Deutsches Ärzteblatt 1973: A-2378

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Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
KOMPENDIUM
Die zytostatische Behandlung
der Hirngliome
Professor Dr. med. Gustav Simon
Aus der Neurochirurgischen Abteilung (Chefarzt Prof. Dr. med. G. Simon)
des Allgemeinen Krankenhauses Heidberg, Hamburg
Die Verabreichung von Zytostatika
als alleinige therapeutische Maßnahme ist wegen der Besonderheiten des Wachstums maligner Tumoren aussichtslos. Mit dieser Medikation gelingt es nicht, das Volumen der Geschwulst durch Gewebszerfall rasch und nachhaltig
zu vermindern und den Hirndruckzustand zu beseitigen. Die zytostatische Therapie ist daher nur eine
postoperative Maßnahme. Sie soll,
wenn möglich, Reste des Tumors
zerstören (?), vor allem aber sein
Neuwachstum verhindern beziehungsweise hemmen.
Seit eineinhalb Jahrzehnten werden größere Versuchsreihen bei
Patienten mit Hirngliomen durchgeführt. Überblickt man ihre Ergebnisse, muß man zugeben, daß leider bisher weder eine Substanz
noch eine Anwendungsform gefunden worden ist, der man einen
wirklich befriedigenden Therapieerfolg zuerkennen könnte. Ein Bericht über die zytostatische Therapie der malignen Hirngeschwülste
kann sich daher gegenwärtig noch
nicht auf fundierte Therapieerfahrungen und -erfolge stützen; man
muß sich leider noch auf eine
„Übersichtsdarstellung der gegenwärtig beschrittenen therapeutischen Wege" beschränken.
Für die zytostatische Therapie
werden zahlreiche Substanzen verwendet, die das Geschwulstwachstum auf verschiedenem Wege zerstören (?), jedenfalls hemmend be-
einflussen. Die alkylierenden Substanzen, zu denen die N-Lost-Abkömmlinge und die Äthyleninnine
gehören, hemmen die Nukleinsäuresynthese und die Reaktion mit
der bereits gebildeten, nativen Desoxyribonukleinsäure. Die Antimetaboliten wirken indirekt auf den Teilungsstoffwechsel und die Mitose.
Sie werden wegen ihrer Ähnlichkeit mit den natürlichen Stoffwechselprodukten in die Tumorzelle aufgenommen und dort anstatt eines
normalen Intermediärproduktes
umgesetzt. Die Alkaloide der Vinca
rosea wirken als ausgesprochenes
Mitosegift und blockieren in der
Metaphase die Spindel.
Nebeneffekte
Alle Zytostatika sind mit Nebenwirkungen belastet, da sie keine selektive, nur auf die Tumorzelle abgestellte Wirkung entfalten. Diese
Nebenwirkungen, die insbesondere
die sich rasch regenerierenden Gewebe, die Knochenmark, Gonaden,
Schleimhäute des Magen- und
Darmtraktes betreffen, schränken
ihre Anwendbarkeit erheblich ein.
Aus diesem Grunde suchte man
nach besonderen Wegen, um das
Zytostatikum dem Tumorgewebe
direkt und in möglichst hoher Konzentration zuzuführen, wobei die
Nebenschäden des Gesamtorganismus relativ gering wären. Die
Besonderheiten der zerebralen Gefäßversorgung mit den am Hals gut
2378 Heft 37 vom 13. September 1973 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Bisher wurden weder eine
Substanz noch eine Darreichungsform gefunden, die zu
einer befriedigenden zytostatischen Therapie bei Hirntumoren geführt hätten. Nahezu alle Zytostatika wurden
erprobt, aber nur wenige haben sich behaupten können.
Vor allem die Nebenwirkungen dieser Substanzen
schränken ihre Anwendbarkeit ein. Ein offenbar erfolgversprechender Weg bahnt
sich mit der Radiosensibilisierung an; kombiniert mit einem Zytostatikum konnten
beachtliche Ergebnisse erzielt werden.
zugänglichen Hauptgefäßen legten
es nahe, daß man das hochdosierte Zytostatikum dem Tumor auf direktem, intraarteriellem Wege zuführen könnte. Diese Behandlungsform fand praktische Anwendung
(intraarterielle Infusion), desgleichen die sich daraus ableitende
letzte Konsequenz, die Perfusionsbehandlung des Gehirns. Da aber
der zerebrale Kreislauf nicht vollständig geschlossen ist, also keine
„idealen Vorbedingungen" vorliegen, mußte man diese Behandlungsform wegen des zu geringen
Nutzens und der zu hohen Gefahr
wieder aufgeben.
Alkylierende Substanzen
Bei malignen Gliomen, vor allem
den Glioblastomen, sind fast alle
gebräuchlichen Zytostatika erprobt
worden; nur wenige konnten sich
behaupten. Von den alkylierenden
Substanzen wurde Cyclophosphamid am häufigsten angewendet;
über diese Substanz liegen auch
zahlreiche Untersuchungen vor. Die
Versuche mit Tritium-markiertem
Cyclophosphamid (Endoxan) zeigten, daß sich das Molekül zwar im
Tumor und im Liquor anreichern
ließ; bei der Aufschlüsselung der
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Gliom
einzelnen Bestandteile des Moleküls ergab sich aber, daß die zytostatische beziehungsweise zytotoxisch wirkende Komponente nur
sehr gering vertreten war. Diese
Befunde erklärten den begrenzten
klinischen Erfolg, der über lange
Zeit ausgedehnten Behandlungsversuche.
Das Zytostatikum kann allerdings
wegen seiner anerkannt guten Verträglichkeit hoch dosiert werden.
Als Anwendungsform eignet sich
wegen des Formwandels (Transport-Wirkformprinzip) nur die intravenöse Injektion, nicht die intraarterielle Infusion.
Antimetaboliten
Über die Antimetaboliten, von denen sich das Methotrexat bewährte, liegen ebenfalls umfangreiche
Untersuchungen, zum Teil auch
vergleichende Untersuchungen mit
anderen zytostatischen Substanzen, vor. Die anfänglichen Mißerfolge gingen zurück, als man das Mittel mit dem Citrovorum-Faktor neutralisierte und kombinierend intraarteriell in Form von Infusionen
verabreichte.
Alkaloide der Vinca rosea
Die Alkaloide der Vinca rosea
(Vincristin und Vincaleukoblastin)
wurden ebenfalls bei malignen
Gliomen verwendet; bei intraarterieller Anwendung der Substanz
wurden gewisse Therapieeffekte
beobachtet.
In letzter Zeit sind auch noch andere Wege der Chemotherapie beschritten worden. Durch intraarterielle Zufuhr einer Aufschwemung von
Mikroorganismen, eines apathogenen Clostridienstammes (M 55) erzielte man eine Onkolyse im Hirntumor, so daß sich der zerfallene
Tumor leicht absaugen ließ. Die
Methode brachte keine radikale Tumorbeseitigung, so daß Therapiekombinationen mit Zytostatika erwogen werden mußten. Ihre Anwendung blieb beschränkt.
-
zytostatische Behandlung
Radiosensibilisierung
Ein weiterer — offenbar erfolgversprechenderer — Weg wurde mit
der Radiosensibilisierung beschritten. Durch Zufuhr von Bromuridin
gelingt es, in der Zellkultur Hirntumorgewebe strahlensensibler zu
machen. Da das normale Hirngewebe, geschützt durch die BlutHirn-Schranke, kein Bromuridin einlagern kann, reichert es sich im Tumorgewebe fast selektiv an.
Die folgende Bestrahlung führt bei
dem so sensibilisierten Tumorgewebe zu ausgedehnter und nachhaltiger Zerstörung. Durch die
Kombination des Bromuridins mit
einem Zytostatikum, wie dem Methotrexat, ließ sich der Therapieeffekt erheblich steigern. Es liegen
jetzt umfangreiche klinische Untersuchungen und Behandlungsversuche vor, die einen beachtlichen
Therapieeffekt beweisen. Beide
Mittel, sowohl Bromuridin als auch
Methotrexat, werden in Form intraarterieller Infusionen über die
gleichseitige Arteria carotis interna gegeben; ein bis zwei Wochen
später wird dann radiologisch
nachbehandelt.
Das ist der gegenwärtige Stand der
zytostatischen Therapie bei malignen Hirngliomen. Zytostatika und
ihre Anwendungsformen weichen
bei metastasierenden Hirngeschwülsten etwas ab; hier spielt
die lokale Anwendung noch eine
maßgebende Rolle. Die Ergebnisse
sind — das sei zugegeben — noch
nicht befriedigend. Immerhin sind
aber neue Wege gefunden worden
und angesichts der noch so kurzen
Entwicklungszeit der Chemotherapie besteht kein Grund zur therapeutischen Resignation. Die zytostatische Behandlung muß in der
Klinik durchgeführt, zumindest dort
eingeleitet werden. Eine Langzeitbehandlung ist unerläßlich und bei
darf sorgfältiger ärztlicher Überwachung.
2 Hamburg 62
Tankstedter Landstraße 400
ECHO
Zu „Dürfen Träger von Herzschrittmachern fliegen?" Von
Professor Dr. med. habil.
Siegfried Ruff in Heft 20/1973,
Seite 1327 f.
„Träger von Herzschrittmachern können unbesorgt mit
einem Flugzeug verreisen,
stellte der Direktor des Instituts für Flugmedizin der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und
Raumfahrt (DFVLR), Professor Siegfried Ruff, in der
jüngsten Ausgabe des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES fest.
Die Herzschrittmacher — über
15 000 Menschen in der Bundesrepublik leben mit diesem
Gerät zur Regulierung des
Herzrhythmus — beeinträchtigen nach den Ergebnissen
der Untersuchungen von Prof.
Ruff nicht die elektronischen
Geräte in den Flugzeugen.
Andererseits hat die Bordelektronik auch keinen Einfluß auf die Funktion der
Herzschrittmacher." (Der Tagesspiegel, Berlin, und viele
andere Zeitungen)
Zu: Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft gibt bekannt: „Vorsicht
vor dem Asthmamittel Amborum Spezial-F" in Heft 25/
1973, Seite 1656
„Vor dem Asthmamittel ,Amborum Spezial-F' warnt die
Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft in der
neuesten Ausgabe des DEUTSCHEN . ÄRZTEBLATTES.
Dieses in Colombo (Ceylon)
hergestellte Medikament enthalte eine Kombination nicht
deklarierter verschreibungspflichtiger Arzneistoffe, deren
Anwendung ohne ärztliche
Anweisung zu Gesundheitsschäden führen könne. Dies
gehe aus einer Untersuchung
hervor, nachdem Bemühungen, vom Hersteller die Zusammensetzung des Mittels
zu erfahren, ergebnislos verliefen." (Neue Osnabrücker
Zeitung, Osnabrück)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 13. September 1973 2379
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