Das Medianwählermodell

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Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.1
Das Medianwählermodell
► Das Medianwählermodell untersucht Entscheidungen, die auf Grundlage der Mehrheitsregel in einer
repräsentativen Demokratie gefällt werden
► 2 wesentliche Annahmen:
(1)
Wähler sind in der Lage, alle zur Wahl stehenden Alternativen auf einem eindimensionalen Kontinuum
(2)
einzuordnen
Wähler ziehen jeweils diejenigen Alternativen, die näher an ihrem am stärksten präferierten
Wahlergebnisses liegen, denjenigen Alternativen vor, die weiter weg von diesem liegen (eingipflige
Präferenzen)
► Alle Akteure im Modell handeln rational
• spezifische Rationalität der Wähler: Wahlentscheidung danach, welcher Kandidat ihnen persönlich den
höchsten Eigennutzen liefern wird
• spezifische Rationalität der Kandidaten: bestrebt, sich durch ihre politische Tätigkeit die Vorteile zu
verschaffen, die mit Regierungsämtern verbunden sind
► Weitere Annahmen: Wähler stimmen immer gemäß ihrer wahren Präferenzen ab; alle Wähler beteiligen sich
an der Wahl; u.a.
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.2
3-Personen-Modell
P
D1
DM
D3
T
Q
QL
Q′L QM
Q′H
QH
► Als Ergebnis einer Mehrheitswahl stellt sich die vom Medianwähler am höchsten wertgeschätzte
politische Alternative ein
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.3
Allgemeines Medianwählermodell
Zahl der Wähler
50% der
Wähler
50% der
Wähler
Median
links
L1
M
R1
rechts
Medianwählertheorem für eine repräsentative Demokratie:
Stimmenmaximierende Politiker bzw. Parteien werden dasjenige politische Programm annehmen, das
der Position des Medianwählers im politischen Spektrum entspricht
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.4
Extreme Kandidaten/Parteien: starke Mittelschicht
Zahl der Wähler
50% der
Wähler
50% der
Wähler
Median
links
L M
Stimmen für L
R
Stimmen für R
rechts
► Partei R wird einige sehr aktive Unterstützer haben, aber bei der Wahl werden der Medianwähler und auch
noch viele Wähler rechts vom Median die Position von L attraktiver finden
 extreme Kandidaten bzw. Parteien können Wahlen in Ländern mit starker Mittelschicht nicht gewinnen
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.5
Extreme Kandidaten/Parteien: polarisierte Wählerschaft
Zahl der Wähler
50% der
Wähler
50% der
Wähler
Median
links
L
M
R
rechts
► keine Annäherung der Parteien
► sehr scharfe ideologische Auseinandersetzungen und sehr drastische Änderungen der Politik nach
Machtwechseln
 Tendenz zu politischem Chaos und Revolution (z.B. Weimarer Republik ab 1930)
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.6
Eine „Winner takes all“-Demokratie tendiert zu einem 2-Parteien-System
Zahl der Wähler
50% der
Wähler
50% der
Wähler
Median
links
L M R
P
rechts
Wenn z.B. auf der politischen Rechten eine neue 3. Partei P auftritt, kommen alle ihre Stimmen aus dem Lager,
das ansonsten Partei R gewählt hätte, so dass im Ergebnis weder R noch P eine Chance haben, für ihren jeweiligen Kandidaten eine Mehrheit zu gewinnen. Daher ist in einer „Winner-takes-all“-Demokratie, wie den USA,
die gleichgewichtige Anzahl an politischen Parteien gerade zwei
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.7
Dynamik der Parteienkonkurrenz in ausdifferenzierten Gesellschaften
► Es wirken neben den beschriebenen zentripetalen Kräften auch noch zentrifugale Kräfte, die eine Bewegung
der Parteien aufeinander zu bremsen oder verhindern:
(1) Der Gewinn einer Wahl erfordert die Mobilisierung von finanziellen und personellen Ressourcen, die
wiederum eine gewisse Divergenz der Parteiprogramme voraussetzt
(2) Binnenstruktur von Parteien:
• der parteiinterne Medianwähler wird bei einer linken Partei weiter links und bei einer rechten Partei weiter
rechts im politischen Spektrum liegen als in der Wählerschaft insgesamt,…
• … und für eine Maximierung der parteiinternen Zustimmung müssen (Spitzen-) Kandidaten ein
Programm anbieten, das den Vorstellungen des Median-Parteimitglieds entspricht
(3) Gefahr, dass an einem vernachlässigten ideologischen Flügel Wähler verlorengehen (Wahlenthaltung,
Gründung neuer Partei)
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.8
Analytische Robustheit und empirische Anwendungsgrenzen des Medianwählermodells
► mehrdimensionale politische Präferenzen oder mehrgipflige Präferenzen
• Wenn nicht alle politischen Ansichten entlang eines einzigen Spektrums geordnet werden können oder
Präferenzen nicht eingipflig sind, verliert des Medianwählertheorem seine Gültigkeit
► Ideologie
• Medianwählermodell: Politiker sind einfache Stimmenmaximierer; aber häufig liegen Politikern auch
noch andere Dinge am Herzen als nur der Wahlgewinn; u.a.: politische Ideologie
► Personen
• Die Annahme, dass die Stimmabgabe der Wähler nur von politischen Inhalten abhängt, kann unrealistisch
sein; Personen können viel wichtiger sein (TV-Demokratie!)
► politische Führung
• im Medianwähler-Modell reagieren Politiker rein passiv auf die Wünsche der Wähler; aber die politischen
Ansichten können von den Politikern selbst beeinflusst werden
► Wahlbeteiligung
• Medianwählermodell: 100%ige Wahlbeteiligung, keine Kosten der Informationsbeschaffung, des
Wahlganges; Problem: Wahlbeteiligung ist irrational!
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.9
Informationen und Anreize
► Paradoxie des Wählens: Obwohl die Wahl durch die Gesamtheit aller Stimmen entscheiden wird
(„jede Stimme zählt“), hat keine einzelne Stimme einen Einfluss auf die Wahlentscheidung
► Wähler sammeln politische Informationen nur entsprechend ihrer persönlichen Interessen und
sind ansonsten mit Blick auf die meisten politischen Sachfragen rational ignorant
► Im Gegensatz dazu haben partikulare Interessen und ihre Vertreter einen Anreiz, sich über die
politischen Belange zu informieren, die sie direkt betreffen
► Als Ergebnis dieser asymmetrischen Anreizstruktur ergibt sich die Tendenz, dass partikulare
Interessen einen übermäßig hohen Einfluss auf politische Entscheidungen haben
► In dem Ausmaße, in dem das informationelle Problem der rationalen Ignoranz zusammen mit der
Dominanz partikularer Interessen die Politik beeinflusst, ist das Medianwählermodell keine
aussagekräftige Beschreibung der politischen Realität in einer Demokratie
Univ.-Prof. Dr. Stefan D. Josten
Ökonomische Theorie der Politik A.4.10
Die Nachfrage nach sofortigen Ergebnissen
► Funktionsproblem der Demokratie: Tendenz der politischen Akteure, kurzfristig wirksame
politische Maßnahmen zu ergreifen, anstatt diejenigen politische Maßnahmen durchzusetzen, die
langfristig im Interesse der Allgemeinheit sind
► Da Wahlergebnisse durch die wirtschaftliche Lage zur Zeit der Wahl mit beeinflusst werden,
haben die politischen Akteure Anreize, kurzfristig expansiv wirkende Maßnahmen (Fiskalpolitik
oder neue Ausgabenprogramme bzw. gesetzliche Regulierungen, die partikulare Interessen
bedienen) zu ergreifen, selbst wenn diese langfristig kontraproduktiv wirken
► Politische Akteure haben Anreize zu kurzfristig wirksamer Politik, die ihnen bei der nächsten
Wahl zusätzliche Unterstützung und Stimmen verspricht, auch wenn sie langfristig das
Allgemeinwohl nicht mehren, sondern mindern
► Weil Politiker immer die nächste Wahl gewinnen müssen, um ihre Macht und die damit
verbundenen Privilegien zu bewahren, ist staatliche Politik in der Tendenz kurzsichtig
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