Bipolare Depression: L-Thyroxin-Augmentation als Möglichkeit einer

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12.09.2003
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Schwerpunkt
Bipolare Depression:
L-Thyroxin-Augmentation als
Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung
Johanna Sasse
Johanna Sasse1, Ursula Köberle1, Tom Bschor2, Mazda Adli1, Monika Trendelenburg1,
Michael Bauer1
1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Charité Campus
Mitte (CCM)
Technische Universität Dresden
psychoneuro 2003; 29 (9): 400—402
Der Einsatz von Schilddrüsenhormonen in der Behandlung affektiver Erkrankungen ist seit
mehr als 40 Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Bei Patienten mit therapierefraktären affektiven Erkrankungen zeigte sich in neueren klinischen Studien ein gutes und
vielversprechendes Ansprechen auf die adjuvante Gabe von L-Thyroxin in supraphysiologischer
Dosierung. Um die Wirksamkeit und Sicherheit von hochdosiertem L-Thyroxin weiter zu untersuchen, wurde eine multizentrische, doppelblinde, plazebo-kontrollierte Studie unter der Leitung der Autoren kürzlich begonnen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren sollen 80 Patienten
mit einer bipolaren Depression an sechs verschiedenen Studienzentren eingeschlossen werden,
die entweder hochdosiert L-Thyroxin als Augmentationsbehandlung oder Plazebo erhalten.
A
uf die Möglichkeit, dass ein
Zusammenhang zwischen der
Stoffwechsellage der Schilddrüse und affektiven Erkrankungen
bestehen könnte, wurde man aufmerksam durch gewisse Überschneidungen im Symptomkomplex
bei verschiedenen psychiatrischen
und endokrinologischen Erkrankungen (9). So können sowohl hypothyreote als auch hyperthyreote Stoffwechsellagen zu psychiatrischen
Krankheitsbildern führen. Bei einer
Hypothyreose treten häufig Symptome einer Depression auf (8). Manische Symptome sind häufig gekoppelt mit dem Auftreten einer Schilddrüsenüberfunktion (18). Obwohl
bei der Mehrzahl der Patienten mit
einer affektiven Erkrankung eine
euthyreote Stoffwechsellage vorliegt, können dennoch subklinische
Störungen des Schilddrüsenstoffwechsels bei bestimmten Subpopulationen bipolar Erkrankter beobachtet werden (13). Bei Patienten
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mit einem Rapid-Cycling-Verlauf ist
die erhöhte Prävalenz für eine latente Schilddrüsenunterfunktion,
also das Vorliegen eines erhöhten
TSH-Spiegels, bei etwa 30 bis 50%
bekannt (11). Dieser beschriebene
Zusammenhang zwischen affektiven Erkrankungen und der HPTAchse führte zu verschiedenen Versuchen, Schilddrüsenhormone bei
Patienten mit affektiven Störungen
therapeutisch einzusetzen.
Datenlage
Behandlung der Depression mit
Trijodthyronin
Für den Einsatz von Trijodthyronin (T3) in der Akuttherapie der Depression gibt es zahlreiche Studien. T3
beschleunigt nicht nur den Wirkungseintritt in der Kombination mit
trizyklischen Antidepressiva (1), sondern es scheint auch als Augmentationsbehandlung bei einem Teil der Patienten mit therapieresistenter Depression wirksam zu sein (2).
Studien für T3 in der Langzeitbehandlung affektiver Erkrankungen
liegen nicht vor. Trijodthyronin ist
wegen der kurzen Halbwertszeit
und dem raschen Auftreten von thyreotoxischen Symptomen für eine
Hochdosistherapie ungeeignet.
Behandlung der Depression mit
L-Thyroxin
In der Therapie mit dem Prohormon von Trijodthyronin L-Thyroxin
(T4) unterscheidet man zwei therapeutische Prinzipien: den Einsatz von
T4 in normaler Dosierung als „Substitutionsdosis“ (bis 200 µg/d) und in
supraphysiologischer Dosierung (ab
200 µg/d) – physiologisch werden ca.
70 µg/d Schilddrüsenhormone sezerniert. In der Akuttherapie scheint T4
in normaler Dosierung nicht ausreichend wirksam zu sein. In einer doppelblinden Studie, die die Gabe von
Trijodthyronin mit normal dosiertem
L-Thyroxin bei Patienten mit der
Diagnose einer therapierefraktären
Depression verglich, schnitt die T4Gruppe signifikant schlechter ab (15).
Zur adjuvanten Langzeittherapie affektiver Erkrankungen mit T4 in Substitutionsdosierung liegen bislang
keine Studien vor. Jedoch gibt es einzelne Fallberichte, in denen die zusätzliche Gabe von niedrig dosiertem
T4 zu der Medikation mit Lithium ein
Rapid-Cycling bei bipolarer Erkrankung beenden konnte (14).
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2 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,
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Supraphysiologische
Behandlung
Stancer und Persad (16) berichteten als erste vom erfolgreichen
Einsatz von hochdosiertem T4 bei
Rapid-Cycling. Eine spätere Studie
mit elf prophylaxe-resistenten Rapid-Cycling-Patienten zeigte sowohl
eine Abnahme der Frequenz, als
auch der Amplitude affektiver Episoden. Bei einigen Patienten führte
diese Behandlung sogar zur Remission (10).
Unsere Arbeitsgruppe untersuchte 17 therapieresistente (12 bipolare und 5 unipolare) Patienten
unter einer hochdosierten T4-Therapie. Nach acht Wochen erfüllten acht
Patienten die Kriterien für eine Vollremission (≥ 50% Reduktion im
HRSD-21, max. ≤ 8 im HRSD-21).
Nach zwölf Wochen hatten zwei
weitere Patienten eine Vollremission erreicht. Innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten waren
60% der zuvor therapierefraktären
Patienten remittiert (6). Eine Studie
an therapieresistenten depressiven
Frauen mit bipolarer Störung zeigte,
dass sieben der zehn Patientinnen
nach sieben Wochen unter hochdosiertem T4 voll respondierten, die
anderen drei partiell (7). Ergebnisse
einer Untersuchung mit 21 prophylaxeresistenten unipolaren, bipolaren und schizoaffektiven Patienten,
die über einen durchschnittlichen
Zeitraum von 51 Monaten im Mittel
380 µg T4 pro Tag erhalten hatten,
zeigten ebenfalls vielversprechende
Ergebnisse: sowohl die Zahl der
Rückfälle als auch die Zahl der Krankenhausaufnahmen nahmen signifikant ab, bei einigen Patienten wurde
eine Vollremission erzielt. Bipolare
Patienten profitierten mehr von dieser Behandlung als unipolare oder
schizoaffektive (5).
folgenden Erkrankungen vor: bipolare Erkrankung mit Rapid Cycling,
prophylaxeresistente bipolare und
unipolare Erkrankung, therapieresistente depressive Episode (3).
Zur Risikoabwägung und zum Ausschluss ernster internistischer Erkrankungen müssen vor Beginn und
im Verlauf einer T4-Hochdosis-Therapie regelmäßig verschiedene Untersuchungen durchgeführt werden
(Tab. 1). Die Geschwindigkeit der
Aufdosierung ist abhängig vom initialen Schilddrüsenstatus des jeweiligen Patienten und der Verträglichkeit der Substanz. Bei latenter
oder manifester Hypothyreose sollte
eine langsame Aufdosierung beginnend mit einer niedrigen Dosis
(25–50 µg/d) T4 erfolgen. Bei euthyreoten Patienten kann mit einer
Startdosis von 100 µg/d begonnen
werden; eine Erhöhung um
wöchentlich 100 µg/d ist möglich.
Welche genaue Zieldosis wirksam
ist, muss noch weiter in klinischen
Studien
untersucht
werden.
250–400 µg/d scheinen aber hinsichtlich der Wirksamkeit und Verträglichkeit bei depressiven Patienten möglich. Die Dauer der T4-Hochdosis-Behandlung ist abhängig von
Tab. 1 Applikation von L-Thyroxin in supraphysiologischer Dosis bei
refraktären affektiven Erkrankungen
Klinische Indikationen
Ausschlusskriterien
Untersuchungen
Durchführung der
L-Thyroxin-Hochdosistherapie bei einer Depression
Da es sich bei der T4-HochdosisTherapie noch um ein experimentelles Verfahren handelt, muss die Indikation streng gestellt werden. Die
Wirksamkeit ist dabei für bipolare
Erkrankungen besser belegt als für
unipolare. Derzeit liegen Daten für
die Behandlung von Patienten mit
der Indikation. Bei der bipolaren Depression sollte ein Therapieversuch
mit hochdosiertem T4 mindestens
zwölf Monate betragen, um den Erfolg beurteilen zu können, bei Rapid
Cycling mindestens sechs Monate.
Bei gutem Ansprechen auf die Substanz kann die Behandlung zur Rezidivprophylaxe fortgeführt werden,
wobei sorgfältig auf Nebenwirkungen geachtet werden muss. Um die
Behandlung mit T4 zu beenden, kann
das Medikament wegen der langen
Halbwertszeit innerhalb von ein bis
zwei Wochen ausgeschlichen werden (3).
Eine Behandlung mit hochdosiertem T4 wird in der Regel erstaunlich gut vertragen. Zwei Drittel der
Patienten bemerken keine unerwünschten Nebenwirkungen. Wenn
Nebenwirkungen auftreten, sind
diese meist mild ausgeprägt. Beschrieben werden vermehrtes
Schwitzen, Verstärkung eines bestehenden Tremors, vorübergehende
Knöchelödeme und ein mäßiger Anstieg der Herzfrequenz um durchschnittlich 10–20 Schläge pro Minute (3). Dabei vertragen depressive
Patienten hochdosiertes T4 offenbar
besser als gesunde Kontrollpersonen
Dosierung
Rapid Cycling bei bipolarer affektiver Störung
Prophylaxeresistente affektive Störung
Behandlungsrefraktäre schwere depressive Episode (uni- und bipolar)
Schilddrüsenerkrankungenª (Hyperthyreose, Schilddrüsenadenom)
Kardiologische Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt in der Anamnese,
Arrhythmienb, instabiler, insuffizient behandelter Bluthochdruck)
Schwangerschaft; Stillzeit
Postmenopausale Frauen, die an einer Osteoporose erkrankt sind und
bei denen das Risiko einer Progredienz der Erkrankung besteht
Alter >70 Jahre
Schwere organische Hirnerkrankung (z.B. Demenz)
Psychiatrische und medizinische Anamnese und Untersuchung
Vitalparameter (Blutdruck und Puls), Körpergewicht, EKG
Knochendichtemessung (nur Patienten, die L-Thyroxin über einen
Zeitraum länger als 3 Monate erhalten)
Schilddrüsenfunktionstest (TSH, Schilddrüsenhormone: tT4, fT4, tT3,
Schilddrüsenautoantikörper)
Routinelaborparameter
Beratung durch Endokrinologen/Internisten
Startdosis 100 µg (bei initial euthyreoter Stoffwechsellage)
Zieldosis 250—400 µg (nach Verträglichkeit und klinischer Wirkung)
a Zusätzliche radiologische Untersuchungen bei Patienten (z.B. Sonographie oder Szinitigraphie der Schild-
drüse)
b 24-h EKG bei Arrhythmie
Nach Bauer et al. (3)
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– der Serumspiegel von Thyroxin
war während der Therapie mit T4 bei
Gesunden signifikant höher (4).
Wirkmechanismen der L-Thyroxin-Hochdosis-Behandlung
Im Gegensatz zu anderen Geweben deckt das Gehirn seinen Bedarf
an Schilddrüsenhormonen zu 70%
aus zirkulierendem Thyroxin, das
erst intrazellulär zu Trijodthyronin
dejodiert wird (12). Im Liquor depressiver Patienten finden sich erniedrigte Werte für das Protein, das
Thyroxin über die Blut-HirnSchranke transportiert (17). Dies
könnte zu einer „zentralen Hypothyreose“ führen, was für affektive Erkrankungen pathogenetisch bedeutsam sein könnte. Ein möglicher Ansatz der T4-Hochdosis-Behandlung
wäre somit ein Ausgleich dieser
„zentralen Hypothyreose“ durch
Substratüberschuss. Über ihre nukleären Rezeptoren nehmen Schilddrüsenhormone Einfluss auf die Proteinsynthese. So wird die Expression
verschiedener Zielgene moduliert.
Hiervon betroffen sind u.a. die hypothalamischen Hormone TRH und
CRH sowie der Glukosetransporter
GLUT-1, der für die Energieversorgung des Gehirns zuständig ist (9).
drüsenstoffwechsel sollen nicht nur
weitere Hinweise über Wirkmechanismen der T4-Therapie liefern, sondern auch die Sicherheit und Effizienz in der Wirksamkeit der Behandlung sichern. Die Studie wird gefördert vom Stanley Medical Research
Institute (SMRI, Bethesda, USA).
Since the early 1960s, the use of
thyroid hormones in the treatment of
affective disorders has been investigated repeatedly. The therapeutic and
prophylactic effects resulting from
adjunctive use of supraphysiological
doses of L-thyroxine appears to be
one of the promising strategies in severely ill and refractory patients with
bipolar disorders. To further assess
safety and efficacy of treatment with
high-dose L-thyroxine, a multicenter,
double-blind, placebo-controlled trial
has recently been initiated by the
authors. Patients with bipolar depression will be included in 6 study
sites and be randomly assigned to
either receive L-thyroxine 300 µg per
day or placebo.
Key Words
Levothyroxine – thyroid hormones –
bipolar mood disorder – depression
Ausblick
Um die Wirksamkeit und Sicherheit der T4-Hochdosistherapie weiter belegen zu können und so ihren
Einsatz in der Behandlung der bipolaren Depression zu etablieren, sind
weitere klinische Studien notwendig. Kürzlich hat unter der Leitung
der Autoren eine randomisierte, plazebo-kontrollierte, doppelblinde,
multizentrische Studie begonnen. In
die Studie sollen an sechs Studienzentren in Deutschland, USA und
den Niederlanden über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt 80
Patienten mit einer bipolaren Depression eingeschlossen werden.
Zusätzlich zu einer bestehenden
antidepressiven Medikation oder
Phasenprophylaxe werden die Patienten im Verlauf von 13 Wochen mit
300 µg/d T4 behandelt. Die regelmäßige Bestimmung des Schilddrüsenstatus während der Behandlung,
sowie eine genetische Untersuchung
an Kandidatengenen für den Schild-
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Korrespondenzadresse:
PD Dr. Dr. Michael Bauer
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Charité-Universitätsmedizin Berlin, CCM
Schumannstr. 20/21
10117 Berlin
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