Informationsquellen beinhalteten relevante Informationen in Bezug auf die Vertriebsstrategie, auf die Messgrössen der aktuellen Steuerungssysteme, auf Kerngeschäftsprozesse sowie auf das Produkt- und Service-Angebot für das untersuchte Segment Private Clients. Analogien: Die Analogie ist eine der Methoden zur Untersuchung kausaler Zusammenhänge. Sie geht davon aus, dass, falls zwei oder mehr Fälle einer der Untersuchung unterliegenden Erscheinung nur einen Umstand gemeinsam haben, dieser Umstand die Ursache oder die Folge dieser Erscheinung ist. Durch einen Analogieschluss kann man daher wahrscheinliches 168 169 170 Vgl. Anhang 2. Vgl. Teil 1, Abbildung 14, S. 32. Mayring 1990, S. 51 ff. TEIL 1: EINFÜHRUNG 46 Wissen erlangen. Dieses trägt etwas Neues in sich, das dem Forscher hilft, sich im umgebenden Forschungsfeld zurechtzufinden und die Entwicklungsrichtung einer bestimmten Erscheinung oder eines bestimmten Ereignisses vorauszusehen.171 Analogien dienten in der vorliegenden Arbeit dazu, bereits bestehende Erkenntnisse bzw. Wissen aus den im theoretischen Bezugsrahmen aufgeführten Disziplinen auf das vorliegende Forschungsproblem zu übertragen. Diese Methode wurde sowohl für die Problemstrukturierung als auch zur Erarbeitung der Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen verwendet. Realisierter Forschungsprozess In diesem Abschnitt sollen die im vorangehenden Abschnitt aufgeführten qualitativen Methoden detaillierter im Kontext des Forschungsprozesses bzw. der einzelnen Phasen aufgezeigt werden. Ziel des Forschungsprozesses ist die Entwicklung, empirische Überprüfung und Weiterentwicklung des zugrunde liegenden gedanklichen Bezugsrahmens. Der in dieser Arbeit realisierte Forschungsprozess leitet sich aus dem Forschungsziel ab und lehnt sich an Ulrich172 an. Gemäss diesem beginnt und endet der Forschungsprozess in der Praxis und fokussiert auf die Untersuchung des Anwendungszusammenhangs. In Abbildung 17 werden der Entdeckungs-, Begründungs-, und Verwendungszusammenhang der vorliegenden Arbeit erläutert und einen Überblick über die wichtigsten Inhalte mit den jeweils verwendeten Methoden gegeben. Forschungsphase Arbeitsinhalte: Theorie- und Praxisbezug Erfassung und Typisierung des praxisrelevanten Problems ! Vorverständnis: Beschäftigung mit den Herausforderungen der Vertriebssteuerung im Mehrkanalvertrieb von Banken ! Erarbeitung von Forschungsprioritäten durch DeskResearch (z.B. Unterlagen Credit Suisse, Journals) Expertengespräche ! Forschungsschwerpunkte des Instituts für Marketing und Handel der Universität St.Gallen ! Verstehen der Problemzusammenhänge (Hermeneutik) Problemauswahl und -strukturierung Entdeckungs- und Verwendungszusammenhang: ! Subjektive Auswahl eines relevanten Forschungsobjektes (Integrierte Kennzahlensteuerungssysteme für den Mehrkanalvertrieb von Banken) 171 172 Vgl. http://www.phillex.de/analogie.htm. Ulrich 1981, S. 192. TEIL 1: EINFÜHRUNG 47 Erfassung und Untersuchung Fachbereiche und zentrale Ansätze: problemrelevanter Theorien und ! Distribution: Management von Mehrkanalsystemen Ansätze, Einordnen in vorhan! Zielplanung und Strategieimplementierung: Prozess dene Erkenntnisse des strategischen Managements, betriebswirtschaftliche Zielforschung ! Prozessmanagement: Business-Process-Management ! Kennzahlensysteme: Betriebswirtschaftliche Kennzahlenforschung Erfassung und Untersuchung des relevanten Verwendungszusammenhangs ! Definition und Operationalisierung von Begriffen ! Desk-Research und Auswertung bestehender Untersuchungen ! Standardisierte Expertengespräche und Workshops Ableitung des Gestaltungsmodells, Handlungsanweisungen und Beurteilungskriterien ! Herleitung der Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken ! Validierung der Anforderungen anhand von Expertengesprächen ! Erarbeiten einer Grundkonzeption für ein integriertes Kennzahlensteuerungssystem für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer Bank anhand der hergeleiteten Anforderungen ! Validierung der Grundkonzeption anhand von Expertengesprächen und informellen Diskussionen innerhalb der Credit Suisse Prüfung des Gestaltungsmodells ! Einzelfallstudie: Herleitung eines Kennzahlensteueund der Handlungsanweisungen rungssystems für das Segment Private Clients der im Anwendungszusammenhang Credit Suisse ! Validierung des entwickelten Kennzahlensystems durch Expertengespräche und anhand von Workshops ! Wissenschaftlicher Diskurs Induktion und Heuristik ! Konkretisieren des weiteren Forschungsbedarfs Abbildung 17: Forschungsprozess der Arbeit Quelle: In Anlehnung an Ulrich 1981 und Reinecke 2004. Der Lernprozess173 war dabei iterativ im Sinne einer praxisbegleitenden Forschung, weil abwechselnd und mehrfach abstrahiert und im konkreten Anwendungsfall überprüft wurde. Die Phasen wurden daher nicht streng sequentiell durchlaufen. 5.3.3 Qualitätssicherung für den qualitativen Forschungsprozess Aufgrund der grundsätzlich geäusserten Bedenken gegenüber qualitativen Forschungsarbeiten gilt es zum Schluss von Teil 1 das Thema Qualitätssicherung in Bezug auf das vorliegende Dissertationsprojekt zu behandeln. In der einschlägigen Fachliteratur nimmt dieser Gegenstand einen entsprechend grossen Raum ein und soll daher auch an dieser Stelle betrachtet werden. Im Folgenden werden jeweils nur die – aus Sicht des Verfassers – wesentlichen Argumente zu diesem Thema berücksichtigt. Konkret handelt es sich dabei um diejeni- 173 Vgl. Tomczak 1992b, S. 84. TEIL 1: EINFÜHRUNG 48 gen Evaluationskriterien, die geeignet sind, Ergebnisse von Fallstudien angemessen zu beurteilen. Übersicht der Evaluationskriterien Zur adäquaten Beurteilung der Güte von qualitativen Studien wurden von verschiedenen Wissenschaftern174 zahlreiche Vorschläge zur Anpassung der traditionellen Evaluationskriterien175 vorgelegt. Yin hat für eine angemessene Beurteilung der Fallstudienforschung einen Katalog von vier Haupt-Evaluationskriterien und dazugehörigen Methoden und Techniken definiert, mit denen die Spezifika dieser Art qualitativer Forschung angemessen berücksichtigt werden, indem sie v.a. die Plausibilität der Forschungsergebnisse überprüft wird.176 Yins vier Gütekriterien decken sich weitgehend mit denen anderer Forscher und stellen daher die Grundlage für die vorliegende Dissertation dar. Konkret handelt es sich dabei um die Kriterien der Construct Validity (Konstruktvalidität), der Internal Validity (Interne Validität, der External Validity (Externe Validität) sowie der Reliability (Reliabilität). Bevor auf die einzelnen Punkte kurz eingegangen wird, zeigt Abbildung 18 diese im Überblick auf. Evaluationskriterium Empfohlene Techniken zur Erfüllung des Evaluationskriteriums innerhalb der Fallstudienforschung Betroffene Forschungsphase innerhalb der Fallstudienforschung Angewandte Techniken in der vorliegenden Einzelfallstudie Konstruktvalidität ! Verwendung mehrerer Datenquellen ! Aufbau logischer Beweisketten ! Reviews durch zentrale Auskunftspersonen ! Datensammlung ! Einsatz eines Methoden-Mixes ! Vergleich mit der Literatur ! Reviews durch Experten der Credit Suisse Interne Validität 174 175 176 ! Datensammlung ! Aufbereiten der Ergebnisse ! Durchführung von Muster- ! Datenanalyse vergleichen ! Datenanalyse ! Bildung von Kausal- und Erklärungsketten ! Datenanalyse ! Überprüfung alternativer Erklärungsansätze ! Überprüfung und Review durch Experten der Credit Suisse Vgl. z.B. Lincoln 1985; Strauss 1990; Miles 1994; Mayring 2002; Riege 2003; Yin 2003. Objektivität, Reliabilität, Validität, Signifikanz, Wiederholbarkeit, Generalisierbarkeit sowie Kompatibilität von Theorie und Beobachtung. Vgl. Yin 2003, S. 33. TEIL 1: EINFÜHRUNG Externe Validität Reliabilität 49 ! Einsatz der Replikations! Entwurf des Forlogik bei Mehrfallstudien schungsdesigns ! Offenlegung der Grenzen der analytischen Generali- ! Entwurf des Forschungsdesigns sierbarkeit der Forschungsergebnisse ! Vergleiche der Ergebnisse ! Datenanalyse mit der existierenden wissenschaftlichen Literatur ! Validierung der Ergebnisse durch unterschiedliche Experten der Credit Suisse ! Datensammlung ! Offenlegung des Forschungsprozesses ! Elektronische Dokumentation der Expertengespräche ! Elektronische Datenspeicherung ! Verwendung eines Fallstudienprotokolls ! Datensammlung ! Möglichst detailgetreue Aufzeichnung der Beobachtungen und Handlungen in der Praxis ! Einsatz einer Fallstudien- ! Datensammlung datenbank ! Einsatz mehrerer Forscher ! Datensammlung ! Desk-ResearchAuswertungen Abbildung 18: Evaluationskriterien für die Beurteilung der Qualität von Fallstudien Quelle: In Anlehnung an Yin 2003, S. 34; Riege 2003, S. 78f.; Lincoln 1985. Konstruktvalidität Mit dem Kriterium der Konstruktvalidität soll sichergestellt werden, dass nur wirklich geeignete und angemessene Datenerhebungsverfahren eingesetzt werden.177 Anhand dieses Kriteriums wird überprüft, ob sich die Befunde aus der empirischen Untersuchung tatsächlich aus dem untersuchten Kontext ergeben und herleiten lassen oder ob sie nur das Resultat (verzerrter) Wahrnehmung des Forschers darstellen. Durch die Konstruktvalidität wird somit die Neutralität und Objektivität der Untersuchungsergebnisse kontrolliert. Um die Erfüllung des Kriteriums der Konstruktvalidität im Rahmen von Fallstudien sicherzustellen, werden in der Literatur178 v.a. die drei folgenden Techniken empfohlen: ! Verwendung mehrerer Datenquellen bei der Datensammlung; ! Aufbau logischer Beweisketten bei der Datensammlung; ! Durchführung von Reviews durch zentrale Auskunftspersonen. In der vorliegenden Arbeit wurden die folgenden Methoden angewendet, um die Konstruktvalidität zu gewährleisten: ! Es wurde ein Mix aus verschiedenen Forschungsmethoden eingesetzt, der eine Triangulation der verschiedenen Forschungserkenntnisse ermöglichte. 177 178 Vgl. Yin 2003, S. 34. Vgl. z.B. Yin 2003, S. 34; Riege 2003, S. 78f.; Lincoln 1985. TEIL 1: EINFÜHRUNG 50 ! Die wesentlichen Einsichten und Erkenntnisse wurden jeweils in Form von Feldnotizen oder elektronischen Protokollen bzw. mit Hilfe von Audio-Aufzeichnungen festgehalten. Die dadurch entstandenen Argumentations- und Beweisketten wurden mittels Rückgriff auf vorhandene wissenschaftliche Literatur validiert. ! Schliesslich wurden durch Experten-Reviews und informelle Gespräche die zentralen Erkenntnisse der Fallstudie kontinuierlich kritisch reflektiert. Dies stellte sicher, dass Verzerrungen so weit wie möglich reduziert werden konnten. Interne Validität Die interne Validität dient dazu, die Glaubwürdigkeit der Schlussfolgerungen und Ergebnisse zu kontrollieren. Es wird damit der Wahrheitsgehalt einer Untersuchung überprüft.179 Dieses Kriterium spielt v.a. in der Phase der Datenanalyse und der Theoriebildung eine grosse Rolle und thematisiert die grundsätzlichen Möglichkeiten von Schlussfolgerungen innerhalb qualitativer empirischer Untersuchungen.180 Um die interne Validität im Rahmen von Fallstudien zu gewährleisten, werden in der einschlägigen Literatur181 folgende Methoden und Techniken empfohlen: ! Durchführung von Mustervergleichen innerhalb einer Fallstudie; ! Bildung von Kausal- und Erklärungsketten; ! Überprüfung bzw. Berücksichtigung alternativer Erklärungsansätze. In der vorliegenden Arbeit wurden die folgenden Methoden angewendet, um die interne Validität zu gewährleisten: ! Die in der Einzelfallstudie erarbeitete Konzeption wurde Experten aus verschiedenen Fachbereichen der Credit Suisse zur Überprüfung bzw. zur kommunikativen Validierung vorgelegt. Die kritische Reflexion der Ergebnisse mit Fachspezialisten aus unterschiedlichen Bereichen trug massgeblich dazu bei, dass auch aus Sicht der Credit Suisse unterschiedliche Sichtweisen eingebracht werden konnten. ! Ein weiteres Argument für die Sicherstellung der internen Validität ist die intensive Auseinandersetzung des Forschers mit dem Forschungs- und Erkenntnisobjekt während der gesamten Forschungsdauer. In Verbindung mit dem ausführlichen Studium der Fachliteratur hat dies insgesamt zu einer höheren theoretischen Sensibilität des Forschers geführt. Diese ermöglichte dem Autor zu erkennen, was in den erhobenen Daten relevant ist. Schliesslich half die Sensibilität dem Forscher, einen theoretischen Beitrag zu entwickeln, welcher der Wirklichkeit des untersuchten Phänomens gerecht wird und somit auch die interne Validität der Ergebnisse steigert. Externe Validität Mit dem Kriterium der externen Validität wird geprüft, inwieweit die Forschungsergebnisse auch über den Kontext der eigentlichen Studie hinaus generalisierbar sind.182 Die externe Va- 179 180 181 182 Vgl. Yin 2003, S. 36. Vgl. Yin 2003, S. 34. Vgl. z.B. Yin 2003, S. 34; Riege 2003, S. 78f.; Lincoln 1985. Yin 2003, S: 36. TEIL 1: EINFÜHRUNG 51 lidität ist grösser, wenn die gewonnenen Erkenntnisse und die erarbeiteten Konzepte auch auf andere Forschungskontexte übertragbar sind. Mittels dieses Gütekriteriums wird also geprüft, inwieweit sich die aufgestellten Arbeitshypothesen auf einen vergleichbaren Forschungskontext übertragen lassen und in ihm angewendet werden können. In diesem Zusammenhang weist Yin darauf hin, dass es sich im Gegensatz zur quantitativen Forschung bei Fallstudien nicht um die statistische Generalisierbarkeit, sondern um eine so genannte analytische Generalisierbarkeit handelt.183 Dies bedeutet, dass von externer Validität einer Einzelfallstudie dann gesprochen werden kann, wenn sich ihre Forschungsergebnisse in anderen (vergleichbaren) Untersuchungen einordnen bzw. wieder finden lassen. Um die externe Validität im Rahmen von Fallstudien zu gewährleisten, werden in der einschlägigen Literatur184 folgende Methoden und Techniken empfohlen: ! Einsatz der Replikationslogik bei Mehrfallstudien; ! Offenlegung der Grenzen der analytischen Generalisierbarkeit der Forschungsergebnisse; ! Vergleich der Ergebnisse mit der wissenschaftlichen Literatur. Der Einsatz der Replikationslogik war für die vorliegende Untersuchung nicht möglich, da es sich bekanntlich um eine Einzelfallstudie handelte und somit der Rückgriff auf verschiedene Fälle nicht möglich war. Um diesem Evaluationskriterium trotzdem bestmöglich gerecht zu werden, wurde hier versucht, im Rahmen von Validierungsgesprächen mit unterschiedlichen Experten der Credit Suisse die Zwischenresultate jeweils zu validieren. Reliabilität Bei der Reliabilität handelt es sich schliesslich um ein Evaluationskriterium, mit welchem die Zuverlässigkeit der Erkenntnisse überprüft wird. Dieses Kriterium gilt grundsätzlich dann als erfüllt, wenn die verbleibenden inkonsistenten Interpretationen und Erklärungen nicht auf Mess- und Beobachtungsfehler des Forschers zurück zu führen sind, sondern vielmehr auf die Dynamik des jeweiligen sozialen Phänomens selbst.185 Eine Untersuchung mit hoher Reliabilität sollte demnach bei einer erneuten Erhebung unter gleichen Bedingungen zum gleichen Ergebnis führen. Somit soll im Kontext von Fallstudien die Reliabilität die Wiederholbarkeit und die logische Konsistenz der Untersuchungsergebnisse sicherstellen.186 Bei Einzelfallstudien bzw. bei qualitativen Untersuchungen ist diese Forderung jedoch nicht ohne weiteres zu erfüllen. Dies ist v.a. deshalb schwierig, weil es oftmals keine Möglichkeit gibt, sich dem Erkenntnisobjekt ein weiteres Mal in identischer Weise zu nähern. Aufgrund dieses Umstandes wird in einigen Beiträgen auch das Kriterium der Nachvollziehbarkeit genannt,187 welches eine Anpassung des tendenziell objektivistischen Kriteriums der Reliabilität an qualitative Forschungskontexte vornimmt. In der einschlägigen Literatur wird jedoch trotzdem in erster Linie das Gütekriterium der Reliabilität thematisiert.188 183 184 185 186 187 188 Yin 2003, S: 36. Yin 2003, S. 34; Riege 2003, S. 78f.; Lincoln 1985. Vgl. Nieschlag 2002, S. 427. Vgl. Yin 2003, S. 37. Vgl. z.B. Trillitzsch 2004, S. 181. Vgl. Yin 2003, S. 37ff. TEIL 1: EINFÜHRUNG 52 Zur Erfüllung des Kriteriums der Reliabilität im Rahmen von Fallstudien wird u.a. die Verwendung der folgenden Techniken empfohlen189 : ! Verwendung eines Fallstudien-Protokolls; ! Möglichst detailgetreue Aufzeichnung der Beobachtungen und Handlungen in der Praxis; ! Einsatz einer Fallstudiendatenbank; ! Einsatz mehrerer Forscher. Um für das vorliegende Forschungsprojekt das Kriterium der Reliabilität möglichst weitgehend zu erfüllen, wurde jeweils versucht, die einzelnen Schritte des Vorgehens für den Leser so transparent bzw. so nachvollziehbar wie möglich zu gestalten. Dies galt v.a. für die Offenlegung des Forschungsprozesses, welcher in Abschnitt 5.3.2 ausführlich erläutert wird. Zusätzlich hat der Forscher versucht, durch den intensiven Austausch mit den Experten der Credit Suisse sicher zu stellen, dass der Weg der Erkenntnisgewinnung plausibel erläutert und aufgezeigt werden konnte. Fener wurden die zahlreichen Hinweise, die der Autor während der Expertengespräche erhielt, in die jeweils nachfolgenden Forschungsphasen integriert. Die zentralen Erkenntnisse des Forschungsprozesses wurden möglichst präzise dokumentiert und meist protokolliert. Diese Massnahmen trugen dazu bei, dass die Reliabilität der in dieser Arbeit präsentierten Ergebnisse tendenziell erhöht werden konnte. Es gilt trotzdem festzuhalten, dass Fallstudien aufgrund ihres erläuterden Charakters grundsätzlich nicht die strenge Art von Reliabilität aufweisen können. Dieser Umstand ist jedoch vielmehr auf die Wahl eines spezifischen Forschungsdesigns, als auf die Qualität des jeweiligen wissenschaftlichen Vorgehens zurückzuführen. 5.3.4 Zusammenfassung und Fazit Das Ziel von Abschnitt 5 war es u.a., den Leser mit der wissenschaftstheoretischen Positionierung und der gewählten Forschungsmethodik vertraut zu machen, um ihm hierdurch eine Beurteilung der präsentierten Forschungsergebnisse zu ermöglichen. Folgende Punkte bilden die zentralen Eckpfeiler der vorliegenden Arbeit: Wissenschaftstheoretische Positionierung: Der Anlass der vorliegenden Dissertation sind Problemstellungen aus der Bankpraxis, welche sich im Zusammenhang mit einer integrierten Vertriebssteuerung eines Mehrkanalsystems ergeben (Entdeckungszusammenhang). Die Arbeit lehnt sich an Ulrichs anwendungsorientiertem Forschungsverständnis der Betriebswirtschaftslehre an (Begründungszusammenhang). Im Mittelpunkt der Dissertation steht insbesondere die Überprüfung der praktischen Nützlichkeit der entwickelten Konzeption im Alltag (Verwendungszusammenhang). 189 Vgl. z.B. Yin 2003, S. 34; Riege 2003, S. 78f.; Lincoln 1985. TEIL 1: EINFÜHRUNG 53 Forschungsmethodik: Die drei Hauptphasen des Forschungsprozesses dieser Dissertation sind an die zentralen theoretischen Konstrukte der anwendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre nach Ulrich190 angelehnt. Durch dieses Forschungsdesign gelang es, das Erkenntnisobjekt aus theoretischer wie auch aus praktischer Sicht zu durchleuchten. Forschungsprozess und Qualitätssicherung: Vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Dissertation wurde eine qualitative Forschungsstrategie als sinnvoll und ergiebig beurteilt. Zur Durchdringung des Erkenntnisobjekts wurde die Fallstudienforschung als zentrale Methode gewählt, da die notwendigen Voraussetzungen für einen sinnvollen Einsatz im Rahmen dieses Forschungsprojekts gegeben sind. Damit das Potential und die Qualität der Einzelfallstudie ausgeschöpft werden können, wurde ein kombinierter Ansatz von Methoden (Forschungsmethoden-Mix) gewählt. 190 Ulrich 1981. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 54 TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 1. Überblick und Einführung Ziel und Gegenstand von Teil 2 ist die Beschreibung der für die vorliegende Arbeit relevanten Begriffe, zentralen Aspekte und konzeptionellen Ansätze. Zu Beginn werden in Kapitel 2 die relevanten Begriffe erläutert. Zielplanung und Strategieimplementierung Fachbereich Distribution Zentrale Aspekte: Zentrale Aspekte: ! Konfiguration des Mehrkanalvertriebs ! Koordination des Mehrkanalvertriebs ! Zielplanung ! Implementierung von Strategien Zentraler Ansatz: Zentrale Ansätze: ! Management des Mehrkanalsystems ! Prozess des strategischen Managements ! Betriebswirtschaftliche Zielforschung Zentrale Aspekte: Zentrale Aspekte: ! Funktion, Zweck und Verwendung von ! Geschäftsprozessorientierung ! Effizienz und Effektivität von Prozessen ! Kennzahlensystemen Gütekriterien von Kennzahlensystemen Zentraler Ansatz: Zentraler Ansatz: ! Betriebswirtschaftliche Kennzahlenforschung ! Business-Process-Management Kennzahlensysteme Prozessmanagement Abbildung 19: Theoretischer Bezugsrahmen – Detail Quelle: Eigene Darstellung. Kapitel 3 bis 6 beschreiben die zentralen Ansätze des theoretischen Bezugsrahmens, welcher im Teil 1 dieser Arbeit definiert wurde. Pro Fachbereich werden – unter Berücksichtigung der jeweiligen zentralen Aspekte und Ansätze – die Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem herausgearbeitet. 2. Begriffsdefinitionen Aufgrund der Zielsetzung und der Fragestellungen werden die folgenden Konstrukte als die zentralen Begriffe der vorliegenden Arbeit verstanden: Integrierte Kennzahlensteuerungssysteme, filialzentrierte Mehrkanalbank, Retail-Bank und Vertriebserfolg. In den folgenden Abschnitten werden sie kurz umschrieben. 2.1 Integrierte Kennzahlensteuerungssysteme In Kapitel 6 wird im Detail auf die Ziele, Funktionen und Aufgaben von Kennzahlen und Kennzahlensystemen eingegangen. Im Hinblick auf das Forschungsproblem werden an dieser Stelle deshalb nur zwei zentrale Aspekte von Kennzahlensystemen beschrieben. Es handelt sich dabei um deren Zweck und den Grad der Integration. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 55 Der Begriff Kennzahlensteuerungssysteme weist auf den Zweck bzw. die Funktion191 eines Kennzahlensystems hin. In der vorliegenden Arbeit steht die Steuerungsfunktion192 im Vordergrund. Kennzahlensysteme werden häufig dazu eingesetzt, das Verhalten eines Systems zu steuern. Voraussetzung ist hierbei, dass bestimmte Einzelkennzahlen zu Normen erhoben werden.193 Die meisten unternehmensintern eingesetzten Systeme verfolgen diesen Zweck. Unter System wird in der vorliegenden Arbeit das Mehrkanalvertriebssystem verstanden, welches in Abschnitt 2.2 und 3.2 näher beschrieben wird. Der Aspekt der Integration bezieht sich auf die Fähigkeit eines Kennzahlensystems, den Mehrkanalvertrieb koordiniert zu steuern. Koordiniert in diesem Kontext bedeutet, dass ein Kennzahlensystem das gesamte Vertriebssystem unter Berücksichtigung der strategischen Zielsetzungen kanalübergreifend und somit integriert steuern kann. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist ein integriertes Kennzahlensteuerungssystem demnach ein Instrumentarium, welches dazu geeignet ist, eine Mehrkanalvertriebsstrategie umzusetzen bzw. ein Mehrkanalsystem im Bankvertrieb strategieorientiert zu steuern. 2.2 Filialzentrierte Mehrkanalbank Das Konstrukt filialzentrierte Mehrkanalbank beinhaltet die Aspekte filialzentriert und Mehrkanal. Diese beiden Begriffe sollen kurz erläutert werden. Unter einer Mehrkanalbank wird ein Finanzinstitut verstanden, dessen Vertriebssystem über mehrere Kanäle verfügt. Unter Kanälen werden aus unternehmensinterner Sicht organisatorische Einheiten wie der stationäre Vertrieb (Filiale, Call-Center), das Internet oder der Aussendienst verstanden. Von diesen organisatorischen Kanälen unterscheiden sich mediale Kanäle in Form von Zugangsmedien wie z.B. Telefon, PC oder anderen elektronischen Geräten.194 Im Folgenen werden unter Vertriebskanälen immer organisatorische Einheiten verstanden. Eine filialzentrierte Mehrkanalbank ist ein Finanzinstitut, bei welchem die einzelnen Vertriebskanäle zu einem Mehrkanalvertriebssystem integriert wurden. Mehrkanalsysteme sind dabei eine Kombination mehrerer Vertriebskanäle.195 Von einem System wird gesprochen, wenn die Kanäle synergetisch vernetzt werden. 191 192 193 194 195 Kennzahlensysteme können je nach Zweck unterschiedliche Funktionen bzw. Aufgaben wahrnehmen. Die unterschiedlichen Zwecke werden in Abschnitt 6.2 näher beschrieben. Vgl. z.B. Kern 1971, S. 716ff.; Küting 1983, S. 239. Vgl. Geiss 1986, S. 104. Vgl. Schmid/Bach/Oesterle 2000, S. 45. Näher beschreiben lässt sich dies anhand des folgenden Beispiels: Aus Sicht der Bank ist es relevant, ob der Kunde von der Filiale oder dem Call-Center bedient wird, also welchen Kanal bzw. welche organisatorische Einheit der Kunde nutzt. In diesem Zusammenhang spielt es aber keine Rolle, ob der Kunde die Filiale persönlich besucht oder seinen Berater telefonisch kontaktiert. Aus Kundensicht ist hingegen die Wahl des Zugangsgerätes ausschlaggebend, d.h. ob man z.B. über Telefon oder persönlich Kontakt mit der Bank aufnimmt. Ob der Telefonanruf nun von einem Mitarbeiter der Filiale oder dem Call-Center entgegengenommen wird, ist für den Kunden unbedeutend, solange die Dienstleistung zur Zufriedenheit erfüllt wird. Vgl. Moriarty/Moran 1991, S. 98. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN Kanäle agieren als selbständige Vertriebseinheit (Silos). Call Center 56 Aussendienst Filiale Internet Integration Filialbasierte Mehrkanalbank Filiale Kanäle sind in einem Mehrkanalvertriebssystem integriert. Call Center Internet Aussendienst Abbildung 20: Filialzentrierte Mehrkanalbank Quelle: Eigene Darstellung. Im Gegensatz dazu steht die separate Nutzung multipler Kanäle, die getrennt und eigenständig als „Silos“ fungieren. Filialzentriert wird eine Mehrkanalbank dann bezeichnet, wenn die Filiale von der Bedeutung und Grösse her der zentrale Vertriebskanal ist.196 In Abbildung 20 wird der Unterschied einer Bank mit multiplen Vertriebskanälen und einer filialzentrierten Mehrkanalbank graphisch aufgezeigt. 2.3 Retail Bank Das Schweizer Bankensystem ist auf dem Modell der Universalbank aufgebaut. Dies bedeutet, dass alle Banken alle Bankdienstleistungen wie z.B. Kredit- bzw. Aktivgeschäft, Vermögensverwaltung und Anlageberatung, Zahlungsverkehr, Passivgeschäft, Wertschriftengeschäft oder andere Services anbieten können.197 Obwohl das Prinzip der Universalbank gilt, haben sich einige Bankengruppen ganz oder teilweise spezialisiert. In der Schweiz wird zwischen den folgenden Bankengruppen unterschieden: ! Grossbanken (z.B. UBS, Credit Suisse); ! Kantonalbanken; ! Regionalbanken und Sparkassen; ! Raiffeisen-Gruppe; ! Privatbanken; ! Auslandbanken; ! Übrige Banken. Unter Retail-Banking subsumiert man das standardisierte Massengeschäft mit Privatkunden, die v.a. Basisleistungen beanspruchen und ein relativ geringes Beratungsbedürfnis haben.198 Gleichzusetzen ist das Retail-Banking mit dem in der Praxis bekannten Privatkunden- oder Massenkundengeschäft. Diese Art des Bankgeschäfts stellt v.a. bei den Kantonalbanken, den 196 197 198 Vgl. Schimmer/Wild/Wimmer 2004, S.22. Vgl. http://www.swissbanking.org/home/fs-allgemein.htm. Vgl. Swoboda 2004, S. 167. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 57 Raiffeisenbanken sowie den Regional-Banken und Sparkassen ein wichtiges Kerngeschäftsfeld dar. 2.4 Mehrkanalvertriebsstrategie Eine Strategie kann grundsätzlich als ein sich an der strategischen Zielkonzeption des Unternehmens orientierender, mehrperiodischer Handlungsplan bezeichnet werden.199 Eine Vertriebsstrategie ist ein Plan, der sich an den aus den Unternehmenszielen abgeleiteten Rahmenstrategien des gesamten Unternehmens orientiert. Aus einer Vertriebsstrategie lassen sich Aussagen über folgende Aspekte machen: ! verfolgte Produktpolitik; ! anzusprechende Kundengruppen; ! Positionierung; ! zu erreichende Ergebnisse.200 Im Kontext des Mehrkanalvertriebs beantwortet eine Mehrkanalvertriebsstrategie die Frage: „Welchen Kunden(-gruppen) werden welche Leistungen über welche Vertriebskanäle zu welchen Preisen angeboten?". 2.5 Vertriebserfolg Der Begriff Erfolg stammt aus der Finanzbuchhaltung und wird auf Unternehmensebene in der Erfolgsrechnung aus der Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag ermittelt. Die Erfolgsrechnung hat zum Ziel, über die Unternehmenstätigkeit Rechenschaft abzulegen und den Periodenerfolg zu ermitteln.201 In Anlehnung an die oben aufgeführte Definition wird der Erfolg im Funktionsbereich Vertrieb eines bestimmten Geschäftsbereichs einer Bank verstanden. Im Gegensatz zur Finanzbuchhaltung wird der Erfolg hier jedoch nicht nur als die rein rechnerische Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag definiert, sondern vielmehr als der Grad der Zielerreichung.202 Der Zielerreichungsgrad drückt aus, inwiefern die strategischen oder operativen Zielsetzungen des gesamten Mehrkanalvertriebssystems erreicht wurden. 3. Distribution 3.1 Einleitung und Überblick Die Distribution als Teil der betriebswirtschaftlichen Disziplin Marketing nimmt in der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle ein. Ziel und Gegenstand von Kapitel 3 ist die Erläuterung der Grundlagen der Distribution und des Managements von Mehrkanalsystemen. Dabei wird spezifisch auf die für die Zielsetzung dieser Arbeit relevanten Aspekte Konfiguration und Koordination des Mehrkanalvertriebs eingegangen. Am Ende des Kapitels werden die Implikati- 199 200 201 202 Vgl. Ahlert 1998, S. 3. Vgl. Ahlert 2002, S. 73f. Vgl. Schellenberg 1995, S. 63. Vgl. Hesse/Huckemann 2002, S. 76ff. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 58 onen für die Vertriebssteuerung zusammengefasst. Diese werden analog zu den beschriebenen Problemstellungen bei Kennzahlensteuerungssystemen (Vertriebssteuerungssystemen i.e.S.203 ) in die Kategorien Messmethode, Inhaltsdefinition und Entwicklungsprozess gegliedert. 3.2 Grundlagen der Distribution Dieser Abschnitt zeigt die Aufgaben und Ziele der Distribution sowie das Wesen von Vertriebskanälen auf. Aufbauend auf der begrifflichen Definition des Mehrkanalvertriebs in Abschnitt 2.2 wird zusätzlich das Wesen desselben näher beschrieben. 3.2.1 Aufgaben und Ziele der Distribution Die Aufgabe der Distribution besteht darin, die Markt- und Konsumreife der Unternehmensleistungen langfristig zu sichern. Markt- bzw. konsumreif sind Leistungen, wenn sie sich im Beschaffungsbereich des Endkunden befinden und von ihm in der erwarteten Quantität und Qualität erworben werden können.204 Die Distributionspolitik bezieht sich daher auf die Gesamtheit aller Entscheidungen und Handlungen, welche mit der Übermittlung von Dienstleistungen zum Endabnehmer im Zusammenhang stehen.205 Entscheidungen in der Distribution stehen in einer abgeleiteten Zweck-MittelBeziehung zu den übergeordneten Zielen der marktorientierten Unternehmensführung.206 Je nach Ausprägung der quantitativen und qualitativen Vorgaben des Marketings werden unterschiedliche Anforderungen an die Distribution und an die Vertriebskanäle gestellt.207 Ausgehend von der Aufgabe der Distribution steht somit die Gestaltung der einzelnen Vertriebskanäle sowie des gesamten Vertriebssystems im Mittelpunkt. Für das Distributionsmanagement sind folgende Entscheidungs- und Gestaltungsbereiche wichtig:208 ! die Selektion (Vertriebskanäle bewerten und die geeigneten auswählen); ! die Akquisition (die Beteiligten in den Vertriebskanälen zur Zusammenarbeit motivieren); ! die Koordination (die Vertriebskanäle bzw. das Vertriebssystem gemäss den Zielsetzungen steuern und abstimmen). Bei der Wahl der Vertriebswege kann zwischen den Grundformen eines direkten und eines indirekten Vertriebsweges differenziert werden. Bei der direkten Distribution erfolgen die Verpflichtungserklärung sowie die Erbringung der Dienstleistung durch den gleichen Betrieb. Bei der indirekten Distribution wird dagegen ein Absatzmittler zum Vertrieb der Leistungen eingesetzt. Ausser diesen Grundformen existieren Kombinationslösungen aus direkter und indirekter Distribution.209 203 204 205 206 207 208 209 Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.2.3. Vgl. Weinhold 1988, S. 335ff. Vgl. Meffert 2000, S. 600. Vgl. Haedrich/Tomczak 1990, S. 122ff. Vgl. Tomczak 1992a, S. 15. Vgl. Ahlert 1985, S. 151ff. Vgl. Meffert/Bruhn 2003, S. 555. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 59 Eine zentrale Orientierungsfunktion der Entscheidungsprozesse innerhalb der Distributionspolitik kommt den distributionspolitischen Zielen zu. Diese sind konsistent aus den übergeordneten Unternehmens- und Marketingzielen abzuleiten und möglichst operationell zu formulieren.210 Marktgerechte und marktgerichtete Unternehmensführung heisst jedoch nicht nur, bedürfnisgerechte Leistungen zu entwickeln und zu produzieren, sondern in hohem Masse auch deren Verfügbarkeit zu gewährleisten. Der Hersteller muss – orientiert an den Bedürfnissen der Endkunden – bestimmte Ansprüche an sein Distributionssystem stellen, um einen bestimmten Grad der Markt- bzw. Konsumreife zu verwirklichen.211 Neben der Markt- und Konsumreife muss ein Unternehmen auch die horizontale und die vertikale Wettbewerbsposition in seine Bemühungen mit einbeziehen. Dies bedeutet, dass Distributionsziele nicht nur auf das Verhalten der eigenen Unternehmung, sondern auch auf jenes der Konkurrenten, auf die Absatzmittler und auf die Endkunden ausgerichtet sein sollten.212 Basierend auf den Ausführungen von Gaitanides und Westphal213 definiert Schögel214 folgende Zieldimensionen: ! Markt- und Konsumreife: Ziele, die sich auf die Markt- und Konsumreife beziehen, betreffen sowohl die Leistung des Herstellers als auch Aussagen über den Weg der Dienstleistung zum Kunden. ! Horizontale Wettbewerbsposition: Die horizontale Wettbewerbsposition bezieht sich auf die Stellung der Unternehmung gegenüber den Konkurrenten auf Industrieebene. ! Vertikale Wettbewerbsposition: Die vertikale Wettbewerbsposition beschreibt die Stellung der Unternehmung zu ihren Absatzmittlern und Kunden. Abhängigkeiten von Umsatzkonzentrationen und Nachfragemacht beeinflussen die Markt- und Konsumreife der Leistungen.215 Horizontale und vertikale Konkurrenzziele dürfen nicht isoliert, sondern müssen im Verbund mit der Markt- und Konsumreife verfolgt werden. Sie stehen in einer derivativen Beziehung zur angestrebten Markt- und Konsumreife. Erst wenn es die quantitativen und qualitativen Vorgaben der Marketingstrategie erfordern, treten Fragen der Wettbewerbsposition in den Mittelpunkt des Distributions-Managements.216 210 211 212 213 214 215 216 Vgl. Meffert/Bruhn 2003, S. 555. Vgl. Schögel 1997, S. 18. Vgl. Specht 1992, S. 144. Vgl. Gaitanides/Wesphal 1990, S. 139. Vgl. Schögel 1997, S. 19. Vgl. Gaitanides/Wesphal 1990, S. 137. Vgl. Tomczak 1992a, S. 17f. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 60 Abbildung 21 zeigt auf, wie Schögel die drei Zieldimension für Mehrkanalsysteme konkretisiert. Markt- und Konsumreife Theorieund Praxisbezug ! Gezielte Distribution an einzelne Zielgruppen ! Kunden Verbundwirkungen bieten ! Kunden neue Einkaufs- und Beschaffungsalternativen bieten ! Wirtschaftlichkeit der Distribution verbessern ! Neue Kunden gewinnen ! Neue Produkte einführen Vertikale Wettbewerbsposition Theorieund Praxisbezug ! Handlungsspielraum in der Distribution erhöhen ! Selektive Kooperationen eingehen Horizontale Wettbewerbsposition Theorie! Marktabdeckung und Praxisbezug erhöhen ! Austauschbarkeit der Leistungen reduzieren ! Vertikale Kooperationen eingehen Abbildung 21: Zielkatalog des Mehrkanalvertriebs Quelle: Schögel 1997, S. 114. 3.2.2 Zum Wesen der Mehrkanalsysteme Im Vertrieb nimmt die Bedeutung des Mehrkanalansatzes weiter zu.217 Ziel und Gegenstand der folgenden Abschnitte ist, die grundlegenden Aufgaben von Vertriebskanälen, die spezifischen Eigenschaften, die Chancen und Risiken sowie den internen und externen Fit von Mehrkanalsystemen aufzuzeigen. Aufgaben von Vertriebskanälen Vertriebskanäle übernehmen in der Distribution zwei grundlegende Aufgaben.218 Zum einen soll die Leistung dem Kunden physisch zur Verfügung und am richtigen Ort zur richtigen Zeit im richtigen Umfang und in der gewünschten Qualität angeboten werden. Zum anderen besitzen Vertriebskanäle eine akquisitorische Wirkung. Die Leistung wird durch ihre kommunikative Präsenz am Verkaufsort für den Endkunden profiliert.219 In einem Vertriebskanal kombiniert ein Dienstleister unterschiedliche wertschöpfende Aktivitäten und Aufgaben. Die distributive Gesamtaufgabe eines Kanals wird als Wertkette220 bezeichnet, in welcher die zur erfolgreichen Distribution notwendigen Aufgaben wahrgenommen werden. 217 218 219 220 Vgl. Monnerat/Bernet 2004, S. 6. Vgl. Ahlert 1985, S. 21f. Vgl. Schögel 1997, S. 21. Vgl. Porter 1998, S. 36ff. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 61 Abbildung 22 zeigt für einen Finanzdienstleister die grundlegenden Aufgaben, die in der Wertkette eines Vertriebskanals zu unterscheiden sind. Information Beratung Abschluss-/ Vorbereitung Transaktion Verwaltung/ Service Schliessung/ Abwicklung Abbildung 22: Aufgaben eines Vertriebskanals in der Finanzdienstleistungsbranche Quelle: In Anlehnung an Schwanitz 2001. Die in der Abbildung aufgeführten Aufgaben werden von den Vertriebskanälen (Filiale, CallCenter, Aussendienst, Internet) einer Bank vollständig oder nur teilweise wahrgenommen. Dies hängt insbesondere von der Mehrkanalvertriebsstrategie bzw. den Kundenbedürfnissen ab. Kunden nutzen in der Interaktion mit ihrer Bank Kunden heute schon mehrere Kanäle. Dies bedeutet, dass sie im Gegensatz zu früher je nach Geschäftsfall und persönlicher Präferenz unterschiedliche Kanalkombinationen für die Interaktion wählen. In Abbildung 23 wird der traditionelle Vertriebsprozess in der Filiale einem kanalübergreifenden Prozess gegenübergestellt. Dies soll anhand eines Beispiels erläutert werden. Abbildung 23: Das Mehrkanalvertriebssystem einer Bank Quelle: Eigene Darstellung. Ein Kunde möchte in die Altersvorsorge investieren und informiert sich im Internet über Investmentfonds. Zu ausgesuchten Fonds hat er noch Fragen. Er lässt sich deshalb von einem Call-Center-Berater zurückrufen und geht mit ihm synchronisiert über Internet und Telefon seine Fonds-Auswahl noch einmal durch. Der Berater erkennt weiteren Beratungsbedarf und vereinbart für den Kunden einen Termin. In der Filiale wird der Kunde zunächst weiter beraten und schliesst das Geschäft ab. Die mit diesem Geschäft verbundenen Transaktionen werden nach einem erneuten Kanalwechsel im Internet vorgenommen. Für weitere Service-Dienste wird das Call-Center in Anspruch genommen. Zur Auflösung des Fonds besucht er wieder die Filiale. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 62 Eigenschaften von Mehrkanalsystemen Mehrkanalsysteme in einer Bank sind eine Kombination mehrerer Vertriebskanäle.221 In der Distribution werden gleichzeitig unterschiedliche Kanäle eingesetzt, um die Markt- und Konsumreife der Bankdienstleistungen sicherzustellen. Um den Vertrieb effizient und effektiv zu gestalten, müssen die einzelnen Kanäle nicht nur ausgewählt, gestaltet und gesteuert werden, sondern auch wirksam abgegrenzt und koordiniert werden. Klassische Ansätze des Distributions-Managements beschränken sich in ihren Empfehlungen zumeist auf den einzelnen Vertriebskanal. Im Mittelpunkt steht die Gestaltung und Steuerung einzelner Kanäle.222 Mit den Ansätzen werden auf einer Mikro-Ebene einzelne Dyaden betrachtet und z.B. die Effektivität des Internets oder des Call-Centers untersucht. Den Fragestellungen und Anforderungen von Mehrkanalsystemen werden diese Konzepte aber nicht gerecht. Wechselwirkungen zwischen den Kanälen werden nicht berücksichtigt.223 Durch die Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen den Kanälen kann bei einer kanalübergreifenden Steuerung der Vertriebserfolg gesteigert werden.224 Aus Kundensicht können solche Wechselwirkungen durch Substitutions- oder Komplementäreffekte induziert werden. So kann beispielsweise eine Überweisung über das Internet eine solche in der Filiale substituieren. Ebenso kann einem Kauf von Fondsanteilen im Call-Center einer Bank die Informationseinholung über das Internet und über eine Filiale vorausgehen bzw. komplementieren. Dienstleister stehen somit vor der Herausforderung, die Wechselwirkungen zwischen den Kanälen so zu verstehen, dass sie ihre begrenzten Ressourcen optimal allozieren können. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn die Präferenzen und das Verhalten der Kunden bekannt sind. Ist dies der Fall, kann abgeschätzt werden, welche Konsequenzen Investitionen oder Desinvestitionen in den einzelnen Kanälen in Bezug auf Aufwände und Erträge haben. Schliesslich ist es dadurch möglich, den Vertriebserfolg mit den begrenzten Ressourcen zu optimieren. In Bezug auf das Management von Mehrkanalsystemen erfordern solche Wechselbeziehungen eine Makro-Ebene. Es ist ein „Blick von oben“ notwendig, der die Beziehungen zur Aufgabenumwelt und zwischen den Absatzkanälen explizit berücksichtigt.225 Wechselwirkungen zwischen den Kanälen sind ganzheitlich zu betrachten und wirkungsvolle Handlungsanweisungen zum Management von Mehrkanalsystemen abzuleiten. Dies bedeutet, dass es im Mehrkanalvertrieb nicht nur darum geht, neue Absatzkanäle zu erschliessen, sondern v.a. auch darum, neue Kanäle mit den bestehenden Vertriebswegen abzustimmen und als Gesamtsystem erfolgreich zu gestalten.226 221 222 223 224 225 226 Moriarty/Moran 1991, S. 98. Vgl. Ahlert 1985, S. 151. Vgl. Schögel 1997, S. 24. Vgl. Faisst et al. 2003. Vgl. Tomczak/Schögel 1997, S. 191f. Vgl. Schögel 1997, S. 24f. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 63 Chancen und Risiken von Mehrkanalsystemen Unabhängig von der konkreten Markt- und Wettbewerbssituation in unterschiedlichen Branchen sind mit dem Vertrieb über Mehrkanalsysteme spezifische Chancen und Risiken verbunden.227 Die Chancen ergeben sich v.a. aus einer differenzierten, kundenorientierten Gestaltung der Mehrkanalsysteme. Mit markt- und zeitnah agierenden Vertriebswegen ist das Unternehmen in der Lage, proaktiv auf vielfältige Kundenbedürfnisse einzugehen. Durch die verbesserte Kundenorientierung ergeben sich für Banken folgende Chancen: Erhöhung der Kundenbindung: Ein kundenorientiertes Mehrkanalsystem erhöht die Kundenzufriedenheit und trägt zu mehr Kundenbindung bei. Zufriedene Kunden tendieren dazu, ihre Bankbeziehung zu vertiefen und mehr Produkte zu kaufen bzw. mehr Transaktionen zu tätigen. Verbesserung der Kundenprofitabilität: Kundenzufriedenheit und -bindung tragen dazu bei, dass Banken erfolgreicher Cross-Selling betreiben können. Durch die Steigerung des Deckungsbeitrags pro Kunde kann die Profitabilität der Kundenbeziehung verbessert werden. Erschliessung von Ertragspotentialen: In traditionellen Distributionskanälen werden viele der angebotenen Bankdienstleistungen direkt oder indirekt den Kunden verrechnet. Dienstleistungen, die über den Online-Kanal angeboten werden, sind jedoch noch mehrheitlich kostenlos. Die Verrechnung von solchen Dienstleistungen erweist sich als schwierig. Gelingt es Banken jedoch, ihre Dienstleistungen konsequenter auf die individuellen Kundenbedürfnisse auszurichten, kann der Kundennutzen gesteigert werden. Bankdienstleistungen mit hohem Kundennutzen können dem Kunden einfacher verrechnet werden. Durch die Anwendung kanalübergreifender, integrierter Preiskonzepte können somit Ertragspotentiale erschlossen werden. Steigerung der Effizienz der Distribution: Koordiniertes Vertriebswege-Management beseitigt bestehende Lücken oder Überschneidungen der Marktbearbeitung und bündelt die vorhandenen Kräfte zur schnellen und besseren Ausschöpfung vorhandener Potentiale. Die knappen Ressourcen werden gezielt auf ertragsversprechende Segmente ausgerichtet. Bei der Weiterentwicklung von Mehrkanalsystemen trägt eine konsequente Kundenorientierung dazu bei, dass das Risiko von Fehlinvestitionen minimiert wird. Verbesserung der Positionierung: Flexibel agierende Vertriebswege erlauben gerade in Zeiten turbulenter Märkte und angesichts des von zunehmenden Fusionen erwarteten Kostenwettbewerbs eine der Konkurrenz überlegene Positionierung als die kundennähere Bank. Gerade wenn es in attraktiven Marktsegmenten um den Aufbau von Vertrauen, Nähe, „Convenience“ und „One-to-one-Relations“ geht, stellt dies einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar. Hier besteht für erfolgreich operierende Banken tatsächlich die Möglichkeit, der bevorzugte Anbieter zu werden. Mit steigenden Erträgen und Umsätzen werden Skaleneffekte wirksam, die zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition beitragen. 227 Vgl. Schögel 1997, S. 25ff. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 64 Den Chancen stehen jedoch nicht zu unterschätzende Risiken gegenüber. Ein Vorgehen nach dem „Giesskannenprinzip“ lässt verflochtene Distributionsstrukturen entstehen. Im Kern basieren die Risiken auf einer mangelhaften Abstimmung und Abgrenzung der Aufgaben und Rollen der einzelnen Absatzkanäle. Z.T. handelt es sich um spiegelbildliche Argumente zu den bereits dargestellten Chancen. Die folgenden spezifischen Risiken stellen einen Auszug der aktuellen Problemstellungen von Banken dar: Uneinheitliche Sicht vom Kunden: Grundlage für die effiziente und effektive Steuerung und Koordination eines Mehrkanalsystems sind Angaben über das Verhalten und die Bedürfnisse der Kunden. Den Kanälen müssen die entscheidenden Informationen zur Verfügung gestellt werden. Zugleich muss die Rolle des einzelnen Kanals in der Distributionsstrategie des Unternehmens richtig gewichtet werden. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Leistungen nicht nur kunden- sondern auch unternehmungsgerecht eingesetzt werden. Unabhängig davon, welchen Kanal ein Kunde für eine Interaktion mit seiner Bank bevorzugt, müssen die in den jeweiligen Kanälen stattfindenden Aktivitäten und Transaktionen auch in anderen Kanälen zur Verfügung stehen.228 Verwirrung der Kunden: Durch den parallelen Einsatz mehrerer Kanäle sind die Kunden irritiert. Werden z.B. den selben Kunden verschiedene Leistungen durch unterschiedliche Kanäle angeboten, kann dies zu einer Überforderung der Kunden führen, indem sie nicht in der Lage sind zu beurteilen, welches Angebot für sie den grösseren Vorteil bietet. Passives Kundenmanagement: Mehrkanal-Management bedeutet den Aufbau alternativer Distributionskanäle. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass es eine Sache ist, einen Kanal aufzunehmen, eine jedoch, auch erfolgreich darin zu agieren, Kunden zu akquirieren und langfristig zu binden. Viele Unternehmen vergessen die notwendigen, aktiven Strategien für die Kanäle festzulegen und umzusetzen. Sie wandeln sich oft zu passiven Stand-byOrganisationen, verharren hinter verschiedenen Kundenzugängen und warten, bis ein Kunde den Kontakt sucht.229 Ineffektives Distributionssystem und Explosion der Distributionskosten: Viele Mehrkanalsysteme von Banken sind vom Internet-Boom gekennzeichnet. Unter dem Paradigma des "OneFits-All-Approaches" werden unterschiedlichen Kundensegmenten ähnliche Leistungen über verschiedene Vertriebswege angeboten. Mögliche Differenzierungspotentiale werden dabei nicht systematisch ausgenutzt. Die undifferenzierte Gestaltung der Kanäle führt dazu, dass die Distribution nicht effektiv auf die realen Kundenbedürfnisse ausgerichtet ist. Viele Banken haben daher ihre ursprünglichen Zielsetzungen bezüglich der e-Penetration noch nicht erreicht. Eine tiefe e-Penetration führt dazu, dass Kostensenkungspotentiale bzw. die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Distribution nicht realisiert werden können. Interner und externer Fit von Mehrkanalsystemen Vor dem Hintergrund der dargestellten Chancen und Risiken wird deutlich, dass das Problem nicht in der isolierten Entscheidung für oder gegen einen Absatzkanal liegt, sondern dass die Wechselwirkungen zwischen den Kanälen die kritischen Faktoren sind. Neben der primären 228 229 Vgl. Bartmann et al. 2003. Vgl. Merx/Bachem 2004. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 65 Aufgabe, die Dienstleistungen den Kunden markt- und konsumreif zur Verfügung zu stellen, müssen die Beziehungen zwischen den Kanälen im Distributionsmanagement berücksichtigt werden. Die grundsätzliche Herausforderung besteht somit in der Gestaltung eines doppelten Fits: ! Externer Fit: Abstimmung der Vertriebskanäle mit der Markt- und Wettbewerbssituation; ! Interner Fit: Abstimmung der unterschiedlichen Aktivitäten im Mehrkanalsystem. Erfolgreiches Management des Mehrkanalvertriebs bedeutet, den Absatzkanal-Mix aktiv zu gestalten. Gelingt es der Unternehmung, die zum Vertrieb an den Kunden geeigneten Kanäle wirtschaftlich zu kombinieren und abzustimmen, so besteht die Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzugrenzen und Wettbewerbsvorteile aufzubauen.230 3.3 Management des Mehrkanalsystems In Abschnitt 3.2 wurden die Ziele und Aufgaben der Distribution sowie die spezifischen Eigenschaften des Mehrkanalvertriebs beschrieben. Darauf aufbauend werden in diesem Abschnitt die Grundzüge des von Schögel231 erarbeiteten Entscheidungsmodells für das Management von Mehrkanalsystemen erörtert. 3.3.1 Grundlagen für ein erfolgreiches Management von Mehrkanalsystemen Die erfolgreiche Gestaltung des Mehrkanalsystems erfordert ein segmentorientiertes Vorgehen im Vertrieb. Weinhold232 bezeichnet das Management von Mehrkanalsystemen auch als differenzierte Distribution. Diese umfasst Entscheidungen der Unternehmung über: ! die Anzahl, Art und Kombination von Vertriebskanälen; ! den Vertrieb an ein bzw. an verschiedene Marktsegmente und ! die Verteilung der Aufgaben in den einzelnen Absatzkanälen. Differenzierte Vertriebsstrukturen sollen dazu beitragen, den Vertrieb an Marktsegmenten – und nicht am Gesamtmarkt – auszurichten. Die Vertriebsleistungen werden auf die Anforderungen einzelner Teilmärkte abgestimmt, um dadurch eine grössere Kongruenz zwischen der Angebotsleistung und den Kundenbedürfnissen zu erreichen. Die Anbieter erbringen nicht Durchschnittsleistungen für einen Durchschnittskunden, sondern die Bedürfnisse und Ansprüche unterschiedlicher Kundengruppen werden differenziert befriedigt. Vor diesem Hintergrund knüpft der Mehrkanalvertrieb an den Grundgedanken der Marktsegmentierung an, die sich nach Freter233 in zwei Schritte unterscheiden lässt: ! Segmentierung: Einzelne Teilmärkte werden erfasst und Marktsegmente für den Vertrieb analysiert. ! Differenzierung: Im zweiten Schritt werden die Vertriebsleistungen auf die Segmente ausgerichtet. 230 231 232 233 Vgl. Schögel 1997, S. 30. Vgl. Schögel 1997. Vgl. Weinhold 1988, S. 356. Vgl. Freter 1983, S. 20ff. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 66 Beide Schritte sind iterativ miteinander verknüpft und lassen sich zumeist nur gedanklich trennen. Segmentierung und Differenzierung bilden die Voraussetzungen für einen erfolgreichen externen Fit zwischen den Vertriebskanälen und den Marktsegmenten. Für den Vertrieb werden jeweils die Kanäle genutzt, die sowohl den Bedürfnissen der Kunden entsprechen als auch die Leistungen im Wettbewerb differenzieren.234 3.3.2 Konfiguration und Koordination als zentrale Aufgaben Im Mittelpunkt des Mehrkanalvertriebs steht die markt- und wettbewerbsorientierte Gestaltung des Vertriebskanal-Mixes. Unternehmen müssen sich damit auseinander setzen, welche Leistungen in den Kanälen zu erbringen sind und wie die Kanäle untereinander verbunden sind.235 Belz236 verweist auf das Spannungsfeld zwischen Differenzierungsvorteilen und damit einhergehenden Aufwendungen. Während Differenzierung Vorteile für die Kunden bietet, entstehen durch Segmentierung Kosten, die sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung auswirken können. Es gilt daher, Lösungen zu entwickeln, die Kundennähe und Wirtschaftlichkeit zugleich unterstützen. Neben der Forderung nach einer markt- und wettbewerbsorientierten Gestaltung des Vertriebskanal-Mixes tritt also die Notwendigkeit von Gestaltungsempfehlungen für die Abstimmung der Vertriebskanäle. Für eine erfolgreiche, differenzierte Distribution müssen demnach Mittel und Wege zur Koordination des Mehrkanalsystems gefunden werden.237 Vor dem Hintergrund der geschilderten Chancen und Risiken von Mehrkanalsystemen und der Forderung nach einem doppelten Fit definiert Schögel zwei zentrale Managementaufgaben: Die Konfiguration und die Koordination des Mehrkanalvertriebs. Der Inhalt und der Gegenstand der beiden Aufgaben sollen an dieser Stelle kurz erötert werden. Konfiguration des Mehrkanalsystems: Die Vertriebskanäle müssen in einem Mehrkanalsystem auf die Markt- und Wettbewerbssituation abgestimmt sein. Damit ein externer Fit entsteht, müssen sie situationsspezifisch kombiniert werden. Bei der Konfiguration eines Mehrkanalsystems müssen folgende Fragen beantwortet werden: ! Segmentierung des Vertriebssystems: Wie soll der Markt durch das Mehrkanalsystem abgedeckt werden? ! Wettbewerbsposition des Unternehmens: Wie soll auf den Wettbewerbs- und Innovationsdruck in der Distribution reagiert werden? ! Art der eingesetzten Kanäle: Welche Absatzkanäle sollen im Mehrkanalsystem kombiniert werden? ! Aufgabenverteilung im Mehrkanalsystem: Welche Aufgaben übernehmen die einzelnen Absatzkanäle innerhalb des Mehrkanalsystems? 234 235 236 237 Vgl. Schögel 1997, S. 31ff. Vgl. Moriarty/Moran 1991, S. 98. Vgl. Belz 1995, S. 7ff. Vgl. Schögel 1997, S. 40. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 67 Je nach Antwort auf diese Fragestellungen entstehen unterschiedliche Konfigurationen eines Mehrkanalsystems. Die resultierende Ausgestaltung des Systems wiederum hat Auswirkungen auf die inhaltliche Form eines Kennzahlensteuerungssystems. Koordination des Mehrkanalsystems: Während die Konfiguration dazu dient, den Absatzkanal-Mix zu bestimmen, steht bei der Koordination die Frage im Vordergrund, wie das Mehrkanalsystem erfolgreich gesteuert und die Kanäle aufeinander abgestimmt werden können. Im Einzelnen muss ein Unternehmen Entscheidungen in Bezug auf die Dimensionen Zentralisierung, Führung und Adaption treffen. In diesem Zusammenhang sind folgende Fragen zu beantworten:238 ! Zentralisierung der Entscheidungen im Mehrkanalsystem: Wer übernimmt die Abstimmung der Vertriebskanäle? ! Führung der Vertriebskanäle: Mit welchem Führungsstil soll das Mehrkanalsystem abgestimmt werden? ! Adaption des Mehrkanalsystems: Wie wird auf Veränderungen im Vertriebssystem reagiert? Analog zur Konfiguration des Mehrkanalsystems hat auch die Koordination einen Einfluss auf ein Kennzahlensteuerungssystem. Während bei der Konfiguration v.a. inhaltliche Aspekte im Vordergrund stehen, hat die Koordination insbesondere einen Einfluss auf das Entwicklungsvorgehen. Schögel239 betont in seinem Entscheidungsmodell, dass die beiden Aufgabenbereiche nicht isoliert betrachtet werden sollten, da sie in einem engen Zusammenhang stehen. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Dissertation werden an dieser Stelle jedoch nur die Inhalte der beiden Aufgaben als solches erläutert. Für eine vertiefte Betrachtung des Entscheidungsmodells wird an die Dissertation von Schögel verwiesen. 3.4 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems In diesem Kapitel wurde der theoretischen Bezug im Fachbereich Distribution240 zu den Aspekten Konfiguration und Koordination des Mehrkanalvertriebs erläutert. Der Bezug wurde anhand des Ansatzes Management des Mehrkanalsystems hergestellt. Zudem wurden allgemeine Aspekte zu den Zielen und zu den Aufgaben der Distribution erötert. In Abbildung 24 werden die zentralen Implikationen für die Erarbeitung eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb zusammengefasst. Bei den Implikationen handelt es sich hauptsächlich um jene der Kategorien241 Inhaltsdefinition und Entwicklungsprozess. 238 239 240 241 Vgl. Schögel 1997, S. 117. Vgl. Schögel 1997, S. 41. Vgl. theoretischer Bezugsrahmen Teil 1, Kapitel 3. Vgl. Definition der Problemkategorien in den Fussnoten von Abschnitt 1.1.3 des Teils 1. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN Ansatz: Management des Mehrkanalsystems Aspekt: Ziele und Aufgaben des Mehrkanalvertriebs 68 Implikationen: Die Hauptaufgaben und Ziele des Mehrkanalvertriebs sind die Sicherstellung der Markt- und der Konsumreife der Unternehmensleistungen (Inhaltsdefinition) Aspekt: Wechselwirkungen in Mehrkanalsystemen Implikationen: Die Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Vertriebskanälen (z.B. kanalübergreifende Prozesse) in einem Kennzahlensteuerungssystem trägt zur Steigerung des Vertriebserfolgs bei (Inhaltsdefinition) Aspekt: Konfiguration (Gestaltung des Vertriebskanal-Mixes) ! externer Fit Implikationen: Die Konfiguration eines Mehrkanalvertriebssystems beeinflusst die inhaltliche Gestaltung eines Kennzahlensteuerungssystems (Inhaltsdefinition) Aspekt: Koordination (Abstimmung und Steuerung) Fi! externer Fit Implikationen: ! Derinterner Koordinationsansatz des Mehrkanalvertriebssystems hat einen Einfluss auf das Entwicklungsvorgehen (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition) Abbildung 24: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem Quelle: Eigene Darstellung. 4. Zielplanung und Strategieimplementierung 4.1 Einleitung und Überblick Die Disziplin strategisches Management ist die zweite Forschungsdisziplin, welche einen zentralen Bezugspunkt zum Forschungsproblem der vorliegenden Arbeit darstellt. Die empirische Forschung zum strategischen Management kann in zwei Kategorien eingeteilt werden. Zum einen ist der Strategieinhalt Mittelpunkt der Forschung. Hierbei wird vorwiegend die Strategie als Ergebnis des Strategieprozesses untersucht. Zum anderen ist der Strategieprozess selber Mittelpunkt der Forschung. Hier werden die Aktivitäten innerhalb der Unternehmung untersucht, die in der Folge zu Strategien führen. 242 Das Ziel in diesem Kapitel ist die Erläuterung ausgewählter Aspekte des Strategieprozesses. Zu Beginn wird in Abschnitt 4.2 anhand der unterschiedlichen Strategieprozessmodelle aufgezeigt, wie sich Strategien in Unternehmen überhaupt formieren. In den Abschnitten 4.3 und 4.4 werden zwei für die vorliegende Arbeit zentrale Schritte des strategischen Managementprozesses erläutert: die strategische Zielplanung sowie die Implementierung und Kontrolle von Strategien. Am Ende des Kapitels werden die Implikationen für die Vertriebssteuerung zusammengefasst. 4.2 Prozessmodelle des strategischen Managements Für das Phänomen der Strategieformierung gibt es mehrere Erklärungsansätze. Grundsätzlich wird dabei zwischen präskriptiven und deskriptiven Modellen unterschieden. Beide Ansätze werden im Folgenden kurz erläutert. 242 Vgl. Welge/Al-Laham 1992, S.5. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 69 4.2.1 Präskriptive Prozessmodelle Präskriptive Modelle vermitteln eine normative Sicht, wie Strategien entwickelt werden sollten. Unter den präskriptiven Modellen ragen zwei besonders heraus: das Strategiemodell der Harvard Business School sowie die damit eng verbundenen Ansätze der strategischen Planung. Beide Modelltypen werden im Anschluss vorgestellt.243 Das Strategiemodell der Harvard Business School Eines der ersten Modelle, das sich mit Strategieprozessen beschäftigte, wurde von Learned, Christensen, Andrews und Guth – Mitgliedern der General Management Group der Harvard Business School – im Jahre 1965 vorgelegt.244 Kernstück des Modells ist die Aufspaltung des Strategieprozesses in zwei zeitlich aufeinander folgende Phasen, von denen die erste „Formulierung“ und die zweite „Implementierung“ genannt werden. Bei der Formulierung steht das Treffen strategisch wichtiger Entscheidungen im Vordergrund. Faktoren wie die Einschätzung von Chancen und Risiken der Umwelt, der Ressourcen des Unternehmens, der persönlichen Wertvorstellungen des Top-Managements sowie der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft beeinflussen die zu fällenden Grundsatzentscheidungen. Ist die Formulierung der Strategie erfolgt, kommt der Implementierung die Aufgabe zu, die jeweiligen Entscheidungen in administrative Tätigkeiten zu überführen und Ergebnisse zu produzieren. Dazu gilt es, die organisatorische Struktur, die Beziehungen, die Prozesse, das Verhalten und den Führungsstil adäquat anzupassen. Je besser dies getan wird, desto höher sind die Chancen, dass eine Strategie erfolgreich umgesetzt wird. Das Modell der Harvard Business School hat die Entwicklung des strategischen Managements geprägt. Nach wie vor basieren Lehre und Praxis in weiten Teilen auf dessen Fundamenten. Das Modell basiert auf den folgenden Annahmen: ! Entscheidungen sind in diesem Modell das Entscheidende: Die Bildung einer Strategie ist ein Entscheidungsprozess, in dessen Verlauf richtungsweisende Vorgaben getroffen werden, die das Verhalten und die Entwicklung des Unternehmens prägen. ! Strategien sind das Resultat eines wohl überlegten und bewussten Denkvorgangs: Wenn Strategien Entscheidungen sind, müssen sie explizit formulierbar sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um einen aktiven, zielgerichteten Prozess logischen Denkens handelt. ! Strategien sind einzelfallspezifisch zu entwerfen: Sie haben zur individuellen Situation eines Unternehmens zu passen und entstehen in einem rational geprägten Akt, der die jeweiligen Umstände berücksichtigt. Allgemein gültige Leitlinien, die den Inhalt von Strategien betreffen, gibt es nicht. Vielmehr gilt es, die Einzigartigkeit einer Situation zu berücksichtigen und darauf aufbauend Entscheidungen zu fällen. ! Die Verantwortung für die Formulierung von Strategien liegt bei der Unternehmensspitze: Da Strategien für die Zukunft des Unternehmens richtungsweisend sind, fallen sie in den 243 244 Für eine kritische Diskussion der Modelle siehe Müller-Stewens 2005, S. 61ff. Learned et al. 1965. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 70 Aufgabenbereich des obersten Managers. Als der Stratege schlechthin verkörpert er die Intelligenz des Unternehmens. Von ihm gehen richtungsweisende Impulse aus. Er kontrolliert die Umsetzung der Entscheidungen. Die Restorganisation führt diese lediglich aus. ! Der strategische Prozess ist eine sequenzielle Abfolge klar definierter Phasen: Erst wenn Strategien formuliert und damit kommunizierbar sind, können sie auch implementiert werden. Die Implementierung folgt dabei zeitlich und inhaltlich der Formulierung. Betrachtet man diese Annahmen, so wird unmittelbar deutlich, dass das Strategiemodell der Harvard Business School nicht deskriptiv, sondern präskriptiv argumentiert. Es hat eine eigenständige Sichtweise über die Bildung von Strategien, gibt Ratschläge, wie man dabei vorgehen sollte und begründet diese mit Plausibilitätsargumenten. Es liefert nicht nur ein Denkschema, wie der Prozess konzeptionell zu verstehen ist, sondern bietet gleichzeitig normative Gestaltungsempfehlungen.245 Strategische Planung Vom Strategiemodell der Harvard Business School ist der Weg zu einer strategischen Planung nicht weit. Was hinzukommt, ist die deutliche Ausdifferenzierung der beiden Phasen Formulierung und Implementierung, ihre Zerlegung und Formalisierung in eine Vielzahl von Arbeitsschritten und deren Unterlegung mit ausführlichen Frage- und Checklisten. Trotz der kaum noch zu überblickenden Varianten folgen die meisten Planungsmodelle einer einheitlichen Logik, die folgendermassen vorgeht: Man setzt sich unternehmerische Ziele, analysiert systematisch die Umwelt und das Unternehmen, generiert Strategiealternativen, evaluiert sie, wählt eine aus, plant mit Hilfe von Massnahmenplänen, Budgets und Zeitplänen ihre Umsetzung und kontrolliert den Fortschritt und die Ergebnisse. Ob man dabei in sieben, neun oder elf Schritten vorgeht und ob man die einzelnen Etappen dabei nur leicht oder tief untergliedert, ist letztlich unerheblich, solange sich die einzelnen Ansätze in der gleichen Grundlogik bewegen. Die strategische Planung wird damit zu einem formell dokumentierten Prozess, der die Formulierung, Implementierung und Kontrolle von Strategien systematischen Kriterien und einer rigorosen Prüfung unterwirft. Hohe Rationalität ist dabei entscheidend. Mit diesem Vorgehen entfernt sich die strategische Planung teilweise vom Strategiemodell der Harvard Business School. Während letztere eine einfache, informelle Vorgehensweise zur Entwicklung von Strategien empfiehlt, die von der obersten Führungskraft ausgeht, wird der Prozess bei erstere schon von Beginn an umfassend formalisiert, in detaillierte Einzelschritte zerlegt und in den Zuständigkeitsbereich strategischer Planer und ausgefeilter Planungssysteme verlagert.246 In Abbildung 25 wird eine vereinfachte Darstellung des Modells der strategischen Planung in Anlehnung an Byars247 gezeigt. 245 246 247 Vgl. Müller-Stewens 2005, S. 62ff. Vgl. Müller-Stewens 2005, S. 64f. Byars 1984, S. 16. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN Vision 71 Unternehmensleitbild Strategische Zielplanung Strategisches Feedback & Lernen Umfeldanalyse Konkurrenzanalyse Unternehmensanalyse Strategische Planung Definition kurz- und langfristiger Ziele Strategieauswahl Definition alternativer Strategien Evaluation und Selektion der Strategie Strategieimplementierung und Kontrolle Abstimmung von Strategie und Organisation Funktionsbereichstrategien, Budgetierung und Leadership Strategie Implementierung Strategische Kontrolle Abbildung 25: Prozess des strategischen Managements Quelle: In Anlehnung an Byars 1984, S. 16. Nach Byars wird der Prozess in die zwei Phasen strategische Planung und Strategieimplementierung eingeteilt. Innerhalb der strategischen Planung werden Entscheide zu den folgenden Aspekten getroffen: ! Definition der Vision und des Unternehmensleitbildes; ! Festlegung der kurz- und der langfristigen Ziele, um Vision und Unternehmensleitbild umzusetzen; ! Auswahl der Strategie, mit welcher die Ziele erreicht werden können. Bei der Strategieimplementierung werden folgende Entscheide getroffen: ! Definition der notwenigen Organisationsstruktur, um die Strategie umsetzen zu können; ! Definition der Funktionsbereichsstrategien und der notwendigen Budgets; ! Kontrolle der Effektivität der Strategie im Hinblick auf die strategischen Ziele. Für die vorliegende Arbeit stehen v.a. die Schritte der strategischen Zielplanung sowie der Strategieimplementierung und -kontrolle im Vordergrund. Beide Schritte werden in den Abschnitten 4.3 und 4.4 detaillierter erläutert. 4.2.2 Deskriptive Prozessmodelle Ein anderer Zugang zu einem Verständnis strategischer Initiativen ergibt sich, wenn man nicht präskriptiv, sondern deskriptiv an das Phänomen der Strategieformierung herangeht. Ziel ist es dann, Erklärungsmodelle zur tatsächlichen Bildung von Strategien vorzulegen und aus diesen Gestaltungsempfehlungen abzuleiten. Auch dieser Weg wurde seit ca. 1970 bestritten. In der Folge entstanden meist auf detaillierten Längsschnittanalysen basierende Prozessmodelle. Abbildung 26 beschreibt die wichtigsten Modelle. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN Modell Beschreibung Strategieformierung als Prozess der Ressourcenallokation ! Die Strategische Planung wird dominiert durch den Prozess der Investitionsplanung. ! Der Prozess wird durch das mittlere Management getrieben. ! Das Top-Management hat nur indirekt Einfluss auf die Strategie. 72 Strategieformierung ! Strategien werden vom mittleren Management unter Berücksichtizwischen induziertem gung der Vorgaben des Top Managments entwickelt (induziertes Verhalten). und autonomem Verhalten ! Das mittlere Management entwickelt Strategien ausserhalb der vorgegebenen Grenzen des Top Managments (autonomes Verhalten). Strategieformierung ! Strategien werden nicht in einem analytisch geprägten Prozess formuliert und dann implementiert. zwischen emergenten und beabsichtigten ! Realisierte Strategien stimmen oft nicht mit den ursprünglich beStrategien absichtigten Strategien überein. Strategieformierung als logischer Inkrementalismus ! Strategische Initiativen entstehen in unterschiedlichen Subsystemen einer Unternehmung (z.B. Vertrieb, Produktion, Entwicklung). ! Die realisierte Strategie emergiert aus dem Zusammenfluss von internen Entscheidungen und externen Ereignissen. ! Das Top-Management entscheidet nicht, sondern wirkt nur als treibende Kraft. Strategieformierung als erklärungsbedürftiges Phänomen ! Es gibt Situationen in Unternehmen, in welchen bewusst oder unbewusst keine Strategien vorhanden sind. Abbildung 26: Deskriptive Prozessmodelle Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens 2005. Ziel in diesem Abschnitt ist nicht, eine eingehende Diskussion aller aufgeführten Modelle zu führen. Vielmehr soll auf die beiden folgenden Ansätze eingegangen werden, welche vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Dissertation interessant sind: ! Strategieformierung zwischen emergenten und beabsichtigten Strategien; ! Strategieformierung als erklärungsbedürftiges Phänomen. Strategieformierung zwischen emergenten und beabsichtigten Strategien Ein weiteres, empirisch gestütztes Modell wurde von der Forschergruppe um Henry Mintzberg248 vorgelegt. Im Rahmen mehrerer Fallstudien gelangten sie zur Einsicht, dass die letztlich realisierten Strategien eines Unternehmens oft nicht mit den ursprünglich intendierten übereinstimmen. Dies widersprach der im präskriptiven Modell getroffenen Annahme, wonach Strategien zuerst in einem analytisch geprägten Prozess formuliert und dann implementiert werden. 248 Mintzberg 1987. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 73 Insgesamt unterscheiden Mintzberg und sein Kollegen – wie in Abbildung 27 dargestellt – zwischen mehreren Arten von Strategien: So gibt es erstens Strategien, die beabsichtigt („intended“) und anschliessend vollständig realisiert („realized“) werden. Diese Strategien werden als „deliberate strategies“249 bezeichnet und entsprechen dem Gedanken des klassischen (präskriptiven) Strategiemodells. Zweitens treten Situationen auf, in denen Strategien zwar intendiert sind, sich jedoch bei ihrer Umsetzung als nicht durchführbar erweisen und in der Folge aufgegeben werden. Sie enden als „unrealized strategies“. Drittens – und dies ist vielleicht die interessanteste Erkenntnis – gibt es Strategien, die, ohne dass sie explizit formuliert werden, sich zu einem kohärenten, strategischen Muster fügen. Einzelne, nicht zusammenhängende Handlungen verdichten sich über die Zeit zu einer unbeabsichtigten Ordnung. Die Strategien dieses Typs erhalten den Namen „emergent strategy“250 . In seiner reinsten Form lässt sich der letzte Strategietyp mit einem – wie Mintzberg es metaphorisch nennt – Graswurzel-Modell251 vergleichen. Emergente Strategien wachsen dabei – analog zu Gräsern – in einem Garten und bilden bottom-up getriebene Muster. Sie können überall dort entstehen, wo Menschen über die Fähigkeit verfügen zu lernen und ihre Erkenntnis mit Hilfe von Ressourcen auch nutzen können. intendierte Strategie deliberate Strategie nicht realisierte Strategie realisierte Strategie emergente Strategie Abbildung 27: Die Formierung von Strategien Quelle: Mintzberg/Waters 1985, S. 259. In Widerspruch zum präskriptiven Prozessmodell erachten Mintzberg et al. die empirische Relevanz der „deliberate strategies“ als deutlich überbewertet. Dazu müssten Strategien nämlich nicht nur präzise artikuliert, sondern auch von allen Mitgliedern der Unternehmens kollektiv geteilt und ungeachtet aller externen und internen Restriktionen umsetzbar sein. Dies sind Bedingungen, die in ihren Augen relativ selten vorzufinden sind. Vielmehr gehen sie davon aus – und unterlegen dies mit empirischen Arbeiten – dass in der Realität v.a. Mischformen anzutreffen sind, die zwischen den beiden Extrempolen emergenter und intendierter Strategien liegen. Diese nennen sie unternehmerische, ideologische, Regenschirm-, Prozess-, oder Konsensstrategien. Wie sich der Formierungsprozess im Einzelfall vollzieht, hängt von den Faktoren wie dem Ausmass zentraler Kontrolle und kollektiv geteilter Intentionen, der Spezifizierung der Intentionen und der Prognostizierbarkeit der Umwelt ab. 249 Mintzberg/Waters 1985. Mintzberg/Waters 1985. 251 Mintzberg/Waters 1985. 250 TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 74 Mintzberg kommt der Verdienst zu, als einer der Ersten die Diskrepanz zwischen expliziten Strategieformulierungen einerseits und den schlussendlich realisierten Strategien andererseits erkannt und theoretisch ausgearbeitet zu haben. Sein Konzept der emergenten Strategien, die spontan in Unternehmen auftauchen und unbeabsichtigt Ordnung schaffen, hat grosse Beachtung gefunden252 . Strategieformierung als erklärungsbedürftiges Phänomen Wurde bislang stillschweigend davon ausgegangen, dass es so etwas wie die Strategie eines Unternehmens tatsächlich gibt, so soll diese Annahme nun hinterfragt werden. Ab wann kann man überhaupt von der Strategie des Unternehmens sprechen? Genügt es, wenn der oberste Manager seine Entscheidungen bekannt gibt, wenn einzelne strategische Initiativen auftreten, wenn sie operativ wirksam werden oder sind auch Situationen denkbar, in denen es keine Strategien gibt? Eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Abwesenheit von Strategien wird u.a. von Inkpen und Choudhury253 gefordert. Sie gehen von Situationen aus, in denen Unternehmen über keine Strategie verfügen und bieten dafür drei Interpretationsmöglichkeiten an. ! Man kann das Management für diesen Zustand verantwortlich machen und es als Unterlassung bemängeln. Die Abwesenheit wird dann zu einem negativen Konzept. ! Es kann sich um eine Übergangsphase handeln, während dieser Strategien erst noch im Entstehen sind. Zum Ende dieser Phase haben sich dann explizite Strategien formiert, die handlungsleitend wirken. ! Das Phänomen kann auch positiv bewertet werden. Nach dieser Leseart ist die Abwesenheit von Strategien ein von der Unternehmensleitung bewusst herbeigeführter Versuch, mehr Flexibilität und Innovation zu schaffen und sich gezielt einer vorschnellen Verengung zu entziehen. Kirsch254 geht noch einen Schritt weiter. Für ihn ist zunächst die Existenz von Strategien des Unternehmens ein erklärungsbedürftiges Phänomen, das nicht ohne weiteres als gegeben vorausgesetzt werden kann. Was eine Führungskraft als Strategie verfolgt, muss nicht mit der Sichtweise und den Handlungen anderer Führungskräfte oder Gruppierungen, geschweige denn mit der Restorganisation übereinstimmen. Kirsch unterscheidet deshalb zwischen Strategien des Individuums (mit inhaltlichem Bezug auf das Unternehmen) und Strategien des Unternehmens. Um von einer Strategie des Unternehmens sprechen zu können, müssen vier Bedingunen erfüllt sein: ! So haben Handlungsorientierungen vorzuliegen, die den Charakter von Prinzipien haben. ! Diesen muss ein politischer Wille zukommen. ! Sie haben implizit oder explizit die Fähigkeiten bzw. die Entwicklung von Fähigkeiten zu betreffen. 252 253 254 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S.69f. Inkpen/Choudhury 1995. Kirsch 1997. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 75 ! Bei den Hauptleistungsträgern bzw. den Mitgliedern muss der dominierenden Koalition ein gemeinsames Wissen über die ersten drei Punkte bestehen. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, ist es angebracht, von der Strategie des Unternehmens – verstanden als kollektive Einheit – zu sprechen.255 4.3 Strategische Zielplanung Im vorangehenden Abschnitt wurden verschiedene präskriptive und deskriptive Strategieprozessmodelle beschrieben. In Anlehnung an das Modell von Byars256 wird in diesem Abschnitt der Schritt der strategischen Zielplanung erörtert. Zu Beginn werden dazu Ziele im Managementprozess eingeordnet. Vor diesem Hintergrund wird erläutert, was der Begriff Management bedeutet und welche Funktion Ziele in einer Unternehmung haben. Im zweiten Teil dieses Abschnitts werden inhaltliche und formale Aspekte von Zielen thematisiert. 4.3.1 Ziele im Management Prozess Notwendigkeit von Zielen Management bzw. Führung kann in zweifacher Weise betrachtet werden. Zunächst werden institutional unter diesem Begriff alle Instanzen gefasst, die Entscheidungs- und Anordnungskompetenz besitzen. Bezüglich der Unternehmenshierarchie lässt sich das Management daher in die Teilebenen Top-, Middle- und Lower-Management aufspalten.257 Funktional betrachtet beinhaltet Management alle Funktionen, die zur zielgerichteten Gestaltung und Steuerung des Unternehmens gehören.258 Zur Steuerung dieser Prozesse werden im Führungssystem singuläre Imperative erzeugt, die als Entscheidungen die Grundlage einer zielsystemgerechten Führung darstellen und Freiheitsgrade in der Ausführung der getroffenen Entscheidungen aufweisen. Die Zielsystemorientierung des Managements kommt in der Bedeutung des betrieblichen Zielsystems als Entscheidungsmassstab für betriebliche Führungsentscheidungen zum Ausdruck. Führungsprozesse grenzen sich von güterlichen und geldlichen Realisationsprozessen in der Leistungserstellung und -verwertung des Ausführungssystems insofern ab, als letztere nur rein exekutiven Charakter haben. Damit wird deutlich, dass der Begriff Management über die reine personenbezogene Menschenführung hinausgeht, da nicht nur die in der Unternehmung259 vorhandenen Menschen, sondern der gesamte Betrieb als zielgerichtetes, offenes, soziotechnisches System-Objekt des Managements ist.260 In der Offenheit kommen die Beziehungen zur Umwelt zum Ausdruck und damit auch die Einbettung des Betriebes in sie einschliessende Umsysteme, deren Element sie wiederum sind. Soziotechnisch sind Betriebe, weil als Elemente sowohl Menschen als auch technische Faktoren vorhanden sind. Das Vorhandensein von Menschen bedingt die Existenz von Unter- 255 256 257 258 259 260 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S.71f. Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.2.1. Vgl. Schierenbeck 1993, S. 81. Vgl. Ulrich 1987, S. 13. Der Begriff Betrieb wird als Synomym für Unternehmung verstanden. Ulrich 1987, S. 183. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 76 nehmenszielen. Deren Kenntnis lässt sich als Ansatzpunkt zur Erklärung des Verhaltens des Unternehmens nutzen.261 Begriff und Funktion von Zielen Unter einem Ziel ist ein angestrebter Zustand zu verstehen, der sich auf das Verhalten des Systems selbst oder auf Zustände irgendwelcher Outputgrössen bezieht. Da Unternehmen künstliche, vom Menschen geschaffene Systeme sind, werden die Ziele des Unternehmens von den angestrebten Zuständen der am System beteiligten Menschen bestimmt. Als Zielbildungsbeteiligte sind auf der einen Seite Systemmitglieder zu nennen (Eigentümer als Unternehmer, das Management und die Mitarbeiter des Unternehmens). Auf der anderen Seite gehören dazu auch Gruppen des Umsystems wie Lieferanten von Ressourcen (z.B. Eigentümer als Kapitalgeber), Abnehmer von Leistungen (z.B. Kunden) und regulatorische Gruppen wie staatliche Institutionen als Vertreter öffentlicher Interessen. In Unternehmen liegt also eine mehrzentrige Zielbildung vor.262 Diese verstärkt die Annahme, dass nicht nur ein Ziel existiert, sondern die Gesamtheit aller Ziele zusammen das Zielsystem des Unternehmens bilden. Die Bedeutung von Zielen ergibt sich aus ihrem Charakter als Beurteilungsmassstab. Wirtschaftliches Handeln ist Wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten.263 Es kann bei Vorliegen objektiver Rationalität als das ökonomische Prinzip in den folgenden Formulierungen ausgedrückt werden: mit gegebenen Mitteln den maximalen Nutzen oder mit minimalen Mitteln einen gegebenen Nutzen erzielen.264 Das ökonomische Prinzip kann aufgrund der Knappheit der Mittel als Leitmaxime wirtschaftlicher Betätigung jedes Unternehmens angesehen werden. Weil diese Knappheit für jedes soziale System Gültigkeit besitzt, ist das ökonomische Prinzip auch für jede institutionell abgrenzbare Einheit anwendbar, die durch Kombination produktiver Faktoren ihre Leistungen hervorbringt, unabhängig vom Wirtschaftssystem, von der Eigentümerstruktur und vom Grad des staatlichen Interesses am Unternehmen.265 Werden menschliche Wahlhandlungen bewusst vollzogen, spricht man von Entscheidungen.266 Aus Zielen lassen sich Kriterien zur Bewertung der Entscheidungsalternativen und zur Messung der Konsequenzen, der durch die Entscheidung herbeigeführten Verhaltensweisen ableiten. Dabei lassen sich betriebswirtschaftlich bedeutsame Charakteristika bzw. Funktionen von Zielen herausstreichen:267 ! Selektionsfunktion: Das Setzen von Zielen ist Voraussetzung betrieblichen Entscheidens. Ziele stellen Kriterien für die Bewertung von Alternativen dar. Im Prozess des strategischen Managements sind Ziele die Grundlage für die Evaluation bzw. Selektion von Strategien. ! Kontrollfunktion: Mit der Selektions- bzw. Entscheidungsfunktion ist die Funktion als Kontrollmassstab verbunden. Ziele sind die Basis für Soll-Ist-Vergleiche. 261 Vgl. Kirsch 1969, S. 665. Vgl. Bidlingsmaier 1976, S. 246ff. 263 Vgl. Heinen 1966b, S. 18. 264 Vgl. Gäfgen 1963, S. 102. 265 Vgl. Hauschildt 1977, S. 203. 266 Vgl. Heinen 1966b, S.18. 267 Vgl. Stelling 2002, S. 53. 262 TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 77 ! Koordinationsfunktion: Ziele haben bei dezentralen Entscheidungen daher die Aufgabe, diese Entscheidungen aufeinander abzustimmen und zu koordinieren. ! Motivationsfunktion: Ziele stellen Vorgaben dar, die von den Mitarbeitern zu erfüllen sind (WIR-Gefühl in Verbindung mit der Koordinationsfunktion). ! Informationsfunktion: Ziele informieren Mitarbeiter und Umwelt (insbesondere Investoren) über künftige Aktivitäten einer Unternehmung. Prozess der Zielbildung In Abschnitt 4.2 wurde der Prozess des strategischen Managements im Überblick aufgezeigt. In der ersten Phase der strategischen Planung werden kurz- und langfristige Ziele definiert, welche dazu dienen, die Mission einer Unternehmung umzusetzen. Der generische Prozess der Zielbildung wird in sieben Schritte unterteilt, welche iterativ durchlaufen werden:268 ! Zielsuche: Basis für die Suche und Auswahl von Zielen sind die Erkenntnisse aus den Analysen des Umfelds, der Konkurrenz und der Unternehmung. Aus der Umfeldanalyse werden Chancen und Gefahren für die Unternehmung abgeleitet. Die Ergebnisse werden mit einer Stärken-Schwächen-Analyse der Unternehmung kombiniert. Unter Einbezug der Erkenntnisse über die Konkurrenz werden anschliessend Ziele für die Unternehmung abgeleitet. ! Operationalisierung von Zielen: Nach der Auswahl der Ziele werden die konkreten Zielinhalte (Was?), das Ausmass (Wieviel?), der zeitliche (Wann?) und der personelle Bezug (Wer?) sowie die notwendigen Ressourcen (Womit?) definiert. ! Zielanalyse und –ordnung: Die bisher ausgewählten und operationalisierten Ziele werden zwecks Priorisierung in ein Rangverhältnis gesetzt. ! Prüfung auf Realisierbarkeit: Ziele sollten gerade noch erreichbar sein. Daher sollten sie nicht zu hoch oder zu niedrig gesetzt werden. Die Mitarbeiter sollten passende Kompetenzen haben. Ferner sind die Umwelteinflüsse zu beachten. Darüber hinaus sollte die zeitliche Machbarkeit ihre Beachtung finden. ! Zielentscheidung (Selektion): Die Selektion sollte sich auf die wesentlichen Ziele beschränken. Diese sollten den einzelnen Organisationsbereichen zugeordnet werden. Es sollte sichergestellt werden, dass die zuständigen Einheiten bzw. Personen sich mit den Zielen identifizieren können. ! Durchsetzung der Ziele: Die Verantwortlichen für die Durchsetzung der Ziele sollten informiert und die Betroffenen der Ziele und Massnahmen identifiziert werden. ! Zielüberprüfung und –revision: Die Ziele sollten immer wieder überprüft und bei Notwendigkeit neu definiert werden. Der oben aufgeführte Ablauf zeigt den methodischen Prozess für die Zielbildung auf. Dieser Prozess ermöglicht jedoch noch keine Aussagen über die hierarchische Beziehung zwischen den Zielen. Analog zur Konkretisierung von Strategien werden Unternehmensziele hierarchisch operationalisiert. Je nach Hierarchieebene, für die das Ziel gelten soll, sind andere 268 Vgl. Wild 1974, S. 75. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 78 Massstäbe der Konkretisierung und Signifikanz an das Ziel anzulegen. Aufschlüsse darüber gibt die in Abbildung 28 dargestellte Hierarchie der Ziele. Abbildung 28: Zielhierarchie im strategischen Management Quelle: Bea/Haas 2001, S. 68. ! Vision: An der Spitze der Zielhierarchie steht eine allgemein und grundsätzlich gehaltene Vorstellung der künftigen Rolle des Unternehmens. In diesem Zusammenhang wird oft auch auf die Unternehmensphilosophie verwiesen.269 Auf dieser Ebene werden Ziele ausschliesslich qualitativ umschrieben. ! Unternehmensleitbild: Unternehmensleitbilder oder Führungsgrundsätze sind Orientierungshilfen für das Verhalten der Mitarbeiter gegenüber den Partnern des Unternehmens. Sie liefern Grundsätze für die Verwirklichung der Vision. Die Ziele auf dieser Ebene werden ausschliesslich qualitativ umschrieben. ! Unternehmensziele: Unternehmensziele sorgen für eine Präzisierung der bewusst vage gehaltenen Vision. Auf dieser Ebene werden Ziele sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Form formuliert. ! Geschäftsbereichsziele: Geschäftsbereichsziele stellen eine weitere Konkretisierung der strategischen Vorgaben für einzelne Geschäftsbereiche dar. Die Operationalisierung wird i.d.R. quantitativ mit Kennzahlen wie z.B. dem Return on Investment (ROI) vorgenommen. ! Funktionsbereichsziele: Innerhalb der Geschäftsbereiche werden für die einzelnen betriebswirtschaftlichen Funktionsbereiche (Beschaffung, Produktion, Marketing, Personale etc.) Zielvorgaben erarbeitet. Nach der Definition der Ziele für die einzelnen Funktionsbereiche gilt es, diese weiter bis auf die Stufe der Mitarbeiter zu konkretisieren. Dies wird im Rahmen der Mitarbeiterführung anhand stellenspezifischer bzw. personenspezifischer Zielvereinbarungen gemacht. Bei der hierarchischen Operationalisierung gilt es sicherzustellen, dass Ziele sowohl vertikal als auch horizontal konsistent sind. Vertikal konsistent bedeutet, dass die Ziele der jeweils 269 Vgl. Byars 1984, S. 9. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 79 nächst tieferen Ebene inhaltlich so gewählt werden, dass sie jene der nächst höheren inhaltlich reflektieren. Horizontal konsistent bedeutet, dass beispielsweise die Ziele der einzelnen Funktionsbereiche so gewählt werden, dass jene des jeweiligen Geschäftsbereichs erreicht werden können. Bisher wurden die Notwendigkeit, der Begriff und der Prozess zur Herleitung von Zielen aufgezeigt. Im nächsten Schritt geht es darum, inhaltliche und formale Aspekte von Zielen zu erläutern. 4.3.2 Dimensionen betrieblicher Ziele Für eine operationale Zielformulierung sind neben dem Inhalt der Ziele verschiedene Aspekte oder Dimensionen zu beachten. Von den folgenden Fragen ausgehend, sollen deshalb vier wesentliche Zieldimensionen unterschieden werden: ! Zielinhalt: Was ist der Inhalt eines Ziels bzw. was wird angestrebt? ! Zielausmass und Zielmassstab: Welches ist der Umfang des zu erreichenden Ziels und wie kann die Erreichung eines Ziels gemessen werden? ! Zeitlicher Bezug: Auf welchen Zeitraum bezieht sich die Formulierung eines Ziels? ! Organisatorischer Bezug: Auf welche Organisationseinheiten beziehen sich die Ziele? In Abbildung 29 werden zeigt alle Dimensionen mit den möglichen Ausprägungen im Überblick aufgezeigt. Zieldimensionen Zielinhalt Formalziele: ! Ökonomisches Prinzip ! Produktivität ! Wirtschaftlichkeit ! Gewinn/Rentabilität Sachziele: ! Leistungsziele ! Finanziele ! Führungs-/ Organisationsziele ! Soziale/ökologische Ziele Zielausmass und -massstab Zielausmass: ! Satisfizierung ! Extremal oder Maximierung Zeitlicher Bezug ! kurzfristig ! mittelfristig ! langfristig Organistorischer Bezug ! Unternehmensziele ! Bereichsziele ! Mitarbeiterziele Zielmassstab: ! Kardinalskala ! Ordinalskala ! Nominalskala Abbildung 29: Dimensionen betrieblicher Ziele Quelle: In Anlehnung an Thommen 2002, S. 158ff. Vor dem Hintergrund der identifizierten Problemkategorien270 Inhaltsdefinition und Entwicklungsprozess für Kennzahlensteuerungssysteme werden im Anschluss ausschliesslich die Dimensionen Zielinhalt und Organisatorischer Bezug erläutert.271 270 271 Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.1.3. Thommen 2002, S. 158. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 80 Zielinhalt Als eine Möglichkeit der Kategorisierung von Zielen existiert die Unterscheidung in Formalund Sachziele. Diese Einteilung wird von Kosiol272 nach dem Gesichtspunkt der gesamt- und einzelwirtschaftlichen Aufgabenerfüllung getroffen. Abbildung 30 zeigt eine zusammenfassende Übersicht über die verschiedenen Kategorien und Zielinhalte. Produktivität Wirtschaftlichkeit Rentabilität/Gewinn Formalziele (Erfolgsziele) Sachziele Leistungsziele ! Marktziele ! Produktziele Finanzziele Ziele in Bezug auf: ! Liquidität ! Kapitalversorgung ! Kapital- und Vermögensstruktur Führungs- und Organisationsziele Ziele in Bezug auf: ! Problemlösungsprozess ! Führungsfunktionen ! Führungsstil ! Arbeitsteilung Soziale und ökologische Ziele ! Mitarbeiterbezogene Ziele ! Gesellschaftsbezogene Ziele Betriebliche Tätigkeiten Abbildung 30: Übersicht Zielkategorien Quelle: Thommen 2002, S. 156. A. Formalziele Formalziele sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich am Erfolg der betrieblichen Tätigkeiten ausrichten, d.h. sie zeigen das Resultat des güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozesses. Sie sind deshalb den Leistungs-, Finanz-, Führungs- und Organisations- sowie den sozialen Zielen übergeordnet. Ökonomisches Prinzip: Ausgangspunkt der Formalziele ist die Frage nach dem optimalen Einsatz der Produktionsfaktoren, denn diese stellen immer eine knappe Ressource dar. Deshalb versucht jedes Unternehmen, sich nach dem ökonomischen Prinzip auszurichten, das in drei Ausprägungen vorkommt: ! Maximalprinzip: Mit einem gegebenen Input an Produktionsfaktoren soll ein möglichst hoher Output erzielt werden. ! Minimalprinzip: Ein vorgegebener Output soll mit einem möglichst kleinen Input an Produktionsfaktoren realisiert werden. ! Optimal bzw. Extremumprinzip: Input und Output sollen so aufeinander abgestimmt werden, dass das ökonomische Problem nach den festgelegten Kriterien optimal gelöst wird. Somit sind weder Input noch Output vorgegeben. 272 Vgl. Kosiol 1972, S. 54. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 81 Wegen ihrer grossen Bedeutung für die Praxis stehen bei der Verfolgung des ökonomischen Prinzips die drei Erfolgsziele Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität bzw. Gewinn im Vordergrund. Produktivität: Als Produktivität bezeichnet man das mengenmässige Verhältnis zwischen Input und Output des Produktionsprozesses. Da sich bei der Messung der Produktivität Probleme ergeben, werden meistens Teilproduktivitäten ermittelt. Diese beziehen sich dann auf einzelne Produktionsfaktoren, so dass als Einsatzmengen Arbeitsstunden, Maschinenstunden und Materialeinsatz in Frage kommen. Ausbringungsmenge der Faktorkombination Produktivität = * 100 Einsatzmenge an Produktionsfaktoren Wirtschaftlichkeit: Mit der Wirtschaftlichkeit wird – im Gegensatz zur Produktivität – ein Wertverhältnis zum Ausdruck gebracht. Als Wertgrössen dienen die aus dem Güter- und dem Finanzprozess abgeleiteten Grössen Aufwand und Ertrag. Die Wirtschaftlichkeit ist somit eine dimensionslose Zahl. Beträgt sie genau eins, so wird weder ein Verlust noch ein Gewinn erzielt. Ertrag Wirtschaftlichkeit = Aufwand Gewinn und Rentabilität: Das Gewinnziel kann entweder absolut als Differenz zwischen Ertrag und Aufwand oder relativ als Relation zwischen dem Gewinn und dem zur Erwirtschaftung des Gewinnes eingesetzten Kapitals formuliert werden. Im letzteren Fall unterscheidet man zwischen Gesamt- und Eigenkapitalrentabilität. Gewinn Eigenkapitalrentabilität = * 100 Ø Eigenkapital Gewinn + Fremdkapitalzinsen Gesamtkapitalrentabilität = * 100 Ø Gesamtkapital Im Zusammenhang mit der Rentabilität auf dem eingesetzten Kapital (auch als Return on Investment bezeichnet) wird oft die Umsatzgewinnrate bzw. der Kapitalumschlag genannt. Diese ergeben sich bei einer Erweiterung der Rentabiltität mit dem Umsatz.273 Umsatz Gewinn Rentabilität = * Umsatz 273 Vgl. Thommen 2002, S. 155f. * 100 Ø Kapital TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 82 B. Sachziele Sachziele legen die zu erstellenden Leistungen des Unternehmens nach Art, Menge und Zeitpunkt fest. Sie kennzeichnen damit die Leistungen, das Leistungsprogramm und die Märkte für die Leistungen. Sachziele geben an, was Aufgabe des Unternehmens ist und gelten juristisch als Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes.274 Sie dienen damit der gesamtwirtschaftlichen Aufgabe der Bedarfsdeckung als Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.275 Allerdings ist die Erstellung von Leistungen zur Bedarfsdeckung ein Effekt, der sich aus der Befolgung anderer Ziele ergibt.276 Sachziele beziehen sich daher auf das konkrete Handeln bei der Ausübung der verschiedenen betrieblichen Funktionen und somit auf die Steuerung des güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozesses.277 Geht man bei der Zielformulierung vom güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozess sowie dessen Steuerung aus, können unter Berücksichtigung der Menschen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens vier Bereiche von Sachzielen unterschieden werden, nämlich Leistungs-, Finanz-, Führungs- und Organisationsziele sowie soziale und ökologische Ziele. Leistungsziele: Leistungsziele beziehen sich auf den leistungswirtschaftlichen Umsatzprozess. Es handelt sich dabei um Ziele, die mit der Leistungserstellung und -verwertung direkt zusammenhängen. Im Vordergrund stehen die Markt- und Produktziele, die aus den Bedürfnissen abgeleitet werden können, welche das Unternehmen befriedigen will. Insbesondere geht es um die: ! Märkte und Marktsegmente, die bearbeitet werden sollen; ! Feststellung der Marktstellung in diesen Märkten oder Marktsegmenten; ! Bestimmung des mengen- und geldmässigen Umsatzvolumens; ! Umschreibung der Art der zu erstellenden Produkte und Dienstleistungen; ! Festlegung des Qualitätsniveaus, das erreicht werden soll. Daneben sind aber alle anderen betrieblichen Funktionen mit einzubeziehen, welche in den leistungswirtschaftlichen Prozess eingeschlossen sind, also insbesondere die Materialwirtschaft, die Produktion und das Marketing. Finanzziele: Die Finanzziele lassen sich aus dem finanzwirtschaftlichen Umsatzprozess ableiten. Im Vordergrund stehen deshalb: ! die Versorgung des Unternehmens mit genügend Kapital. D.h., es sollte soviel Kapital zur Verfügung stehen, dass der angestrebte leistungswirtschaftliche Prozess ermöglicht wird. ! die Aufrechterhaltung der Zahlungsbereitschaft, um jederzeit den finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können. Eine ausreichende Liquidität ist ein Basisziel jedes Unternehmens. ! eine optimale Kapital- und Vermögensstruktur. 274 275 276 277 Vgl. Andrä 1975, S. 36. Vgl. Kubicek 1981, S. 460. Vgl. Bidlingsmaier 1964, S.43. Vgl. Thommen 2002, S. 151. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 83 Führungs- und Organisationsziele: Mit den Führungs- und Organisationszielen soll eine optimale Gestaltung und Steuerung des güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozesses erreicht werden. Im Vordergrund stehen Ziele in Bezug auf: ! die Gestaltung des Problemlösungsprozesses mit seinen verschiedenen Phasen;278 ! die einzusetzenden Führungsfunktionen wie Planung, Entscheidung, Anordnung und Kontrolle; ! den anzuwendenden Führungsstil; ! die Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Abteilungen und Stellen innerhalb eines Unternehmens. Soziale und ökologische Ziele: Jedes Unternehmen ist ein soziales Gebilde. Es ist Teil der Gesellschaft und in ihm arbeiten Menschen mit vielfältigen individuellen Zielen und Bedürfnissen. Dies bedeutet, dass implizit oder explizit soziale und ökologische Ziele im Zielsystem des Unternehmens Eingang finden müssen. Wie stark diese Berücksichtigung im Einzelnen ausfällt, kann nicht allgemein gesagt werden, da dies von verschiedenen Faktoren abhängt. Dazu gehören z.B. die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der persönlichen Einstellung der Eigentümer oder Führungsgruppe des Unternehmens oder die gesamtwirtschaftlichen Situation. Grundsätzlich kann man dabei zwischen mitarbeiter- und gesellschaftsbezogenen Zielen unterscheiden: ! Mittels mitarbeiterbezogenen Zielen wird versucht, die Bedürfnisse und Ansprüche der Mitarbeiter zu erfassen und zu berücksichtigen. Als Beispiele für solche Ziele können u.a. gerechte Entlöhnung, Gewinnbeteiligung, gute Arbeitsplatzbedingungen, Mitbestimmungsund Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Sozialleistungen genannt werden. Mit diesen Zielen beschäftigt sich v.a. der Personalbereich. ! Gesellschaftsbezogene Ziele beruhen auf der Erkenntnis, dass Unternehmen als Teil der Gesellschaft einen Beitrag zu Lösung gesellschaftlicher Probleme zu leisten haben. In diesem Zusammenhang ist v.a. die Forderung nach Wahrnehmung ökologischer Verantwortung durch das Unternehmen hervorzuheben.279 Organisatorischer Bezug der Ziele Ziele können sich auf unterschiedliche organisatorische Einheiten des Unternehmens beziehen.280 Grundsätzlich können drei verschiedene Bereiche unterschieden werden: ! Unternehmensziele beziehen sich auf das Unternehmen als Ganzes. Es handelt sich um die obersten Ziele, auf die sich sämtliche unternehmerische Tätigkeiten auszurichten haben. Typische Beispiele sind – 278 279 280 der Gewinn als Erfolgsziel, wobei der Gewinn oft auch in Beziehung zum Kapital gesetzt wird (Rentabilität). Vgl. Abschnitt 4.2. Thommen 2002, S. 152ff. Vgl. dazu die Ausführungen zur Zielhierarchie in Abbildung 30 in Abschnitt 4.3.1.3. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 84 – das Wachstum des Unternehmens, wobei sich dieses meistens auf den Umsatz bezieht. – die Marktstellung, die häufig mit dem Marktanteil gemessen wird. – die Erhaltung und Verbesserung des unternehmensspezifischen Know-Hows, das mit den angebotenen Produkten verbunden ist. – die Befriedigung der Ansprüche verschiedener Interessensgruppen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens. ! Bereichsziele beziehen sich nur auf bestimmte Teilbereiche des Unternehmens. Je nach Grösse des Unternehmens handelt es sich um grössere oder kleinere organisatorische Einheiten wie beispielsweise den Marketingbereich, die Marktforschungsabteilung oder die Stelle Informationsauswertung. Als Beispiele für solche Ziele aus dem Bereich Produktion können genannt werden: Kapazitätsauslastung, technischer Fortschritt, Qualität der Produkte und Kostensenkung. ! Bei den Mitarbeiterzielen handelt es sich um Ziele, die dem einzelnen Mitarbeiter vorgegeben oder gemeinsam mit ihm erarbeitet werden. Die Art der Zielformulierung hängt stark vom jeweiligen Aufgabenbereich und von der Führungsstufe ab.281 4.4 Strategieimplementierung und Kontrolle In diesem Abschnitt wird die Implementierung der Strategie, d.h. der zweite für die vorliegende Arbeit relevante Schritt des strategischen Management Prozesses, erläutert. Dieser Schritt beinhaltet gemäss Abbildung 25 die Subprozesse Abstimmung von Strategie und Organisation, Definition von Funktionsbereichsstrategien und strategische Kontrolle. Die Vertriebsstrategie als Funktionsbereichsstrategie wurde schon im Abschnitt 2.4 und im Kapitel 3 beschrieben. Es wird an dieser Stelle daher nicht weiter darauf eingegangen. Zu Beginn werden in Abschnitt 4.4.1 die allgemeinen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Strategieimplementierung sowie die notwendigen Massnahmen im Überblick aufgezeigt. In Abschnitt 4.4.2 werden die Abstimmung von Strategie und Organisation erläutert. Im Kapitel 3 wurden organisatorische Aspekte im Mehrkanalvertrieb schon beschrieben.282 An dieser Stelle wird daher ausschliesslich auf die notwendige Konformität zwischen Vertriebsstrategie und Organisationstyp eingegangen.283 Im dritten Abschnitt 4.4.3. wird auf das Thema der strategischen Kontrolle eingegangen. 4.4.1 Voraussetzungen und Massnahmen für die Strategieimplementierung Viele erfolgsversprechende Strategien scheitern deshalb, weil ihre Umsetzung in der Realität nicht gelingt. Es ist daher wichtig, die mit einer neuen Strategie verbundenen Veränderungen zu erkennen und sorgfältig vorzunehmen. 281 Vgl. Thommen 2002, S. 159f. Im Rahmen der Koordination eines Mehrkanalsystems wurden anhand der Entscheidungsdimensionen Zentralisierung, Führung und Adaption drei unterschiedliche Managementsysteme hergeleitet. Diese Systeme bilden die Grundlage für die organisatorische Gestaltung des Vertriebs. Vgl. dazu 3.3.3.3. 283 Vgl. dazu die Erläuterungen in Abschnitt 1.1.1. 282 TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 85 In Anlehnung an Pümpin284 können folgende allgemeine Voraussetzungen für das Gelingen der Umsetzung einer Unternehmensstrategie285 genannt werden: ! Die Führungskräfte sind von Anfang an in die Strategie-Entwicklung einzubeziehen, um die Identifikation mit der neuen Strategie zu erhöhen. ! Die oberen Führungskräfte müssen aufgrund ihrer Vorbildfunktion geschlossen hinter der neuen Strategie stehen und dies durch ihr Verhalten klar zum Ausdruck bringen. ! Es sind alle Mitarbeiter in die Umsetzung der geplanten Strategie einzubeziehen, da die Realisierung nicht allein Aufgabe der oberen und der mittleren Führungskräfte ist. Dies erfordert eine stufengerechte interne Kommunikation. Durch die Auseinandersetzung mit der neuen Strategie und den damit verbundenen Konsequenzen werden die Motivation und das Engagement gefördert. ! Alle Teilbereiche des Unternehmens müssen einen Beitrag zur Realisierung einer Strategie leisten. Eine Unternehmensstrategie umfasst das ganze Unternehmen, auch wenn einzelne Abteilungen (z.B. Marketing oder Produktion) stärker betroffen sein können als andere. ! Es braucht konkrete Massnahmen, um den gewünschten Wandel herbeizuführen. Bei den Massnahmen zur Realisierung des gewünschten Wandels im Zusammenhang mit der Implementierung einer neuen Strategie kann zwischen direkten und indirekten Massnahmen unterschieden werden. Mit direkten Massnahmen soll unmittelbar in die betrieblichen Tätigkeiten eingegriffen werden. Es handelt sich insbesondere um: ! Aktions- und Projektpläne, um die geplante Veränderung herbeizuführen. ! Planung und Budgetierung, um die Entwicklung in einem mehrperiodischen Plan bzw. in den Budgets abzubilden. ! die Organisation, welche der neuen Strategie angepasst werden muss. ! Informations- und Führungssysteme286 , welche zu einer integrierten Steuerung der Strategieumsetzung entsprechend zu gestalten sind. Zu erwähnen sind insbesondere " die Führung durch klare Zielsetzungen sowie " das Belohnungs- und Anreizsystem, das konsequent auf ein strategiegerechtes Verhalten ausgerichtet sein muss. ! Managementeinsatz, indem die fähigsten Führungskräfte dort eingesetzt werden, wo ein strategischer Durchbruch erzielt werden soll. 284 285 286 Pümpin/Geilinger 1988. In der vorliegenden Arbeit ist der Fokus die Umsetzung einer filialzentrierten Mehrkanalvertriebsstrategie. Die Vertriebsstrategie ist dabei eine Funktionsbereichsstrategie (vgl. dazu Abschnitte 2.4 und 4.3.1.3). Die Voraussetzungen nach Pümpin beziehen sich auf die Unternehmensstrategie und nicht konkret auf eine Funktionsbereichsstrategie. Seine Aussagen sind jedoch generisch formuliert und können daher auch auf die Vertriebsstrategie angewendet werden. Vgl. dazu Abschnitt 3.3.3.3. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 86 Daneben ist eine Reihe von indirekten Normen/Regeln zu beachten, die als flankierende Massnahmen zu den direkten gesehen werden können. Es handelt sich dabei um die Information der Mitarbeiter, die Corporate-Identitiy, die Ausbildung und die Unternehmenskultur. In den folgenden Abschnitten werden die für diese Arbeit zentralen Massnahmen Organisation (Subprozess Abstimmung von Strategie und Organisation) und Informations- und Führungssysteme (Subprozess strategische Kontrolle) erläutert. 4.4.2 Abstimmung von Strategie und Organisation Die Abstimmung von Strategie und Organisation hat über alle Stufen einer Unternehmung zu erfolgen. Dies bedeutet, dass bei der Implementierung einer neuen Strategie die einzelnen Funktionsbereiche gegebenenfalls reorganisiert werden müssen. In diesem Abschnitt wird nicht der ganze Prozess einer Reorganisation über alle Funktionsbereiche erläutert. Es wird spezifisch auf den Bereich Vertrieb bzw. auf die Abstimmung der Vertriebsstrategie und der Vertriebsorganisation eingegangen. Zudem wird direkt Bezug auf die Bankbranche genommen. Mit dem Hinzutreten neuer Vertriebsmöglichkeiten ausserhalb der Filialen gilt es, bei der Abstimmung von Strategie und Organisation zwei Punkte zu klären: ! Welche Vertriebswege können als eigenständige Organisationseinheiten bestimmt werden? ! Wie werden diese Vertriebswege in bestehende Profit-Center-Strukturen integriert? Aus Controlling-Sicht sind als eigenständige Vertriebseinheiten nur solche Vertriebskanäle zu bestimmen, die organisatorisch klar voneinander abgegrenzt sind. Dafür gibt es keine festen Richtlinien, aber bestimmte Kriterien, die für die Bildung einer selbstständigen Organisationseinheit sprechen. Dies ist dann der Fall, wenn Vertriebswege über eigene Kundenschnittstellen verfügen sowie dezentrale Entscheidungskompetenz und spezifisches Personal vorhanden sind. Weniger von Bedeutung sind Kriterien wie eigene Räumlichkeiten oder spezifische Produkte. Nach dieser Definition scheinen auf den ersten Blick bestimmte Vertriebswege wie Internet oder Selbstbedienungsautomaten nicht zwangsläufig selbstständige Kanäle darzustellen. Dennoch sind auch für den Vertrieb über diese Kanäle in den Instituten häufig bestimmte Personen verantwortlich. Bei kleineren Banken sind diese direkten Vertriebswege häufig unter "alternative Vertriebswege" oder "Direktvertrieb" zusammengefasst. In diesen Fällen wären aus Steuerungsgründen diese als eine einzige zusammenhängende Vertriebseinheit zu bestimmen. Relativ problemlos können Filialen, Aussendienst (wenn es sich nicht um Filialmitarbeiter handelt) und Call-Center als selbstständige Vertriebswege definiert werden. Beim Handy-Banking z.B. handelt es sich meist um keinen eigenen Vertriebsweg, sondern lediglich um ein besonderes Endgerät bzw. Medium für den Vertriebsweg Internet.287 Im Anschluss daran ist für diese Vertriebswege eine Mehrkanal-Profit-Center-Organisation aufzubauen. Dabei können neben dem Organisationstyp des Profit-Centers auch die Organi- 287 Vgl. Abschnitt 2.2. Endgeräte wie Mobiltelefone oder Personal Digital Assistants (PDAs) werden in dieser Arbeit als mediale Kanäle oder Zugangsmedien verstanden. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 87 sationstypen eines Service- und eines Cost-Centers in Frage kommen, wie sie in internen Bankbereichen z.B. für interne Technik-Dienstleister, die Marktfolge oder die Abwicklung bereits Verwendung finden. Für die Ableitung des richtigen Organisationstyps ist die spezifische vertriebsstrategische Positionierung des jeweiligen Vertriebswegs heranzuziehen. Dies kann durch ein zweistufiges Vorgehen erfolgen: Auf der ersten Stufe ist die Positionierung eines einzelnen Vertriebswegs innerhalb der Vertriebsstrategie zu bestimmen. Hierbei kann gemäss Abbildung 31 zwischen Customer-, Salesund Support-Channels unterschieden werden. CustomerChannel SalesChannel ! Schwerpunkt: Bedeutung der Kundenberatung und Kundenbindung steht im Vordergrund ! Bedeutung der Kundenbindung steht im Vordergrund/klare und umfassende Kundenverantwortung durch direkte Zuordnung ! Erzielt erfolgswirksame Geschäftsabschlüsse ! Breites Produkt- und Leistungsangebot ! Schwerpunkt: Vertrieb von Produkten und Leistungen ! Bedeutung der Kundenbindung steht im Hintergrund/keine umfassende Kundenverantwortung, höchstens für ausgewählte Produkte und Services ! Erzielt erfolgswirksame Geschäftsabschlüsse ! Beschränktes Produkt- und Leistungsangebot ! Schwerpunkt: Vertriebsunterstützende Informations-, Beratungs- und Abwicklungsleistungen für SupportChannel Customer Channel ! Keine Kundenverantwortung ! Erzielt keine erfolgswirksame Geschäftsabschlüsse ! Bedeutung der Kundenbindung steht im Hintergrund Abbildung 31: Überblick über die verschiedenen Channel-Typen Quelle: Wild/Wimmer 2004, S. 36. Aufgrund ihrer intensiven Vertriebsorientierung sind Customer- und Sales-Channels bei den meisten Banken als Profit-Center organisiert. Support-Channels im Falle einer bewertungstechnisch durchführbaren und wirtschaftlich sinnvollen Möglichkeit der Weiterverrechnung von Leistungen an andere Vertriebswege als Service-, im anderen Fall als Cost-Center (vgl. Abbildung 32). Die Einordnung eines Vertriebskanals in diese dreistufige Typologie ist auf der zweiten Stufe, d.h. für die Wahl des passenden Kanalorganisationstyps (Profit-, Service- oder Cost-Center) wichtig. Durch eine geeignete Zuordnung kann sichergestellt werden, dass die organisatorischen Vorgaben mit der vertriebsstrategischen Ausrichtung einer Mehrkanalbank in Einklang gebracht werden. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass durch die Wahl der Erfolgsmassstäbe (Kennzahlen) für die dezentralen Organisationstypen und ihre Anreizsysteme eine Zielkomplementarität zwischen den Vertriebseinheiten und der Gesamtbank erreicht wird. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 88 Vertriebswege Bankschalter Bankomat Mobiler Berater Call Center Internet Vertriebsstrategische Positionierung des Kanals? CustomerChannel SupportChannel SalesChannel ProfitCenter ServiceCenter CostCenter Vertriebsstrategiekonforme bzw. mittelbare Wahl des Organisationstyps Abbildung 32: Abstimmung von Vertriebsstrategie und Organisationstyp Quelle: Wild/Wimmer 2004, S. 36. Nach dem Aufbau der Mehrkanal-Vertriebsorganisation ist es möglich, durch die Gestaltung des Produktangebots und der Kundenzuordnung die Ziele der filialzentrierten Mehrkanalbank auch organisatorisch umzusetzen. Dies erfolgt durch eine differenzierte Kunden- und Produktzuordnung. Auf diese Weise können ausgewählte Kundensegmente (z.B. PrivateBanking-Kunden) direkt bestimmten Vertriebskanälen zugeordnet werden, etwa mobilen Vertriebsmitarbeitern oder besonders qualifizierten Filialberatern. Wettbewerb Klare Verantwortung Bei anderen Kundensegmenten ist auch Wettbewerb um die Kunden denkbar (z.B. Mengenkunden). Insofern ist die differenzierte Kunden- und Produktzuordnung unmittelbar mit der Klärung der Frage des Ausmasses des Wettbewerbs zwischen den Kanälen verknüpft.288 Kunden Produkte Bestimmung der Kundensegmente mit klarer Zuordnung der Kunden zu bestimmten Vertriebswegen, z.B. Bestimmung der Produkte, die nur über bestimmte Vertriebswege abgesetzt werden, z.B. Private Banking-Kunden Gehobene Privatkunden mobiler Berater Basisfiliale Bestimmung der Kundensegmente bei denen Wettbewerb zwischen den Kanälen um die Kunden herrscht, z.B. Mengenkunden Immobilienfinanzierung Bestimmung der Produkte, bei denen Wettbewerb zwischen den Vertriebswegen herrscht, z.B. Kartengeschäft Konsumentenkredit keine spezielle Kanalzuordnung Abbildung 33: Zuordnungsaufgaben im Wettbewerb der Vertriebskanäle Quelle: Wild/Wimmer 2004, S. 37. 288 Vgl. Wild/Wimmer 2004, S. 36ff. Filiale TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 89 4.4.3 Strategische Kontrolle Zur Sicherstellung des Erfolgs der Strategieimplementierung ist eine Überprüfung der Strategieumsetzung289 bzw. der daraus resultierenden Ergebnisse notwendig. Überlegungen zur strategischen Kontrolle haben ihren Ursprung im Rahmen präskriptiver Strategieprozessmodelle und hier insbesondere der strategischen Planung. Die Kontrolle wird als letzte Phase gesehen, die sich an die Formulierung von Strategien und ihre Implementierung über Massnahmenpläne und Budgets anschliesst. Es geht um die Frage, ob das strategisch Intendierte auch realisiert werden konnte. Im Allgemeinen werden drei verschiedene Formen der strategischen Kontrolle unterschieden:290 ! Prämissenkontrolle, ! Durchführungskontrolle, ! Wirksamkeitskontrolle. In Abbildung 34 werden die drei Formen mit dem jeweiligen Zweck und den zentralen Fragestellungen aufgezeigt. Prämissenkontrolle (Input) Zweck ! Beurteilung der Durchführungskontrolle (Throughput) ! Beurteilung der ! Beurteilung der Umsetzung der Konzepte durch Aktionen direkten Ergebnisse der Aktionen erstellten Konzepte Zentrale Fragestellungen ! Können die hinter den ! Konzepten stehenden Annahmen aufrecht erhalten bleiben? Ist das, worauf die Konzepte ausgerichtet werden, noch richtig? Wirksamkeitskontrolle (Output und Outcome) ! Wie wirkungsvoll war ! ! der Prozess der Strategieentwicklung? Konnte die Umsetzung wie geplant realisiert werden? Gibt es unerwartete Widerstände beim der Umsetzung? ! Konnte man die ! Ziele wie vorgesehen erreichen? Hatte man die richtigen Strategien? ! Beurteilung der Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Stakeholder ! Konnte man die ! Stakeholder wie vorgesehen zufrieden stellen? Entsprechen die Auswirkungen unseren Normen? Abbildung 34: Formen der strategischen Kontrolle Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 739. In den folgenden Abschnitten werden diese drei Formen kurz erläutert. Prämissenkontrolle Der Zweck der Prämissenkontrolle ist die Beurteilung der erstellten Konzepte bzw. des Inputs für die Strategien. Wenn ein strategisches Programm verabschiedet wird, legt man sich auf ein bestimmtes Vorgehen fest. Man wählt also aus der Vielzahl möglicher Gestaltungsoptionen eine eindeutige Lösung aus. Die Prämissenkontrolle dient nun dazu, sich der Risiken, die mit dem Selektionsprozess verbunden sind, bewusst zu werden und die dabei getroffenen Annahmen fortlaufend zu überprüfen. 289 290 Pümpin nimmt hier Bezug auf die Implementierung einer Unternehmensstrategie. Die zu überprüfenden Bereiche sind jedoch generisch formuliert und können daher auch spezifisch für die Vertriebsstrategie angewendet werden. Vgl. Goold/Quinn 1990; Schreyögg/Steinemann 1985, S. 391ff.; Pümpin/Geilinger 1988, S. 55. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 90 Bei der Prämissenkontrolle wird also hinterfragt, ob das „Warum?“ der Strategie nach wie vor gegeben ist: Gelten die bisherigen Annahmen noch, auf denen die Strategien aufbauen? Dabei kann es sich auch um die Hinterfragung ganzer Szenarien handeln. Prämissenkontrolle kann aber auch als Sollkontrolle verstanden werden, bei der hinterfragt wird, ob das, wonach die Strategien ausgerichtet sind und über das auch der Selektionsprozess gesteuert wird, überhaupt noch richtig ist (Vision, Mission, Normen, Ziele, Bewertungskriterien etc.). Eine Prämissenkontrolle steht in engem Zusammenhang mit der strategischen Frühaufklärung, die schwache Signale zu melden hat. Man versucht, Hinweise darauf zu erhalten, ob bestimmte dritte Variable die bisher unterstellten Zusammenhänge stören könnten, d.h. ob an der Gültigkeit bestehender Annahmen zu zweifeln ist. Voraussetzung einer Prämissenkontrolle ist es, dass im Selektionsprozess zur Auswahl eines strategischen Programms auch die Annahmen festgehalten und den umsetzenden Organen transparent gemacht wurden. Ansonsten haben diese keine Kontrolle über die Richtigkeit ihres Handelns und können den Strategieverantwortlichen auch kein Feedback geben, ob aus ihrer Sicht bestimmte Annahmen in Frage gestellt werden müssen. Die Führung würde sich damit eine Chance zu einer umfassenden Nutzung der in der Organisation vorhandenen Intelligenz entgehen lassen. Beobachtungen an der Kundenfront verlieren dann ihren Bezugspunkt, was dazu führen kann, dass Strategien für das Alltagsverhalten bedeutungslos werden. Denn nur wer keine Eigenverantwortung zu tragen hat, wird sich auf einen „Blindflug“ einlassen.291 Durchführungskontrolle Der Zweck der Durchführungskontrolle ist die Beurteilung der Umsetzung der Konzepte durch Aktionen. Bei der Durchführungskontrolle- bzw. Umsetzungskontrolle geht es – im Sinne einer Planungsfortschrittskontrolle – um das „Wie?“ der Strategieumsetzung: In welchem Ausmass konnten die Massnahmen zur Implementierung der intendierten Strategie umgesetzt werden? Wurden die geplanten Aktivitäten innerhalb der gesetzten Zeiträume umgesetzt? Wurden die Budgets im Sinne ihrer Allokation zu den jeweiligen Strategien eingesetzt? Wo und warum gab es unerwartete Widerstände? Was hatten diese zur Folge?292 Wirksamkeitskontrolle Der Zweck der Wirksamkeitskontrolle ist die Beurteilung der direkten Ergebnisse der umgesetzten Aktionen und der Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Stakeholder. Sie steht komplementär zur Prämissenkontrolle: Auch wenn Annahmen als weiterhin richtig betrachtet werden, kann es sein, dass bei der Herleitung der strategischen Programme inhaltlich die falschen Schlüsse gezogen wurden. Hier geht es also um das „Was?“ der Strategie: Konnten mit den gewählten Strategien die Ziele erreicht werden? Folgt die Unternehmung überhaupt noch den richtigen Zielen? Ist die Unternehmung der Vision/Mission ausreichend näher gekommen? Hat man auf die richtigen Erfolgsfaktoren gesetzt? Wurden die relevanten Fähigkeiten erkannt? Hat man das Wettbewerbsverhalten richtig in den Strategien berücksichtigt? Wo nicht? Was hat dies zur Folge? 291 292 Vgl. Müller-Stewens 2005, S. 695f. Vgl. Müller-Stewens 2005, S. 696f. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 91 Die Wirksamkeitskontrolle kann verschiedene Formen annehmen: Sie kann als Performancekontrolle gesehen werden, in der anhand definierter Messgrössen überprüft wird, ob Output und Outcome den Erwartungen (Ziele etc.) entspricht (Messung von Soll-Ist-Abweichungen). Sie kann aber auch als Normenkontrolle verstanden werden, bei der überprüft wird, ob die Auswirkungen der Strategien noch den Werten und Normen des Unternehmens entsprechen oder ob sich die Prozesse durch Eigendynamik von diesen entfernt haben. 4.5 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems In diesem Kapitel wurde der theoretische Bezug im Fachbereich Zielplanung und Strategieimplementierung293 zu den Aspekten Zielplanung und Implementierung von Strategien hergestellt. Der Bezug erfolgte anhand der Ansätze Prozess des strategischen Managements und der betriebswirtschaftlichen Zielforschung. In Abbildung 35 werden die zentralen Implikationen für die Erarbeitung eines Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb zusammengefasst. Bei den Implikationen handelt es sich hauptsächlich um jene der Kategorie294 Entwicklungsprozess und Inhaltsdefinition. Ansatz: Aspekt: Betriebswirtschaftliche Zielforschung/Prozess des strategischen Managements Zielplanung Implikationen: ! An der Zielplanung bzw. -bildung sind unterschiedliche Systemmitglieder295 beteiligt. Dies führt zu einer mehrzentrigen Zielbildung, welche ein System von Zielen mit unterschiedlichen Dimensionen zur Folge hat. Diese Mehrdimensionalität der Ziele auf der Stufe der Gesamtunternehmung sollte auch in der Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem entsprechend abgebildet sein (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). ! Inhaltlich kann zwischen Formal- und Sachzielen unterschieden werden. Erstere zeigen das Resultat des güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozesses (d.h. Sachziele). Ein Kennzahlensteuerungssystem sollte diese Strukturierung in einer geeigneten Form entsprechend berücksichtigen (Inhaltsdefinition). ! Die hierarchische Operationalisierung von Zielen stellt sicher, dass sich alle Unternehmensbereiche bzw. Systemmitglieder zielgerichtet verhalten. Die Ziele für den Vertriebsbereich sollten prozessual nach und inhaltlich von den Unternehmens- bzw. Geschäftsbereichzielen abgeleitet werden (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). 293 294 295 Vgl. theoretischer Bezugsrahmen Teil 1, Kapitel 3. Vgl. Definition der Problemkategorien in den Fussnoten von Teil 1, Abschnitt 1.1.3. Systemmitglieder sind die Eigentümer als Unternehmer, das Management, Mitarbeiter, Lieferanten von Ressourcen (z.B. Eigentümer als Kapitalgeber), Abnehmer von Leistungen (z.B. Kunden) und regulatorische Gruppen wie staatliche Institutionen als Vertreter öffentlicher Interessen. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 92 ! Bei der hierarchischen Operationalisierung (vertikale Konsistenz) muss im Funktionsbereich Vertrieb sichergestellt werden, dass die Ziele auch horizontal konsistent sind. Für das Kennzahlensteuerungssystem bedeutet dies, dass die Ziele der einzelnen Vertriebskanäle aufeinander abgestimmt sein sollten (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). Ansatz: Prozess des strategischen Managements Aspekt: Planung und Strategieimplementierung Implikationen: ! Es gibt kein allgemeingültiges Modell zur konzeptionellen Erfassung der Strategieformierung. Präskriptive Modelle vermitteln eine normative Sicht, wie Strategien entwickelt werden. Deskriptive Ansätze sind Erklärungsmodelle zur tatsächlichen Bildung von Strategien. Diese Tatsache sollte bei der Entwicklung eines Kennzahlensteuerungssystem berücksichtigt werden (Entwicklungsprozess). ! Die Planung und die Implementierung bilden im strategischen Management eine Einheit. Kennzahlensysteme als Informations- und Führungssysteme dienen zur Implementierung wie auch zur Planung von Strategien. Ein Kennzahlensteuerungssystem sollte daher in den gesamten Managementprozess eingebunden werden (Entwicklungsprozess). Aspekt: Implementierung von Strategien Implikationen: ! Für die erfolgreiche Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie muss die Wahl des Organisationstyps eines Vertriebskanals unter Berücksichtigung seiner vertriebsstrategischen Positionierung erfolgen. Der Organisationstyp hat dabei einen Einfluss auf die relevanten Kennzahlendimensionen. Im Kennzahlensteuerungssystem müssen die unterschiedlichen Organisationstypen bzw. Positionierungen konzeptionell abgebildet werden (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). ! Bei der strategischen Kontrolle wird zwischen Prämissen-, Durchführungs- und Wirksamkeitskontrolle unterschieden. Um eine umfassende Kontrolle im Rahmen der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie zu gewährleisten, sollte ein Kennzahlensystem diese drei Formen konzeptionell abbilden (Messmethode, Inhaltsdefinition). Abbildung 35: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem Quelle: Eigene Darstellung. 5. Prozessmanagement 5.1 Einleitung und Überblick Das Thema Unternehmensorganisation rückt vor dem Hintergrund des intensiven Wettbewerbs im Bankenbereich verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses. Im dynamischen Umfeld, in welchem sich Finanzdienstleister bewegen, hängt die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere davon ab, ob und wie schnell sie ihre Strukturen und Abläufe den wechselnden Anforderungen anpassen können. Als wesentliche Neuerung wird die Abkehr von der als statisch angesehenen vertikalen Betrachtung von Banken herausgehoben. Um dem dynamischen Wandel gewachsen zu sein, müssen sich auch die Unternehmensstrukturen kontinuierlich anpassen. Damit rücken die hierarchischen Strukturen zunächst in den Hintergrund und die dynami- TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 93 schen Elemente eines Unternehmens – d.h. die Geschäftsprozesse – gewinnen an Bedeutung.296 Im Rahmen eines umfassenden Managements von Geschäftsprozessen sind die zentralen Prozesse einer Bank auf die wettbewerbskritischen Erfolgsfaktoren hin auszurichten. Dabei wird die Auffassung vertreten, dass nur aus der Optimierung von Geschäftsprozessen radikale und nachhaltige Rationalisierungs- und Leistungssteigerungseffekte zu erwarten sind. Dies gilt umso mehr, als man sich der isolierten Betrachtung und Optimierung einzelner Einheiten, Funktionen oder Abteilungen bereits umfassend gewidmet hat. In diesen Bereichen ist daher auch kaum noch Potential für weitere Leistungssteigerungen zu erwarten. Im Gegensatz dazu wurden die Schnittstellen zwischen den einzelnen Einheiten, Funktionen oder Abteilungen bislang kaum beachtet.297 Im Hinblick auf das Forschungsproblem und die –zielsetzung dieser Arbeit werden in diesem Kapitel die Aspekte der Geschäftsprozessorientierung und der Effektivität298 und Effizienz299 von Geschäftsprozessen thematisiert. Für ein erfolgreiches Management des Mehrkanalvertriebs ist es zentral, kundenkritische Prozesse effizient managen zu können. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Kapitel der Ansatz des Business-Process-Managements vorgestellt. Am Ende des Kapitels werden die Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems zusammengefasst. 5.2 Business-Process-Management Ziel dieses Abschnitts ist, den Ansatz Business-Process-Management300 (BPM) in seinen Grundzügen zu beschreiben. BPM ist ein umfassender Ansatz, welcher relevant ist in Bezug auf die Aspekte Effizienz und Effektivität von Geschäftsprozessen. 5.2.1 Begriffe und Definitionen Der Terminus Business-Process-Management beinhaltet die Begriffe Business Process und Management. Beide Ausdrücke sollen an dieser Stelle definiert werden. In der Literatur existiert eine Fülle von Definitionsansätzen für den Begriff Prozess, wobei je nach Zielsetzung und Ausrichtung unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden.301 Neben der Bezeichnung Prozess findet man häufig auch den Terminus Geschäftsprozess.302 Da grundsätzliche inhaltliche Unterschiede nicht bestehen, werden im Folgenden die Wörter Prozess und Geschäftsprozess synonym verwendet. Für die vorliegende Arbeit wird mit der folgenden Definition von Geschäftsprozessen gearbeitet: 296 Vgl. Heilmann 1996, S. 1 Vgl. Heilmann 1996, S. 2. 298 Unter Effektivität (=das Richtige tun) wird hier die Zweck- oder Zielorientierung der Geschäftsprozess verstanden. Prozesse sind dann zweckorientiert, wenn sie einen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele leisten. 299 Unter Effizienz (=etwas richtig tun) wird hier das Nutz-/Kostenverhältnis von Geschäftsprozessen verstanden. 300 Business-Process-Management und Geschäftsprozess Management werden in dieser Arbeit als Synonyme betrachtet. 301 Vgl. Hammer/Champy 1993, S. 35; Melan 1993, S. 15; Davenport 1993, S. 5; Brimson 1991, S. 56. 302 Vgl. Scheer 1994, S. 10f. 297 TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 94 „Ein Geschäftsprozess ist ein am Kerngeschäft orientierter Arbeits-, Informations- und Entscheidungsprozess mit einem für den Unternehmenserfolg relevanten Resultat. Der Prozessoutput steht entweder in Verbindung mit einem konkreten Kundennutzen oder liefert einen nachvollziehbaren Beitrag zum Zielsystem des Unternehmens insgesamt.“303 Für den Terminus Prozessmanagement findet man in der Literatur auch zahlreiche Begriffsbestimmungen.304 Für diese Arbeit wird mit der folgenden Definition gearbeitet: „Prozessmanagement umfasst planerische, organisatorische und kontrollierende Massnahmen zur zielorientierten Steuerung der Wertschöpfungskette eines Unternehmens hinsichtlich Kundenzufriedenheit, Qualität, Zeit und Kosten.“305 Somit ist Business-Process-Management ein Ansatz, bei dem durch planerische, organisatorische und kontrollierende Massnahmen sicherstellt wird, dass die Wertschöpfungskette effektiv und effizient gestaltet und gesteuert wird und dadurch einen nachvollziehbaren Beitrag zum Zielsystem einer Unternehmung leistet. Diese Definition weist auf die Ziele und den Inhalt des Business-Process-Managements hin. Die für die vorliegende Arbeit relevanten Aspekte werden im nächsten Abschnitt detaillierter erläutert. 5.2.2 Ziele und Aufgaben des Business-Process-Managements Die Bedeutung des Business-Process-Managements hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Während früher ausschliesslich die Dokumentation von Prozessen im Vordergrund stand, gilt es heute, Prozesse aktiv zu steuern und zu verbessern. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht verfolgt BPM verschiedene Ziele und Aufgaben.306 Die Hauptziele von BPM sind die: ! Effektivität der Prozesse als Grad der Zielerreichung; ! Effizienz der Prozesse als Nutzen-/Kosten-Verhältnis der Zielerreichung. Um diese Zielsetzungen erreichen zu können, umfassen die Hauptaufgaben von BPM die Planung, Steuerung und Kontrolle von inner- und überbetrieblichen Prozessen. Geschäftsprozesse werden darauf untersucht, ob sie zur Wertschöpfung (Effektivität) des Unternehmens am Markt beitragen. Leistet ein Prozess keinen Beitrag zum Kundennutzen, so verursacht er lediglich Kosten und sollte eliminiert werden. Ansonsten sind Prozesse unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz zu gestalten und einzuführen. 5.2.3 Phasen des Business-Process-Managements Business-Process-Management ist ein kontinuierlicher und ein auf die Unternehmensziele gerichteter Prozess, welcher sechs Phasen umfasst: Abbildung 36 zeigt den Prozess in Abhängigkeit von den Unternehmenszielen bzw. der Unternehmensstrategie auf. 303 304 305 306 Roos 2005, S. 5. Vgl. Österle 1995, S. 8; Ferk 1996, S. 13; Knöbel 1995, S. 11. Gaitanides 1994, S. 3. Vgl. Gaitanides 1994, S. 15. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 95 Unternehmensziele Unternehmensstrategie Geschäftsprozessmanagement Identifikation Kerngeschäftsprozesse IstModellierung SollModellierung Prozessorientierte Ablauforganisation ProzessRoll-out Messung Abbildung 36: Phasen des Business-Process-Managements Quelle: In Anlehnung an Becker 2000, S. 55. ! In der ersten Phase gilt es, Kerngeschäftsprozesse zu identifizieren. Jedes Unternehmen hat eigene, spezielle Prozesse. Kernprozesse sind dabei solche, welche im Hinblick auf die Erreichung Unternehmensziele bzw. auf die Umsetzung der Unternehmensstrategie massgebend sind. Zusätzlich zur Identifizierung der strategischen Prozesse werden pro Prozess Messgrössen (KPIs) definiert, welche von der Unternehmensstrategie bzw. von den Unternehmenszielen abgeleitet werden. ! In der zweiten Phase erfolgt die Aufnahme und Bewertung der Ist-Prozesse. Die Bewertung der Ist-Prozesse erfolgt anhand der definierten KPIs. Auf diese Weise werden Schwachstellen in der Ablauforganisation systematisch identifiziert. ! Anschliessend werden in der dritten Phase auf Basis der Schwachstellen Soll-Prozesse modelliert und Soll-Werte für die Messgrössen festgelegt. ! In der vierten Phase wird – basierend auf den modellierten Prozessen – eine prozessorientierte Ablauforganisation gestaltet. ! Im Rahmen der prozessorientierten Ablauforganisation werden in der fünften Phase die Prozesse eingeführt. Ziel ist, durch die Implementierung der Soll-Prozesse die Effektivitätsund Effizienzgewinne zu realisieren. ! Nach der Realisierung des Soll-Prozess-Szenarios wird in der sechsten Phase der Implementierungserfolg über ein permanentes Prozess-Leistungs-Controlling sichergestellt. Dazu werden die KPIs der strategischen Prozesse kontinuierlich gemessen. Bei einer Änderung der Unternehmensziele bzw. der Unternehmensstrategie müssen die strategischen Prozesse von neuem identifiziert, beurteilt und – falls notwendig – optimiert werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die strategischen Prozesse nachhaltig effektiv und effizient gestaltet sind. Im Hinblick auf die Zielsetzung dieser Arbeit ist v.a. die erste Phase zentral. Ihr Ergebnis sind die Identifizierung der Kerngeschäftsprozesse und die Bestimmung von Kennzahlen bzw. KPIs. Der erste Schritt wird im nächsten Abschnitt daher detaillierter erläutert. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 96 5.3 Identifikation von Kerngeschäftsprozessen In den meisten Unternehmen ist die Anzahl interner Prozesse nahezu unüberschaubar. Durch die Beziehungen zu den unterschiedlichen Geschäftspartnern ergeben sich zusätzliche Prozesse. Um die hohe Komplexität beherrschen zu können, ist zunächst eine Selektion erforderlich.307 Als Methoden für die Durchführung einer Prozessausgrenzung werden zahlreiche Techniken vorgeschlagen. Dazu gehören beispielsweise die folgenden Verfahren: kritische Erfolgsfaktorenanalyse, Schwachstellenanalyse, Wertanalyse und Stärken-/Schwächen-Analyse.308 Harrington schlägt vor, für das Auffinden der zentralen Geschäftsprozesse in einem Unternehmen die folgenden Kriterien zu beachten: ! Hohe Bedeutung für die Problemlösung oder Zufriedenheit der Geschäftspartner; ! Hohe Bedeutung für die Problemlösung oder Zufriedenheit interner Kunden; ! Hohe Bedeutung für das Erreichen oder Halten eines Wettbewerbsvorteils; ! Hohe Kostenintensität bzw. hohe Kapitalbindung; ! Hohe Bedeutung für die Produktqualität und die Sicherheit der Produktion; ! Lange Prozessdauer; ! Neue oder andere Formen der Prozesskonfiguration sind bekannt.309 Welche der Methoden schliesslich zur Anwendung gelangt, hängt in hohem Masse von unternehmensspezifischen Gegebenheiten ab. Häufig werden im praktischen Einsatz keine der genannten Methoden verwendet, sondern Prozesse lediglich auf der Basis von Mutmassungen ausgewählt. Das Fehlen einer grundlegenden Vorgehensweise führt oftmals dazu, dass Prozesse im Nachhinein neu definiert werden müssen, da die Verbindung zu den Markttendenzen und zu den Wettbewerbsparametern fehlt.310 Hinzu kommt, dass die gegenseitigen Beziehungen der Prozesse untereinander nicht beachtet werden.311 Durch dieses Vorgehen degeneriert die Idee einer Prozessorientierung zu einem blossen Rationalisierungs- und Kontrollinstrument, bei dem die grundlegende Kunden- und Kompetenzorientierung des Ansatzes verloren geht.312 Für den hier gewählten Ansatz zur Identifikation der relevanten Geschäftsprozesse soll explizit die Verbindung zur strategischen Grundausrichtung des Unternehmens hergestellt werden. Ein Ansatzpunkt hierfür ist die Konzentration auf die wettbewerbskritischen Kerngeschäftsprozesse, die hinsichtlich ihres Stellenwerts für das Unternehmen und für seinen Erfolg im Wettbewerb von ausschlaggebender Bedeutung sind. Das Ziel der Prozessidentifikation besteht somit in der Bestimmung und gegenseitigen Abgrenzung der wettbewerbsrelevanten Kernge- 307 308 309 310 311 312 Vgl. Heilmann 1996, S. 108ff. Vgl. u.a. Elgass/Krcmar 1994, S. 75; Guha/Kettinger/Teng 1993, S. 15f. Vgl. Harrington 1991, S. 36f. Vgl. Elgass/Krcmar 1994, S. 75f. Vgl. Davenport 1993, S. 30. Vgl. Talwar 1993, S. 23. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 97 schäftsprozesse. Grundlage für die Identifikation dieser Geschäftsprozesse bildet das Konzept der kritischen Erfolgsfaktoren313 in Abbildung 37. Ableitung der kritischen Erfolgsfaktoren ! Durchführung einer Analyse – des Unternehmens – des Umfeldes – des Leistungsprogramms ! Ermittlung der Grunddaten – Technologietrends – Marktentwicklung – usw. ! Selektion der kritischen Verknüpfung von Geschäftsprozessen und Erfolgsfaktoren Bestimmung des Leistungsniveaus ! Durchführung einer ! Benchmarking-Analyse für die kritischen Erfolgsfaktoren Festlegung der eigenen Position relativ zu den Wettbewerbern Erfolgsfaktoren unter Berücksichtigung der Kundenperspektive ! Definition und Abgrenzung ! ! allgemeiner Geschäftsprozesse (Grundmodell) Ermittlung der Korrelationen zwischen den kritischen Erfolgsfaktoren und den Geschäftsprozessen Gewichtung der ermittelten Kerngeschäftsprozesse im Hinblick auf Dringlichkeit Abbildung 37: Ermittlung wettbewerbskritischer Kerngeschäftsprozesse Quelle: Heilmann 1996, S. 109. Die Vorgehensweise wird in drei Schritte eingeteilt. Vor dem Hintergrund der identifizierten Problemkategorie Inhaltsdefinition werden im Anschluss der erste und der dritte Schritt kurz dargelegt. 5.3.1 Ableitung der kritischen Erfolgsfaktoren Die grundlegenden Ursachen für den Erfolg eines Unternehmens sind vielfältiger Natur und stehen in interdependenten Beziehungen. Diese im Allgemeinen als Erfolgsfaktoren bezeichneten Ursachen ergeben sich aus dem Zusammenwirken von Einflüssen der Umwelt, der Unternehmen und der Unternehmensführung.314 Da die Einflüsse oftmals eher einen qualitativen Charakter aufweisen, lassen sie sich weder vollständig erfassen, noch lassen sich die interdependenten Beziehungen ausreichend konkretisieren. Beim Konzept der kritischen Erfolgsfaktoren wird davon ausgegangen, dass es nur einige wenige Stellhebel gibt, die einen entscheidenden Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben und daher als kritische Erfolgsfaktoren bezeichnet werden315 . Diese übernehmen somit eine Selektions- und Orientierungsfunktion, indem sie die als relevant eingestuften Betrachtungsfelder eingrenzen. Vgl. dazu Abbildung 38. 313 314 315 Vgl. zum Konzept der kritsichen Erfolgsfaktoren als Ausgangspunkt für die Identifikation der Kerngeschäftsprozesse Gaitanides 1994, S. 8; Sommerlatte/Wedekind 1989, S. 30f; Hardaker/Ward 1987, S. 114. Die Einflüsse lassen sich als Quellen von Erfolgsfaktoren bezeichnen. Vgl. dazu Adrian 1989, S. 21f. Die Annahme einer begrenzten Anzahl von Faktoren, die den Unternehmenserfolg bestimmen, wurde erstmalig von Daniel 1961 formuliert und empirisch untersucht. Er konzentrierte sich auf Branchen. Weiterführende Untersuchungen haben schliesslich zum Ergebnis geführt, dass diese Annahme nicht nur für Branchen gilt, sondern auch auf bestimmte Unternehmen anzuwenden ist. Vgl. Anthony/Dearden/Vancil 1972, S. 148ff. So verschieden die inhaltlichen Schwerpunkte sein können, so unterschiedlich sind auch die verwendeten und z.T. synonymen Bezeichnungen (z.B. kritischer Erfolgsfaktor, strategischer Erfolgsfaktor, strategic factors, key success factors, major strategic direction). TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 98 Erfolgsfaktoren Unternehmen Umwelt Unternehmensführung Selektion Kundensicht Kritische Erfolgsfaktoren Unternehmensführung Unternehmen Umwelt Ausrichtung Faktoren der Leistungsnachfrage (Kaufentscheidung) Beherrschung Kerngeschäftsprozesse Abbildung 38: Bezugsrahmen für die Identifikation von Kerngeschäftsprozessen Quelle: Heilmann 1996, S. 112. Die Ermittlung bzw. die Kenntnis der kritischen Erfolgsfaktoren sind von entscheidender Bedeutung für die Grundausrichtung des Unternehmens, da diese die Potentiale reflektieren, aus denen sich Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen ergeben können. Der Erfolg des Unternehmens lässt sich somit darauf zurückzuführen, dass es dem Unternehmen möglich ist, die für seine Branche oder für sich selbst geltenden kritischen Erfolgsfaktoren günstig zu beeinflussen bzw. zu beherrschen. Auf der Basis kritischer Erfolgsfaktoren lassen sich auch Anhaltspunkte für Massnahmen ableiten, mit denen ein effizientes Ausrichten auf die für ein Unternehmen relevanten Erfolgsfaktoren vorgenommen werden kann. Gemäss der prozessorientierten Vorstellung sind die Kerngeschäftsprozesse Ansatzpunkte für die Beeinflussung von Erfolgsfaktoren. Die Kerngeschäftsprozesse zeichnen sich nämlich u.a. dadurch aus, dass sie eine direkte Wirkung auf einen oder mehrere wettbewerbskritische Erfolgsfaktoren ausüben316 . Dies bedeutet, dass eine Korrelation zwischen bestimmten Geschäftsprozessen und den kritischen Erfolgsfaktoren besteht, die es aufzudecken gilt. Wenn das Unternehmen in der Lage ist, seine Kerngeschäftsprozesse wirkungsvoll auf die kritischen Erfolgsfaktoren hin auszurichten, resultiert daraus die Möglichkeit zum Beherrschen der kritischen Erfolgsfaktoren (vgl. Abbildung 38). Somit wird es dem Unternehmen möglich sein, sich im Wettbewerb hervorzutun bzw. sich positiv zu differenzieren. Als Grundsatz für die Ableitung kritischer Erfolgsfaktoren aus der Gesamtmenge der Erfolgsfaktoren gilt, dass man sich primär an der Sichtweise seiner Kunden orientieren sollte.317 Die Frage „Wie sehen wir unsere Kunden?” muss durch die Frage „Wie sieht der Kunde unsere Leistungen?” ersetzt werden. Denn es tritt häufig der Fall ein, dass zwischen den Einschätzungen von den an Prozessen beteiligten Mitarbeitern und den Kundenerwartungen Differenzen auftreten. 316 317 Zur Korrelation zwischen Kerngeschäftsprozessen und kritischen Erfolgsfaktoren vgl. z.B. Hammer/Champy 1993, S. 128; Sommerlatte/Wedekind 1989, S. 28f. Vgl. Wildemann 1994, S. 51. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 99 5.3.2 Verknüpfung von Geschäftsprozessen und Erfolgsfaktoren In einem weiteren Analyseschritt sind die kritischen Erfolgsfaktoren mit den Geschäftsprozessen des Unternehmens zu verbinden. Dabei tritt zunächst das Problem auf, dass man zumindest eine rudimentäre Vorstellung über die verschiedenen Geschäftsprozesse eines Unternehmens haben muss. Ein möglicher Ansatzpunkt hierfür ist die Vorstellung von einem idealtypischen Unternehmen, das eine Reihe von Standardgeschäftsprozessen aufweist. Hier kann man auf den Prozesswürfel in Abbildung 39 zurückgreifen. Allerdings ist darauf zu achten, dass man bei der Prozessdefinition nicht einfach bereits vorhandene Abteilungen, die nach funktionalen Gesichtspunkten gebildet wurden, in Geschäftsprozesse umtauft. In der Praxis werden oft bestimmte Funktionsbereiche einfach als Geschäftsprozesse definiert. So könnte z.B. die Funktion Einkauf, die vielleicht als Abteilung und Kostenstelle geführt wird, als Geschäftsprozess identifiziert werden. Dabei wird jedoch die eigentliche Zielsetzung des Ansatzes ausser Acht gelassen. Es geht letztlich um die transparente Darstellung von Heterogenitäten, die aufgrund verschiedenartiger Abläufe und Objekte zu verzeichnen sind. Nur in den seltensten Fällen bzw. nur auf einem sehr allgemeinen Niveau kann mit solch einer simplen Prozessdefinition die Wirklichkeit abbildungstreu modelliert werden.318 se es ) z r o se ns s p zes i o tur t g a k n ro r m tru z u rp f o ras üt ndä n t I nf s i er ku nt (Se U n lu Pe k ic tw sse n le e na roz o rs p Innovationsprozesse sng tl u e a s d h es n a z s t ro In p nd s s - u oze s g r u n sp a n ung l P er eu St se es z ro llp rt o n sKo ng su n g l a un e p etz se i g s t e m es r a d U roz t S n p u e tp ro ze ss e Supply Chain Prozesse gs M an ag em en Service Prozesse Wertschöpfungsprozesse (Primärprozesse) Abbildung 39: Prozesswürfel Quelle: Veasey 1994, S. 128. Im Anschluss an die Definition und Abgrenzung der unternehmensspezifischen Geschäftsprozesse gilt es, die Korrelationen zwischen den Geschäftsprozessen und den kritischen Erfolgsfaktoren aufzudecken und zu bewerten.319 Da man bereits im Rahmen der Erfolgsfaktorenanalyse ermittelt hat, bei welchen Erfolgsfaktoren Schwächen bzw. Stärken bestehen, lassen sich diese Vor- oder Nachteile auf die Konfiguration der Geschäftsprozesse zurückführen. 318 319 Vgl. Heilmann 1996, S. 117. Vgl. Sommerlatte/Wedekind 1989, S. 31. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 100 5.4 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems Im vorangehenden Abschnitt wurde der theoretische Bezug im Fachbereich Prozessmanagement320 zu den zentralen Aspekten Geschäftsprozessorientierung und Effektivität und Effizienz von Prozessen erläutert. Der Bezug wurde anhand des Ansatzes Business-ProcessManagement hergestellt. In Abbildung 40 werden die zentralen Implikationen für die Erarbeitung eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb zusammengefasst. Bei den Implikationen handelt es sich hauptsächlich um jene der Kategorien321 Entwicklungsprozess und Inhaltsdefinition. Ansatz: Business-Process-Management Aspekt: Geschäftsprozessorientierung Implikation: Bei der Umsetzung einer Strategie gilt es, Kerngeschäftsprozesse zu identifizieren und aktiv zu steuern, weil sie einen nachvollziehbaren Beitrag zum Zielsystem einer Unternehmung leisten. In der Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems sollten daher Kerngeschäftsprozesse eines Mehrkanalsystems abgebildet werden (Inhaltsdefinition). Aspekt: Effektivität von Prozessen Implikation: Die Steuerungsdimensionen eines Kennzahlensteuerungssystems sollten von den kritischen Erfolgsfaktoren abgeleitet werden und Aussagen über die Effektivität (=das Richtige tun) von Geschäftsprozessen ermöglichen (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). Aspekt: Effizienz von Prozessen Implikation: Neben der Ausrichtung am Kundennutzen (Effektivität) ist in Mehrkanalvertriebssystemen die Effizienz ein weiterer zentraler Aspekt, der in den Steuerungsdimensionen eines Kennzahlensteuerungssystems berücksichtigt werden sollte (Inhaltsdefinition). Abbildung 40: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem Quelle: Eigene Darstellung. 6. Kennzahlensysteme 6.1 Einleitung und Überblick In diesem Kapitel wird der vierte und letzte Teil des theoretischen Bezugsrahmens erläutert. Dieser Teil stellt zur vorliegenden Arbeit den theoretischen Bezug aus Sicht der betriebswirtschaftlichen Disziplin Controlling her. Die Teildisziplin betriebswirtschaftliche Kennzahlen hat dabei einen engen Bezug zum Forschungsziel der Arbeit. Vor diesem Hintergrund sind v.a. die Aspekte Operationalisierungs- und Steuerungsfunktion von Kennzahlensystemen zentral. 320 321 Vgl. theoretischer Bezugsrahmen Teil 1, Kapitel 3. Vgl. Definition der Problemkategorien in den Fussnoten von Abschnitt 1.1.3 im Teil 1. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 101 Im zweiten Abschnitt werden anhand einer Dimensionsanalyse die Funktionen, die Aufgaben, und die unterschiedlichen Verwendungszwecke von Kennzahlensystemen dargelegt. Im dritten Abschnitt werden die Implikationen für die Vertriebssteuerung zusammengefasst. 6.2 Betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme322 In diesem Abschnitt wird zu Beginn auf den Begriff, die Aufgaben und die Ziele von Kennzahlen eingegangen. Anschliessend werden der Zweck und die Verwendung von Kennzahlensystemen beurteilt. 6.2.1 Betriebswirtschaftliche Kennzahlen Begriff In der betriebswirtschaftlichen Literatur fehlt eine einheitliche Definition des Begriffs Kennzahl.323 Häufig werden Ausdrücke wie Kennziffern, Kontrollgrössen, Kontrollzahlen, Kontrollziffern, Messzahlen, Messziffern, Ratios, Richtzahlen, Schlüsselgrössen und Schlüsselzahlen synonym verwendet.324 Die folgenden Ausführungen übernehmen die klassische Begriffsbestimmung von Staehle: „Betriebswirtschaftliche Kennzahlen [...] sind Zahlen, die in konzentrierter Form über einen zahlenmässig erfassbaren betriebswirtschaftlichen Tatbestand informieren“.325 Nach Siegwart gelten gewisse Anforderungen an betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Von Kennzahlen darf nur die Rede sein, wenn sie: ! der Beurteilung der Leistungswirksamkeit von Führungsentscheidungen und ! der Analyse der ökonomischen Situation dienen sowie ! entsprechende Folgerungen hinsichtlich Ursachen und deren Folgen für die Erhaltung der Unternehmung und für ihre Zielverwirklichung erlauben.326 Grundsätzlich erlangen Kennzahlen nur durch Vergleiche Aussagekraft:327 Dies sind entweder innerbetriebliche Zeitvergleiche (Vergleich von Istzahlen eines Unternehmens zu verschiedenen Zeitpunkten bzw. aus verschiedenen Zeiträumen), Soll-Ist-Vergleiche (Vergleich von Istzahlen eines Unternehmens mit Sollwerten; Letztere sind Standard- oder Plankennzahlen) oder Objektvergleiche, bei denen verschiedene Geschäftsbereiche oder Unternehmen zum gleichen Zeitpunkt oder Zeitraum bezüglich der gleichen Kennzahlen untersucht werden.328 322 323 324 325 326 327 328 Die Ausführungen in Abschnitt 6.2 lehnen sich an die Habilitation von Reinecke 2004 an. Eine umfassende Diskussion zum Terminus Kennzahl siehe Geiss 1986, S. 29 ff. Vgl. Siegwart 1998, S. 5; Meyer 1994, S. 9. Staehle 1967, S. 62. Vgl. Siegwart 1998, S. 4. Scheuning 1967, S. 31. Vgl. Küting 1983, S. 239. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 102 Zweck von Kennzahlen Kennzahlen sind hervorragende Instrumente, um notwendige Entscheidungen des Managements vorzubereiten, zu fundieren und zu erleichtern – und in vielen Fällen überhaupt erst zu ermöglichen.329 Folgende Funktionen lassen sich im klassischen Führungszyklus unterscheiden: 330 ! Anregungsfunktion: Laufende Erfassung von Kennzahlen, um Auffälligkeiten und Veränderungen zu erkennen; ! Operationalisierungsfunktion: Bildung von Kennzahlen zur Operationalisierung und Evaluation von Zielen und Zielerreichung; ! Priorisierungs- und Vorgabefunktion: Ermittlung kritischer Kennzahlenwerte als Zielgrössen für unternehmerische Teilbereiche; ! Kommunikations- und Steuerungsfunktion: Verwendung von Kennzahlen zur Vereinfachung von Kommunikations- und Steuerungsprozessen; ! Kontroll- und Überwachungsfunktion: Laufende Erfassung von Kennzahlen, um Soll-IstAbweichungen zu erkennen bzw. Massnahmen zu überwachen. Indem in Kennzahlen betriebswirtschaftliche Tatbestände komprimiert ausgedrückt werden, reduziert sich die Gefahr technischer und semantischer Kommunikationsstörungen auf dem Weg vom Sender zum Empfänger der Information auf ein Minimum.331 Daher kommt ihnen im Rahmen des Controllings eine hohe Bedeutung zu, welches u.a. die Aufgabe der Informationskoordination übernimmt. 6.2.2 Dimensionsanalyse von Kennzahlensystemen Aufgrund der Funktionsvielfalt von Kennzahlen wird deutlich, dass eine einzelne, isoliert betrachtete Kennzahl nur eine sehr begrenzte Aussagefähigkeit haben kann332 . Sie kann letztlich immer nur einen Aspekt repräsentieren. Für komplexe Situationen sind daher zwangsläufig mehrere Kennzahlen zu bilden.333 Eine Kennzahlenvielfalt ist insbesondere dann von hohem Nutzen, wenn sie regelmässig und nach einem gezielt festgelegten Gerüst erhoben und analysiert wird.334 Ein solches Gerüst stellt ein Kennzahlensystem dar, d.h. eine geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können.335 Der Begriff System ist allerdings inhaltsleer. Er sagt noch nichts aus über die Art der Elemente oder ihre Beziehungen, über den Zweck des Systems, über die Art der Anordnung der Elemente sowie 329 330 331 332 333 334 335 Vgl. Wolf 1977, S. 15. Vgl. Weber 1999, S. 202; Wolf 1977, S. 16; Siegwart 1998, S. 16ff. Vgl. Staehle 1967, S. 223. Vgl. Wolf 1977, S. 36. Vgl. Oeller 1979, S. 124. Vgl. Bürgi 1991, S. 161. Vgl. Ulrich 1968, S. 105. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 103 über Sinn und Bedeutung des momentanen Systemverhaltens. 336 Daher ist es grundsätzlich möglich, unendlich viele verschiedene Kennzahlensysteme zu bilden. Ausgewählte Dimensionen von Kennzahlensystemen nach Funktion, Zweck und Verwendung Analyse Dokumentation Steuerung diagnostisch aktionsorientiert interaktiv wissensvermehrend affektiv nach ihrer Entwicklung induktiv abgeleitet deduktiv abgeleitet nach der Elementverknüpfung Rechensystem Ordnungssystem kausal nicht kausal deterministisch heuristisch allgemeingültig situativ eindimensional mehrdimensional monetär nicht monetär funktionsübergreifend funktionsspezifisch stellenübergreifend stellenspezifisch strategisch operativ produktbezogen kundenbezogen strukturbezogen prozessbezogen potentialbezogen instrumentbezogen geschlossen offen temporär dauerhaft diskontinuierlich stetig statisch dynamisch Planung (Planzahlen) Kontrolle (Istzahlen) IT-unterstützt Nicht IT-unterstützt nach dem Bezugsobjekt nach der Abgeschlossenheit nach der zeitlichen Dimension nach der ITUnterstützung Abbildung 41: Dimensionsanalyse von Kennzahlensystemen Quelle: Reinecke 2004, S. 72. In Abbildung 41 werden Kennzahlensysteme in Form einer Dimensionsanalyse systematisiert. In den folgenden Abschnitten werden im Hinblick auf die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit die Systematisierungsmerkmale Funktion und Zweck sowie die Verwendung von Kennzahlensystemen kurz erläutert. Funktionen von Kennzahlensystemen Zahlreiche Autoren ordnen dem Systembegriff eine finale Komponente zu, d.h. eine Zweckorientiertheit.337 Dies ist für Kennzahlensysteme hochrelevant, weil sich ihre Strukturen je nach Verwendungszweck und Funktion stark unterscheiden. 336 Vgl. Ulrich 1968, S. 106. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 104 Ähnlich wie Einzelkennzahlen erfüllen betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme primär Informationsaufgaben.338 Dabei lassen sich drei Funktionen bzw. Zwecke asumachen:339 ! Analysefunktion: Dient ein Kennzahlensystem der Analyse, so soll es den Anwender dabei unterstützen, auf der Basis quantitativ erfasster Sachverhalte zu einem Urteil zu kommen. Diese Urteilsbildung kann einerseits intuitiv erfolgen, andererseits aber auch durch Reduktionsverfahren unterstützt werden. Bei diesen Verfahren unterscheidet man zwischen der Indexkonstruktion (Zusammenfassung mehrerer Kennzahlen in einer Zahl) und der Mustererkennung (Kennzahlen als quantitative Merkmale in einem Mustererkennungsprozess).340 Die Analysefunktion überwiegt beispielsweise bei Kennzahlensystemen der Bilanzanalyse. ! Dokumentationsfunktion: Kennzahlensysteme können Plan- und Istgrössen der Vergangenheit dokumentieren und speichern. Die Dokumentationsfunktion ist allerdings nicht selbstständig, sondern unterstützt lediglich die Analyse- oder die Steuerungsfunktion. Die dokumentierten Grössen werden zu Zeit- oder Objektvergleichen eingesetzt. ! Lenkungs- bzw. Steuerungsfunktion: Kennzahlensysteme werden häufig auch dazu eingesetzt, das Verhalten eines Systems zu steuern. Voraussetzung ist, dass bestimmte Einzelkennzahlen (beispielsweise ROI, Marktanteil oder Kundenzufriedenheit) zu Normen erhoben werden.341 Die meisten unternehmensintern eingesetzten Systeme verfolgen diesen Zweck. Fast alle Kennzahlensysteme erfüllen mehrere Funktionen gleichzeitig, sind allerdings meistens speziell aus dem Blickwinkel einer der Funktionen konstruiert. Verwendung von Kennzahlensystemen Unabhängig davon, zu welchem Zweck Kennzahlensysteme ursprünglich aufgestellt wurden, ist die Art und Weise relevant, wie das Management die Informationen tatsächlich einsetzt. Menon und Varadarajan342 unterscheiden hierbei drei Arten: ! Aktionsorientierte Nutzung: Die Informationen bewirken Verhaltensänderungen oder lösen Handlungen aus. Sie können instrumentell (z.B. um Entscheidungen zu treffen) oder symbolisch verwendet werden. Letzteres ist dann der Fall, wenn Informationen eingesetzt werden, um Entscheidungen zu rechtfertigen, nachdem sie bereits gefallen sind. ! Wissensverbessernde Nutzung: Hierbei verbessern die Informationen das Wissen und Verständnis. Sie lösen Denkprozesse aus. ! Affektive Nutzung: Informationen werden genutzt, um sich bezüglich einer Entscheidung wohl zu fühlen und zwar entweder aufgrund des Informationsinhalts oder einfach aufgrund der Tatsache, dass überhaupt Informationen vorliegen. 337 338 339 340 341 342 Vgl. Staehle 1967, S. 6. Vgl. Geiss 1986, S. 104. Vgl. Geiss 1986, S. 104; Caduff 1981, S. 45. Vgl. Mertens 1977; Geiss 1986, S. 111. Vgl. Geiss 1986, S. 105. Vgl. Menon/Varadarajan 1992, S. 61f. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 105 Diese Unterscheidung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn man Kennzahlensysteme hinsichtlich ihres konkreten Nutzens in der Praxis untersucht. So zeigt beispielsweise eine Studie bei 143 deutschen Industrieunternehmen, dass bei Kostenrechnungsinformationen die symbolische Nutzung genauso wichtig ist wie die instrumentelle.343 Definition von Kennzahlensystemen Im Weiteren werden Kennzahlensysteme wie folgt definiert: „Kennzahlensysteme sind eine zweckorientierte Gliederung betriebswirtschaftlicher Kenngrössen. Es handelt sich um eine logische und/oder rechnerische Verknüpfung mehrerer Kennzahlen, die zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und sich gegenseitig ergänzen. Kennzahlensysteme erfüllen in einer schlecht strukturierten Problemsituation Informationsaufgaben, insbesondere zur Analyse und Steuerung.“ 344 Diese Definition: ! unterstreicht die Bedeutung des Zwecks als primäres Gliederungsmerkmal, ! verzichtet auf eine normative Festlegung eines bestimmten Skalenniveaus, ! hebt Analyse und Steuerung als wichtigste Funktionen hervor, ! stellt klar, dass eine rechnerische Verknüpfung von Kennzahlen kein notwendiges Kriterium ist. Wohl aber wird eine logische Abhängigkeit gefordert, um die Informationsfunktion erfüllen zu können. Die Definition gibt noch keinerlei Hinweise auf die Güte eines Kennzahlensystems. Auf letztere wird im Anschluss kurz eingegangen. 6.3 Allgemeine Gütekriterien für Kennzahlensysteme In diesem Abschnitt werden allgemeine Gütekriterien für Kennzahlensysteme nur in Form einer Übersicht dargestellt. Die Kritierien werden in Teil 3 eingehender erläutert und in eine umfassende Betrachtung hinsichtlich der Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem eingebunden. Zahlreiche Wissenschaftler haben sich mit den Anforderungen an betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme beschäftigt.345 Dabei handelt es sich i.d.R. um induktiv ermittelte Kritierien, weil eine Theorie der Kennzahlen nicht existiert und es somit auch nicht möglich ist, Systemanforderungen deduktiv abzuleiten.346 In Abbildung 42 wird der derzeitige Stand von Wissenschaft und Praxis in Bezug auf allgemeine Gütekriterien zusammengefasst. 343 344 345 346 Vgl. Homburg et al. 2000, S. 251. Diese Definition stammt von Reinecke 2004, S. 76. Er übernimmt Merkmale von Staehle 1967, S. 74; Küting 1983, S. 238; Geiss 1986, S. 100 und Siegwart 1998, S. 27. Diller 1976; Reichmann/Lachnit 1976; Caduff 1981; Geiss 1986; Simons 1995; Siegwart 1998; Reinecke 2004. Vgl. Geiss 1986, S. 86. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 106 Ein nützliches Kennzahlensystem ist: problemgerecht ! Kennzahlen entsprechen zeitlich und sachlich dem verfolgten Ziel als Diagnose- oder Steuerungsinstrument. ! Richtiger Informationsgrad (Aggregationsgrad, Aktualität, Periodizität) ! Angemessene Informationsqualität (Validität und Reliabilität) ! Schutz vor Manipulation und unerwünschten Suboptima (Robustheit) konsistent ! ! ! ! flexibel ! Dynamisierbarkeit des Systems, Anpassungsfähigkeit an Veränderungen (Möglichkeit, Kennzahlen zu ergänzen und zu eliminieren) ! Integrationsmöglichkeit externer Daten ! Modularität benutzer- und organisationsgerecht ! Kompatibilität mit Organisationsstruktur ! Wahrgenommene Nützlichkeit des Systems für die Benutzer bzw. Stakeholder (subjektiver Sinngehalt, Betroffenheit, Informationsgehalt) ! Glaubwürdigkeit des Systems (Realitätsbezug, Vollständigkeit, Spezifität) ! Standardisierung ! Einbindung in Führungs- und Controllingprozesse ! Kompaktheit, Transparenz wirtschaftlich ! Aufwand der Datenerhebung und –verarbeitung ! Automatisierung, Grad der Unterstützung mit Hilfe von Informationstechnologien Ursache-Wirkungszusammenhang, Frühwarnung Widerspruchsfreiheit Ausgewogenheit Eindeutige Operationalisierung Abbildung 42: Allgemeine Anforderungen an Kennzahlensysteme Quelle: Reinecke 2004, S. 77. 6.4 Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems Im vorangehenden Kapitel wurde der theoretische Bezug im Fachbereich Kennzahlensysteme347 zu den zentralen Aspekten Aufgaben, Ziele, Zweck und Verwendung von Kennzahlensystemen und Gütekriterien von Kennzahlensystemen erläutert. Der Bezug wurde anhand der Erkenntnisse aus der traditionellen und modernen betriebswirtschaftlichen Kennzahlenforschung hergestellt. 347 Vgl. theoretischer Bezugsrahmen Teil 1, Kapitel 3. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 107 In Abbildung 43 werden die zentralen Implikationen für die Erarbeitung eines Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb zusammengefasst. Bei den Implikationen handelt es sich hauptsächlich um jene der Kategoriem348 Inhaltsdefinition und Messmethode. Ansatz: Betriebswirtschaftliche Kennzahlenforschung Aspekt: Funktion, Zweck und Verwendung von Kennzahlensystemen Implikationen: ! Funktion und Zweck: Betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme können unterschiedliche Funktionen (Analyse, Steuerung und Dokumentation) wahrnehmen. Ein Kennzahlensteuerungssystem trägt instrumental zur Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und zur strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalsystems bei. Vor diesem Hintergrund nimmt es primär eine Steuerungsfunktion wahr. Die Konzeption eines solchen Systems sollte dafür zweckmässige Kennzahlendimensionen enthalten (Inhaltsdefinition, Messmethode). ! Verwendung: Bei der Verwendung von Kennzahlensystemen werden drei Arten unterschieden, wie das Management die Informationen tatsächlich einsetzt (aktions-, wissensbasierte und affektive Nutzung). Ein Kennzahlensteuerungssystem sollte so gestaltet werden, dass es aktionsorientiert verwendet wird, um einen Beitrag zur Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie bzw. zur strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems zu leisten (Inhaltsdefinition, Messmethode). Aspekt: Gütekriterien von Kennzahlensystemen Implikation: Ein nützliches Kennzahlensystem ist problemgerecht, benutzer- und organisationsadäquat, konsistent, flexibel und wirtschaftlich. Es sollte konzeptionell so ausgestaltet sein, dass es diese allgemeinen Anforderungen erfüllt (Inhaltsdefinition, Messmethode). Abbildung 43: Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem Quelle: Eigene Darstellung. 7. Zusammenfassung und Fazit Das Ziel im Teil 2 war, anhand des theoretischen Bezugsrahmens Implikationen für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb herzuleiten. Die Implikationen wurden pro Fachbereich (Distribution, Zielplanung und Strategie-implementierung, Prozessmanagement, Kennzahlensysteme) unter Berücksichtigung der in Teil 1349 identifizierten Problemkategorien (Inhaltsdefinition, Messmethode, Entwicklungsvorgehen) bei Kennzahlensteuerungssystemen im Mehrkanalvertrieb herausgearbeitet. Ziel und Gegenstand dieses abschliessenden Kapitels ist die Implikationen zusammenzufassen. 348 349 Vgl. Definition der Problemkategorien in den Fussnoten von Abschnitt 1.1.3 im Teil 1. Vgl Teil 1, Abschnitt 1.1.3. TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 108 Distribution ! Die Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs ist die Sicherstellung der Markt- und Konsumreife der Unternehmensleistungen. Dieser Aspekt sollte durch geeignete Kennzahlendimensionen in einem Kennzahlensteuerungssystem berücksichtigt werden (Inhaltsdefinition). ! Mehrkanalsysteme sind „vernetzt“ und es bestehen Wechselwirkungen zwischen den Vertriebskanälen (z.B. kanalübergreifende Prozesse). Diese haben einen Einfluss auf den Vertriebserfolg und sollten in einem Kennzahlensteuerungssystem konzeptionell erfasst werden (Inhaltsdefinition). ! Mit der Konfiguration eines Mehrkanalvertriebssystems werden Entscheidungen über die Gestaltung des Absatzkanal-Mixes getroffen. Die Konfiguration eines Mehrkanalsystems sollte in einem Kennzahlensteuerungssystem entsprechend abgebildet sein, um eine strategieorientierte Steuerung zu ermöglichen (Inhaltsdefinition). ! Im Rahmen der Koordination wird definiert, wie ein Mehrkanalsystem erfolgreich gesteuert und die Kanäle aufeinander abgestimmt werden können. Der Koordinationsansatz eines Mehrkanalsystems hat einen Einfluss auf das Entwicklungsvorgehen eines Kennzahlensteuerungssystems (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). Zielplanung und Strategieimplementierung ! Inhaltlich können Ziele in Formal- und Sachziele unterteilt werden. Formalziele zeigen das Ergebnis des güter- und finanzwirtschaftlichen Umsatzprozesses. Der Umsatzprozess wiederum wird in Form von Sachzielen erfasst. In einem Kennzahlensteuerungssystem sollte diese Strukturierung in einer geeigneten Form entsprechend berücksichtigt werden (Inhaltsdefinition). ! Es gibt kein allgemeingültiges Modell zur konzeptionellen Erfassung der Strategieformierung. Präskriptive Modelle vermitteln eine normative Sicht, wie Strategien entwickelt werden sollten. Deskriptive Ansätze sind Erklärungsmodelle zur tatsächlichen Bildung von Strategien. Die Planungsrationalität sollte in der Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem berücksichtigt werden. ! Die Planung und die Implementierung bilden im Prozess des strategischen Managements eine Einheit. Kennzahlensysteme als Informations- und Führungssysteme dienen der Implementierung als auch der Planung von Strategien. Ein Kennzahlensteuerungssystem sollte daher in den gesamten Managementprozess eingebunden werden. ! Bei der strategischen Kontrolle wird zwischen Prämissen-, Durchführungs- und Wirksamkeitskontrolle unterschieden. Um eine umfassende Kontrolle im Rahmen der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie zu gewährleisten, sollte ein Kennzahlensystem diese drei Formen konzeptionell abbilden. Prozessmanagement ! Bei der Umsetzung einer Strategie gilt es, Kerngeschäftsprozesse zu identifizieren und aktiv zu steuern, weil sie einen nachvollziehbaren Beitrag zum Zielsystem einer Unternehmung leisten. In der Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems sollten daher Kerngeschäftsprozesse eines Mehrkanalsystems abgebildet werden (Inhaltsdefinition). TEIL 2: KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN 109 ! Die Steuerungsdimensionen eines Kennzahlensteuerungssystems sollten von den kritischen Erfolgsfaktoren abgeleitet werden und Aussagen über die Effektivität und die Effizienz von Geschäftsprozessen ermöglichen (Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition). Kennzahlensysteme ! Ein Kennzahlensteuerungssystem trägt instrumental zur Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und zur strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalsystems bei. Vor diesem Hintergrund nimmt es primär eine Steuerungsfunktion wahr. Die Konzeption eines solchen Systems sollte dafür zweckmässige Kennzahlendimensionen enthalten (Inhaltsdefinition, Messmethode). ! Ein Kennzahlensteuerungssystem sollte so gestaltet werden, dass es aktionsorientiert verwendet wird, um einen Beitrag zur Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie bzw. zur strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems zu leisten (Inhaltsdefinition, Messmethode) Fazit: Im Teil 2 dieser Arbeit wurden aus Sicht der vier relevanten Forschungsdisziplinen bzw. der jeweiligen Ansätze unterschiedliche Implikationen herausgearbeitet. In jeder Disziplin gibt es Implikationen zu einer oder mehreren der eingangs identifizierten Problemkategorien. Als Folge überschneiden oder ergänzen sich diese Implikationen. Im nächsten Schritt gilt es, losgelöst von der jeweiligen Forschungsdisziplin diese Implikationen zu verdichten und konkrete Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem abzuleiten. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 110 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 1. Überblick und Einführung Ziel und Gegenstand von Teil 3 ist das Herausarbeiten von konzeptionellen Anforderungen bzw. Gestaltungsprinzipien für ein Kennzahlensteuerungssystem. Dies geschieht unter Berücksichtigung der in Teil 1 beschriebenen Problemstellungen und der in Teil 2 abgeleiteten fachbereichsspezifischen Implikationen. Teil 3 ist somit als Synthese der bisherigen Erkenntnisse zu verstehen. In Abbildung 44 wird der Zusammenhang zwischen den Teilen 1 bis 3 nochmals im Überblick aufgezeigt. Problemstellungen aus der Bankpraxis im Zusammenhang mit Mehrkanalvertriebsstrategien Vertriebsorganisation Vertriebssteuerungssystem i.w.S. Vertriebssteuerungssystem i.e.S. Identifikation von Problemkategorien Teil 1 Ableitung relevanter Aspekte Ableitung des theoretischen Bezugs: Identifikation der zentralen Ansätze Teil 2 Ableitung der zentralen Implikationen unter Berücksichtigung der Problemkategorien Abstrahierung der Problemkategorien in Anforderungsdimensionen Ableitung von Anforderungen pro Anforderungsdimension Teil 3 Evaluation bestehender Konzeptionsvorschläge Konzeptionelle Rahmenbedingungen Abbildung 44: Vorgehensweise zur Ableitung von Anforderungen Quelle: Eigene Darstellung. Nach der Einführung werden in Kapitel 2 die konzeptionellen Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem hergeleitet. Dazu werden die Implikationen aus den Fachbereichen Distribution, Zielplanung und Strategieimplementierung, Prozessmanagement und Kennzahlensysteme verdichtet und in zentrale Anforderungsdimensionen überführt. Die konzeptionellen Anforderungen von Kapitel 2 werden in Kapitel 3 mit der Evaluation bestehender Konzeptionsvorschläge von Kennzahlensystemen ergänzt. Die Beurteilung verfolgt im Sinne einer Metaanalyse das Ziel, Aspekte zu identifizieren, die Vorbildcharakter oder exploratives Potential für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems haben. Im Kapitel 4 werden anschliessend die zentralen Erkenntnisse im Sinne konzeptioneller Rahmenbedingungen für ein Kennzahlensteuerungssystem zusammengefasst. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 111 2. Konzeptionelle Anforderungen In diesem Kapitel werden die im Teil 2 hergeleiteten fachbereichsspezifischen Implikationen in zentrale Anforderungsdimensionen eines Kennzahlensteuerungssystems transformiert. Die Dimensionen dienen dabei der inhaltlichen Strukturierung zentraler Anforderungen. Die drei Dimensionen sowie die darin enthaltenen Kernanforderungen wurden im Rahmen von standardisierten Interviews mit Experten350 verifiziert. 2.1 Ableitung von Anforderungsdimensionen In Teil 2 wurden die für die vorliegende Arbeit relevanten Aspekte und die gewählten Ansätze anhand des theoretischen Bezugsrahmens erläutert. Unter Berücksichtigung der Problemkategorien wurden pro Fachbereich bzw. pro Ansatz spezifische Implikationen hergeleitet. In den einzelnen Fachbereichen wurden jeweils Erkenntnisse für mehrere Problemkategorien gewonnen. In Teil 3 wird von der fachbereichsspezifischen Perspektive zurück in die problemkategorieorientierte Perspektive gewechselt. Die Implikationen pro Fachbereich werden somit wieder aus Sicht der Problemkategorien351 bei der Vertriebssteuerung i.e.S. betrachtet. Mit dem Perspektivenwechsel geht zugleich eine Abstrahierung bzw. Überführung der Problemkategorien in Anforderungsdimensionen einher. In Abbildung 45 wird die Herleitung der Anforderungsdimensionen schematisch aufgezeigt. Implikationen pro Fachbereich anhand der Problemkategorien Distribution Zielplanung und Strategieimplementierung ! Entwicklungs- ! Entwicklungs- ! ! Inhaltsdefinition ! Messmethode prozess Inhaltsdefinition Problemkategorien bei der Vertriebssteuerung i.e.S. Anforderungsdimensionen Kernanforderung Entwicklungsprozess Prozess (situativ) Strategieprozess- und organisationskonformes Entwicklungsvorgehen Inhalt Kontext (situativ) Kontextspezifische Kennzahlen Messmethode Messkonzeption (normativ) Messkonzeptionsgerechtes Kennzahlensystemdesign prozess Kennzahlensysteme Prozessmanagement ! Inhaltsdefinition ! Messmethode ! Entwicklungsprozess ! Inhaltsdefinition Abbildung 45: Ableitung der Anforderungsdimensionen Quelle: Eigene Darstellung. 350 351 Vgl. Expertengespräche I-1 bis I-8. Die Experten stammen aus unterschiedlichen Bereichen der Credit Suisse. Die Auswahl der Experten erfolgt dabei unter Zuhilfenahme des theoretischen Bezugsrahmens. Ziel bei der Auswahl war, Experten mit der fachlichen Kompetenz aus einer oder mehreren betriebswirtschaftlichen Forschungsdisziplinen (Marketing, strategisches Management, Organisation und Controlling) gemäss theoretischem Bezugsrahmen zu interviewen. Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.2.3. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 112 Die Problemkategorie Entwicklungsprozess wird in die Anforderungsdimension Prozess352 überführt. Die Kernanforderung dieser Dimension lautet, dass das Entwicklungsvorgehen eines Kennzahlensteuerungssystems strategieprozess- und organisationskonform sein sollte. Dies bedeutet, dass beim Herleiten eines Kennzahlensteuerungssystems strategieprozessuale und organisatorische Aspekte berücksichtigt werden sollten. Strategieprozesse und Aufbauorganisationen können in Unternehmen unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Dimension Prozess hat daher situativen Charakter, da die darin enthaltenen Anforderungen353 bzw. Einflussfaktoren unterschiedliche Ausprägungen annehmen können. Das in der Dimension Prozess erfasste Entwicklungsvorgehen wird demnach durch unterschiedliche Ausprägungen der Anforderungen beeinflusst. Die Problemkategorie Inhalt wird in die Anforderungsdimension Kontext überführt. Die Kernanforderung dieser Dimension lautet, dass Kennzahlen kontextspezifisch354 sein sollten, damit sie im konkreten Verwendungszweck nützlich355 sein können. Dies bedeutet, dass die Identifikation der relevanten Kennzahlen für ein Kennzahlensteuerungssystem vom Kontext abhängig ist. Die Dimension Kontext hat daher auch situativen Charakter, da die darin enthaltenen Anforderungen356 unterschiedliche Ausprägungen annehmen können. Die jeweiligen Ausprägungen haben somit einen Einfluss auf die Auswahl der „richtigen“ Kennzahlen. Die Problemkategorie Messmethode wird in die Anforderungsdimension Messkonzeption überführt. Die Kernanforderung dieser Dimension lautet, dass das Kennzahlensystemdesign messkonzeptionsgerecht ausgestaltet sein sollte. Das Grunddesign357 des Kennzahlensystems sollte daher für den Zweck der Vertriebssteuerung geeignet sein. Die Dimension beinhaltet i.w.S. messkonzeptionstechnische Aspekte, welche bei der Entwicklung eines Kennzahlensteuerungssystems berücksichtigt werden sollten. Die Dimension Messkonzeption hat normativen Charakter, weil die darin enthaltenen Anforderungen spezifisch für die Vertriebssteuerung sind und keine unterschiedlichen Ausprägungen annehmen. 2.2 Notwendige Anforderungen Nach der konzeptionellen Herleitung der drei Anforderungsdimensionen wird eine weitere Strukturierungshilfe eingeführt. Sinn dieses zusätzlichen Strukturierungsmerkmals ist die Un- 352 353 354 355 356 357 Reinecke weist in seiner Habilitation auch darauf hin, dass bei der Erarbeitung eines Kennzahlensystems prozessuale Aspekte berücksichtigt werden sollten. Eine seiner zentralen Anforderungen ist die Notwendigkeit der Einbindung des Kennzahlensystems in den Führungszyklus (vgl. Reinecke 2004, S. 400ff). Vgl. Abschnitte 2.2 und 2.3. Siegwart fordert, dass Kennzahlensysteme situationsabhängig zu gestalten sind und somit an den spezifischen Kontext angepasst werden sollten (vgl. Siegwart 1998, S. 147). Reinecke weist in seiner Habilitation empirisch nach, dass die inhaltliche Ausgestaltung von Kennzahlensystemen und somit die Wahl der jeweils relevanten Kennzahlen von zahlreichen exogenen (Branche, Konkurrenz, Umfeld) und endogenen Faktoren (Unternehmensstrategie, Unternehmenskultur, Organisationsform, Führungsstil etc.) abhängig ist (vgl. Reinecke 2004, S. 388ff.). Die Forderungen von Siegwart und Reinecke werden in der vorliegenden Arbeit konzeptionell in der Dimension Kontext berücksichtigt. Reinecke definiert die Nützlichkeit eines Kennzahlensystems wie folgt: „Ein Kennzahlensystem ist dann nützlich (=zweckgerecht), wenn es dem jeweiligen Problem angemessen, konsistent, flexibel, benutzer- und organisationsgerecht sowie wirtschaftlich ist.“ (Reinecke 2004, S. 77f.). Diese Definition der Nützlichkeit wird im Abschnitt 2.2 in den notwendigen Anforderungen im Detail erläutert. Vgl. Abschnitte 2.2 und 2.3. Unter dem Design wird in dieser Arbeit die Grundkonzeption eines Kennzahlensystems verstanden (vgl. Reinecke 2004, S. 84ff.). TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 113 terscheidung zwischen notwendigen und hinreichenden Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem. Die notwendigen Anforderungen basieren auf den allgemeinen Gütekriterien358 für Kennzahlensysteme. Durch diese Gütekriterien bzw. Anforderungen wird der derzeitige Stand359 von Wissenschaft und Praxis zusammengefassst. Diese Anforderungen sind als allgemein gültige Ansprüche zu interpretieren, welche für alle Arten von Kennzahlensystemen zutreffen. Für ein Kennzahlensteuerungssystem im Mehrkanalvertrieb können sie daher nur als notwendige Anforderungen berücksichtigt werden. Anforderungsdimensionen Notwendige Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem Prozess (situativ) " Strategieprozess- und organisationskonformes Entwicklungsvorgehen ! Einbindung in den gesamten Managementprozess – Kennzahlensystem als umfassender Handlungsrahmen zur Planung, Kontext (situativ) " Kontextspezifische Kennzahlen Messkonzeption (normativ) " Messkonzeptionsgerechtes Kennzahlensystemdesign Implementierung und Kontrolle von Strategien ! Konformität mit dem Strategieprozessmodell – Berücksichtigung der Planungsrationalität des strategischen Managements ! Problemangemessenheit – Kennzahlen entsprechen inhaltlich dem Zweck der Steuerung und verfügen über einen geeigneten Informationsgrad – Angemessene Informationsqualität und Robustheit ! Benutzer- und Organisationsadäquanz – Kompatibilität mit der Organisationsstruktur – Wahrgenommene Nützlichkeit für Stakeholder – Glaubwürdigkeit (Realitätsbezug, Spezifität) ! Konsistenz – Ursache-Wirkungszusammenhang – Widerspruchsfreiheit – Eindeutige Operationalisierung der Messung ! Flexibilität – Dynamisierbarkeit des Systems – Modularität ! Wirtschaftlichkeit – Aufwand der Datenerhebung und -verarbeitung – Hoher Automatisierungsgrad Abbildung 46: Übersicht über die notwendigen Anforderungen Quelle: Eigene Darstellung. In den folgenden Abschnitten werden die notwendigen Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem pro Dimension beschrieben. 2.2.1 Dimension Prozess In der vorliegenden Arbeit wird ein Kennzahlensystem erarbeitet, welches instrumental der Implementierung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und somit der strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems dient. Die Kernanforderung dieser Dimension lautet, dass das Entwicklungsvorgehen strategieprozess- und organisationskonform sein sollte. Weil 358 359 Vgl. Teil 2, Abschnitt 6.3. Zahlreiche Wissenschaftler haben sich bereits mit den Anforderungen an Kennzahlensysteme beschäftigt (vgl. Diller 1976, S. 101; Reichmann/Lachnit 1976, S. 705f.; Caduff 1981, S. 29ff.; Küting 1983; Geiss 1986, S. 112). Dabei handelt es sich i.d.R. um induktiv ermittelte Kriterien, weil eine Theorie der Kennzahlen nicht existiert. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 114 das Entwicklungsvorgehen einen Einfluss auf die im Kennzahlensystem abgebildeten Kennzahlen hat, ist diese Anforderung ist eine Grundvoraussetzung für die Herleitung eines nützlichen Kennzahlensystems mit dem Zweck der strategischen Steuerung. Aus der Kernanforderung lassen sich zwei spezifische notwendige Anforderungen ableiten. Das Entwicklungsvorgehen für ein Kennzahlensystem mit dem Zweck360 der strategischen Steuerung sollte in den gesamten Managementprozess eingebunden werden. Ferner sollte es mit dem unternehmungsspezifischen Strategieprozessmodell361 konform sein. Diese beiden notwendigen Anforderungen stellen Ansprüche dar, welche nicht in den allgemeinen Gütekriterien enthalten sind. Für die Erarbeitung eines nützlichen Kennzahlensteuerungssystem erscheint die Erweiterung der allgemeinen Gütekriterien um diese beiden notwendigen Anforderungen jedoch sinnvoll und notwendig. Einbindung in den gesamten Managementprozess Eine notwendige Bedingung für die Nützlichkeit eines Kennzahlensystems mit dem Zweck der strategischen Steuerung362 ist dessen Einbindung in den gesamten Management- bzw. Führungsprozess. Die Nützlichkeit und Akzeptanz eines derartigen Kennzahlensystems in einer Unternehmung ist am höchsten, wenn es als umfassender Handlungsrahmen zur Planung, Implementierung und Kontrolle von Strategien angewandt wird: ! Strategische Zielplanung: Ausgehend von den Ergebnissen bzw. Istwerten der Kennzahlen der letzten Geschäftsperiode werden Ziele für die kommende(n) Periode(n) festgelegt. Durch die Einbindung des Kennzahlensystems in die Zielplanung können Ergebnisse der vergangenen Geschäftsperiode zur Formulierung und Plausibilisierung neuer Ziele herangezogen werden. Dadurch werden strategische Feedback- und Lernprozesse363 initiiert. ! Strategieauswahl: Ein strategisches Kennzahlensteuerungssystem sollte nach der Zielplanung die Auswahl der geeigneten Strategie unterstützen. Dies ist dann möglich, wenn mit dem Kennzahlensystem Strategiealternativen operationalisiert und die jeweils zu erwartenden Ergebnisse analysiert werden können. ! Strategieimplementierung: Nach der Auswahl der geeigneten Strategie sollten anhand des Kennzahlensteuerungssystems Ziele und Messgrössen für die unterschiedlichen Unternehmensbereiche formuliert werden. Schliesslich ist die Anbindung des Kennzahlensystems an ein Anreizsystem364 notwendig, um die Implementierung einer Strategie sicherzustellen. ! Strategische Kontrolle: Das Kennzahlensteuerungssystem soll in diesem Schritt als Instrumentarium zur Analyse von Soll- und Istabweichungen dienen. Die in diesem Schritt gewonnenen Erkenntnisse sind wiederum die Basis für die strategische Zielplanung. 360 361 362 363 364 Vgl. dazu die verschiedenen Funktionen und Zwecke von Kennzahlensystem in Teil 2, Abschnitt 6.2.2. Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.2. Vgl. die unterschiedlichen Zwecke und Funktionen von Kennzahlensystemen Teil 2, Abschnitt 6.2.2. Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.2.1. Vgl. Probleme bei der Implementierung von Mehrkanalvertriebsstrategien in Teil 1, Abschnitt 1.1.2. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 115 Strategische Zielplanung Strategieauswahl Kennzahlensystem zur integrierten Steuerung des Mehrkanalvertriebs Strategische Kontrolle Strategieimplementierung Abbildung 47: Einbindung in den gesamten Managementprozess Quelle: In Anlehnung an Kaplan/Norton/Horvath 1997, S. 10. In Abbildung 47 wird die Einbindung des Kennzahlensteuerungssystems in den Managementprozess schematisch dargestellt. Konformität mit dem Strategieprozessmodell Müller-Stewens argumentiert, dass im Rahmen des strategischen Managements neben dem Inhalt von Strategien auch der Prozess, durch den sie sich formieren, intensiver Aufmerksamkeit bedarf.365 Er argumentiert, dass die Weichenstellung, die durch den Prozess getroffen wird, erheblichen Einfluss auf die inhaltliche Qualität von Strategien sowie deren operative Wirksamkeit und Ergebnisse hat. Die Feststellung, dass es unterschiedliche präskriptive und deskriptive Strategieprozessmodelle gibt, ist in der Dimension Prozess für das Entwicklungsvorgehen eines Kennzahlensteuerungssystems von zentraler Bedeutung.366 Die Anforderung in der Dimension Prozess ist somit die Konformität des Entwicklungsvorgehens mit dem jeweiligen Strategieprozessmodell einer Unternehmung. Für die zu erarbeitenden Gestaltungsempfehlungen sind v.a. die deskriptiven Prozessmodelle kritisch. Empirische Untersuchungen von Mintzberg367 belegen, dass Strategien in der Realität eher selten gemäss präskriptiven368 Prozessmodellen in einem formell dokumentierten, sequenziellen Prozess formuliert, implementiert und kontrolliert werden.369 Mintzberg stellte fest, dass die letztlich realisierten Strategien eines Unternehmens oft nicht mit den ursprüng- 365 Vgl. Müller-Stewens 2005, S. 60ff. Vgl. die verschiedenen Strategieprozessmodelle in Teil 2, Abschnitt 4.2. 367 Vgl. Mintzberg/Waters 1985. 368 Vgl. dazu das Strategieprozessmodell der Harvard Business School (Andrews 1971, S. 41). 369 In den Expertengesprächen wurde diese Feststellung mehrmals bestätigt. Zahlreiche Massnahmen, welche in die Praxis umgesetzt werden, sind oft nicht auf explizit formulierte Strategien zurückzuführen. Initiativen mit strategischem Charakter werden oft eher opportunistisch und unterjährig entworfen und umgesetzt. Vgl. I-05; I-06; I-07; I-08. 366 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 116 lich intendierten übereinstimmen.370 Die Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem sollte derart ausgestaltet sein, dass sie mit unterschiedlichen Strategieformierungsansätzen bzw. –Prozessmodellen kompatibel ist. 2.2.2 Dimension Kontext Die Kernanforderung in der Dimension Kontext ist die kontextspezifische und zweckgebundene Auswahl von Kennzahlen. Kennzahlensysteme sind umso nützlicher, je spezifischer sie inhaltlich ausgestaltet sind.371 Aus dieser Kernanforderung lassen sich die beiden folgenden notwendigen Anforderungen372 ableiten: Kennzahlensteuerungssysteme müssen problemangemessen sowie benutzer- und organisationsadäquat sein. Problemangemessenheit Die Problemangemessenheit ist das wichtigste Gütekriterium für ein Kennzahlensteuerungssystem, weil es sich dabei um eine inhaltliche und nicht um eine formale Anforderung handelt. Ein Kennzahlensteuerungssystem kann noch so konsistent, flexibel, benutzergerecht und wirtschaftlich sein: Wenn es dem eigentlichen Zweck nicht gerecht wird, entfaltet es keinen Nutzen.373 Ein Kennzahlensteuerungssystem ist problemangemessen, wenn die verwendeten Kennzahlen zeitlich und sachlich dem verfolgten Zweck der Steuerung entsprechen.374 Es muss somit die Anforderung der Wesentlichkeit erfüllen.375 Problemangemessenheit bedeutet ferner, dass die Daten jeweils auf dem richtigen Informationsgrad zur Verfügung stehen. Je nach Fragestellung werden unterschiedliche Forderungen bezüglich Vollständigkeit, Wahrheit, Aktualität, Genauigkeit und Objektivität der Informationen gestellt.376 Daraus können wiederum unterschiedliche Anforderungen an Validität und Reliabilität der Kennzahlenmessung abgeleitet werden. Zur Steuerung der Liquidität eines Unternehmens benötigt man beispielsweise andere Informationen (insbesondere auf einem anderen Aggregationsgrad) als zur Absatzplanung. Ein wichtiger Teilaspekt der Problemangemessenheit ist die Robustheit: Wie schwierig ist es, vom Kennzahlensystem abwegige, vielleicht sogar manipulierte Ergebnisse zu erhalten?377 Benutzer- und Organisationsadäquanz Die Forderung nach Benutzer- und Organisationsadäquanz basiert auf den kybernetischen Grundsätzen der Rekursivität. Diese beruhen auf dem Prinzip der Homologie, das besagt, 370 371 372 373 374 375 376 377 Vgl. Abbildung 27. Vgl. Siegwart 1998, S. 147; Reinecke 2004, S. 388. Die Anforderungen in der Dimension Kontext basieren auf den von Reinecke erarbeiteten Gütekriterien (Reinecke 2004, S. 76ff.). Vgl. Reinecke 2004, S. 78f. Vgl. Geiss 1986, S. 119. Vgl. Blankenburg 1999, S. 66. Vgl. Heinrich 1999, S. 221. Vgl. Caduff 1981, S. 31. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 117 dass sich in Organisationen Systeme und Strukturen aller Art entsprechen müssen, um dauerhaft lebensfähig zu sein.378 Ein Kennzahlensystem erfüllt Informationsaufgaben. Aus anwendungsorientierter Sicht stellt sich damit die Frage, ob und wann eine Person eine Informationsquelle wie ein Kennzahlensystem tatsächlich verwendet. Dies hängt einerseits von der wahrgenommenen Nützlichkeit, andererseits von der Glaubwürdigkeit der Informationen ab. Die wahrgenommene Nützlichkeit von Informationen ist umso höher, ! je höher der subjektive Sinngehalt („meaningfulness“379 )für den Anwender ist,;380 ! je höher die Zielrelevanz für den Anwender (Betroffenheit) ist; ! je besser der Anwender die Informationen anwenden kann. D.h. je stärker er konkret auf die bereitgestellten Informationen reagieren kann, um bestimmte Sachverhalte zu beeinflussen; ! je höher der Innovationsgehalt der Informationen ist, d.h. der Grad nicht offenkundiger Informationen.381 Die Glaubwürdigkeit von Informationen hängt von zahlreichen Eigenschaften des Informationsangebots ab: Dazu gehören der Realitätsbezug, der Umfang und der Grad an Vollständigkeit und Genauigkeit, der Grad an Spezifität, mit der ein Problem behandelt wird, die Konsistenz sowie die Validität in theoretischer und methodischer Hinsicht.382 Bei der Glaubwürdigkeit handelt es sich somit um eine sehr subjektive Einschätzung, die von der wahrgenommenen Nützlichkeit keineswegs unabhängig ist. Je spezifischer ein Kennzahlensystem auf die Anforderungen der Benutzer eingehen kann, desto höher wird sein Nutzen eingeschätzt und desto intensiver wird das System eingesetzt: „In general, the closer the information display is to the point of decision, in a form that permits easy comparison of alternatives, the greater the effectiveness of the information.“383 Dient ein Kennzahlensystem zur Steuerung, so richtet es sich in den meisten Fällen an mehrere Benutzer bzw. Stellen. Diese haben i.d.R. unterschiedliche Informationsbedürfnisse, weil sie andere – vorgegebene oder selbst gesetzte – Ziele verfolgen und einen anderen aufbauorganisatorischen, sachlichen und zeitlichen Bezugsrahmen haben.384 So benötigt ein Verkäufer aus einem Managementinformationssystem konkrete und zeitgerechte Verkaufsinformationen, während beispielsweise der Finanzleiter Informationen über Rentabilität und Liquidität sucht. In Abbildung 48 werden die drei Komponenten einer Informationssituation verdeutlicht: ! Der Informationsbedarf umfasst alle Informationen, die notwendig sind, um eine Aufgabe zu erfüllen, bzw. damit verbundene Entscheidungen zu treffen. 378 379 380 381 382 383 384 Vgl. Schwaninger 1994, S. 299. Vgl. Seghezzi 1996, S. 38. Vgl. Forson 1997, S. 24. Vgl. Shrivastava 1987. Vgl. John/Martin 1984, S. 45. Day 1976, S. 47. Vgl. Gritzmann 1991, S. 47. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 118 ! Das Informationsangebot entspricht den zur Verfügung stehenden Informationen. ! Die Informationsnachfrage bezeichnet jene Menge an Informationen, die tatsächlich zur Aufgabenerfüllung gewünscht wird.385 Nimmt man an, dass der objektive Informationsbedarf einer Stelle gegeben sei, ist es erforderlich, beim Informationsangebot anzusetzen, damit ein Kennzahlensystem Nutzen hat. Es muss somit die objektiv benötigten Informationen zur Verfügung stellen (Situationen 3 und 4 in Abbildung 48).386 Informationsbedarf Informationsangebot 3 4 2 1 Informationsnachfrage Abbildung 48: Die Komponenten einer Informationssituation Quelle: Reinecke 2004, in Anlehnung an Berthel 1975. Somit gilt zunächst: Je stellenspezifischer ein Kennzahlensystem ist, desto grösser ist der jeweilige Nutzen, weil Informationsangebot und -nachfrage besser aufeinander abgestimmt sind. Ein Kennzahlensystem sollte zudem möglichst kompakt und transparent sein. Es sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren,387 d.h. nur jene Entscheidungstatbestände und Massnahmen widerspiegeln, die für den Erfolg des betrachteten Kontrollbereichs wirklich relevant sind.388 Daher sollte sich ein Kennzahlensystem auf wenige Zahlen beschränken.389 Soweit möglich, sollte jedem planungs- und kontrollrelevanten Sachverhalt nur eine Kennzahl zugeordnet werden.390 Eine Maximalanzahl an „erlaubten“ Kenngrössen eines Systems lässt sich allerdings nicht nennen. Diese hängt sehr stark von Zweck und Verwendung des Kennzahlensystems ab. Einige Autoren sehen eine Abhängigkeit von Konsistenz391 und Kennzahlenanzahl: Wenn ein System konsistent aufgebaut ist und Ursache-Wirkungszusammenhänge abbildet, dann könne es auch mehrere Kenngrössen enthalten. Sind die Kennzahlen dagegen vollkommen von- 385 Vgl. Berthel 1975, S. 27; Gritzmann 1991, S. 26ff. Gritzmann 1991, S. 30. 387 Vgl. Reichmann/Lachnit 1976, S. 710. 388 Bentz 1983, S. 26; Bürgi 1991, S.161. 389 Reichmann/Lachnit 1976, S. 707. 390 Palloks-Kahlen 2001, S. 523. 391 Vgl. Abschnitt 2.2.3. 386 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 119 einander unabhängig, so führen zu viele Grössen lediglich zur Verwirrung.392 Reduziert man die Anzahl Kenngrössen allerdings zu sehr und konzentriert sich auf aggregierte Globalgrössen, besteht die Gefahr, dass das Kennzahlensystem seine Frühaufklärungsfunktion verliert. Die aggregierten Kenngrössen in einem solchen System können dann unter Umständen zu langsam auf Situationsänderungen reagieren.393 2.2.3 Dimension Messkonzeption Die Kernanforderung der Dimension Messkonzeption ist die Wahl eines messkonzeptionsgerechten Kennzahlensystemdesigns. Dies bedeutet, dass in Abhängigkeit vom Zweck und der Funktion eines Kennzahlensystems die ihm zugrunde liegende Messkonzeption unterschiedlich zu wählen ist. Je nach Messkonzeption gilt es wiederum, ein geeignetes Kennzahlensystemdesign zu wählen, welches dem Zweck und der Funktion des Kennzahlensystems gerecht wird. Die notwendigen Anforderungen394 in der Dimension Messkonzeption sind die Konsistenz, die Flexibilität und die Wirtschaftlichkeit von Kennzahlensystemen. Konsistenz Mit Konsistenz ist gemeint, dass ein Kennzahlensystem möglichst dem „Prinzip der Widerspruchsfreiheit“395 gerecht werden sollte. Die einzelnen Kennzahlen sollten sich möglichst ergänzen und nicht zueinander in Konflikt stehen. Dadurch wird eine Analyse von UrsacheWirkungszusammenhängen erleichtert. Ein hierarchischer Aufbau fördert i.d.R. die Konsistenz, ist allerdings keine Voraussetzung. Konsistenz ist eine idealtypische Anforderung. Sie lässt sich in schlecht strukturierten Situationen396 und bei mehrdimensionalen Zielen kaum gewährleisten. Flexibilität Der erforderliche Grad an Flexibilität hängt von der jeweiligen Problemstellung ab. Kennzahlensysteme in der Buchhaltung sollten i.d.R. nicht flexibel sein, während strategische Performance Measurement-Systeme immer wieder der jeweiligen Situation anzupassen sind397 . Ein flexibles Kennzahlensystem erleichtert situative Anpassungen, die einen An- und Abbau von Kennzahlen ermöglichen.398 Dadurch wird das Kennzahlensystem dynamisiert und es kann sich entwickeln. Wichtig ist insbesondere auch, dass nicht mehr erforderliche Kennzahlen eliminiert werden.399 Ferner erhöht ein modularer Aufbau nach dem Baukastenprinzip die Flexibilität.400 392 393 394 395 396 397 398 399 400 Vgl. Eccles/Nohria/Berkley 1992, S. 148; Kaplan/Norton/Horvath 1997, S. 156f. Vgl. Krystek/Müller-Stewens 1993, S. 57. Die Anforderungen in der Dimension Messkonzeption basieren auf den von Reinecke erarbeiteten Gütekriterien (Reinecke 2004, S. 76ff.). Küting 1983, S. 240. Vgl. Geiss 1986, S. 116. Vgl. Eccles/Nohria/Berkley 1992, S. 156. Vgl. Caduff 1981, S. 31. Vgl. Eccles/Nohria/Berkley 1992, S. 163. Vgl. Schwaninger 1994, S. 300. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 120 Wirtschaftlichkeit Wie alle betriebswirtschaftlichen Instrumente unterstehen auch Kennzahlensysteme dem Gebot der Wirtschaftlichkeit.401 Der Aufwand für Konstruktion, Umsetzung und Einsatz sowohl des gesamten Kennzahlensystems als auch für Gewinnung und Verarbeitung der einzelnen Kennzahlen muss dem Nutzen gegenübergestellt werden.402 Leider kann die Wirtschaftlichkeit zumeist nur grob beurteilt werden, weil der Nutzen schwer zu operationalisieren ist. So lässt sich beispielsweise im Voraus kaum quantifizieren, welchen ökonomischen Wert eine bessere Entscheidungsfindung haben wird. 2.3 Hinreichende Anforderungen Die notwendigen Anforderungen beschrieben die allgemeinen Ansprüche an ein Kennzahlensystem mit dem Zweck der Steuerung. Für die Herleitung eines nützlichen Kennzahlensystems für die strategische Steuerung des Mehrkanalvertriebs von Banken sind die notwendigen Anforderungen nicht genügend spezifisch. Gemäss Abbildung 49 sind weitere hinreichende Anforderungen notwendig, welche spezifische Aspekte des Mehrkanalvertriebs einer Bank berücksichtigen. Im Folgenden werden diese pro Dimension beschrieben. Anforderungsdimensionen Prozess (situativ) " Strategieprozess- und organisationskonformes Entwicklungsvorgehen Kontext (situativ) " Kontextspezifische Kennzahlen Hinreichende Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb einer Bank ! Berücksichtigung des Koordinationsansatzes und der Organisation des Mehrkanalvertriebs – Entwicklungsvorgehen, welches die Art und Weise, wie das Mehrkanalvertriebssystem koordiniert wird und wie es organisiert ist, berücksichtigt ! Abbildung der kundensegmentspezifischen Vertriebskonfiguration – Kennzahlen, welche den segmentspezifischen Absatzkanalmix ! (Anzahl und Art der Kanäle, Aufgabenverteilung zwischen den Kanälen) abbilden Abbildung kanalübergreifender Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse – Kennzahlen, welche zentrale Prozesse und Aktivitäten im Mehrkanalsystem abbilden ! Zweckmässiges Kennzahlensystemdesign zur strategischen Messkonzeption (normativ) " Messkonzeptionsgerechtes Kennzahlensystemdesign ! ! Durchführungs- und Ergebniskontrolle – Kennzahlensystemdesign, welches zur Messung der Umsetzungsqualität und der Ergebnisse einer Mehrkanalvertriebsstrategie geeignet ist Ausrichtung des Kennzahlensystemdesigns an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption – Kennzahlensystemdesign, welches sich konzeptionell an der Wertorientierung als oberstes Steuerungsziel einer Bank orientiert Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign für eine integrierte Vertriebssteuerung – Kennzahlensystemdesign, welches durch eine umfassende Messkonzeption eine integrierte Vertriebssteuerung ermöglicht Abbildung 49: Übersicht über die hinreichenden Anforderungen Quelle: Eigene Darstellung. 401 402 Vgl. Forson 1997, S. 23. Vgl. Pümpin 1973, S. 88; Diller 1976, S. 101. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 121 2.3.1 Dimension Prozess Die Kernanforderung der Dimension Prozess ist ein strategieprozess- und organisationskonformes Entwicklungsvorgehen. In den notwendigen Anforderungen wurde definiert, dass ein Kennzahlensteuerungssystem in den gesamten Managementprozess eingebunden werden sollte. Zudem sollten beim Entwicklungsvorgehen unterschiedliche Strategieprozessmodelle berücksichtigt werden. Diese Anforderungen sind generell gültig und nicht spezifisch auf den Mehrkanalvertrieb von Banken ausgerichtet. In der Dimension Prozess gilt es, eine zusätzliche, bankvertriebsspezifische Anforderung zu berücksichtigen. Im Entwicklungsvorgehen für ein Kennzahlensteuerungssystem sollten der Koordinationsansatz und die Organisation des Mehrkanalvertriebs berücksichtigt werden. Berücksichtigung des Koordinationsansatzes und der Organisation des Mehrkanalvertriebs Diese Anforderung ist notwendig, weil der Koordinationsansatz sowie die Organisation des Mehrkanalvertriebssystems einen Einfluss auf das zu wählende Entwicklungsvorgehen haben. Je nach Koordinationsansatz und Aufbauorganisation des Mehrkanalvertriebs erfolgt die Herleitung eines Kennzahlensystems unterschiedlich. Die Unterschiede manifestieren sich v.a. hinsichtlich der im Entwicklungsvorgehen involvierten Organisationseinheiten sowie deren Rollen und Kompetenzen. Der Grundgedanke der unterschiedlichen Koordinationsansätze im Mehrkanalvertrieb stammt von Schögel.403 Er argumentiert, dass Mehrkanalvertriebssysteme mit unterschiedlichen Ansätzen bzw. Managementsystemen koordiniert werden können. Schögels Grundüberlegung der verschiedenen Koordinationsansätze kann auch im Bankenbereich angewendet werden. Der Ansatz muss jedoch auf den Bankenkontext angepasst werden und es steht die Frage im Vordergrund, wie das Mehrkanalsystem erfolgreich gesteuert und die Kanäle aufeinander abgestimmt werden sollen. Vor diesem Hintergrund gilt es in Banken zu klären, welche Rollen und Kompetenzen die einzelnen Stakeholders bei der Steuerung des Mehrkanalvertriebssystems haben. Bei der Steuerung und Abstimmung der einzelnen Vertriebskanäle sind i.d.R. unterschiedliche Stakeholder404 involviert, welche im Kontext des Mehrkanalvertriebs unterschiedliche Interessen und Perspektiven vertreten. ! Segmente: Mit Segmenten sind die unterschiedlichen Kundensegmente bzw. Geschäftsbereiche einer Bank gemeint. Grundsätzlich wird in Banken zwischen Privat-, Firmen- und institutionellen Kunden unterschieden. Innerhalb der Privatkunden wird in Abhängigkeit des Vermögens zwischen Retail- und Private-Banking-Kunden unterschieden. Diese Segmente bzw. Geschäftsbereiche werden meist organisatorisch als selbstständige Profit-Centers geführt. Im Mehrkanalvertrieb bestimmen i.d.R. die Geschäftsbereichsverantwortlichen, welche Produkte zu welchen Preisen über welche Kanäle vertrieben werden. 403 404 Vgl. Schögel 1997, S. 159ff. Die zentralen Stakeholder können im konkreten Fall so unterschiedlich sein, dass sie massgeblich durch die Organisation und die Führungsstrukturen einer Bank determiniert werden. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 122 ! Produkte: Unter Produkte werden die Produktentwicklungseinheiten verstanden, welche für die verschiedenen Kundensegmente Produkte entwickeln oder einkaufen. Im Mehrkanalvertrieb verfolgen diese Einheiten das Ziel, den Absatz zu maximieren. Dazu versuchen sie, die Produkte über möglichst viele Segmente und Vertriebskanäle an den Endkunden zu distribuieren. ! Kanäle: Mit dem Terminus Kanäle werden die verschiedenen organisatorischen Vertriebseinheiten405 bezeichnet, welche die Bankprodukte für die verschiedenen Kundensegmente vertreiben. Im Mehrkanalvertrieb verfolgen die einzelnen Vertriebskanäle das Ziel, bei möglichst geringen Vertriebskosten ihre Wertschöpfung zu maximieren. Die in Abbildung 50 aufgeführten Stakeholders sind bei Banken in der Entwicklung und Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien involviert. Je nach Koordinationsansatz sind die Entscheidungskompetenzen der einzelnen Stakeholder unterschiedlich. Je nach Ausgestaltung dieser Kompetenzen bzw. je nach Zentralisierungsgrad und Art der Führung des Mehrkanalsystems resultiert ein unterschiedliches Entwicklungsvorgehen. Segmente Lead??? Kanäle Produkte Abbildung 50: Stakeholder bei der Koordination von Mehrkanalsystemen bei Banken Quelle: Eigene Darstellung. Ein weiterer Aspekt ist die Organisation des Mehrkanalvertriebs. Mit zunehmender Grösse einer Bank nimmt die Komplexität der Aufbauorganisation zu. Aus Effizienzgründen baut nicht jeder Geschäftsbereich seine Kanäle separat auf. Im Kontext des Mehrkanalvertriebs bedeutet dies i.d.R., dass einzelne Kanäle für mehrere Geschäftsbereiche eine Vertriebsleistung erbringen. Organisatorisch sind in diesem Zusammenhang unterschiedliche Setups möglich, welche in Abbildung 51 vereinfacht dargestellt sind. 405 Vgl. Teil 1, Abschnitt 2.2 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 123 Abbildung 51: Organisation des Mehrkanalvertriebs Quelle: Eigene Darstellung. ! Direkte Führungsverantwortung: In diesem organisatorischen Setup sind führungsmässig alle Vertriebskanäle direkt dem Segmentsverantwortlichen unterstellt. Dieser ist für alle von den Kanälen erwirtschafteten Erträge und die damit verbundenen Kosten verantwortlich. Sein Ziel ist es, alle ihm unterstellten Kanäle aufeinander abzustimmen, um ein möglichst effektives und effizientes Mehrkanalvertriebssystem betreiben zu können. ! Direkte und indirekte Führungsverantwortung: In dieser Konstellation ist nur ein Teil aller Vertriebskanäle führungsmässig dem Segmentsverantwortlichen direkt unterstellt. Dieser ist daher nur teilweise für alle von den Kanälen erwirtschafteten Erträge und die damit verbundenen Kosten verantwortlich. Sein primäres Ziel ist es, nur die ihm unterstellten Kanäle aufeinander abzustimmen. Die Anzahl der einem Segmentsverantwortlichen führungsmässig direkt unterstellten Kanäle hat somit einen Einfluss auf das Entwicklungsvorgehen für ein Kennzahlensteuerungssystem. Je mehr Kanäle dem Segmentsverantwortlichen verantwortungsmässig direkt unterstellt sind, desto expliziter und aktiver werden sie in die Erarbeitung und Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie einbezogen. 2.3.2 Dimension Kontext Die Kernanforderung der Dimension Kontext ist die Auswahl kontextspezifischer und zweckgebundener Kennzahlen. In den notwendigen Anforderungen wurde erläutert, dass ein Kennzahlensteuerungssystem bzw. die darin enthaltenen Kennzahlen problemangemessen sein sollten. Diese Anforderungen sind generell gültig und nicht spezifisch auf den Mehrkanalvertrieb von Banken ausgerichtet. In der Dimension Kontext sollten daher zusätzliche, bankvertriebsspezifische Anforderungen definiert werden. Ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken sollte insbesondere die kundensegmentspezifische Vertriebskonfiguration sowie kanalübergreifende Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse abbilden. Abbildung der kundensegmentspezifischen Vertriebskonfiguration Die Notwendigkeit dieser Anforderung ist darauf zurückzuführen, dass die Konfiguration des Mehrkanalvertriebs einer Bank einen Einfluss auf die jeweils relevanten Kennzahlen hat. Je TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 124 nach Vertriebskonfiguration sind somit unterschiedliche Kennzahlen relevant bzw. für die strategische Steuerung des Mehrkanalvertriebssystems geeignet. Der Grundgedanke verschiedener Konfigurationen von Mehrkanalsystemen stammt von Schögel406 . In Bezug auf den Bankkontext sollte ein Kennzahlensteuerungssystem den im Rahmen einer Mehrkanalvertriebsstrategie definierten Vertriebskanal-Mix anhand von geeigneten Kennzahlendimensionen realitätsgetreu abbilden. In diesem Zusammenhang sollten in der Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems folgende Aspekte berücksichtigt werden: ! Vertriebsstrategische Positionierung der Kanäle (Customer-, Sales-, Support-Channel)407 ! Vertriebsstrategisch relevante Aufgaben der einzelnen Kanäle (Welche Dienstleistungen werden von den Kanälen erbracht? Welche Produkte werden über die einzelnen Kanäle vertrieben?) Beide Aspekte haben einen Einfluss auf die Identifikation von geeigneten Kennzahlendimensionen und Steuerungsgrössen. Ein Kennzahlensteuerungssystem sollte schliesslich geeignet sein, die zentrale Aussage einer Mehrkanalvertriebsstrategie anhand von Kennzahlen abzubilden: Welchen Kunden werden welche Bankprodukte und Services über welche Kanäle angeboten? Abbildung kanalübergreifender Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse In Mehrkanalvertriebssystemen mit interdependenter Aufgabenverteilung zwischen den Kanälen verlaufen Geschäfts- und somit Wertschöpfungsprozesse kanalübergreifend. Ein Kennzahlensystem für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs sollte diese systembedingte Vernetztheit zwischen den Kanälen abbilden. Erst durch die konzeptionelle Abbildung der kanalübergreifenden Prozesse kann das Mehrkanalvertriebssystem realitätsgetreu gesteuert werden. In Abbildung 52 wird dieser Grundgedanke schematisch aufgezeigt. Die in Abbildung 52 aufgezeigten Geschäftsprozesse sind sehr vereinfacht dargestellt. In der Praxis ist ein umfassendes Abbilden von Geschäftsprozessen komplex. Einer der zentralen Gründe sind die zahlreichen und teilweise sehr verschiedenen Bankprodukte. Die Komplexität der Produkte variiert stark und hat auf Kundenseite unterschiedliche Informations- und Beratungsbedürfnisse zur Folge. Die Konsequenz daraus sind produkt- bzw. produktgruppenspezifische Geschäftsprozesse. Zwecks Komplexitätsreduktion sollte ein Kennzahlensteuerungssystem nur die in der Mehrkanalvertriebsstrategie identifizierten Kerngeschäftsprozesse408 abbilden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Steuerungsfokus bei Prozessen liegt, welche eine direkte Wirkung auf wettbewerbskritische Erfolgsfaktoren und somit auf das Vertriebsergebnis ausüben. 406 407 408 Schögel 1997, S. 123ff. Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.2. Vgl. Teil 2, Abschnitt 5.3. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 125 Abbildung 52: Kanalübergreifende Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse Quelle: Eigene Darstellung. 2.3.3 Dimension Messkonzeption Die Kernanforderung der Dimension Messkonzeption ist die Wahl eines messkonzeptionsgerechten Kennzahlensystemdesigns, um dem Zweck bzw. der Funktion der Steuerung gerecht zu werden. In den notwendigen Anforderungen wurde erklärt, dass die Messkonzeption eines Kennzahlensteuerungssystems konsistent, flexibel und wirtschaftlich sein sollte. Diese Anforderungen sind generell gültig und nicht spezifisch auf den Zweck der Steuerung des Mehrkanalvertriebs von Banken ausgerichtet. In der Dimension Messkonzeption gilt es, eine zusätzliche, bankvertriebsspezifische Anforderung zu berücksichtigen. Ein Kennzahlensystem für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs sollte auf einem zweckmässigen Kennzahlensystemdesign basieren, welches: ! für die strategische Durchführungs- und Wirksamkeitskontrolle geeignet ist; ! sich nach einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption ausrichtet; ! eine integrierte Vertriebssteuerung ermöglicht. Die drei folgenden Abschnitte beschreiben diese hinreichenden Anforderungen. Zweckmässiges Kennzahlendesign zur strategischen Durchführungs- und Ergebniskontrolle Ein Kennzahlensteuerungssystem übernimmt im Prozess des strategischen Managements409 die Funktion der strategischen Kontrolle. Bei der strategischen Kontrolle wird im Allgemeinen 409 Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.2. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 126 zwischen drei verschiedenen Formen410 unterschieden, welche in Abbildung 53 dargestellt sind: Führungsarbeit Zeit Feedback Konzept (Strategie) Bausteine Umsetzung der Strategie Ergebnis der Strategie Schwerpunkt für das Kennzahlensteuerungssystem Abbildung 53: Formen der strategischen Kontrolle Quelle: In Anlehnung an Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 739. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung dieser Arbeit soll das zu entwickelnde Kennzahlensteuerungssystem instrumental zur Implementierung411 einer Mehrkanalvertriebsstrategie und zur strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalsystems beitragen. Diese beiden Formen der strategischen Kontrolle sollten im konzeptionellen Design eines Kennzahlensteuerungssystems berücksichtigt werden. Die Anforderung ist daher, ein zweckmässiges Kennzahlensystemdesign zu erarbeiten, welches für die Durchführungs- und Ergebniskontrolle geeignet ist. Ausrichtung an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption Die Unternehmenssteuerung wird seit mehreren Jahren dominiert vom Gedanken der Wertorientierung. Anfänglich im Industriebereich angewendet, findet sie zunehmend auch im Bankensektor Verbreitung.412 In Abbildung 54 wird im Überblick die Entwicklung der Management-Paradigmen bei Banken aufgezeigt. Neuansatz 1960 ManagementParadigmen in Banken Typische Kennzahlen heute Volumen- und Verkaufsorientierung ! ! ! ! ! ! Gewinn Anzahl der Mitarbeiter Anzahl der Filialen Umsatz Wachstumsrate Bilanzsumme Ertragsorientierung ! ! ! ! ! ! Ertrag Marge DB RoE CIR ROI Risikoorientierung ! ! ! RoR RoRaC VaR Wertorientierung ! ! ! Übergewinn EVA Segment Profit Abbildung 54: Entwicklung der Management-Paradigmen bei Banken Quelle: In Anlehnung an Hanft 2003, S. 11. 410 411 412 Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.3. Vgl. Teil 1, Kapitel 1. Wild 2005, S. 181. Werthebelorientierung ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! Kundenprofitabilität Produkteprofitabilität Kundenbindung Kundenausschöpfung Cross-Selling Verkaufsstärke Mitarbeiterprofitabilität Betreuungsintensität Betreungsqualität etc. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 127 Die grundlegende Idee ist, bei der Steuerung eines Unternehmens das Ziel der langfristigen Steigerung des Unternehmenswertes in den Mittelpunkt zu stellen.413 Für die Unternehmenssteuerung hat dies zur Folge, dass die Werttreiber414 analysiert und möglichst umfassend durch geeignete Steuerungskennzahlen erfasst und beobachtet werden sollten. Die Wertorientierung ist jedoch nicht nur auf Stufe Gesamtbank oder Geschäftsbereich einzuführen. Die Wirksamkeit dieser Steuerungsphilosophie entfaltet sich erst dann vollständig, wenn sie in der ganzen Hierarchie einer Bank eingeführt wird. In Abbildung 55 wird die Notwendigkeit der Operationalisierung der Wertorientierung bis auf Stufe Funktionsbereich dargestellt. Hierarchiestufen Gesamtbank Operationaliserung der Wertorientierung Unternehmung Geschäftsbereich Segment X Funktionsbereich Vertriebskanal Vertrieb Kanal 1 Kanal 2 Kanal n Mitarbeiter Abbildung 55: Wertorientierung im Vertrieb Quelle: Eigene Darstellung. Ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb einer Bank sollte daher konzeptionell auf einem Design basieren, welches die wert- bzw. werthebelorientierte Steuerungsphilosophie auf Stufe Gesamtbank widerspiegelt. Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign für eine integrierte Vertriebssteuerung Defizite des traditionellen Accountings haben in den letzten Jahren zu einem neuen Forschungs- und Anwendungsgebiet der Betriebswirtschaftslehre geführt, dem so genannten Performance-Measurement415 . Dies kann auch als Antwort auf die häufig diskutierten Mängel des klassischen strategischen Planungsansatzes verstanden werden. Die Prognostizierbarkeit von Entwicklungen wird überschätzt, qualitative Sachverhalte ungenügend quantifiziert bzw. zumindest unzureichend empirisch fundiert, strategische Umsetzungskontrolle und Feedback ungenügend berücksichtigt bzw. auf eine Ex-Post-Kontrolle reduziert.416 413 414 415 416 Groll 2003, S 71ff.; Hörter 1998, S. 76ff.; Rappaport 1986, S. 56. Unter Werttreiber sind alle quantitativen und qualitativen Faktoren zu verstehen, die zu einer Steigerung des Unternehmenswerts beitragen können. Der Begriff Performance-Measurement ist nicht neu und wird in der Literatur unterschiedlich definiert. Vgl. dazu Reinecke 2004, S. 49 sowie die dort zitierte Literatur. Blankenburg 1999, S. 22 sowie die dort zitierte Literatur. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 128 Beim Performance-Measurement handelt es sich somit um eine Weiterentwicklung des häufig eher eindimensionalen, rückwärtsgerichteten und schwerpunktmässig auf dem Accounting beruhenden Steuerungskonzepts. Ein wichtiges Ziel des Performance-Measurements besteht darin, traditionelle finanzwirtschaftliche Kennzahlensysteme durch umfassende strategische Steuerungssysteme abzulösen, um die Gesamtleistung eines Systems umfassend zu regeln. Das in der vorliegenden Arbeit herzuleitende Kennzahlensteuerungssystem dient instrumental der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie bzw. der strategischen Steuerung des Mehrkanalvertriebssystems. Damit es diesem Zweck gerecht werden kann, sollte es sich konzeptionell nach einer umfassenden bzw. ausgewogenen Messkonzeption ausrichten. Durch sie können Ursache-Wirkungsbeziehungen417 aufgezeigt werden. Das Verständnis von Ursache-Wirkungsbeziehungen im Mehrkanalvertriebssystem ist dabei eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Steuerung. Es gilt daher, die Ursachen bzw. Einflussfaktoren des Vertriebsergebnisses in der Messkonzeption abzubilden und zu steuern. Anreizbezug Planungsbezug Zeit Verbesserung strategisch ex ante Abweichung operativ qualitativ Format ex post quantitativ intern monetär nicht monetär Dimension extern Ausrichtung gering kurzfristiges Suboptimum langfristiges Gesamtoptimum hoch Aggregationsgrad Steuerungsziel Abbildung 56: Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign Quelle: Reinecke 2004, S. 48. Im Folgenden soll die hinreichende Anforderung der Ausgewogenheit des Kennzahlensystemdesigns auszugsweise erläutert werden: ! Zeit: Für die Steuerung des Mehrkanalvertriebssystems sollte die Messkonzeption neben der dominierenden ex-post- auch eine ex-ante-Perspektive im Sinne einer Frühwarnung beinhalten. Erst der Einbezug einer ex-ante Betrachtung ermöglicht eine effektive Steuerung des Vertriebssystems. 417 Vgl. Abschnitt 2.2.3. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 129 ! Ausrichtung: Die Messkonzeption sollte den Fokus von den internen, accounting-basierten Kennzahlen auf externe Messgrössen erweitern. Grundsätzlich ist es dabei wichtig, unterschiedliche Angaben über den Kunden und das allgemeine Marktgeschehen zu erfassen. Solche Messgrössen dienen der Erklärung von Ursache-Wirkungsbeziehungen. ! Dimension: Für eine strategische Durchführungs- und Ergebniskontrolle418 sollte die Messkonzeption auch nicht-monetäre Kennzahlen beinhalten. Die Umsetzung von Strategien erfolgt auf operativer Stufe anhand konkreter Vertriebstätigkeiten der einzelnen Kanäle. Diese Tätigkeiten gilt es, in Form von qualitativen Messgrössen zu erfassen, da sie als Frühindikatoren für das resultierende Vertriebsergebnis dienen. ! Format: In der Vertriebssteuerung sollten vermehrt auch qualitative Kennzahlen (Qualität der kanalübergreifenden Geschäftsprozesse, Kompetenz der Vertriebsmitarbeiter etc.) berücksichtigt werden, da sie einen massgebenden Einfluss auf die Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und auf das Vertriebsergebnis haben. 2.4 Der Umgang mit den Anforderungen Zwischen den aufgeführten Anforderungen bestehen teilweise konfliktäre Beziehungen. So konkurriert beispielsweise die Problemangemessenheit mit der Flexibilität und der Kompaktheit oder der Wirtschaftlichkeit. Die Anforderungsliste basiert auf umfassenden Analysen419 und zahlreichen Expertengesprächen420 . Sie deckt somit die wesentlichen Anforderungen ab, sollte aber dennoch eher als Heuristik sowie als Kontrollliste verwendet werden.421 Es existiert kein Kennzahlensystem, das sich als allgemein gültig erwiesen hat.422 Daher werden im nächsten Abschnitt einige betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme hinsichtlich der erörterten Anforderungen analysiert. 3. Beurteilung ausgewählter betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme 3.1 Einleitung und Überblick Die Betriebswirtschaftslehre setzt sich seit langem mit Kennzahlensystemen auseinander, so dass zahlreiche Konzeptionsvorschläge vorliegen. Ziel der Analyse ist nicht etwa eine umfassende Bewertung. Vielmehr soll aufgezeigt werden, welchen inhaltlichen Erkenntnisbeitrag diese Kennzahlensysteme für ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb einer Bank leisten. Die zu analysierenden Systeme wurden anhand folgender Kriterien bewusst ausgewählt: ! Stellung der Kennzahlensysteme in der Wissenschaft; ! Verbreitung und Akzeptanz in der Praxis; 418 419 420 421 422 Vgl. Abschnitt 2.3.3. Vgl. Teil 1 und Teil 2. Vgl. Anhang 2, I-01 bis I-08. Vgl. Geiss 1986, S. 118. Vgl. Bürgi 1991, S. 16. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 130 ! besondere konzeptionelle Grundzüge; ! Bezug zur Strategieimplementierung. Die Beurteilung423 der Kennzahlensysteme erfolgt anhand der notwendigen und hinreichenden Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem. Sie verfolgt – im Sinne einer Metaanalyse – das Ziel, Aspekte zu identifizieren, die Vorbildcharakter oder ein exploratives Potential für die Konzeption eines Vertriebssteuerungssystem i.e.S. haben. Aufgrund dieser Zielsetzung werden die aufgeführten Kennzahlensysteme nicht umfassend anhand aller einzelnen notwendigen und hinreichenden Anforderungen beurteilt. Für die Beurteilung werden insbesondere die notwendigen Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem herangezogen. Die hinreichenden Anforderungen werden fallweise in die Untersuchung einbezogen. Bei den Anforderungsdimensionen werden v.a. die Dimensionen Kontext und Messkonzeption berücksichtigt. Die Dimension Prozess wird vernachlässigt, da in der Literatur bei den meisten Kennzahlensystemen das Entwicklungsvorgehen nicht oder nur sehr rudimentär beschrieben wird. Die Kennzahlensysteme wurden in zwei Grundkategorien eingeteilt. Die finanzwirtschaftlich geprägten Konzeptionen sind solche, bei welchen die Messkonzeption hauptsächlich auf finanziellen Kennzahlen basiert. Die integrierten Ansätze sind solche, die neben finanzwirtschaftlichen Messgrössen auch weitere Kennzahlendimensionen424 berücksichtigen. 3.2 Finanzwirtschaftlich orientierte Kennzahlensysteme 3.2.1 DuPont-System of Financial Control Konzept und Zielsetzung Das DuPont System of Financial Control wurde 1919 vom amerikanischen Chemiekonzern E. I. DuPont de Nemours and Company unter der Leitung von Donaldson Brown entwickelt. DuPont war eines der ersten divisionalisierten Unternehmen. Beim Kennzahlensystem handelt es sich um ein mathematisches Rechensystem mit dem ROI als Spitzenkennzahl, die auf der nächsten Ebene in die Grössen Umsatzrentabilität und Kapitalumschlag zerlegt wird (vgl. Abbildung 57). 423 424 Reinecke 2004 hat in seiner Habilitation eine umfassende Beurteilung von Kennzahlensystemen gemacht. Die Evaluation in der vorliegenden Arbeit lehnt sich an seine theoretischen und empirischen Erkenntnisse an. Vgl. Abschnitt 2.3.3. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM Umsatz : Kapitalumschlag Gesamtvermögen Return on Investment (ROI) 131 Vorräte Umlaufvermögen + Forderungen Liquide Mittel Anlagevermögen x Umsatz Umsatzrentabilität Gewinn - : Kosten Umsatz Vorräte Forderungen Liquide Mittel Abbildung 57: DuPont-System of Financial Control Quelle: In Anlehnung an Siegwart 1998, S. 31. Beurteilung anhand der Anforderungen Mittels des DuPont-Systems sollen Geschäftsbereiche in einem diversifizierten Konzern geführt werden. Bezüglich der notwendigen Anforderungen kann Folgendes festgestellt werden: Das Kennzahlensystem kann als durchaus problemangemessen bezeichnet werden. Die Spitzenkennzahl informiert komprimiert über den relevanten Sachverhalt. Diese Stärke bewirkt allerdings gleichzeitig zwei Schwächen: Erstens führt die Monozielausrichtung dazu, dass andere relevante finanzwirtschaftliche Aspekte ausgeklammert werden.425 Zweitens verleitet sie zu Manipulationen. So kann der Return on Investment beispielsweise (kurzfristig) durch den Aufschub von notwendigen Investitionen für Produktneuentwicklungen erhöht werden. Die Konsistenz des Kennzahlensystems ist aufgrund seiner Rechensystemeigenschaft hoch. Durch die hierarchische Zerlegung einer eindeutigen Spitzenkennzahl kommt es nicht zu Widersprüchen; Ursache-Wirkungszusammenhänge sind eindeutig. Relativierend ist allerdings hinzuzufügen, dass diese systembildenden, rechnerischen Zusammenhänge dazu führen, dass wichtige nichtquantitative Interdependenzen ausgeschlossen werden. Ausserdem arbeitet das System mit sehr vielen absoluten Kennzahlen, welche die Informationsfunktion einschränken. Kehrseite der hohen Konsistenz ist die niedrige Flexibilität: Anpassungen des Systems sind lediglich auf den unteren Kennzahlenebenen möglich. Die Benutzer- und Organisationsadäquanz ist allenfalls für obere Führungsebenen gegeben. Die einseitige Ausrichtung erlaubt keine Differenzierung nach betrieblichen Subsystemen und reicht daher zur Steuerung von Unternehmensbereichen nicht aus.426 Dies gilt insbesondere für die leistungswirtschaftlichen Bereiche (z.B. Vertrieb). 425 426 Vgl. Reichmann/Lachnit 1976, S. 710. Vgl. Weber 1999, S. 206. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 132 Bei den hinreichenden Anforderungen kann festgestellt werden, dass das DuPont-System keine geeignete Konzeption für die Implementierung einer Mehrkanalvertriebsstrategie bzw. für eine strategische Durchführungs- und Ergebniskontrolle ist. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass es durch die Erfolgskennzahlen und die Struktur des Systems nicht möglich ist, den Mehrkanalvertrieb einer Bank zweckmässig abzubilden. Die spezifischen Vertriebskonfigurationen sowie die kanalübergreifenden Geschäftsprozesse können mit dem System nicht kontextspezifisch gesteuert werden. Fazit: Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich betriebswirtschaftliche Sachverhalte aufgrund ihrer Komplexität nicht als rein mathematische Zusammenhänge darstellen lassen. Dennoch nimmt das DuPont-System427 aufgrund der formalen Vorzüge rechenbarer Verbindungen bei der Klärung von Ursache-Wirkungsbeziehungen eine Leitfunktion an.428 3.2.2 Vertriebscontrolling-Kennzahlensystem nach Reichmann/Palloks429 Konzept und Zielsetzung Viele kundenbezogene Informationen, denen in Vertrieb und Marketing zentrale Bedeutung zukommt, sind in den unternehmensbezogenen Informationssystemen zwar grundsätzlich vorhanden, doch werden sie nur selten zielbezogen bereitgestellt.430 Das VertriebsControlling-Kennzahlensystem nach Reichmann und Palloks431 soll dem Vertriebsmanagement eine aussagefähige Informationsgrundlage bieten, um Vertriebstätigkeiten kunden- und zielorientiert zu planen, zu koordinieren und zu kontrollieren. Das Kennzahlensystem besteht aus Vertriebskennzahlen, die einen schnellen und konzentrierten Überblick geben und sachlogisch verknüpft werden. Neben einer klassischen Wirtschaftlichkeitsanalyse liefert das System432 Informationen über die strukturellen Vertriebsbedingungen sowie über die allgemeine Lage- und Umfeldentwicklung. Vertriebs-Controlling-Kennzahlensystem Strukturanalyse Zielplanung VertriebsVertriebskostenstruktur: variable Vertriebskosten/Vertriebskosten insgesamt struktur 427 * 100 Umsatzstruktur: Umsatz je Artikelgruppe/Gesamtumsatz * 100 Auftragsstruktur: Auftragseingänge je Artikelgruppe/Auftragseingänge ingesamt Rabattstruktur: Rabatt vom Umsatz A-Artikel/Umsatz A-Artikel * 100 Neben dem DuPont-System existieren zahlreiche weitere ROI-Systeme (vgl. Wolf 1977, S. 39ff.). Dabei handelt es sich i.d.R. um Weiter- oder Parallelentwicklungen zum ursprünglichen DuPont-System. Hervorzuheben sind hierbei die „Ratios au Tableau de Bord“ (= betriebswirtschaftliches Armaturenbrett), die in Frankreich entwickelt wurden und dort vielfach eingesetzt werden (vgl. Staehle 1967, S. 103f.). 428 Reinecke 2004, S. 84f. 429 Reichmann/Palloks 1997. 430 Reichmann/Palloks 1997, S. 451. 431 Reichmann/Palloks 1997. 432 Für detailliertere Informationen zur Definition der einzelnen Kennzahlen siehe Reichmann/Palloks 1997. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM Marktstruktur 133 Marktanteil: eigener Umsatz/Branchenumsatz * 100 Kundenstruktur: Neukunden-, Inlands- bzw. Auslandskunden/Kunden ingesamt * 100 Konkurrenzstruktur: Marktvolumen der Konkurrenten/Gesamtmarktpotential * 100 Preiselastizität des Marktes: Umsatzdifferenz/Preisdifferenz Wirtschaftlichkeitsanalyse Zielplanung Erfolg der Verkaufsergebnis: Nettoverkaufsgewinn/Umsatz * 100 Vertriebsaktivitäten Deckungsbeitrag am Umsatz: Deckungsbeitrag A-Artikel/Umsatz A-Artikel * 100 Verkaufsförderung: Umsatzdifferenz/Differenz der Verkaufsförderungskosten Werbeerfolgskontrolle: Werbekostendifferenz/Umsatzdifferenz Effizienz der Personaleffizienz: Umsatz/eingesetzte Mitarbeiter VertriebsAuftragseffizienz: Umsatz/eingesetzte Akquisitionskosten * 100 organisation Budget/Kapitaleffizienz: Umsatz/eingesetztes Budget/Kapital * 100 Key Account Effizienz: Netto-Auftragssumme/Akquisitionskosten * 100 Erfolgsträger (Segment) produktgruppenbezogene Umsatzanteile: Umsatz A-Artikel/Gesamtumsatz * 100 kundengruppenbezogene Umsatzanteile: Umsatz A-Kunde/Gesamtumsatz * 100 regionenbezogene Umsatzanteile: Umsatz Verkaufsgebiet X/Gesamtumsatz * 100 betriebsformbezogene Umsatzanteile: Umsatz Fach-, Einzel- bzw. Grosshandel/Gesamtumsatz * 100 Lageanalyse Lageanalyse Marktanteilsentwicklung: Marktanteil der Periode t/Marktanteil der Basisperiode * 100 Umsatzentwicklung: Umsatz der Periode t/Umsatz der Basisperiode * 100 Auftragsentwicklung: Auftragseingänge Periode t/Auftragseingänge Basisperiode * 100 Entwicklung der strategischen Geschäftseinheiten: relatives Marktwachstum (%), relativer Marktanteil (%), Deckungsbeitragsvolumen Abbildung 58: Struktur eines Vertriebs-Controlling-Kennzahlensystems Quelle: Vereinfacht durch Reinecke 2004, in Anlehnung an Reichmann/Palloks 1997, S. 469. Beurteilung anhand der Anforderungen Das Kennzahlensystem von Reichmann und Palloks ist in erster Linie ein Analysesystem. Es bietet einen schnellen Überblick über die wichtigsten betriebswirtschaftlich relevanten Entwicklungen im Vertriebsbereich und richtet sich damit in erster Linie an Marketing- und Verkaufsführungskräfte. Der Schwerpunkt liegt auf Analysen interner Daten aus dem Rechnungswesen, die durch einige Marktinformationen ergänzt werden. Auf eine Integration qualitativer Informationen wie beispielsweise Kundenzufriedenheit und Personalqualifikation wird im Rahmen dieses Systems (bewusst) verzichtet. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 134 Die Konsistenz des Systems ist differenziert zu bewerten. Das Kennzahlensystem ist klar aufgebaut. Die drei unterschiedlichen Analysebereiche sind problemgerecht. Ferner werden die Kennzahlen eindeutig definiert. Die Kennzahlenauswahl wird argumentativ gut untermauert, kann allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit geltend machen. Interdependenzen zwischen den einzelnen Kennzahlen werden nicht aufgezeigt, wodurch die Analyse von UrsacheWirkungszusammenhängen erschwert wird. Daum kritisiert, dass dem Kennzahlensystem Oberziele fehlen, die sich in ein Gesamtunternehmens-Kennzahlensystem integrieren lassen.433 Das System richtet sich primär an die Ebene Marketing- und Vertriebsleiter und ist dadurch für diese Funktionsbereiche insgesamt benutzergerechter als allgemeine finanzwirtschaftliche Kennzahlensysteme. Allerdings sind einer weiteren, organisationskongruenten Zuordnung von finanzwirtschaftlichen Kenngrössen immer enge Grenzen gesetzt. Beispielsweise führen Grössen wie der Produktumsatz immer zu einem Verantwortungspooling zwischen dem Produktmanagement, dem Verkauf, einem etwaigen Key-Account-Management und weiteren Marketingteilfunktionen434 . Der Nutzen des Systems wird ferner dadurch eingeschränkt, dass hochrelevante externe Grössen wie die Kundenzufriedenheit nicht berücksichtigt werden. Das Kennzahlensystem ist nicht als allgemeingültiges System zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um eine sinnvolle Zusammenstellung wohldefinierter Kennzahlen, die je nach Branchen- und Unternehmenssituation zu konkretisieren oder zu ergänzen ist. Hierfür bietet das System eine ausreichende Flexibilität. Das Kennzahlensystem ist wirtschaftlich, weil es primär auf Daten des Rechnungswesens zurückgreift und somit kaum einen nennenswerten Zusatzaufwand verursacht. Im Vergleich zu den bisherigen Ansätzen lässt sich bei den hinreichenden Anforderungen feststellen, dass das System von Reichman und Palloks spezifisch für den Vertrieb ausgestaltet wurde. Das Kennzahlensystem ist als Analysesystem konzipiert und daher als Instrument für die Implementierung einer Mehrkanalvertriebsstrategie bzw. für die strategische Kontrolle nicht geeignet. Die vertriebsspezifischen Informationen in den Bereichen Struktur-, Wirtschaftlichkeits- und Lageanalyse sind im Grundsatz wertvoll, im Rahmen der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie aber nur bedingt zweckmässig. Die aufgeführten Erfolgskennzahlen und die Struktur des Systems ermöglichen es nicht, den Mehrkanalvertrieb einer Bank abzubilden. Die spezifischen Vertriebskonfigurationen und die Geschäftsprozesse können mit dem System nicht kontextspezifisch gesteuert werden. Fazit: Das Vertriebskennzahlensystem nach Reichmann/Palloks ist ein wertvolles Analyseund Unterstützungssystem, das allerdings für eine umfassende Steuerung eines Mehrkanalvertriebsystems nicht geeignet ist. Vielmehr muss es um qualitative und strategische Informationen ergänzt werden, wie dies auch die Autoren selbst vorschlagen.435 433 434 435 Vgl. Daum 2001, S. 47. Vgl. hierzu Kiener 1980, S. 170f. und die dort zitierte Literatur. Vgl. Reichmann/Palloks 1997, S. 470ff. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 135 3.2.3 Shareholder Value-Ansätze Konzept und Zielsetzung des Shareholder Value-Ansatzes nach Rappaport Der Shareholder Value-Ansatz nach Rappaport436 verfolgt das Ziel einer Steigerung des Unternehmenswerts, indem die Gesamtorganisation auf das Ziel der Wertmaximierung ausgerichtet wird. Ferner liefert der Ansatz die „richtige“ rechentechnische Methode zur Projekt- und Unternehmensbewertung: Wie kann man unter mehreren Konzern- bzw. Geschäftsbereichsstrategien jene ausfindig machen, die den höchsten Unternehmens- und somit Aktionärswert verspricht? Rappaport verwendet die Kapitalwertmethode unter Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes, der Risikoausprägung des Konzerns bzw. des Geschäftsbereichs sowie eines zugehörigen Residualwerts (Wert des über den Planungszeitraum hinaus anfallenden Cash-Flows)437 . Er bietet auch eine Methode an, mit der die entscheidenden Werttreiber (Value Driver) identifiziert und analysiert werden können. Unter Werttreibern versteht er Grössen des operativen Geschäfts, die den Aktionärswert beeinflussen (vgl. Abbildung 59). Diese dienen dazu, die Berechnung des Barwerts eines Projekts nach der Kapitalwertmethode zu vereinfachen. Unternehmensziel Bewertungskomponenten Werttreiber Managemententscheidungen Wertschöpfung für den Aktionär Shareholder-Ertrag ! Dividenden ! Kurssteigerungen betrieblicher Cash-Flow Diskontrate Planungshorizont ! Umsatzwachstum ! Umsatz! überschussrate Cash-Flow-Steuer Verschuldung Bruttoinvestitionen ! Anlagen ! Umlaufvermögen operativ investiv gewichtete Kapitalkosten Finanzierung Abbildung 59: Shareholder Value-Ansatz nach Rappaport Quelle: Rappaport 1995; Übersetzung durch Reinecke 2004, S. 95. Der Ansatz liefert zwei Führungsregeln:438 ! Eine Strategievorauswahl erfolgt durch die Frage: „Wird Wert geschaffen oder vernichtet?“ Grundsätzlich sollten nur Strategien verfolgt werden, die Werte schaffen. ! Eine weitergehende Performancesteigerungsregel legt fest, dass die wertmaximierenden Strategien weiterverfolgt werden sollten.439 436 Rappaport 1986; Rappaport 1998. Für weitere Erläuterungen zum Konzept siehe Fickert 1992, S. 55ff. 438 Rappaport 1986; Rappaport 1998. 439 Vgl. Reinecke 2004, S. 94f. 437 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 136 Konzept und Zielsetzung des Value Added-Konzepts Verwandt mit dem Ansatz von Rappaport ist das Economic Value Added-Konzept (EVA). In diesem wird der wirtschaftliche Wertzuwachs einer Investition gemessen. Der EVA-Ansatz geht von der Grundprämisse aus, dass nur dann zusätzlicher wirtschaftlicher Wert geschaffen wird, wenn über die Kapitalkosten für Eigen- und Fremdkapital hinaus Geld verdient wird.440 Die Mindestrenditeanforderungen für Unternehmen bzw. Geschäftsbereiche werden somit von den Opportunitätskosten (=Marktkosten) für Eigen- und Fremdkapital bestimmt. Der EVA entspricht dem NOPAT (Net operating profit after tax, also dem operativen Geschäftsergebnis nach Steuern) abzüglich der gewichteten, risikogerechten Kapitalkosten für Fremd- und Eigenkapital. Der Gesamtmarktwert eines Geschäftsbereichs besteht aus dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Kapital zuzüglich der Summe aller zukünftigen, abdiskontierten EVA-Beträge (=Market Value Added, MVA). Letztlich nimmt der EVA eine Mittelstellung ein zwischen der traditionellen Gesamtkapitalrendite und dem Shareholder Value nach Rappaport. Er ist direkt auf eine periodische Wertzuwachsmessung ausgerichtet. Dadurch werden die systematische Überprüfung der Zielerreichung sowie die daran geknüpfte allfällige erfolgsorientierte Vergütungsberechnung erleichtert. Befürworter des EVA führen zahlreiche Vorteile dieser „neuen“ finanzwirtschaftlichen Kennzahl an:441 Aufgrund eines engen Bezugs zwischen dem EVA und dem Aktienkurs eigne sich diese Grösse, um die Interessen der Manager mit jenen der Unternehmenseigner abzustimmen, beispielsweise mit Hilfe von EVA-orientierten Motivationssystemen. Ferner wird angeführt, dass der EVA eine sehr einfache und eindeutige Grösse sei, die auf allen Ebenen – von der strategischen Planung bis zur Budgetierung – kommuniziert werden könne: Mehr EVA sei immer besser als weniger EVA. In Abbildung 60 werden die Merkmale unternehmenswertorientierter Ansätze zusammengefasst. Charakteristikum Art und Weise der Umsetzung Zukunftsbezug Durch Berücksichtigung des aus dem Bewertungsobjekt (z.B. aus einer Geschäftseinheit) fliessenden zukünftigen CashFlows und durch den unendlichen Betrachtungszeitraum Mehrperiodigkeit Durch Diskontierung eines Stroms zukünftiger Cash-Flows Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes Durch Abdiskontierung nominaler Cash-Flows mit einem nominalen Diskontierungsfaktor Zahlungsorientierung Durch Berücksichtigung von Cash-Flows anstatt z.B. von Gewinnen Berücksichtigung von Risiken Durch Abdiskontierung mit einem risikoangepassten Zinssatz 440 441 Für eine ausführlichere Darstellung des Ansatzes siehe Hahn/Hungenberg 2001, S. 202ff. Vgl. Ehrbar 1998, S. 6. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 137 Marktorientierung Durch Verwendung von Zahlungsgrössen statt Buchgrössen. Durch Bezug auf Marktwerte statt auf Buchwerte (z.B. beim eingesetzten Vermögen) Berücksichtigung des Finanzierungsbedarfs zukünftigen Wachstums Durch Abzug der Investition in das Anlagevermögen und in das Working-Capital der Cash-Flows Abbildung 60: Merkmale eines unternehmenswertorientierten Controllings Quelle: Günther 1997, S. 204. Beurteilung anhand der Anforderungen Shareholder Value-Ansätze sind moderne Analyseverfahren, deren Stärke darin liegt, dass dadurch Führungskräfte gezwungen sind, alle Einflussfaktoren einer Strategie- oder Projektbewertung transparent zu machen und die finanziellen Auswirkungen aller Tätigkeiten konsequent zu erfassen. Sie fordern vom Management, sich auf das – aus der Sicht des Shareholders – Wesentliche zu fokussieren. Dennoch weisen diese Verfahren auch Defizite und Gefahren auf, die nachfolgend skizziert werden sollen.442 Problemangemessenheit: Ziel von Shareholder Value-Ansätzen ist es, Unternehmensführung und Kapitalmärkte besser zu verbinden. Ein Hauptproblem des EVA- und der Shareholder Value-Ansätze liegt darin, dass man nicht zwangsläufig von einer Symmetrie zwischen Management- und Kapitalmarktperspektive ausgehen kann. Das Management kann zwar das Unternehmen direkt steuern, nicht aber unmittelbar die Bewertung seiner Tätigkeiten durch den Kapitalmarkt. Letztere hängt sehr stark von Erwartungen miteinander kommunizierender Individuen ab, die keineswegs homogen und normalverteilt sind.443 So ist es unwahrscheinlich, dass Management einerseits sowie Aktionäre und Analysen andererseits die Verlässlichkeit von Informationen, den Wert intangibler Assets und den Nutzen von Synergien immer identisch einschätzen.444 Ebenso dürfte i.d.R. die Risikoeinschätzung differieren, zumal häufig der Informationsstand von Management und Aktionären unterschiedlich ist. Die künftige Akzeptanz und die Problemadäquanz dieser Ansätze hängen somit stark von den Kursentwicklungen an den Kapitalmärkten ab.445 Konsistenz: Die Konsistenz dieser Systeme ist hoch. Shareholder Value-Ansätze weisen durch den hierarchischen Ableitungsbezug eine hohe Geschlossenheit auf. Bei der wertorientierten Planung besteht jedoch grundsätzlich die Gefahr von Scheingenauigkeit (die aufgrund der quantifizierten Darstellung suggerierte Genauigkeit bezüglich Detaillierung und Sicherheit ist höher als die tatsächliche) sowie von Scheinreflexivität (intuitive Urteile werden quantifiziert).446 Dies kann zur illusionären, nicht ungefährlichen Annahme verleiten, dass sich Strategien mit Werttreiberhierarchien mehr oder weniger vollständig in Zahlen erfassen liessen.447 442 Eine umfassende Diskussion der Vor- und Nachteile einzelner Verfahren siehe VCI 1998. Vgl. VCI 1998, S. 96. 444 Vgl. Day/Fahey 1988, S. 54. 445 Vgl. VCI 1998, S. 96. 446 Vgl. Weber/Knorren 1998, S. 115. 447 Vgl. Weber 2000, S. 30. 443 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 138 In der Praxis herrscht selten Übereinstimmung darüber, welche Faktoren den Shareholder Value beeinflussen. Ursache-Wirkungszusammenhänge können nur ansatzweise abgebildet werden. Ferner hängt die Quantifizierung der zukünftigen Geldflüsse von zu vielen Annahmen und Grundsatzentscheidungen ab. So lassen sich beispielsweise bei der Anwendung des EVA die gesamten Zinskosten (Total Cost of Capital) eines Unternehmens nicht auf einfache Weise ermitteln. Dazu muss entschieden werden, ob Investitionen in Forschung, Entwicklung, Werbung und Mitarbeiterschulungen traditionell als Aufwand behandelt oder vielmehr als Kapital aufgefasst werden.448 Shareholder Value-Ansätze sind somit manipulationsanfällig: Letztlich kann man jedes strategische Projekt so rechnen, dass es prinzipiell die jeweils definierten Genehmigungsgrundsätze erfüllt. Ferner existieren in der Praxis mehrere Varianten der EVAKennzahl (beispielsweise als absolute oder als prozentuale Grösse). Auch berechnen viele Unternehmen den EVA vor Steuern, was den Bezug zum Unternehmenswert beeinträchtigt, weil die Wertbeiträge dadurch zu hoch eingeschätzt werden.449 Diese kritischen Anmerkungen bezüglich der wertorientierten Methoden beziehen sich allerdings eher auf die Anwendung der Verfahren, weniger auf die Grundprinzipien.450 So lassen sich die Probleme der Scheinobjektivität und -reflexivität sowie der Manipulationsmöglichkeit durch folgende Massnahmen reduzieren:451 ! Vorschalten einer ausführlichen qualitativen Analyse; ! Betonen der Bedeutung der Prämissen für das Ergebnis der wertorientierten Planung; ! Sicherstellen einer Dokumentation aller Prämissen und verwendeten Methoden. Ferner können Sensitivitätsanalysen das schwierige Problem der Prognose gewisser finanzieller Grössen wie beispielsweise des Cash-Flows eindämmen.452 Problematischer sind für den Vertrieb allerdings systematische Fehlbeurteilungen strategischer Optionen,453 die sich dadurch ergeben, dass Shareholder Value-Analysen zeitpunktbezogen erfolgen und die Dynamik durch Abzinsung berücksichtigen:454 ! Unterbewertung: Investitionen in Zukunftsoptionen und Kundenbindung werden systematisch unterbewertet. Diese langfristigen Investitionen werden häufig zurückgewiesen, weil aufgrund der Unsicherheit ein hoher Zuschlag auf die Kapitalkosten kalkuliert wird. Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass Entscheidungen einer Periode in späteren Perioden rückgängig gemacht werden können bzw. dass es möglich ist, Investitionen zu verschieben. Diese Prämisse widerspricht aber einigen Grundannahmen des strategischen Marketings: Häufig müssen strategische Fenster (beispielsweise temporäre Schwächen der Konkurrenz) genutzt werden, um das Unternehmen mit Optionen bzw. mit Wahlmöglichkeiten auszustatten. 448 Vgl. Slater/Olson 1996, S. 49. Vgl. Afra/Aders 2001, S. 102. 450 Vgl. Day/Fahey 1990, S. 156. 451 Vgl. Weber/Knorren 1998, S. 16. 452 Vgl. Müller-Stewens 2001, S. 252. 453 Vgl. Doyle 2000, S. 65. 454 Siehe hierzu insbesondere Day/Fahey 1990 und 1998, S. 52ff. 449 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 139 ! Überbewertung: Andere Strategien werden dagegen systematisch überbewertet. Gelegentlich wird ohne Begründung das vorhandene Absatzniveau als gegeben angenommen. Dieses muss aber i.d.R. mit einer Vielzahl von Massnahmen zunächst einmal gehalten werden. Ferner erscheinen Gewinnmöglichkeiten meist in jenen Bereichen höher, in denen das Management weniger Erfahrungen hat und somit die Risiken (und den entscheidenden Risikozuschlag) nicht richtig einschätzen kann.455 Aufgrund dieser Verzerrungen sollten strategische Entscheidungen niemals ausschliesslich auf Shareholder Value-Analysen beruhen.456 Day und Fahey sehen das Hauptproblem wertorientierter Ansätze darin, dass sie unter Umständen strategisches Denken unterdrücken können oder dazu führen, andere attraktive Strategien zu übersehen.457 Werttreiberhierarchien seien ein anderer Blickwinkel. Sie ersetzen strategisches Denken und das Suchen nach einer ausreichenden Zahl strategischer Optionen keinesfalls. Auch fokussieren sie häufig stärker auf das Reduzieren von Kosten als auf das Generieren realen Wachstums.458 Doyle sieht daher Shareholder Value-Analysen ohne Marketingstrategie als Tautologie an.459 Empirische Ergebnisse stützen diese Erkenntnis: Selbst bei Unternehmen, die mit wertorientierten Kennzahlenansätzen erfolgreich waren, wirkten sich diese kaum auf die Innovationsfähigkeit aus.460 Flexibilität sowie Benutzer- und Organisationsadäquanz: Die Flexibilität der Shareholder Value-Ansätze ist eher gering, auch wenn die Werttreiberhierarchien unternehmensspezifisch angepasst werden können. Grundidee und eingesetzte Bewertungsverfahren sind rigide. Im Gegensatz zum Top-Management hält sich der Enthusiasmus des operativen Managements bezüglich wertorientierter Konzepte aufgrund der Komplexität und der restriktiven Annahmen der Ansätze in Grenzen.461 Ähnlich wie beim DuPont-System ist die Benutzer- und Organisationsadäquanz allenfalls für die oberen Unternehmensebenen gegeben. Letztlich hängt sie jedoch von der Umsetzung des Systems im Unternehmen ab. Aufgrund des häufig negativen Images des Shareholder Value-Ansatzes stossen solche Ansätze in Deutschland bei der Implementierung auf grössere Widerstände als andere.462 Den Systemen liegt die vereinfachte Annahme zugrunde, dass sie umfassend umgesetzt werden, wenn die Anreizsysteme auf den Shareholder Value bzw. auf EVA ausgerichtet sind. Allerdings birgt dies die Gefahr, dass nichtfinanzielle Aspekte bei der Gestaltung der Anreizsysteme vernachlässigt werden.463 455 456 457 458 459 460 461 462 463 Vgl. Day/Fahey 1988, S. 53. Vgl. Reinecke 2004, S. 98. Day/Fahey 1988, S. 55f. Vgl. Slater/Olson 1996, S. 52. Vgl. Doyle 2000, S. 20. Vgl. Haspelslagh/Noda/Boulos 2001, S. 58. Vgl. Day/Fahey 1990, S, 156. Vgl. Weber 2000, S. 32. Vgl. Brunner 1999, S. 32. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 140 Die Berechnungsverfahren benötigen häufig Informationen in einer Aufbereitung, die in der Praxis nur schwer zu gewährleisten464 und häufig mit grossem Aufwand verbunden ist.465 Dies führt zu grosser Unsicherheit bei der operativen Konzeptumsetzung.466 Bei den hinreichenden Anforderungen kann festgestellt werden, dass die wertorientierten Steuerungsansätze im Mehrkanalvertrieb von Banken erst ansatzweise entwickelt wurden.467 Es gilt daher zu prüfen, inwiefern die Wertorientierung in ein Kennzahlensteuerungssystem sinnvoll eingebunden werden kann. Die Berücksichtigung wertorientierter Ansätze in der Vertriebssteuerung bei Banken erscheint jedoch sinnvoll, da diese Konzepte schon auf Stufe Gesamtbank eingesetzt werden.468 Vertriebskanäle sind in Mehrkanalsystemen als Wertketten zu verstehen, die wertschöpfende Aufgaben erfüllen.469 Die Wertschöpfung des gesamten Systems bzw. der einzelnen Kanäle gilt es, in einer geeigneten Form abzubilden. Wie die Anforderung der Wertorientierung mit kontextspezifischen Kennzahlen im Mehrkanalvertrieb von Banken operationalisiert werden kann, sollte im Detail geklärt werden. In den bisher entwickelten Konzepten werden kundensegmentspezifische Vertriebskonfigurationen oder kanalübergreifende Geschäftsprozesse nur teilweise zweckmässig abgebildet. Ferner sollte geklärt werden, welche Kennzahlen in einem Kennzahlensteuerungssystem geeignet sind, eine strategische Durchführungs- und Ergebniskontrolle zu ermöglichen. Fazit: Ähnlich wie klassische ROI-Systeme haben die „modernen“ finanzwirtschaftlichen Kennzahlensysteme zwei wesentliche Nachteile: Zum einen wird die Sachzieldimension ungenügend berücksichtigt, zum anderen werden Markt-, Kunden- und insbesondere Konkurrenzorientierung vernachlässigt.470 Shareholder Value-Systeme lösen die Herausforderung, betriebswirtschaftliche Ursache-Wirkungszusammenhänge abzubilden, nur scheinbar. Insbesondere sind sie keine Alternative für eine einsichtige Prüfung der strategischen Positionierung471 und deshalb kein Ersatz für das Entwickeln und Durchspielen möglichst zahlreicher strategischer Optionen. Ohne ein strategisches Fundament sind wertorientierte Kenngrössen bedeutungslos.472 Wenn sich Führungskräfte bei der Anwendung wertorientierter Verfahren allerdings deren Grenzen bewusst sind und versuchen, diese Unzulänglichkeiten zu reduzieren (Stichworte: Sensitivitätsanalysen, Prämissenkontrolle, sorgfältige Dokumentation der eingesetzten Techniken), so sind diese Verfahren auch für den Vertrieb sehr wertvoll. Shareholder ValueVerfahren sind moderne Analyseverfahren, die einen wichtigen Beitrag zur dynamischen 464 465 466 467 468 469 470 471 472 Afra und Aders (Afra/Aders 2001, S. 104) fordern, dass unternehmensweit bis auf die Ebene der operativen Einheiten die Spitzenkennzahlen zu ermitteln sind. Dies unabhängig davon, ob eine entsprechende Standardsoftware derzeit noch nicht existiert. Die Akzeptanz des EVA-Ansatzes ist in der Praxis zwar etwas grösser, weil er stärker als der Shareholder Value-Ansatz auf dem bilanziellen Zahlenwerk aufbaut. Dadurch werden allerdings die Stärken von CashGlow-Grössen nicht genutzt (VCI 1998, S. 79). Vgl. Horvath/Kaufmann 1998, S. 39. Vgl. Wild 2005, S. 181ff. Vgl. Hanft 2003, S. 11. Vgl. Schögel 1997, S. 21. Vgl. Horvath 1998, S. 516. Vgl. Day/Fahey 1988, S. 46. Vgl. Day/Fahey 1990, S, 162. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 141 Quantifizierung und somit zur Bewertung von Strategien leisten. Damit werden Führungskräfte dazu gebracht, alle Tätigkeiten konsequent auf ihre finanzwirtschaftlichen Implikationen zu überprüfen. Solche Ansätze sind daher eine wichtige Basis für eine weitergehende Strategiediskussion.473 3.3 Integrierte Kennzahlensysteme Nachfolgend werden ausgewählte integrierte Kennzahlensysteme dargestellt. Unter integrierten Systemen werden solche verstanden, die versuchen, finanz- und leistungswirtschaftliche Aspekte474 zu integrieren. 3.3.1 Balanced Scorecard Konzept und Zielsetzung Die Entwicklung der Balanced Scorecard durch Kaplan und Norton475 und eine Reihe von Vertretern US-amerikanischer Grossunternehmen (Apple, KPMG, Peat Marwick etc.) geht auf den Anfang der neunziger Jahre zurück. Zielsetzung des Ansatzes ist, die Strategie einer Geschäftseinheit in materielle Ziele und dazugehörige Messgrössen zu übersetzen. Neue Strategien implizieren damit immer auch eine Anpassung der Kriterien, über die Leistung gemessen wird. Der Anspruch der Ausgewogenheit bezieht sich auf: ! die gleichzeitige Berücksichtigung der Interessen unternehmensexterner Anspruchsgruppen wie auch der internen Erfordernisse für Geschäftsprozesse, Innovationen, Lernfähigkeit und Wachstum; ! die Berücksichtigung kurz- und langfristig ausgerichteter strategischer Ziele; ! die Verwendung objektiver und subjektiver (auch nicht-monetärer) Indikatoren. In Abbildung 61 wird der grundsätzliche Aufbau der Balanced Scorecard gezeigt. Jedes Geschäft ist aus vier Perspektiven heraus zu evaluieren, wobei im Bedarfsfall diese Perspektiven auch verändert bzw. ergänzt werden können. Dem liegt eine einfache Kausallogik zugrunde, die eng an den Wertsteigerungsansatz angelehnt ist: Um eine Gesamtkapitalproduktivität zu erreichen (finanzielle Perspektive ! Outcomeorientierung), bedarf es der entsprechenden Mitarbeiterfähigkeiten (Lernen und Wachstum ! Inputorientierung). Diese findet ihren Ausdruck in einer hohen Prozessqualität und in geringen Durchlaufzeiten (Prozessperspektive ! Prozess-/Throughputorientierung). Dies führt wiederum zu einer zeitgerechten Versorgung des Kunden mit den geschaffenen und nachgefragten Leistungen bindet den Kunden auch (Kundenperspektive ! Outputorientierung). 473 474 475 Vgl. Day/Fahey 1988, S. 56. Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.3.2. Kaplan/Norton 1992, Kaplan/Norton 1996. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 142 Finanzielle Perspektive Was muss erreicht werden, um für die Stakeholder erfolgreich zu sein? Kunden-Perspektive Was muss für die Kunden geleistet werden, um die Strategie durchzusetzen? Prozess-Perspektive Vision und Strategie Wie müssen Ablaufprozesse gestaltet sein, um Kunden zufrieden zu stellen? Lernen & Wachstum Wie kann die Fähigkeit zu Wandel, Innovation und Verbesserung laufend gesteigert werden? Abbildung 61: Perspektiven der Balanced Scorecard Quelle: Kaplan/Norton 1996, S. 25. In den vier Perspektiven sind auch die Haupttreiber des Wertsteigerungsansatzes476 erkennbar (Umsatzwachstum und -zusammensetzung, Kostenreduktion und Produktivitätsverbesserung, Nutzung der Vermögenswerte), die je nach Portfolio-Strategie (ernten, halten, wachsen) unterschiedlich zu bedienen sind.477 Die Arbeitslogik der Balanced Scorecard zielt auf die Übersetzung der Vision in konkrete Aktivitäten ab, was in der Abbildung 62 verdeutlicht wird. Aus der Vision und Unternehmensstrategie müssen pro Perspektive die strategischen Ziele abgeleitet und – man vergleiche dazu das Beispiel in Abbildung 62 – schlüssig zueinander in Beziehung gesetzt werden. Danach gilt es, die Variablen zu identifizieren, die als kausal zur Erreichung der Ziele betrachtet werden. Sie werden hier als Treiber genannt. Um diese Treiber in ihrer Entwicklung beurteilen zu können, bedarf es der Messgrössen. Da die Ausprägungen dieser Messgrössen die Chance zur Unterstützung der Umsetzung ambitionierter Strategien bieten sollen, ist bei ihrer Auswahl zu bedenken, dass sie möglichst einem Benchmarking zugänglich sein sollten. 476 477 Der Wertsteigerungsansatz ist derjenige Ansatz, welcher dem DuPont-System zugrunde liegt. Vgl. Abschnitt 3 und 3.2.1. Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 708. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM Vision und Strategie Ziele Finanzielle Perspektive Perspektiven Feedback 143 Kundenperspektive Prozessperspektive Lernen Wachstum Treiber / KEFs ! ! .... .... ! ! .... .... ! ! .... .... ! ! .... .... Messgrössen ! ! .... .... ! ! .... .... ! ! .... .... ! ! .... .... Aktivitäten ! ! .... .... ! ! .... .... ! ! .... .... ! ! .... .... Operative Umsetzung Abbildung 62: Arbeitslogik der Balanced Scorecard Quelle: In Anlehnung an Kaplan/Norton/Horvath 1997, S. 23. In Abbildung 63 wird am Beispiel des „Strategiebaums“ eines Telekommunikationsunternehmens gezeigt, wie die einzelnen Strategieelemente ineinander greifen, weshalb man auch sagt, dass mit der Balanced Scorecard ein integrativer Strategieansatz verfolgt wird.478 Outcome Finanzielle Perspektive Verbesserung der Ertragssituation Umsatzwachstum Risikodiversifikation Output Kundenperspektive Altkundenstamm reduzieren Marktpräsenz erhöhen Mit neuen Diensten MarktAnteile gewinnen Throughput Prozessperspektive Task-ForceGruppe aufbauen Input Wachstum Lernen Verbesserung des Produktmixes Qualifikation der Mitarbeiter in den CallCenters Akquisitionsprozess entwickeln Wissenstransfer von den Partnern PR-Aktionen intensivieren Innovationsleistung aufrechterhalten Cross-SellingAktionen ausführen Motivation sichern Abbildung 63: Strategiebaum eines Unternehmens aus der Telekommunikationsindustrie Quelle: Kaplan/Norton/Horvath 1997, S. 35. Beurteilung anhand der Anforderungen Die Idee, finanzwirtschaftliche und nicht-monetäre Kennzahlen zu kombinieren, ist nicht neu und wurde bereits vor der Entwicklung des Balanced Scorecard-Konzepts mehrfach gefor- 478 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 708. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 144 dert479 und realisiert480 . Auch die Forderung nach Ausgewogenheit ist nicht neu481 , wohl aber die Unterscheidung der vier Perspektiven in Form einer Ursache-Wirkungskette482 . Der Balanced Scorecard-Ansatz von Kaplan und Norton schreibt kein spezifisches Kennzahlensystem vor. Er gibt vielmehr Anleitungen, wie Führungskräfte ein System entwickeln sollen, um betriebswirtschaftliche Strategien umzusetzen. Der Ansatz wird der notwendigen Anforderung gerecht, dass ein Kennzahlensteuerungssystem in den gesamten strategischen Managementprozess eingebunden wird. Zahlreiche Erfahrungsberichte bescheinigen daher der Balanced Scorecard eine ausgesprochen hohe Problemadäquanz: Sie ist sowohl ein effektives als auch ein effizientes Instrument, zumal nicht nur das Kennzahlensystem selbst, sondern auch der Entwicklungsprozess und die Implementierung im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Die Benutzer- und Organisationsadäquanz der Balanced Scorecard ist unterschiedlich zu bewerten. Das Konzept ist ein Instrument, mit dem Strategien „top-down“ implementiert werden. Die generische Balanced Scorecard wird daher insbesondere den Informationsanforderungen des Top-Managements gerecht. Eine einzige Balanced Scorecard kann keinesfalls die Informationsbedürfnisse aller organisatorischen Stellen erfüllen. Wird der Strategieumsetzungsprozess allerdings im Rahmen einer Wasserfallstrategie stufenweise bis zu den operativen Ebenen durchgängig gestaltet, kann die Balanced Scorecard abteilungs- und stellenspezifische Ausprägungen annehmen. Beispielsweise können Bereiche oder Abteilungen auf der Basis strategischer Kennzahlenvorgaben eigene Scorecards erstellen. In diesem Fall erfüllt die Balanced Scorecard die Funktion eines Kommunikationsinstruments, das unterschiedliche Planungsebenen miteinander verbindet. Die Balanced Scorecard ist ein ausgewogenes Kennzahlensystem und gewährleistet dadurch eine gewisse Konsistenz. Das Kennzahlensystem ist durch die Perspektiven umfassend, klar gegliedert und übersichtlich. Überschneidungen werden allerdings nicht vermieden. Sie sind vielmehr systemimmanent und wegen der zugrundeliegenden Wirkungszusammenhänge sogar erwünscht. Weil die Balanced Scorecard ein Ordnungssystem ist, ist die Konsistenz somit zwangsläufig geringer als bei Rechensystemen wie dem DuPont-System. Zu kritisieren ist daher weniger die Tatsache, dass die strategischen Ziele sowie die angenommenen Ursache-Wirkungszusammenhänge nicht eindeutig quantifiziert werden können. In der Realität lassen sich analytische, rechnermässig erfass- und verdrahtbare Zusammenhänge zumeist ohnehin nicht ermitteln.483 Allerdings ist zu beklagen, dass beim Konzept der Balanced Scorecard kein echter Methodenvorschlag vorliegt, der hilft, die Konsistenz sicherzustellen.484 Auch wenn die vier Perspektiven der Balanced Scorecard auf einem rudimentären Ursache- 479 480 481 482 483 484 Vgl. Drucker 1985, S. 403; Johnson/Kaplan 1987, S. 259; Eccles 1991. So umfasst das Zielsystem von General Electric aus dem Jahr 1957 bereits acht „Key Result Areas“: Profitabilität, Marktposition, Produktivitäten, Produktführerschaft, Personalentwicklung, Einstellung des Personals, Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, Balance zwischen lang- und kurzfristigen Zielen (Lewis 1959, S. 598). Vgl. Eccles/Nohria/Berkley 1992, S. 147. Vgl. Kaplan/Norton/Horvath 1997, S. 29. Weber 2000, S. 8f. Vgl. Ahn 2001, S. 458. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 145 Wirkungszusammenhang beruhen, fehlen jegliche Hinweise, wie beispielsweise Beziehungsstärke, Zeitverzögerungen, kumulative Effekte und Rückkoppelung zu berücksichtigen sind.485 Diese Forschungsfrage delegieren Kaplan und Norton an die Praxis zurück. Die Defizite im Rahmen der Konsistenz wirken sich allerdings positiv auf die Flexibilität des Systems aus. Weder die Anzahl noch die Dimensionen der Perspektiven, geschweige denn einzelne Kennzahlen, werden vorgeschrieben. Ferner wird unterstrichen, dass die Balanced Scorecard unternehmensindividuell anzupassen ist und im Laufe der Zeit regelmässig überprüft und überarbeitet werden sollte. Die Wirtschaftlichkeit des Balanced Scorecard-Konzepts hängt davon ab, wie konsequent das System eingesetzt wird. Der hohe Aufwand für Kennzahlenaufbau und -pflege sowie die umfassende Operationalisierung der Kenngrössen erscheinen nur dann gerechtfertigt, wenn das System tatsächlich zur Strategieumsetzung verwendet wird.486 Die Beurteilung anhand der hinreichenden Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem fällt grundsätzlich positiv aus. Die Balanced Scorecard ist ein Ordnungssystem, welches nur allgemeine Strukturierungsvorschläge enthält. Die Auswahl kontextspezifischer Kennzahlen wird von Kaplan und Norton dabei bewusst an die Praxis delegiert. Im Mehrkanalvertrieb von Banken müsste somit im konkreten Anwendungsfall geprüft werden, mit welchen Kennzahlen die Kundensegmentspezifische Vertriebskonfiguration in einer geeigneten Form abgebildet werden könnte.487 Dabei stellt sich v.a. die Frage, wie die Konfiguration (Art, Anzahl und Aufgaben der Kanäle) zweckmässig mit der Grundstruktur der verschiedenen Perspektiven in Einklang gebracht werden könnte. Die Balanced Scorecard bildet in der Prozessperspektive Aktivitäten (Throughput) ab, welche auf der Kundenseite zu einem bestimmten Output führen. Durch den Einbezug dieser Perspektive ist die Balanced Scorecard konzeptionell dazu geeignet, kanalübergreifende Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse abzubilden. Defizite werden bei der Balanced Scorecard im Bereich der strategischen Kontrolle aufgeführt.488 Diese umfasst nach Müller-Stewens489 die Prämissen-, Durchführungs- und Wirksamkeitskontrolle490 . Die Durchführungskontrolle als eigentlicher Zweck der Balanced Scorecard wird umfassend und detailliert gewährleistet. Ebenso wird anhand der Finanzperspektive eine Ergebniskontrolle vorgenommen. Eine Prämissenkontrolle fehlt allerdings. Dies bedeutet, dass die Basisannahmen und damit auch die Qualität der zu implementierenden Strategie nicht überprüft werden. Müller-Stewens sieht in dieser Kluft eine Gefahr: Weil mit Hilfe der Balanced Scorecard Strategien sehr wirksam durchgesetzt werden können, erhöhen sie das Risiko der Realisierung unzweckmässiger Strategien.491 Ohne Balanced Scorecard werden 485 486 487 488 489 490 491 Vgl. Steinle/Thiem/Lange 2001, S. 34. Die Methodik des vernetzten Denkens (Gomez 1995) könnte hier entscheidend weiterhelfen. Vgl. Gleich 2001, S. 89. Vgl. Wild 2005, S. 204. Vgl. Reinecke 2004, S. 111. Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 694. Bei der Wirksamkeitskontrolle spricht man auch von Ergebniskontrolle. Vgl. zum Thema Umsetzung von Marketingstrategien Bonoma 1984/Bonoma 1985b, 1986. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 146 Strategiefehler des Top-Managements häufig durch die Organisation abgefedert und gemildert. Werkzeuge wie die Balanced Scorecard setzen dagegen nicht nur „gute“, sondern auch „schlechte“ Strategien besonders wirkungsvoll um.492 Die Prämissenkontrolle im Rahmen der Balanced Scorecard kann bei der Umsetzung dadurch verbessert werden, dass die Kennzahlenauswahl umfassend diskutiert und überprüft wird. Weber und Schäffer stellen allerdings fest, dass sich die erforderliche kritische Distanz zu den ausgewählten Kennzahlen im Zeitverlauf reduziert.493 Sie schlagen daher vor, auch Scorecards für die wichtigsten Konkurrenten, Lieferanten und Kunden aufzustellen, um die eigene Engstirnigkeit zu überwinden. Ferner sollten die ausgewählten Kenngrössen um solche ergänzt werden, die auf die Prämissen der Planung gerichtet sind.494 Diese Massnahmen verringern die Defizite der Prämissenkontrolle. Sie sind jedoch aufwendig und führen dazu, dass noch mehr Kennzahlen evaluiert werden müssen. Der Anforderung einer Ausrichtung des Kennzahlensystemdesigns auf eine wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption wird die Balanced Scorecard grundsätzlich gerecht. Die einzelnen Perspektiven wurden von Kaplan und Norton ursprünglich allgemein definiert495 und lassen genügend Spielraum offen, um wert(treiber)orientierte Steuerungsgrössen einzubinden. Die geforderte Ausgewogenheit eines Kennzahlensteuerungssystems wird von einer Balanced Scorecard konzeptionell erfüllt. Die Ausgewogenheit manifestiert sich dabei in verschiedenen Aspekten.496 Fazit: Die Balanced Scorecard ist ein sehr zweckmässiger Ansatz, der in der Praxis auf grosse Resonanz stösst. Methodische Defizite wie die fehlende Konkurrenzorientierung sind durch Weiterentwicklungen des Konzepts lösbar, solange der Einsatz der Balanced Scorecard auf die Durchführungskontrolle beschränkt bleibt. Aus Marketingsicht interessiert insbesondere die Frage, wie eine Weiterentwicklung des Konzepts der Balanced Scorecard sicherstellen könnte, dass es den stellenspezifischen Informationsanforderungen von Marketing und Verkauf gerecht wird. Ferner wäre eine solche Scorecard mit klassischen Marketinginformationssystemen zu koppeln, um Ursache-Wirkungszusammenhänge transparenter darzustellen. Soll die Balanced Scorecard tatsächlich zur Strategieumsetzung eingesetzt werden, ist es erforderlich, die Ressourcenallokation und somit die Budgetierung mit diesem Instrument zu koppeln. 3.3.2 Intellectual Capital-Ansätze Konzept und Zielsetzung Intellectual Capital-Ansätze basieren auf der so genannten „knowledge-based view of the firm“, welche eine eigenständige Weiterentwicklung der ressourcenorentierten Ansatzes ist. Bei diesen Ansätzen wird Wissen als nichttangible, unerschöpfliche Ressource, die unsicht- 492 493 494 495 496 Vgl. Müller-Stewens/Fontin 1998, S. 205. Vgl. Weber 2000, S. 21. Vgl. Weber 2000, S. 19. Vgl. Kaplan/Norton 1996, S. 44. Vgl. Abschnitt 3.3.1. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 147 bar497 und nicht greifbar498 ist, herangezogen, um nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erklären.499 Wissen wird durch Gebrauch weder verändert noch vernichtet. Sein Einsatzwert wird durch die Anwendung sogar vergrössert.500 Intellectual Capital-Ansätze beschäftigen sich mit drei Aspekten: ! Wissensentwicklung: Wie wird unternehmerisches Wissen entwickelt? ! Wissensanwendung: Wie wird Wissen in relevante Handlungen umgesetzt? ! Wissensmessung und –bewertung: Wie wird der Beitrag des Wissens für die Erreichung operativer und strategischer Ziele gemessen, überwacht und verbessert? Beim Aspekt der Wissensmessung und –bewertung wird auf Kennzahlen und Kennzahlensysteme zurückgegriffen, welche das Wissenskapital eines Unternehmens operationalisieren. Bei der Messung und Bewertung von Wissen wird zwischen zwei Ansätzen unterschieden: deduktiv-summarische und induktiv-analytische Ansätze. Erstere drücken den Unterschied zwischen Markt- und Buchwert eines Unternehmens mit Hilfe einer Kennzahl wie beispielweise Markt-Buchwert-Relationen501 oder Tobins Q502 aus. Bei solchen Ansätzen handelt es sich um einzelne Kennzahlen, nicht aber um umfassende Kennzahlensysteme. Durch induktivanalytische Ansätze werden unterschiedliche Komponenten des immateriellen Vermögens beschrieben und bewertet.503 I.d.R. streben sie danach, mit Hilfe von wissensorientierten Kennzahlen die Weiterentwicklung der Wissensbasis einer Unternehmung in die strategische und operative Planung und Steuerung zu integrierten. Intellectual Capital-Ansätze unterscheiden zwischen Human- und Strukturkapital (vgl. Abbildung 64). Dies wird dadurch begründet, dass Unternehmenseigner über keinerlei Eigentumsrechte am Humankapital verfügen, während sie über Strukturkapital weitergehende Rechte haben.504 497 498 499 500 501 502 503 504 Vgl. Itami 1987, S. 89. Vgl. Hall 1992, 134. Von Krogh/Venzin 1995; Nonaka/Toyama/Konno 2000. Vgl. Reinhardt 1998, S. 149f. Vgl. Capraro/Srivastava 1997. Vgl. Stewart 1997, S. 225. Vgl. North 1998, S. 188. Vgl. Reinhardt 1998, S. 153. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 148 Wissenskapital (Intellectual Capital) Humankapital (Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter) Kompetenz (Können) ! Wissen ! (explizites), das gelernt werden kann/muss Fertigkeiten (Fähigkeit, Wissen in Handlungen umsetzen) Lernfähigkeit/ Flexibilität (Wollen) ! Motivation ! Verhalten ! Werte Strukturkapital (immaterielle Werte, unabhängig von Mitarbeiter) Beziehungen (nach aussen) Bereitschaft ! Innovations! ! ! fähigkeit Imitationsfähigkeit Anpassungsfähigkeit Umsetzungsfähigkeit ! Kunden ! Lieferanten ! Netzwerk- Organisation (nach innen) ! Infrastruktur ! Prozesse partner ! Eigner ! andere Bezugsgruppen ! (Übertragung von Humanin Strukturkapital) Kultur Erneuerung/ Innovation ! Finanzielle Investitionen, deren Rendite erst in Zukunft sichtbar wird Abbildung 64: Strukturierung von Wissenskapital Quelle: In Anlehnung an Reinhardt 1998, S. 154ff. Im Rahmen des Intellectual Capital-Ansatzes von Eddinson und Malone505 werden Humanund Strukturkapital folgende Teilaspekte zugeordnet: ! Humankapital: Hierzu zählen das Wissen bzw. die Fähigkeiten einzelner Arbeitnehmer, um Kunden mit kundengerechten Problemlösungen zu versorgen. ! Strukturkapital: Darunter fallen alle immateriellen Werte, die unabhängig von den Arbeitnehmern als Personen sind. Strukturkapital ist das, was übrig bleibt, wenn alle Organisationsmitglieder das Unternehmen verlassen haben. Intellectual Capital-Ansätze dienen nicht nur dazu, den Status Quo des Wissenskapitals anhand von Indikatoren zu analysieren und zu beschreiben, sondern auch dazu, den Prozess der Transformation von Human- in Strukturkapital einerseits und von Humankapital der Vorgesetzten in das Humankapital der Mitarbeiter andererseits zu gestalten.506 Nachfolgend sollen zwei Ansätze erläutert werden, welche diesen Grundgedanken anhand von Kennzahlen operationalisieren. Intellectual Capital-Navigator Der Intellectual Capital-Navigator zerlegt den Marktwert einer Unternehmung in die drei Komponenten Kunden, Organisation und Mitarbeiter und weist diesen folgende Indikatoren zu: ! Kundenkapital: Kundenbindungsrate, Wert der Marke, Kundenzufriedenheit ! Strukturelles Kapital: Verhältnis von Umsatz zu Verkaufs- und Administrationskosten, Umschlagsgrad des Umlaufvermögens, Wiederbeschaffungswert der Datenbasis 505 506 Vgl. Edvinsson/Malone 1997, S. 12. Vgl. Reinhardt 1998, S. 159. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 149 ! Humankapital: Fluktuationsrate der Wissensmitarbeiter, Umsatzanteil neuer Produkte, Mitarbeiterverhalten/-einstellungen Skandia Navigator Ein weiterer induktiv-analytischer Ansatz ist der Skandia Navigator. Er ist eng mit der Balanced Scorecard507 verwandt und verbindet sie mit dem Wissensmanagement. Der von dem skandinavischen Versicherungskonzern eingesetzte Navigator unterscheidet allerdings fünf Perspektiven: finanzieller Fokus, Kunden-, Mitarbeiter-, Prozess- sowie Erneuerungs- und Entwicklungsfokus. Das dem Skandia Navigator zugrunde liegende Konzept ist mit jenem der Balanced Scorecard fast identisch: Eine Strategie wird anhand von Schlüsselerfolgsfaktoren und Indikatoren operationalisiert. Mit diesen Kenngrössen werden unterschiedliche Kategorien des Intellectual Capitals gemessen. In den fünf Perspektiven werden die folgenden Kennzahlen verwendet: ! Finanzieller Fokus: Prämienvolumen (absolut), Prämienvolumen pro Mitarbeiter ! Kundenfokus: Telefonische Erreichbarkeit, Anzahl Individualpolicen, Kundenzufriedenheitsindex, schwedisches Kundenbarometer ! Mitarbeiterfokus: Durchschnittsalter, Mitarbeiterzahl, Weiterbildungszeit (Tage pro Jahr) ! Prozessfokus: Anteil IT-Mitarbeiter an allen Mitarbeiter ! Erneuerungs- und Entwicklungsfokus: Anstieg des Prämienvolumens in Prozent, Werte im Schadenbewertungsverfahren, Anzahl der registrierten Ideen Beurteilung anhand der Anforderungen Die Grundidee induktiv-analytischer Ansätze der Wissensbewertung ist insofern innovativ, als sie neue Konzepte des Performance-Measurements auf das Wissensmanagement übertragen. Mit den beiden vorgestellten Ansätze wird danach gestrebt, mit Hilfe wissensorientierter Kennzahlen die Weiterentwicklung der Wissensbasis einer Unternehmung in die strategische und operative Planung und Steuerung zu integrieren. Sie sind somit grundsätzlich derart konzipiert, dass sie in den gesamten Managementprozess eingebunden werden können. Für die Wissensmessung und –bewertung scheinen beide Ansätze grundsätzlich geeignet, obwohl es in Bezug auf die Problemangemessenheit folgende Punkte zu hinterfragen gilt: ! Die Robustheit beider Systeme ist unzureichend, weil die Messung des Wissenskapitals immer nur sehr indirekt mit Hilfe von Indikatoren möglich ist. In der Praxis sind allerdings widersprüchliche Entwicklungen zu erwarten, die die Interpretation erschweren und dadurch den Einsatz der Kennzahlensyteme für Steuerungszwecke beeinträchtigen. ! Um tatsächlich als Steuerungsinstrument zu dienen, müssen die Ansätze es auch ermöglichen, die Effizienz der Transformation von Intellectual Capital in Finanzwerte einerseits und von Finanzwerten in Intellectual Capital andererseits zu messen.508 507 508 Vgl. Abschnitt 3.3.1. Vgl. Roos et al. 1998, S. 79. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 150 Allerdings stellt sich die Frage, ob die Kennzahlensysteme den Anforderungen der Benutzer und der betroffenen Organisation gerecht werden. Intellectual Capital-Ansätze stossen häufig auf Akzeptanzprobleme:509 Viele Anwender sehen die Indikatoren als nutzlos an. Auch sind die klassischen Rechnungslegungssysteme für Zwecke der Berichterstattung über das Wissenskapital relativ ungeeignet. Selbst Skandia als Pionier eines solchen Reportings hat diese öffentliche Form der Berichterstattung lediglich bis 1998 aufrechterhalten. Wissen ist ein weiches Konstrukt. Die grösste Herausforderung für ein Kennzahlensystem zur Wissensmehrung und -steuerung besteht darin, eine gewisse Konsistenz sicherzustellen. Aufgrund seiner engen Verwandschaft mit der Balanced Scorecard ist der Skandia Navigator in Bezug auf seine Konsistenz ebenso wie diese zu bewerten.510 Der konkrete Einsatz durch das schwedische Versicherungsunternehmen scheint in mehreren Aspekten fragwürdig: Es werden beispielsweise Kennzahlen unterschiedlicher Aggregationsniveaus und unterschiedlichen Bedeutungsgehalts isoliert nebeneinander gestellt. Zudem werden zweifelhafte Messgrössen wie Durchschnittsalter eingesetzt. Der Aufwand für Intellectual Capital-Ansätze erscheint relativ hoch, zumal die meisten Aspekte schwer operationalisiert und kaum automatisiert erfasst werden können. Die Wirtschaftlichkeit solcher Systeme muss daher im Einzelfall genau geprüft werden. Die Intellectual Capital-Ansätze können in Bezug auf die hinreichenden Anforderungen nicht umfassend beurteilt werden, weil aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung grosse Unterschiede zu einem Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb bestehen. Hinsichtlich der Anforderungen der Dimension Messkonzeption können zusammenfassend folgende Gedanken aufgeführt werden: Der Grundidee induktiv-analytischer Ansätze ist dazu geeignet, wichtige Aspekte im Rahmen einer integrierten Vertriebssteuerung zu berücksichtigen und somit zu einem ausgewogenen Kennzahlensystemdesign beizutragen. Das Messen von Wissen als weicher Faktor und Komponente des Unternehmenswerts stellt zudem sicher, dass ein Kennzahlensteuerungssystem im Mehrkanalvertrieb wert(treiber)orientiert ausgestaltet werden kann. Fazit: In einer zusammenfassenden Beurteilung der induktiv-analytischen Ansätze zur Bewertung und Steuerung des Intellectual Capitals ist festzuhalten, dass diese insofern innovativ sind, als sie neue, häufig als wettbewerbsentscheidend angesehene Aspekte in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken. Ferner wird versucht, diese systematisch zu analysieren und erste Ansätze zur Steuerung zu geben. Eine weitere Stärke der Ansätze ist die gute theoretische Fundierung. Diese unterscheidet sie deutlich von den meisten PerformanceMeasurement-Systemen. Dennoch hat die Würdigung der Intellectual Capital-Ansätze offenbart, dass derzeit noch deutliche methodische Schwächen vorhanden sind. Insbesondere fehlen anwendungsorientierte Anweisungen für die häufig noch abstrakten Ansätze. 509 510 Reinhardt 1998, S. 173. Vgl. Abschnitt 3.3.1. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 151 3.3.3 Performance-Messung im St.Galler General Management Navigator Konzept und Zielsetzung Die Performance-Messung entlang des General Management Navigator (GMN) von MüllerStewens511 besteht aus den drei Bausteinen Konzept, Umsetzung und Ergebnis. Ziel ist es, die strategischen Initiativen und ihre Auswirkungen von Anfang an zu beobachten und zu beurteilen. Den Bausteinen liegen folgende Annahmen zu Grunde: ! Am Anfang stehen Konzepte bezüglich wichtiger, strategischer Initiativen. Wer also in der Lage ist, professionell Konzepte für eine strategische Positionierung und die zu ihrer Wirksamkeit notwendigen Veränderungsprozesse zu generieren, hat gewissermassen die erste Hürde genommen. ! Die zweite Hürde ist die Umsetzung dieser Konzepte bzw. die Wirksamkeit der lancierten Initiativen. Dabei interessieren v.a. die Stellen im Prozess, in dem Ausmass und Auswirkungen der Umsetzung beobachtet werden können: Wurde das auch getan, was man vorhatte zu tun (Kontrolle)? Welche Auswirkungen hatte dies auf die Beobachtungsgrössen? ! Zuletzt geht es um die Auswirkungen der eingeleiteten Initiativen auf das finanzielle Ergebnis, also darum, ob eine Wertsteigerung erzielt wurde. Dabei gilt, sich Klarheit darüber zu schaffen, ab wann und inwieweit die Zahlen aus dem Controlling Ausdruck des finanziellen Ergebnisses der eingeleiteten Initiativen sind. Führungsarbeit Zeit Feedback Baustein Konzept (Strategie) Umsetzung der Strategie Ergebnis der Strategie Ansatz zur Performancemessung GMN-Audit GMN-Scorecard Financial Controlling Abbildung 65: Beurteilung der Führungsarbeit Quelle: Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 713. Die Bewertung der konzeptionellen Qualität nennt Müller-Stewens „Konzept-Audit“512 (GMNAudit), die Bewertung der Implementierung „Umsetzungs-Scorecard“513 (GMN-Scorecard) und die Auswirkungen auf das Betriebsergebnis „Financial Controlling“514 . Zusammenfassend ergibt sich aus ihnen eine Kausalkette entlang der Zeitachse, durch die erstens so früh als möglich Feedback eingeholt wird und die zweitens nach verschiedenen Perspektiven und Indikatoren misst. In Abbildung 66 wird eine graphische Aufbereitung der GMN-PerformanceMessung anhand eines Beispiels aus der Praxis gezeigt. 511 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 713. Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 713. 513 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 713. 514 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 713. 512 TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM GMN-Audit (Audit der Konzepte) Initiierung 4.0 Positionierung 5.25 GMN-Scorecard (Scorecard der Umsetzung) Initiierung 2.0 152 Controlling der Finanzergebnisse Positionierung 2.8 RONA Ist: RONA Soll: 14.0% 15.5% 3.4 PM Umsatzwachstum Ist: Umsatzwachstum Soll: Veränderung 2.25 4.2 (20%) Wertschöpfung 5.25 Veränderung 1.8 2.1 (30%) Wertschöpfung 2.7 6.1% 8.0% 3.0 3.2 (50%) Ampel-Legende: Skala 1-6 (6=beste Bewertung) „dunkel“ „mittel“ „weiss“ Bewertung 1.0 - 2.4 Bewertung 2.5 - 4.4 Bewertung 4.5 - 6.0 3.1 Soll für laufendes Jahr: Soll Vorjahr: 3.5 2.3 Abbildung 66: Performance-Messung im GMN Quelle: Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 714. Um zum Gesamtergebnis von 3.1 zu gelangen, wurde eine Gewichtung der Ergebnisse der drei Bausteine515 nach dem Schlüssel 2:3:5 vorgenommen. Es stellt sich im vorliegenden Beispiel die Frage, ob das finanzielle Ergebnis schon Ausdruck der gegenwärtigen Führungsarbeit ist oder ob sich letztere darom erst noch durchschlagen wird. Es ist von letzterem auszugehen, wenn man die schlechte Beurteilung der Umsetzung heranzieht.516 Beurteilung anhand der Anforderungen Der GMN ist ein weiterer Ansatz, welcher prozessuale Anforderungen an die Herleitung eines Kennzahlensteuerungssystems hervorhebt. Das Arbeitsfeld Performance-Messung legt dar, dass strategische Initiativen vom Entstehen bis zum Wirksamwerden beobachtet und gemessen werden sollten. Dies bedeutet, dass der GMN konzeptionell die Anforderung der Einbindung eines Kennzahlenssteuerungssystems in den gesamten Managementprozess untermauert. Zudem zeigt der Ansatz auf, dass es in der Praxis unterschiedliche Strategieprozessmodelle gibt und dass die Planungsrationalität des strategischen Managements unterschiedlich ist. Die Performance-Messung im GMN ist darauf ausgerichtet, möglichst frühzeitig Feedback zur Qualität der geleisteten Strategie- und Wandelarbeit zu erhalten, um schnell reagieren zu können. Ziel des GMN ist somit, strategische Initiativen und ihre Auswirkungen von Anfang an beobachten und beurteilen zu können. Die Performance-Messung im GMN wird dabei weni515 516 Der General Management-Navigator besteht aus fünf Arbeitsfeldern (Initiierung, Positionierung, Wertschöpfung, Veränderung, Performance-Messung), durch welche die Disziplin strategisches Management aus einer Arbeitsprozesssicht strukturiert wird. Im Arbeitsfeld „Initiierung“ werden strategische Initiativen gestartet. Bei der Positionierung wird das Verhältnis gegenüber den (externen) Stakeholdern bestimmt. Beim Feld Wertschöpfung wird das Innenleben einer Unternehmung (z.B. Fähigkeiten, Prozesse) ausgestaltet. Nachdem es bei der Positionierung und Wertschöpfung um den Inhalt strategischer Initiativen ging, behandelt das Feld Veränderung, ob und wie sie operative Wirksamkeit erlangen. Unter Performance-Messung werden alle Arten von Ansätzen verstanden, welche den Verlauf von strategischen Initiativen vom Entstehen bis zum Wirksamwerden beobachten und messen (Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 28f.). Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 713. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 153 ger als Kontrollinstrument begriffen, sondern mehr als Möglichkeit zur Beschleunigung organisatorischer Prozesse.517 Die Problemangemessenheit des GMN ist für eine derart umfassende Beurteilung als hoch einzustufen. Die Benutzer- und Organisationsadäquanz des GMN ist unterschiedlich zu bewerten. Der Ansatz ist ein Instrument, mit dem die Strategie- und Wandelarbeit aller Hierarchiestufen einer Unternehmung bewertet werden kann. Um die Informationsbedürfnisse aller organisatorischen Stellen zu erfüllen, müssten die drei Konzepte (GMN-Audit, GMN-Scorecard, Financial Controlling) abteilungs- und stellenspezifische Ausprägungen annehmen. Bereiche und Abteilungen müssten anhand strategischer Kennzahlenvorgaben eigene Ansätze entwickeln. Aggregiert wie in Abbildung 66 dargestellt, ist der GMN ein Rechensystem. Die Qualität der Strategie- und Wandelarbeit erfolgt durch die Beurteilung der Konzepte (GMN-Audit), der Umsetzung (GMN-Scorecard) und deren Ergebnisse (Controlling der Finanzergebnisse). Die Beurteilung der drei Bereiche wird in einer Spitzenkennzahl aggregiert. Durch diese rechnerische Verknüpfung ist der GMN auf diesem Aggregationsniveau ein konsistenter Ansatz, welcher Ursache-Wirkungsbeziehungen entlang des strategischen Managementprozesses aufzeigt. Die Flexibilität des GMN ist relativ hoch. Im GMN wird – analog zur Balanced Scorecard – kein Kennzahlensystem vorgeschrieben. Er beinhaltet vielmehr strukturelle Gestaltungshinweise. Die Wirtschaftlichkeit der Performance-Messung im GMN ist differenziert zu beurteilen. Der Nutzen der integrierten und umfassenden Beurteilung der Strategie- und Wandelarbeit ist gross. Der Ansatz erlaubt eine konzeptionell umfassende Diagnose der Führungsarbeit im Rahmen des strategischen Managements. Der Aufwand für eine derart umfangreiche Beurteilung ist jedoch hoch. Die qualitativen Beurteilungen (v.a. GMN-Audit) sind insbesondere bei grösseren Unternehmen zeitintensiv. Müller-Stewens entwickelte die Performance-Messung im GMN nicht mit dem Ziel, ein klassisches, kennzahlenbasiertes Steuerungsinstrumentarium zu entwerfen. Vielmehr wurde beabsichtigt, mit der Performance-Messung organisatorische Prozesse zu beschleunigen. Auf die detaillierte Beurteilung des GMN anhand der hinreichenden Anforderungen wird daher an dieser Stelle verzichtet. Zusammenfassend kann jedoch gesagt werden, dass der GMN wertvolle Gestaltungshinweise für eine strategische Durchführungs- und Ergebniskontrolle gibt. Der Ansatz fordert grundsätzlich eine wertorientierte Steuerungskonzeption, welche insbesondere im Bereich Controlling des Finanzergebnisses abgebildet sein sollte. Der GMN ist insgesamt ein ausgewogener Ansatz, welcher finanz- und leistungswirtschaftliche Aspekte integriert, eine ex-ante- und expost-Beurteilung der Strategiearbeit ermöglicht und dabei qualitative wie auch quantitative Aspekte einbezieht. Fazit: Die Performance-Messung im GMN ist ein zweckmässiger Ansatz, dessen Nützlichkeit sich aufgrund seiner Neuartigkeit in der Praxis noch beweisen muss. Der Ansatz vermag in 517 Vgl. Müller-Stewens/Lechner 2005, S. 741. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 154 einer innovativen Weise, Konzepte, welche sich in der Praxis bewährt haben, zu integrieren. Er ermöglicht eine umfassende Beurteilung der Strategie- und Wandelarbeit von Unternehmen, eignet sich jedoch weniger als Grundlage für ein kennzahlenbasiertes Kennzahlensteuerungssystem. Trotzdem beinhaltet er wertvolle konzeptionelle Grundzüge. 3.3.4 Marketing Performance-Management nach Reinecke Konzept und Zielsetzung Der von Reinecke518 entwickelte Performance-Management-Ansatz beinhaltet ein integriertes Marketing-Kennzahlensystem, welches auf den im aufgabenorientierten Ansatz519 definierten Kernaufgaben des Marketings basiert. Ziel des Systems ist die Verbesserung der Effektivität und Effizienz von Marketing- und Verkaufsmassnahmen. Ferner kann mit dem Kennzahlensystem unterschiedlichen Anspruchsgruppen aufgezeigt werden, zu welchem finanziellen Ergebnis diese Massnahmen geführt haben. Das System ist zum einen in die drei Hauptebenen Potential, Prozess (=Kernaufgabe) und Ergebnis gegliedert, zum anderen ist die zweite Ebene – Aufgabensubsystem – analog gegliedert: Hier wird zwischen Input, Prozess und Ergebnis unterschieden. Formalökonomische Ergebniskennzahlen Gewinn, Wachstum, Sicherheit Dynamische Wertgrössen Finanzwirtschaftliche Ergebnisse Potentiale Kernaufgabenprofil und Marktpositionierung Kundenakquisition Kundenbindung Leistungsinnovation Leistungspflege Ergebnis Ergebnis Ergebnis Ergebnis Prozess Prozess Prozess Prozess Input Input Input Input Finanzkapital Kundenpotentiale Strukturkapital Marktpotentiale Kernaufgaben (Umgang mit Marktpotentialen) Humankapital Leistungspotentiale Marktpotentiale Abbildung 67: Idealtypische Struktur des aufgabenorientierten Marketingkennzahlensystems Quelle: Reinecke 2004, S. 242. 518 519 Reinecke 2004. „Der aufgabenorientierte Ansatz rückt mit den so genannten Kernaufgaben des Marketings die zentralen Wachstums- und Gewinngeneratoren eines Unternehmens bzw. Geschäftsbereichs sowie das Management der dazu erforderlichen Kompetenzen in den Mittelpunkt der strategischen Marketingplanung. Unternehmen können ihre Wachstums- und Gewinnziele erreichen, indem sie neue Kunden akquirieren und/oder Preisbereitschaft, Kauffrequenz und -intensität sowie Verbundkäufe (Cross-Selling) von aktuellen Kunden erhöhen. Zudem können sie versuchen, neue Leistungen in den Markt einzuführen und/oder den Lebenszyklus bestehender Leistungen zu verlängern und zu optimieren.“ Vgl. dazu Tomczak/Reinecke 1996; Tomczak/Reinecke/Mühlmeier 2002. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 155 1. Ebene: Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen (Ergebnis) Die erste Ebene des Gesamtkennzahlensystems umfasst die zentralen finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen. Diese messen, inwiefern die festgelegten Gewinn-, Wachstums- und Sicherheitsziele eines Unternehmens bzw. Geschäftsbereichs erreicht wurden. Dabei erscheint eine Verbindung zu finanzwirtschaftlichen Werttreiberkonzepten erstrebenswert, um sowohl Dynamik als auch eine bestmögliche Koppelung mit den gesamtunternehmerischen Zielen sicherzustellen. Die ökonomischen Ergebniskennzahlen werden im Rahmen des Kernaufgabenprofils konkretisiert: Dabei wird definiert und gemessen, in welchen Aufgabenbereichen profitables Wachstum anzustreben ist bzw. erzielt wurde. 2. Ebene: Umgang mit Marktpotentialen (Prozess) Da finanzielle Kenngrössen allein weder inhaltliche Marketingresultate wiedergeben noch Strategien operationalisieren können, wird auf der zweiten Stufe der Umgang mit Kundenund Leistungspotentialen (=Marktpotentiale) operationalisiert. Dabei sind insbesondere die Schlüsselkennzahlen der Marktpositionierung als qualitative Ziel- und Ergebnisgrössen von Bedeutung. Die aufgabenbezogene Ebene definiert und konkretisiert die Marketingstrategie. Die Gliederung orientiert sich am grundsätzlichen Planungs- und Steuerungsprozess sowie an der Unterscheidung von Input, Prozess und Ergebnis: ! Je Kernaufgabe müssen die spezifischen finanziellen, materiellen und strukturellen Inputs bzw. Voraussetzungen operationalisiert und gemessen werden. Hierzu zählt insbesondere auch das Humankapital. ! In der Prozessebene wird versucht, grundsätzliche Ursache-Wirkungszusammenhänge sowie Eingriffsmöglichkeiten zu erfassen. ! Das Ergebnis jeder Kernaufgabe zeigt sich im Erreichen sowohl aufgabenspezifischer finanzwirtschaftlicher als auch differenzierter nichtfinanzwirtschaftlicher Zielgrössen. 3. Ebene: Marktpotentiale (Potentiale) In der dritten Ebene des Kennzahlensystems werden die für das Marketing zentralen Marktpotentiale bewertet. Diese können aus Kunden- oder aus Leistungssicht erfasst werden. Der Umgang mit Marktpotentialen (2. Ebene) schlägt sich nicht nur in den finanzwirtschaftlichen Ergebnissen (1. Ebene) nieder, sondern wirkt sich auch auf die Potentiale selbst (3. Ebene) aus. Diese Auswirkungen sind zu berücksichtigen, um die langfristige Effektivität und Effizienz einer marktorientierten Unternehmensführung sicherzustellen.520 Marketingmassnahmen und -ausgaben sind somit sowohl „asset-based” als auch “asset-creating“.521 Alle drei Ebenen sind für eine ausgewogene Steuerung des Marketings zu berücksichtigen. Durch die Berücksichtigung von Marktpotentialen einerseits und Human-, Struktur- und Finanzkapital andererseits werden die klassischen strategischen Perspektiven einer Inside-outund einer Outside-in-Orientierung kombiniert. 520 521 Vgl. Ambler 2000, S. 7; Maul 2000, S. 530. Vgl. Piercy 1986, S. 5. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 156 Der Ergebnisebene kommt aufgrund des Controllingziels der Sicherstellung von Effektivität (Wirksamkeit) eine herausragende Rolle zu. Das Ergebnis kann jedoch nicht ohne eine Beeinflussung der Potential- und Prozessdimension verbessert werden.522 Beurteilung anhand der Anforderungen Das integrierte Kennzahlensystem von Reinecke soll einerseits zur Steigerung der Effizienz und Effektivität von Marketing-Massnahmen beitragen und andererseits deren Beitrag zu den finanziellen Ergebnisgrössen aufzeigen. Es zeichnet sich durch eine konsequente Verknüpfung der strategischen mit der operativen Marketingplanung aus. Somit handelt es sich um ein echtes Performance-Management-System, das Management- und Controllingaspekte integriert. Das System eignet sich aufgrund seiner Konzeption523 sowohl als Diagnose- als auch als Steuerungsinstrument. Es beinhaltet eine ausgewogene Mischung aus finanzwirtschaftlichen und marketingspezifischen Kennzahlen. Zudem zeichnet es sich durch eine ausgeprägte Potential- und Wettbewerbsorientierung aus. Seine Problemadäquanz ist hoch zu bewerten. Reineckes System ist als allgemeines Cockpit für Geschäftsbereichsleiter oder den Leiter von Marketing und Verkauf ausgerichtet. Für diese Zielgruppe ist die Benutzer- und Organisationsadäquanz hoch, bedingt aber eine enge Einbindung in die inhaltliche Marketingplanung und die situativen Anpassungen. Die Nützlichkeit ist für die Benutzer hoch, wenn stellenspezifische Perspektiven realisiert und die Kompaktheit und Transparenz sichergestellt werden (Kombination von Top-down- und Bottom-up-Ansatz). Die Konzeption des Kennzahlensystems ist durch einen mehrstufigen Aufbau (Potentiale, Prozesse, Ergebnisse) gekennzeichnet. Ursache-Wirkungszusammenhänge je Kernaufgabe stellen eine grundsätzliche Logik und Widerspruchsfreiheit sicher. Obwohl Reineckes Ansatz nicht als Rechensystem konzipiert ist, kann die Konsistenz als relativ hoch eingestuft werden. Die Flexibilität ist aufgrund seiner Modularität und der Möglichkeit, bei Strategieänderungen Anpassungen vorzunehmen relativ hoch. Die Integration externer Daten ist möglich und sinnvoll. Der Aufwand der Datenerhebung und –verarbeitung hängt stark vom Fokus des Systems und von den ausgewählten Kennzahlen und ihrer Operationalisierung ab. Die Wirtschaftlichkeit ist somit differenziert zu betrachten und hängt schliesslich auch von den jeweiligen Möglichkeiten zur informationstechnischen Unterstützung ab. Bei den hinreichenden Anforderungen kann festgestellt werden, dass Reineckes Ansatz wertvolle konzeptionelle Gestaltungshinweise für ein Kennzahlensteuerungssystem enthält. In der zweiten Ebene wird sichergestellt, dass für das Marketing kontextspezifische Kennzahlen anhand der Kernaufgabenprofile identifiziert werden können. Diese Vorgehensweise kann konzeptionell als Analogie zur Anforderung der Abbildung der Kundensegmentspezifischen Vertriebskonfiguration gesehen werden. Bei einem Kennzahlensteuerungssystem geht es im 522 523 Vgl. Reinecke 2004, S. 238 ff. Bei der Konzeption des Kennzahlensystems strebte Reinecke danach, jene Aspekte anderer bestehender Systeme zu übernehmen, die sich in Theorie und Praxis besonders bewährt haben: Konzept selektiver Kennzahlen, Balanced Scorecard, Managerial Control-System, DuPont-System, Total Quality ManagementModelle, Performance-Measurement in Dienstleistungsunternehmen und Intellectual Capital-Ansätze. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 157 Kern schliesslich auch darum, die Kennzahlen basierend auf den Aufgaben524 der unterschiedlichen Kanäle herzuleiten. Pro Kernaufgabe werden in der zweiten Ebene Prozesse erfasst, um UrsacheWirkungsbeziehungen aufzuzeigen. Somit wird konzeptionell die Notwendigkeit der Abbildung von Geschäfts- und Wertschöpfungsprozessen hervorgehoben. Die Grundstruktur des Ansatzes bildet Marktpotentiale, Kernaufgaben und finanzwirtschaftliche Ergebnisgrössen ab. Implizit werden somit Input, Throughput/Output und Outcome abgebildet. Diese Strukturierung trägt – analog zu den Ansätzen von Kaplan und Norton525 und Müller-Stewens526 – dazu bei, dass das konzeptionelle Design sich durch eine Zweckmässigkeit für die strategische Durchführungs- und Ergebniskontrolle auszeichnet. In der ersten Ebene werden finanzwirtschaftliche Ergebnisgrössen abgebildet. Reinecke stellt fest, dass eine Verbindung zu finanzwirtschaftlichen Werttreiberkonzepten erstrebenswert ist, um sowohl Dynamik als auch eine bestmögliche Koppelung an die gesamtunternehmerischen Ziele sicherzustellen. Somit wird die Anforderung der Ausrichtung an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption ebenfalls berücksichtigt. Durch die Grundstruktur mit den drei Ebenen wird sichergestellt, dass der Ansatz der Anforderung der Ausgewogenheit des Kennzahlensystemdesigns gerecht wird. Fazit: Das aufgabenorientierte Kennzahlensystem von Reinecke ist ein innovativer Ansatz für ein integriertes System im Bereich Marketing. Der Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er die Vorteile von bestehenden Konzepten konsequent ausnutzt und diese zu einem zweckmässigen Steuerungs- und Diagnoseinstrument für das Marketing integriert. Für die Gestaltung eines Kennzahlensteuerungssystems bietet dieser Ansatz zahlreiche konzeptionelle Hinweise, welche es zu berücksichtigen gilt. 3.3.5 ibi-Vertriebscockpit Konzept und Zielsetzung Das ibi-Vertriebscockpit von Wild527 ist ein integriertes und wertorientiertes Vertriebskennzahlensystem, welches zur Steuerung des Bankvertriebs entwickelt wurde. Das Cockpit basiert im Kern auf der klassischen Vertriebsergebnisanalyse, welche drei Erfolgsfaktoren beurteilt: Kunden, Produkte und Vertriebskanäle.528 Der Ansatz wurde von Wild weiterentwickelt. Direkte und indirekte Werttreiber sollen die Ursachen des Vertriebsergebnisses aufzeigen. Bei den Werttreibern handelt es sich einerseits um weiche, nicht finanzbuchhalterisch erfasste Faktoren wie z.B. Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit. Andererseits sind dies Faktoren, die Wirkungszusammenhänge zwischen den drei Betrachtungsdimensionen (Kunden, Produkte, Vertriebskanäle) im klassischen Modell be- 524 525 526 527 528 Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.2. Vgl. Abschnitt 3.3.1. Vgl. Abschnitt 3.3.2. Vgl. Wild 2005. Vgl. Schierenbeck 2003, S. 386ff. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 158 schreiben. In Abbildung 68 wird das ibi-Wertdreieck529 aufgezeigt, welches einen erweiterten Analyserahmen mit sechs Werttreiberdimensionen darstellt. Die von Wild zusätzlich berücksichtigten Werttreiber sind Betreuungsstärke, Potentialsauschöpfung und Verkaufsstärke. Die Betreuungsstärke beschreibt dabei die Interaktion zwischen Kunden und Vertriebsmitarbeitern, die Potentialausschöpfung die Relation zwischen Kunden und Produkten und die Verkaufsstärke den Zusammenhang zwischen Produkten und Vertriebseinheiten. Vertriebsergebnis (traditionelle Erfolgsdimensionen) Kunden Vertriebskanäle Produkte Indirekte Werttreiber (Einfluss nicht quantifizierbar) Direkte Werttreiber (Einfluss quantifizierbar) Werttreiber im Vertrieb Potentialausschöpfung Kunden Betreuungsstärke Produkt Verkaufsstärke Vertriebseinheit/ Mitarbeiter Klassische Werttreiber Abbildung 68: ibi-Wertdreieck Quelle: Wild 2005, S. 210. Die sechs Betrachtungsdimensionen dienen der Clusterung zahlreicher, unterschiedlicher Werttreiber. In Abbildung 70 werden die Dimensionen mit den entsprechenden Werttreibern im ibi-Vertriebscockpit aufgezeigt. 529 Das ibi-Wertdreieck selber wurde von ibi research entwickelt. Vgl. www.ibi.de. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM VE/Mit B re et u g un t ss är arbeite r Verka VEPotential Betreuungsqualität Pr Abschlussorientierung Kun den te Prozesseffizienz Produktqualität Mitarbeiterprofitabilität Kundenpotential uk Kundenprofitabilität Produktprofitabilität Produktnutzung Kundenausschöpfung ial- g n ent Pot höpfu sc aus Kundenbindung od Produktstruktur Verkaufseffizienz Betreuungsintensität Kundenveränderung ufsstä rke ke Mitarbeiterzufriedenheit 159 Vertriebseinheitprofitabilität Finanzen Abbildung 69: Struktur des ibi-Vertriebscockpits Quelle: Wild 2005, S. 218. Für jede Werttreiberdimension bzw. für jeden einzelnen Werttreiber erarbeitet Wild generische Kennzahlen. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Funktionstypen von Vertriebskanälen schlägt er vor, ein vertriebswegspezifisches Customizing der Kennzahlen vorzunehmen. Bei den Funktionstypen unterscheidet er zwischen den drei Typen Customer-, Salesund Support-Channel530 . Beurteilung anhand der Anforderungen Das Vertriebscockpit von Wild ist von allen bisher vorgestellten Konzeptionen der neueste Ansatz, welcher zudem spezifisch für den Bankvertrieb entwickelt wurde. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht die Entwicklung eines Analyserahmens, das ibi-Wertdreieck, welches eine formalisierte und umfassende Kennzahlenanalyse bei filialzentrierten Mehrkanalbanken ermöglicht. Besonderes Merkmal ist, dass neben den klassischen Erfolgsdimensionen Kunden, Produkte und Vertriebswege die Dimensionen Betreuungsstärke, Potentialausschöpfung und Verkaufstärke hinzugenommen werden. Sie sind das Ergebnis einer genauen Betrachtung des Zusammenwirkens der klassischen Dimensionen bei jeder Vertriebseinheit.531 Das ibi-Vertriebscockpit wurde für das Erfolgscontrolling im Mehrkanalvertrieb einer Bank entwickelt. Der Ansatz berücksichtigt die spezifischen Herausforderungen des Mehrkanalvertriebs und zeichnet sich deshalb durch eine hohe Problemadäquanz aus. Anhand des allgemeinen Kennzahlenkatalogs und der drei Funktionstypen Customer-, Salesund Support-Channel können vertriebswegspezifische Cockpits abgeleitet werden. Mit diesem Vorgehen wird eine hohe Nützlichkeit der kanalspezifischen Kennzahlensets erreicht. Auf- 530 531 Vgl. dazu Teil 2, Abschnitt 4.4.2. Wild 2005, S. 230. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 160 grund dieser Überlegungen kann die Benutzer- und Organisationsadäquanz grundsätzlich als hoch eingestuft werden. Das ibi-Vertriebscockpit basiert auf dem ibi-Wertdreieck, welches als Analyserahmen auf sechs Erfolgsfaktoren bzw. Werttreibern basiert. Der Ansatz berücksichtigt – ähnlich zu anderen integrierten Ansätzen – neben quantitativen auch qualitative Faktoren. Der in Abbildung 69 dargestellte Strukturierungsvorschlag verdeutlicht, dass der Ansatz als Ordnungssystem konzipiert ist. Ursache-Wirkungsbeziehungen können nur qualitativ aufgezeigt werden. Die Konsistenz des Ansatzes ist somit eingeschränkt. Die Flexibilität des ibi-Vertriebscockpits ist hoch. Wild schlägt innerhalb der einzelnen Werttreiberdimensionen generische Werttreiber vor. Pro Werttreiber stehen zahlreiche Kennzahlen zur Verfügung, welche in Abhängigkeit von den verschiedenen Funktionstypen ausgewählt werden. Die Wirtschaftlichkeit des Ansatzes hängt stark von der Anzahl ausgewählter Kennzahlen pro Werttreiber ab. Der Kennzahlenkatalog beinhaltet nahezu 100 verschiedene Messgrössen, welche für die unterschiedlichen Funktionstypen ausgewählt werden können. Bei den hinreichenden Anforderungen gelingt es im Ansatz die kundensegmentsspezifische Vertriebskonfiguration in den Gründzügen abzubilden. Durch die funktionstypenabhängige Auswahl von Kennzahlen können die Aufgaben der unterschiedlichen Kanäle vereinfacht abgebildet werden. Mittels des ibi-Vertriebscockpits ist jedoch nicht möglich, die Aufgabenteilung in Mehrkanalvertriebssystemen bzw. die Schwerpunkte der einzelnen Vertriebskanäle innerhalb des Vertriebsprozesses532 anhand von Kennzahlen zu skizzieren. Ferner ist unklar, wie sich segmentsspezifische Unterschiede in der Vertriebskonfiguration den Kennzahlen niederschlagen. Durch das von Wild vorgeschlagene vertriebswegspezifische Customizing gelingt es, die Kennzahlen pro Kanal kontextspezifisch abzubilden. Mehrkanalsysteme sind durch eine hohe Vernetztheit der Kanäle gekennzeichnet. Durch die hohe Arbeitsteilung im Vertriebssystem verlaufen Geschäftsprozesse kanalübergreifend. Die Wertschöpfung gegenüber dem Kunden wird somit von verschiedenen Kanälen im Verbund erbracht. Das ibi-Vertriebscockpit vermag jedoch kanalübergreifende Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse nicht aufzuzeigen. Wild entwickelte das ibi-Vertriebscockpit für das Erfolgscontrolling und zur Umsetzung von Mehrkanalvertriebsstrategien. Die in Abbildung 69 vorgeschlagene Grundstruktur ermöglicht von der Konzeption her eine umfassende Ergebniskontrolle533 . Diese ist v.a. darum möglich, weil der Ansatz auf dem ibi-Wertdreieck basiert, welches einen erweiterten Analyserahmen der klassischen Ergebnisanalyse darstellt. Aufgrund dieser Konzeption ist der Ansatz jedoch nur bedingt zweckmässig für eine Durchführungskontrolle. Für eine effektive Durchführungsund Ergebniskontrolle fehlt dem Ansatz eine geeignete Verbindung prozessualer Aspekte bzw. von Aktivitäten (Throughput und Output) mit Ergebnisgrössen (Outcome). 532 533 Im Vertriebsprozess werden i.d.R. sechs unterschiedliche Schritte unterschieden: Information, Beratung, Vertragsabschluss, Transaktion, Verwaltung/Service, Schliessung/Abwicklung. Vgl. Schwanitz/Ahr 2002. Vgl. Abschnitt 2.3.3. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 161 Der Anforderung, das Kennzahlensystemdesign an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption auszurichten, wird der Ansatz von Wild gerecht. Das ibi-Wertdreieck gewährleistet eine umfassende Wertorientierung. Die Konzeption ermöglicht eine umfassende Analyse des Vertriebsergebnisses anhand der sechs Werttreiberdimensionen. Das Kennzahlensystemdesign des ibi-Vertriebscockpits ist relativ ausgewogen, da sowohl harte als auch weiche Faktoren zur Erklärung des Vertriebsergebnisses herangezogen werden. Fazit: Das ibi-Vertriebscockpit ist ein neuer und innovativer Ansatz, welcher den Anforderungen für ein Kennzahlensteuerungssystem mehrheitlich gerecht wird. Die kritische Auseinandersetzung mit den notwendigen und hinreichenden Anforderungen zeigte jedoch, dass der Ansatz einige konzeptionelle Schwächen aufweist. Für die vorliegende Arbeit bietet es dennoch viele wertvolle Gestaltungshinweise, welche es für die Entwicklung eines Kennzahlensteuerungssystems zu berücksichtigen gilt. 3.4 Implikationen bestehender Kennzahlensysteme für ein Kennzahlensteuerungssystem Die Diskussion und Beurteilung bestehender Kennzahlensysteme in den vorangehenden zwei Abschnitten hat gezeigt, dass es kein allgemein gültiges betriebswirtschaftliches Kennzahlensystem gibt. Jedoch lassen sich aus den diskutierten Systemen zahlreiche Grundprinzipien ableiten, die wertvolle Implikationen für ein Kennzahlensteuerungssystem darstellen. Finanzwirtschaftlich orientierte Kennzahlensysteme berücksichtigen Sachzieldimensionen ungenügend und vernachlässigen Markt-, Kunden- und insbesondere Konkurrenzorientierung. Zudem weisen sie bei den allgemeinen Anforderungen Flexibilität sowie Benutzer- und Organisationsadäquanz Schwächen auf. Finanzwirtschaftliche Kennzahlensysteme zeichnen sich aber i.d.R. durch eine hohe Konsistenz aus, weil sie meist als Rechensysteme ausgestaltet sind. Folgende konzeptionelle Aspekte der einzelnen Kennzahlensysteme sollten beim Design eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb einer Bank berücksichtigt werden: ! Das DuPont-System of Financial Control ist in Bezug auf die Konsistenz eines Kennzahlensystems durch seine hierarchisch-mathematische Struktur und durch eine Spitzenkennzahl vorbildlich. ! Reichmann und Palloks zeigen in ihrem Vertriebskennzahlensystem die Möglichkeiten von Analysesystemen auf und betonen auch die Bedeutung einer stellenspezifischen Informationsaufbereitung. ! Shareholder-Value-Ansätze zeigen auf, dass dynamische Quantifizierungen in ein Kennzahlensystem einzubeziehen und alle Strategien und Massnahmen konsequent auf ihre finanzwirtschaftlichen Implikationen zu überprüfen sind. Integrierte Kennzahlensysteme weisen für die Distribution eine höhere Problemangemessenheit auf. Trotz geringerer Konsistenz solcher Systeme offenbaren sie bezüglich der anderen Anforderungen wichtige Grundprinzipien, welche für eine integrierte Vertriebssteuerung berücksichtigt werden sollten: TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 162 ! Die Balanced Scorecard ist ein Vorbild für ein ausgewogenes und mehrdimensionales Steuerungssystem zur Strategieumsetzung. Die BSC ist ein integrierter Ansatz, welcher als umfassender Handlungsrahmen zur Planung, Implementierung und Kontrolle von Strategien dient. ! Intellectual Capital-Ansätze sind insbesondere dafür geeignet, den Beitrag des Wissens für die Erreichung operativer und strategischer Ziele zu messen. Das Wissen sollte in einem Kennzahlensteuerungssystem als eine zentrale Determinante für die effektive und effiziente Abwicklung von Vertriebsprozessen in einem Mehrkanalsystem betrachtet werden. ! Die Konzeption der Performance-Messung im St.Galler General Management Navigator zeigt auf, wie die Strategiearbeit – von den Konzepten (Input) über die Umsetzung (Throughput und Output) bis zu den finanzwirtschaftlichen Ergebnissen (Outcome) – von Unternehmen umfassend beurteilt werden kann. ! Das Marketing-Performance-Management von Reinecke unterstreicht, dass bei Kennzahlensystemen die ausschliessliche Orientierung am finanzwirtschaftlichen Wertgedanken nicht ausreicht, weil wertorientierte Kenngrössen ohne ein strategisches Fundament bedeutungslos sind. Dieses Fundament wird in seinem Ansatz anhand der Kernaufgaben operationalisiert und dient als Bindeglied zwischen finanzwirtschaftlichen Ergebnisgrössen (Outcome) und Marktpotentialen. ! Im ibi-Vertriebscockpit gelingt es durch die Definition von verschiedenen Funktionstypen, denkbare vertriebsstrategische Positionierungen im Mehrkanalvertrieb aufzuzeigen. Durch die unterschiedlichen Positionierungsansätze wird die systematische Identifikation kanalspezifischer Kennzahlen erleichtert. Die Analyse der Konzeptionsvorschläge bestehender Kennzahlensysteme diente dazu, Aspekte zu identifizieren, die Vorbildcharakter oder ein exploratives Potential für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems haben. Die aufgeführten Implikationen sollen im Sinne von „Best Practice“-Hinweisen für die Gestaltung eines Kennzahlensteuerungssystems berücksichtigt werden. 4. Konzeptionelle Rahmenbedingungen für ein Kennzahlensteuerungssystem Zweck dieses abschliessenden Kapitels ist die Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse von Teil 3. Sie bilden die konzeptionellen Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines Kennzahlensteuerungssystems in Teil 4. Die Grundlage für Teil 3 waren die theoretischen Implikationen, welche unter Berücksichtigung der Problemkategorien534 hergeleitet wurden. Zu Beginn von Teil 3 wurden die Problemkategorien in die Anforderungsdimensionen Prozess, Kontext und Messkonzeption überführt. 534 Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.1.3. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 163 Im Anschluss wurden pro Dimension notwendige und hinreichende Anforderungen definiert. Diese basierten auf den allgemeinen Gütekriterien für Kennzahlensysteme535 und beziehen sich unabhängig deren Zweck536 auf alle Arten537 von Kennzahlensystemen. Die Anforderungen wurden daher um spezifische Aspekte für Systeme mit dem Zweck der strategischen Steuerung des Mehrkanalvertrieb von Banken ergänzt. Kennzahlensysteme sollten situationsabhängig entwickelt werden, um hohe Nützlichkeit für die Benutzer zu gewährleisten.538 Die notwendigen Anforderungen waren daher noch nicht ausreichend, weil sie generell für Systeme mit dem Zweck der strategischen Steuerung aber unabhängig von Branche oder Funktionsbereich gültig sind. Zur weiteren Präzisierung der Anforderungen wurden daher hinreichende Kriterien definiert, um spezifische Aspekte des Mehrkanalvertriebs539 von Banken zu berücksichtigen. In Abbildung 70 werden die notwendigen und die hinreichenden Anforderungen pro Dimension im Überblick gezeigt, welche im Rahmen von Expertengesprächen540 auf ihre praktische Relevanz überprüft wurden. 535 536 537 538 539 540 Vgl. Teil 2, Abschnitt 6.3. Vgl. Teil 2, Abschnitt 6.2.2. Vgl. Teil 2, Abschnitt 6.2.2. Vgl. Siegwart 1998, S. 147; Reinecke 2004, S. 388; Wild 2005, S. 211. Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.1. Vgl. Anhang 2. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM Anforderungsdimensionen 164 Hinreichende Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb einer Bank Notwendige Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem ! Einbindung in den gesamten ManagementProzess (situativ) " Strategieprozessund organisationskonformes Entwicklungsvorgehen ! prozess – Kennzahlensystem als umfassender Handlungsrahmen zur Planung, Implementierung und Kontrolle von Strategien Konformität mit dem Strategieprozessmodell – Berücksichtigung der Planungsrationalität des strategischen Managements ! Problemangemessenheit – Kennzahlen entsprechen inhaltlich dem Kontext (situativ) " Kontextspezifische Kennzahlen ! Zweck der Steuerung und verfügen über einen geeigneten Informationsgrad – Angemessene Informationsqualität und Robustheit Benutzer- und Organisationsadäquanz – Kompatibilität mit der Organisationsstruktur – Wahrgenommene Nützlichkeit für Stakeholder – Glaubwürdigkeit (Realitätsbezug, Spezifität) ! Berücksichtigung des Koordinationsansatzes und der Organisation des Mehrkanalvertriebs – Entwicklungsvorgehen, welches die Art und Weise, wie das Mehrkanalvertriebssystem koordiniert wird und wie es organisiert ist, berücksichtigt ! Abbildung der kundensegmentspezifischen ! Vertriebskonfiguration – Kennzahlen, welche den segmentspezifischen Absatzkanalmix (Anzahl und Art der Kanäle, Aufgabenverteilung zwischen den Kanälen) abbilden Abbildung kanalübergreifender Geschäftsund Wertschöpfungsprozesse – Kennzahlen, welche zentrale Prozesse und Aktivitäten im Mehrkanalsystem abbilden ! Zweckmässiges Kennzahlensystemdesign Messkonzeption (normativ) " Messkonzeptionsgerechtes Kennzahlensystemdesign ! Konsistenz – Ursache-Wirkungszusammenhang – Widerspruchsfreiheit – Eindeutige Operationalisierung der Messung ! -verarbeitung ! ! Flexibilität – Dynamisierbarkeit des Systems – Modularität ! Wirtschaftlichkeit – Aufwand der Datenerhebung und – Hoher Automatisierungsgrad zur strategischen Durchführungs- und Ergebniskontrolle – Kennzahlensystemdesign, welches zur Messung der Umsetzungsqualität und der Ergebnisse einer Mehrkanalvertriebsstrategie geeignet ist Ausrichtung des Kennzahlensystemdesigns an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption – Kennzahlensystemdesign, welches sich konzeptionell an der Wertorientierung als oberstes Steuerungsziel einer Bank orientiert Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign für eine integrierte Vertriebssteuerung – Kennzahlensystemdesign, welches durch eine umfassende Messkonzeption eine integrierte Vertriebssteuerung ermöglicht Abbildung 70: Übersicht der Anforderungen Quelle: eigene Darstellung. Anhand der notwendigen und der hinreichenden Anforderungen wurden bestehende Konzeptionsvorschläge von betriebswirtschaftlichen Kennzahlensystemen evaluiert. Die Evaluation verfolgte – im Sinne einer Metaanalyse – das Ziel, Aspekte zu identifizieren, die für die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems beachtet werden müssen. Die folgenden zentralen Erkenntnisse von Teil 3 stellen die konzeptionellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung eines Kennzahlensteuerungssystems dar: Berücksichtigung inhaltlicher und formaler Anforderungen: Für die Entwicklung eines nützlichen Kennzahlensystems für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs einer Bank gilt es, inhaltliche und formale Anforderungen zu berücksichtigen. Der Inhalt eines Kennzahlensystems wird primär von den Dimensionen Prozess und Kontext massgebend beeinflusst. TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 165 ! In der Dimension Prozess lautet die Kernanforderung, dass das Entwicklungsvorgehen eines Kennzahlensteuerungssystems strategieprozess- und organisationskonform sein sollte. Dies bedeutet, dass beim Herleiten eines Kennzahlensteuerungssystems strategieprozessuale und organisatorische Aspekte berücksichtigt werden sollten. Die Dimension Prozess hat daher situativen Charakter, da die darin enthaltenen Anforderungen bzw. Einflussfaktoren unterschiedliche Ausprägungen annehmen können. ! In der Dimension Kontext lautet die Kernanforderung, dass Kennzahlen kontextspezifisch541 sein sollten, damit sie im konkreten Verwendungszweck nützlich sein können. Dies bedeutet, dass die Identifikation der relevanten Kennzahlen für ein Kennzahlensteuerungssystem vom Kontext abhängig ist. Die Dimension Kontext hat daher auch situativen Charakter, da die darin enthaltenen Anforderungen unterschiedliche Ausprägungen annehmen können. Die jeweiligen Ausprägungen haben somit einen Einfluss auf die Auswahl der „richtigen“ Kennzahlen. ! In der Dimension Messkonzeption lautet die Kernanforderung, dass das Kennzahlensystemdesign messkonzeptionsgerecht ausgestaltet sein sollte. Dies bedeutet, dass das Grunddesign542 des Kennzahlensystems für den Zweck der Vertriebssteuerung geeignet sein sollte. Die Dimension beinhaltet i.w.S. messkonzeptionstechnische Aspekte, welche bei der Entwicklung eines Kennzahlensteuerungssystems berücksichtigt werden sollten. Die Dimension Messkonzeption hat normativen Charakter, weil die darin enthaltenen Anforderungen keine unterschiedlichen Ausprägungen annehmen. Berücksichtigung notwendiger und hinreichender Anforderungen: Kennzahlensteuerungssysteme sollten den notwendigen und den hinreichenden Anforderungen in Abbildung 71 gerecht werden, um Wirksamkeit und Nützlichkeit zu entfalten. Allerdings wurde dargelegt, dass kein Kennzahlensystem alle Anforderungen optimal erfüllen kann, weil zwischen den Kriterien Zielkonflikte bestehen. Notwendigkeit der Weiterentwicklung bestehender Konzeptionen: Eine kritische Analyse ausgewählter betriebswirtschaftlicher Kennzahlensysteme hat neben mehr oder weniger ausgeprägten konzeptionellen Defiziten gezeigt, dass die meisten der dargestellten Kennzahlensysteme wertvolle Erkenntnisse bieten. Diese gilt es, bei der Konstruktion eines spezifischen Kennzahlensystems für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs einer Bank zu nutzen. So zeichnen sich einige Kennzahlensysteme durch eine mustergültige Konsistenz (DuPont System of Financial Control) oder Quantifizierung (Werttreiberhierarchien) aus, während andere instrumental zur Strategieumsetzung (Balanced Scorecard, Marketing-PerformanceManagement, St.Galler Management-Navigator) beitragen, oder schon erste Ansätze für die 541 542 Siegwart fordert, dass Kennzahlensysteme situationsabhängig auszugestalten sind und an den spezifischen Kontext angepasst werden sollten (vgl. Siegwart 1998, S. 147). Reinecke weist in seiner Habilitation empirisch nach, dass die inhaltliche Ausgestaltung von Kennzahlensystemen und somit die Auswahl der jeweils relevanten Kennzahlen von zahlreichen exogenen (Branche, Konkurrenz, Umfeld) und endogenen Faktoren (Unternehmensstrategie, Unternehmenskultur, Organisationsform, Führungsstil etc.) abhängig ist (vgl. Reinecke 2004, S. 388ff.). Die Forderungen von Siegwart und Reinecke werden in der vorliegenden Arbeit konzeptionell in der Dimension Kontext berücksichtigt. Unter dem Design wird in dieser Arbeit die Grundkonzeption eines Kennzahlensystems verstanden (vgl. Reinecke 2004, S. 84ff.). TEIL 3: ANFORDERUNGEN AN EIN KENNZAHLENSTEURUNGSSYSTEM 166 Herleitung spezifischer Kennzahlen für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs einer Bank (ibiVertriebscockpit) darstellen. Die Analyse der verschiedenen betriebswirtschaftlichen Kennzahlensysteme hat auch gezeigt, dass diese i.d.R. kaum einen spezifischen Bezug zu Mehrkanalvertriebssystemen von Banken aufweisen: Traditionelle Kennzahlensysteme und Werttreiberhierarchien sind meist primär finanzwirtschaftlich ausgerichtet, während es sich bei moderneren Kennzahlensystemen wie der Balanced Scorecard, der Performance-Messung im St.Galler ManagementNavigator, dem Marketing-Performance-Management nach Reinecke zwar um integrierte Ansätze handelt, allerdings zumeist ohne differenzierten Bezug zur strategischen Steuerung von Mehrkanalsystemen in der Bankbranche. Der bisher einzige spezifische und zugleich neuste Ansatz ist das ibi-Vertriebscockpit,543 welches erste wertvolle Gestaltungshinweise liefert. Kern des Ansatzes ist die Einführung unterschiedlicher Funktionstypen im Mehrkanalvertrieb und die darauf basierende Herleitung kanalspezifischer Kennzahlen. Die kritische Gegenüberstellung des Ansatzes mit den notwendigen und den hinreichenden Anforderungen wies jedoch auf Defizite hin. Die Funktionstypen machen nur relativ allgemeine Aussagen über die vertriebsstrategische Positionierung von Kanälen. Welche Aufgaben die Funktionstypen544 im Vertriebsprozess545 übernehmen und welche Auswirkungen dies auf die relevanten Kennzahlen hat, wird nicht im Detail geklärt. Zudem wird nicht aufgezeigt, wie einzelne Vertriebskanäle in Abhängigkeit von den Kundensegmenten unterschiedlich positioniert werden können. Eine der zentralen Anforderungen – die der Abbildung von kanalübergreifenden Geschäfts- und Wertschöpfungsprozessen – erfüllt der Ansatz nicht. Dadurch wird eine der massgebenden Eigenschaften eines Mehrkanalvertriebssystems – die Interaktion oder Vernetztheit von Kanälen – nicht mit Kennzahlen wiedergegeben. Das Ausbleiben solcher Kennzahlen führt zu erheblichen Nachteilen bei der Steuerung von Geschäftsprozessen in Mehrkanalsystemen. 543 544 545 Das ibi-Vertriebscockpit wurde erstmals in der Dissertation von Wild 2005 im November 2005 vorgestellt. Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.2. Vgl. Teil 2, Abschnitt 3.2.2. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 167 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 1. Überblick und Einführung In Teil 4 wird die Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem erarbeitet, welches für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer Bank geeignet ist. Beim Entwurf der Konzeption bzw. der idealtypischen Struktur wurde danach gestrebt, ! die in Teil 3 erläuterten notwendigen und hinreichenden Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem zu berücksichtigen, ! die Erkenntnisse und Implikationen aus der Beurteilung bestehender Konzepte einzubeziehen, ! die aus der Fallstudie Credit Suisse Private Clients gewonnenen Hinweise aus der praktischen Anwendung zu integrieren. Durch die theoretische Fundierung der Konzeption unterscheidet sich der Entwurf grundlegend von den meisten bisherigen Kennzahlensystemen, welche für die Vertriebssteuerung in Banken eingesetzt werden. Aufgrund der engen Koppelung an die Mehrkanalvertriebsstrategie und -planung wird versucht, nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Handlungsanweisungen abzuleiten. Beim Entwurf der idealtypischen Struktur handelt es sich daher nicht lediglich um ein Konzept einer Scorecard, das dazu dient, eine definierte Strategie umzusetzen. Vielmehr dient der Ansatz auch als inhaltlicher Rahmen zur Definition von Mehrkanalvertriebsstrategien. Teil 4 ist in vier Kapitel unterteilt. Nach diesem einführenden Kapitel wird in Kapitel 2 die idealtypische Struktur des Kennzahlensteuerungssystems erläutert. Die theoretische Beschreibung der einzelnen Ebenen wird jeweils mit den praktischen Erkenntnissen aus der separaten Einzelfallstudie ergänzt. In Kapitel 3 werden zentrale Aspekte beim Einsatz des Kennzahlensteuerungssystems im Rahmen einer integrierten Vertriebssteuerung beschrieben. Im letzten Kapitel werden die zentralen Erkenntnisse schliesslich zusammengefasst. 2. Idealtypische Struktur eines Kennzahlensteuerungssystems 2.1 Grundkonzept und Aufbau des Kennzahlensteuerungssystems In den beiden folgenden Abschnitten werden das Grundkonzept und die Grundstruktur des Kennzahlensteuerungssystems beschrieben. Mittels des Grundkonzepts wird insbesondere erläutert, wie die notwendige Anforderung der Konsistenz im Kennzahlensteuerungssystem berücksichtigt wurde. Im Hinblick auf die Grundstruktur ist diese Anforderung ein Kernbestandteil. Im Anschluss wird die Grundstruktur des Systems im Überblick erläutert. 2.1.1 Der Bezug zu Potentialen, Prozessen und Ergebnissen In den notwendigen Anforderungen an ein Kennzahlensystem in Teil 3 wurde die Bedeutung eines konsistenten Aufbaus hervorgehoben. Die Konsistenz hängt eng mit dem Wissen über TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 168 die zu beschreibenden Faktoren zusammen. Je mehr Wissen vorhanden ist, desto eher lassen sich eindeutige Ursache-Wirkungsmechanismen im Sinne eines Rechensystems aufzeigen. Bei geringem Wissensstand sind jeweils nur logische Ordnungssysteme oder sogar lediglich deskriptive Systeme möglich.546 Vorgang völlig verstanden Einflussfaktoren bekannt Einflussgrössen messbar Kontrolle der Einflussgrössen (Stabilisierung) vollständiges Wissen über alle UrsacheWirkungsbeziehungen Verständnis der Gesetze, denen der Prozess folgt (know why) Prognose der Outputveränderungen bei Inputvariierung Kontrolle der Varianz (Rezeptbuch) Abbildung 71: Evolutionsmodell des Wissens Quelle: Probst 1997, S. 330. In Abbildung 71 wird ein Evolutionsmodell des Wissens skizziert. Anhand des Modells lässt sich zeigen, dass der Stand Wissens in der Unternehmenspraxis stark variieren kann: Vollständige Kenntnis über Ursache-Wirkungsbeziehungen ist ausser bei mathematischen Zusammenhänge bei den finanzwirtschaftlichen Kenngrössen eher selten. I.d.R. sind jedoch lediglich einzelne Einflussgrössen messbar oder auch nur bekannt. Gewisse Ungenauigkeiten bzw. Unwägbarkeiten sind somit bei Kennzahlensystemen in der Distribution immanent. Aufgrund der Vielzahl möglicher Ursache-Wirkungsbeziehungen stellt sich die Frage, wie die Grundstrukturierung eines Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb aussehen könnte. Für die vorliegende Arbeit wird auf einen prozessorientierten Ansatz zurückgegriffen, welcher sich an die Argumentationskette der resource-based View (vgl. Abbildung 72) anlehnt: Wenn ein Input als wertvoll gilt, wird er als Ressource bezeichnet. Die Kombination unterschiedlicher Ressourcen führt zu Kompetenzen, welche im Rahmen von Prozessen eingesetzt werden. Dies wiederum führt zu einem gewissen Effekt, welcher als Ergebnis gemessen werden kann. Input Ressourcen Veredelung Kompetenzen grundsätzliche Aktivierbarkeit Prozesse konkrekte Aktivierung Ergebnis Effekt Abbildung 72: Argumentationskette der resource-based View Quelle: Freiling 2001, S. 87. Diese prozessorientierte Grundstruktur ermöglicht insbesondere eine Analogie zum Qualitätsund Dienstleistungsmanagement. Hilke hat hierzu eine phasenbezogene Integration vorgenommen und die folgende Dreiteilung entwickelt:547 ! Potentialorientierung: Fähigkeiten und Bereitschaft des Anbieters; ! Prozessorientierung: Tätigkeiten während der Leistungserstellung bzw. Bedarfsdeckung; 546 547 Vgl. Reinecke 2004, S. 238. Vgl. Hilke 1984, S. 17ff. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 169 ! Ergebnisorientierung: Ergebnis in Form einer nutzenstiftenden Wirkung bzw. Grad der Erreichung der Leistungsziele. Eine Dreiteilung nach dieser Logik findet man v.a. beim Management und Controlling intangibler Marketingassets548 und in der Argumentationskette der resource-based View.549 Diese Struktur ist verwandt (wenn auch nicht identisch) mit klassischen Kontrollkonzepten, die zwischen Ergebnis-, Tätigkeits- und Prämissenkontrollen unterscheiden.550 Die zentrale Herausforderung dieser Dreiteilung besteht in der Abgrenzung der Prozesse. Beispielsweise ist es nicht trivial, zwischen Ergebnissen und Ergebnistreibern zu unterscheiden: Ist Kundenzufriedenheit ein Resultat oder lediglich ein Zwischenergebnis, um Käufe zu generieren? Da jeder Prozess in mehrere Teilprozesse zerlegt werden kann, führt dies zu definitorischen Ungenauigkeiten und zu einer verwirrenden Terminologie:551 Ergebniskennzahlen werden in der Literatur beispielsweise auch bezeichnet als Lagging Indicators, Outputmassgrössen, Primary Measures, Outputmasse, Ergebnisleistungsmasse, End-of-Process-Measures oder Outcome Measures. Für Ergebnistreiberkennzahlen finden sich Begriffe wie Leading Indicators, Performance Drivers, Prozessmassgrössen, Secondary Measures, Determinants, ProzessLeistungsmasse, In-Process Measures und Proactive Measures. Ob eine Grösse Ergebnis oder Ergebnistreiber ist, hängt primär von der Abgrenzung des Systems ab. So können dieselben Kennzahlen für den Mehrkanalvertrieb Ergebnisse und für das Gesamtunternehmen Ergebnistreiber sein. Die Herausforderung bei solchen komplexen Mittel-Zweck-Beziehungen besteht darin, dass ein und dieselben Ziele sowohl Zweck als auch Mittelcharakter besitzen können. Dies bedeutet, dass jedes nachgeordnete Ziel zugleich das Mittel für das übergeordnete Ziel darstellt. Es ist aber selbst wiederum Zweck (Ziel), welcher aufgrund ihm nachgeordneter Ziele (Mittel) realisiert werden soll. Ein mechanistisches Ableiten von Zielen ist daher häufig nicht möglich. Es können lediglich plausible Zweck-MittelVermutungen aufgestellt werden.552 2.1.2 Grundstruktur des Kennzahlensteuerungssystems In Abbildung 73 wird die idealtypische Struktur dargestellt, auf deren Basis für eine Bank ein Kennzahlensteuerungssystem entworfen werden kann, das für die strategieorientierte Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems geeignet ist. In Anlehnung an das prozessorientierte Grundkonzept (Potentiale, Prozesse, Ergebnisse) ist das Kennzahlensystem in die drei Ebenen Ressourcen und Marktpotentiale, Vertriebsaufgaben und –prozesse und Finanzwirtschaftliche Ergebnisse gegliedert. Abbildung 73 skizziert die Struktur im Überblick: 548 Vgl. Guilding/Pike 1990, S. 45f. Vgl. Freiling 2001, S. 87. 550 Vgl. Böcker 1991, S. 106. 551 Siehe hierzu den Vergleich von Begriffsdefinitionen unterschiedlicher Autoren bei Gleich 2001, S. 221. 552 Vgl. Becker 2001, S. 87. 549 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 170 Form der strategischen Kontrolle Ebenen und Zieldimensionen Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen Outcome: Ergebniskontrolle Gewinn, Rentabilität, Risiko, Wachstum Dynamische Wertgrössen Finanzwirtschaftliche Ergebnisse Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen Output: Wirksamkeitskontrolle Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs Kundenwert Produkt-/Serviceerfolg Vertriebssystemeffizienz Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie Throughput: Durchführungskontrolle Aufgabenprofil Kanal A Aufgabenprofil Kanal B Aufgabenprofil Kanal C Aufgabenprofil Kanal D Output Output Output Output Prozess Prozess Prozess Prozess Input Input Input Input Vertriebsaufgaben und -prozesse (Umgang mit Marktpotentialen und Ressourcen) Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen Unternehmungsressourcen Input: Inputkontrolle Finanzkapital Strukturkapital Kundenpotentiale Produkt-/Servicepotentiale Humankapital Ressourcen und Marktpotentiale Marktpotentiale Vertriebssystempotentiale Abbildung 73: Idealtypische Struktur des Kennzahlensteuerungssystems Quelle: Eigene Darstellung. Ebene 1: Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen (Ergebnis) Die erste Ebene des Kennzahlensystems beinhaltet die zentralen finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen. Mit diesen wird gemessen, inwiefern die festgelegten Gewinn-, Rentabilitäts-, Risiko- und Wachstumsziele einer Bank bzw. eines Geschäftsbereichs erreicht wurden. In dieser Ebene erscheint die Verbindung zu finanzwirtschaftlichen Werttreiberkonzepten erstrebenswert, um sowohl Dynamik als auch eine bestmögliche Koppelung an die gesamtunternehmerischen Ziele sicherzustellen. Die finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen werden anhand der Vertriebsaufgaben und -prozesse der Ebene 2 konkretisiert. Dabei wird definiert und gemessen, in welchen kanalübergreifenden Hauptaufgaben bzw. in welchen Vertriebskanälen welche Wertschöpfungsbeiträge realisiert wurden. Ebene 2: Vertriebsaufgaben und -prozesse (Prozess) Finanzielle Kenngrössen haben den Nachteil, dass sie weder inhaltliche Resultate eines Mehrkanalsystems noch die Strategien operationalisieren können. In der zweiten Ebene wird daher der Umgang mit Marktpotentialen und Unternehmungsressourcen anhand konkreter Vertriebsaufgaben und -prozesse operationalisiert. Es wird dabei zwischen kanalübergreifenden Hauptaufgaben des gesamten Mehrkanalvertriebs und kanalspezifischen Aufgaben unterschieden. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 171 Mittels kanalübergreifenden Hauptaufgaben und kanalspezifischen Aufgabenprofilen wird die Mehrkanalvertriebsstrategie einer Bank definiert und operationalisiert. Die Gliederung der kanalspezifischen Aufgaben orientiert sich in den Grundzügen am Prozess des strategischen Managements und an der weiteren Unterscheidung von Input, Prozess und Ergebnis: ! Pro Kanal müssen die finanziellen, strukturellen und personellen Inputs bzw. Voraussetzungen operationalisiert und gemessen werden. ! Die Prozessebene dient dazu, grundsätzliche Ursache-Wirkungszusammenhänge aufzuzeigen, um Steuerungseingriffe zu ermöglichen. ! Der Output jeder Kanals zeigt sich im Erreichen der Zielgrössen in Bezug auf die in der Mehrkanalvertriebsstrategie definierten Aufgabenprofile. Ebene 3: Ressourcen und Marktpotentiale (Potential) Die dritte Ebene des Kennzahlensystems bewertet die für den Mehrkanalvertrieb zentralen Unternehmungsressourcen und Marktpotentiale in einem mittel- bis langfristigen Kontext. Diese Ebene übernimmt somit die Funktion eines strategischen Radars für das Monitoring kritischer Voraussetzungen und Determinanten für den Mehrkanalvertrieb. Ein Teil dieser strategischen Grössen wird in der zweiten Ebene als Input berücksichtigt. Der Umgang mit Marktpotentialen und Unternehmungsressourcen in Ebene 2 schlägt sich nicht nur in den finanzwirtschaftlichen Ergebnissen der Ebene 1 nieder, sondern hat auch Auswirkungen auf die Ebene 3. Diesen Grundgedanke gilt es zu berücksichtigen, um die langfristige Effektivität und Effizienz eines Mehrkanalvertriebssystems sicherzustellen. Analog zu Marketingmassnahmen sind auch Vertriebsmassnahmen sowohl „asset-based“ als auch „asset-creating“553 . Die drei Ebenen sind die Basis für ein ausgewogenes Kennzahlensystemdesign einer integrierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems. Durch die Berücksichtigung von Marktpotentialen einerseits und Finanz-, Struktur- und Humankapital andererseits werden die klassischen strategischen Perspektiven einer Inside-out- und einer Outside-in-Orientierung kombiniert. Die Ergebnisebene nimmt in Bezug auf das Controllingziel – die Sicherstellung von Effektivität – eine herausragende Rolle ein. Das Ergebnis kann jedoch nicht ohne eine Beeinflussung der Potential- und Prozessdimension verbessert werden. Gemäss dem Evolutionsmodell des Wissens (vgl. Abbildung 71) sind das verfügbare Wissen sowie die Beherrschbarkeit der Prozesse in den einzelnen Ebenen des Kennzahlensystems unterschiedlich. Insbesondere kann in der Ebene 3 eventuell keine Messung, sondern lediglich eine Bewertung oder Beurteilung erfolgen. 2.2 Ebene 1: Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen Bei der Herleitung eines Kennzahlensystems steht meistens die Komplexitätsreduktion im Vordergrund. Dies kann durch das Festlegen eines Formalziels, durch Grobformulieren eines generellen Anspruchsniveaus oder durch das Verringern der Informationsmenge auf ent553 Piercy 1986, S. 5. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 172 scheidungsrelevante Informationen mit Hilfe von Kennzahlen erfolgen.554 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem übergeordneten Unternehmensziel einer Bank. Wählt man die Perspektive der Unternehmenseigner, kommt dem Gewinn in seiner dynamischen Betrachtung als Shareholder-Value sicherlich Priorität zu. Wählt man dagegen die Perspektive des Unternehmens als System, steht die Erhaltung des Unternehmens555 und somit dessen Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit556 im Zentrum. Banken verfolgen aufgrund ihres erwerbswirtschaftlichen Charakters die Gewinn- bzw. Shareholder-Value-Maximierung. Die Ausrichtung der nachfolgenden Ausführungen auf den Unternehmensgewinn scheint daher angemessen und gerechtfertigt. Vor der Herleitung und Erläuterung finanzwirtschaftlicher Ergebniskennzahlen soll an dieser Stelle auf deren Funktion eingegangen werden. Neben der Funktion der Komplexitätsreduktion wird mittels finanzwirtschaftlichen Schlüsselkennzahlen das Zielsystem einer Mehrkanalvertriebsstrategie operationalisiert und verdichtet. Die Kennzahlen übernehmen zudem die Verbindungsfunktion zu den Zielen und den Steuerungssystemen auf Stufe Gesamtbank. Im Anschluss werden die Kennzahlendimensionen für die Ebene der finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen systematisch hergeleitet. Dazu wird die Vertriebssteuerung vor dem Hintergrund der Gesamtbanksteuerung betrachtet, um die relevanten Steuerungsobjekte des Mehrkanalvertriebs abzugrenzen. Anschliessend werden die verschiedenen Kennzahlendimensionen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen operationalisiert. 2.2.1 Die Vertriebssteuerung als Teil der Gesamtbanksteuerung Die Herleitung geeigneter Kennzahlen für die Ebene 1 muss im Rahmen des Konzepts der Gesamtbanksteuerung erfolgen.557 Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Kennzahlen die eingangs erwähnte Verbindungs- und Komplexitätsreduktionsfunktion wahrnehmen können. Der duale Charakter der Gesamtbanksteuerung Die Ausgestaltung eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb leitet sich aus dem (dualen) Wesen der Banksteuerung ab, das im dualen Steuerungsmodell seinen Niederschlag findet. Der Begriff der Dualität kennt dabei die folgenden Dimensionen, die auch als Grundpfeiler des Bankcontrollings betrachtet werden: ! Potentialorientierte Globalsteuerung vs. aktionsorientierte Feinsteuerung; ! Rentabilitätssteuerung und -management vs. Risikosteuerung und -management; ! Geschäftssteuerung vs. Struktursteuerung; ! Zentrale vs. dezentrale Steuerung.558 554 555 556 557 558 Vgl. Palloks-Kahlen 2001, S. 114f. Vgl. Hahn/Hungenberg 2001, S. 272. Vgl. Bleicher 1999, S. 19. Vgl. Schierenbeck 2001a, S. 87. Vgl. Schierenbeck 2001a, S. 88; Schierenbeck 2001b, S. 293. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 173 Die Unterscheidung zwischen potentialorientierter Globalsteuerung (strategisches Controlling) und aktionsorientierter Feinsteuerung (operatives Controlling) richtet sich v.a. nach der zeitlichen Reichweite der betrachteten Entscheidungsprobleme. Dabei zielt die Globalsteuerung ausschliesslich auf die Entwicklung, Strukturierung und Sicherung des Gesamtbank und ihrer Geschäftsfelder ab, während die Feinsteuerung stärker an der Entscheidungsunterstützung einzelner Geschäfte und Geschäftsarten innerhalb einer relativ kurzen Periode559 ausgerichtet ist. Als Beispiele können hier die Konditionsentscheidungen im Vertrieb und konkrete Refinanzierungsentscheidungen genannt werden.560 Unter Rentabilitätssteuerung wir das Bestreben verstanden, durch den Vertrieb von Bankleistungen und durch interne Entscheidungen positive Erfolgsbeiträge zu erwirtschaften. Zunehmend in den Mittelpunkt der Banksteuerung und damit des Controllings rückt aber die Notwendigkeit, neben der reinen Rentabilitätsbetrachtung auch verstärkt die Risikowirkungen einzelner unternehmerischer Entscheidungen zu berücksichtigen (Risikosteuerung)561 Weil bankpolitische Entscheidungen – wie unternehmerische Entscheidungen generell562 – stets von Unsicherheit gekennzeichnet sind, ist das Risiko rentabilitätsbeeinträchtigender Entwicklungen wie z.B. von Marktpreisschwankungen (Marktrisiko), Insolvenz des Vertragspartners (Gegenparteirisiko) oder Ausfall von IT-Systemen (operationelles Risiko) bis zum endgültigen Abschluss bzw. bis zur Abwicklung von Geschäften gegeben. Der Risikoaspekt spielt bei Banken eine deutlich grössere Rolle als bei Unternehmen aus anderen Branchen. Dies liegt an den aufsichtsrechtlichen Vorschriften, an den besonderen Eigenschaften von Finanzprodukten, bei welchen das Risiko eine eigenständige Produktdimension darstellt sowie am hohen Schadensfall und der Volatilität der Finanzprodukte.563 Eine weitere Dimension des dualen Steuerungsmodells ist die Unterscheidung zwischen Geschäftssteuerung und Struktursteuerung. Unter letzterer wird die zentrale Aufgabe verstanden, aus Gesamtbanksicht die Geschäftsstruktur unter integrierten Rendite-/RisikoGesichtspunkten zu steuern. Dabei handelt es sich zum einen um das Portfoliomanagement der zentralen Geschäftsfelder unter besonderer Berücksichtigung der Marktchancen und risiken. Zum anderen umfasst die Struktursteuerung auch das Bilanzstrukturmanagement unter besonderer Berücksichtigung bilanzieller Risiken im Aktiv- und Passivbereich der Bilanz sowie unter rentabilitätsorientierter Betrachtung der einzelnen Bilanzpositionen. Bei der Geschäftssteuerung dagegen geht es um das Erreichen globaler Ziele der Geschäftsstruktur durch konkrete – nah am Marktgeschehen ausgerichtete – geschäftspolitische (Einzel-) Entscheidungen. Zentrales Instrument bildet das Budget-Management, durch welches globalorientierte Zielgrössen in operative Einzelziele zerlegt und die Soll-Ist-Kontrolle der betrachteten Einheiten ermöglicht.564 559 560 561 562 563 564 I.d.R. werden Entscheidungen mit einer Reichweite innerhalb einer Geschäftsperiode (höchstens bis zu einem Jahr) der operativen Steuerung zugerechnet. Vgl. Wild 2005, S. 24. Vgl. Hartmann-Wendels 2000, S. 553ff.; Schierenbeck 2001a, S. 88. Vgl. Saliger 2003. Vgl. Hartmann-Wendels 2000, S. 540ff. Vgl. Wild 2005, S. 26. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 174 Die Unterscheidung zwischen zentraler und dezentraler Steuerung orientiert sich eng an der Zuordnung der Entscheidungskompetenz und Verantwortlichkeit im Bankenmanagement. Aufgaben der zentralen Steuerung ergeben sich aus den Problemstellungen, die nur aus Gesamtbanksicht gelöst werden können wie z.B. zentrale Produktentscheidungen oder Einstieg in neue Geschäftsfelder oder Märkte. Der dezentralen Markt(bereichs)steuerung werden im Gegensatz dazu alle Entscheidungen zugewiesen, welche eng mit dem Kundengeschäft vor Ort verbunden sind.565 Dies beinhaltet die Akquisition von Kundengeschäften mit ausreichenden Margen bzw. Deckungsbeiträgen. Dazu sind den Marktbereichen die notwendigen Kompetenzen (z.B. Personalkompetenzen und Konditionenkompetenzen innerhalb zentral vorgegebener Grenzen) zuzuweisen, damit diese den von ihnen zu verantwortenden Akquisitionsund Betreuungsaufgaben gerecht werden können.566 Der Dualismus zwischen zentraler und dezentraler Steuerung bedingt, dass mit der Delegation von Ergebnisverantwortung in gewissem Umfang auch Entscheidungskompetenz von zentralen an dezentrale Einheiten weitergegeben wird. Die einzelnen Dimensionen der dualen Banksteuerung sind nicht unabhängig voneinander. Es bestehen zahlreiche Verknüpfungen und Abhängigkeiten. Strategische Entscheidungen der Globalsteuerung werden meist von zentralen Einheiten getroffen, während operative Entscheidungsprobleme der Feinsteuerung i.d.R. von dezentralen Bereichen behandelt werden. Trotz dieser z.T. engen und evidenten Zusammenhänge liegt keine inhaltliche Identifikation bei den einzelnen Dimensionen vor. Es handelt sich um unterschiedliche Sachverhalte und Betrachtungswinkel. So lässt sich die Geschäftssteuerung über ein operatives Budgetmanagement tendenziell zwar eher dem operativen Controlling zuordnen, trotzdem können die Gestaltung und Bestimmung der Budgets sowie einzelne Geschäftsentscheidungen aber auch eine explizite strategische Komponente aufweisen.567 Die zentrale Aufgabe des Bankcontrollings besteht darin, die unterschiedlichen Dimensionen in einem einheitlichen Controlling-Ansatz zu verbinden. In der folgenden Übersicht sind die verschiedenen Dimensionen der dualen Steuerung und ihrer Zusammenhänge dargestellt. Das duale Steuerungsmodell ist die Grundlage für die Herleitung der relevanten Dimensionen eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb. Im nachfolgenden Abschnitt werden die zentralen Steuerungsdimensionen anhand des dualen Steuerungsmodells abgegrenzt. 565 566 567 Vgl. Hartmann-Wendels 2000, S. 719ff. Vgl. Schierenbeck 2001a, S. 297. Vgl. Schierenbeck 2001b, S. 296. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 175 Rentabilitätsmanagement Zentrale Steuerung Risikomanagement Portfolio- und Bilanzstrukturmanagement Struktursteuerung Integration = Zentrale Aufgabe des Bankcontrollings Dezentrale Steuerung Geschäftssteuerung Budgetmanagement Strategisches Controlling = Potenzialorientierte Globalsteuerung Operatives Controlling = Aktionsorientierte Feinsteuerung Abbildung 74: Dimensionen des dualen Steuerungsmodells im Bankcontrolling Quelle: Schierenbeck 2001b, S. 294. Abgrenzung der Steuerungsobjekte der dezentralen Vertriebssteuerung Ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb verbindet verschiedene Ausprägungen der Dimensionen des dualen Steuerungsmodells. An dieser Stelle werden jene Dimensionen kurz erörtert, welche in der Ebene der finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen berücksichtigt werden. Im Mehrkanalvertrieb eines Geschäftsbereichs geht es sowohl um die Rentabilitäts- als auch um die Risikosteuerung. Bei der Rentabilität steht die Erwirtschaftung positiver Erfolgsbeiträge im Vordergrund, welche sich aus der Differenz zwischen Erlös und Kosten als Kalkulationsergebnis des internen betrieblichen Rechungswesens ergeben.568 Beim Risiko gilt es, Aspekte welche die Rentabilität beeinträchtigen zu berücksichtigen. Für die vorliegende Arbeit werden v.a. Markterfolgsrisiken berücksichtigt, welche sich auf die Unbestimmtheit des Absatzes der Bankleistungen beziehen. Diese Unsicherheit kann sowohl die Preis- als auch die Mengenkomponente betreffen. In Bezug auf die Geschäfts- vs. Struktursteuerung liegt der Schwerpunkt im Mehrkanalvertrieb bei ersterer. Es geht darum, durch das Budgetmanagement globalorientierte Zielgrössen in operative Einzelziele für den Mehrkanalvertrieb zu zerlegen. Bei der letzten Dimension steht für den Mehrkanalvertrieb die dezentrale Steuerung klar im Vordergrund. Die Steuerung bezieht sich hier v.a. auf Dimensionen, welche eng mit dem Kundengeschäft vor Ort in Verbindung stehen. Zentrale Aspekte sind dabei v.a. die Akquisition von Kundengeschäften mit ausreichenden Margen bzw. Deckungsbeiträgen. Zusammenfassend lassen sich aus diesen Überlegungen folgende Schlussfolgerungen ziehen: Bei einem Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb handelt es sich um ein Instrumentarium, welches grundsätzlich der dezentralen Geschäftssteuerung dient und sowohl Aspekte des Rentabilitäts- als auch solche des Risikomanagements berücksichtigt. In 568 Vgl. Scherrer 1999, S. 538. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 176 Bezug auf die relevanten Kennzahlendimensionen der Ebene Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen bedeutet dies, dass die folgenden Aspekte berücksichtigt werden sollten: ! Gewinn (Aufwand, Ertrag)/Erfolg (Kosten, Erlös);569 ! Rentabilität; ! Risiko (Fokus bzw. Eingrenzung auf Markt- bzw. Absatzrisiken). Im Sinne der Triade des ertragsorientierten Bankmanagements (vgl. Abbildung 76) werden diese Dimensionen um einen Aspekt erweitert. In Bezug auf die Rentabilität gilt es zudem, das Kalkül des Geschäftswachstums zu berücksichtigen, weil dies ein Mittel zur Rentabilitätsmehrung und –sicherung ist.570 Somit ist das Wachstum eine weitere Dimension, welche in der Ebene 1 berücksichtigt wird. Primat der Rentabilität Ertragsorientierte Wachstumspolitik Ertragsorientierte Risikopolitik Abbildung 75: Triade des ertragsorientierten Bankmanagements Quelle: Schierenbeck 2003, S. 1. Die Kennzahlendimension Erfolg/Gewinn lässt sich durch die Dimension Wirtschaftlichkeit ergänzen, indem die wertmässigen Erträge/Erlöse den wertmässigen Aufwänden/Kosten gegenüber gestellt werden. Diese wird jedoch nicht separat aufgeführt, sondern ist implizit in der Dimension Gewinn enthalten. 2.2.2 Operationalisierung der Kennzahlendimensionen Nach der grundsätzlichen Abgrenzung der Steuerungsobjekte der dezentralen Steuerung werden in diesem Abschnitt die identifizierten Kennzahlendimensionen anhand konkreter Beispiele operationalisiert. Die Operationalisierung erfolgt unter Berücksichtigung wertorientierter Steuerungskonzepte.571 Wertorientierte Steuerungskonzepte als Grundlage der Operationalisierung In der Praxis haben sich auf Unternehmungsebene verschiedene wertorientierte Steuerungskonzepte durchgesetzt. Sie können danach klassifiziert werden, mit welcher zentralen Kennzahl der Beitrag unternehmerischer Aktivitäten zum Unternehmenswert gemessen wird. Gemeinsam ist allen Konzepten, dass sie als Massstab für den positiven Beitrag zum Unternehmenswert einen an den Kapitalkosten orientierten Renditemassstab festlegen, ab dem ein – 569 570 571 Mit Erfolg werden Zahlen aus dem internen Rechnungswesen (Management-Accounting) verstanden. Gewinn ist eine Grösse, welche aus dem externen Rechnungswesen stammt. Siehe mehr dazu unter Abschnitt 2.2.2. Vgl. Grimmer 2003, S. 13. Vgl. dazu Teil 3 Abschnitt 2.3.3. Eine der hinreichenden Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem ist die Ausrichtung des Kennzahlensystemdesigns nach einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 177 unterschiedlich definierter – Übergewinn entsteht. Erreicht ein Unternehmen diesen Übergewinn, erhöht sich in der betrachteten Periode der Unternehmenswert. Dies ist dann der Fall, wenn der Gewinn eine bestimmte, durch die Kapitalkosten definierte Grenze überschreitet.572 Die Klassifikation kann danach vorgenommen werden, ob sich die ermittelten Werte auf nur eine Periode (periodische Betrachtungsweise; i.d.R. auf das laufende bzw. vergangene Kalender- oder Wirtschaftsjahr) beziehen oder ob sie auch die Wirkungen in zukünftigen Perioden berücksichtigen (mehrperiodische Betrachtungsweise). In der einperiodischen Betrachtung kann darüber hinaus unterschieden werden, ob die Steuerungskennzahlen mit Zahlen des externen Rechnungswesens (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung) berechnet oder ob sie für die Steuerungszwecke eigens ermittelt wurden und deshalb dem internen Rechnungswesen zuzuordnen sind. Die Steuerung auf Basis des externen Rechnungswesens wird in der Praxis in Form von ROIKonzepten angewendet.573 Dabei wird eine bilanzielle Ergebnisgrösse (z.B. Bilanzgewinn, Jahresüberschuss) in Beziehung zum eingesetzten Kapital (z.B. Eigenkapital, Fremdkapital) gesetzt. Zu den daraus abgeleiteten wertorientierten Steuerungskonzepten gehört z.B. das von der Unternehmensberatung Stern Steward & Co. entwickelte Konzept des Economic Value Added (EVA). Eine gegenwärtig ebenfalls verbreitete, aber stärker am internen Rechnungswesen orientierte Methode der wertorientierten Steuerung ist z.B. das Konzept des Cash-Flow Return-on-Investment (CFROI) der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Periodenorientierte Betrachtung Gewinn- und Verlust-orientiert: Zielgrössen ! Gewinn ! Eigenkapitalrendite Übergewinn-orientiert: ! Economic Value Added (EVA) ! CFROI Mehrperiodische Betrachtung Barwert-orientiert: ! Market Value Added (MVA) ! CFROI (Barwertbasis) Abbildung 76: Abgrenzung verschiedener wertorientierter Steuerungskonzepte Quelle: Wild 2005, S. 187. Beide Konzepte können sowohl in einperiodischer als auch in mehrperiodischer Betrachtung angewendet werden. Bei mehrperiodischen Zielvorgaben handelt es sich zwangsläufig um barwertige Grössen, welche durch die Abzinsung von Wertbeiträgen zukünftiger Perioden (in Form von Cash-Flows) ermittelt werden. Da Zahlen der Gewinn- und Verlustrechnung zukünftiger Jahre noch nicht vorliegen, kommt bei mehrperiodischer Betrachtung ein Rückgriff auf das externe Rechnungswesen nicht in Betracht. Beim EVA-Konzept ist deshalb für die mehrperiodische Betrachtung eine Schätzung zukünftiger Bilanzgewinne notwendig. In der mehrperiodischen Form tritt an die Stelle der Zielgrösse EVA der MVA. 572 573 Vgl. Groll 2003, S. 1ff.; Hörter 1998, S. 70ff. Vgl. Groll 2003, S. 6f; Wimmer 2004a, S. 343ff. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 178 Vor der Einführung eines wertorientierten Steuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb ist zu klären, ob die Auswahl der Steuerungskennzahlen und die Gestaltung des Kennzahlensystems zwangsläufig davon abhängig sind, welches Konzept der wertorientierten Steuerung auf Gesamtbankebene verwendet wird. Denn dieses bestimmt, welche zentrale Kennzahl (periodisch oder barwertig, intern oder extern) an den jeweiligen Geschäfts- bzw. Vertriebsbereich als Zielvorgabe weitergegeben wird. In den beiden folgenden Abschnitten werden die Kennzahlendimensionen in der peridodenorientierten und mehrperiodischen Betrachtung anhand von Beispielen operationalisiert. Periodenorientierte Grössen: Rentabilität, Gewinn, Risiko und Wachstum In Abbildung 77 werden die Steuerungsobjekte anhand möglicher periodenorientierter Kennzahlen operationalsiert, welche in Anlehnung an das duale Steuerungsmodell und an die Triade des ertragsorientierten Bankmanagements für den Mehrkanalvertrieb abgegrenzt wurden. Dadurch sollen die Steuerungsobjekte veranschaulicht und erläutert werden. Die Operationalisierung erfolgt nicht anhand mathematischer Formeln, sondern vielmehr durch eine inhaltliche Beschreibung. Auf diese Weise wird die Interpretation der Kennzahlen erleichtert. In Abbildung 77 werden einige zentrale Kenngrössen der vier Dimensionen zusammengefasst. Dabei wurde insbesondere auf jene Spitzenkennzahlen zurückgegriffen, die in der Bankpraxis häufig zum Einsatz kommen. Für eine vertiefte Betrachtung dieser Kennzahlen wird auf die bereits bestehenden Erkenntnisse verwiesen.574 Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Rentabilitätsorientierte Kennzahlen Return on Investment (ROI): Rentabilität des eingesetzten Gesamtkapitals Return on Equity (ROE): Rentabilität des Eigenkapitals Return on Asses (ROA): Rentabilität des eingesetzten Gesamtkapitals bereinigt durch Fremdkapitalzinsen Cash-Flow Return on Investment (CFROI): Brutto Cash-Flow abzüglich ökonomische Abschreibungen im Verhältnis zur Bruttoinvestitonsbasis Gewinn- und erfolgsorientierte Kennzahlen Erfolg (externes Rechnungswesen): Erträge minus Aufwände Kalkulatorischer Gewinn (internes Rechnungswesen): Erlöse minus Kosten Bruttogewinnmarge: Prozentualer Anteil des Bruttogewinns am Umsatz Deckungsbeitrag I: Erlöse abzüglich variable Kosten Cash-Flow Value Added (CVA): CFROI abzüglich Weighted average Cost of Capital (WACC) in Relation zur Bruttoinvestitionsbasis Economic Value Added (EVA): EVA entspricht dem Net- operating-profit after tax (NOPAT) abzüglich der gewichteten, risikogerechten Kapitalkosten für Fremd- und Eigenkapital Cost-Income-Ratio: Betriebliche Aufwände in Prozent der be- 574 Vgl. dazu die einschlägige Literatur: Schierenbeck 2001b; Groll 2003/Schierenbeck 2001c; Scherrer 1999; Djukanov et al. 2004; Wild 2005. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 179 trieblichen Erträge (wertmässige Betrachtung) Risikoorientierte Kennzahlen (Markterfolgsrisiko) Die Unsicherheit bzw. das Risiko kann sowohl die Preis- (erzielte Marktpreise) als auch die Mengenkomponente (Anzahl abgesetzter Bankprodukte) betreffen. Im einzelnen können folgende Faktoren eintreten: ! Unterschreiten der kontrahierten von den geplanten Konditionsbeiträgen im Neugeschäft (Preiskomponente) ! Nichterreichen geplanter Kundengeschäftsvolumina (Mengenkomponente) Die Operationalisierung der Preis- und Mengenkomponente kann z.B. anhand folgender Grössen vorgenommen werden: Deckungsbeitrag (Preiskomponente): Abweichung der geplanten von den erzielten Deckungsbeiträgen pro Produkt(kategorie) Absatzvolumina (Mengenkomponente): Abweichung der geplanten von den erzielten Absatzvolumina pro Produkt(kategorie) Wachstumsorientierte Kennzahlen Ertragswachstum: Wachstum der erzielten Erträge (wertmässige Betrachtung) Absatzwachstum: Wachstum des erzielten Absatzes (mengenmässige Betrachtung) Abbildung 77: Operationalisierung ausgewählter periodenorientierter Kennzahlen Quelle: In Anlehnung an Schierenbeck 2003; Grimmer 2003; Rappaport 1998. Mehrperiodische Grössen: Dynamische Wertgrössen Die Kennzahlen der Dimensionen Rentabilität, Gewinn, Risiko und Wachstum werden nicht zuletzt aufgrund ihres statischen Charakters häufig kritisiert. Insbesondere die Aussagefähigkeit des Periodenerfolgs bzw. -gewinns als Steuerungs- und Kontrollgrösse wird durch die zeitliche Periodenabgrenzung stark eingeschränkt. Wie im Zusammenhang mit der Diskussion der Werttreiberhierarchien sowie des Konzepts des Shareholder-Values575 bereits dargestellt, hat sich in der Theorie der Cash-Flow als Gradmesser sowohl für die Beurteilung der Finanz- als auch der Ertragslage durchgesetzt.576 Mittels des diskontierten Cash-Flows werden mehrere Perioden betrachtet und die finanzwirtchaftliche Ergebniszielorientierung ausgedrückt. Es wird nicht nur der geldwertmässige Erfolg gemessen, sondern gleichzeitig die Wachstumskraft wiedergegeben. Ferner wird – im Gegensatz zum Periodengewinn – auch etwas über die Liquidität des Unternehmens bzw. eines Geschäftsbereichs ausgesagt.577 Der Cash-Flow integriert somit verschiedene Dimensionen in einer dynamischen Betrachtung: die Dimensionen Gewinn, Wachstum und Risiko sowie den Faktor Zeit. Er ist fokussiert auf einen abdiskontierten Überschuss (Übergewinn), berücksichtigt dabei aber das Wachstum als Werttreiber. Das Ziel der Risikominimierung bzw. der Sicherheit wird insbesondere im gewähl- 575 576 577 Vgl. Teil 3, Abschnitt 3.2.3. Vgl. Horvath 1998, S. 443. Vgl. Horvath 1998, S. 443. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 180 ten Zinssatz sowie in den Wahrscheinlichkeiten der zugrundeliegenden Basisannahmen berücksichtigt. In Abbildung 78 wird die Operationalisierung anhand möglicher Kenngrössen beispielhaft gezeigt, welche die mehrperiodische Betrachtung wiedergeben. Kennzahlen (Beispiele) Operationaliserung Rentabilitätsorientierte Kennzahlen Cash-Flow Return on Investment (CFROI): Brutto Cash-Flow abzüglich ökonomische Abschreibungen im Verhältnis zur Bruttoinvestitionsbasis (auf Barwertbasis) Gewinn und erfolgsorientierte Kennzahlen Market Value Added (MVA): Summe der abgezinsten EVAs Abbildung 78: Operationalisierung mehrperiodischer Kennzahlen Quelle: In Anlehnung an Rappaport 1986; Horvath 1998. Die Aufzählung in Abbildung 78 ist nicht abschliessend und dient lediglich zur Veranschaulichung dynamischer bzw. mehrperiodischer Grössen. Für die Vertiefung dieser Kennzahlen wird ebenfalls an die einschlägige Literatur578 verwiesen. 2.2.3 Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung Vor der Einführung eines wertorientierten Steuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb im Privatkundengeschäft sind mehrere wichtige Grundsatzfragen zu klären. Dies ist erforderlich, um die Einbindung eines Kennzahlensteuerungssystems in die Steuerung der Gesamtbank sicherzustellen und operative Handlungsvorgaben an die im Markt tätigen Kanäle und Mitarbeiter ableiten zu können. An dieser Stelle ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die nachfolgend aufgeführten Fragestellungen nicht ausschliesslich auf die Ebene 1, sondern auch auf die Ebene 2 beziehen. Da die Abrenzung der Ebenen nicht immer scharf ist, werden diese Aspekte hier erläutert und später wieder aufgegriffen. ! Soll der Vertrieb mit periodischen oder barwertigen (mehrperiodischen) Zielvorgaben gesteuert werden? ! Wie ist die geeignete Schlüsselungsmethode zur Ableitung von Zielvorgaben für nachgelagerte Hierarchiestufen im Privatkundengeschäft (Vertriebskanäle in der Ebene 2)? ! Wie soll der Zusammenhang zwischen finanzieller Ergebnisplanung (auf Ebene 1) und operativer Vertriebssteuerung (auf Ebene 2) hergestellt werden? Insbesondere: Wie und auf welchen Ebenen soll eine Überleitung der finanziellen Zielgrössen in barwertige und aktivitätenbezogene Steuerungsgrössen erfolgen? ! Wie können die Faktoren, die das Vertriebsergebnis (auf Ebene 1) beinflussen (Werttreiber) und deren Wirkungszusammenhänge in übersichtlicher Form in so genannten Wertebäume dargestellt und analysiert werden? Diese zentralen Fragen wurden von Wild579 eingehend erörtert. Antworten und alternative Handlungsanweisungen werden in dieser Arbeit daher nur zusammenfassend aufgezeigt. Für eine vertiefte Betrachtung dieser Aspekte wird auf seine Dissertation580 verwiesen. 578 Schierenbeck 2001b; Groll 2003/Schierenbeck 2001c; Scherrer 1999; Djukanov et al. 2004; Wild 2005; Rappaport 1986; Horvath 1998. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 181 Periodische vs. barwertorientierte (mehrperiodische) Zielvorgaben Aufgrund der häufig mehrjährigen Laufzeit von Finanzprodukten hat sich in der Bankkalkulation auf Einzelgeschäftsebene eine barwertige Profitabilitätsrechnung durchgesetzt. Zur Bestimmung des Vertriebsergebnisses werden die mit einem Finanzgeschäft über mehrere Perioden verbundenen Zahlungszu- und Abflüsse mit Hilfe des Barwertkonzepts auf den Abschlusszeitpunkt diskontiert und auf Basis der Marktzinsmethode von anderen Ergebnisbereichen (z.B. Treasury, Risikomanagement) abgegrenzt.581 Diese mehrperiodische Betrachtung ist notwendig, da die Zahlungswirkungen bei Finanzgeschäften nicht mit dem Vertragsabschluss beendet sind, sondern zum überwiegenden Teil erst nach diesem Zeitpunkt erfolgen (vgl. Abbildung 80). Diese Betrachtungsweise spiegelt sich auf der Ebene der Gesamtbank nicht wider. Hier dominieren u.a. aufgrund des Informationsinteresses der Anteilseigner und Analysten an kurzfristigen und jahresabschlussbezogenen Erfolgszahlen fast ausschliesslich periodische Kenngrössen wie der Gewinn vor Steuern (Earning before Tax) oder ROI der Unternehmenssteuerung.582 Dadurch entstehen bei Banken zwei grundlegend unterschiedliche Konzeptionen von Erfolgsrechnungen. Für die Vertriebssteuerung, die hierarchisch zwischen der Ebene des Einzelgeschäfts und der Gesamtbankebene anzusiedeln ist, wird es deshalb notwendig zu entscheiden, ob sie mit Hilfe periodischer oder barwertiger Zielgrössen erfolgen soll. Dazu ist eine Abwägung der Vor- und Nachteile der beiden Steuerungsformen notwendig (vgl. Abbildung 79). Für eine eingehende Diskussion über die Vor- und Nachteile dieser beiden Konzepte wird an die Dissertation von Wild583 verwiesen. 579 580 581 582 583 Wild 2005. Wild 2005, S. 188ff. Vgl. Wimmer 2004b, S. 105ff. Vgl. Groll 2003, S. 17ff; Coenenberg 1997, S. 1040ff. Wild 2005, S. 190ff. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 182 Periodische Vertriebssteuerung Barwertige Vertriebssteuerung (mehrperiodisch) Beispiel: Periode t2 t0 t1 Beispiel: Periode t2 t2 t3 t4 t0 Geschäft 1 Geschäft 1 Geschäft 2 Geschäft 2 Geschäft 3 Geschäft 3 “Rente” aus früheren Abschlüssen (Perioden t0, t1) Neugeschäftsbeitrag (nur Periode t2) t1 “Rente” entfällt t2 t3 t4 Neugeschäftsbeitrag (Perioden t2 und t3) Vorteile: ! Analysten und Kapitalmarkt orientieren sich an periodischen Grössen (z.B. Gewinn vor Steuern) ! Periodische Grössen sind leicht aus dem Rechnungswesen zu generieren bzw. abzuleiten ! Gleiche Steuerungslogik und Zieldimensionen auf Gesamtbank- und Vertriebsebene Vorteile: ! Kapitalmarktorientierte Messung des Wertbeitrags eines Abschlusses ! Förderung der Aktivitäten- und Abschlussorientierung ! Abschwächung des Vorgänger-Nachfolger-Problems Nachteile: ! Vermischung von Beständen („Rente“) und Neugeschäften im Ergebnisausweis ! Vorgänger-Nachfolger-Problem durch „Renteneffekt“ ! Einzelgeschäftsbezogene Profitabilitäts- und Rentabilitätsbetrachtung erfolgt bei mehrperiodischen Geschäften nicht Nachteile: ! Eigene, aufwendige und z.T. komplexe Berechnungsmethodik ! Unterschiedliche Zieldimensionen zwischen periodischer und barwertiger Steuerung; exakte Überführung ist aufwendig Abbildung 79: Periodische vs. barwertorientierte (mehrperiodische) Vertriebssteuerung Quelle: Wild 2005, S. 190. Fazit: Barwertige Kennzahlen betonen die gegenwärtigen Leistungen des Vertriebs und ermöglichen auf diese Weise eine aktivitätsorientierte Vertriebssteuerung. Die Leistung wird nur anhand der aktuellen Aktivitäten gemessen. Vertriebliche Defizite werden früher erkannt, da Erfolgsgrössen aus Geschäften vergangener Perioden diese nicht überdecken können. Deshalb ist es grundsätzlich vorteilhaft, wenn barwertige Kennzahlen im Mittelpunkt der Vertriebssteuerung stehen. Dies trifft auf alle Ebenen innerhalb des Vertriebsbereichs zu. Schlüsselung der Zielvorgaben entlang der Vertriebshierarchie Unabhängig davon, ob die Vertriebsplanung in einem rein Top-Down-geprägten Verfahren oder in einer Mischform aus Top-Down- und Bottom-up-Ansatz erfolgt, ist es notwendig, aus den Gesamtbankzielen Vorgaben für den Vertriebsbereich abzuleiten. Aus diesen zentralen Zielvorgaben müssen in weiteren Schritten die Ziele für die einzelnen Organisationseinheiten im Mehrkanalvertrieb (z.B. Vertriebskanäle, Regionen etc.) abgeleitet werden. Hierfür ist ein geeigneter Verteilschlüssel notwendig. Damit muss die zentrale Zielvorgabe für den Vertriebsbereich, die bereits in barwertiger Form erfolgen sollte, auf die einzelnen Organisationseinheiten aufgeteilt werden. In der Praxis werden meist volumen-, ertrags- und kostenorientierte Schlüsselungsmethoden verwendet. An dieser Stelle werden die einzelnen Methoden kurz mit ihren Vor- und Nachteilen vorgestellt. Eine vertiefte Diskussion findet sich bei Wild.584 584 Vgl. Wild 2005, S. 194f. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 183 Volumenorientierte Schlüsselung: Bei der volumenorientierten Schlüsselung erfolgt die Verteilung der globalen Zielvorgabe für den Vertrieb im Verhältnis zu Volumengrössen (z.B. Anzahl der Kunden, Anzahl Mitarbeiter oder Höhe des Bestandesvolumen der Kunden der jeweiligen Vertriebseinheit), die den einzelnen Organisationseinheiten zugeordnet werden können. Kosten- und Erlösinformationen bleiben unberücksichtigt. Dieser Ansatz bietet folgende Vor- und Nachteile: Vorteile Nachteile ! Einfache Anwendbarkeit aufgrund der ! Fehlerhafte Anreizwirkungen: Werbung Verfügbarkeit von Volumenzahlen auf alvon Neukunden wird durch erhöhte Ziellen Hierarchieebenen vorgaben in der nächsten Periode „bestraft“. ! Relativ hohe Genauigkeit der Methode mit geringem Aufwand aufgrund der Mög- ! Unterschiedliche Kosten- und Erlösstruklichkeit einer einfachen Gewichtung von turen der einzelnen Kanäle werden nicht Zielvorgaben berücksichtigt. ! Vernachlässigung des Potentials bzw. der Potentialausnutzung eines Marktgebietes (bei den Bezugsgrössen Mitarbeiterzahl, Bestandesvolumen) Abbildung 80: Vor- und Nachteile der volumenorientierten Schlüsselung Quelle: Wild 2005, S. 194f. Ertragsorientierte Schlüsselung: Bezugsgrössen bilden Ertragsgrössen vergangener Perioden, die in Form von Brutto- oder Nettoerträgen ohne grossen Aufwand dem Rechnungswesen entnommen werden können. Durch die Bildung mehrjähriger Durchschnittswerte kann eine empirische Fundierung dieser Bezugsgrössen erreicht werden. Dieser Ansatz bietet folgende Vor- und Nachteile: Vorteil Nachteile ! Bessere Orientierung an der Ertragskraft einer Vertriebseinheit ! Vernachlässigung des Potentials durch Orientierung an Erträgen der Vergangenheit ! Unterdurchschnittliche Vertriebsleistungen werden in der nächsten Periode durch tiefere Vorgaben „belohnt“. ! Fehlende erfolgsorientierte Betrachtung der Vernachlässigung der Kosten Abbildung 81: Vor- und Nachteile der ertragsorientierten Schlüsselung Quelle: Wild 2005, S. 195. Kostenorientierte Schlüsselung: Bei der kostenorientierten Schlüsselung dienen der Kostenblock im Vertrieb, die Personalkosten oder die Summe aus Personal- und Sachkosten als Bezugsgrössen für die Verteilung der Zielvorgaben. Dieser Ansatz hat folgende Vor- und Nachteile: TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 184 Vorteile Nachteile ! Leichte Ermittelbarkeit der Bezugsgrössen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen ! Möglichkeit der empirischen Fundierung durch mehrjährige Durchschnittswerte ! Anreize zur Kostensenkung ! Teilweise (indirekte) Berücksichtigung des Potentials der Mitarbeiter ! Keine Berücksichtigung des Marktpotentials ! Fehlende erfolgsorientierte Betrachtung der Vernachlässigung der Erträge Abbildung 82: Vor- und Nachteile der kostenorientierten Schlüsselung Quelle: Wild 2005, S. 195. Die Diskussion der Eignung der drei erläuterten Schlüsselungsmethoden für die Anwendung im Rahmen einer wertorientierten Vertriebssteuerung hat zwei zentrale Kritikpunkte hervorgebracht. Die Vertriebsplanung orientiert sich zu wenig am Vertriebspotential, das an erster Stelle durch das Potential der bestehenden Kundenverbindungen, durch das Potential des zu bearbeitenden Markts und durch das verkäuferische Geschick und Beratungswissen (verkäuferisches Potential) der Vertriebsmitarbeiter bestimmt wird. Der zweite Punkt ist die mangelnde Berücksichtigung von Profitabilitätsgrössen, die unmittelbar in Wertgrössen umgerechnet werden können. Dazu sind den Erlösen, die durch vertriebliche Aktivitäten erzielt werden können, die entsprechenden Kostengrössen der Vertriebseinheiten gegenüberzustellen. Nur wenn diese beiden Kritikpunkte bei der Suche nach einer geeigneten Schlüsselungsmethode berücksichtigt werden, wird die Bildung wertorientierter Ergebnisvorgaben möglich. Potentialorientierte Schlüsselung: Für eine wertorientierte Vertriebssteuerung ist deshalb nur eine potentialorientierte Schlüsselung sinnvoll, die sich am Erlöspotential des Kunden und des Marktes oder der Mitarbeiter orientiert und gleichzeitig die Kosten der jeweiligen Vertriebsebene bzw. der Vertriebseinheit berücksichtigt. Das Kundenpotential kann z.B. über die Hilfsgrösse „durchschnittlicher Nettoertrag pro Kunde“ bestimmt werden. Für das Mitarbeiterpotential ergeben sich jedoch erhebliche Messprobleme, welche nur über individuelle Einschätzungen der Vorgesetzten behoben werden können. Das darüber hinaus mittelbar realisierbare Potential liegt in der Möglichkeit der Neukundengewinnung und sollte durch einen ergänzenden Faktor in der Planung berücksichtigt werden. Dieser muss insbesondere die gegenwärtige Ausschöpfung des Teilmarkts und gegebenenfalls die Möglichkeiten einer Steigerung des Marktanteils unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und der Wettbewerbssituation beachten. Die potentialorientierte Schlüsselung kann durch eine segmentspezifische Vorgehensweise nicht nur – wie die volumen-, ertrags- oder kostenorientierte Schlüsselung – an Genauigkeit gewinnen, sondern ist nur in dieser Form sinnvoll anzuwenden. Dies liegt an der Tatsache, dass das Erlöspotential der Kunden bzw. der Kundensegmente sehr unterschiedlich ist und deshalb eine undifferenzierte Vorgehensweise bei dieser Methode zu inadäquaten Zielvorgaben führt.585 585 Vgl. Wild 2005, S. 196f. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 185 Zusammenhang finanzieller Ergebnisplanung mit operativer Vertriebssteuerung In der wertorientierten Unternehmenssteuerung kommt es zwangsläufig zu einem Nebeneinander finanzieller und periodenorientierter Ergebnisplanung und -steuerung, die auf Stufe Gesamtbankebene dominiert, und operativer Vertriebsplanung und -steuerung.586 Da die Leistung der Bankleitung in der Praxis an Ergebnisgrössen des externen Rechnungswesens beurteilt wird, orientiert sich die finanzielle Ergebnisplanung auf der obersten Ebene sehr stark an den von bilanzrechtlichen Vorschriften bestimmten Grössen des externen Rechnungswesens der laufenden Geschäftsperiode.587 Um die Ziele auf der Gesamtbankebene zu erreichen, müssen die Vorgaben auf die einzelnen Geschäftsbereiche (z.B. Privatkunden-, Firmenkunden-, Handelsgeschäft) und in weiteren Schritten auf die jeweils nachfolgenden Hierarchiestufen (z.B. Vertriebskanäle) heruntergebrochen werden. Zur verfeinerten Ergebnisplanung und -analyse sowie zur Prüfung der Realisierbarkeit von Zielvorgaben bzw. zur Buttom-up-Planung werden Ergebnissystematiken in Form so genannter Wertebäume588 herangezogen. Demgegenüber orientiert sich die operative Vertriebssteuerung für die einzelnen Vertriebseinheiten (Vertriebskanäle) im Idealfall an barwertigen und aktivitätsbezogenen Steuerungsgrössen.589 Letztere stellen eine wichtige Ergänzung der barwertigen Grössen dar, da sie deren Zustandekommen erklären. Die Grössen der Vertriebssteuerung sind grundsätzlich anderer Art und Herkunft als die Grössen der finanziellen Ergebnisplanung auf Gesamtbankebene. Trotzdem müssen sie – im Sinne eines konsistenten und zielgerichteten Planungsvorgehens – aus den Vorgaben der finanziellen Ergebnisplanung abgeleitet werden. Damit stellt sich die Frage, wie der Zusammenhang zwischen der finanziellen Ergebnisplanung und der operativen Vertriebssteuerung hergestellt werden kann. Im Kern geht es darum, wie und auf welcher hierarchischen Ebene eine Überleitung der finanziellen periodischen Grössen in barwertige Erfolgsvorgaben und aktivitätenbezogene Steuerungsgrössen für den Vertrieb erfolgen soll. Dazu bieten sich grundsätzlich zwei alternative Vorgehensweisen an, die für die Belange der Vertriebssteuerung kurz erläutert werden. Alternative 1: Exakte Überleitung periodischer und barwertiger Steuerungsgrössen auf allen Hierarchieebenen Bei dieser Alternative werden auf allen Hierarchiestufen und für alle Organisationseinheiten des Vertriebs parallel sowohl periodische als auch barwertorientierte Zielvorgaben bestimmt. Diese müssen auf jeder Stufe aufeinander abgestimmt werden. Diese Alternative hat folgende zentrale Vor- und Nachteile: 586 587 588 589 Vgl. Wimmer 2004b, S. 3f. Vgl. Büschgen 2001, S. 535ff. Vgl. Abschnitt 2.2.3. Vgl. Auschner 2004, S. 281. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 186 Vorteile Nachteile ! Hohe Konsistenz zwischen finanzieller Gewinn-/Verlustplanung und barwertiger Vertriebsplanung ! Notwendigkeit permanter Überleitungsrechnungen (für jedes Geschäft müsste umgehend der Einfluss auf den Gewinn/Verlust errechnet werden) Abbildung 83: Vor- und Nachteile der Alternative 1 Quelle: Wild 2005, S. 198. Alternative 2: Zusammenführung finanzieller Ergebnisplanung und barwertiger Steuerung auf einer ausgewählten Ebene Um den Aufwand einer exakten Überleitung auf allen Ebenen zu vermeiden, kann der Weg gewählt werden, die finanzielle Ergebnisplanung nur bis zu einer bestimmten hierarchischen Ebene anzuwenden und auf dieser Ebene zur barwertigen Steuerungsform zu wechseln. Diese Alternative hat folgende zentrale Vor- und Nachteile: Vorteile Nachteile ! Erhebliche Reduktion der Komplexität und der Anzahl notwendiger Umrechungen ! Verlagerung auf eine langfristige Planung von Erträgen durch den Verzicht auf periodische Grössen ! Voraussetzung ist ein regelmässiger Planungsabgleich zwischen Gewinn-/Verlust- und barwertiger Planung auf der Ebene Geschäftsbereich Privatkunden Abbildung 84: Vor- und Nachteile der Alternative 2 Quelle: Wild 2005, S. 199. Strukturelle Gestaltung der Wertebäume Zur ex-ante-Planung finanzieller Ziele und zur ex-post-Analyse finanzieller Ergebnisse werden in der wertorientierten Steuerung Wertebäume angewendet. Darunter versteht man eine systematische Zusammenstellung von Faktoren, die über finanzielle Ergebnisgrössen (z.B. Gewinn, Kosten, Jahresüberschuss) den Wert des Unternehmens beeinflussen. Diese Faktoren werden im Wertmanagement als Werttreiber („Value Driver“) bezeichnet590 . Wertebäume sind umso besser zur Ergebnisplanung und -analyse geeignet, je umfassender sie die Werttreiber darstellen, die das Bankergebnis und damit den Unternehmenswert der Bank beeinflussen. Bei der Erfassung und Zusammenstellung von Faktoren kann zwischen harten und weichen Grössen unterschieden werden. Bei harten Faktoren handelt es sich um Werttreiber, deren Wirkung auf die Ergebnisgrösse (barwertig und periodisch) quantifiziert werden kann (z.B. Anzahl Abschlüsse, Deckungsbeitrag etc.). Demgegenüber sind weiche Werttreibern Faktoren, die zwar in kausalem Zusammenhang mit Ergebnisgrössen stehen, aber deren Einfluss nicht oder nicht eindeutig qualifiziert werden kann (z.B. Kundenzufriedenheit, Beratungskompetenz der Verkaufsmitarbeiter etc.). Wertebäume können für alle Unternehmensbereiche und auf allen Hierarchiestufen zum Einsatz kommen, für die finanzielle Ergebnisgrössen ermittelbar sind. Für die Steuerung des 590 Ries/Scheuplein 2004, S. 49f.; Frank/George/Narasimhan 2004. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 187 Vertriebs ist die finanzielle Ergebnisgrösse, für deren Analyse und Planung ein Wertebaum zusammengestellt wird, der Erfolg bzw. der Erfolgsbeitrag des Vertriebs zum Gesamtbankergebnis. Vor der eigentlichen Ermittlung und systematischen Zusammenstellung der Werttreiber ist die Frage zu klären, ob der Wertebaum nur harte oder auch weiche Faktoren enthalten soll. Diese beiden Alternativen sind vor der Anforderung gegeneinander abwägen, dass durch den Wertbaum eine konsistente Herleitungslogik des Vertriebsergebnisses für die Planung und Analyse zur Verfügung gestellt werden muss. Wertebaum mit harten Faktoren ! Enthält nur Faktoren, die Ergebnisgrössen direkt beeinflussen und deren Wirkung auf das Ergebnis quantifiziert werden kann ! Durch die Auswahl der wichtigsten Faktoren kann eine Baumstruktur mit kausalen und quantifizierbaren Zusammenhängen erreicht werden. Wertebaum mit weichen Faktoren ! Enthält sowohl Faktoren, die das Ergebnis direkt als auch indirekt beeinflussen ! Bei einem Teil der Faktoren kann ausschliesslich ein qualitativer, nicht quantifizierbarer Einfluss ermittelt werden ! Es entsteht aufgrund mehrdimensionaler Wirkungszusammenhänge eine Netzstruktur. Abbildung 85: Vergleich alternativer Gestaltungsformen für Wertebäume Quelle: Wild 2005, S. 202. In der Vertriebssteuerung ist die Verwendung von harten und weichen Faktoren sinnvoll. Für die Ergebnisplanung eignen sich ausschliesslich Wertebäume mit harten Faktoren, da aus Alternative 2 keine quantifizierbaren Zielvorgaben abgeleitet werden können. Trotzdem sollten Informationen über weiche Faktoren in die Vertriebssteuerung einfliessen, insbesondere um über Frühindikatoren rechtzeitig Gegenmassnahmen bei unerwünschten Entwicklungen ergreifen zu können. Darüber hinaus liefern weiche Faktoren einen zusätzlichen Erklärungswert für das Zustandekommen des Vertriebsergebnisses, auf den insbesondere bei der Ableitung von Handlungsanweisungen nicht verzichtet werden kann. 2.3 Ebene 2: Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen Ebene 2 beinhaltet aus einer Controlling-Perspektive zwei zentrale Aufgaben: Einerseits soll der Output des Mehrkanalvertriebssystems anhand der kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs verdichtet werden. Damit die Ursachen des Ergebnisses analysiert werden können, müssen andererseits die Wertschöpfungs- bzw. Erfolgsbeiträge der einzelnen Kanäle aufgezeigt werden. Dies erfolgt durch die Betrachtung des Throughput, welcher die kanalspezifischen Vertriebsaktivitäten operationalisiert und misst. Zwischen Throughput und Output besteht somit eine Ursache-Wirkungs-Beziehung. Im Output wird die Wirkung der Vertriebsaktivitäten aller Kanäle aggregiert und gemessen. Umgekehrt dient der Throughput dazu, die Ursachen des kanalübergreifenden Outputs aufzuzeigen. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 188 Damit der Output und der Throughput der Vertriebsaktivitäten differenziert betrachtet werden können, wird die Ebene 2 in zwei Sub-Ebenen aufgeteilt. In den folgenden Abschnitten werden die konzeptionellen Überlegungen erläutert und die jeweiligen Kennzahlendimensionen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen operationalisiert. 2.3.1 Sub-Ebene Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs Diese Sub-Ebene ist ein zentrales Verbindungsstück zwischen den finanziellen Schlüsselkennzahlen der Ebene 1 und den hauptsächlich aktivitätenorientierten Kennzahlen der SubEbene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie. Die Funktion der Kennzahlendimensionen dieser Sub-Ebene sind folgende: ! Kanalübergreifende Operationalisierung der Mehrkanalvertriebsstrategie; ! Direkte Analyse und Erklärung der finanziellen Ergebniskennzahlen (Ebene 1) durch das Kundengeschäftsergebnis anhand der harten Faktoren des Bankcontrollings591 (Erfolgsdimensionen Kunden, Produkte, Vertriebseinheit); ! Indirekte Analyse und Erklärung der finanziellen Ergebniskennzahlen (Ebene 1) durch weiche Faktoren in Form von Effizienzgewinnen eines Mehrkanalvertriebssystems. Aus den beiden letzten Funktionen geht hervor, dass in dieser Sub-Ebene der Output der Vertriebsaktivitäten und somit die Verbindung zu Ebene 1 bewusst anhand von harten und weichen Faktoren gemessen wird. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass im Rahmen einer wertorientierten Vertriebssteuerung die finanziellen Ergebnisgrössen der Ebene 1 umfassender erklärt werden können.592 Die harten und die weichen Faktoren werden in dieser SubEbene konzeptionell durch die kanalübergreifenden Hauptaufgaben eines Mehrkanalvertriebssystems operationalisiert. Diese Aufgaben werden in den nachfolgenden Abschnitten hergeleitet und durch Kennzahlendimensionen konkretisiert. Herleitung der kanalübergreifenden Hauptaufgaben Die Herleitung der kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs erfolgt in zwei Schritten: Zuerst werden die Erfolgsdimensionen des klassischen Bankcontrollings betrachtet, anschliessend werden die grundsätzlichen Ziele der Distribution593 erläutert. Aufgrund der Integration dieser beiden Aspekte werden die kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs hergeleitet. Erfolgsdimensionen des Bankcontrollings: Im klassischen Bankcontrolling werden die Ergebnisse der Einzelgeschäfte anhand der drei Dimensionen Kunden, Produkte und Vertriebseinheiten zum Kundengeschäftsergebnis verdichtet. Diese Dimensionen erlauben gemäss Abbildung 87 eine detaillierte Analyse der Zusammensetzung des Kundengeschäftsergebnisses (Output). So kann z.B. aufgezeigt werden, wie viele Erträge ein bestimmter Vertriebskanal mit einer bestimmten Produktgruppe erzielt hat. Diese Analyse ist jedoch ausschliesslich für sol- 591 592 593 Vgl. Schierenbeck 2001c. Vgl. Abschnitt 2.2.3. Vgl. Teil 2, Abschnitt 3.2.1. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 189 che Kanäle möglich, welche vertriebsstrategisch als Profit-Center594 positioniert sind und somit auch Markterlöse erzielen. Kunden, Kundengruppen Ergebnisbeitrag durch den Verkauf eines bestimmten Produktes über einem bestimmten Vertriebsweg für eine bestimmte Kundengruppe Produkte, Produktarten, Produktbündel Vertriebseinheiten, Vertriebskanal, Regionen Abbildung 86: Erfolgsdimensionen des klassischen Bankcontrollings Quelle: Schierenbeck 2003. Mehrkanalvertriebssysteme von Banken sind heute durch eine differenzierte Aufgabenteilung zwischen den Kanälen gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass neben den traditionellen Vertriebskanälen (z.B. Bankfiliale, Kundenberater) auch alternative Kanäle (z.B. Internet, CallCenter) wichtige Vertriebsaufgaben wahrnehmen. Oft sind diese Vertriebseinheiten vertriebsstrategisch als Support-Channel positioniert, welche jedoch keine direkten Markterlöse erzielen. Der Erfolgsbeitrag dieser Kanäle kann somit nicht direkt anhand der Dimensionen des Bankcontrollings erklärt werden. Um jedoch die Wirksamkeit der Vertriebsaktivitäten aller Kanäle analysieren zu können, müssen die klassischen Erfolgsdimensionen durch zusätzliche Aspekte erweitert werden. Ziele der Distribution: Die Erweiterung der klassischen Erfolgsdimensionen erfolgt anhand der grundsätzlichen Ziele der Distribution. Diese bestehen darin, die Markt- und Konsumreife der Unternehmensleistungen langfristig zu sichern. Markt- bzw. konsumreif sind Leistungen, wenn sie sich im Beschaffungsbereich des Endkunden befinden und von ihm in der erwarteten Quantität und Qualität erworben werden können.595 Um diese grundsätzliche Aufgabe erfüllen zu können, gilt es, zahlreiche Entscheidungen zu treffen. In Abbildung 88 werden die Ziele und die sich daraus ergebenden Entscheidungsfelder der Distribution skizziert. Im Rahmen der Mehrkanalvertriebsstrategie einer Bank bedeutet dies, dass eine geeignete Konfiguration596 des Mehrkanalsystems definiert werden muss. Diese muss klare Aussagen darüber enthalten, welchen Kunden(segmenten) welche Bankprodukte und -services über welche Kanäle angeboten werden sollen. Diese Entscheidung erfolgt im Bankensektor unter Anwendung einer wertorientierten Betrachtungsweise. Dies bedeutet, dass die Konfiguration 594 595 596 Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.2. Vgl. Teil 2, Abschnitt 3.2.1. Vgl. Teil 2, Abschnitt 3.2.2. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 190 derart zu gestalten ist, dass Kundenwert geschaffen werden kann. Dieser ist ein zentraler Werttreiber, welcher einen Einfluss auf den Unternehmenswert einer Bank bzw. eines Geschäftsbereichs hat. Marktreife: Konsumreife: ! Produkte, Dienstleistungen und Services dort anbieten, wo sie für das Unternehmen das grösste Potenzial bieten ! Produkte, Dienstleistungen und Services dort anbieten, wo sie vom Kunden erwartet werden und den grössten Nutzen stiften Exemplarische Zielgrössen: Exemplarische Zielgrössen: ! Umsatz ! Kundenzufriedenheit ! Deckungsbeitrag ! Kundenloyalität Entscheidungsfelder: ! Wo der Kunde die Leistungen beziehen kann ! Wie die Leistungen präsentiert werden sollen ! Wer für die Präsentation zuständig ist ! Welche Leistungen vor, während und nach dem Kauf angeboten werden Abbildung 87: Ziele der Distribution Quelle: In Anlehnung an Weinhold 1988, S. 336f. Kundenwert als Orientierungsgrösse im wertorientierten Vertrieb wird gemäss Abbildung 88 in zwei Aspekte unterteilt: ! Unter Kundenvorteil597 wird der Wert und Nutzen der Unternehmensleistung für den Kunden verstanden. Im Kontext des Mehrkanalvertriebs einer Bank bedeutet dies, dass die Konfiguration des Mehrkanalsystems für den Kunden einen Mehrwert bieten sollte. Der Mehrwert ergibt sich durch eine für den Kunden geeignete Ausgestaltung des Angebots über die einzelnen Vertriebskanäle. Geeignet ist die Konfiguration v.a. dann, wenn die Bankprodukte und -dienstleistungen dort angeboten werden, wo sie vom Kunden erwartet werden und somit den grössten Nutzen stiften (Ziel Konsumreife). ! Beim Aspekt Kundenwert598 erfolgt ein Perspektivenwechsel. Hier steht nicht der Kunde, sondern vielmehr das Unternehmen im Vordergrund. Unter Kundenwert wird der Wert des Kunden für das Unternehmen verstanden. Ein Mehrkanalvertriebssystem schafft dabei Kundenwert, indem mit den richtigen Kanälen die richtigen Kunden angesprochen und gebunden werden können. Dies bedeutet, dass eine optimale Konfiguration des Mehrkanalvertriebssystem idealerweise dazu beiträgt, die Vertriebsaufwendungen einer Bank zu senken und die Erlöse zu steigern. Die Konfiguration ist dann optimal, wenn es einer Bank gelingt, die Marktreife der Bankprodukte und -dienstleistungen mit möglichst geringem Aufwand zu sichern. Anders ausgedrückt werden auf diese Weise durch ein Mehrkanalvertriebssystem Effizienz- bzw. auch Effektivitätsgewinne realisiert. Diese stellen im Rahmen der Vertriebssteuerung weiche Faktoren dar, welche zur indirekten Erklärung der finanziellen Ergebnisgrössen der Ebene 1 herangezogen werden können. 597 598 Belz 2006, S. 84ff. Belz 2006, S. 99ff. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 191 Unternehmenswert Kundenwert Kundenvorteil Wert und Nutzen der Unternehmensleistungen für den Kunden Kundenwert Wert des Kunden für das Unternehmen Beitrag zum Kundenvorteil Mehrwert durch die Absatzkanäle bieten Beitrag zum Kundenwert Mit den richtigen Absatzkanälen die richtigen Kunden ansprechen Verringerung der Aufwendungen vs. Erhöhung des Nutzwertes Verringerung der Aufwendungen vs. Steigerung der Erlöse Mehrkanalvertriebssystem Abbildung 88: Kundenwert als zentrale Orientierungsgrösse im Mehrkanalvertrieb Quelle: In Anlehnung an Schögel 2005, S. 20. In Abbildung 89 wird beispielhaft anhand der Kundenbetreuung gezeigt, wie unter Berücksichtigung der Kosten/Beratungskompetenz der Vertriebskanäle und der Komplexität von Bankprodukuten Effektivitäts- und Effizienzgewinne in einem Mehrkanalvertriebssystem realisiert werden können. Ineffiziente Beratung Effiziente und effektive Beratung Ineffiziente Beratung Effizienzsteigerung mittel (z.B. Call Center) Partiell ineffiziente Beratung Effiziente und effektive Beratung tief (z.B. Internet) Effiziente und effektive Beratung Ineffektive Beratung tief mittel Effektivitätssteigerung Beratungskompetenz/ Kosten des Vertriebskanals hoch (z.B. Berater) Partiell ineffektive Beratung Ineffektive Beratung hoch Komplexität des Bankprodukts/Kundenbedürfnisses Abbildung 89: Effizienz und Effektivität der Kundenbetreuung Quelle: Eigene Darstellung. Die Grundüberlegung ist, dass in einem Mehrkanalsystem mit differenzierter Aufgabenteilung einfache Bankprodukte mit geringem Erklärungs- und Beratungsbedarf vermehrt über kostengünstige Kanäle wie z.B. dem Internet vertrieben werden. Komplexe Bankprodukte, die eine umfassendere und persönliche Beratung erfordern, werden hingegen weiterhin hauptsächlich über kostenintensivere Kanäle wie z.B. einem Kundenberater in einer Filiale angeboten. Die TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 192 zunehmende Integration alternativer Vertriebswege (z.B. Internet, Contact-Center) in die Vertriebsprozesse ermöglicht somit eine wertorientierte Differenzierung der Aufgabenverteilung zwischen den Kanälen. Diese Entwicklung wird auch durch das sich ändernde Kundenverhalten unterstützt. Dieses kennzeichnet sich dadurch, dass alternative Vertriebskanäle (v.a. das Internet) vom Kunden vermehrt genutzt werden. Die daraus resultierenden Effizienzsteigerungen und -gewinne gilt es, als weiche Faktoren zu berücksichtigen. Durch die integrierte Betrachtung der Erfolgsdimensionen des Bankcontrollings599 und der grundsätzlichen Ziele der Distribution600 können drei Hauptaufgaben eines Mehrkanalvertriebssystems abgeleitet werden: ! Kundenwerte schaffen; ! Produkte-/Serviceerfolge erzielen; ! Effizienzgewinne im Vertriebssystem realisieren. In den folgenden Abschnitten werden diese drei Dimensionen anhand von Treibergrössen und möglichen Kennzahlen beispielhaft operationalisiert. Operationalisierung der Dimension Kundenwert Ein Mehrkanalvertriebssystem leistet einen Beitrag zum Kundenwert, indem mit den richtigen Kanälen die richtigen Kunden angesprochen und gebunden werden. Die Definition dieser Hauptaufgabe impliziert, dass der Erfolgsbeitrag dieser Dimension grundsätzlich anhand der Treibergrössen Kundenakquisition und Kundenbindung operationalisiert werden kann. Kundenwert wird jedoch nicht ausschliesslich durch eine mengenmässige Erhöhung des Kundenbestandes oder durch die langfristige Bindung von Kunden erreicht. Erfolge in der Kundenakquisition und -bindung müssen auch vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit betrachtet werden. Diese Anforderung kann durch die Treibergrösse Kundenprofitabilität berücksichtigt werden. Die Treibergrösse Kundenbindung kann durch eine potentialorientierte Betrachtungsweise ergänzt werden. Kundenwert wird daher nicht nur durch die langfristige Bindung von Kunden geschaffen, sondern v.a. auch durch gezieltes Cross-Selling. Auf diese Weise werden Potentiale bestehender Kunden erschlossen. Dieser Aspekt kann durch die Treibergrösse Kundenpotentialausschöpfung ergänzt werden. Diese vier Treibergrössen operationalisieren die Dimension Kundenwert. Alle tragen dazu bei, dass das Kundengeschäftsergebnis bzw. die finanzwirtschaftlichen Ergebnisse der Ebene 1 durch weiche und harte Faktoren erklärt werden können. In Abbildung 90 werden die einzelnen Treibergrössen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen vorgestellt. 599 600 Schierenbeck 2003. Weinhold 1988, S. 335ff. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 193 Treibergrösse Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Kundenakquisition Anzahl Neukunden Anzahl der akquirierten Neukunden in einer definierten Periode Wert Neukunden Wert der von den neuen Kunden eingebrachten Vermögenswerte in einer definierten Periode (Net New Asset) Ertrag Neukunden Erwirtschaftete Erträge durch den Verkauf von Bankprodukten an Neukunden Neukundenquote Anzahl der Neukunden/Anzahl aller Kunden Asset under Management Wert der Vermögenswerte bestehender Kunden Abgewanderte Kunden Anzahl der abgewanderten Kunden in einer definierten Periode Kundenbeziehungsdauer Durchschnittliche Dauer der Kundenbeziehung zur Bank Hauptbankverbindungsanteil Anteil der Kunden, für welche die Bank die Hauptbankverbindung darstellt Kundenbindung Kundenprofitabilität Durchschnittlicher Deckungsbeitrag pro Kunden Kundenpotentialausschöpfung Durchschnittliche Differenz der Erlöse abzüglich der zurechenbaren Kosten Durchschnittliche Kundenrentabilität Durchschnittlicher Deckungsbeitrag pro Kunde/durchschnittlich notwendiges Kapital pro Kunde Kosten pro Neukunde Durchschnittliche Kosten für Kundenwerbung/Anzahl Neukunden Durchschnittlicher Umsatz pro Kunde Erwirtschafteter Ertrag/Anzahl Kunden (Neukunden, Bestandeskunden) Share of Wallet Anteil der durch die Bank verwalteten Vermögen/Gesamtvermögen der Kunden Inaktive Kunden Anteil der Kunden, welche inaktiv sind und keine Transaktionen tätigen Abbildung 90: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Kundenwert Quelle: Eigene Darstellung, z.T. in Anlehnung an Wild 2005. Die Aufzählung in Abbildung 90 ist als Hilfestellung zu verstehen und keinesfalls abschliessend. Bei der Umsetzung eines Kennzahlensystems sind je nach Zielsetzung gemäss Mehrkanalvertriebsstrategie und Informationslage einer Bank die geeigneten Kennzahlen zu wählen. Operationalisierung der Dimension Produkt-/Serviceerfolg Ein Mehrkanalvertriebssystem leistet ebenfalls einen Beitrag zum Kundenwert, wenn es gelingt, mit den richtigen Kanälen den richtigen Kunden die richtigen Produkte anzubieten.601 601 Die Definition von Schögel wurde hier um den Aspekt Produkte erweitert. Vgl. Schögel 2005, S. 23. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 194 Dies bedeutet, dass durch den effektiven und effizienten Vertrieb von Bankprodukten und services Produkterfolge erzielt werden können. Die Hauptaufgabe Produkt-/Serviceerfolg versucht daher, den Erfolgsbeitrag aus Sicht der Bankprodukte und -services zu messen. Diese Betrachtungsweise lehnt sich an die Erfolgsdimension Produkt des klassischen Erfolgscontrollings an.602 Produkt- und Serviceerfolge können anhand unterschiedlicher Treibergrössen operationalisiert werden. Grundsätzlich sind der Absatz (Menge) und der Umsatz (Wert) von Produkten Indikatoren für den Produkterfolg. Diese mengen- oder wertmässige Betrachtung greift im Sinne einer umfassenden Analyse und Erklärung des Kundengeschäftsergebnisses jedoch zu kurz. Analog zur Dimension Kundenwert gilt es, den Aspekt der Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Dies ist wichtig, weil Produktumsätze- oder Absatzziele im Vertrieb zu Lasten der Profitabilität „erkauft“ werden können. Eine weitere mögliche Treibergrösse ist die Produktnutzung. Banken definieren im Rahmen von Mehrkanalvertriebs- bzw. Produktstrategien, welche Bankprodukte und -services welchen Kundensegmenten angeboten werden. Mittels der Treibergrösse Produktnutzung wird versucht, den Erfolg dieser Produktstrategien zu messen. Es geht hier v.a. um die Frage, ob die für das Zielsegment vorgesehen Bankprodukte und -services auch effektiv genutzt werden bzw. verkauft werden konnten. Die Treibergrösse Produktnutzung kann auch durch eine potentialorientierte Betrachtungsweise ergänzt werden. Hierbei steht jedoch nicht die effektiv erreichte sondern vielmehr die potentiell mögliche Produktnutzung im Vordergrund. Diese Treibergrössen operationalisieren die Dimension Produkt-/Serviceerfolg. Alle tragen dazu bei, dass das Kundengeschäftsergebnis bzw. die finanzwirtschaftlichen Ergebnisse der Ebene 1 sowohl durch weiche als auch durch harte Faktoren erklärt werden können. In Abbildung 91 werden die einzelnen Treibergrössen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen konkretisiert. Treibergrösse Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Produktumsatz/absatz Umsatz Erzielter Umsatz in Geldeinheiten pro Produkt(gruppe) innerhalb einer definierten Periode Absatz Absatz in Mengeneinheiten pro Produkt(gruppe) innerhalb einer definierten Periode Durchschnittliche Marge Durchschnittlicher Deckungsbeitrag pro Produkt Sonderkonditionenquote Anteil der Produktverkäufe mit Preisnachlässen Produktprofitabilität 602 Vgl. Schierenbeck 2003. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 195 Produktnutzung Produktnutzung Anteil der Kunden, welche ein bestimmtes Produkt bei der Bank benutzen Produktmarktanteil Erzielter Marktanteil der Bank pro Produkt(gruppe) Abbildung 91: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Produkt-/Serviceerfolg Quelle: Eigene Darstellung, z.T. in Anlehnung an Wild 2005. Die Aufzählung ist als Hilfestellung zu verstehen und keinesfalls abschliessend. Bei der Umsetzung eines Kennzahlensystems sind je nach Zielsetzung gemäss Mehrkanalvertriebsstrategie und Informationslage einer Bank die geeigneten Kennzahlen auszuwählen. Operationalisierung der Dimension Vertriebssystemeffizienz Bei der letzten Dimension stehen Effektivitäts- und Effizienzgewinne im Vordergrund, welche durch ein Mehrkanalvertriebssystem realisiert werden können. Im Gegensatz zu den Dimensionen Kundenwert und Produkterfolg handelt es sich hier mehrheitlich um weiche Faktoren, mittels welchen das Kundengeschäftsergebnis bzw. die finanziellen Ergebniskennzahlen der Ebene 1 nur indirekt erklärt werden. Die Dimension bzw. Hauptaufgabe der Vertriebssystemeffizienz leistet einen Beitrag zum Kundenwert und -vorteil. Eine optimale Vertriebskonfiguration trägt zum Wert des Kunden bei, weil es der Bank gelingt, mit den richtigen Kanälen die richtigen Kunden anzusprechen. Praktisch bedeutet dies, dass Kunden die unterschiedlichen Bankprodukte und -services über jene Kanäle beziehen, wie es in der Mehrkanalvertriebsstrategie vorgesehen ist. Die Banken versuchen die Distribution ihrer Produkte und Services effizient zu gestalten. Dies gelingt dadurch, dass kostenintensive Kanäle (z.B. Berater) in einer Filiale sich auf den Vertrieb komplexerer Produkte fokussieren, während günstigere Kanäle (z.B. Internet) sich auf standardisierte und einfachere Produkte konzentrieren. Gelingt es, diese Differenzierung im Rahmen der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie erfolgreich umzusetzen, wird Kundenwert geschaffen. Der Erfolg einer differenzierten Vertriebskonfiguration ist jedoch stark von den Kunden und deren Präferenzen abhängig. Die Differenzierung muss somit für Kunden einen klaren Mehrwert (Kundenvorteil) schaffen. Dies kann entweder durch finanzielle Anreize (z.B. günstigere Preise für standardisierte Produkte im Internetkanal) und/oder durch einen höheren Nutzwert (z.B. Zeitersparnis bei Abwicklung von Zahlungsverkehrstransaktionen über den Internetkanal) erfolgen. Durch eine differenzierte Konfiguration des Mehrkanalvertriebssystems können somit Effizienzgewinne realisiert werden, welche sich aus Sicht einer Bank auf der Kosten- und Ertragsseite niederschlagen. Die Vertriebssystemeffizienz kann daher durch die Treibergrössen Kosten- und Ertragsstruktur operationalisiert werden. Ist der differenzierte Vertrieb von Produkten erfolgreich, hat dies auch einen Einfluss auf das Nutzungsverhalten der Kunden. Dieser Aspekt kann durch die Treibergrösse Nutzungsstruktur konkretisiert werden. Die drei Treibergrössen Kosten-, Ertrags- und Nutzungsstruktur operationalisieren die Dimension Vertriebssystemeffizienz. Alle tragen dazu bei, dass das Kundengeschäftsergebnis bzw. die finanzwirtschaftlichen Ergebnisse der Ebene 1 durch zusätzlich weiche Faktoren erklärt werden können. In Abbildung 92 werden die einzelnen Treibergrössen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen aufgezeigt. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 196 Treibergrösse Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Kostenstruktur Struktur der Vertriebssystemkosten Entwicklung der Kosten pro Vertriebskanal Kosteneinsparungen Zahlungsverkehr Realisierte Kosteneinsparungen durch die Erhöhung des Anteils Zahlungsverkehrstransaktionen, die über den Internetkanal abgewickelt werden (e-Share) Berechnung: Standardtransaktionskosten Berater-Kanal abzüglich Standardtransaktionskosten Internet-kanal multipliziert mit Erhöhung des e-Shares. Kosteneinsparungen Wertschriften Operationalisierung analog zu Zahlungsverkehr Struktur der Vertriebssystemerträge Entwicklung der Erträge pro Vertriebskanal (Kanäle mit Markterlösen) Deckungsbeiträge Online Banking-Kunden603 Vergleich der durchschnittlichen Deckungsbeiträge von Online BankingKunden mit Kunden, die kein Online Banking nutzen Share of Wallet Online Banking-Kunden Vergleich des durchschnittlichen Share of Wallet von Online Banking Kunden mit Kunden, die kein Online Banking nutzen e-Share Transaktionen Entwicklung des Anteils Transaktionen (Zahlungsverkehr, Wertschriften), welche über den Internetkanal abgewickelt werden e-Penetration Entwicklung der Anzahl Kunden pro Segment, welche über einen Online Banking-Vertrag verfügen Activity Level Entwicklung der Anzahl Kunden, welche das Online Banking aktiv nutzen Ertragsstruktur Nutzungsstruktur Abbildung 92: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Vertriebssystemeffizienz Quelle: Eigene Darstellung, z.T. in Anlehnung an Wild 2005. Die in Abbildung 92 aufgezählten Kennzahlen dienen nur als Hilfestellung und sind keinesfalls abschliessend. Bei der Umsetzung eines Kennzahlensystems sind je nach Mehrkanalvertriebsstrategie und Informationslage die geeigneten Kennzahlen zu wählen. 2.3.2 Sub-Ebene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie Diese Sub-Ebene stellt die Verbindung zwischen der Sub-Ebene Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs und der Ebene 3 Ressourcen- und potentialorientierten Kennzahlen her. Die Funktion der Kennzahlendimensionen dieser Sub-Ebene sind folgende: 603 Unter Online Banking-Kunden werden solche verstanden, welche standardisierte Bankgeschäfte (z.B. Zahlungsverkehr, Wertschriftentransaktionen, Devisenhandel etc.) über eine Online Banking-Lösung abwickeln. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 197 ! Operationalisierung der Mehrkanalvertriebsstrategie durch kanalspezifische Hauptaufgaben und kanalübergreifende Vertriebsprozesse; ! Direkte/indirekte Analyse und Erklärung des Ergebnisses der kanalübergreifenden Hauptaufgaben durch kanalspezifische Hauptaufgaben und -aktivitäten; ! Messung der kanalspezifischen Wirtschaftlichkeit und Produktivität unter Berücksichtigung der Unternehmungsressourcen und Marktpotentiale. In der Sub-Ebene Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs stand die Wirksamkeitskontrolle des Outputs des gesamten Mehrkanalvertriebssystems im Vordergrund. In dieser Sub-Ebene erfolgt ein Perspektivenwechsel hin zu einer kanalspezifischen Betrachtung. Das Ziel ist, die Durchführung der Vertriebsaktivitäten (Throughput) in den einzelnen Kanälen zu kontrollieren. Dies erfolgt anhand der Aufgabenprofile, welche in der Mehrkanalvertriebsstrategie definiert wurden. Neben dieser kanalspezifischen Betrachtung gilt es, auch kanalübergreifende Vertriebsprozesse zu analysieren. Dies ist notwendig, um das Funktionieren einer differenzierten Aufgabenverteilung in einem Mehrkanalvertriebssystem sicherzustellen. Die Kontrolle der kanalspezifischen Vertriebsaufgaben und kanalübergreifenden Vertriebsprozesse erfolgt primär anhand der In- und Outputs der Prozesse. Zudem sollten idealerweise auch die Prozesse selber in Bezug auf die Qualität gemessen werden. In den beiden folgenden Abschnitten wird aufgezeigt, wie kanalspezifische Aufgaben und kanalübergreifende Vertriebsprozesse in einem Mehrkanalvertriebssystem kontrolliert und gesteuert werden können. Operationalisierung kanalspezifischer Vertriebsaufgaben In einer Mehrkanalvertriebsstrategie wird definiert, welchen Kunden welche Bankprodukte und -services über welche Kanäle angeboten werden. Die Strategie ermöglicht somit eine Aussage über die Konfiguration des Mehrkanalvertriebs bzw. über die vertriebsstrategischen Aufgaben der einzelnen Kanäle. In Mehrkanalvertriebssystemen wird i.d.R. eine differenzierte Aufgabenverteilung angestrebt. Diese erfolgt einerseits unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kostenstrukturen und Kompetenzen der einzelnen Vertriebskanäle, andererseits hinsichtlich der Komplexität der einzelnen Produktkategorien. Unter Kompetenzen wird nicht nur die bisher erwähnte Beratungskompetenz verstanden. Vielmehr geht es darum, grundsätzliche Eigenschaften der Kanäle zu berücksichtigen. Beispielsweise wird über das Internet im Vergleich zu einem Kundenberater eine effiziente Abwicklung von standardisierten Zahlungsverkehrtransaktionen besser gewährleistet. Hingegen kann das Internet weder eine effektive Beratung noch eine effiziente Abwicklung für komplexere Finanzgeschäfte sicherstellen. In Abbildung 94 werden fiktive Aufgabenprofile einer Bank gezeigt, deren Mehrkanalvertriebssystem aus den Kanälen Internet, Call-Center, Kundenberater und Bankschalter besteht. Aus der Abbildung geht hervor, welche Kanäle für welche Produkte in welchen Vertriebsprozessen604 (Bank- und Kundensicht) welche Haupt- und Nebenaufgaben erfüllen. Basierend auf einer solchen konzeptionellen Darstellung gilt es, in der Praxis geeignete Kennzahlen für die Steuerung der Vertriebsaufgaben der einzelnen Kanäle abzuleiten. 604 Vgl. Teil 2, Abschnitt 3.2.2. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 198 Vertriebskanäle Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Bankschalter Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Kundenberater Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Call-Center Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Internet Produktgruppen Information Beratung Vertriebsprozess Vertriebsaufgaben der Kanäle Verkauf Abwicklung After Sales Hauptaufgaben Nebenaufgaben Keine Aufgaben Produktkomplexität: Gruppe 1 > Gruppe 2 > Gruppe 3 > Gruppe 4 > Gruppe 5 Abbildung 93: Kanalspezifische Aufgabenprofile im Mehrkanalvertriebssystem Quelle: Eigene Darstellung. Weil die Konfiguration eines Mehrkanalvertriebssystems sehr stark von der jeweiligen Strategie und dem Kundensegment (Retailkunden, Private-Banking-Kunden, Firmenkunden) abhängig ist, können keine allgemeingültigen Kennzahlen angeführt werden. Um die Operationalisierung kanalspezifischer Aufgabenprofile zumindest konzeptionell zu konkretisieren, werden für die fiktiven Aufgabenprofile der Kanäle Internet (vgl. Abbildung 94) und Kundenberater (vgl. Abbildung 95) einige Beispiele gebracht. Dabei wird auf die eingangs erwähnte Struktur Input, Prozess und Output zurückgegriffen. Sie dient v.a. dazu, UrsacheWirkungsbeziehungen besser aufzeigen zu können. Auf diese Weise kann das Ergebnis der kanalübergreifenden Hauptaufgaben605 besser analysiert und erklärt werden. Die Strukturierung der Beispiele anhand Input, Prozess und Output verdeutlicht an dieser Stelle die Verbindungsfunktion dieser Sub-Ebene. Der Aspekt Input bezieht sich auf die Unternehmungsressourcen und auf die Markpotentiale der Ebene 3. Der Output stellt den Bezug zu den kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs her. Die Inputfaktoren der Ebene 3 für die Vertriebsaufgaben und -prozesse dieser Sub-Ebene werden erst in Abschnitt 2.4 detailliert erläutert. Um die enge Verzahnung dieser beiden Ebenen aufzeigen zu können, wird der Aspekt Input in den nachfolgenden Abbildungen trotzdem berücksichtigt. 605 Vgl. Abschnitt 2.3.1. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 199 Aspekt Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Input Benutzungshäufigkeit der Kontaktformulare606 der Produktgruppe 5 (Prozess Information) Anzahl Page-Views607 für die Kontaktformulare Systemverfügbarkeit des Privatkredit-Online-Tools (Prozess Information) Verfügbarkeit der Internet-Applikation, mit welcher die Raten für einen Privatkredit gerechnet werden können Qualität der Kontaktformulare der Produktgruppe 5 (Prozess Information) Anteil der Kontaktformulare, welche eine gültige Adresse enthalten und durch die Bank verwertet werden können Qualität der Finanzierungsanfragen für Privatkredit (Prozess Information) Anteil der Finanzierungsanfragen, welche korrekt durchgeführt wurden und eine gültige Adresse zur Kontaktaufnahme enthalten Anzahl Kontaktformulare der Produktgruppe 5 (Prozess Information) Gesamttotal der ausgefüllten Kontaktformulare Prozess Output Anzahl Finanzierungsanfragen für Gesamttotal der durch das Online-Tool geHypotheken (Prozess Informatinerierten Finanzierungsanfragen. on) Abbildung 94: Kennzahlenbeispiele für Internet (Information) Quelle: Eigene Darstellung. Aspekt Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Input Verfügbarkeit zentraler CRMApplikationen (Prozesse Information, Beratung) Verfügbarkeit der zentralen Anwendungen, welche der Kundenberater für die Erfüllung seiner Vertriebsaufgaben benötigt Kundenstamm (Prozesse Information, Beratung) Durchschnittliche Anzahl der zu betreuenden Kunden Anzahl Kundenkontakte (Prozess Information) Anzahl der Kunden, welche durch die Kundenberater zur Bedürfnisanalyse und Potentialerkennung telefonisch kontaktiert wurden Anzahl Terminvereinbarungen (Prozess Information) Anzahl der Terminvereinbarungen, welche durch die telefonische Kontaktaufnahme erzielt wurden Anzahl Beratungsgespräche (Prozess Beratung) Anzahl der Beratungsgespräche, die nach den Terminvereinbarungen effektiv stattgefunden haben. Anzahl Offerten (Prozess Beratung) Anzahl der Offerten, die aus den Beratungsgesprächen resultieren. Prozess Output Abbildung 95: Kennzahlenbeispiele für Kundenberater (Information/Beratung) Quelle: Eigene Darstellung. 606 607 Banken benutzen heute oft Kontaktformulare, um mit dem Kunden via Internet in Kontakt zu treten. Kunden, die z.B. zusätzliche Informationen über ein bestimmtes Produkt wünschen, können durch das Ausfüllen eines Kontaktformulars mit der Bank in Verbindung treten. Page-Views geben an, wie oft eine Internet-Seite besucht wird. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 200 In den Abbildungen 94 und 95 wird versucht, für ausgewählte Prozesse und Aufgaben beispielhaft die Kanalaufgabenprofile der Kanäle Internet und Kundenberater anhand möglicher Kennzahlen zu operationalisieren. Die Kennzahlen sind als Hilfestellung zu verstehen und keinesfalls abschliessend. Bei der Umsetzung eines Kennzahlensystems sind je nach Vertriebskonfiguration und Informationslage geeignete Kennzahlen zu wählen. Operationalisierung kanalübergreifender Vertriebsprozesse Im vorangehenden Abschnitt wurde die differenzierte Aufgabenverteilung der fiktiven Bank nur insofern betrachtet, als die Kanäle unterschiedliche Aufgaben haben. Diese kanalspezifische Betrachtung gilt es, durch eine kanalübergreifende Perspektive zu ergänzen. Dies ist notwendig, weil sich aufgrund der differenzierten Aufgabenteilung kanalübergreifende Prozesse ergeben. Diese gilt es, ebenfalls anhand von Kennzahlen zu kontrollieren und zu steuern. In Abbildung 96 werden beispielhaft mögliche kanalübergreifende Prozesse dargestellt. Vertriebskanäle Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Bankschalter Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Kundenberater Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Call-Center Gruppe 5 Gruppe 4 Gruppe 3 Gruppe 2 Gruppe 1 Internet Produktgruppen Information Beratung Vertriebsprozess Vertriebsaufgaben der Kanäle Verkauf Abwicklung After Sales Hauptaufgaben Nebenaufgaben Keine Aufgaben kanalübergreifende Prozesse Produktkomplexität: Gruppe 1 > Gruppe 2 > Gruppe 3 > Gruppe 4 > Gruppe 5 Abbildung 96: Kanalübergreifende Vertriebsprozesse im Mehrkanalvertriebssystem Quelle: Eigene Darstellung. Der Abbildung 96 ist zu entnehmen, dass das Internet dazu eingesetzt wird, Kunden mit Informationen zu allen Produktkategorien zu versorgen, um den Vertriebsprozess zu initialisieren. Der Internet-Kanal ist in der fiktiven Bank so positioniert, dass er beispielsweise durch Produktinformationen und Online-Rechner608 neue Geschäftsmöglichkeiten generieren soll. Gemäss Aufgabenprofil ist das Internet jedoch nicht für die Verwertung dieser Leads zuständig. Je nach Produktgruppe ist hierfür ein anderer Kanal zuständig. 608 Heutzutage verwenden Banken zahlreiche Online-Rechner, bei welchen der Kunde z.B. einen Hypothekarzins berechnen und durch ein elektronisches Kontaktformular mit der Bank in Verbindung treten kann. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 201 In der fiktiven Bank erfolgt die Verwertung dieser Leads durch die Beratungsleistung anderer Kanäle. Für die Produktegruppen 1 bis 3 ist der Kundenberater zuständig, für die Gruppe 4 das Call-Center. In Abbildung 97 wird beispielhaft einer dieser kanalübergreifenden Prozesse zwischen dem Internet und dem Kundenberater operationalisiert. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass der Output des Prozesses Information im Internet-Kanal den Input für den Prozess Beratung des Kundenberaters darstellt. Aspekt Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Input Anzahl generierter Finanzierungsanfragen Gesamttotal der durch einen OnlineHypotheken-Rechner generierten Anfragen für ein Beratungsgespräch Prozess Kontaktaufnahmedauer Durchschnittliche Anzahl Tage bis zur Kontaktaufnahme mit dem Kunden Output Verwertungsquote der Finanzierungsanfragen Anteil der Finanzierungsanfragen, welche im Rahmen eines Beratungsgesprächs abgearbeitet wurden Abbildung 97: Kennzahlenbeispiele für kanalübergreifende Prozesse (Information/Beratung) Quelle: Eigene Darstellung. Sowohl die Darstellung als auch die Operationalisierung kanalübergreifender Prozesse erfolgten in diesem Abschnitt beispielhaft und vereinfacht. Zweck dieser Erläuterung war, das Konzept der Operationalisierung kanalspezifischer Aufgabenprofile und kanalübergreifender Geschäftsprozesse zu beschreiben. 2.3.3 Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung In diesem Abschnitt wird auf einige zentrale Herausforderungen eingegangen, welche sich bei der praktischen Umsetzung in Bezug auf die Operationalisierung kanalspezifischer Aufgabenprofile und kanalübergreifender Geschäftsprozesse ergeben können. Hierbei wird v.a. auf die Erkenntnisse zurückgegriffen, welche im Rahmen der Fallstudie Credit Suisse Private Clients gewonnen werden konnten. Abgrenzung der relevanten Vertriebskanäle: Grundvoraussetzung für eine umfassende Steuerung der Vertriebsaktivitäten im Mehrkanalvertrieb ist die Abgrenzung der relevanten Vertriebskanäle für den betrachteten Geschäftsbereich. In grösseren Banken mit unterschiedlichen Geschäftsbereichen (Retail-Banking, Private-Banking, Firmenkunden) können in Abhängigkeit der Organisationsform Abgrenzungsprobleme auftreten. Die Folge ist, dass die meisten Kanäle für mehrere Geschäftsbereiche tätig sind. Aus Sicht des Geschäftsbereichsverantwortlichen ergibt sich das Problem, dass nicht alle für seinen Bereich relevanten Vertriebskanäle direkt gesteuert werden können. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass je nach Koordinationsansatz609 des Mehrkanalvertriebssystems nicht alle Kanäle einem Geschäftsbereich direkt unterstellt sind. Die Tatsache, dass nicht alle Kanäle von einem Geschäftsbereich führungsmässig direkt gesteuert werden können, hat auch einen Einfluss auf die Abgrenzung und Allokation der Kos- 609 Vgl. Teil 3, Abschnitt 2.3.1. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 202 ten dieser Kanäle. Will man im Rahmen eines Kennzahlensteuerungssystems die Wirtschaftlichkeit oder Produktivität solcher Kanäle im Sinne von Input-Output-Relationen ausweisen, kann dies aufgrund der schwierigen Kostenabgrenzungen schwierig sein. Die Lösung der Abgrenzungsproblematik ist gerade in grösseren Banken mit hoch integrierten und dadurch vernetzten Mehrkanalvertriebssystemen nicht trivial. Für eine umfassende Analyse und Erklärung des Kundengeschäftsergebnisses erscheint es sinnvoll, auch die nur indirekt steuerbaren Vertriebskanäle in ein Kennzahlensteuerungssystem einzubeziehen. Die Abgrenzung der Kosten dieser Kanäle muss über geeignete Verfahren der internen Leistungsverrechnung erfolgen. Prozesslandkarten als Grundlage für das Management von Vertriebsprozessen: Die Grundlage für ein integriertes Management von Prozessen im Mehrkanalvertrieb ist die Definition einer Prozesslandkarte. Diese dient auf aggegierter Ebene dazu, den Vertriebsprozess (z.B. Information, Beratung, Verkauf, Abwicklung, After-Sales) eines Geschäftsbereichs systematisch zu definieren und zu strukturieren. Darauf basierend gilt es, die zentralen Prozesse und Aufgaben der einzelnen Vertriebskanäle zu identifizieren. Das Ausbleiben einer Prozesslandkarte erschwert eine systematische Definition kanalspezifischer Aufgabenprofile. Dies wiederum erschwert eine strukturierte Herleitung geeigneter Kennzahlen für eine aufgabenorientierte Steuerung der einzelnen Vertriebskanäle. In der Fallstudie Credit Suisse Private Clients konnten die Kennzahlen einfach anhand der aktuellen Prozesslandkarte der Division Private-Banking strukturiert werden. In Kombination mit den Erkenntnissen aus Kundenzufriedenheitsstudien konnten bei der Auswahl von Kennzahlen gezielt Schwerpunkte auf solche Prozesse gelegt werden, welche einen grossen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben. Fokus auf relevante Hauptaufgaben der Vertriebskanäle: Mittels der Aufgabenprofile wird definiert, welche Aufgaben die einzelnen Kanäle im Vertriebsprozess (Information, Beratung, Verkauf, Abwicklung, After-Sales) für welche Produktgruppen erfüllen. Die Profile dienen nicht nur der Abgrenzung der Aufgaben der einzelnen Kanäle, sondern auch der Herleitung geeigneter Kennzahlen. Je nach Detaillierungsgrad der formulierten Aufgabenprofile stellt sich bei der Operationalisierung die Herausforderung, in einem Kennzahlensteuerungssystem die Anzahl der Messgrössen einzugrenzen. Diese Problemstellung kann durch eine konsequente Fokussierung auf die strategisch relevanten Hauptaufgaben610 der einzelnen Vertriebskanäle gelöst werden. Zusätzliche Nebenaufgaben können in weiterführenden (kanalspezifischen) Kennzahlenanalysesystemen611 erfasst werden. Aufwand zur Auswertung von Prozesskennzahlen: Die Erhebung und Auswertung von Prozesskennzahlen kann in der Praxis mit grösserem Aufwand verbunden sein. Eine Ursache ist die Anzahl unterschiedlicher dezentraler Informationssysteme, welche die notwendigen Daten für die Prozesskennzahlen enthalten. Eine weitere Herausforderung ist zudem die geschäfts- 610 611 Vgl. Teil 2, Abschnitt 5.3.1. Vgl. Teil 2, Abschnitt 6.2.2. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 203 bereichsspezifische Abgrenzung der Kennzahlen. Diese Problemstellung ergibt sich aus der Tatsache, dass einzelne Kanäle für unterschiedliche Bereiche Dienstleistungen erbringen. Grössere Banken verfügen i.d.R. über komplexe Systemarchitekturen mit zahlreichen dezentralen Systemen. Der Aufwand für die Auswertung von Prozesskennzahlen kann jedoch durch übergeordnete Management-Informationssysteme reduziert werden, indem in diesen die Daten dezentraler Systeme zusammengefasst und agreggiert werden. 2.4 Ebene 3: Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen In der Ebene 2 wurde der Umgang mit Marktpotentialen und Unternehmungsressourcen anhand von Vertriebsaufgaben der einzelnen Kanäle beschrieben. In der Ebene 3 geht es darum, diese zentralen Inputfaktoren im Rahmen einer Inputkontrolle zu erfassen und zu bewerten. In herkömmlichen Konzeptionen von Kennzahlensystemen612 werden solche ressourcenund potentialorientierte Grössen mehrheitlich vernachlässigt. Die Berücksichtigung dieser Faktoren erscheint jedoch aus mehreren Gründen erstrebenswert. Die idealtypische Struktur basiert bewusst auf einer Prozesslogik, welche die Abbildung von Ursache-Wirkungsbeziehungen ermöglicht und damit zur integrierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems geeignet ist. Damit die Ursachen des Throughputs analysiert und erklärt werden können, ist die Berücksichtigung der Inputfaktoren für die Vertriebsaufgaben und -prozesse notwendig. Dies ermöglicht schliesslich eine gezielte Steuerung jener Faktoren, welche das Vertriebsergebnis massgeblich – positiv oder negativ – beeinflussen. Eine weitere Überlegung ist, dass Ebene 3 in unterschiedlicher Weise zu einem ausgewogenen Design613 des Kennzahlensystems beiträgt. Im Gegensatz zu den Ebenen 1 und 2 ist die zeitliche Reichweite der Kennzahlendimensionen mittel- bis langfristig. Dies rührt daher, dass Veränderungen der Unternehmungsressourcen und Marktpotentiale nicht (immer) eine unmittelbare Auswirkung auf die Durchführung der Vertriebsaufgaben haben. In Bezug auf die Dimension Zeit werden über alle Ebenen hinweg somit kurz- bis langfristige Aspekte berücksichtigt. Auch in Bezug auf die Ausrichtung des Kennzahlensystems trägt Ebene 3 zu einem ausgewogenen Design bei. Das Einbeziehen von Marktpotentialen erweitert den sonst eher internen Blickwinkel der Kennzahlen um eine externe Perspektive. Ebene 3 trägt auch dazu bei, im Rahmen der strategischen Planung Potentiale systematisch zu erheben. Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen tragen nicht nur zur Erklärung des Vertriebsergebnisses vergangener Perioden bei, sondern geben Anhaltspunkte für Steuerungseingriffe in zukünftigen Geschäftsperioden. Die konzeptionelle Berücksichtigung der Ebene 3 trägt somit dazu bei, dass die idealtypische Struktur des Kennzahlensystems nicht nur zur Implementierung, sondern auch zur Planung von Mehrkanalvertriebsstrategien dient.614 Das System deckt dadurch den gesamten Prozess des strategischen Managements ab. Ebene 3 ist in die zwei Sub-Ebenen Unternehmungsressourcen und Marktpotentiale unterteilt. Die folgenden zwei Abschnitte erläutern die konzeptionellen Überlegungen beider Sub- 612 613 614 Vgl. Teil 3. Vgl. Teil 3, Abschnitt 2.3.3. Vgl. Teil 3, Abschnitt 2.2.1. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 204 Ebenen und operationalisieren die jeweiligen Kennzahlendimensionen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen. 2.4.1 Sub-Ebene Unternehmungsressourcen In der idealtypischen Struktur des Kennzahlensystems gilt es, Unternehmungsressourcen zu berücksichtigen, da deren Entwicklung und kanalspezifische Allokation einen massgeblichen Einfluss auf das erzielte Vertriebsergebnis haben. Die Funktion dieser Sub-Ebene ist daher die Erfassung und Bewertung von Unternehmungsressourcen als Voraussetzungen und Determinanten für die effiziente und effektive Erfüllung der Vertriebsaufgaben bzw. zur Ausschöpfung von Marktpotentialen. Als Unternehmungsressourcen werden in dieser Arbeit neben dem Finanzkapital auch das Wissenskapital berücksichtigt. Wissen wird in Anlehnung an die Intellectual Capital-Ansätze615 in Human- (Kompetenz, Bereitschaft, Lernfähigkeit) und Strukturkapital (Beziehungen, Organisation) unterteilt. Finanz-, Struktur- und Humankapital werden berücksichtigt um zu klären, warum eine Bank die Vertriebsaufgaben gemäss Mehrkanalvertriebsstrategie besonders erfolgreich erfüllen kann bzw. welche Massnahmen geeignet sein könnten, um die Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Allen Dimensionen haben somit Input- bzw. Potentialcharakter. In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Dimensionen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen operationalisiert. Operationalisierung der Dimension Finanzkapital Finanzkapital wird in der Sub-Ebene Unternehmungsressourcen nicht als Komponente des Unternehmenswerts, sondern vielmehr als Produktionsfaktor verstanden. Als Inputfaktor hat Finanzkapital einen operative und einen strategischen Aspekt. Damit ein Mehrkanalvertriebssystem insgesamt bzw. die einzelnen Vertriebskanäle ihre operativen Aufgaben effektiv und effizient erfüllen können, müssen sie entsprechend mit finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Finanzkapital dient in den einzelnen Kanälen z.B. dazu, die Personen- und Sachkosten der einzelnen Kanäle während einer Geschäftsperiode zu decken. Die Höhe des Finanzkapitals kann daher einen wesentlichen Einfluss auf die Ausübung der operativen Vertriebsaufgaben haben. Mehrkanalvertriebssysteme von Banken sind dadurch gekennzeichnet, dass viele der Geschäftsprozesse digitalisiert sind. Dies bedeutet, dass Vertriebskanäle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben durch zahlreiche IT-Systeme bzw. Applikationen unterstützt werden. Diese Applikationen werden laufend weiterentwickelt (z.B. neue Funktionen), um die Effektivität und Effizienz der Vertriebskanäle zu steigern. Andererseits gilt es, die bestehenden Applikationen mit ihren Funktionalitäten zu unterhalten. Die Weiterentwicklung und Pflege hat i.d.R. jedoch meist erst mittel- bis langfristig eine Auswirkung auf die effektive und effiziente Erfüllung von Vertriebsaufgaben. Dem Finanzkapital kommt somit insofern eine strategische Aufgabe zu, als die Weiterentwicklung und Pflege solcher Systeme finanziert werden muss. 615 Vgl. Teil 3, Abschnitt 3.3.2. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 205 In Abbildung 98 werden strategische und operative Aspekte von Finanzkapital anhand möglicher Kennzahlen operationalisiert. Aspekt Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Operativ Aufwand Sachmittel Finanzwirtschaftliche Budgets (Investitionssicht) für die Sachmittel pro Vertriebskanal oder für den gesamten Mehrkanalvertrieb Aufwand Mitarbeiter Finanzwirtschaftliche Budgets (Investitionssicht) für die Mitarbeiter pro Vertriebskanal oder für den gesamten Mehrkanalvertrieb Strategisch IT-System-Entwicklung Budgetierte Investitionen in Neuentwicklungsprojekte zur Implementierung neuer Funktionalitäten in zentralen Applikationen IT-System-Unterhalt Budgetierte Investitionen in den Unterhalt bestehender Applikationen Verhältnis IT-System Entwicklung vs. Unterhalt Budgetierte Investitionen für Neuentwicklungen geteilt durch Investitionen in den Unterhalt Abbildung 98: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Finanzkapital Quelle: Eigene Darstellung. Um mögliche Ursache-Wirkungszusammenhänge zwischen dem Finanzkapital und den Vertriebsaufgaben besser aufzeigen zu können, gilt es, im praktischen Anwendungsfall zu prüfen, wie die ausgewählten Kennzahlen auf die einzelnen Vertriebskanäle heruntergebrochen werden können. Die Operationalisierung der Dimension Finanzkapital erfolgte in diesem Abschnitt beispielhaft und vereinfacht und ist daher als Hilfestellung zu verstehen. Geeignete Kennzahlen müssen im spezifischen Kontext einer Bank und in Abhängigkeit verfügbarer Informationen identifiziert werden. Operationalisierung der Dimension Strukturkapital Unter Strukturkapital fallen alle immateriellen Werte, die unabhängig von den Arbeitnehmern als Personen sind, beispielsweise Infrastruktur (Systeme, Datenbanken) oder organisatorische Strukturen und Prozesse. Als Inputfaktor für die effektive und effiziente Abwicklung von Vertriebsprozessen hat somit auch das Strukturkapital im Mehrkanalvertrieb eine bedeutende Aufgabe. Im vorangehenden Abschnitt wurde aus Sicht des Inputfaktors Finanzkapital argumentiert, dass IT-Systeme funktional weiterentwickelt und unterhalten werden müssen. Dabei standen v.a. die finanziellen Investitionen in solche Systeme im Vordergrund. In diesem Abschnitt geht es vielmehr um das durch das Finanzkapital geschaffene Strukturkapital in Form von Systemen und Prozessen. Diese tragen massgebend dazu bei, dass die Abwicklung von Vertriebsprozessen effektiv und effizient erfolgen kann. Sind zentrale Applikationen für FrontMitarbeiter öfters nicht verfügbar, kann dies einen erheblichen Einfluss auf die Erfüllung ihrer Vertriebsaufgaben (z.B. Abwicklung von Wertschriftenaufträgen, Zinsgeschäfte) und schliesslich auf das Vertriebsergebnis haben. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 206 Mitarbeiter im Vertrieb können umso effektiver und effizienter arbeiten, je mehr Geschäftsprozesse bzw. Work Flows durch entsprechende Systeme und Applikationen abgedeckt sind. Dies führt zu Zeitersparnis und damit zu einer effizienteren Arbeitsweise. Neben der Zeit als wichtige Einflussgrösse ist die Qualität von Geschäftsprozessen ebenso zentral. Unter Qualität kann hierbei die Fehlerfreiheit von Prozessen gemäss der Six Sigma-Methode616 verstanden werden. Aspekt Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung ITSysteme Verfügbarkeit von Applikationen Eine Applikation wird als verfügbar bezeichnet, wenn sie die Aufgaben erfüllt, für die sie vorgesehen ist. Die Verfügbarkeit wird als Verhältnis aus Down- und Uptime eines Systems bemessen (Verfügbarkeit = Uptime/(Uptime + Downtime).617 Performance von Applikationen Unter Performance wird die durchschnittliche Antwortzeit von Applikationen verstanden; Je kürzer die Antwortzeit, desto besser die Performance. Anzahl Applikationen Anzahl der Applikationen, welche die Vertriebsmitarbeiter zur Erfüllung der einzelnen Vertriebsaufgaben benötigen618 Systemunterstützung von Vertriebsprozessen und -aufgaben Abdeckungsgrad von zentralen Vertriebsaufgaben durch Applikationen. Durchlaufzeiten zentraler Vertriebsprozessen Durchschnittliche benötigte Zeit für die Abwicklung zentraler Vertriebsprozesse und – aufgaben. Qualität zentraler Vertriebsprozesse Messung zentraler Vertriebsprozess und Aufgaben nach der Six Sigma-Methode619 . Prozesse Abbildung 99: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Strukturkapital Quelle: Eigene Darstellung. In Abbildung 99 wird die Dimension Strukturkapital anhand der Aspekte IT-Systeme und Prozesse operationalisiert. Für beide Aspekte werden beispielhaft einige Kennzahlen aufgeführt. Analog zur Dimension Finanzkapital gilt es, im praktischen Anwendungsfall zu prüfen, wie die ausgewählten Kennzahlen auf die einzelnen Vertriebskanäle „heruntergebrochen“ werden können. Auf diese Weise können mögliche Ursache-Wirkungszusammenhänge zwischen dem Strukturkapital und den Vertriebsaufgaben besser aufzeigt werden. 616 Vgl. Magnusson/Kroslid/Bergman 2004; Harry/Schroeder 2000; Töpfer 2004. http://www.techchannel.de 618 Eine hohe Anzahl von Applikationen ist hierbei aus verschiedenen Gründen eher negativ zu verstehen. Müssen Vertriebsmitarbeiter für unterschiedliche Aufgaben viele verschiedene Applikationen benützen, wirkt sich dies eher negativ auf die Effizienz der Mitarbeiter aus. Gerade bei der Einarbeitung von neuen Mitarbeitern führt dies tendenziell zu mehr Aufwand. Viele unterschiedliche Applikationen führen auch zu höheren ITKosten. 619 Vgl. Magnusson/Kroslid/Bergman 2004; Harry/Schroeder 2000; Töpfer 2004. 617 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 207 Die Kennzahlen in Abbildung 99 sind ausgewählte Beispiele und keinesfalls abschliessend. Zweck der Beispiele war, die Dimension Strukturkapital anhand von zwei zentralen Aspekten und möglichen Kennzahlen zu konkretisieren. Im konkreten Anwendungsfall gilt es, die für eine spezifische Bank geeigneten Messgrössen zu identifizieren. Operationalisierung der Dimension Humankapital Unter Humankapital werden das Wissen bzw. die Fähigkeiten einzelner Arbeitnehmer verstanden.620 Dieser Inputfaktor ist neben dem Finanz- und dem Strukturkapital eine weitere Determinante, welche für die effiziente und effektive Erfüllung der kanalspezifischen Aufgaben zentral ist. Im Rahmen der Idealstruktur des Kennzahlensystems wird Humankapital jedoch nicht zur Erklärung des Unternehmenswertes herangezogen, sondern vielmehr als Ressource bzw. Inputfaktor für die Vertriebsaufgaben in den einzelnen Kanälen verstanden. Damit ein Mehrkanalvertriebssystem die Vertriebsprozesse in der gewünschten Qualität und Quantität abwickeln kann, müssen in den einzelnen Kanälen Mitarbeiter mit den notwendigen Fähigkeiten und Qualifizierungen vorhanden sein. Diese Mitarbeiter gilt es ihren Kompetenzen entsprechend in den einzelnen Kanälen einzusetzen und weiter zu bilden. Aspekt Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Personalbestand Mitarbeiterfähigkeiten Anteil der Mitarbeiter mit spezifischem Fähigkeitsprofil pro Kanal Mitarbeiterqualifizierung Anteil der Mitarbeiter mit spezifischen Qualifizierungen pro Kanal Einsatzplanung Anteil der Soll-Ist-Analysen von benötigten und gezeigten Fähigkeiten der Mitarbeiter pro Kanal Umsetzungsfähigkeit Zeitspanne zwischen Erwerb und Anwendung neuen Wissens pro Kanal Personaleinsatz PersonalInvestitionen in Weiterbildung entwicklung Motivation Anzahl/Kosten der jährlichen Weiterbildungsmassnahmen pro Mitarbeiter/pro Führungskraft (pro Kanal). Gezielte Weiterbildung Anteil der Mitarbeiter, die nach Soll-IstAnalyse ihrer benötigten und gezeigten Fähigkeiten bedarfsorientiert weitergebildet wurden (pro Kanal) Mitarbeiterzufriedenheitsindex Anteil der Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeitsstelle zufrieden oder sehr zufrieden sind (pro Kanal) Mitarbeiterfluktuationsquote Summe von Mitarbeiterzu- und abgängen im Verhältnis zu allen Mitarbeitern (pro Kanal) Abbildung 100: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Humankapital Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Fredersdorf 2003. 620 Vgl. Edvinsson/Malone 1997, S. 12. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 208 In Abbildung 100 wird die Dimension Strukturkapital anhand der Aspekte Personalbestand, einsatz und -entwicklung sowie Motivation operationalisiert. Für diese Aspekte werden beispielhaft einige Kennzahlen aufgeführt. Die angeführten Kennzahlen sind nur ausgewählte Kennzahlen und als Hilfestellung zu verstehen. Im Bereich Human-Capital-Portfolio-Management gibt es zahlreiche wertvolle Beiträge621 , welche in der praktischen Umsetzung zur Identifikation weiterer Kennzahlen herangezogen werden sollten. 2.4.2 Sub-Ebene Marktpotentiale In der zweiten Sub-Ebene werden die Marktpotentiale der idealtypischen Struktur des Kennzahlensystems betrachtet. Sie haben – analog zu den Unternehmungsressourcen – sowohl Ergebnis- als auch Potentialcharakter. Dies beutet, dass die im Anschluss erläuterten Kennzahlendimensionen zugleich Ergebnis und Input (Potentiale) für die Vertriebsprozesse eines Mehrkanalsystems sind. Die Funktion dieser Sub-Ebene ist daher die Erfassung und Bewertung von Marktpotentialen als Voraussetzungen und Determinanten für die Erfüllung der kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs (Ebene 2) und zur Erreichung der finanzwirtschaftlichen Ergebnisse (Ebene 1). Da Marktpotentiale in der idealtypischen Struktur sowohl Ergebnis- als auch Potentialcharakter haben, wurden die Kennzahlendimensionen bewusst in Anlehnung an jene der ersten Sub-Ebene Output (Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs) von Ebene 2 gewählt: Kundenpotentiale, Produkt-/Servicepotentiale und Vertriebssystempotentiale. Dies bedeutet, dass der Output des Mehrkanalvertriebssystems einer bestimmten Periode wiederum als Input bzw. als zu erschliessendes Potential für nachfolgende Perioden zu betrachten ist. Der einzige konzeptionelle Unterschied zwischen diesen beiden Sub-Ebenen ist der Betrachtungszeitraum. Während die Sub-Ebene Output zeitlich eine Geschäftsperiode abbildet, veranschaulicht die Sub-Ebene Marktpotentiale mehrere Perioden. Diese Betrachtungsweise trägt dazu bei, dass die Entwicklung strategischer Ziele und Kennzahlen über mehrere Jahre veranschaulicht werden können. Dies ist sinnvoll und notwendig, um den Erfolg einer Mehrkanalvertriebsstrategie, welche über mehrere Jahre implementiert wird, anhand konkreter Kennzahlen messen zu können. In Bezug auf die Kennzahlendimensionen Kunden-, Produkt-/Service- und Vertriebssystempotentiale bedeutet dies, dass in der Sub-Ebene Marktpotentiale grundsätzlich die gleichen oder zumindest ähnliche Kennzahlen gewählt werden können. In der praktischen Anwendung kann zwischen den beiden Sub-Ebenen jedoch eine differenzierte Betrachtungsweise eingebracht werden, indem bei den Marktpotentialen solche Kennzahlen ausgewählt werden, die nur ein- oder zweimal pro Geschäftsperiode erhoben werden oder die sich erfahrungsgemäss nur mittel- bis langfristig verändern. Solche Kennzahlen wären für die operative Steuerung bzw. zur Abbildung des Outputs der Vertriebsaufgaben und -prozesse sicherlich nicht geeignet, da aufgrund der Verfügbarkeit der Daten die Möglichkeiten für Steuerungseingriffe während einer Geschäftsperiode sehr beschränkt wären. 621 Huselid 2005; Fitz-enz 2003; Böhnisch 2003; Kienle 2000. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 209 In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzelnen Dimensionen beispielhaft anhand möglicher Kennzahlen operationalisiert. Die Erläuterungen werden bewusst kurz gehalten, da diese Sub-Ebene konzeptionell an die Sub-Ebene Output angelehnt ist. Pro Dimension wird beispielhaft anhand weniger Kennzahlen verdeutlicht, welche Kennzahlen grundsätzlich geeignet wären. Operationalisierung der Dimension Kundenpotentiale In Abbildung 101 werden beispielhaft für die Treibergrössen Kundenzufriedenheit, -bindung, profitabilität und -potentialausschöpfung mögliche Kennzahlen gezeigt. Treibergrösse Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Kundenzufriedenheit Relative Kundenzufriedenheit Eigener Kundenzufriedenheitsindex in Relation zum Kundenzufriedenheitsindex der Konkurrenten Absolute Kundenzufriedenheit Anteil der Kunden, die mit der Bank (sehr) zufrieden sind Kundenbeziehungsdauer Durchschnittliche Dauer der Kundenbeziehung zur Bank Hauptbankverbindungsanteil Anteil der Kunden, für welche die Bank die Hauptbankverbindung darstellt Durchschnittliche Kundenrentabilität Durchschnittlicher Deckungsbeitrag pro Kunde/durchschnittlich notwendiges Kapital pro Kunde Kundenbindung Kundenprofitabilität Durchschnittlicher Umsatz Erwirtschafteter Ertrag/Anzahl Kunden pro Kunde (Neukunden, Bestandeskunden) Kundenpotentialausschöpfung Share of Wallet Anteil der durch die Bank verwalteten Vermögen/Gesamtvermögen der Kunden Marktanteil Anzahl der Bankkunden/Anzahl möglicher Kunden in einem Segment oder Marktgebiet Abbildung 101: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Kundenpotentiale Quelle: Eigene Darstellung. Die aufgeführten Kennzahlen sind als Hilfestellung für den praktischen Anwendungsfall gedacht. Je nach Strategie und Verfügbarkeit von Informationen gilt es, die für einen Geschäftsbereich geeigneten Kennzahlen zu identifizieren. Operationalisierung der Dimension Produkt-/Servicepotentiale In Abbildung 102 werden mögliche Kennzahlen für die Treibergrössen Produktnutzung und marktanteil aufgeführt. Treibergrösse Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Produktnutzung Produktnutzung Anteil der Kunden, welche ein bestimmtes Produkt bei der Bank benutzen Produktmarktanteil Aktueller Marktanteil der Bank pro Produkt(gruppe) TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 210 Produktpotentialausschöpfung Produktpotentialausschöpfung Anteil der Kunden der Bank, welche ein Produkt grundsätzlich nutzen, jedoch bei einer anderen Bank Abbildung 102: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Produkt-/Servicepotentiale Quelle: Eigene Darstellung, z.T. in Anlehnung an Wild 2005 Die Kennzahlen in Abbildung 102 sind im praktischen Anwendungsfall je nach Strategie und Verfügbarkeit von Informationen für einen Geschäftsbereich einer Bank zu ergänzen. Operationalisierung der Dimension Vertriebssystempotentiale In Abbildung 103 werden beispielhaft mögliche Kennzahlen für die Treibergrössen Kostenund Ertragsstruktur, Wirtschaftlichkeit und Nutzungsstruktur aufgezeigt. Treibergrösse Kennzahlen (Beispiele) Operationalisierung Kostenstruktur Struktur der Vertriebssystemkosten Entwicklung der Kosten pro Vertriebskanal Ertragsstruktur Struktur der Vertriebssystemerträge Entwicklung der Erträge pro Vertriebskanal (Kanäle mit Markterlösen) Wirtschaftlichkeit Wirtschaftlichkeit Cost-/Income-Ratio pro Vertriebskanal (Kanäle mit Markterlösen) Nutzungsstruktur e-Share Transaktionen Entwicklung des Anteils Transaktionen (Zahlungsverkehr, Wertschriften), welche über den Internet-Kanal abgewickelt werden e-Penetration Entwicklung der Anzahl Kunden pro Segment, welche über einen OnlineBanking-Vertrag verfügen Abbildung 103: Kennzahlenbeispiele für die Dimension Vertriebssystempotentiale Quelle: Eigene Darstellung, z.T. in Anlehnung an Wild 2005 Je nach Konfiguration des Mehrkanalvertriebssystems und der Positionierung der Vertriebskanäle gilt es auch hier, im konkreten Anwendungsfall geeignete Kennzahlen zu identifizieren. 2.4.3 Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung In diesem Abschnitt wird auf einige der zentralen Herausforderungen eingegangen, welche im praktischen Anwendungsfall bei der Operationalisierung von Unternehmungsressourcen und Marktpotentialen anzutreffen sind. Es wird zudem versucht aufzuzeigen, mit welchen Ansätzen diese Problemstellungen gelöst werden können. Bei diesen Erläuterungen wird v.a. auf die Erkenntnisse der Fallstudie Credit Suisse Private Clients zurückgegriffen oder auf andere Quellen verwiesen. Begrenzte Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmungsressourcen: Das entwickelte Kennzahlensystem dient der strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems. Die im System abgebildeten Kennzahlen sollten daher grundsätzlich vom jeweiligen Geschäftsbereich direkt steuerbar sein. In grösseren Banken mit komplexeren Organisationen kann diese Anforderung jedoch nicht immer erfüllt werden. Dies soll anhand eines Beispiels erläutert werden. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 211 Die Dimension Finanzkapital wurde u.a. anhand der Investitionsbudgets für die Entwicklung und den Unterhalt von IT-Systemen operationalisiert. In grösseren Banken werden ITSysteme von unterschiedlichen Geschäftsbereichen benutzt und finanziert. Diese Bereiche haben teilweise geschäftsspezifische Anforderungen an die Weiterentwicklung solcher ITSysteme. Oft können aus Kapazitäts- oder technischen Gründen nicht alle Anforderungen aller Bereiche wie gewünscht implementiert werden, obwohl das notwendige Finanzkapital dafür vorhanden wäre. Aufgrund dieser Überlegung sind Investitionsbudgets in manchen Fällen zwar steuerbar, erklären den Vertriebserfolg eines Geschäftsbereichs aber nur teilweise. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Problemstellung grundsätzlich in allen grossen Banken anzutreffen ist. Die Schwierigkeit könnte umgangen werden, indem die Dimension Finanzkapital anders operationalisiert würde. Dies scheint jedoch keine geeignete Lösung zu sein, weil die Weiterentwicklung und der Unterhalt von IT-Systemen wichtige Erfolgsfaktoren darstellen. Identifikation relevanter Treibergrössen in der Sub-Ebene Unternehmungsressourcen: Die idealtypische Struktur des Kennzahlensystems basiert auf einer Prozess-Logik und soll zwischen den drei Ebenen Ursache-Wirkungszusammehänge herstellen. Bei der Konkretisierung solcher Zusammenhänge zwischen der Ebene 2 und der Sub-Ebene Unternehmungsressourcen müssen relevante Treibergrössen identifiziert werden. Während der grundsätzliche Einfluss von Unternehmungsressourcen auf die effektive und effiziente Ausübung von Vertriebsaufgaben nahe liegend ist, müssen im konkreten Anwendungsfall Annahmen über vermutete Ursache-Wirkungsbeziehungen getroffen werden. Sind jedoch Daten über mehrere Jahre vorhanden, können Hypothesen überarbeitet und das Kennzahlensystem entsprechend angepasst werden. Auswertung geschäftsbereichs- und kanalspezifischer Kennzahlen: In grösseren Banken kann die Beschaffung und Auswertung geschäftsbereichs- und kanalspezifischer Kennzahlen Schwierigkeiten bereiten. Die Ursache dieser Problemstellung ist auf den Umstand zurückzuführen, dass gewisse Informationen nicht in der Struktur oder Granularität vorliegen, welche für ein Kennzahlensteuerungssystem geeignet wären. So kann die Berechnung beispielsweise geschäftsbereichsspezifischer IT-Investitionen für die einzelnen Kanäle mit grösserem Aufwand verbunden sein. Diese Problemstellung könnte in der Praxis so angegangen werden, dass im Rahmen des Projektportfolio-Managements versucht wird, IT-Investitionen vermehrt unter Berücksichtigung der einzelnen Geschäftsbereiche und Vertriebskanäle zu betrachten. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 212 3. Einsatz des Kennzahlensteuerungssystems im Rahmen einer integrierten Vertriebssteuerung 3.1 Anforderungen an die Selektion geeigneter Kennzahlen Die Operationalisierung der drei Ebenen hat gezeigt, dass grundsätzlich eine unüberblickbare Anzahl an Kennzahlen denkbar ist, um ein Mehrkanalvertriebssystem integriert zu steuern. Während sich bei den finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen i.d.R. ein Konsens herstellen lässt, ist dies aufgrund der Anzahl der Vertriebskanäle und -aufgaben in der Ebene 2 deutlich schwieriger. Ebenso verhält sich dies in der Ebene 3. Formal muss ein Kennzahlensystem daher zumindest drei Funktionen übernehmen, damit es selber den Controllinganforderungen von Effizienz und Effektivität622 gerecht wird: die Priorisierung, die Strukturierung und die Operationalisierung von Kennzahlen. Die ersten beiden Aufgaben bilden immer ein Wechselspiel: Einerseits erfolgt eine Strukturierung eines übergeordneten Ziels, also einer Priorisierung. Andererseits ist es ohne Struktur kaum möglich zu priorisieren.623 3.1.1 Strukturierung Um mit der hohen Komplexität der Vertriebssteuerung im Bankvertrieb umgehen zu können, ist eine gewisse Strukturierung von Kennzahlen erforderlich. Drei grundsätzliche Strukturierungsdimensionen wurden dargestellt: ! Prozessorientierung: Die aus dem Dienstleistungs- und Qualitätsmanagement stammende Dreiteilung von Potentialen, Prozessen und Ergebnissen624 erlaubt eine grundsätzliche, wenn auch stark vereinfachte Darstellung der Ursache-Wirkungszusammenhänge über die drei Ebenen hinweg. ! Ausrichtung an den Formen der strategischen Kontrolle: Die idealtypische Struktur wurde mit den unterschiedlichen Formen der strategischen Kontrolle (Input, Throughput, Output und Outcome)625 in Verbindung gebracht. Dieses Strukturierungsmerkmal konkretisiert die vereinfachte Prozessorientierung durch etablierte Konzepte der strategischen Kontrolle. ! Ausrichtung an den kanalübergreifenden Hauptaufgaben und Aufgabenprofilen: Gemäss den Erkenntnissen aus der Fallstudie Credit Suisse Private Clients sind beide Konzepte in der Praxis leicht anwendbar. Während die kanalübergreifenden Hauptaufgaben die zentralen Aufgaben eines Mehrkanalvertriebssystems verdichten, strukturieren die Aufgabenprofile die kanalspezifischen Aktivitäten anhand der Dimensionen Vertriebsprozess, Kundensegmente und Produkte. Eine solche Strukturierung ist zwar zwangsläufig stark vereinfachend, aber dennoch als Grundgerüst geeignet, um keine unstrukturierten „Kennzahlenwüsten“ zu generieren. 622 Vgl. Teil 3, Abschnitt 2.2.3. Vgl. Reinecke 2004, S. 327. 624 Vgl. Abschnitt 2.1.1. 625 Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.3. 623 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 213 3.1.2 Priorisierung Eine der schwierigsten Aufgaben im Zusammenhang mit Kennzahlensystemen besteht darin, die geeigneten Grössen zu wählen. Im Rahmen der Diskussion der Anforderungen626 an ein Kennzahlensteuerungssystem wurden notwendige und hinreichende Kriterien anhand der Dimensionen Prozess, Kontext und Messkonzeption identifiziert. Die notwendigen und die hinreichenden Anforderungen der Dimensionen Kontext und Messkonzeption haben einen Einfluss auf die Auswahl geeigneter Kennzahlen. Die folgenden Überlegungen zeigen auf, wie diese Anforderungen bei der praktischen Umsetzung zur Priorisierung der Kennzahlen herangezogen werden können. Die notwendigen und die hinreichenden Anforderungen der Dimension Kontext (Auswahl kontextspezifischer Kennzahlen) beziehen sich insbesondere auf folgende Aspekte: ! Die Problemangemessenheit hängt eng mit dem Zweck des Kennzahlensystems zusammen. Ein Kennzahlenssystem mit dem Zweck der Steuerung sollte i.d.R. weniger Kennzahlen umfassen als eines, welches als vertieften Analyse des Vertriebserfolgs dient. Soll das Kennzahlensystem der Steuerung dienen, so muss es sich an der Mehrkanalvertriebsstrategie orientieren. Die kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs sowie die kanalspezifischen Aufgabenprofile sind in diesem Fall die Leitplanke für die Auswahl und die Priorisierung der relevanten Kennzahlen. ! Benutzer- und Organisationsadäquanz heisst im Zusammenhang mit einem Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb, dass nur solche Kenngrössen auszuwählen sind, die für die Nutzer des Systems nachvollziehbar sind und von ihnen akzeptiert werden. Ferner müssen die Zahlen für sie Relevanz und somit Handlungsbezug aufweisen. Die bisherigen Ausführungen gehen implizit davon aus, dass der Adressat bzw. Benutzer des Kennzahlensystems der Geschäftsbereichsleiter eines bestimmten Kundensegments ist. Andere Benutzer (z.B. Segmentmanagement, Produktmanagement, Kanalverantwortliche) benötigen die Informationen in einer anderen bzw. detaillierteren Aufbereitung. ! Kundensegmentspezifische Vertriebskonfiguration bedeutet, dass solche Kennzahlen ausgewählt werden, welche für die Operatonalisierung der zentralen Aufgaben gemäss Mehrkanalvertriebsstrategie geeignet sind. ! Kanalübergreifende Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse heisst, dass die ausgewählten Prozesskennzahlen fokussiert die strategisch relevanten Prozesse abbilden sollten, bei welchen mehrere Kanäle im Verbund die Wertschöpfung erbringen. Bei der Dimension Messkonzeption (messkonzeptionsgerechtes Kennzahlendesign) haben die folgenden notwendigen und hinreichenden Anforderungen eine Auswirkung auf die Priorisierung: ! Konsistenz bedeutet, dass die gewählte Strukturierung sich auch in der Kennzahlenpriorisierung widerspiegelt. Somit sollten z.B. in der Sub-Ebene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie pro Vertriebskanal Input-, Prozess- und Outputgrössen 626 Vgl. Teil 3, Abschnitt 2. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 214 in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Nur so können sie UrsacheWirkungszusammenhänge abbilden und Frühwarnfunktionen übernehmen. ! Wirtschaftlichkeit heisst, dass bei der Auswahl geeigneter Kennzahlen darauf geachtet werden muss, dass die Datenerhebung grundsätzlich möglich und dem Nutzen entsprechend verhältnismässig sein sollte. ! Wert(treiber)orientierte Steuerungskonzeption hat insofern einen Zusammenhang mit der Priorisierung, als in der Ebene 2 (Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen) solche Kennzahlen bzw. Treibergrössen ausgewählt werden sollten, die einen direkt oder zumindest indirekt messbaren Einfluss auf den Vertriebserfolg haben. ! Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign bedeutet, dass Kennzahlen aller drei Ebenen derart ausgewählt werden, dass das resultierende Kennzahlensystem ausgewogen ist. Dies bedeutet, dass die unterschiedlichen Ausprägungen innerhalb der Dimensionen (Zeit, Ausrichtung, Planungsbezug, Format etc.) eines Performance-Measurement-Systems kombiniert werden. 3.1.3 Operationalisierung Unter der Operationalisierung eines Begriffs ist die Angabe derjenigen Vorgehensweisen zu verstehen, mit deren Hilfe entscheidbar wird, ob und in welchem Ausmass der mit dem Begriff bezeichnete Sachverhalt in der Realität vorliegt.627 Jede Kenngrösse aus einem Kennzahlensystem entspricht einem Begriff. Somit ist es zwingend erforderlich, dass die Messinstrumente eindeutig festgelegt und die Vorgehensweisen präzise definiert sind, die vorgeben, wie die Kennzahlen erhoben und gemessen werden, um intersubjektiv-überprüfbare Ausprägungen zu erhalten. So ist beispielsweise bei der Kennzahl Kundenzufriedenheit genau zu definieren, zu welchem Zeitpunkt sie in welcher Situation bei welchen Kunden mit welchen Verfahren und welchen Messinstrumenten erhoben wird. Die Operationalisierung ist bei allen Kennzahlen konsequent einzuhalten, um die Validität der Erhebungen zu optimieren. Dies gilt insbesondere, wenn die Kenngrössen für Objekt- oder Zeitvergleiche herangezogen werden. Im Rahmen der Operationalisierung und Messung sind folgende Spannungsfelder zu bewältigen:628 ! Ein-Methoden- vs. Multi-Methoden-Messung: Je mehr Messmethoden eingesetzt werden, desto valider wird die gemessene Ausprägung einer Kennzahl. ! Komplexität vs. Einfachheit und Akzeptanz: Häufig werden mehrere oder komplexere Kenngrössen benötigt, um einen Sachverhalt zu operationalisieren. Einzelne, einfach verständliche Kenngrössen lassen sich dagegen besser kommunizieren und werden auch eher akzeptiert. ! Messgenauigkeit vs. Nutzen: Die Messgenauigkeit kann mit zusätzlichem Aufwand erhöht werden. Dies sollte jedoch im Verhältnis zum erzielten Grenznutzen stehen, der durch die höhere Präzision erzielt wird. 627 628 Vgl. Kromrey 2000, S. 178. Siehe hierzu insbesondere Guldin 2000, S. 107. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 215 ! Inhaltsgültigkeit vs. Anpassung an Veränderungen: Je kontinuierlicher und einheitlicher ein Messinstrument eingesetzt wird, desto besser lassen sich Aussagen aufgrund von Zeitreihenanalysen treffen. Häufig muss jedoch das Messinstrument weiterentwickelt und angepasst werden, um seine Validität zu erhöhen. ! Vorhandene Daten nutzen versus neue Daten erheben: Können vorhandene Daten genutzt werden, reduziert dies den Aufwand. Solche Daten sind aber nicht immer in der erforderlichen Aktualität und im gewünschten Detaillierungsgrad verfügbar. Alle Kenngrössen sind somit bezüglich Inhalt, Ausmass (Merkmalsausprägung) und Zeitbezug629 eindeutig festzulegen. Wenn möglich, sollten sie auch konkurrenzorientiert definiert werden, weil der Wettbewerb immer eine zentrale Bezugsgrösse für den Vertrieb ist. Ausserdem erhöhen solche selbstadjustierenden, relativen Kenngrössen (z.B. Marktanteil) im Vergleich zu fixen, absoluten Grössen (z.B. Umsatz) die Flexibilität von Planung, Budgetierung und Controlling.630 Ein Ziel kann dann als „operational“ gelten, wenn die Zielerfüllung messbar ist. Staehle betont ausdrücklich, dass insbesondere die Verständlichkeit aus Sicht der betroffenen Stelle Teil der Operationalisierung ist.631 Wie bei jeder Messung müssen dabei gewisse Kompromisse eingegangen werden. Dies gilt insbesondere für die weichen Aspekte des Wissens und der Kompetenzen. Weil jede Beobachtung kontextbezogen ist, ist eine objektiv richtige Messung immaterieller Ressourcen prinzipiell auszuschliessen. Wissen kann nur über den Preis der Verdinglichung quantifiziert und somit immer nur mittelbar und daher unscharf gemessen werden.632 Dabei sind insbesondere die „Tacitness“633 (Nicht-Offensichtlichkeit) und die „Stickiness“634 (Organisationsund Situationsgebundenheit) zu berücksichtigen. Universelle Messgrössen für Wissenskapital exisiteren nicht.635 Aufgrund der Vielzahl möglicher Kenngrössen kommt einer geeigneten Strukturierung, einer klaren Priorisierung und einer angemessenen Operationalisierung von Kennzahlen besondere Bedeutung zu. Dadurch ist es grundsätzlich möglich, Ursache-Wirkungszusammenhänge im Kennzahlensteuerungssystem darzustellen und zu analysieren sowie geeignete Massnahmen abzuleiten und zu initiieren. Messtechnisch bedingte Kompromisse sind jedoch unausweichlich. 3.2 Sicherstellen der Wirksamkeit im Führungszyklus In den vorangehenden Abschnitten wurden die einzelnen Ebenen der idealtypischen Struktur sowie die Selektion geeigneter Kennzahlen erläutert. Implizit waren dabei hauptsächlich die Anforderungen der Dimensionen Kontext und Messkonzeption Gegenstand der Erklärungen. 629 Vgl. Heinen 1966a, S. 59ff. Vgl. Gleich/Kopp 2001, S. 431. 631 Vgl. Staehle 1967, S. 51. 632 Vgl. North 1998; Müller-Stewens 2001. 633 Nonaka/Takeuchi 1995. 634 Teece 1998. 635 Vgl. Reinhardt et al. 2001, S. 801. 630 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 216 Nachfolgend gilt es aufzuzeigen, wie die Anforderungen der Dimension Prozess636 berücksichtigt werden können. Hierzu soll v.a. erläutert werden, wie in der praktischen Anwendung sichergestellt werden kann, dass das Kennzahlensystem seine Wirksamkeit voll entfalten kann. Drei zentrale Aspekte werden erörtert: ! Ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb dient nicht ausschliesslich der Kontrolle. Es entfaltet seine volle Wirksamkeit v.a. dann, wenn es in die strategische Planung und Budgetierung eingebunden wird.637 ! Das Informations- und Berichtwesen sollte an das Kennzahlensystem geknüpft sein und die Kenngrössen in adäquater Weise aufbereiten. ! Motivations- und Anreizsysteme sind mit dem Kennzahlensystem abzustimmen. 3.2.1 Anbindung des Kennzahlensystems an die Vertriebsplanung und budgetierung Planung ist eine Voraussetzung für Controlling.638 Die Wirksamkeit eines Kennzahlensystems als Teilaspekt des Controllings ist eingeschränkt, wenn dieses ausschliesslich zur Kontrolle, nicht aber zur Planung eingesetzt wird. Die Bestimmung der Konfiguration eines Mehrkanalvertriebssystems639 im Rahmen der Mehrkanalvertriebsstrategie und ein Kennzahlensteuerungssystem hängen somit eng zusammen. Die jeweiligen Kennzahlen (Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs, kanalspezifische Aufgabenprofile) müssen situationsspezifisch geplant und festgelegt werden. Sie dienen der Informationsversorgung, der Zieldiskussion, vereinbarung und -durchsetzung sowie der Kontrolle. Die definierten Kennzahlen des Systems sind Ziel- und Orientierungslinie für die operative Vertriebsplanung, in welcher konkrete Massnahmen und Aktionsprogramme festgelegt werden, mit denen die strategischen Ziele erreicht werden sollen.640 Die Planung muss wiederum eng mit der Vertriebsbudgetierung abgestimmt werden. Empirische Ergebnisse aus Studien zur generellen Marketingplanung641 haben gezeigt, dass dies in der Realität relativ selten der Fall ist: Die Marketingbudgetierung stützt sich überwiegend auf Managementerfahrung oder basiert auf fragwürdigen Methoden, ist aber selten an konkreten Marketingzielen oder angestrebten Ereignissen orientiert. Häufig sind operative Budgetierung und strategische Planung vollständig voneinander losgelöst.642 Daher fehlt eindimensionalen, rein finanziellen Budgets in der Realität oft die erforderliche Verbindlichkeit, weil sie aufgrund einer fehlenden Autorisierung durch das Management als reine Controllerpläne angesehen werden.643 636 Vgl. Teil 3, Abschnitt 2.2.1. Vgl. Teil 3, Abschnitt 2.2.1. 638 Vgl. Weber 1999, S. 45ff. 639 Vgl. Abschnitt 2.3.2. 640 Vgl. Kaplan/Norton/Horvath 2001, S. 259. 641 Vgl. Reinecke 2004, S. 134ff. 642 Vgl. Weber/Goeldel/Schäffer 1997, S. 273f. 643 Vgl. Gleich/Kopp 2001, S. 430. 637 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 217 Die Budgetierung kann jedoch deutlich stärker prozess- und outputorientiert gestaltet werden und somit eine rein finanzielle Inputorientierung644 überwinden, wenn sie mit den auf der Basis des Kennzahlensystems definierten Zielen verbunden wird. Eine Verknüpfung von Vertriebszielen, -massnahmenplanung und -budgetierung645 ist daher erstrebenswert, damit Planung und Kontrolle eine Einheit bilden. Wenn ein Kennzahlensystem zur Operationalisierung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und somit zur strategischen Planung aufgefasst wird, ist es im Sinne eines integrierten Performance-Managements zweckmässig, es mit der operativen Planung und somit insbesondere mit der Budgetierung zu verknüpfen. 3.2.2 Verwendung des Kennzahlensystems als Kontroll- und Reportinginstrument In Abbildung 104 werden verschiedene mögliche Unternehmensberichte gezeigt, gegliedert nach Berichtszweck, -gegenstand, -inhalt, -auslöser sowie nach der Aufbereitungsart. Ein Mangel an Berichten und Reports besteht aus der Sicht der Führungskräfte nicht.646 Dennoch bleiben viele wichtige Ergebnisse unberücksichtigt, weil sie unzweckmässig aufbereitet sind: Berichte entstehen häufig absender- und nicht empfängerorientiert. Ihr Inhalt spiegelt lediglich das wider, was den Berichtsproduzenten relevant erscheint.647 Oft entstehen sie auch dann noch regelmässig, wenn sie eigentlich niemand mehr benötigt: Es ist weniger aufwendig, sie zu ignorieren, als sie zu eliminieren.648 Berichtszwecke Dokumentation Berichtsgegenstand Unternehmen Berichtsinhalt Istdaten Inhaltsdarstellung absolute Werte Auslöser Planung Geschäftsbereich Plandaten Zeitablauf Kontrolle Funktionsbereich Vergangenheitsdaten Abweichungsdaten Prozess Trenddaten Kostenstelle Prognosedaten Kennzahlen relative Werte akkumulierte Werte Toleranzwertüberschreitung Individueller Bedarf Erstellungsart IT-Unterstützung Darstellungsform verbal graphisch tabellarisch Standardbericht Abweichungsbericht Bedarfsbericht Berichtsform Erscheinungsweise 644 645 646 647 648 regelmässig keine IT-Unterstützung unregelmässig Zur dieser Herausforderung der Budgetierung siehe Gleich/Kopp 2001, S. 431. Zum Stand von Wissenschaft und Praxis bezüglich Marketingbudgetierung siehe Reinecke/Fuchs 2003. Vgl. McKinnon 1992, S. 127. Vgl. Horvath 1998, S. 597. Vgl. McKinnon 1992, S. 128. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 218 Detaillierungsgrad Detaillinformationen Überblickinformationen Berichtstermin aktuelle Berichte nicht-aktuelle Berichte Abbildung 104: Merkmale des Berichtswesens Quelle: Reinecke 2004, S. 415. Aus einer umfassenden Analyse von Berichten leiteten McKinnon und Burns folgende Kriterien für nützliche Berichte ab: 649 ! Sie enthalten Daten in einem für den Empfänger geeigneten Aggregationsniveau. ! Sie weisen aus Sicht des Empfängers eine hohe Verlässlichkeit auf. ! Sie beschränken sich auf eine einfache Darstellung einer beschränkten Anzahl Daten. ! Sie werden zeitgerecht zur Verfügung gestellt. ! Sie beziehen sich direkt auf den Verantwortungsbereich der jeweiligen Führungskraft. ! Sie sind übersichtlich und somit für Analysen und zur Entscheidungsfindung geeignet. Diese Kriterien unterstreichen zwei zentrale Aufgaben des Berichtswesens: eine geeignete Verdichtung sowie eine adäquate Präsentation der Informationen.650 Ferner ist eine ausreichende Kommentierung sicherzustellen, um die Berichte als dialogfördernde Instrumente wahrzunehmen. Eine weiterführende Diskussion der beiden Aufgaben hat Reinecke651 geführt. 3.2.3 Kopplung mit den Anreizsystemen Als Anreizsysteme652 werden alle aufeinander abgestimmten Massnahmen bezeichnet, die dazu dienen, Dritte zu einem für den Anreizgewährer förderlichen Verhalten zu veranlassen.653 Sie umfassen intrinsische und extrinsische Faktoren, nicht lediglich die Entlöhnungssysteme. Ziel der folgenden Ausführungen zu Anreizsystemen ist nicht, eine umfassende Diskussion von Für und Wider solcher Ansätze zu geben. Vielmehr stehen zwei Fragen im Zentrum: ! Was ist der Nutzen der Koppelung von Kennzahlen- an Anreizsysteme? ! Was sind die Elemente erfolgsorienierter Vergütungssysteme? Die Umsetzung der Ziele einer wertorientierten Vertriebssteuerung kann nicht allein dadurch sichergestellt werden, dass die wertorientierten Steuerungskennzahlen Eingang in die Steuerungssysteme der Controller und der Geschäftsbereichsverantwortlichen finden. Die angestrebten wertorientierten Ziele müssen auch durch die Aktivitäten und das Handeln der Vertriebsmitarbeiter verfolgt werden. Dazu müssen geeignete Anreize für den Vertrieb geschaffen werden, was eine Integration wertorientierter Steuerungskennzahlen in die erfolgsorientierten 649 Vgl. McKinnon 1992, S. 133. Vgl. Horvath 1998, S. 597. 651 Vgl. Reinecke 2004, S. 416ff. 652 Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.1.2. 653 Vgl. Drumm 2000, S. 525. 650 TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 219 Anreizsysteme erfordert. Dies gilt sowohl für die harten Finanzkennzahlen als auch für die weichen (Früh-)Indikatoren.654 Anreize können sowohl immaterieller als auch materieller Art sein und insbesondere aus: ! Ausstattung des Arbeitsplatzes und Dienstwagen; ! dem Festgehalt; ! Einmal- bzw. Sonderzulagen; ! variablen, jedoch nicht vom individuellen Erfolgsbeitrag abhängigen Zahlungen (z.B. Bonus, Tantieme als Erfolgsbeteiligung am Gesamtbankergebnis) und ! variablen, von individuellen erfolgsbeitragabhängigen Zahlungen resultieren. Bei der Umsetzung eines wertorientierten Steuerungskonzepts in die Praxis stellt v.a. die letztgenannte Komponente eine nicht triviale Herausforderung dar.655 Beim überwiegenden Teil der Vertriebsmitarbeiter bei Banken handelt es sich um Angestellte, deren Gehalt sich aus einem fixen und einem variablen Bestandteil zusammensetzt. Der variable Teil der Vergütung wird berechnet, indem an eine bestimmte Bemessungsgrundlage (BMG) eine Prämienfunktion angesetzt wird. Die Bemessungsgrundlage leitet sich aus den Bankzielen ab und kann aus finanziellen (z.B. erwirtschaftete Margenbarwerte, prozentuale Margen) und nichtfinanziellen Zielen (z.B. Zahl der Neugeschäftsabschlüsse, Anzahl akquirierter Neukunden) oder aus einer Kombination von beiden zusammengesetzt werden. Letzteres erfordert eine Gewichtung der einzelnen Ziele im Rahmen eines Scoring-Modells (vgl. Abbildung 106). Gesamtbankziele Subziele auf der Ebene eines Geschäftsbereichs Subziele auf der Ebene der Vertriebskanäle (Voraussetzung der Beeinflussbarkeit) BMG 1: Erwirtschaftete Margenbarwerte BMG 2: Prozentuale Margen [...] BMG 3: Anzahl Neugeschäftsabschlüsse Finanzielle Ziele Kontrolle: Soll-Ist-Abgleich und Messung des Zielerreichungsgrades BMG 4: Anzahl Neukunden Nichtfinanzielle Ziele Scoring Modell: Gewichtung der Zielerreichung bei den einzelnen BMG Prämienfunktion: Festlegung der Konsequenzen für die variable Vergütung und Bestimmung ihrer Höhe Abbildung 105: Elemente erfolgsorientierter Vergütungssysteme Quelle: In Anlehnung an Wimmer 2004b, S. 264. Um eine Koppelung der wertorientierten Steuerung mit den erfolgsorientierten Anreizsystemen von Vertriebsmitarbeitern zu erreichen, ist es notwendig, ausgewählte Steuerungskennzahlen in die Bemessungsgrundlage einzuarbeiten. Bei den finanziellen Kennzahlen sind keine spezifischen Anpassungen notwendig, sofern eine barwertorientierte Vertriebssteuerung 654 655 Vgl. Wild 2005, S. 225. Vgl. Reinecke 2004 zur kritischen Diskussion von Anreizsystemen. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 220 eingesetzt wird. Der Schwerpunkt der Integrationsaufgaben wird deshalb in der Einarbeitung weicher Steuerungskennzahlen liegen, die z.B. auf der Basis des ibi-Wertdreiecks656 ermittelt werden können. Dabei sollte es sich um – aus Sicht der Vertriebssteuerung – besonders wichtige Kennzahlen handeln, die gleichzeitig von den Vertriebsmitarbeitern beeinflusst werden können (z.B. Cross-Selling-Rate, Abschlussquote). Nicht beeinflussbare Kennzahlen (z.B. Mitarbeiterzufriedenheit, Anzahl betreuter Kunden) bilden die Grundlage für die Entscheidungen der Vertriebssteuerung, verursachen aber keine geeigneten Anreizwirkungen bei den Vertriebsmitarbeitern. Die in die Bemessungsgrundlage aufgenommenen Kennzahlen sollten auch im für die jeweilige Hierarchiestufe entworfenen Kennzahlensystem enthalten sein. Auf diese Weise werden sowohl wertorientierte Finanzgrössen (harte Faktoren) als auch wichtige und von den Vertriebsmitarbeitern beeinflussbare (Früh-)Indikatoren (weiche Faktoren) in die Motivation und Handlung der Mitarbeiter einbezogen.657 3.3 Vorgehen zur Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems Wie bei jedem Konzept entscheidet auch bei Kennzahlensystemen die Art und Weise, wie sie eingeführt wurden und wie das Management mit ihnen umgeht, über ihren späteren Nutzen.658 Aufgrund der Aktualität des Themas Integrierte Kennzahlensysteme659 liegen zahlreiche Vorschläge vor, wie die Einführung eines solchen Systems erfolgen kann. Ähnlich wie der Ansatz von Kaplan und Norton660 orientieren sich die meisten Vorschläge an klassischen Planungsmodellen: Strategie und Zielsetzung basieren auf einer umfassenden Analyse. Darauf aufbauend werden Kennzahlen anhand von Ursache-Wirkungszusammenhängen ausgewählt, operationalisiert und schliesslich in den Planungs- und Steuerungsprozess integriert. Der Konkretisierungsgrad dieser Implementierungsmodelle ist sehr unterschiedlich. Differenzierte Phasenmodelle zeigen beispielsweise Töpfer661 sowie die Unternehmensberatung Horvath & Partner662 . Da die Einführung eines Kennzahlensystems nicht einfach als Projekt mit definiertem Anfang und Ende charakterisiert werden kann, sind alle Phasenmodelle letztlich starke Vereinfachungen.663 Empirische Untersuchungen und Berichte664 zu Erfolgsfaktoren bei der Einführung von Kennzahlensystemen zeigen evidente Parallelen zu Forschungen im Bereich des Change-Managements.665 So offenbart eine Studie von Günther und Grüning, dass die fünf zentralen Erfolgsfaktoren die folgenden sind:666 656 657 658 659 660 661 662 663 664 665 666 Vgl. Teil 3, Abschnitt 3.3.5. Vgl. Wild 2005, S. 226f. Vgl. Müller-Stewens 2001, S. 558. In der Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang oft auch der Begriff Performance Measurement verwendet. Kaplan/Norton/Horvath 2001. Töpfer 2000, S. 95. Horvath 2000, S. 56. Siehe analog zu organisatorischen Wandelprozessen Rüegg-Stürm 2002, S. 358. Vgl. z.B. Schwetz 1998; Ahn 2001. Vgl. hierzu ausführlich Müller-Stewens 2001, S. 416ff. Vgl. Günther/Grüning 2000, S. 21. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 221 ! Mitarbeiterbeteiligung/Kommunkation; ! Art der Messkonstruktion; ! Managementunterstützung; ! IT-Unterstützung; ! Anreizsystem. Auch andere Autoren betonen mit kleinen Abweichungsnuancen diese Aspekte.667 Mitarbeiter müssen vom Nutzen des Systems überzeugt sein, damit sie es aktiv verwenden.668 Im Zusammenhang mit der Einführung von Kennzahlensystemen669 ist auf Erkenntnisse des Change-Managements zurückzugreifen.670 Müller-Stewens und Lechner haben einen Bezugsrahmen zur Gestaltung eines solchen Wandelprozesses entwickelt, der auf ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb übertragen werden kann.671 In Abbildung 106 werden die idealtypischen Phasen zur Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb gezeigt. Dieser Vorschlag lehnt sich an das von Reinecke geschilderte Prozessmodell an, setzt aber spezifische Schwerpunkte: ! Die Phase der Zielsetzung wird relativ stark gewichtet. Hier muss v.a. sichergestellt werden, dass die zentralen Vertreter aus den unterschiedlichen Bereichen involviert werden. Dabei gilt es, den Koordinationsansatz und die Organisation des Mehrkanalvertriebssystems zu berücksichtigen.672 Aspekte des Change-Managements sind möglichst bereits zu Beginn und nicht erst am Ende des Entwicklungs- bzw. Einführungsprozesses zu berücksichtigen. Die Definition kanalspezifischer Kennzahlen basiert einerseits auf inhaltlichen Überlegungen und andererseits dient sie insbesondere auch dazu, die Mitarbeiter stärker in den Prozess zu integrieren und an der Entwicklung zu beteiligen. ! Der Einführungsprozess erfolgt stufenweise: Das Kennzahlensystem sollte i.d.R. zunächst als begleitendes Reportinginstrument und erst später für Steuerungszwecke eingesetzt werden. Dadurch lassen sich anfängliche Kontrollängste reduzieren sowie Schwierigkeiten bei der Messung einiger Konstrukte lösen. 667 668 669 670 671 672 McCunn 1998, S. 35.; Brunner 1999, S. 229ff. Vgl. Günther/Grüning 2000, S. 23. Eine anwendungsorientierte Checkliste für die Einführung von Kennzahlensystemen bietet Töpfer 2000, S. 97. Vgl. Schwetz 1998. Vgl. Müller-Stewens 2001, S. 416ff. Vgl. dazu die hinreichende Anforderung der Dimension Prozess „Berücksichtigung des Koordinationsansatzes und der Organisation des Mehrkanalvertriebs“ in Teil 3, Abschnitt 2.3.1. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 222 Vorgaben und Zieldefinition Definition der Mehrkanalvertriebsstrategie Vorgaben des Geschäftsbereichsverantwortlichen als Rahmenbedingungen für die Vertriebsplanung und –kontrolle (z.B. Wertreiberhierarchien, Balanced Scorecard) Analyse des bisherigen Planungs- und Controllingsystems für den Mehrkanalvertrieb (insbesondere hinsichtlich des derzeitigen Umfangs mit Kennzahlen) Festlegen der Ziele des Kennzahlensystems ! Angestrebter Grad einer kanalspezifischen Konkretisierung ! Angestrebter Grad der Integration in den Führungszyklus (Strategie- und Zieloperationalisierung, Budgetierung, Anreizsysteme, Controlling und Überwachung des Mehrkanalvertriebs) ! Angestrebter Grad der informationstechnischen Unterstützung Change- und Projektmanagement ! Zusammenstellen eines ausgewogenen Projektteams (Vertreter aus zentralen Controlling-Abteilungen, Kanalverantwortliche, SegmentsManagement, evtl. Produkt-Management) ! Planung finanzieller und personeller Ressourcen, des Realisierungszeitraums, der erforderlichen Kommunikations- und Schulungsmassnahmen sowie eines etwaigen Pilotprojekts Analyse und Audit der bisherigen Mehrkanalvertriebsstrategie und Konfiguration des Mehrkanalsystems Strukturieren und Festlegen der finanzwirtschaftlichen Ergebnisziele Mehrkanalvertriebsstrategie: Konkretisieren der kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs und der kanalspezifischen Aufgabenprofile Identifikation Analyse der relevanten Ursache-Wirkungsbeziehungen anhand von Werterelevanter bäumen (in Abhängigkeit der kanalübergreifenden Hauptaufgaben und der Kennkanalspezifischen Aufgabenprofile) zahlen Strukturierung und Visualisierung kanalspezifischer Treibergrössen Ermitteln der Datenverfügbarkeit und –qualität potentieller Messgrössen Auswahl zentraler Treiber- und Kenngrössen für die kanalübergreifenden Hauptaufgaben und für die kanalspezifischen Aufgabenprofile Eindeutige Operationalisierung der gewählten Kennzahlen; Festlegen von Messhäufigkeit und –verantwortlichkeit sowie der Datenquellen Definition von Kenngrössen zur mittel- bis langfristigen Erfassung und Beurteilung von Unternehmungsressourcen und Marktpotentialen Integration in den Führungszyklus Festlegen einer geeigneten Visualisierung des Kennzahlensystems Integration des Kennzahlensystems in das Berichtswesen und Abstimmung mit dem bankweiten Reporting- und Controllingsystem Integration des Kennzahlensystems in die Vertriebsplanung und – budgetierung Abstimmung des Kennzahlensystems mit den Anreizsystemen Permanentes Überprüfen und Verbessern des Kennzahlensteuerungssystems Abbildung 106: Idealtypische Phasen zur Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems Quelle: In Anlehnung an Reinecke 2004, S. 430. TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 223 Die Art, wie ein Kennzahlensteuerungssystem eingeführt wird, bestimmt massgeblich dessen Nutzen und somit dessen Erfolg. Empirisch belegte Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren zeigen deutliche Parallelen zu Forschungen aus dem Bereich des Change Managements: Erfolgsentscheidend sind insbesondere kommunikative Aspekte, die Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter und ausreichendes Top-Management-Commitment. Die einzige wesentliche inhaltliche Erfolgsvoraussetzung ist die Notwendigkeit einer systematischen und eindeutigen Struktur für die Kennzahlendefinition und -operationalisierung. Die in dieser Arbeit vorgestellt idealtypische Struktur ist dafür eine mögliche Grundlage. 4. Zusammenfassung und Fazit In Teil 4 wurden die idealtypische Struktur (vgl. Abbildung 107) eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb präsentiert und zentrale Aspekte erörtert, welche es bei der Einführung eines solchen Systems in der Bankpraxis zu berücksichtigen gilt. Die idealtypische Struktur (vgl. Abbildung 107) des Kennzahlensystems ist in drei Ebenen aufgeteilt. Der dreistufige Aufbau des Systems orientiert sich in den Grundzügen an bestehenden Konzeptionen des Qualitätsmanagements, an ressourcenorientierten Ansätzen und an den unterschiedlichen Formen der strategischen Kontrolle. Form der strategischen Kontrolle Ebenen und Zieldimensionen Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen Outcome: Ergebniskontrolle Gewinn, Rentabilität, Risiko, Wachstum Dynamische Wertgrössen Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen Output: Wirksamkeitskontrolle Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs Kundenwert Produkt-/Serviceerfolg Vertriebssystemeffizienz Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie Throughput: Durchführungskontrolle Aufgabenprofil Kanal A Aufgabenprofil Kanal B Aufgabenprofil Kanal C Aufgabenprofil Kanal D Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen Input: Inputkontrolle Finanzkapital Unternehmungsressourcen Strukturkapital Humankapital Kundenpotentiale Marktpotentiale Produkt-/Servicepotentiale Vertriebssystempotentiale Abbildung 107: Idealtypische Struktur eines Kennzahlensteuerungssystems Quelle: Eigene Darstellung, vereinfacht nach Abbildung 73. Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen (Ebene 1): In der ersten Ebene wird anhand von statischen (einperiodischen) und dynamischen (mehrperiodischen) Ergebnisgrössen das Zielsystem eines Geschäftsbereichs einer Bank operationalisiert. Ferner wird der Outcome der TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 224 Vertriebsaufgaben und -prozesse anhand finanzwirtschaftlicher Ergebniskennzahlen gemessen. Der Vertriebserfolg eines Geschäftsbereichs wird anhand der Zielerreichung der festgelegten Gewinn-, Rentabilitäts-, Risiko- und Wachstumsziele beurteilt. Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen (Ebene 2): In der zweiten Ebene wird die Mehrkanalvertriebsstrategie eines Geschäftsbereichs operationalisiert und aufgezeigt, wie effektiv und effizient der Mehrkanalvertrieb mit Marktpotentialen und Unternehmungsressourcen umgeht. Diese Ebene dient ferner dazu, die finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen der Ebene 1 anhand harter und weicher Faktoren zu erklären. Mittels kanalübergreifender Hauptaufgaben wird das Zielsystem für den gesamten Mehrkanalvertrieb operationalisiert und der Output der Vertriebsaktivitäten der einzelnen Kanäle aggregiert gemessen. Die kanalspezifischen Aufgabenprofile konkretisieren die Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs und operationalisieren das Zielsystem für die einzelnen Kanäle. Unter Berücksichtigung kanalübergreifender Vertriebsprozesse wird der Throughput der Vertriebskanäle gemessen. Die Vertriebsaufgaben und –prozesse schlagen sich dabei nicht nur auf die finanzwirtschaftlichen Ergebnisse (Ebene 1) nieder, sondern haben auch einen Einfluss auf Ressourcen und Marktpotentiale (Ebene 3). Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen (Ebene 3): Die dritte Ebene umfasst die Inputfaktoren als zentrale Determinanten und Voraussetzungen für eine effektive und effiziente Erfüllung der Vertriebsaufgaben der Ebene 2. Hierzu werden Unternehmungsressourcen und Marktpotentiale betrachtet, weil diese das Vertriebsergebnis und die Erreichung strategischer Ziele massgebend beeinflussen. Eine der grössten Herausforderungen bei der Umsetzung eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb ist die Komplexitätsreduktion. Es gibt eine Vielzahl möglicher Kennzahlen, welche für ein derartiges Kennzahlensystem verwendet werden können. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines begründeten Systems und einer gezielten Auswahl von Kennzahlen. Ein effektives und effizientes Kennzahlensystem muss somit drei Funktionen übernehmen: Strukturierung, Priorisierung und Operationalisierung. Auf diese Weise lassen sich Ursache-Wirkungsbeziehungen darstellen und „Kennzahlenwüsten“ vermeiden. Die praktische Umsetzung von Kennzahlensystemen ist durch Kompromisse und Unschärfen geprägt. Ausschlaggebend für die Nützlichkeit ist insbesondere, ob es gelingt, das Kennzahlensystem in den Führungszyklus zu integrieren und die Anbindung an Mitarbeiteranreizsysteme sicherzustellen. Diesbezüglich wurden folgende Aspekte herausgearbeitet: ! Integrierte Betrachtung von Planung und Kontrolle: Ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb dient der Operationalisierung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und der umfassenden Kontrolle der Implementierung. Die Wirksamkeit des Kennzahlensystems ist jedoch eingeschränkt, wenn dieses ausschliesslich zur Kontrolle, nicht aber zur operativen Planung eingesetzt wird. ! Verwendung als Reporting- und Kontrollinstrument: Im Sinne einer integrierten Vertriebssteuerung sollten Reporting- und Kontrollsysteme an das Kennzahlensteuerungssystem geknüpft werden. Berichtsystemen oder Reportings kommt die Funktion zu, die relevanten Informationen verständlich und adressatengerecht zu verdichten. Dabei kann eine graphi- TEIL 4: IDEALTYPISCHE KONZEPTION EINES KENNZALENSTEUERUNGSSYSTEMS 225 sche Aufbereitung helfen, Entwicklungen und Ursache-Wirkungsbeziehungen schneller zu erfassen. ! Kopplung mit Anreizsystemen: Die Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie kann nicht alleine durch die Einführung eines integrierten Kennzahlensteuerungssystems sichergestellt werden. Die angestrebten Ziele müssen auch durch die Aktivitäten und das Handeln der Vertriebsmitarbeiter verfolgt werden. Die erfordert die Kopplung des Kennzahlensteuerungssystems an die etablierten Anreizsysteme einer Bank. Die Einführung eines Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb beeinflusst massgeblich den Nutzen und somit den Erfolg dieses Instruments. Wichtig sind insbesondere kommunikative Aspekte, das Einbeziehen der relevanten Stakeholder sowie ein TopManagement-Comittment. Diesbezüglich zeichnen sich Parallelen zu Forschungen aus dem Bereich Change Management ab. Die wichtigste inhaltliche Erfolgsvoraussetzung ist die Notwendigkeit einer systematischen und eindeutigen Struktur für die Kennzahlendefinition und – operationalisierung. Die in dieser Arbeit vorgestellte idealtypische Struktur bildet dafür eine mögliche Basis. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 226 TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK Im Teil 5 werden zunächst die zentralen Forschungsergebnisse der Arbeit im Überblick zusammengefasst. Anschliessend werden die entwickelten Gestaltungsempfehlungen und Handlungsanweisungen für ein integriertes Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken kritisch gewürdigt. Dies erfolgt einserseits anhand der Grenzen von Kennzahlensystemen im Mehrkanalvertrieb und andererseits anhand der entwickelten Anforderungen. Im Anschluss wird der weitere Forschungsbedarf abgeleitet. Teil 5 schliesst mit einem kurzen Fazit und einem Ausblick. 1. Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit 1.1 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse Zu Beginn der Arbeit wurde hervorgehoben, dass sich erfolgreiches Multi-ChannelManagement mit der Integration neuer Vertriebskanäle, mit der Konfiguration des Vertriebskanal-Mixes und mit der Koordination des Mehrkanalsystems auseinander setzt.673 Zu den Aufgaben des Multichannel-Managements gehört es, nicht nur Entscheidungen674 über die Gestaltung und Koordination des Vertriebskanal-Mixes zu treffen, sondern auch, die konzeptionellen Überlegungen erfolgreich umzusetzen675 . Es wurde gezeigt, dass im Rahmen von Mehrkanalvertriebsstrategien spezifische Problemstellungen in den Bereichen Vertriebswegeorganisation und Vertriebssteuerungssysteme bestehen.676 Bei letzterem wurden insbesondere konzeptionelle Defizite bei Kennzahlensteuerungssystemen identifiziert, welche eine integrierte Steuerung eines Mehrkanalsystems erschweren. Zur konzeptionellen Gestaltung von Kennzahlensteuerungssystemen im Mehrkanalvertrieb gab es bislang nur wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Ziel des Forschers der vorliegenden Arbeit war es deshalb, Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen für die Konzeption eines integrierten Kennzahlensteuerungssystems zu erarbeiten, welches für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer Bank geeignet ist und zu einer Steigerung des Vertriebserfolgs beiträgt. Die Herleitung einer theoretisch fundierten und in der Bankpraxis anwendbaren Konzeption erforderte eine strukturierte Vorgehensweise und eine geeignete Forschungsmethodik. Anschliessend werden die wichtigsten Forschungsergebnisse anhand der drei zentralen Schritte innerhalb des Forschungsprozesses erläutert. Schritt 1: Strukturierte Analyse und interdisziplinärer Zugang zur Problemstellung Zu Beginn der Arbeit wurden die relevanten Problemstellungen im Zusammenhang mit Kennzahlensteuerungssystemen im Mehrkanalvertrieb von Banken analysiert. Aufgrund der Vielfalt der Problemstellungen war zunächst eine Abstrahierung und Strukturierung notwendig. Die identifizierten Problemkategorien legten den Schluss nahe, dass ein interdisziplinärer Bezug 673 674 675 676 Vgl. Schögel/Sauer/Schmidt 2004, S. 13 ff. Vgl. Schögel 1997, S. 108 ff. Vgl. Schögel 1997, S. 180. Vgl. Wild/Wimmer 2004. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 227 zum Forschungsproblem notwendig ist, um geeignete Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen entwickeln zu können. Die zentralen Ergebnisse von Schritt 1 können wie folgt zusammengefasst werden: ! Strukturierung der Probleme anhand der Kategorien Entwicklungsprozess, Inhaltsdefinition und Messmethode;677 ! Definition des theoretischen Bezugs zum Forschungsproblem durch die Disziplinen Marketing (Fachbereich Distribution), strategisches Management (Fachbereich Zielplanung und Strategieimplementierung), Organisation (Fachbereich Prozessmanagement) und Controlling (Fokus Kennzahlensysteme).678 Schritt 2: Herleitung der Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem Die theoretischen Ansätze des Bezugsrahmens bildeten die Basis für die Herleitung der Anforderungen an die Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystems. Um deren praktische Relevanz sicherzustellen, wurden sie im Rahmen von Expertengeprächen679 validiert und verfeinert. Die Synthese der theoriebasierten Anforderungen und der praktischen Erkenntnisse aus den Expertengesprächen führten zu notwendigen und hinreichenden Anforderungen. Diese wurden anschliessend in die Anforderungsdimensionen Prozess, Kontext und Messkonzeption abstrahiert. Die zentralen Ergebnisse von Schritt 2 sind zusammengefasst die folgenden: ! Die Hauptanforderung in der Dimension Prozess ist ein strategieprozess- und organisationskonformes Vorgehen bei der Entwicklung und Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems. ! In Bezug auf die Auswahl geeigneter Kennzahlen wurde in der Dimension Kontext herausgearbeitet, dass ein Kennzahlensteuerungssystem kontextspezifische Kennzahlen enthalten sollte. ! In der Dimension Messkonzeption wurde definiert, dass das konzeptionelle Design des Kennzahlensystems zum Zweck der strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalsystems geeignet sein sollte. ! Diese Hauptanforderungen wurden pro Dimension durch notwendige (branchenunabhängig) und hinreichende (spezifisch für Mehrkanalsysteme im Bankvertrieb) Anforderungen konkretisiert. In Abbildung 109 werden die Anforderungen im Überblick gezeigt. 677 678 679 Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.1.3. Vgl. Teil 1, Kapitel 4. Vgl. Anhang 2 (Expertenverzeichnis) und Anhang 3 (Gesprächsleitfäden). TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK Anforderungsdimensionen 228 Hinreichende Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb einer Bank Notwendige Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem ! Einbindung in den gesamten ManagementProzess (situativ) " Strategieprozessund organisationskonformes Entwicklungsvorgehen ! prozess – Kennzahlensystem als umfassender Handlungsrahmen zur Planung, Implementierung und Kontrolle von Strategien Konformität mit dem Strategieprozessmodell – Berücksichtigung der Planungsrationalität des strategischen Managements ! Problemangemessenheit – Kennzahlen entsprechen inhaltlich dem Kontext (situativ) " Kontextspezifische Kennzahlen ! Zweck der Steuerung und verfügen über einen geeigneten Informationsgrad – Angemessene Informationsqualität und Robustheit Benutzer- und Organisationsadäquanz – Kompatibilität mit der Organisationsstruktur – Wahrgenommene Nützlichkeit für Stakeholder – Glaubwürdigkeit (Realitätsbezug, Spezifität) ! Berücksichtigung des Koordinationsansatzes und der Organisation des Mehrkanalvertriebs – Entwicklungsvorgehen, welches die Art und Weise, wie das Mehrkanalvertriebssystem koordiniert wird und wie es organisiert ist, berücksichtigt ! Abbildung der kundensegmentspezifischen ! Vertriebskonfiguration – Kennzahlen, welche den segmentspezifischen Absatzkanalmix (Anzahl und Art der Kanäle, Aufgabenverteilung zwischen den Kanälen) abbilden Abbildung kanalübergreifender Geschäftsund Wertschöpfungsprozesse – Kennzahlen, welche zentrale Prozesse und Aktivitäten im Mehrkanalsystem abbilden ! Zweckmässiges Kennzahlensystemdesign Messkonzeption (normativ) " Messkonzeptionsgerechtes Kennzahlensystemdesign ! Konsistenz – Ursache-Wirkungszusammenhang – Widerspruchsfreiheit – Eindeutige Operationalisierung der Messung ! -verarbeitung ! ! Flexibilität – Dynamisierbarkeit des Systems – Modularität ! Wirtschaftlichkeit – Aufwand der Datenerhebung und – Hoher Automatisierungsgrad zur strategischen Durchführungs- und Ergebniskontrolle – Kennzahlensystemdesign, welches zur Messung der Umsetzungsqualität und der Ergebnisse einer Mehrkanalvertriebsstrategie geeignet ist Ausrichtung des Kennzahlensystemdesigns an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption – Kennzahlensystemdesign, welches sich konzeptionell an der Wertorientierung als oberstes Steuerungsziel einer Bank orientiert Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign für eine integrierte Vertriebssteuerung – Kennzahlensystemdesign, welches durch eine umfassende Messkonzeption eine integrierte Vertriebssteuerung ermöglicht Abbildung 108: Notwendige und hinreichende Anforderungen Quelle: Eigene Darstellung. Schritt 3: Entwurf einer idealtpyischen Struktur für ein Kennzahlensteuerungssystem Im dritten Schritt wurde – basierend auf diesen Anforderungen – die idealtypische Struktur (vgl. Abbildung 109) für ein Kennzahlensteuerungssystem hergeleitet. Anhand von Expertengesprächen680 wurde die Struktur validiert und anschliessend durch die gewonnenen Erkenntnisse der Einzelfallstudie verfeinert. Die Konzeption mit den aufgeführten Kennzahlendimensionen basiert insbesondere auf den hinreichenden Anforderungen der Dimensionen Kontext und Messkonzeption. Die Anforderungen der Dimension Prozess haben nur einen geringen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des Systems. Vielmehr werden in dieser Dimension zentrale Aspekte berücksichtigt, welche es bei der Entwicklung und Einführung zu berücksichtigen gilt. 680 Vgl. Anhang 2 (Expertenverzeichnis) und Anhang 3 (Gesprächsleitfäden). TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK Form der strategischen Kontrolle 229 Ebenen und Zieldimensionen Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen Outcome: Ergebniskontrolle Gewinn, Rentabilität, Risiko, Wachstum Dynamische Wertgrössen Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen Output: Wirksamkeitskontrolle Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs Kundenwert Produkt-/Serviceerfolg Vertriebssystemeffizienz Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie Throughput: Durchführungskontrolle Aufgabenprofil Kanal A Aufgabenprofil Kanal B Aufgabenprofil Kanal C Aufgabenprofil Kanal D Ressourcen- und potentialorientierte Kennzahlen Input: Inputkontrolle Finanzkapital Unternehmungsressourcen Strukturkapital Humankapital Kundenpotentiale Marktpotentiale Produkt-/Servicepotentiale Vertriebssystempotentiale Abbildung 109: Idealtypische Struktur eines Kennzahlensteuerungssystems Quelle: Eigene Darstellung, vereinfacht nach Abbildung 73. Die Konzeption wurde im letzten Kapitel von Teil 4681 zusammenfassend beschrieben. An dieser Stelle wird daher auf eine erneute Erläuterung verzichtet. Nachfolgend soll vielmehr auf die zentralen Eckpfeiler der entwickelten Konzeption und auf wichtige Aspekte bei der Einführung eines solchen Kennzahlensteuerungssystem eingegangen werden. Erweiterung des klassischen Bankcontrollings mit vertriebsaufgaben-, ressourcen- und potentialorientierten Kennzahlen: Im herkömmlichen Erfolgscontrolling von Banken liegt der Schwerpunkt bei finanzwirtschaftlichen Ergebniskennzahlen.682 Während das Vertriebsergebnis anhand unterschiedlicher Dimensionen (Kundensegmente, Produktegruppen, Vertriebskanäle) detailliert aufgeschlüsselt werden kann, fehlen Angaben über das Zustandekommen des Ergebnisses. Die Ursachen des Vertriebsergebnisses sind darauf zurückzuführen, wie erfolgreich die einzelnen Vertriebskanäle im Rahmen ihrer Aktivitäten mit Marktpotentialen und Unternehmungsressourcen umgehen. Das finanzwirtschaftlich geprägte Bankcontrolling wurde somit konzeptionell um vertriebsaufgaben-, ressourcen- und potentialorientierten Kennzahlendimensionen erweitert. Integration der unterschiedlichen Formen der strategischen Kontrolle: Das entwickelte Kennzahlensteuerungssystem dient der Implementierung einer Mehrkanalvertriebsstrategie und der strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems. Um diesen Anforderung genügen zu können, wurden die unterschiedlichen Formen der strategischen Kontrolle konzeptionell in die idealtypische Struktur des Kennzahlensystems integriert. Die Berücksich- 681 682 Vgl. Teil 4, Abschnitt 4. Vgl. Schierenbeck 2001c TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 230 tigung der Durchführungs- und der Inputkontrolle ermöglicht die Steuerung der strategischen Vertriebsprozesse in einem Mehrkanalsystem. Wertorientierung als zentraler Zugang für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems: Die strategische Zielsetzung von Banken, den Unternehmenswert zu steigern, manifestiert sich in einer wertorientierten Unternehmensführung. Unter dem Primat der Wertorientierung konfigurieren Banken ihre Mehrkanalvertriebssysteme derart, dass diese geeignet sind, sowohl den Wert des Kunden für die Unternehmung (Kundenwert) als auch den Wert und Nutzen der Vertriebsleistung für den Kunden (Kundenvorteil) zu erhöhen. Die Wertschöpfung (Kundenwert, Kundenvorteil) eines Mehrkanalvertriebssystems wurde in die klassischen Erfolgsdimensionen des Bankcontrollings integriert und anhand der kanalübergreifenden Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs operationalisiert. Kanalspezifische Aufgabenprofile und kanalübergreifende Vertriebsprozesse zur Operationalisierung der Mehrkanalvertriebsstrategie: Die strategieorientierte Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems erfordert die Identifikation zentraler Vertriebsprozesse und -aufgaben. Die Durchführungskontrolle bildet daher das Herz des entwickelten Kennzahlensteuerungssystems. Die kanalspezifischen Aufgabenprofile und die kanalübergreifenden Prozesse bilden die Grundlage für die kontextspezifische Auswahl geeigneter Kennzahlen und somit zur strategieorientierten Steuerung eines Mehrkanalsystems. Die Aufgabenprofile und die kanalübergreifenden Prozesse tragen durch ihre Strukturierungs- und Priorisierungsfunktion683 auch zur Vermeidung von einer übermässigen und ungeordneten Anhäufung von Kennzahlen bei. Wirksamkeit des Kennzahlensteuerungssystems durch die Einbindung in den Führungszyklus: Die Entwicklung und Einführung eines konzeptionell überzeugenden und stringenten Kennzahlensteuerungssystems ist nur eine Determinante für den Vertriebserfolg.684 Das Potential eines Kennzahlensteuerungssystems wird erst dann vollkommen ausgeschöpft, wenn es in den Führungszyklus eingebunden wird.685 Die Integration erfolgt durch unterschiedliche Aspekte. Das System sollte nicht nur der Kontrolle dienen, sondern auch in die strategischen Planungs- und Budgetierungsprozesse eingebunden werden. Zudem sollte es die Grundlage für das interne Informations- und Berichtswesen einer Bank sein. Schliesslich gilt es, auch die Motivations- und Anreizsysteme mit dem System zu koppeln. 1.2 Integration und Erweiterung bestehender Forschungsarbeiten Ein wesentliches Charaktertistikum dieser Dissertation ist, bestehende Ansätze aus verschiedenen Forschungsdisziplinen zu integrieren und zu erweitern. Vor diesem Hintergrund wurden zentrale Erkenntnisse aus diesen herangezogen, um die Problemstellung umfassend und erkenntnisfördernd zu durchdringen. Dies war v.a. notwendig, um dem interdisziplinären Charakter der Problemstellung bzw. des Erkenntnisobjekts gerecht zu werden. Die nachfolgende Beurteilung des wissenschaftlichen Beitrags der Arbeit erfolgt daher in Bezug auf die verschiedenen Forschungsdisziplinen bzw. auf die jeweiligen Fachbereiche.686 683 684 685 686 Vgl. Teil 4, Abschnitt 3.1. Vgl. Hesse/Huckemann 2002. Vgl. Teil 4, Abschnitt 3.2. Vgl. Teil 1, Kapitel 4. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 231 Integration und Erweiterung vorhandener Beiträge zum Management von Mehrkanalsystemen im Rahmen der Distribution Im Bankvertrieb nimmt die Bedeutung von Mehrkanalsystemen ständig zu. Verschiedene Autoren687 haben in den letzten Jahren wertvolle Beiträge über das Wesen und das Management von Mehrkanalsystemen verfasst. Bislang gab es aber nur wenige Erkenntnisse zur Problematik der integrierten Vertriebssteuerung im Mehrkanalvertrieb. Es mangelte insbesondere an konzeptionellen Gestaltungshinweisen für die Entwicklung eines integrierten Kennzahlensteuerungssystems, welches spezifische Aspekte von Mehrkanalsystemen (v.a. Wechselwirkungen zwischen den Kanälen) berücksichtigt. Basierend auf den bestehenden Erkenntnissen der genannten Autoren gelang es in der entwickelten Konzeption, diese Aspekte zu integrieren. Durch den erzielten Erkenntnisfortschritt konnten die vorhandenen Beiträge zum Management von Mehrkanalsystemen erweitert werden. Integration und Konkretisierung bestehender Erkenntnisse aus der Zielplanung, der Strategieimplementierung und der Wertorientierung im Mehrkanalvertrieb In der vorliegenden Arbeit wurden die bestehenden Erkenntnisse der Zielplanung, der Strategieimplementierung und der betriebswirtschafltichen Zielforschung sowie die Forderung nach einer Wertorientierung im Mehrkanalvertrieb integriert. Diese Aspekte wurden durch die idealtypische Struktur des Kennzahlensystems und die herausgearbeiteten Rahmenbedingungen zur Entwicklung und Einführung eines solchen Systems berücksichtigt. Zentrale Anknüpfungspunkte waren in diesem Zusammenhang der General-Management-Navigator (GMN) von Müller-Stewens und Lechner688 und die von Schögel689 entwickelten Konstrukte Kundenvorteil und Kundenwert. Integration und Erweiterung bestehender Beiträge zum Management von Geschäftsprozessen Geschäftsprozesse rücken vor dem Hintergrund des intensiven Wettbewerbs im Bankenbereich verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses. Im Business-Process-Management (BPM) stehen insbesondere die Optimierung und das Sicherstellen der Effektivität und Effizienz von Geschäftsprozessen im Vordergrund. Die Hauptaufgaben des BPM bestehen somit in der Planung, Steuerung und Kontrolle von Prozessen.690 In der vorliegenden Arbeit werden die prozessorientierte Denkweise sowie die Notwendigkeit einer gezielten Planung, Steuerung und Kontrolle von zentralen Geschäftsprozessen betrachtet. Die entwickelte Konzeption erweitert die bestehenden Erkenntnisse insofern, als diese im Kontext eines Mehrkanalsystems die Determinaten (siehe Input in Abbildung 107) und Auswirkungen (siehe Output und Outcome in Abbildung 107) von Vertriebsprozessen integriert betrachtet. 687 688 689 690 Vgl. z.B. Wild 2005; Schwanitz 2003; Schögel 1997; Moriarty/Moran 1991; Schwanitz 2002. Müller-Stewens/Lechner 2005. Schögel 2005. Vgl. Gaitanides 1994. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 232 Integration und Erweiterung bestehender Erkenntnisse über die Anforderungen von Kennzahlensystemen Zahlreiche Wissenschaftler haben sich mit den Anforderungen an betriebswirtschaftliche Kennzahlensysteme beschäftigt.691 Bei den Erkenntnissen handelt es sich v.a. um induktiv ermittelte Kriterien, weil eine Theorie nicht existiert und es somit auch nicht möglich ist, Systemanforderungen deduktiv abzuleiten.692 Die Anforderungen oder Gestaltungsempfehlungen der einzelnen Autoren sind i.d.R. dadurch gekennzeichnet, dass sie sehr generisch und eher unstrukturiert sind. Für die Entwicklung eines nützlichen693 (=zweckgerechten) Kennzahlensystems für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs waren sie daher nur beschränkt geeignet. Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen wurde im Rahmen dieser Arbeit ein umfassendes und insbesondere strukturiertes Konzept entwickelt, welches notwendige und hinreichende Anforderungen an ein Kennzahlensystem mit dem Zweck der Steuerung definiert. Obwohl dieses Konzept spezifisch für Kennzahlensteuerungssysteme für den Mehrkanalvertrieb von Banken hergeleitet wurde, kann es aus Sicht des Verfassers grundsätzlich auch für andere Branchen verwendet werden. Fazit: Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass es in der vorliegenden Arbeit durch einen interdisziplinären Bezugsrahmen gelungen ist, das Erkenntnisobjekt Kennzahlensteuerungssysteme umfassend zu durchdringen. Durch die Integration unterschiedllicher Ansätze aus den Forschungsdisziplinen Marketing, strategisches Management, Organisation und Controlling gelang es nicht nur einen Erkenntnisfortschritt zu erzielen, sondern auch bestehende Erkenntnisse in den einzelnen Disziplinen zu erweitern und zu vertiefen. 2. Kritische Würdigung der entwickelten Konzeption und zukünftiger Forschungsbedarf Im Anschluss an die Diskussion des wissenschaftlichen Beitrags der Arbeit gilt es, die Grenzen der Untersuchung in methodischer, inhaltlicher und theoretischer Hinsicht zu erörtern und den Forschungsbedarf für zukünftige Dissertationsprojekte abzuleiten. In Teil 1 wurden die allgemeinen und konkreten Einschränkungen der Fallstudienforschung bereits herausgearbeitet.694 Ferner wurde erläutert, welche Qualitätssicherungsmethoden der Autor eingesetzt hat, um diese Restriktionen auf ein wissenschaftlich angemessenes Mass zu beschränken.695 Um Redundanzen in der Darstellung zu vermeiden, werden die methodischen Einschränkunden hier nicht wiederholt. Im Anschluss an die Restriktionen wird die entwickelte Konzeption hinsichtlich der entwickelten Anforderungen kritisch gewürdigt und der zukünftige Forschungsbedarf abgeleitet. 691 692 693 694 695 Vgl. z.B. Diller 1976; Reichmann/Lachnit 1976; Caduff 1981; Geiss 1986; Simons 1995; Siegwart 1998; Reinecke 2004. Vgl. Geiss 1986. Zur Definition von Nützlichkeit siehe Teil 1, Abschnitt 5.1.3. Vgl. Teil 1, Abschnitte 0 - 0. Vgl. Teil 1, Abschnitt 5.3.3. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 233 2.1 Restriktionen und Gefahren von Kennzahlensystemen im Mehrkanalvertrieb In Anlehnung an Hesse und Huckemann696 wurde zu Beginn dieser Arbeit697 hervorgehoben, dass ein Kennzahlensystem im Rahmen der Vertriebssteuerung eine zentrale Determinante für den Vertriebserfolg ist. Es wurde zudem herausgearbeitet, dass ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb seine volle Wirksamkeit erst durch die Integration in den Führungszyklus entfaltet. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass solche Systeme lediglich eines von vielen Planungs- und Kontrollhilfsmitteln sind. Auch wenn sie sich zu umfassenden Managementsystemen entwickeln lassen, ist ihre Anwendung erheblichen inhaltlichen und theoretischen Einschränkungen unterworfen und zudem sehr anspruchsvoll. In der Realität stösst man bei Verwendung von Kennzahlensystemen aufgrund formaler Fehler und Unzulänglichkeiten an deren Grenzen.698 Diese Restriktionen werden im Anschluss erläutert. Inhaltliche und theoretische Restriktionen von Kennzahlensystemen im Mehrkanalvertrieb Neben Kennzahlensteuerungssystemen gibt es andere wichtige Determinanten des Vertriebserfolgs: Hesse und Huckemann699 haben in ihrer empirischen Analyse zwei zentrale Erfolgsfaktoren für die Erklärung des Vertriebserfolgs identifiziert. In dieser Arbeit wurde einer der beiden Faktoren – die Vertriebssteuerung anhand eines geeigneten Kennzahlensystems – eingehend diskutiert. Eine ebenso wichtiger Erfolgsfaktor sind gemäss ihren Erkenntnissen einheitliche Aussagen zur Vertriebsstrategie. Diese Erkenntnis wird auch von Bonoma700 gestützt, welcher sagt, dass die geplanten (Vertriebs-)Erfolge nur durch die Kombination einer geeigneten Strategie mit einer konsequenten Umsetzung errreicht werden können. Er hebt jedoch auch hervor, dass im Falle einer „schlechten“ Strategie eine wirkungsvolle Implementation verheerend sein kann. Wild und Wimmmr701 haben im Zusammenhang mit der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie weitere Problemstellungen702 herausgearbeitet: Eine kanalübergreifende Preispolitik oder mehrkanalfähige Kostenrechnungssysteme sind ebenso zentrale Einflussgrössen für den Vertriebserfolg. Alle diese zusätzlichen Aspekte wurden in der Problemanalyse zwar erfasst, konnten aber aufgrund des Fokus dieser Arbeit nur am Rande berücksichtigt werden. Massgebliche Vereinfachung der Realität durch die Vermutung von Kausalzusammenhängen: Im Zusammenhang mit Kennzahlenssystemen sollte man sich immer der Tatsache bewusst sein, dass diese absichtlich reduktionistisch sind, um sich nur auf wenige Messgrössen fokussieren zu können.703 Unschärfen und Unwägbarkeiten sind nicht zu vermeiden. Bei einem Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb ist diese Einschränkung insbeson- 696 697 698 699 700 701 702 703 Hesse/Huckemann 2002. Vgl. Teil 1, Abschnitt 2.4. Vgl. Reinecke 2004, S. 433. Hesse/Huckemann 2002. Bonoma 1984. Wild/Wimmer 2004. Vgl. Teil 1, Abschnitt 1.1. Vgl. Müller-Stewens 2001, S. 559. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 234 dere auf die enge Vernetzung der Vertriebskanäle zurück zu führen.704 Die Aufgabenteilung im Mehrkanalvertrieb führt zu komplexen Wechselwirkungen, deren Erfassung und Beurteilung anhand von Kennzahlen sehr schwierig ist. Die meisten unterstellten Kausalitäten zwischen Zielen, Treibern und Messgrössen haben daher oft hypothetischen Charakter und müssten empirisch überprüft werden.705 Die Diskussion zur Balanced Scorecard brachte hervor, dass eine weitere natürliche Grenze von Kennzahlensystemen darin besteht, dass sie eine ungerichtete strategische Überwachung bzw. eine Frühaufklärung nicht oder lediglich unzureichend gewährleisten können. Kennzahlen müssen i.d.R. im Voraus definiert werden, um sinnvoll interpretiert werden zu können. Auch wenn eine gerichtete strategische Überwachung durch eine Ausrichtung auf Marktpotentiale und Bedürfnisse möglich ist, so lassen sich schwache Signale selten nur über Zahlen vermitteln.706 Eine wirksame Frühaufklärung benötigt ergänzend qualitative Indikatoren und Informationen. In Kennzahlensteuerungssystemen werden keine Entscheidungen getroffen. Die Systeme müssen richtig interpretiert werden: In der operativen Vertriebssteuerung wirkt ein Kennzahlensteuerungssystem häufig lediglich unterstützend. Kennzahlen tragen massgeblich dazu bei, in konzentrierter Form über einen zahlenmässig erfassbaren betriebwirtschaftlichen Tatbestand zu informieren.707 Die grosse Schwierigkeit besteht jedoch darin, die gewonnenen Daten geeignet zu interpretieren, um allenfalls notwendige Entscheidungen zu treffen und Massnahmen zur Behebung eines Problems einzuleiten. Hierzu dienen in der Praxis v.a. SollWerte, welche für die einzelnen Kennzahlen definiert werden. Die Definition solcher ZielWerte erweist sich als meist sehr schwierig. In der Praxis werden inhaltliche Grenzen durch unterschiedllche Kompromisse hervorgerufen: Schliesslich sind jedem Kennzahlensystem aufgrund von Kompromissen bezüglich Aktualität, Geltungsbereich, Operationalität und Wirtschaftlichkeit inhaltliche Grenzen gesetzt.708 Es ist somit lediglich ein Baustein eines umfassenden Informationssystems – wenn auch ein zentraler. Formale Fehler bei der Anwendung von Kennzahlensystemen im Mehrkanalvertrieb Neben den inhaltlichen Einschränkunen in Bezug auf die Reichweite von Kennzahlensystemen gilt es auch, auf typische Gefahren und Fehler hinzuweisen, die sich bei der Arbeit mit Kennzahlen ergeben. Der Einsatz von Kennzahlen ist durch individuelle Vorbehalte, unterschiedliche Qualifikationen und psychosoziale Phänomene gekennzeichnet. Falsche Schlüsse, die aus methodisch fragwürdigen oder unklaren Zahlenkombinationen gezogen wurden, führen oft zur Ablehnung von Kennzahlen.709 704 705 706 707 708 709 Vgl. Faisst et al. 2003, S. 6. Vgl. Müller-Stewens 2001, S. 560. Vgl. Müller-Stewens 2001, S. 525. Vgl. Staehle 1967, S. 62. Vgl. Radke 1968, S. 148. Vgl. Radke 1968, S. 148. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 235 Bei formalen Fehlern kann zwischen verschiedenen Gruppen unterschieden werden.710 Diese sollen nachfolgend kurz erläutert werden. Konzeptionelle Konstruktionsmängel: Solche Mängel liegen vor, wenn eine Kennzahlensystem falsch oder unzweckmässig ist. Ein System kann als falsch bezeichnet werden, wenn beispielsweise mathematische Zusammenhänge inkorrekt abgebildet werden oder formale Ursache-Wirkungsbeziehungen nicht zutreffen. Ein Kennzahlensystem ist unzweckmässig, wenn es der jeweiligen Entscheidungssituation nicht gerecht wird (z.B. wenn eine Firma ein Kennzahlensystem einer anderen Firma unreflektiert übernimmt) oder die verwendeten Indikatoren die zu messenden Kennzahlendimensionen oder Konstrukte nicht in einer geeigneten Form abdecken. Fehler bei der Datenerhebung und -verarbeitung: Bei solchen Mängeln handelt es sich um Probleme im Zusammenhang mit der Validität sowie um Rechen- und Verdichtungsfehler.711 Diese Fehler sind meistens auf ungenügende Qualifikationen oder auf mangelnde Sorgfalt zurück zu führen. Ein Kennzahlenbericht mit solchen Fehlern ist nutzlos. Mängel bei der Anwendung und Interpretation: Anwendungsmängel zeigen sich oft an disfunktionalen Seiteneffekten und Manipulationen wie z.B.: ! Im Rahmen der Planung werden „Spielräume“ in die Kennzahlen eingesetzt, so dass Ziele auf jeden Fall erreicht werden können. ! Kennzahlenabweichungen werden „geglättet“, indem Berichte hinsichtlich Zeitpunkt und raum angepasst werden, ohne dass sich die Beobachtung verändert. ! Berichte werden manipuliert, indem Vorkommnisse nicht mitgeteilt (Unterdrücken von Kundenbeschwerden) oder „einseitig beeinflusst“ (einseitiges Melden positiver, nicht aber negativer Kundenreaktionen) werden.712 Die Gefahr von Manipulationen steigt, wenn Kennzahlensysteme mit Anreizsystemen gekoppelt werden. Dabei erfolgt unter Umständen eine Konzentration auf die Kennzahlen als Selbstzweck und nicht auf die zu erfassenden Aspekte.713 Die Komplexitätsreduktionsfunktion wird bewusst opportunistisch ausgenutzt.714 Beispielsweise kann die Kennzahl „Prozentsatz von Kundenanfragen, die innerhalb von 90 Sekunden erledigt werden können“ dazu führen, dass nicht die Leistung verbessert wird, sondern dass Kunden nach 90 Sekunden nicht mehr bedient werden, wenn ihr Problem nicht gelöst werden kann. Anwendungsfehler können auch bei der Interpretation von Kennzahlen enstehen. Messgrössen bestechen durch Operationalität und quantitative Exaktheit und verleiten daher zu Überinterpretationen. Sie führen zu einer „Paralyse durch Analyse“ oder dazu, dass man Kennzahlen als getreue Abbilder der Realität sieht, ohne die notwendige kritische Distanz zu wahren.715 In solchen Fällen wird vernachlässigt, dass Kennzahlen definitionsgemäss einen rele- 710 Vgl. Wissenbach 1967, S. 89ff.; Galler 1969, S. 48 ff.; Staehle 1973, S. 228 Vgl. Staehle 1967, S. 71f.; Wolf 1977, S. 57f. 712 Vgl. Simons 1995, S. 81ff. 713 Vgl. Ambler 2000, S. 149. 714 Vgl. Weber 1999, S. 232. 715 Vgl. Quelch 1992, S. 4. 711 TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 236 vanten Sachverhalt verdichten716 und somit niemals die Wahrheit vollständig abbilden. Kennzahlensysteme schwächen das Problem der isolierten Anwendung von Kennzahlen zwar ab, bleiben aber immer interpretationsbedürftig.717 Die Diskussion der verschiedenen Kennzahlensysteme hat gezeigt, dass Ursache-Wirkunsbeziehungen i.d.R. nicht umfassend abgebildet werden können. Dies setzt gründliche Kenntnisse des Anwenders in Bezug auf Wirkungszusammenhänge, -intensitäten, -schwellen und -verzögerungen voraus. Fazit: Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Kennzahlensysteme grundsätzlich wirkungsvolle Instrumente für die Unternehmensführung sind. Die erfolgreiche Anwendung eines Kennzahlensteuerungssystems für den Mehrkanalvertrieb ist aber von verschiedenen inhaltlichen und formellen Restriktionen geprägt. Diese Einschränkungen gilt es bei der Entwicklung, Einführung und Anwendung, stets zu berücksichtigen und zu reflektieren, um einen bewussteren Umgang mit einem solchen System zu gewährleisten. 2.2 Würdigung der Konzeption hinsichtlich der entwickelten Anforderungen Im Anschluss wird die entwickelte Konzeption anhand der hergeleiteten Kriterien der beiden Dimensionen Kontext und Messkonzeption beurteilt. Die Dimension Prozess hat keinen Einfluss auf die Konzeption selber, sondern vielmehr auf das Entwicklungsvorgehen und die Einführung eines Kennzahlensteuerungssystems. Die Würdigung anhand der Anforderungen dient dazu, die Güte und Nützlichkeit der entwickelten Konzeption zu beurteilen. Beurteilung anhand der notwendigen Anforderungen Problemangemessenheit (Dimension Kontext): Die Konzeption eignet sich aufgrund ihrer Grundstruktur718 (Potentiale, Prozesse, Ergebnisse) und durch die Integration der verschiedenen Formen der strategischen Kontrolle als Instrument für eine umfassende und integrierte Steuerung eines Mehrkanalsystems im Bankvertrieb. Benutzer- und Organgisationsadäquanz (Dimension Kontext): Die idealtypische Struktur stellt ein geeignetes Cockpit für einen Geschäftsbereichsleiter einer Bank dar, welcher sowohl das finanzwirtschaftliche Ergebnis sowie dessen Zustandekommen umfassend erklären und durch gezielte Steuerungseingriffe beinflussen möchte. Die Konzeption ist insofern organisationsadäquat, als sie die einzelnen Vertriebskanäle (=Organisationseinheiten) eines Geschäftsbereichs in der Sub-Ebene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie abbildet. Konsistenz (Dimension Messkonzeption): Die Grundstruktur (Prozesse, Potentiale, Ergebnisse) stellt Ursache-Wirkungszusammehänge zwischen den drei Ebenen her. Das Kennzahlensystem ist in den Gründzügen eher ein Ordnungssystem, beinhaltet an gewissen Stellen jedoch auch Aspekte eines Rechensystems. Der erzielte Gewinn in der Ebene Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen kann beispielsweise durch die Dimensionen Kundenwert und Produkt-/Serviceerfolg der Ebene Vertriebsaufgaben und prozessorientierte Kennzahlen diffe- 716 717 718 Vgl. Weber 1999, S. 205. Vgl. Wolf 1977, S. 55. Vgl. Teil 4, Abschnitt 2.1.1. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 237 renziert erklärt werden. Der Faktor Zeit (Leading vs. Lagging Indicators719 ) muss über die drei Ebenen konsequent berücksichtigt werden720 . Flexibilität (Dimension Messkonzeption): Aufgrund seines modularen Aufbaus mit drei Ebenen und der nicht streng mathematischen Verbindungen ist die Konzeption relativ flexibel. Bei Änderungen der Mehrkanalvertriebsstrategie können die gemessenen Kennzahlen angepasst werden. Eine stufenweise Einführung des Systems ist möglich. Wirtschaftlichkeit (Dimension Messkonzeption): Das System beinhaltet mit den drei Ebenen viele unterschiedliche Aspekte und Themenbereiche. Aufgrund der Erkenntnisse aus der Einzelfallstudie kann vermutet werden, dass die Daten für ein solches System in einer Bank grundsätzlich vorhanden sind, sie jedoch aus unterschiedlichen Systemen oder Funktionsbereichen (z.B. zentrales Controlling, einzelne Vertriebskanäle, Marketing, Human Ressources etc.) zusammengetragen werden müssen. Bei der Einführung eines solchen Systems sollte daher geprüft werden, wie mit einer geeigneten informationstechnischen Unterstützung die Datenerhebung und -verarbeitung automatisiert werden kann. Beurteilung anhand der hinreichenden Anforderungen Abbildung der kundensegmentspezifischen Vertriebskonfiguration (Dimension Kontext): Die Konzeption ist geeignet, die spezifische Konfiguration des Mehrkanalvertriebssystems eines Geschäftsbereiches abzubilden. In der Sub-Ebene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie werden alle für einen Bereich relevanten Vertriebskanäle mit ihren Aufgaben erfasst. Die Aufgabenprofile differenzieren dabei, welche Kanäle welchen Kunden welche Bankprodukte/-services vertreiben und welche spezifischen Vertiebsaufgaben (z.B. Information, Beratung, Verkauf, Abwicklung, Customer Service) die einzelnen Vertriebseinheiten wahrnehmen. Abbildung kanalübergreifender Geschäfts- und Wertschöfpungsprozesse: In der Sub-Ebene Kanalspezifische Aufgabenprofile der Mehrkanalvertriebsstrategie werden kanalübergreifende Prozesse berücksichtigt. Zusammen mit den Aufgabenprofilen gelingt es mit der entwickelten Konzeption, die Wechselwirkungen zwischen den Vertriebskanälen zu erfassen und anhand von Kennzahlen zu operationalisieren. Zweckmässiges Kennzahlensystemdesign zur strategischen Durchführungs- und Ergebniskontrolle: Die idealtypische Struktur integriert die unterschiedlichen Formen der strategischen Kontrolle. In der Konzeption erfolgt die Messung der Umsetzungsqualität und der Ergebnisse in der Ebene Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen. In dieser Ebene wird anhand von Kennzahlen die Durchführung der kanalspezifischen Vertriebsaufgaben gemessen und kontrolliert. Die Wirkung der Tätigkeiten wird in der Sub-Ebene Kanalübergreifende Hauptaufgaben des Mehrkanalvertriebs gemessen. In der Ebene Finanzwirtschaftliche Ergebniskennzahlen wird der Outcome anhand finanzwirtschaftlicher Schlüsselgrössen ausgewiesen. 719 720 Vgl. Teil 4, Abschnitt 2.1.1. Vgl. Teil 4, Abschnitt 2.4. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 238 Ausrichtung des Kennzahlensystemdesigns an einer wert(treiber)orientierten Steuerungskonzeption: In der idealtypischen Struktur ist es gelungen, die Wertorientierung konzeptionell in den einzelnen Ebenen zu verankern. In der Ebene Finanzwirtschaftliche Ergebnisgrössen werden ein- und mehrperiodische Schlüsselkennzahlen in Form von harten Faktoren erfasst, welche eine Aussage über den Wertbeitrag eines Geschäftsbereichs zum Gesamtbankergebnis erlauben. In der Ebene Vertriebsaufgaben- und prozessorientierte Kennzahlen wird anhand von harten und weichen Treibergrössen das erzielte Vertriebsergebnis erklärt. In der Ebene Ressourcen- und potentialorienterte Kennzahlen wird insofern eine Wert(treiber)orientierung sichergestellt, als diese Kennzahlen Erklärungsgrössen bzw. Determinanten für die Wertschöpfungsprozesse der vorgelagerten Ebene darstellen. Ausgewogenes Kennzahlensystemdesign für eine integrierte Vertriebssteuerung: Die Konzeption ist in mehrfacher Weise ausgewogen bzw. „balanced“. Durch die Grundstruktur Potentiale, Prozesse und Ergebnisse werden sowohl „leading“ (Potentiale, Prozesse) als auch „Lagging Indicators“ (Ergebnisse) abgebildet. Das System ist dadurch auch dazu geeignet strategische und operative Aspekte in der Vertriebssteuerung zu integrieren. In Bezug auf die Kennzahlendimensionen gelingt es im System, sowohl harte als auch weiche Faktoren zu berücksichtigen. Die Ebene Ressourcen- und potentialorientierte stellt sicher, dass die Konzeption nicht nur nach innen, sondern auch nach aussen gerichtet ist. Fazit: In der entwickelten Konzeption ist es gelungen, die theoretisch hergeleiteten und in der Praxis validierten Anforderungen der Dimensionen Kontext und Messkonzeption umzusetzen. Die Nützlichkeit eines solchen umfassenden System hängt letztlich massgeglich von den Anforderungen der Dimension Prozess ab: Ein Kennzahlensteuerungssystem muss in geeigneter Form eingeführt und konsequent in den Führungszyklus integriert werden. 2.3 Weiterer Forschungsbedarf In diesem Abschnitt wird aus den Ergebnissen dieser Arbeit und den erläuterten Restriktionen der weitere Forschungsbedarf für zukünftige Dissertationsprojekte abgeleitet. Dabei wird auf die praktischen Erkenntisse zurückgegriffen, welche der Autor während der Einzelfallstudie gewinnen konnte. Entwicklung von mehrkanalfähigen Kostenrechnungssystemen Zu Beginn der Arbeit wurden unterschiedliche Problembereiche (Vertriebsorganisation, Vertriebssteuerung) im Rahmen der Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie aufgezeigt. In der vorliegenden Dissertation lag der Fokus auf der Vertriebssteuerung i.e.S. Hierzu wurde eine Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem entwickelt. Die strategieorientierte Steuerung und das Erfolgscontrolling in einem derart komplexen System sind jedoch auch massgeblich von den internen Kostenrechnungssystemen abhängig. Solche Systeme tragen grundsätzlich dazu bei, dass Kosten und Erträge zwischen den unterschiedlichen Vertriebskanälen alloziert werden können. Dies wiederum ermöglicht eine verursachergerechte und transparente Erfolgsanalyse sowie Steuerungseingriffe. In der Bankpraxis erweist sich die Kosten- und Leistunsverrechnung im Mehrkanalvertrieb als hoch komplex. Die Bestimmung von „fairen“ Verrechnugspreisen zwischen Profit-Centern und Service-Centern erweist sich als sehr schwierig, weil Kunden kanalübergreifend aktiv werden und daraus eine asymmetrische Kosten- und Erlösverteilung resultiert. Trotz Fortschritten in TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 239 der Prozesskostenrechnung sollten sich zukünftige Forschungsprojekte damit befassen, wie die bestehenden Kosten- und Leistungsrechungssysteme mehrkanalfähig gemacht werden können. Verbesserung der Messung der Wertschöpfungsbeiträge von Support-Channels (z.B. Internet) Integrierte Mehrkanalvertriebssysteme sind davon geprägt, dass die einzelnen Kanäle vertriebsstrategisch unterschiedlich positioniert werden (z.B. Customer-, Sales-, SupportChannel)721 und über unterschiedliche Aufgaben im Vertriebsprozess wahrnehmen. Der Internet-Kanal wird bei vielen Banken als Support-Channel ohne Kunden- und Ergebnisverantwortung positioniert. Obwohl das Internet massgeblich zur Steigerung der Effizienz und Effektivität eines Mehrkanalvertriebssystems beitragen kann, ist der Nachweis der Wertschöpfung in der Bankpraxis oft sehr schwierig. Der Internet-Kanal wird tendenziell eher als Kostenverursacher wahrgenommen und nicht als Möglichkeit zur Steigerung der Effizienz und Effektivität eines Mehrkanalvertriebssystems. Eine Herausforderung für zukünftige Projekte besteht darin, geeignete Ansätze zu entwicklen, welche eine bessere Quantifizierung des Wertschöpfungsbeitrags des Internet-Kanals ermöglichen. Hierzu müssten geeignete Vorgehensweisen und Kennzahlen identifiziert werden. Implementierung einer kanalübergreifenden Preispolitk im Mehrkanalvertrieb Anhand der kanalspezifischen Aufgabenprofile wurde in dieser Arbeit gezeigt, dass im Mehrkanalvertrieb Produkte und Services über unterschiedliche Vertriebskanäle distribuiert werden. Die Entscheidung, welche Kanäle auf welche Produkte und Services fokussieren, erfolgt anhand der Kompetenzen und Kostenstrukturen der einzelnen Kanäle sowie der Komplexität der Bankprodukte. Ungeachtet dessen, werden in der Bankpraxis viele Produkte gleichzeitg über unterschiedliche Kanäle vertrieben. Hierbei stehen Banken vor der Herausforderung zu definieren, ob die Einführung einer kanalübergreifenden Preisdifferenzierung sinnvoll ist. Diese Entscheidung gilt es, insbesondere vor dem Hintergrund zu betrachten, dass kanalspezifische Preise einen erheblichen Einfluss auf das Kundenverhalten und somit auch auf den Vertriebserfolg haben können. Im Rahmen der Vertriebssteuerung ist die Preisdifferenzierung im Mehrkanalvertrieb ein sehr wirksames aber auch gefährliches Mittel, um die Verhaltensweise von Kunden zu beeinflussen und zu steuern. Eine grosse Herausforderung für zukünftige Forschungsprojekte besteht darin, geeignete Modelle zur Preisdifferenzierung zu entwickeln, welche einen Beitrag zur Umsetzung einer Mehrkanalvertriebsstrategie sowie zur Steigerung des Vertriebserfolgs einer Bank leisten. Berücksichtigung von Kundenwert und Kundvorteile bei der Entwicklung einer Mehrkanalvertriebsstrategie In dieser Arbeit wurde gezeigt, dass ein geeignetes Kennzahlensteuerungssystem nur eine von verschiedenen Einflussgrössen für den Vertriebserfolg darstellt. Ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor sind einheitliche Aussagen (z.B. Einbezug aller Vertriebskanäle) zu einer Mehr- 721 Vgl. Teil 2, Abschnitt 4.4.2. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 240 kanalvertriebsstrategie. Dies bedeutet, dass die zentrale Frage, welchen Kunden welche Produkte über welche Kanäle zu welchen Preisen angeboten werden sollen, zuerst klar beantwortet werden muss. Bei dieser Frage müssen zwei zentrale Punkte reflektiert werden: Wie gelingt es einer Bank durch eine geeignete Ausgestaltung eines Mehrkanalvertriebssystems sowohl Kundenwert für die Unternehmung als auch Kundenvorteile für den Kunden zu schaffen? Zukünftige Forschungsprojekte sollten diese beiden Punkte aufgreifen und anhand empirischer Analysen aufzeigen, wie sich Kunden in Mehrkanalvertriebssystemen verhalten. Diese Erkenntnis würde die Erarbeitung von geeigneten Vertriebsstrategien und die Konfiguration von effektiven und effizienten Mehrkanalsystemen im Bankvertrieb massgeblich erleichtern. Die Wertschöpfung eines Geschäftsbereichs und damit auch der Beitrag zum Gesamterfolg der Bank könnten dadurch gesteigert werden. Erweiterte Perspektive durch die Integration von Prozessen von Back-Office-Einheiten Die vorliegende Arbeit fokussierte insbesondere auf die Vertriebsprozesse von Vertriebskanälen und somit Einheiten, welche im direkten Kundenkontakt stehen. In der Bankpraxis gibt es zahlreiche Back-Office-Einheiten (z.B. interne Dienstleistungszentren, Operations), welche die Vertriebskanäle bei der Abwicklung von Prozessen unterstützen. Damit die Prozesse in einem Mehrkanalvertriebssystem reibungslos abgewickelt werden können, müssen diese SupportProzesse in einer erweiterten Perspektive ebenso berücksichtigt werden. Eine Herausforderung für zukünftige Arbeiten ist daher zu klären – wie im Rahmen eines umfassenden Prozessmanagements einer Bank – die erarbeitete Konzeption mit anderen vorhandenen Kennzahlensystemen integriert werden kann. Anwendung der Konzeption auf andere Geschäftbereiche einer Bank Die in dieser Arbeit hergeleitete Konzeption wurde spezifisch für Banken entwickelt, welche im Privatkundengeschäft bzw. Retail-Banking tätig sind. Solche Institute verfügen meist über komplexe Vertriebssysteme mit verschiedenen miteinander vernetzten Kanälen. Mehrkanalvertriebssysteme gibt es jedoch auch in anderen Geschäftsbereichen einer Bank, insbesondere im Firmenkundengeschäft. Die spezifischen Problemstellungen in diesem Bereich konnten aufgrund des festgelegten Fokus dieser Arbeit nicht betrachtet werden. Zur Vertiefung und weiteren Festigung der gewonnenen Erkenntnisse sollten zukünftige Forschungsprojekte die erarbeitete Konzeption vor dem Hintergrund anderer Geschäftsbereiche weiterentwickeln und ergänzen. 3. Fazit und Ausblick In der vorliegenden Untersuchung wurde eine Konzeption für ein Kennzahlensystem erarbeitet, welches dazu geeignet ist, die Mehrkanalvertriebsstrategie einer Bank sowie die strategieorientierte Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems zu steuern. Die Konzeption wurde anhand von Anforderungen hergeleitet, welche im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion herausgearbeitet wurden. Bei der Entwicklung wurde darauf Wert gelegt, konzeptionelle Grundzüge von bestehenden und etablierten Kennzahlensystemen zu integrieren. TEIL 5: KRITISCHE WÜRDIGUNG UND AUSBLICK 241 Mit Hilfe einer umfassenden Einzelfallstudie wurde die Konzeption im konkreten Anwendungsfall erläutert. Das Hauptergebnis der Fallstudie war der Entwurf eines Kennzahlen-Reportings für den Bereich Private Clients der Credit Suisse. Anhand der Fallstudie konnte gezeigt werden, dass die entwickelte Konzeption geeignet ist, ein Mehrkanalvertriebssystem integriert anhand eines Kennzahlensystems zu steuern. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde allerdings auch betont, dass Kennzahlensysteme weder Selbstzweck noch Allheilmittel sind. Ein konzeptionell fundiertes und an die Vertriebsstrategie ausgerichtetes Kennzahlensteuerungssystem ist nur einer von verschiedenen Faktoren, welche Einfluss auf den Vertriebserfolg haben. Seine volle Wirksamkeit als effektives und effizientes Instrumentarium zur integrierten Vertriebssteuerung entfaltet sich es erst dann, wenn es in den Führungszyklus eingebunden wird. Es ist notwendig, die Vertriebsplanung und -kontrolle als Einheit zu betrachten, die insbesondere mit Kennzahlen sichergestellt wird: Die entwickelte Konzeption trägt dazu bei, Vertriebsziele strategieorientiert zu definieren, Massnahmen bei Zielabweichungen verursachergerecht einzuleiten und erzielte Ergebnisse zu überprüfen. Mit Hilfe dieses Dissertationsprojektes konnte folglich ein Beitrag zur Lösung des vorhandenen wissenschaftlichen und praktischen Problemlösungsbedarfs hinsichtlich der integrierten Vertriebssteuerung im Mehrkanalvertrieb von Banken geleistet werden. Die untersuchte Thematik ist nicht nur im Privatkundengeschäft von Banken eine relevante Problemstellung. Aus Sicht des Autors wäre es wünschenswert, wenn die hier vorgelegten Erkenntnisse intensiv auch in anderen Geschäftsbereichen oder sogar anderen Branchen verwendet und durchdrungen würden, um hierdurch eine inhaltliche Vertiefung zu erreichen. ANHANG 242 ANHANG Anhang 1: Verwendete Datenquellen Im nachfolgenden Verzeichnis sind im Überblick die verschiedenen Arten von Datenquellen aufgeführt, welche für die Erstellung der Einzelfallstudie verwendet wurden. Art der Datenquelle Zugang zur Datenquelle Zeitraum Teilnehmende und direkte Beobachtung Zugang zum Forschungsobjekt durch Festanstellung in den Bereichen Internet Banking (November 2004 – Januar 2006) und Channel Management (ab Februar 2006) November 2004 - Abschluss des Dissertationsprojekts Expertengespräche und Interviews Direkter persönlicher Kontakt zu zentralen Fachpersonen an vereinbarten Terminen Januar 2004 - Abschluss des Dissertationsprojekts Informelle Gespräche Spontaner persönlicher Kontakt zu verschiedenen Fachpersonen in der Unternehmenspraxis (z.B. Veranstaltungen, Mittagessen) Januar 2004 - Abschluss des Dissertationsprojekts Sitzungsprotokolle und E-Mail-Verkehr Direkter persönlicher Zugang im Zuge der Festanstellung beim Forschungsobjekt November 2004 - Abschluss des Dissertationsprojekts Firmeneigene Dokumente Direkter persönlicher Zugang zu Akten, Präsentationen, Intranet-Seiten etc. im Zuge der Festanstellung beim Forschungsobjekt November 2004 - Abschluss des Dissertationsprojekts Öffentlich zugängliche Dokumente Zugang über elektronische Datenbanken, April 2004 - Abschluss wissenschaftliche Zeitschriften, Fachma- des Dissertationsprojekts gazine, Pressetexte, Newsletter etc. Wissenschaftliche Fachliteratur (DeskResearch) Zugang über elektronische Zeitschriften- April 2004 - Dezember Datenbanken, Universitäts- und Fachbib- 2004 liotheken, Internet-Recherchen etc. ANHANG 243 Anhang 2: Interviewverzeichnis (standardisierte Expertengespräche) Das Interviewverzeichnis enthält die zentralen Expertengespräche, welche zur Validierung von Konzepten (Teil 1 – 3) oder während der Fallstudie mit der Credit Suisse (Teil 5) geführt wurden. Die Leitfäden für die Gespräche sind im Anhang 3 augeführt. Name/Firma/Bereich/Fachkompetenz722 Interview Datum/Ort/Zeit I-01 15.11.2005/08.12.2005 ! Daniel Koller Zürich ! Credit Suisse ! IT Performance Controlling and Reporting ! Fachkompetenzen: ! Controlling ! Strategisches Management I-02 09.12.2005/12.12.2005 ! Markus Beeler Zürich ! Credit Suisse ! Controlling Corporate & Retail-Banking ! Fachkompetenzen: ! Controlling ! Strategisches Management I-03 19.12.2005 Horgen ! ! ! ! Stefan Affolter Credit Suisse Front Support (Contact-Center) Fachkompetenzen: ! Marketing ! Controlling ! Strategisches Management I-04 20.12.2005 Horgen ! ! ! ! Heinz Brägger Credit Suisse Internet Business Solutions Fachkompetenzen: ! Marketing ! Organisation 722 Die aufgeführten Fachkompetenzen basieren auf dem theoretischen Bezugsrahmen (vgl. Teil 1, Kapitel 3). Die Beurteilung, welcher Experte über welche Fachkompetenzen verfügt, hängt von dessen Aufgabenbereich sowie von der subjektiven Einschätzung des Interviewers ab. ANHANG 244 I-05 27.12.2005 Zürich ! ! ! ! Stefan Schnyder Credit Suisse MIS Tools & Methods Fachkompetenzen: ! Controlling ! Strategisches Management I-06 20.01.2006 Horgen ! ! ! ! Damian Zech Credit Suisse Business Planning (Retail-Banking) Fachkompetenzen: ! Marketing ! Controlling ! Strategisches Management ! Organisation I-07 27.01.06/30.01.2006 Zürich/Horgen ! ! ! ! Thomas Langenegger Credit Suisse Sales Management (Retail-Banking) Fachkompetenzen: ! Marketing ! Organisation I-08 27.01.2005 Zürich ! ! ! ! Stefan Ehrat Credit Suisse Channel and Process Management Fachkompetenzen: ! Marketing ! Strategisches Management ! Organisation I-09 04.04.2006 Zürich ! ! ! ! Daniel Koller Credit Suisse IT Performance Controlling and Reporting Fachkompetenzen: ! Controlling ! Strategisches Management I-10 12.04.2006 Horgen ! ! ! ! Stefan Affolter Credit Suisse Front Support (Contact-Center) Fachkompetenzen: ! Marketing ! Controlling ! Strategisches Management ANHANG 245 I-11 26.04.2006 Horgen ! ! ! ! Heinz Brägger Credit Suisse Internet Business Solutions Fachkompetenzen: ! Marketing ! Organisation I-12 27.04.06 ! ! ! ! Marco Hahn Credit Suisse Workplace Management/CRM Fachkompetenzen: ! Marketing ! Strategisches Management ! Organisation I-13 05.05.05 Zürich ! ! ! ! Stefan Ehrat Credit Suisse Channel and Process Management Fachkompetenzen: ! Marketing ! Strategisches Management ! Organisation I-14 24.05.06 Zürich ! ! ! ! Daniel Koller Credit Suisse IT Performance Controlling and Reporting Fachkompetenzen: ! Controlling ! Strategisches Management I-15 02.06.06 Zürich ! ! ! ! Dirk Kleinalstede Credit Suisse Process Management Fachkompetenzen: ! Controlling ! Strategisches Management ! Organisation ANHANG 246 Anhang 3: Interview-Leitfäden (standardisierte Expertengespräche) Gesprächsleitfaden zu den Interviews I-01 bis I-08 Themen ! Integrierte Kennzahlensteuerungssysteme für den Mehrkanalvertrieb von Banken ! Anforderungen an ein Kennzahlensteuerungssystem aus Sicht Praxis Zielsetzung ! Beurteilung des integrierten Anforderungskonzeptes für ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken Fragen 1. Anforderungen an ein Kennzahlensystem für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems einer Bank ! Wie könnten die grundlegenden Anforderungen an ein solches Kennzahlensystem aus Sicht der Praxis umschrieben werden? ! Wie könnten die genannten Anforderungen aus Sicht der Praxis sinnvoll strukturiert bzw. gruppiert werden? 2. Entwicklungsvorgehen ! Was muss beim Entwicklungsvorgehen für ein Kennzahlensystem grundsätzlich berücksichtigt werden? ! Gibt es bei der Entwicklung eines Kennzahlensystems für den Mehrkanalvertrieb spezifische Faktoren zu berücksichtigen? – Ja: Von welchen Faktoren hängt das Entwicklungsvorgehen eines Kennzahlensystems ab? – Nein: Warum ist das Vorgehen immer generisch? 3. Auswahl der Kennzahlen ! Wie können die relevanten Kennzahlen für die Steuerung des Mehrkanalvertriebs identifiziert werden? ! Von welchen Faktoren hängt die Auswahl der relevanten Kennzahlen ab? 4. Konzeption des Kennzahlensystems ! Welches sind die Anforderungen an das konzeptionelle Design für ein Kennzahlensystem für den Mehrkanalvertrieb? ! Gibt es ein „richtiges“ Design oder situativ unterschiedliche Designs? – Ein „richtiges“ Design: Wie könnte dieses aussehen? – Situatives Design: Von welchen Faktoren hängt dieses ab? ANHANG 247 5. Integriertes Anforderungskonzept: Strukturierung der Anforderungsdimensionen ! Sind die Anforderungsdimensionen intuitiv nachvollziehbar und verständlich? ! Gibt es weitere Dimensionen, welche man berücksichtigen sollte? ! Gibt es Abhängigkeiten zwischen den Dimension? – Ja: Welche? – Nein: Warum nicht? ! Sind die spezifischen Anforderungen pro Dimension intuitiv nachvollziehbar und verständlich? ! Gibt es weitere Anforderungen, welche man in den jeweiligen Dimensionen berücksichtigen sollte? Gesprächsleitfaden zu den Interviews I-09 bis I-15 Themen ! Konzeption eines Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken Zielsetzung ! Beurteilung der Konzeption für ein Kennzahlensteuerungssystem für den Mehrkanalvertrieb von Banken aus Sicht Praxis Fragen 1. Beurteilung der Grundkonzeption und der idealtypischen Struktur ! Erfüllt die Grundkonzeption des Kennzahlensteuerungssystems die definierten Anforderungen (siehe Anforderungskonzept)? ! Ist die idealtypische Struktur mit den drei Ebenen und die damit verbundene Messkonzeption nachvollziehbar und verständlich? ! Ist die Messkonzeption für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems in der Praxis geeignet? 2. Beurteilung der drei Ebenen und der Kennzahlendimensionen ! Ist die Funktion der einzelnen Ebenen verständlich und nachvollziehbar? ! Sind die Kennzahlendimensionen der drei Ebenen anhand der beispielhaft aufgeführten Kennzahlen nachvollziehbar und sinnvoll? ! Sind die Kennzahlendimensionen für die Steuerung eines Mehrkanalvertriebssystems in der Praxis geeignet? ANHANG 248 Anhang 4: Konferenzen und Vorträge In der nachfolgenden Übersicht sind die Konferenzen und Vorträge enthalten, die vom Forscher im Verlauf seines Dissertationsprojektes besucht wurden. Die Erkenntnisse dieser Veranstaltungen wurden jeweils zur Diskussion sowie zur Reflexion der Forschungsergebnisse herangezogen. Veranstaltung Titel des Vortrags/Redner (Funktion) Datum/Ort Wertorientierte Vertriebssteuerung ! Wo steht die Vertriebssteuerung der Banken heute? (Dr. M. Foit, ibi research) ! Wertorientierte Vertriebssteuerung: Konzeption und Umsetzung in der Praxis (Prof. Dr. K. Wimmer, msg systems) ! Erfahrungsbericht: erfolgsorientierte Vergütung im System der wertorientierten Vertriebssteuerung (Hubert Platzer, Sparkasse Schwandorf) ! Wertorientierte Vertriebssteuerung und Benchmarking: Steigerung der Vertriebsstärke von Retail-Banken (Marco Nirschl, ibi research) 21.11.2005 Frankfurt am Main Finance Forum ! Das Internet als erfolgreicher Verkaufska- 01./02.11.2005 nal Zürich (Dr. T. Dührkoop, namics AG) ! Private-Banking – Quo vadis? (R. Altorfer, IBM Consulting) ! Systemunterstützte Vertriebsführung einer Bank (Bernard Kobler, Luzerner Kantonalbank) ! Retailbanken in der Schweiz – auf dem Weg zu profitablem Wachstum (J. Meier, Credit Suisse) LITERATURVERZEICHNIS 249 LITERATURVERZEICHNIS Aalst, W. v. d. (2000): Business Process Management Models, Techniques, and Empirical Studies, Berlin: Springer. Adrian, W. 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Lebenslauf Von Manuel Thomet, geboren am 26.09.1974 in Zürich, Schweiz Beruflicher Werdegang Ab Februar 2006 Credit Suisse, Channel Management, Zürich: - Business Analyst 2004-2006 Credit Suisse, Internet Banking Services, Horgen: - Business Projektleiter 2003-2004 Credit Suisse, IT International Management Services, Horgen: - Projektportfolio Manager 2001-2003 Credit Suisse, TOP Corporate Center, Zürich: - Management Assistant 2001 Credit Suisse, IT Management Europe, Zürich/Madrid: - Management Assistant - Assistant Testing Manager 2000-2001 Credit Suisse Group, Release Management youtrade, Oerlikon - Business Projektleiter Ausbildung 2003-2006 Universität St. Gallen HSG, IMH, St. Gallen: - Doktorandenstudium 1995-2000 Universität St. Gallen HSG, St. Gallen: - Lizenziat der Wirtschaftswissenschaften (lic. oec. HSG) 1999 Universität Lausanne HEC, Lausanne: - Austauschsemester “CH-Mobil” 1990-1994 Kantonsschule, Baden - Maturität Typ E (Wirtschaft)