Jahrbuch 2004/2005 | Fischer, Gunter; Bordusa, Frank | Zusammenhang zw ischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen Zusammenhang zwischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen Studies of the Relationship between Biological Activity and Local Conformational Changes in Proteins Fischer, Gunter; Bordusa, Frank Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung, Halle/Saale Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Aufrechterhaltung normaler physiologischer Funktionen einer Zelle oder von Zellverbänden ist direkt mit der Sicherung der nativen, funktionalen Konformation zellulärer Proteine verbunden. Konformativ abw eichende Proteine können ihre Funktion nicht erfüllen und sind im schlimmsten Falle sogar zelltoxisch. Unter diesen Umständen spielen sie oft für die molekulare Pathogenese vieler Erkrankungen beim Menschen eine entscheidende Rolle. Der Zusammenhang zw ischen Konformation und biologischer Aktivität eines Proteins w ird durch ein außerordentlich komplexes Netzw erk intra- und intermolekularer Wechselw irkungen bestimmt. Globale Konformationsänderungen in einem Protein sind durch Membraninsertion, Denaturantien, Stabilisatoren und andere Zusatzstoffe leicht zu erzielen. Immer sind Hunderte von chemischen Bindungen im Protein gleichzeitig von Konformationsänderungen betroffen. Bisher w eiß man w enig über die Beziehungen zw ischen definierten Konformationsänderungen und der dadurch bedingten Modifizierung der Proteinfunktion. Als Ursache gilt, dass es nur unzureichend gelingt, schnelle, selektive Konformationsänderungen einzelner Atomgruppen in einem Protein zu bew irken, an einem vorbestimmten Ort der Polypeptidkette zu platzieren und den biologischen Effekt dieser Änderungen unmittelbar zu untersuchen. Gunter Fischer und seine Mitarbeiter haben neue Verfahren entw ickelt, um den Einfluss der Konformation einer einzelnen Peptidbindung auf die enzymatische Aktivität von RNase S und die Strukturbildung bei einer Polyprolin II-Helix zu messen. Neben der gezielten „Umschaltung“ einer lokalen Konformation in Proteinen steht die Frage der Induktion nativer Proteinkonformationen durch intermolekulare Wechselw irkungen im Fokus der Untersuchungen. Durch dieses Verfahren kann es gelingen, nicht-native Faltungszustände w ieder funktional w erden zu lassen. Die W issenschaftler der Max-Planck-Forschungsstelle für Enzymologie der Proteinfaltung haben das IANUSVerfahren (IANUS: : Induced orgANization of strUcture by matrix-assisted togethernesS) entw ickelt. Dabei w erden Bibliotheken von Peptidpaaren auf einer planaren Matrix synthetisiert, die aus binären Protein-ProteinKomplexen abgeleitet sind. Unter den Bedingungen des IANUS-Verfahrens kann man aus den Peptidpaaren die Architektur der Protein-Protein-Interaktionsstellen bestimmen. Summary Preservation of the functional conformation of proteins may be critical for maintaining the physiological function of cells and tissues. Being toxic in the extreme case, proteins w ith aberrant conformational properties lack © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2004/2005 | Fischer, Gunter; Bordusa, Frank | Zusammenhang zw ischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen proper functioning in cells. More specifically, a defective protein conformation w as show n to play a major role in the molecular pathogenesis of many human diseases. A highly complex array of intra- and intermolecular interactions determines the relationship betw een conformation and biological activity of a protein. Denaturants, membrane insertion, stabilizers and other additives w ere considered suitable for inducing conformational changes of a protein on the global scale. How ever, the conformational process involves the simultaneous sw itching of hundreds of chemical bonds. Until now deciphering the relationship betw een a local conformational change and the function of the protein involved is restricted to a few cases. Major limitations are (1) a lack of fast methods to sw itch a limited polypeptide segment to another position, (2) to position the conformational change at a predetermined site (3) to directly probe the new conformational state for biological activity. Gunter Fischer and colleagues have developed new methods for measuring the effect of a very local conformational change, predisposing a single peptide bond in the polypeptide chain, on the enzymatic activity of RNaseS and the structure formation of a polyproline II helix. In addition, methods for induction of native protein conformation by external forces, w hich relate to conformational sw itching at local sites on the molecular level, have been investigated. It can be hypothesized that a ligand complementary to the binding site of a native protein induces a functional protein state in a non-native protein. A group at the Max-PlanckResearch Unit for Enzymology of Protein Folding created the IANUS procedure (IANUS: Induced orgANization of strUcture by matrix-assisted togethernesS). A library of matrix-bound peptide pairs characterizes the IANUS experiment w here a low resolution three-dimensional picture of protein-protein interaction sites can be evaluated on the basis of sequence information only. Conformational induction of native-like polypeptide segments forms the molecular basis of the IANUS method. Die Bioaktivität eines Proteins ist direkt an dessen Faltungszustand gekoppelt und somit mit der Konformation der Polypeptidkette verknüpft. Die globale bioaktive Konformation eines Proteins ist eine gut zugängliche Größe und w ird durch dessen dreidimensionale Struktur im nativen Zustand charakterisiert. Die Zusammenhänge zw ischen der Konformationsdynamik und der biologischen Aktivität sind w eniger gut untersucht, obw ohl Konformationsänderungen zw angsläufig ein Bestandteil der Adaption der Proteine an ihre zelluläre Funktion sind. Noch w esentlich unschärfer sind Informationen darüber, inw iew eit streng lokalisierte Konformationsänderungen – etw a innerhalb des Radius einer einzelnen funktionellen Gruppe oder Bindung – biologische Aktivitäten tangieren. Globale, sich über Hunderte und Tausende von Bindungen erstreckende simultane Konformationsänderungen sind leicht zu erreichen, w ie man aus Faltungs/Entfaltungsexperimenten der Proteine gut ableiten kann. Allerdings ist auch bei diesen Experimenten die Zuordnung eines bestimmten Faltungszustandes zur biologischen Aktivität des Proteins in den meisten Fällen nicht gelungen. Gunter Fischer und Frank Bordusa haben mit der Substitution einer Peptidbindung durch die isostere Thioxopeptidbindung einen universell anw endbaren, photoaktivierbaren konformationellen Schalter in eine Polypeptidkette eingeführt. Durch UV/Vis-Bestrahlung eines Thioxopeptids, das eine sekundäre ThioxoamidPeptidbindung enthält, w ird der ursprüngliche Gehalt am cis-konformeren Peptid von zirka 0,2 auf bis zu 20 % mit einer Zeitkonstanten im Pikosekundenbereich erhöht. Alle übrigen Bindungen in einer Polypeptidkette bleiben konformativ unbeeinflusst. Somit w ird eine genau definierte Konformationsänderung in einem eng begrenzten Bereich einer Polypeptidkette erreicht, bei dem sich der Abstand der C-alpha-Atome der durch die Thioxopeptidbindung verbundenen Aminosäuren um zirka 0.8 Ảngström verkürzt. Bei der Photoschaltung der Thioxopeptidbindung von trans nach cis zw ischen den Aminosäuren Ala4 und Ala5 des S-Peptides von RNase S gelang es nachzuw eisen, dass die enzymatische Aktivität der RNAse S komplett verloren geht. Dies geschieht, obw ohl die photoinduzierte Konformationsänderung relativ w eit entfernt vom aktiven Zentrum des Enzyms stattfindet. Schaltet man die Peptidbindung in die ursprüngliche Konformation © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2004/2005 | Fischer, Gunter; Bordusa, Frank | Zusammenhang zw ischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen zurück, w ird das Enzym w ieder voll aktiv. In einem zw eiten Beispiel haben die W issenschaftler die für Protein-Protein-Wechselw irkungen äußerst bedeutsame Polyprolin II-Helix mittels der photoschaltbaren Thioxosonde untersucht. Hier stand der bisher offene Bildungsmechanismus für diese Sekundärstruktur zur Diskussion. Fischer und sein Team haben herausgefunden, dass Konformationsänderungen innerhalb der Helix räumlich gerichtet sind. Alle Rotationsbew egungen in bereits gebildeten Helixbereichen verlangsamen das Kettenw achstum, w enn sie Cterminal zu einem noch nicht in die Helix eingebundenen Prolinrest lokalisiert sind. Sind die Helixbereiche Nterminal vorhanden, sind sie w eitgehend ohne Einfluss auf die Kettenverlängerung (Dirk W ildemann, Stephan W aw ra, Christian Lücke). Die Forschergruppe in Halle untersuchte w eiterhin die Möglichkeit, aus den Interaktionsdaten kurzkettiger Oligopeptide – abgeleitet aus den Aminosäuresequenzen zw eier interagierender Proteine oder eines Proteins und eines Peptides – die Architektur der Interaktionsstellen im Proteinkomplex abzuleiten. W ährend kurzkettige Peptide durch automatisierte chemische Synthese leicht zugänglich sind, müssen zur Herstellung von Proteinen aufw ändige biologische Verfahren angew andt w erden. In manchen Fällen sind native Proteine in den Mengen, die zur Charakterisierung von Protein-Protein-Wechselw irkungen notw endig sind, überhaupt nicht zugänglich. Eine einfache Methode, die in der Lage ist, ein dreidimensionales Bild der Wechselw irkungsstellen und der daran beteiligten Sequenzbereiche zu liefern, ist daher für biologische und pharmakologische Forschungen außerordentlich hilfreich. Zu diesem Zw ecke w urde das IANUS-Verfahren entw ickelt und am Streptavidin-Strep-tag II-Komplex erprobt. © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2004/2005 | Fischer, Gunter; Bordusa, Frank | Zusammenhang zw ischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen P rinzip de r IANUS-Me thode : Zwe i a n e in bifunk tione lle s Te m pla tm ole k ül ge bunde ne O ligope ptide we rde n a uf de finie rte n Spots a uf e ine r Ze llulose m e m bra n synthe tisie rt. O ligope ptid I ist a us de r Am inosä ure se que nz e ine s inte ra gie re nde n P rote ins A (IP A) und O ligope ptid II a us de r Am inosä ure se que nz se ine s Inte ra k tionspa rtne rs P rote in B (IP B) a bge le ite t. Die IANUS-P e ptidm e m bra n wird m it P rote in IP A ink ubie rt und a uf Bindung de s P rote ins IP A a n de n je we ilige n Spot m itte ls W e ste rn-blot-Ana lyse ge te ste t. (A) Na tivä hnliche Inte ra k tion inne rha lb de s O ligope ptidpa a re s unte rdrück t die Bindung de s Antik örpe rs a n de n je we ilige n Spot. Es ist k e ine Spotfä rbung zu be oba chte n. (B) Fa lls k e ine Inte ra k tion im P e ptidpa a r zu ve rze ichne n ist, wird de r Antik örpe r ge bunde n. De r Spot wird dunk e l ge fä rbt. © Ma x -P la nck -Forschungsste lle für Enzym ologie de r P rote infa ltung Zur Lösung des Verteilungsproblems der multiplen Peptidkonformationen w urde die effektive Konzentration der potenziell interagierenden Oligopeptide durch intramolekulare Anordnung beider Ketten auf einem matrixfixierten bifunktionalen gabelförmigen Molekül (Templat) so erhöht, dass eine konformationelle Induktion erfolgen kann. Die in den Peptidpaaren induzierten nativ-ähnlichen Interaktionen w urden über ein antikörpergestütztes Detektionssystem von nicht-interagierenden Oligopeptidpaaren unterschieden (Abb. 1). Beim IANUS-Verfahren w ird die gesamte Kollektion der potenziellen Interaktionsstellen in einem Spot-Array erfasst. Ein Peptidblock umfasst somit die gesamte Aminosäuresequenz des jew eiligen Proteins in Form von überlappenden, gleich langen Oligopeptiden. Für den Streptavidin-Strep-tagII-Komplex, dessen dreidimensionale Struktur durch Röntgenstrukturanalyse bekannt ist, w urde mit der IANUS-Methode die nahezu vollständige Bindefläche beider Moleküle erfasst. Es w urde vor allem keine Bindeflächenerkennung von falsch-positive Interaktionsstelle Proteinkomplexen, die auf der identifiziert. Diese konformativen neue Induktion Strategie der komplementärer molekularer Oberflächen von Oligopeptidpaaren beruht, ist erw eiterungsfähig. Durch Fluoreszenzmarkierung gelang es bereits, komplementäre Oberflächen der IANUS-Peptidpaare direkt zu detektieren. Damit kann man eine Interaktionsanalyse durchführen, die als Informationsbasis ausschließlich die Primärstrukturen der interagierenden Proteine nutzt. Die Herstellung eines Proteins in Substanz ist dann nicht mehr erforderlich © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2004/2005 | Fischer, Gunter; Bordusa, Frank | Zusammenhang zw ischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen (Cordelia Schiene-Fischer, Günther Jahreis, Chao Yu, Miroslav Malesevic, Mike Schutkow ski). Konformative Erkennungsprozesse w erden auch bei hochspezifischen Antikörper-Antigen-Reaktionen realisiert. Molekulare Basis dieser Erkennungsprozesse ist im Falle von peptidischen Epitopen primär die Abfolge der im Epitop vorhandenen individuellen Aminosäuren (Primärsequenz). Diese können aufeinanderfolgend auf der Polypeptidkette angeordnet sein (lineares Epitop) oder aber infolge der Strukturierung des proteinogenen Bindungspartners ein so genanntes nicht-lineares Epitop ausbilden, bei dem die durch den Antikörper selektiv erkannten Aminosäuren in der Primärsequenz w eit voneinander entfernt positioniert sein können. Damit liefert die Analyse derartiger Interaktionen Strukturdaten, die neben einer rein diagnostischen Anw endung auch Relevanz für Konformationsuntersuchungen in Proteinen besitzen. Letztere ist besonders bedeutsam, w eil die konformationsspezifische Identifizierung von Xaa-Pro-Bindung (Xaa steht für eine beliebige Aminosäure) in Proteinen unter Zellbedingungen noch ungelöst ist, aber besonders für im Zellzyklus verankerte Proteine von hoher Relevanz w äre. Voraussetzung für den effizienten Einsatz dieser Sonden ist jedoch ein analog sensitives Detektionssystem für den Antikörper selbst. Ideal hierfür w äre die Dekoration des Antikörpers mit bereits in geringer Konzentration nachw eisbaren Reportergruppen. Die Einführung solcher Funktionalitäten führt allerdings w egen der fehlenden Selektivität chemischer Modifizierungsreaktionen in aller Regel zu einer Modifizierung der Epitop-bindenden Bereiche des Antikörpers und damit zu dessen Inaktivierung. Die Forscher der Max-Planck-Forschungsstelle lösten dieses Problem durch die Verw endung einer so genannten ,Restriktionsligase’. Dieses, durch den Austausch von vier Aminosäuren aus der Serinprotease Trypsin erhaltene Enzym, erkennt selektiv die Tetraaminosäure-Sequenz Tyr-Arg-His-Ala und katalysiert in einer Transamidierungsreaktion die Abspaltung der Teilsequenz Arg-His-Ala unter Ersatz mit einer analogen, jedoch die Reportergruppe enthaltenden Peptidsequenz. Der Einbau dieser Erkennungssequenz in die C-terminale Region der beiden Fa b -Fragmente (Fa b : Antigen-bindende Region des Antikörpers) führt demzufolge neben der Abspaltung der für die Epitop-Bindung verantw ortlichen Fa b Fragmente gleichzeitig zu deren C-terminaler Modifizierung mit der entsprechenden Reportergruppe (Abb. 2). Das Produkt dieser Reaktion, ein funktionell auf die Bindung des Epitops verkürzter und selektiv am CTerminus markierter Antikörper, lässt sich direkt für Faltungsstudien einsetzen (Frank Bordusa, Sandra Liebscher in Kooperation mit Roche Diagnostics). © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2004/2005 | Fischer, Gunter; Bordusa, Frank | Zusammenhang zw ischen biologischer Aktivität und lokalen Konformationsänderungen in Proteinen Stra te gie zur se le k tive n Abspa ltung de r Epitop-binde nde n F abFra gm e nte von Antik örpe rn unte r gle ichze itige r C -te rm ina le r Ma rk ie rung (6-C F: 6-C a rbox yfluore scin) m itte ls e ine r von de r Se rinprote a se Trypsin a bge le ite te n synthe tische n ,R e strik tionsliga se ’. Als P roduk t die se r R e a k tion we rde n funk tiona le und se le k tiv m it R e porte rgruppe n m a rk ie rte Antik örpe r-Fra gm e nte für Konform a tionsunte rsuchunge n e rha lte n. © Ma x -P la nck -Forschungsste lle für Enzym ologie de r P rote infa ltung © 2005 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6