Mathematik für Physiker III — WS 2003 Sturm-Liouville-Probleme Kai Gehrs In Anlehnung an die Vorlesung “Mathematik für Physiker III” von Walter Oevel Adjungierte und selbstadjungierte Operatoren Der adjungierte” ( transponierte”) Operator A∗ eines linea” ” ren Operators A : L2w ([a, b]) → L2w ([a, b]) ist definiert durch hA∗φ, ψiw = hφ, Aψiw für alle φ, ψ ∈ L2w ([a, b]). Ein Operator mit A = A∗ heißt selbst” adjungiert”. Das Skalarprodukt ist dabei definiert über Z b hφ, ψiw := w(x) · φ(x) · ψ(x) dx a mit nichttrivialem Gewicht w 6≡ 1. Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 39* c) Betrachte den Unterraum (0) L2 ([a, b]) = {f : [a, b] → C; f ist stetig diff’bar; f (a) = f (b) = 0} des L2([a, b]). Es gilt: Z b hφ, Dψi = φ(x) · ψ 0(x) dx a h = φ(x) · ψ(x) | {z =0 = −hDφ, ψi. ix=b x=a } − Z b φ(x)0 · ψ(x) dx a und damit hφ, −i · Dψi = −hφ, i · Dψi = −h−i · φ, Dψi = (−1) · (−1) · hD(−i · φ), ψi = h−i · Dφ, ψi. Eigenfunktionen und Eigenwerte eines Operators (0) Sei L ein auf einem dichten Unterraum L2w ([a, b]) des L2w ([a, b]) de(0) finierter Operator. Ein ψ ∈ L2w ([a, b]), ψ 6= 0, mit Lψ = λ · ψ heisst Eigenvektor“ oder auch Eigenfunktion“ von L zum Eigen” ” ” wert“ λ ∈ C. Für einen selbstadjungierten Operator auf L2w gilt: a) Alle Eigenwerte sind reell. b) Eigenfunktionen zu unterschiedlichen Eigenwerten sind orthogonal. Selbstadjungiertheit von Differentialoperatoren Es seien A(x), B(x), C(x) reelle, glatte Funktionen. Der Differentialoperator d2 d + C(x) L = −A(x) · 2 − B(x) · dx dx definiert auf dem Intervall [a, b] mit den Randbedingungen α1 · ψ(a) + α2 · ψ 0(a) = 0, β1 · ψ(b) + β2 · ψ 0(b) = 0 (mit αi, βi ∈ R, |α1| + |α2| = 6 0, |β1| + |β2| = 6 0) ist selbstadjungiert Rb bezüglich des Skalarprodukts hφ, ψiw = a w(x) · φ(x) · ψ(x) dx mit der Gewichtsfunktion Z x B(ξ) − A0(ξ) w(x) = exp dξ . A(ξ) Transformation auf Sturm-Liouville-Form Die Differentialgleichung L̃ψ = −A · ψ 00 − B · ψ 0 + C · ψ = λ · ψ ist äquivalent zum verallgemeinerten Eigenwertproblem“ ” Lψ = −(p · ψ 0)0 + q · ψ = λ · w · ψ mit w(x) = exp Z x B(ξ) − A0(ξ) dξ , A(ξ) d Ein Operator der Form L = − dx p Operator“ genannt. d dx p = w · A, q = w · C. + q wird Sturm–Liouville– ” Reguläre Sturm-Liouville-Probleme Die Eigenwertgleichung Lψ = −(p · ψ 0)0 + q · ψ = λ · w · ψ mit glatten reellen Funktionen p, q, w zusammen mit Randbedingungen der Form α1 · ψ(a) + α2 · ψ 0(a) = 0, β1 · ψ(b) + β2 · ψ 0(b) = 0 (mit αi, βi ∈ R, |α1| + |α2| = 6 0, |β1| + |β2| = 6 0) nennt man ein re” guläres Sturm–Liouville–Problem“ über dem Intervall [a, b], wenn dieses Intervall endlich ist und p(x) > 0 ∀x ∈ [a, b] sowie w(x) > 0 ∀x ∈ [a, b] gilt. Singuläre Sturm-Liouville-Probleme Ist das Intervall unendlich oder gilt p(x) > 0 ∀x ∈ (a, b) und p(a) = 0 und/oder p(b) = 0 oder verschwindet das Gewicht w(x) an einigen Punkten oder ersetzt man eine oder beide der Randbedingungen durch lim ψ(x) existiert bzw. x→a x>a lim ψ(x) existiert x→b x<b (oder einer ähnlichen Bedingung), so spricht man von einem sin” gulären Sturm–Liouville–Problem“. Eigenschaften des Sturm-Liouville-Operators d d Der Operator L = − dx p dx + q ist selbstadjungiert bezüglich des ungewichteten Skalarprodukts h., .i. Der Operator w1 · L ist selbstadjungiert bezüglich des gewichteten Skalarprodukts h., .iw . Mit 1 · Lψ = λ · ψ Lψ = λ · w · ψ ⇐⇒ w sind die Eigenfunktionen orthogonal bzgl. h., .iw . Zu jedem Eigenwert λ eines regulären Sturm–Liouville–Problems Lψ = λ · w · ψ mit den Randbedingungen α1 · ψ(a) + α2 · ψ 0(a) = 0, β1 · ψ(b) + β2 · ψ 0(b) = 0 (mit αi, βi ∈ R, |α1| + |α2| 6= 0, |β1| + |β2| 6= 0) gibt es genau eine Eigenfunktion (bis auf Multiplikation mit einer Konstanten). Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 40* Betrachte das Sturm–Liouville-Problem Lψ(x) = −ψ 00(x) = λ · ψ(x), ψ(0) = 0, ψ(1) + ψ 0(1) = 0. über dem Intervall [0, 1]. a) Zeige, dass hψ, Lψi > 0 gilt für alle Funktionen ψ 6≡ 0, die die Randbedingungen erfüllen: Z 1 h ix=1 Z 1 hψ, Lψi = ψ(x)·(−ψ 00(x)) dx = −ψ(x)·ψ 0(x) + ψ(x)0·ψ 0(x) dx. x=0 0 0 Mit der linken Randbedingung ψ(0) = 0 folgt: Z 1 hψ, Lψi = −ψ(1) · ψ 0(1) + ψ(x)0 · ψ 0(x) dx. 0 Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 40* Mit der rechten Randbedingung ψ 0(1) = −ψ(1) folgt: Z 1 hψ, Lψi = ψ(1) · ψ(1) + ψ(x)0 · ψ 0(x) dx ≥ 0. 0 Der Wert 0 kann dabei nur angenommen werden, wenn ψ 0(x) = 0 auf dem ganzen Intervall gilt, also ψ(x) konstant ist. Wegen der linken Randbedingung folgt dann ψ ≡ 0. b) Folgere, dass alle Eigenwerte λ positiv sein müssen. Mit Lψ = λ · ψ, ψ 6≡ 0: hψ, Lψi λ= > 0. hψ, ψi Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 40* c) Zeige, dass die Eigenwerte durch λk = µ2k (k = 1, 2, 3, . . . ) gegeben sind, wo µk die k-te positive Lösung der Gleichung µ + tan(µ) = 0 ist. Bestimme die Eigenfunktion ψk zu λk . Die allgemeine Lösung von −ψ 00 = λ · ψ ist √ √ ψ(x) = α · cos( λ · x) + β · sin( λ · x). Aus der linken Randbedingung folgt ψ(0) = α = 0. Die rechte Randbedingung: √ √ √ 0 ψ(1) + ψ (1) = β · sin( λ) + β · λ · cos( λ) = 0. Da β nicht verschwinden darf, ist λ durch die Gleichung √ √ √ sin( λ) + λ · cos( λ) = 0 √ eingeschränkt, also sin(µ) + µ · cos(µ) = 0 für µ = λ. Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 40* Die Lösung kann sicherlich nicht cos(µ) = 0 erfüllen, also kann die bestimmende Gleichung auch als tan(µ) = −µ geschrieben werden. Da mit µ auch −µ eine Lösung ist, beide aber auf den selben Eigenwert λ = µ2 führen, brauchen nur positive Werte von µ betrachtet zu werden. d) Benutze 1 µ0 · sin(µ) · cos(µ0) − µ · cos(µ) · sin(µ0) sin(µ·x)·sin(µ ·x) dx = , 02 − µ2 µ 0 um die Orthogonalität der Eigenfunktionen zu überprüfen. Z 0 Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 40* Es gilt hψk , ψk0 i = Z 1 sin(µk0 · x) · sin(µk · x) dx 0 = µk0 · sin(µk ) · cos(µk0 ) − µk · cos(µk ) · sin(µk ) . 2 2 µ k 0 − µk Einsetzen von µk = − tan(µk ), µk0 = − tan(µk0 ), also µk · cos(µk ) = − sin(µk ), µk0 · cos(µk0 ) = − sin(µk0 ) im Zähler liefert hψk , ψk0 i − sin(µk0 ) · sin(µk ) + sin(µk0 ) · sin(µk ) = =0 µ2k0 − µ2k Beschränkung der Eigenwerte des Sturm-LiouvilleOperators Für die Eigenwerte λ des (regulären oder singulären) Sturm–Liouville– Problems Lψ = −(p · ψ 0)0 + q · ψ = λ · w · ψ über dem Intervall [a, b] mit p(x) > 0 und w(x) > 0 ∀x ∈ (a, b) und mit einer der speziellen Randbedingungen ψ(a) = 0, ψ(b) = 0 (Dirichletsche Randbedingungen), oder auch ψ 0(a) = 0, ψ 0(b) = 0 (Neumannsche Randbedingungen) oder auch ψ(a) = 0, ψ 0(b) = 0 oder auch ψ 0(a) = 0, ψ(b) = 0 gilt: q(x) λ ≥ min . x∈[a,b] w(x) Eigenschaften regulärer Sturm-Liouville-Probleme Für reguläre SL–Eigenwertprobleme gilt: a) Es gibt eine abzählbar unendliche Anzahl reeller diskreter Eigenwerte λk mit k = 0, 1, 2, . . . : λ0 < λ 1 < λ 2 < . . . . b) Diese Eigenwerte wachsen in der Form O(k 2) gegen ∞: es gibt positive Konstanten c und C, sodass für alle hinreichend grossen k gilt: λk c ≤ 2 ≤ C. k c) Die Eigenwerte sind einfach: zu jedem λk gibt es (bis auf Multiplikation mit einer Konstanten) genau eine Eigenfunktion ψk (x) mit Lψk = λk · w · ψk . Eigenschaften regulärer Sturm-Liouville-Probleme d) Die Eigenfunktionen oszillieren“: die k-te Eigenfunktion hat ge” nau k einfache Nullstellen im offenen Intervall (a, b) (und, je nach Randbedingung, evtl. noch Nullstellen an den Rändern). e) Die Eigenfunktionen bilden ein vollständiges Orthogonalsystem auf L2w ([a, b]): für jedes f ∈ L2w ([a, b]) (welches nicht die Randbedingungen zu erfüllen braucht) konvergiert die Fourier–Reihe im L2–Sinne gegen f : ∞ X hψk , f iw f= ck · ψk mit ck = . hψk , ψk iw k=0 Eigenschaften regulärer Sturm-Liouville-Probleme f) Jede stückweise glatte Funktion f über [a, b], die den Randbedingungen genügt, läßt sich punktweise als Grenzwert der Fourier– Reihe über die Eigenfunktionen darstellen. Es gilt: n X f (x − 0) + f (x + 0) ck · ψk (x) = lim , n→∞ 2 k=0 wo f (x ∓0) der links– bzw. rechtsseitige Limes der Funktion an der Stelle x ist. Stetige Funktionen, die den Randbedingungen genügen, werden damit überall durch ihre Fourier–Reihe dargestellt. Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 45* Verifiziere, dass die parametrische Bessel–Gleichung 1 ν2 0 −ψ (x) − · ψ (x) + 2 · ψ(x) = µ2 · ψ(x) x x durch ψ(x) = Jν (µ · x) gelöst wird. Anleitung: starte mit der Bessel– DGL für Jν . 00 Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 45* Die Bessel–Funktion Jν (y) ist die bei y = 0 reguläre Lösung der DGL −Jν00(y) 1 0 ν2 − · Jν (y) + 2 · Jν (y) = Jν (y). y y Setze ψ(x) = Jν (y(x)) mit y(x) = µ · x, also ψ 0(x) = Jν0 (y) · µ, ψ 00(x) = Jν00(y) · µ2. Es folgt: 2 2 1 ν µ ν −ψ 00(x) − · ψ 0(x) + 2 · ψ(x) = −Jν00(y) · µ2 − · Jν0 (y) + 2 · Jν (y) x x x x 2 1 ν = µ2 · − Jν00(y) − · Jν0 (y) + 2 2 · Jν (y) µ·x µ ·x 2 1 ν = µ2 · − Jν00(y) − · Jν0 (y) + 2 · Jν (y) = µ2 · Jν (y) = µ2 · ψ(x). y y Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 45* Charakterisiere die Eigenwerte und bestimme die Eigenfunktionen der parametrischen Bessel–Gleichung 1 ν2 0 −ψ (x) − · ψ (x) + 2 · ψ(x) = λ · ψ(x) x x mit den Randbedingungen |ψ(0)| < ∞, ψ 0(1) = 0. Anleitung: analog zu Beispiel 2.16 der Vorlesung. Benutze, dass es neben der in a) gefundenen Lösung der parametrischen Bessel–DGL keine weiteren bei x = 0 regulären Lösungen gibt, und dass zwischen je zwei aufeinander folgenden positiven Nullstellen von Jν (x) jeweils genau ein lokales Extremum von Jν (x) liegt. 00 Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 45* Die Lösung von 1 ν2 0 −ψ (x) − · ψ (x) + 2 · ψ(x) = µ2 · ψ(x) x x zusammen mit der Regularitätsbedingung |ψ(0)| < ∞ ist nach a) durch ψ(x) = Jν (µ · x) gegeben, wobei µ ∈ R beliebig ist. Die zweite Randbedingung ψ 0(1) = µ · Jν0 (µ) = 0 schränkt µ auf 0 oder eine der (positiven) reellen Nullstellen von Jν0 ein. Sei µνk die k-te reelle positive Nullstelle von Jν0 (k = 1, 2, . . . für ν 6= 0 bzw. k = 0, 1, 2, . . . für ν = 0). 00 Ein Beispiel: Siehe Aufgabe 45* Die Eigenwerte λ von 1 ν2 0 −ψ (x) − · ψ (x) + 2 · ψ(x) = λ · ψ(x) x x sind damit λk = µ2νk mit den Eigenfunktionen 00 ψ0(x) = J0(0) = 1, ψk (x) = J0(µ0k · x), k = 1, 2, . . . für ν = 0 bzw. ψk (x) = Jν (µνk · x), für ν 6= 0. k = 1, 2, . . . Anwendungen in der Quantenmechanik In der Quantenmechanik sind der kleinste Eigenwert λ0 und die entsprechende Eigenfunktion ψ0 von besonderem Interesse: man spricht von Grundenergie“ λ0 und Grundzustand“ ψ0. ” ” Wähle eine (möglichst gute) Approximation µ von λ0, wähle eine beliebige Startfunktion ψ (0), die keine Eigenfunktion von L ist. Ist die Approximation µ hinreichend genau, so konvergiert die Iteration 1 ψ (j) = q · ψ̃ (j) mit ψ̃ (j) = (L − µ · w)−1w · ψ (j−1) hψ̃ (j), ψ̃ (j)iw im L2–Sinn gegen ψ0 und λ (j) hψ̃ (j), ψ (j−1)iw hψ (j), Lψ (j)i hψ̃ (j), (L − µ · w)ψ̃ (j)i = (j) (j) = µ+ = µ+ (j) (j) hψ , ψ iw hψ̃ , ψ̃ iw hψ̃ (j), ψ̃ (j)iw konvergiert gegen λ0 (vgl. Aufgabe 47). Inverse Sturm-Liouville-Probleme Betrachte wieder Lψ = w · f mit den üblichen Randbedingungen, f ∈ L2w ([a, b]). Wir zerlegen dazu ψ und f in eine Fourier–Reihe bzgl. der Eigenfunktionen ψk von L (was für reguläre SL–Probleme immer möglich ist): ψ= ∞ X dk · ψk , k=0 f= ∞ X k=0 ck · ψk , ck = hψk , f iw . hψk , ψk iw Aus Lψ = w · f folgt mit Lψk = λk · w · ψk die Gleichung ∞ ∞ ∞ X X X dk · Lψk = dk · λk · w · ψk = w · f = ck · w · ψk . Lψ = k=0 k=0 k=0 Inverse Sturm-Liouville-Probleme Durch Vergleich der einzelnen Terme folgt dk = ck /λk , d.h., man erhält die Lösungsformel ∞ X ck hψk , f iw · ψk , ck = ψ= λk hψk , ψk iw k=0 für das Problem Lψ = w · f . Solange keiner der Eigenwerte λk = 0 ist, erhält man so die Lösung. Inverse Sturm-Liouville-Probleme Startet man mit dem Operator e = −A d − B d + C, L dx2 dx e auf SL–Form L gebracht wird, so entspricht die der durch L = w · L e = f . Mit den Eigenfunktionen Gleichung Lψ = w·f der Gleichung Lψ e k = λ · ψk wird die Gleichung Lψ e =f Lψ auch für allgemeine Operatoren L̃ durch die Fourier–Entwicklung gelöst, falls 0 kein Eigenwert von L̃ ist: ∞ X ck hψk , f iw ψ= · ψk , ck = . λk hψk , ψk iw k=0 Die Greensche Funktion (0) Sei L : L2w ([a, b]) → L2w ([a, b]) ein SL–Operator auf einem den Rand(0) bedingungen entsprechenden Teilraum L2w ([a, b]) ⊂ L2w ([a, b]) mit einem vollständigen Orthogonalsystem von Eigenfunktionen Lψk = λk · w · ψk , k ∈ N0. Ist 0 nicht Eigenwert, so ist L invertierbar. Der (0) inverse Operator L−1 : L2w ([a, b]) → L2w ([a, b]) wirkt als Integraloperator: Z b ∞ X ψk (x) · ψk (y) (L−1f )(x) = g(x, y)·f (y) dy mit g(x, y) = . λk · hψk , ψk iw a k=0 Bezeichnung: L−1 heißt Greens–Operator“, der Integralkern g(x, y) ” heißt Greensche Funktion“. ” Die Greensche Funktion – ein konkretes Beispiel 2 d Wir berechnen die Greensfunktion des SL–Operators L = − dx 2 mit den Randbedingungen ψ(0) = ψ(1) = 0. Sei y ∈ (0, 1) vorgegeben. 2 ∂ a) Die Lösung des homogenen Problems Lg(x, y) = − ∂x 2 g(x, y) = 0 ist g(x, y) = α(y) + β(y) · x. Wir machen also den Ansatz ( α−(y) + β−(y) · x für x ∈ [0, y), g(x, y) = α+(y) + β+(y) · x für x ∈ (y, 1] mit noch zu bestimmenden Funktionen α±(y), β±(y). b) Aus der linken Randbedingung g(0, y) = 0 folgt α−(y) = 0. c) Aus der rechten Randbedingung g(1, y) = 0 folgt α+(y)+β+(y) = 0. Die Greensche Funktion – ein konkretes Beispiel Der Ansatz hat sich damit auf ( β−(y) · x für x ∈ [0, y), g(x, y) = α+(y) · (1 − x) für x ∈ (y, 1] reduziert. d) Für x = y ergibt sich β−(y) · y = α+(y) · (1 − y). e) Es gilt ∂g (x, y) = ∂x ( β−(y) für x ∈ [0, y), −α+(y) für x ∈ (y, 1]. (1) Die Greensche Funktion – ein konkretes Beispiel Für unseren Operator ist p(x) = 1. Die Sprungbedingung e) liefert damit 1 = 1. (2) β−(y) + α+(y) = p(y) Aus den linearen Gleichungen (1) und (2) ergibt sich α+(y) = y, β−(y) = 1 − y. Damit ist die Greens–Funktion bestimmt (wir lassen nun auch y = 0, y = 1 sowie wegen der Stetigkeit auch x = y zu): ( x · (1 − y) für 0 ≤ x ≤ y ≤ 1, g(x, y) = (1 − x) · y für 0 ≤ y ≤ x ≤ 1. Die Greensche Funktion – ein konkretes Beispiel Probe: Die Funktion Z 1 Z ψ(x) = g(x, y)·f (y) dy = 0 = (1 − x) · x g(x, y)·f (y) dy+ 0 Z 0 x y · f (y) dy + x · Z 1 g(x, y)·f (y) dy x Z 1 (1 − y) · f (y) dy x erfüllt in der Tat die Randbedingungen ψ(0) = ψ(1) = 0 sowie d2 Lψ(x) = − 2 ψ(x) = f (x) dx für eine gegebene rechte Seite f (x). Eine weitere Anwendung: Die Poisson-Gleichung Wir betrachten die Poisson–Gleichung“ ” ∆u = −f mit einer in Polarkoordinaten gegebenen Funktion f (r, φ) und der Randbedingung u(r0, φ) = 0 (auf einem Kreis des Radius r0 soll die Lösung verschwinden). In Polarkoordinaten haben wir zu lösen: ∂ 2u 1 ∂u 1 ∂ 2u ∆u(r, φ) = 2 + · + 2 · 2 = −f (r, φ), ∂r r ∂r r ∂φ Wir führen die dimensionslose Koordinate r ρ= r0 u(r0, φ) = 0. Eine weitere Anwendung: Die Poisson-Gleichung ein, die den Radialbereich r ∈ [0, r0] auf den Standardbereich ρ ∈ [0, 1] transformiert. Da sowohl f als auch die Lösung u in der Winkelkoordinate φ die Periode 2 · π haben muss, zerlegen wir f und u in Fourier–Reihen bzgl. φ: X X i·ν·φ u(r, φ) = Uν (ρ) · e , f (r, φ) = Fν (ρ) · ei·ν·φ ν∈Z mit 1 Fν (ρ) = · 2·π ν∈Z Z 0 2·π f (ρ · r0, φ) · e−i·ν·φ dφ. Eine weitere Anwendung: Die Poisson-Gleichung Einsetzen in die Poisson–Gleichung liefert: X ∂2 1 ∂ 1 ∂2 i·ν·φ ∆u(r, φ) = + · + · · U (ρ) · e ν ∂r2 r ∂r r2 ∂φ2 ν∈Z 1 X ∂2 1 ∂ 1 ∂2 i·ν·φ = 2· + · + · · U (ρ) · e ν r0 ∂ρ2 ρ ∂ρ ρ2 ∂φ2 ν∈Z 1 X 00 1 ν2 0 = 2· Uν (ρ) + · Uν (ρ) − 2 · Uν (ρ) · ei·ν·φ r0 ρ ρ ν∈Z X =− Fν (ρ) · ei·ν·φ = −f (r, φ). ν∈Z Vergleich der Fourier–Koeffizienten liefert, dass die Funktionen Uν (ρ) Eine weitere Anwendung: Die Poisson-Gleichung durch die Gleichung 1 ν2 0 − · Uν (ρ) + 2 · Uν (ρ) = r02 · Fν (ρ) ρ ρ mit den Randbedingungen −Uν00(ρ) |Uν (0)| < ∞, Uν (1) = 0 bestimmt sind. Dies ist die inhomogene Version der in Beispiel 2.16 betrachteten parametrischen Bessel–Gleichung über dem Intervall [0, 1], zu der das Gewicht w(ρ) = ρ gehört. Eine weitere Anwendung: Die Poisson-Gleichung Entwicklung nach den bzgl. w orthogonalen Eigenfunktionen ψνk (ρ) = J|ν|(λ|ν|,k · ρ), ν∈Z mit den Eigenwerten λ2|ν|,k (wo λ|ν|k die k-te positive Nullstelle von J|ν| ist) liefert gemäß Bemerkung 2.23 unter Verwendung der Angaben in Beispiel 2.16 die Lösung X 1 hψνk , r02 · Fν iw Uν (ρ) = · · ψνk (ρ) λ2|ν|,k hψνk , ψνk iw k∈N X 2 hψνk , r02 · Fν iw = · · ψνk (ρ). 2 2 λ|ν|,k J|ν|+1(λ|ν|,k ) k∈N Eine weitere Anwendung: Die Poisson-Gleichung X Mit u(r, φ) = Uν (ρ) · ei·ν·φ erhalten wir das ν∈Z Endergebnis: Die Lösung des Randwertproblems ∆u(r, φ) = −f (r, φ), u(r0, φ) = 0 ist in Polarkoordinaten gegeben durch die Reihenentwicklung XX 2 hψνk , r02 · Fν iw r i·ν·φ u(r, φ) = · · J|ν| λ|ν|,k · ·e 2 2 λ|ν|,k J|ν|+1(λ|ν|,k ) r0 ν∈Z k∈N